Die Entführung der Anna Netrebko - Günther Freitag - E-Book

Die Entführung der Anna Netrebko E-Book

Günther Freitag

4,7

Beschreibung

Die Mutter des Icherzählers ist eine erfolgreiche Anwältin, die ihren Sohn unterdrückt. Sie führt die medienwirksamen Prozesse, er darf sich mit obskuren Klienten abmühen. Ohne Vater aufgewachsen, in Internaten erzogen, spielt er in der Kanzlei seiner Mutter eine inferiore Rolle. Erst als er sich ebenfalls auf die Welt der opernbesessenen Mutter einlässt, gelingt ihm ein Befreiungsschlag. Er verliebt sich in eine Choristin, verehrt Anna Netrebko und setzt der Tenorverehrung der Mutter einen grandiosen Sopran entgegen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 320

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
14
2
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



FREITAG • DIE ENTFÜHRUNG DER ANNA NETREBKO

GÜNTHER FREITAG

Die Entführung der Anna Netrebko

Roman

Die Herausgabe dieses Buches erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch das Land Kärnten,das Land Vorarlberg, das Land Steiermark und die Stadt Graz.

A-9020 Klagenfurt/Celovec, 8.-Mai-Straße 12Tel. + 43(0)463 370 36, Fax + 43(0)463 376 [email protected]

Copyright © dieser Ausgabe 20 15 bei Wieser Verlag GmbH,Klagenfurt/CelovecAlle Rechte VorbehaltenLektorat: Gerhard MaierhoferISBN 978-3-99047-027-5

1

Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel. Mit einer entsetzlichen Stimme, der die leisen Töne fremd sind, denke ich, während ich in meinem Zimmer über den Akten eines bedeutungslosen Prozesses hocke und nach einer schnellen Lösung suche. Die würde mir eine kurze Pause bis zu einer weiteren Demütigung verschaffen, wenn Mama mir mit einem hinterhältigen Lächeln den nächsten Fall übergibt, der ebenso lächerlich sein wird wie alle vorangegangenen. Sie führt die aufregenden Prozesse und verdient Unsummen, ich muss mich mit zänkischen Witwen, die einander üble Nachrede vorwerfen, Ehrenbeleidigungen, Testamentsfälschungen und Mietstreitigkeiten herumschlagen.

Selbst Kleinvieh macht Mist, unterbindet sie jeden meiner Versuche, auch einmal einen großen Fall zu übernehmen. Schließlich sei sie die Eigentümerin der Kanzlei und ich noch nicht reif für schwierige Aufgaben. Meinen zaghaften Einwand, ich sei nun über vierzig, in einem Alter also, in dem viele Kollegen bereits ans Aufhören dächten und daran, sich für immer nach Spanien oder in die Toskana abzusetzen, wischt sie mit dem Satz vom Tisch, als Jurist steckte ich noch in den Kinderschuhen, und wechselt vom üblichen Alt in einen bedrohlichen Bariton. Nach einem anstrengenden Tag habe sie keine Lust, sich meine pubertären Fantasien länger anzuhören. Bevor sie mich wegschickt, muss ich für sie noch eine CD einlegen. Danach beachtet sie mich nicht mehr und startet mit der Fernbedienung vom Sofa aus die Musik. Che gelida manina, höre ich und schleiche mit hängendem Kopf in mein Zimmer. Chi son?, fragt Rodolfo, und ich flüstere: Son un idiota!

Manchmal hasse ich Mama und überlege, ob sie das weiß. Selbst wenn sie es wüsste, würde das nichts ändern. Sie würde sich bloß über meine Unfähigkeit amüsieren, mich gegen sie aufzulehnen. Es gebe Siegernaturen und geborene Verlierer, meint Mama und will mich damit nicht trösten, sondern sich jede Diskussion über meine Rolle in der Kanzlei ersparen. Dass aus Siegern Verlierer werden, habe ich oft erlebt, aber nie ist mir ein Mensch untergekommen, der es nach jahrelangen Niederlagen zu den Gewinnern geschafft hat. Ich kenne diese Sätze, die sie mir immer wieder an den Kopf wirft.

Wahrscheinlich sind sie auch der Grund dafür, dass ich noch vor dem Abschlussexamen eine Stirnglatze bekam. Das glaube ich heute, doch vor zwanzig Jahren erschrak ich, als ich eines Morgens im Badezimmerspiegel eine kahle Stelle entdeckte. Über Nacht waren mir Haare ausgefallen, die ich später auf dem Polster fand. Auf meiner Kopfhaut leuchtete ein rosafarbener Kreis.

Statt in die Fakultätsbibliothek fuhr ich in die Ordination eines Dermatologen. Nachdem ich mir von der Sprechstundenhilfe eine Nummer hatte geben lassen, hockte ich in einem überfüllten Wartezimmer zwischen zwei Prostituierten und Menschen mit Ausschlägen, die sich ständig an einem Körperteil kratzten. Am liebsten wäre ich davongelaufen, weil auch mich, kaum dass ich mich gesetzt hatte, ein heftiger Juckreiz plagte, der sich aber nicht wie bei den übrigen Patienten lokalisieren ließ. Einmal spürte ich ihn im Nacken, dann wieder auf den Handflächen oder im Gesicht. Nach ein paar Minuten kratzte ich mich wie die anderen und dachte, die hielten mich nun gewiss für einen besonders schweren Fall. Deshalb sah ich nur mehr in die Richtung der Prostituierten, die gelangweilt in Illustrierten blätterten, während sie wohl auf ihre wöchentliche Routineuntersuchung warteten. Vierzehn Patienten waren vor mir, es würde länger als zwei Stunden dauern, bis ich drankam, rechnete ich aus, nachdem der Arzt die ersten Patienten behandelt hatte. Dem Dermatologen traute ich nicht, weil sich die Leute auch noch kratzten, wenn sie in ihre Jacken und Mäntel schlüpften. Der Arzt hatte ihnen also nicht helfen können, zumindest nicht sofort. Aber vielleicht hatte er ihnen Medikamente verordnet, deren heilende Wirkung sich erst in den nächsten Tagen oder Wochen einstellen würde. Er konnte kein Versager sein, denn ich hatte seinen Namen in Mamas Adressbuch gefunden, in dem sogar noch der Kinderarzt stand, nach dessen Besuchen mich die schrecklichsten Albträume gequält hatten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!