Die Entstehung des Patriarchats - Gerda Lerner - E-Book

Die Entstehung des Patriarchats E-Book

Gerda Lerner

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Beschreibung

Lerner bekämpfte mit ihren Veröffentlichungen die in der Wissenschaft bis dahin geltende Darstellung, dass Geschichte etwas ist, das mit Frauen geschieht. Demgegenüber stellte sie sich die Aufgabe, die Entwicklung der Unterdrückung von Frauen und ihre Rolle in geschichtlichen Prozessen auf einer materialistischen Grundlage zu untersuchen. So kann Frauenunterdrückung nach Lerner nur mit der Klassengesellschaft zusammen gedacht - und überwunden - werden. Mit “Die Entstehung des Patriarchats” legt der Manifest Verlag den ersten Band ihrer zweibändigen Arbeit zu “Frauen und Geschichte” als Taschenbuch wieder auf. Dem Werk ist ein aktuelles Vorwort der englischen Sozialistin Christine Thomas (Autorin von “Es muss nicht bleiben wie es ist - Frauen und der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft”) vorangestellt.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort von Christine Thomas

Die Entstehung des Patriarchats ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Unterdrückung der Frau in Geschichte und Gegenwart. Obwohl Gerda Lerner sehr wenig über die Strategien sagt, die notwendig sind, um gegen Unterdrückung in all ihren Formen zu kämpfen, was eine große Schwäche des Buches ist, liefert sie dennoch wertvolle historische Informationen, um diesen Kampf zu unterstützen, insbesondere für sozialistische Feminist*innen, die Unterdrückung in wirtschaftlichen und materiellen Veränderungen verwurzelt sehen.

Der allgemeine Tenor ihrer Argumentation, der mit der Analyse im Buch »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« des Marxisten Friedrich Engels übereinstimmt, lautet, daß die Unterdrückung der Frau nicht seit jeher besteht, sondern die Folge historischer Prozesse ist. Und wenn historische Prozesse die Unterdrückung der Frau hervorbringen können, können sie auch die Grundlage für ihre Beseitigung schaffen. Für Frauen, insbesondere für Frauen aus der Arbeiter*innenklasse, die mit Niedriglöhnen und Kürzungen im öffentlichen Dienst zu kämpfen haben, die regelmäßig Gewalt, Belästigung und Sexismus erleiden, kann das Wissen, daß es nicht ihre Schuld ist, daß es nicht immer so war, an sich schon befreiend sein. Es kann zu einem der Ausgangspunkt dafür werden, sich zu organisieren, um sich zu wehren und die Bedingungen zu ändern, die Ungleichheit, geschlechtsspezifische Gewalt, Sexismus und Unterdrückung aufrechterhalten.

Lerner übt zu Recht Kritik an einigen Punkten, die Engels in seinem 1884 erschienenen bahnbrechenden Werk dargelegt hat. Da er zu einer Zeit schrieb, als nur sehr wenige wissenschaftliche und anthropologische Beweise zur Verfügung standen, war es unvermeidlich, daß sich einige der von ihm skizzierten Details der Entwicklung von Gesellschaften und der Unterdrückung von Frauen als falsch erweisen würden, und Lerner geht auf einige dieser Punkte ein. Aber auch wenn sein detailliertes Schema, wie sich frühe Verwandtschaftsgruppen entwickelt haben, nicht durch anthropologische Beweise gestützt wird, ist sein damals revolutionäres Argument, daß es Gesellschaften gegeben hat - und zwar für 99 Prozent der Menschheit -, in denen es kein Privateigentum an den Produktionsmitteln, keine wirtschaftliche Ausbeutung, keine Klassen und keine systematische Unterdrückung von Frauen gab, nachweislich belegt. Lerner schreibt:

»Inzwischen hat die anthropologische Forschung reichhaltiges Material vorgelegt, das relativ egalitäre gesellschaftliche Arrangements sowie komplexe und sehr unterschiedliche Versuche zur Lösung der von der Arbeitsteilung hervorgerufenen Probleme beschreibt.«1

Diese Arbeitsteilung in den vor-klassischen Jäger-Sammler-Subsistenzgesellschaften war hauptsächlich geschlechtsspezifisch. Im Allgemeinen jagten die Männer und die Frauen sammelten Früchte, Beeren usw. und waren hauptsächlich für die Kinderbetreuung zuständig. Dies war jedoch oft eine recht flexible Regelung, denn erst vor kurzem wurden Belege dafür gefunden, daß Frauen mit Jagdwerkzeugen begraben wurden - ein Zeichen dafür, daß sie in einigen Gesellschaften auch Tiere jagten, wenn sie nicht schwanger waren oder Kinder stillten. Und in einigen Gesellschaften beteiligten sich auch Männer an der Kinderbetreuung. Am wichtigsten ist jedoch, wie Lerner betont, daß diese Arbeitsteilung zwar zweckmäßig und biologisch begründet war, den Männern aber keinerlei wirtschaftliche oder soziale Vorteile verschaffte oder die Frauen in irgendeiner Weise benachteiligte.

Verwandtschaftsgruppen, die grundlegende soziale Einheit der Jäger- und Sammlergesellschaften, waren kollektiv und kooperativ organisiert, wobei alle erwachsenen Mitglieder wirtschaftlich voneinander abhängig und an der Entscheidungsfindung beteiligt waren. Die Kinderbetreuung war eine öffentliche Aufgabe, die zum Nutzen der gesamten sozialen Gruppe durchgeführt wurde. Dies könnte sich nicht stärker von der Situation in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft unterscheiden, in der die Kindererziehung überwiegend in der Verantwortung der Frauen innerhalb einer individuellen, »privaten« Familie liegt. Dies ist der Hauptgrund für das Fortbestehen des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, das sich nach Angaben des Weltwirtschaftsforums während der Covid-Pandemie weltweit verschlimmert hat und bei der derzeitigen Rate 132 Jahre dauern würde, um es zu schließen.

Lerner stimmt auch mit Engels darin überein, daß der historische Wandel in der sozialen Stellung der Frau nicht auf männliche Aggression oder die Biologie der Frau zurückzuführen ist, sondern die Folge einer wirtschaftlichen Revolution war. Auch hier würden Anthropologen zustimmen, daß vor etwa 8-10.000 Jahren einige Jäger- und Sammlergesellschaften begannen, neue Wege zur Deckung ihrer Bedürfnisse zu entdecken, die auf dem Anbau von Feldfrüchten und der Domestizierung von Tieren beruhten. Die Gesellschaften wurden sesshafter, die Bevölkerung wuchs, und zum ersten Mal waren sie in der Lage, mehr Nahrung zu produzieren, als für ihren eigenen Lebensunterhalt notwendig war. Diese Überschussproduktion konnte dann gelagert und in schlechten Zeiten von Dürre oder Hungersnot verteilt werden und ermöglichte es einigen Mitgliedern, sich aus der Produktion zurückzuziehen, um andere Aufgaben wie Handwerk oder Bewachung zu übernehmen und den Überschuss zu verteilen und zu handeln.

Lerner betont zu Recht, daß sich dieser historische Prozess, der in einigen Gesellschaften schließlich zu Ungleichheit, Klassen, Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen führte, über Jahrtausende hinweg vollzog:

»Die Periode der ›Durchsetzung des Patriarchats‹ war nicht ›ein Ereignis‹, sondern ein Prozeß, der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 v. Chr., vollzogen hat. Selbst im Bereich des alten Vorderen Orients ging dieser Prozeß in einigen unterscheidbaren Gesellschaften in unterschiedlicher Geschwindigkeit und zu verschiedenen Zeiten vor sich.«2

Sie hat auch Recht, wenn sie sagt, daß der langwierige Charakter dieses Prozesses nicht unbedingt aus Engels zusammenfassender Erklärung der »historischen Niederlage des weiblichen Geschlechts« zu verstehen wäre. Aufgrund der begrenzten Informationen, auf die er sich bei seiner Analyse stützen konnte, wäre ihm auch nicht bewusst gewesen, wie sich ähnliche Prozesse in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander entwickelten.

Natürlich hätte jede Gesellschaft ihre eigene Dynamik gehabt. »Wir müssen uns diesen Vorgang nicht als einen linearen Prozeß vorstellen, der in verschiedenen Regionen auf gleiche Weise stattgefunden hat, sondern eher als ein langsames Zunehmen von Veränderungen in einzelnen Bereichen, die in verschiedenen Regionen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit vielgestaltigen Ergebnissen vor sich gegangen sind«3, schreibt Lerner. Dennoch lassen sich aus den verschiedenen anthropologischen Studien über die Entwicklung von Vorklassengesellschaften allgemeine Entwicklungslinien ableiten. Die wirtschaftlichen und sozialen Kräfte, die sich aus den veränderten Produktionsmethoden ergaben, untergruben die egalitären, gemeinschaftlichen Prinzipien, die den auf Verwandtschaftsgruppen basierenden Gesellschaften zugrunde lagen, und gerieten mit ihnen in Konflikt. Während anfangs die Individuen und Gruppen, die die Produktion des Überschusses, seine Verteilung, Bewachung und den Handel kontrollierten, dies im Namen der gemeinschaftlichen Gruppe taten, ohne notwendigerweise wirtschaftlichen Nutzen oder soziale Macht aus ihrer Rolle zu ziehen, entwickelten sich im Laufe der Zeit Schichtung, Hierarchien und Ungleichheit, die die Grundlage für den Aufstieg verschiedener Klassen und Eliten bildeten, die die Arbeit anderer ausbeuteten und sich einen Teil des Überschusses aneigneten.

Engels hat nie erklärt, warum gerade die Männer diese Kontrolle erlangten. Die Hypothese von Lerner, daß sich dies aus der bereits bestehenden Arbeitsteilung ergab, erscheint am logischsten: Männer waren für das Pflügen und die Bewässerungsarbeiten zuständig, als die Landwirtschaft intensiver wurde, sowie für andere Aufgaben im Zusammenhang mit der Produktion und der Kontrolle des Überschusses. Während also die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den egalitären, gemeinschaftlichen Jäger- und Sammlergesellschaften für Frauen nicht nachteilig war, wurde sie es unter den neuen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Durch die sich verändernden Produktionstechniken gewann der einzelne Haushalt bzw. die Familie an Bedeutung, wobei die Frauen wirtschaftlich zunehmend von einem einzelnen Mann abhängig wurden und ihre Arbeit innerhalb des Haushalts einen eher privaten Charakter annahm. Auch die Vererbung gewann zunehmend an Bedeutung, da die wirtschaftlich dominierenden Gruppen und Eliten bestrebt waren, Reichtum und wirtschaftliche Kontrolle in ihren Händen zu behalten. Infolgedessen gab es eine wirtschaftliche Grundlage für die Kontrolle der Sexualität und der Fortpflanzung von Frauen, die es in kommunalen Verwandtschaftsgruppen nicht gab.

Lerner befasst sich in ihrem Buch hauptsächlich mit Mesopotamien. Da die Sklaverei dort nicht die vorherrschende Produktionsweise war, ist ihre Hypothese, daß die Männer die Unterdrückung der Frauen in der Sklaverei »gelernt« haben, sicherlich mit einem Fragezeichen zu versehen. Außerdem erklärt sie nie, auf welcher materiellen Grundlage Männer sich die sexuellen und reproduktiven Fähigkeiten von Frauen vor der Entstehung von Privateigentum und Klassengesellschaft aneignen konnten, wie sie in der Einleitung des Buches behauptet. Später schreibt sie jedoch im Widerspruch dazu: »Wenn wir Aabys Argumentation folgen, die ich überzeugend finde, dann müssen wir zu dem Schluß kommen, daß im Verlauf der agrikulturellen Revolution die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und die sexuelle Ausbeutung der Frau untrennbar miteinander verknüpft worden sind.«4 Dies ist der entscheidende Punkt, der durch Lerners Analyse der gleichzeitigen Entwicklung von Gesetzen zur Regelung des Eigentums und des Verhaltens von Frauen unterstrichen und von Anthropologen bestätigt wird, die den Prozess des Niedergangs des sozialen Status von Frauen in anderen Übergangsgesellschaften in Afrika und anderswo untersucht haben: Das Patriarchat - die institutionalisierte Unterdrückung von Frauen - ist kein von der Klassengesellschaft getrenntes System; beide sind als Teil derselben wirtschaftlichen und sozialen Prozesse historisch entstanden. Und sie sind auch heute noch in der kapitalistischen Gesellschaft miteinander verwoben.

Lerner zeigt, wie die Frauen der aufstrebenden herrschenden Eliten an vielen wirtschaftlichen Privilegien der Männer ihrer Klasse teilhatten, während gleichzeitig ihre Sexualität und Fortpflanzung im patriarchalischen Haushalt unter die Kontrolle ihrer Ehemänner oder Väter gerieten. In der früheren Periode des Übergangs zu klassenbasierten Gesellschaften, so erklärt sie, besaßen aristokratische Frauen gewisse wirtschaftliche, rechtliche und religiöse Rechte, ein Überbleibsel des sozialen Status von Frauen in vorklassenbasierten Gesellschaften, und konnten, obwohl sie von einem männlichen Verwandten abhängig waren, begrenzten Einfluss auf öffentliche Angelegenheiten ausüben. Mit der Entwicklung eines komplexeren Staatsapparats wurden ihr Status und ihre Rolle jedoch immer mehr eingeschränkt. Gesetze und Kodizes regelten das Sexualverhalten der Frauen der herrschenden Klasse und legten fest, wie Verstöße gegen gesellschaftlich vorgeschriebene Normen und Doppelmoral bestraft werden konnten oder sollten.

Während also Männer frei mit Prostituierten und Sklavinnen Ehebruch begehen konnten, galt Ehebruch durch Frauen als Verletzung der Eigentumsrechte des Ehemannes und konnte streng bestraft werden, ebenso wie das unverschleierte Gehen in der Öffentlichkeit. Die Strafe für die Beschaffung bestimmter Arten von Abtreibungen war der Tod. Zu den anderen brutalen Strafen für das Überschreiten ihrer durch Sitte oder Gesetz sanktionierten Rollen gehörten das Herausreißen der Brüste, das Abschneiden von Nase und Ohren und die Pfählung. Mit der Institutionalisierung der Unterordnung der Frau wurde »Die lebenslange Abhängigkeit der Frauen von ihren Vätern und Gatten wurde im Recht und in den Sitten so fest verankert, daß sie für ›natürlich‹ oder gottgegeben gehalten wurde.«5 Frauen wurden »hauptsächlich als Gebärende geschätzt.« Durch die Heirat wurden sie zu einer Ware, die als Mittel zur Festigung und Ausweitung von Reichtum, Macht und Prestige ausgetauscht werden konnte. Die patriarchalische Familie war nun der »Baustein der Gesellschaft« und löste die kommunale Verwandtschaftsgruppe ab.

»Der archaische Staat wußte von Beginn an um seine Abhängigkeit von der patriarchalen Familienstruktur und setzte das ordnungsgemäße Funktionieren der Familie der öffentlichen Ordnung gleich.«6

Hier werden die Ursprünge all der Unterdrückung deutlich, der Frauen weltweit auch heute noch ausgesetzt sind. Wirtschaftliche Ungleichheit, geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung, Sexismus, Verweigerung reproduktiver Rechte und Doppelmoral lassen sich alle auf ähnliche Prozesse zurückführen, die in verschiedenen Teilen der Welt vor Tausenden von Jahren stattfanden. Jede nachfolgende Form der Klassengesellschaft übernahm die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die patriarchalische Familie, die in früheren Gesellschaften existierte, und beutete sie aus und formte sie so, daß sie den wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen der herrschenden Klassen entsprach.

Mit dem Aufkommen des Kapitalismus gab es zum Beispiel zum ersten Mal eine klare Trennung zwischen der Arbeit der Frauen in der Familie und ihrer Arbeit außerhalb des Hauses in den Fabriken und Fabriken. Die kapitalistische Ideologie förderte jedoch weiterhin die Vorstellung, daß die natürliche Hauptrolle der Frau in der Familie bei der Geburt und Erziehung von Kindern lag. Für die Frauen der Arbeiter*innenklasse bedeutete dies, die nächste Generation von Arbeiter*innen großzuziehen, die dann in den Fabriken die Profite für die Bosse erwirtschaften sollten, und sich um die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation von Arbeiterinnen und derjenigen Mitglieder der Gesellschaft zu kümmern, die als »unproduktiv« galten - die Kranken, die Behinderten, die Alten und die Arbeitslosen. All dies geschah natürlich unbezahlt, da es im Haushalt stattfand und als ihre natürliche Aufgabe angesehen wurde. So konnten die Kapitalist*innen rechtfertigen, daß sie Frauen niedrigere Löhne zahlten und sie zu schlechteren Bedingungen beschäftigten, was ihre Profite steigerte und gleichzeitig eine Spaltung zwischen männlichen und weiblichen Arbeiter*innen herbeiführte, um einen vereinten Kampf gegen ihr System zu verhindern.

Die patriarchalische Familie hat auch weiterhin eine wichtige ideologische und soziale Rolle gespielt. Sie basiert auf einer Hierarchie, in der das männliche Familienoberhaupt, der Haupternährer, Autorität und Kontrolle über die anderen wirtschaftlich abhängigen Familienmitglieder ausübt, und diente als Mittel zur Disziplinierung und Sozialisierung der verschiedenen Familienmitglieder, damit diese ihre erwarteten Rollen in der Gesellschaft verstehen. Es hat sich auch als nützlicher Sündenbock erwiesen, indem es z. B. unfähige und unzureichende Mütter und den Zusammenbruch der Familie für Armut und Kriminalität verantwortlich machte und nicht das ungleiche und ausbeuterische kapitalistische System.

Und weil die Kernfamilie, die so genannte bürgerliche Familie, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht eine so wichtige Institution für den Kapitalismus war, wurden alternative soziale Beziehungen, die nicht dieser Norm entsprachen, entmutigt: unverheiratete Mütter wurden stigmatisiert und bestraft, Homosexualität wurde kriminalisiert.

Natürlich ist der Kapitalismus kein statisches System, und das Leben der Frauen hat sich vor allem in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Viele Faktoren haben zu diesen Veränderungen beigetragen, aber der Schlüssel dazu waren die strukturellen Veränderungen im Kapitalismus, die zu einem erheblichen Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen geführt haben, einschließlich Frauen mit kleinen Kindern. Dies hat eindeutig den Bedürfnissen der Kapitalist*innen entsprochen, aber es hat auch zu einigen wichtigen Verbesserungen im Leben der Frauen geführt. Die größere wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen, die durch die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln, Abtreibung und - im Nachkriegsboom - durch ein breiteres Angebot an Sozialleistungen und öffentlichen Diensten unterstützt wurde, hatte zur Folge, daß ihr Selbstvertrauen, ihre Erwartungen und ihre Bereitschaft zu kämpfen zunahmen, was sich wiederum positiv auf die öffentliche Einstellung zu traditionellen Geschlechterrollen und alternativen persönlichen und familiären Arrangements auswirkte.

Trotz dieser wichtigen Fortschritte bedeutet die dem Kapitalismus innewohnende Wirtschaftskrise jedoch, daß die Kapitalist*innen nach wie vor ein wirtschaftliches Interesse daran haben, die historisch ungleichen Geschlechterverhältnisse in der Familie auszubeuten. Es gibt ihnen eine flexible, schlecht bezahlte Arbeitskraft, um ihre Profite am Arbeitsplatz zu steigern. Und wenn sie Steuern und Sozialleistungen kürzen und öffentliche Dienstleistungen privatisieren, ebenfalls um ihre Profite zu steigern, dann sind die Frauen da, um die Lücke zu füllen, indem sie die häusliche Pflege übernehmen, die finanziell dem gesamten formal gemessenen BIP einiger Länder entspricht.

Lerner schließt ihr Buch mit den Worten ab: »Das System des Patriarchats ist ein historisches Konstrukt. Es hat einen Anfang, und es wird ein Ende haben«7, aber sie gibt keine praktikable Strategie zu seiner Beendigung an. Sie sagt zu Recht, daß Reformen und rechtliche Änderungen nicht ausreichen. Es ist zwar wichtig, für beides zu kämpfen, aber in einem krisengeschüttelten kapitalistischen System können alle Reformen wieder zurückgenommen werden, wie die Frauen in den Vereinigten Staaten mit der Aufhebung von Roe v. Wade8 und dem gesetzlichen Recht auf Abtreibung erfahren haben.

Lerner sagt, daß wir »aus dem patriarchalischen Denken heraustreten« müssen, aber wie genau soll das geschehen? Wir können dafür kämpfen, die Einstellungen und das Verhalten von Männern und Frauen zu ändern, aber in einem kapitalistischen System, in dem die Ungleichheit von Macht und Reichtum fest verankert ist, können sie sich nur begrenzt ändern. Das »patriarchalische Denken« ist nicht nur ein Überbleibsel der frühen Klassengesellschaften. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Familie und am Arbeitsplatz verstärkt und erhält sexistische und frauenfeindliche Vorstellungen aufrecht. Gleichzeitig nutzen die kapitalistisch kontrollierten Medien und andere Branchen wie Freizeit, Schönheit, Mode, Porno usw. Geschlechterstereotypen und rückständige Vorstellungen darüber, wie Frauen auszusehen und sich zu verhalten haben, um ihre Produkte zu verkaufen und Profit zu machen, aus und tragen so zu deren Fortbestand bei.

Deshalb kann die Beendigung der Frauenunterdrückung nicht von einem Kampf zur Beendigung des kapitalistischen Systems selbst losgelöst werden. So wie die Unterdrückung der Frauen und die Klassengesellschaft beide die Folgen einer wirtschaftlichen Revolution sind, die vor Tausenden von Jahren stattfand, wäre auch heute eine wirtschaftliche Revolution notwendig, um alle Ungleichheit und Unterdrückung zu beseitigen: eine Revolution, die die derzeitige klassenbasierte Gesellschaft, den Kapitalismus, durch ein sozialistisches System ersetzt, das auf dem öffentlichen Eigentum an den großen kapitalistisch kontrollierten Unternehmen und einer demokratisch geplanten Wirtschaft basiert.

Natürlich würde eine sozialistische Gesellschaft die Unterdrückung der Frauen nicht über Nacht beseitigen. Wir würden in eine neue Gesellschaft eintreten, die alle rückständigen Ideen, Werte und Vorurteile der alten Gesellschaft übernommen und verinnerlicht hätte. Es wären also auch im Sozialismus noch Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen nötig, um die Einstellungen zu ändern. Aber eine sozialistische Gesellschaft würde die Grundlage dafür schaffen, die Unterdrückung der Frauen zu beenden, indem sie die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern am Arbeitsplatz beseitigt und qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen bereitstellt, die die Doppelbelastung der Frauen in der Familie verringern könnten. Und durch die Abschaffung von Ausbeutung, Hierarchie und des Profitmotivs im Allgemeinen würden sich in der gesamten Gesellschaft neue Einstellungen zu Gleichheit, Solidarität und Zusammenarbeit widerspiegeln, auch in den persönlichen Beziehungen, so wie es in den Gesellschaften vor der Klassengesellschaft der Fall war.

Lerner sagt, daß sich alle Frauen emanzipieren können. Historisch gesehen haben sich Frauen zusammengeschlossen und tun dies auch heute noch, um gegen ihre gemeinsame Unterdrückung zu kämpfen, sei es gegen geschlechtsspezifische Gewalt, sexuelle Belästigung, die Verteidigung und Ausweitung des Abtreibungsrechts oder gegen jeden anderen Aspekt der Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung, mit der sie konfrontiert sind. Da die Beendigung der Unterdrückung der Geschlechter jedoch die Umwälzung des kapitalistischen Systems erfordert, ist die Arbeiter*innenklasse aller Geschlechter die Kraft in der Gesellschaft, die das wirtschaftliche Interesse und die potenzielle kollektive Macht hat, dies zu tun. Wirkliche Emanzipation kann also nur durch einen vereinten Kampf gegen den Kapitalismus und für eine Gesellschaft erreicht werden, in der wir alle echte Wahlmöglichkeiten und Kontrolle über jeden Aspekt unseres Lebens haben und alle Formen von Ungleichheit und Unterdrückung endlich der Geschichte angehören.

Christine Thomas war von 1994 bis 2006 die nationale Frauenorganizerin der »Socialist Party (England and Wales)«. Sie hat für die Zeitung »The Socialist« und das Theoriemagazin »Socialism Today« ausführlich über die Frage der Unterdrückung von Frauen geschrieben. In deutscher Sprache ist 2012 das Buch »Es muss nicht bleiben wie es ist. Frauen und der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft« erschienen.

Für Virginia Warner Brodine und Elizabeth Kamarck Minnich, deren Denken das meine herausforderte und bestätigte und deren Freundschaft und Liebe mir Kraft gaben und Unterstützung waren.

Danksagung

Mit diesem Buch lege ich das Ergebnis der Arbeit von acht Jahren vor. Begonnen hat diese Arbeit 1977 mit einigen Fragestellungen, über die ich mehr als fünfzehn Jahre lang immer wieder nachgedacht hatte. Sie führten mich zu der Annahme, daß die Unterordnung von Frauen, die Gründe für die Mitwirkung der Frauen am Prozeß ihrer Unterordnung, aber auch die Bedingungen ihrer Opposition gegen diese Position und das Entstehen eines feministischen Bewußtseins durch die besondere Beziehung der Frauen zur Geschichte verständlich wird. Ich dachte damals an die Ausarbeitung einer »allgemeinen Theorie« über die Frau in der Geschichte, und erst nachdem ich mich fünf Jahre lang darum bemüht hatte, erkannte ich, daß es zu früh war, dieses Ziel erreichen zu wollen. Die Quellen über die alten Kulturen des Vorderen Orients waren so zahlreich und bargen so viele Einsichten, daß es mir notwendig erschien, dieses Material zunächst gesondert zu erläutern. So erweiterte sich das Projekt über die vorliegende Arbeit hinaus auf ein weiteres Buch.

Die theoretischen Leitlinien meines Vorhabens stellte ich bei einem Workshop der Konferenz »The Second Sex - Thirty Years Later: A Commemorative Conference an Feminist Theory« (Das andere Geschlecht – 30 Jahre danach: Konferenz zur Geschichte der feministischen Theorie) vor, die vom 27. bis 29. 9. 1979 in der New York University stattfand. Während dieses Workshops regten mich Anmerkungen der Schriftstellerin Elizabeth Janeway und der Philosophin Elizabeth Minnich zu weiteren Überlegungen an. Eine überarbeitete Fassung meiner Darstellung trug ich 1980 bei der Jahrestagung der Organisation Amerikanischer Historiker (OAH) vom 9. bis 12. 4. 1980 in San Francisco vor. Die Sitzung wurde von Mary Benson geleitet. Die hilfreichen kritischen Kommentare von Sara Evans und George M. Frederickson haben mein Verständnis der angeschnittenen Probleme vertieft.

Zu Beginn meiner Forschung wurde ich 1980/81 großzügig unterstützt durch ein Stipendium der Guggenheim Foundation, das es mir ermöglichte, mich ein Jahr lang in die Literatur von Anthropologie und feministischer Theorie einzulesen und mich mit der Problematik der Entstehung der Sklaverei zu befassen. Ein Ergebnis dieser Forschungen ist das Kapitel »Die Sklavin«, das ich im Juni 1981 im Vassar College bei der Berkshire Historikerinnen-Konferenz vorlegte. Ich habe viel gelernt durch die kenntnisreiche Kritik von Elise Boulding und Linda Kerber sowie von den Anmerkungen Robin Morgans, die das Material unter den Gesichtspunkten einer feministischen Theoretikerin betrachtete.

Mein Vortrag wurde in einer überarbeiteten Fassung unter dem Titel »Women and Slavery« (Frauen und Sklaverei) veröffentlicht in Slavery and Abolition: A Journal of Comparative Studies (Vol. 4, No. 3, December 1983, s. 17) ff.).

Ein Kapitel dieses Buches wurde publiziert unter dem Titel »The Origin of Prostitution in Ancient Mesopotamia,, (Der Ursprung der Prostitution in Mesopotamien) in S/GNS: Journal of Women in Culture (VoL XI, No. 2, Winter 1985).

Die Graduate School der Universität von Wisconsin in Madison unterstützte meine Forschung für dieses Buch 1981 mit einem Sommer-Forschungsstipendium und durch die Finanzierung von Projektassistentinnen. Die Ernennung zum Wisconsin Alumni Research Foundation Senior Distinguished Research Professor 1984 entband mich in jenem Jahr ein Semester lang von Lehrverpflichtungen, was mir die letzte Durchsicht und Fertigstellung dieses Buches erlaubte. Ich bin sehr dankbar nicht nur für diese fühlbare Unterstützung, sondern auch für die Ermutigung, die dadurch zum Ausdruck gebracht worden ist. Der Fachbereich Frauenforschung der Universität von Wisconsin-Madison gab mir in zwei Phasen der Forschung die Möglichkeit, das jeweils Erarbeitete mit den Lehrenden und Studierenden zu erörtern, deren kompetente und lebhafte Kritik mir eine große Hilfe war. Ich bin außerdem sehr dankbar für die freundliche Hilfsbereitschaft, die mir als Gast des Fachbereichs Geschichte im Frühjahr 1985 an der Universität von Kalifornien in Berkeley zuteil wurde.

Die Arbeit an diesem Buch stellte mich vor ungewohnte Aufgaben. Aus dem Rahmen der eigenen Fachdisziplin und Ausbildung herauszutreten ist an sich schon schwierig. Dies bei der Bearbeitung einer umfangreichen und wichtigen Fragestellung zu tun und dabei kritisch zu bleiben in der Auseinandersetzung mit den Antworten, die die wesentlichen theoretischen Konzepte der westlichen Kultur anbieten, läßt einen, gelinde gesagt, schüchtern werden. Schließlich repräsentierte ja auch ich in meiner Person alle die verinnerlichten Hemmnisse, mit denen Frauen sich auseinandersetzen müssen, wenn sie versuchen, in umfassenden Zusammenhängen und großen Maßstäben zu denken, wie Männer es tun. Ich hätte mein Projekt nicht weiter verfolgen können ohne die Ermutigung und den Rückhalt, die ich von den Feministinnen als Gruppe und besonders seitens einiger feministischer Kollegen und Kolleginnen sowie Freundinnen und Freunden erhalten habe. Virginia Brodine, Elizabeth Minnich, Eve Merriam, Alice Kessler-Harris, Amy Swerdlow, die verstorbene Joan Kelly, Linda Gordon, Florencia Mallon, Steve Stern und Stephen Feierman bestärkten mich durch ihre Freundschaft und Unterstützung und waren geduldige Zuhörer und Zuhörerinnen, Kritiker und Kritikerinnen. Abgesehen von dieser begleitenden Hilfe lasen Brodine, Minnich, Gordon und Kessler Harris eine späte Fassung des Manuskripts. Ihre wohlwollende Auseinandersetzung und detaillierte Kritik veranlaßten mich zu einer erneuten und abschließenden Überarbeitung, die den Text sehr veränderte. Sie prüften meinen theoretischen Ansatz und schärften mein Problembewußtsein, und sie halfen mir, so lange weiterzuarbeiten, bis ich die richtige Form gefunden hatte für das, was ich dachte. Das ist die sinnvollste Art konstruktiver Kritik, und ich bin dankbar dafür. Ich hoffe, daß sie, deren Anregungen so wichtig für mich waren, mit dem nun vorgelegten Ergebnis einverstanden sind.

Andere Kolleginnen und Kollegen der Universität von Wisconsin Madison, deren kritische Würdigung von einzelnen oder mehreren Kapiteln mir wesentliche Erkenntnisse vermittelte, sind: Judy Leavitt (Medizingeschichte), Jane Shoulenburg (Frauengeschichte), Susan Friedman und Nellie McKay (Literaturwissenschaft), Virginia Sapiro (Politische Wissenschaft), Anne Stoller (Anthropologie) und Michael Clover (Geschichte und klassische Philologie). Kolleginnen und Kollegen aus anderen wissenschaftlichen Einrichtungen trugen Kritik unter den besonderen Gesichtspunkten ihrer jeweiligen Fachrichtung bei und halfen durch bibliographische Hinweise: Ann Lane (Frauengeschichte, Colgate University), Rayna Rapp (Anthropologie, The New School for Social Research), Joyce Riegelhaupt (Anthropologie, Sarah Lawrence College), Jonathan Goldstein (klassische Philologie, University of Iowa) und Evelyn Fox Keller (Mathematik und Geisteswissenschaften, Northeastern University).

Ganz besonders zu danken habe ich den Assyriologen, die mich als eine ihrem Fachbereich nicht angehörende Wissenschaftlerin berieten und kritisierten und mir viele weiterführende Wege wiesen. Ich bin dankbar für ihre Großzügigkeit, ihr Interesse und ihre Kollegialität. Daß sie mich unterstützten, muß nicht bedeuten, daß sie meinen Schlußfolgerungen zustimmen. Wenn ich auch ihren Anregungen und Hinweisen folgte, so bin ich doch für alle Irrtümer und Mängel in der Darstellung und Interpretation von Fakten selbst verantwortlich. Ich möchte mich bedanken bei Jack Sasson (Religionswissenschaft, University of N orth Carolina, Chapel Hili), Jerrold Cooper (Nahost-Studien, The Johns Hopkins University), Carole Justus (Linguistik, University of Texas in Austin), Denise Schmandt-Besserat (Mittelost-Studien, University of Texas in Austin) und ganz besonders bei Anne Draffkorn Kilmer (Nahost-Studien, University of California in Berkeley). Sie haben das ganze Manuskript gelesen, es kritisch kommentiert und mich auf viele Quellen und wissenschaftliche Literatur hingewiesen. Denise Schmandt-Besserat ließ mich darüber hinaus Einblick nehmen in Bibliographien ihres Spezialgebiets, sie stellte Kontakte her zu anderen Experten des Fachbereichs Assyriologie und entwickelte eine Reihe von Leitfragen, die mich einige meiner Schlußfolgerungen überdenken ließen. Ann Kilmer hat mehr als alle anderen dazu beigetragen, mir eine Orientierung in ihrem Spezialgebiet zu ermöglichen, sie hat mir bei schwierigen Passagen und Übersetzungen geholfen, meine Aufmerksamkeit auf Literaturverweise in neueren Fachzeitschriften gelenkt und mir die Möglichkeiten des Bibliotheksdienstes ihres Fachbereichs erschlossen. Meine Dankbarkeit für ihre Großzügigkeit und Freundlichkeit läßt sich nicht in Worte fassen. Die Assyriologin Rivkah Harris und Michael Fox Qudaistik, University of Wisconsin-Madison), die einige Kapitel des Buches gelesen haben, stimmten zwar weder mit meiner Hypothese noch mit einigen Schlußfolgerungen überein, halfen mir aber großzügig durch Kritik und Hinweise auf weiterführende Literatur.

Von den Anfängen bis zum Schluß der Arbeit hat mir Sheldon Meyer von Oxford University Press seine Unterstützung, seine Ermutigung und sein Vertrauen gewährt. Er hat die verschiedenen Fassungen des Manuskripts gelesen und die vielen Verzögerungen und Umwege geduldig ertragen, die sich bei der Erarbeitung der endgültigen Fassung des Manuskripts ergeben haben. Er hat sich darüber hinaus beim Lesen eine wohlwollende Sensbilität erhalten und mich ermutigt, unter Vernachlässigung äußerer Bedingungen an der Absicht festzuhalten, meine Auffassungen bis ins Detail auszuführen. Ich danke ihm sehr für sein unterstützendes Verständnis.

Die Sorgfalt und Kompetenz Von Leona Capeless haben die technische Seite der Manuskriptherstellung zu einem Vergnügen für mich gemacht und sind dem Buch sehr zugute gekommen. Ich danke auch ihr sehr herzlich.

Meine Projektassistentinnen Nancy Isenberg und Nancy McLean verdienen meinen Dank, weil sie auf vielfältige Art meine Forschungen erleichtert und mich arbeitstechnisch unterstützt haben. Vielleicht sind sie für ihre jahrelangen Bemühungen ein wenig dadurch belohnt worden, daß sie mehr über die Frühzeit des Vorderen Orients gelernt haben, als sie wohl jemals zu lernen für nötig gehalten hatten. Ich habe auch Leslie Schwalm zu danken, die viele Photos kopierte, und meiner Projektassistentin Renee DeSantis für das Korrekturlesen. Die Abschrift des Manuskripts und der Bibliographie hat mit großer Sorgfalt Anita Olsen erledigt, die ich wegen ihrer Fähigkeiten und großen Geduld meiner Anerkennung und meines Danks versichere.

Mit ihrem Wissen, ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unterstützte mich das Bibliothekspersonal der Wisconsin State Historical Society und der Wisconsin University Memorial Libraries in Madison, Wisconsin, ebenso wie das der University of California Library in Berkeley und der British Library in London, England.

Mein Dank gilt auch den Archivarinnen und Archivaren der Schlesinger Library des Radcliffe College in Cambridge, Mass., und der Fawcett Library in London, England.

Er gilt den feministischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit ähnlichen Fragen auseinandersetzten wie ich und andere Antworten fanden; den Studentinnen und Studenten, Zuhörerinnen und Zuhörern bei verschiedenen Gelegenheiten, die mir halfen, meine Auffassungen immer wieder zu überprüfen; und den unbekannten und stimmlosen Frauen, die jahrtausendelang Fragen nach den Entstehungsbedingungen ihrer Situation und nach den Voraussetzungen von Gerechtigkeit gestellt haben – ihnen allen danke ich. Diese Arbeit war ohne euch nicht möglich, und sie wird ohne Bedeutung sein, wenn sie nicht zu euch und für euch sprechen wird.

G.L.

Madison, Wisconsin

Im Oktober 1985

Anmerkung zur Definition von Begriffen

Wegen der Unzulänglichkeit der vorgegebenen Begriffe zur Beschreibung der Erfahrungen von Frauen, des gesellschaftlichen Status von Frauen und der verschiedenen Dimensionen des weiblichen Bewußtseins und aufgrund der Notwendigkeit, Definitionen zu verändern, sehen sich alle feministischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor erhebliche Probleme gestellt. Leserinnen und Leser, die an Fragen der feministischen Theorie besonders interessiert sind, haben deshalb vielleicht das Bedürfnis, nach der Einleitung zunächst das Kapitel »Definitionen« zu lesen. Leser und Leserinnen mit eher allgemeinen historischen Interessen ziehen es möglicherweise vor, bestimmte Begriffe und ihre Definition nachzuschlagen, wenn sie während der Lektüre des Buches auf sie stoßen. Der Abschnitt »Definitionen« ist ein Versuch, die Einzigartigkeit von Frauen, ihre Erfahrungen und ihr Bewußtsein im Unterschied zu anderen untergeordneten Gruppen neu zu definieren und angemessen zu beschreiben. Dieser Abschnitt bietet also sowohl eine linguistische als auch eine theoretische Diskussion der Terminologie.

Anmerkung zur Chronologie und Methodologie

Da Ereignisse im alten Mesopotamien unter Bezugnahme auf die Namen der verschiedenen Herrscher und Amtsinhaber aufgezeichnet wurden, gibt es ein chronologisches Problem im Umgang mit Schriften des alten Mesopotamien. Durch Überkreuzvergleiche der Daten der Herrschergeschichte mit signifikanten astronomischen Ereignissen, die in alten Schriften erwähnt sind, haben Wissenschaftler eine absolute Chronologie in Kalenderjahren für das erste Jahrtausend vor Christus erarbeitet. Geht es um Ereignisse im zweiten und dritten Jahrtausend vor Christus, so kann man sich zur chronologischen Einordnung nur auf eine relative Ereignisfolge beziehen. Für das zweite Jahrtausend v. Chr. haben Wissenschaftler drei Chronologien konstruiere (früh, mittel, spät), indem sie die Angaben über Könige mit astronomischen Daten und den Ergebnissen der Untersuchung von Funden verglichen haben, deren Alter mittels Radiokarbonanalyse bestimmt worden war. Alle Zeitangaben über diese Periode sind also nur annäherungsweise richtig. Ich habe generell die Daten der mittleren Chronologie benutzt. Einige Diskrepanzen im vorliegenden Text haben sich ergeben, wo von mir zitierte Autoren eine andere Datierungsmethode zugrunde gelegt haben und meine Zitate diese chronologische Zuordnung wiedergeben.9

Bei der Schreibweise der mesopotamischen Namen bin ich ebenso vorgegangen: Wenn es nicht anders angegeben ist, habe ich die letzte Schreibweise verwendet, in Zitaten aber die von den Autoren jeweils gewählte wiedergegeben, auch wenn sie von der meinen abweicht.

Beim Zitieren von Passagen, die aus Übertragungen von Keilschrifttexten stammen, habe ich mich an die Praxis gehalten, in eckigen Klammern die restaurierten Textteile auszuweisen und in runden Klammern die Interpolationen des Übersetzers anzuführen. Sonst, in meinem eigenen Text, bezeichnen eckige Klammern die Kommentare oder Interpolationen des Autors oder der Autorin.

Ein anderes methodologisches Problem, das allen bekannt ist, die mit Quellen aus dem alten Mesopotamien arbeiten, ist die ungleichmäßige Verteilung der Quellen in bezug auf Zeit und Ort, selbst wenn es eine Fülle von Material über bestimmte Perioden und Regionen gibt. Wegen der Zufälligkeit archäologischer Funde habe wir eine Menge von Informationen über bestimmte Orte und Perioden, nur wenige über andere. Dies führt Unvermeidlich zu einem verzerrten Bild der Vergangenheit. Da es weit weniger Quellen gibt, die etwas über das Leben von Frauen aussagen, als solche, die Männer betreffen, wird das Problem noch komplizierter für diejenigen, die Frauengeschichte betreiben. Diese Einschränkungen sollten bei der Bewertung der angebotenen Verallgemeinerungen und nahegelegten allgemeinen Schlußfolgerungen berücksichtigt werden.

Einleitung

Frauenemanzipation ist ohne genaue Kenntnis der Frauengeschichte nicht möglich. Nachdem ich 25 Jahre über Frauengeschichte geforscht, geschrieben und gelehrt habe, bin ich davon überzeugt und zwar aufgrund von theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungen. Die theoretische Argumentation werde ich in diesem Buch erläutern; der Hinweis auf meine praktischen Erfahrungen bezieht sich auf die Beobachtung von tiefreichenden Veränderungen des Bewußtseins von Studentinnen, die sich mit Frauengeschichte befassen. Frauengeschichte verändert ihr Leben. Schon eine nur kurzfristige Beschäftigung mit den Erfahrungen von Frauen in der Vergangenheit, etwa in zweiwöchigen Lehrgängen oder Seminaren, hat eine tiefe psychologische Wirkung auf die weiblichen Teilnehmer.

Und doch ist die Theorie des modernen Feminismus, von Simone de Beauvoir bis heute, weitgehend ahistorisch und hat die spezifischen Fragestellungen einer feministischen Geschichtswissenschaft vernachlässigt. Dies war verständlich in den Anfängen der neuen Frauenbewegung, als es kaum wissenschaftliche Untersuchungen über das Leben der Frauen in der Vergangenheit gab. Aber obwohl inzwischen ausgezeichnete wissenschaftliche Arbeiten über Frauengeschichte in großer Zahl vorliegen, besteht auch in den achtziger Jahren noch immer eine erstaunliche Kluft zwischen dem historischen Wissen und der feministischen Kritik in anderen Arbeitsbereichen. Vertreterinnen der Anthropologie, der kritischen Literaturwissenschaft, der Soziologie und Politikwissenschaft sowie Dichterinnen haben theoretische Arbeiten vorgelegt, die Ergebnisse der historischen Forschung berücksichtigen; aber die Arbeiten der auf Frauengeschichte spezialisierten Fachwissenschaftlerinnen sind in die allgemeine Diskussion nicht einbezogen worden. Meiner Auffassung nach läßt sich das weder mit den soziologischen Merkmalen der Frauen begründen, die unter feministischen Gesichtspunkten Kritik anmelden und Veränderungen fordern, noch liegen die Gründe für das Ausklammern ihrer Forschungsergebnisse an einem beschränkten akademischen Hintergrund und einer mangelhaften wissenschaftlichen Ausbildung. Diese Vernachlässigung einer historischen Frauenforschung liegt vielmehr an der konflikthaften und hochproblematischen Beziehung von Frauen zur Geschichte.

Was ist Geschichte? Wir müssen unterscheiden zwischen dem nicht aufgezeichneten Geschehen der Vergangenheit einerseits – all den früheren Ereignissen, wie sie in der Erinnerung der Menschen festgehalten sind – und der Geschichte andererseits, der aufgezeichneten und interpretierten Vergangenheit. Männer und Frauen sind Handelnde und Vermittelnde in diesem Prozeß. Da Frauen die Hälfte und· manchmal mehr als die Hälfte der Menschheit ausmachen, haben sie die Welt und das darin Geschaffene immer mit den Männern geteilt. Frauen kommt für das Entstehen von Gesellschaft und die Entwicklung der Kultur eine zentrale Bedeutung zu, sie sind keinesfalls bloße Randfiguren. Frauen und Männer haben teil an der Bewahrung des kollektiven Gedächtnisses, das der Vergangenheit in kulturellen Traditionen Gestalt verleiht, das die Verbindungen zwischen den Generationen schafft und Vergangenheit und Zukunft miteinander verknüpft. Diese mündliche Überlieferung lebt in Dichtungen und Mythen, die von Frauen und Männern geschaffen und in Folklore, Kunst und Ritualen bewahrt worden sind.

Andererseits ist die Entstehung von Geschichte, der dokumentierten und fixierten Darstellung des Geschehenen, ein kreativer historischer Prozeß, der mit der Erfindung der Schrift im alten Mesopotamien seinen Anfang genommen hat. Seit damit begonnen worden ist, die Herrscherfolge im alten Reich der Sumerer aufzuzeichnen, haben die Historiker ob sie nun Priester, Bedienstete des Königs, Schreiber in öffentlichen oder kirchlichen Diensten waren oder einem Berufsstand von akademisch ausgebildeten Intellektuellen angehörten – die aufzuzeichnenden Ereignisse ausgewählt und interpretiert, um ihre Bedeutung und Signifikanz zu erläutern. Bis in die jüngste Vergangenheit waren diese Historiker Männer; und sie haben dargestellt, was Männer getan, erlebt und für wichtig gehalten haben. Sie haben das Geschichte genannt und dafür Universalität beansprucht. Was Frauen getan und erlebt haben, blieb unerwähnt, galt als unwesentlich und wurde in den Interpretationen der Historiker übergangen. Die Geschichtswissenschaft hat bis in die allerjüngste Zeit Frauen nur als Randfiguren behandelt und ihnen weder im Prozeß der Entstehung der Zivilisation noch in bezug auf die Errungenschaften, die als historisch signifikant definiert worden sind, eine Bedeutung zugeschrieben.

So ist die bisher aufgezeichnete und interpretierte Darstellung der Vergangenheit der Menschheit nur partiell und lückenhaft, weil sie die Vergangenheit der Hälfte der Menschheit übergeht, und sie ist verzerrt, weil sie die Geschichte nur aus dem Blickwinkel der männlichen Hälfte der Menschheit wiedergibt.

Auf diese Feststellung wie es oft geschehen ist, zu entgegnen, daß auch maßgebliche Gruppen von Männern, möglicherweise die Mehrzahl, lange Zeit wegen der Voreingenommenheit der Historiker, die Intellektuelle waren und die Interessen einer kleinen herrschenden Elite vertreten haben, in der Geschichtsschreibung nicht berücksichtigt worden sind, verfälscht den wirklichen Sachverhalt. Ein Fehler macht einen anderen nicht ungeschehen; beide Fehler im Ansatz der Geschichtsschreibung müssen korrigiert werden. Als ehemals untergeordnete Gruppen – etwa Bauern, Sklaven, Proletarier – entweder in Machtpositionen aufstiegen oder zumindest Mitwirkungsrechte innerhalb des politischen Gemeinwesens erhielten, wurden auch deren Lebensbedingungen und Erfahrungen zum Gegenstand der Geschichtsschreibung. Das heißt allerdings: die Erfahrungen der Männer dieser sozialen Gruppen; die Frauen blieben, wie gewohnt, ausgeklammert. Es ist festzuhalten, daß Männer und Frauen wegen ihrer Klassenzugehörigkeit Ausgeschlossensein und Diskriminierung erfahren haben. Aber kein Mann wurde allein wegen seiner Geschlechtszugehörigkeit in der Geschichtsschreibung nicht berücksichtigt; dies trifft jedoch für die Gesamtheit der Frauen zu.

Frauen wurde es verwehrt, einen Beitrag zum Entstehen von überlieferter Geschichte zu leisten, das heißt, beim Ordnen und Interpretieren der Vergangenheit der Menschheit mitzuwirken. Da aber dieser Vorgang der Deutung, der gewichtenden Darstellung, für das Entstehen und den Fortbestand der Zivilisation sehr wesentlich ist, wird auf einen Blick erkennbar, daß die Marginalität von Frauen in dieser Hinsicht Frauen ein weiteres Mal in eine ausgegrenzte Position versetzt. Frauen machen mindestens die Hälfte der Menschheit aus, und doch sind sie in das System sozialer Institutionen so eingepaßt, als wären sie eine Minderheit.

Obwohl Frauen durch diesen und viele andere Aspekte ihrer langen Unterordnung den Männern gegenüber zu Opfern geworden sind, ist es ein fundamentaler Irrtum, Frauen primär als Opfer begreifen zu wollen. Dies zu tun, würde zugleich verbergen, was im Hinblick auf die Situation von Frauen in der Vergangenheit und Gegenwart als Tatsache gelten kann: Frauen haben einen wesentlichen Anteil am Entstehen von Gesellschaft, sie sind und waren immer Handelnde und Vermittlerinnen im historischen Prozeß. Frauen haben »Geschichte gemacht« in dem Sinne, daß sie das Geschehen mitgestaltet haben; aber sie wurden daran gehindert, ihre eigene Geschichte kennenzulernen und das Geschehene selbst zu interpretieren. Dies gilt für ihre eigene Vergangenheit wie für die der Männer. Frauen sind systematisch von der Schaffung symbolischer Systeme, von Philosophie, Wissenschaften und Rechtsetzung ausgeschlossen worden. Sie sind also nicht nur in Erziehung und Bildung in allen bekannten Gesellschaften und zu allen Zeiten benachteiligt worden, sondern sie wurden daran gehindert, am Prozeß der Theoriebildung selbst teilzuhaben. Die Spannung zwischen der tatsächlichen historischen Erfahrung von Frauen und ihrem Ausgeschlossensein von den Möglichkeiten, diese Erfahrung zu interpretieren, habe ich als »die Dialektik der Frauengeschichte« bezeichnet.

Der Widerspruch zwischen der zentralen Bedeutung und aktiven Rolle der Frauen bei der Herausbildung von Gesellschaft einerseits und ihrer Marginalität in dem bedeutungsverleihenden Prozeß der Interpretation und Erklärung dieser Entwicklung andererseits wirkte schließlich als eine dynamische Kraft, die Frauen veranlaßte, sich gegen ihre Lebensumstände aufzulehnen. Wenn in diesem Kampf den Frauen in bestimmten historischen Augenblicken die Widersprüchlichkeit ihrer Beziehung zur Gesellschaft und zum historischen Prozeß bewußt wird, dann werden diese Widersprüche als Einschränkungen begriffen, denen Frauen als Gruppe unterliegen. Diese Bewußtwerdung von Frauen wird zu der dialektischen Kraft, die Frauen zum Handeln treibt, um ihre Lebensbedingungen zu verändern und zu einer Neubestimmung ihrer Einstellung gegenüber einer männerdominierten Gesellschaft zu gelangen.

Wegen dieser einzigartigen Voraussetzungen haben Frauen eine historische Erfahrung, die sich auf wesentliche Art von derjenigen der Männer unterscheidet.

Ich bin bei meiner Arbeit von der Frage ausgegangen: Welche Definitionen und Begriffe brauchen wir, um die einzigartige und ganz besondere Beziehung der Frauen zum historischen Prozeß, zur Entstehung von Geschichte und zur Interpretation ihrer eigenen Vergangenheit zu erklären?

Eine andere Frage, zu deren Beantwortung ich mit meiner Untersuchung beitragen wollte, betraf die lange Verzögerung (von mehr als 3500 Jahren) des Prozesses, in dem den Frauen ihre untergeordnete Position in der Gesellschaft bewußt wurde. Wie war das zu erklären? Was könnte der Grund sein für die historische »Komplizenschaft« der Frauen bei der Aufrechterhaltung des patriarchalen Systems, das sie in untergeordneten Positionen hielt, sowie bei der traditionsgebundenen Weitergabe dieses Systems von Generation zu Generation an ihre Kinder beiderlei Geschlechts?

Beide Fragen sind von großer Bedeutung, und sie sind unangenehm, weil sie auf Antworten hinzuweisen scheinen, die die Unterwerfung der Frauen, ihre Opferrolle und ihre wesensbestimmte Unterlegenheit anzeigen. Daran liegt es wohl, daß diese Fragen von Feministinnen nicht schon eher gestellt worden sind, obwohl die traditionelle männliche Wissenschaft uns die patriarchale Antwort schon gegeben hat: Frauen hätten wegen ihrer vorrangigen, biologisch determinierten Beschäftigung mit der Pflege und Erziehung der Kinder und ihrer Zuständigkeit für den emotionalen Bereich keinen wesentlichen Beitrag zum Fortschritt des Denkens geleistet. Dies habe zu der ihnen eigenen, wesensbestimmten »Unterlegenheit« bzw. »Beschränktheit« im Bereich des abstrakten Denkens geführt. Ich gehe statt dessen von der Annahme aus, daß Männer und Frauen biologisch verschieden sind, daß aber die sozialen Bewertungen und Zuschreibungen‘ aufgrund dieses Unterschiedes das Ergebnis kultureller Entwicklungen sind. Welche Unterschiede auch immer zwischen Männern als Gruppe und Frauen als Gruppe heute erkennbar sind, sie sind das Ergebnis der besonderen historischen Erfahrung von Frauen, die ganz wesentlich verschieden ist von der historischen Erfahrung der Männer. Der Grund dafür liegt an der Unterordnung der Frauen unter die Männer, die älter ist als die Zivilisation, und an dem gleichzeitigen Leugnen dieser Frauengeschichte. Daß es eine vom patriarchalen Denken vernachlässigte und verdeckte Frauengeschichte gibt, ist eine Tatsache, die die Psychologie von Männern und Frauen auf signifikante Weise bestimmt hat.

Meine Arbeit gründet sich auf die Überzeugung, die von der Mehrzahl der feministisch Denkenden geteilt wird, nämlich, daß das Patriarchat als ein System sozialer Beziehungen ein Produkt der historischen Entwicklung ist und also auch durch historische Prozesse beendet werden kann. Wird das Patriarchat »natürlich«, d. h. Biologisch determiniert, dann käme eine Änderung dieses Herrschaftssystems einem Eingriff in die Natur gleich. Es läßt sich argumentieren, daß der gesamte Prozeß der Zivilisation in der Tat einer Veränderung der Natur gleichkommt. Allerdings ist bislang der Großteil der Errungenschaften dieser Naturbeherrschung, die von Männern »Fortschritt« genannt werden, den Männern der Gattung zugute gekommen. Warum und wie sich das ereignete, sind historische Fragen, zunächst ganz unabhängig davon, auf welche Ursachen die Unterordnung der Frauen zurückgeführt wird. Meine eigene Hypothese über die Ursachen und die Entstehung der Unterordnung der Frauen wird ausführlicher in den Kapiteln 1 und 2 diskutiert. Für meine Analyse ist die Einsicht wesentlich, daß das Verhältnis von Männern und Frauen zum Wissen über die Vergangenheit selbst schon eine bestimmende Kraft der historischen Entwicklung ist.

Wenn es zutrifft, daß die Unterordnung der Frauen schon lange Zeit vor der Entstehung der westlichen Zivilisation bestand – wenn man einmal davon ausgeht, daß die Zivilisation mit der schriftlichen Fixierung von Ereignissen beginnt-, dann mußte meine Untersuchung bis auf das 4. Jahrtausend v. Chr. Zurückgehen. Diese Überlegung brachte mich, eine Historikerin, die sich auf amerikanische Geschichte des 19. Jhs. spezialisiert hatte, dazu, die letzten acht Jahre mit Studien über das alte Mesopotamien zu verbringen, um die Fragen beantworten zu können, die ich für die Erarbeitung einer feministischen Theorie der Geschichte für wesentlich halte. Obwohl mich Fragen nach dem »Ursprung« zunächst sehr interessierten, stellte ich bald fest, daß diese weit weniger signifikant sind als Fragen in bezug auf den historischen Prozeß, durch den das Patriarchat durchgesetzt und institutionalisiert werden konnte.

Dieser Prozeß manifestierte sich in Veränderungen der Verwandtschaftsorganisation und der ökonomischen Beziehungen, in der Herausbildung von religiösen und staatlichen Bürokratien und im Aufkommen neuer Vorstellungen über die Weltentstehung, Kosmogonien, die nun männlichen Göttern eine zunehmende Bedeutung beimaßen.

Ich stützte mich auf bereits vorliegende theoretische Arbeiten und ging zunächst von der Annahme aus, daß sich diese Veränderungen gewissermaßen als ein »Ereignis« in einer relativ kurzen Periode vollzogen hätten, und zwar gleichzeitig mit der Entstehung der archaischen Staaten oder möglicherweise etwas früher, zur Zeit der Entstehung des Privateigentums, das die Klassengesellschaft begründete. Beeinflußt von marxistischen Theorien über die Anfänge des historischen Prozesses, die in Kapitel I ausführlicher behandelt werden, stellte ich mir eine Art von revolutionärem »Umsturz« vor, der die bestehenden Machtverhältnisse in der Gesellschaft deutlich sichtbar verändert hätte. Ich erwartete ökonomische Veränderungen zu entdecken, die zu einem Wandel der Ideen und religiösen Erklärungssysteme geführt hatten. Ganz besonders intensiv suchte ich nach erkennbaren Veränderungen im ökonomischen, politischen und rechtlichen Status von Frauen. Als ich aber mit dem Studium der reichhaltigen Quellen über die frühe Geschichte des Vorderen Orients begann und sie in ihrer historischen Reihenfolge zu untersuchen anfing, stellte ich fest, daß meine Annahme den Sachverhalt zu sehr vereinfachte.

Das Problem ist nicht eines der Quellenlage, denn es gibt ganz sicher genügend Quellen, um die Sozialgeschichte des alten Mesopotamien zu rekonstruieren. Das Problem der Deutung der Quellen entspricht dem Problem, mit dem sich jeder Historiker angesichts jedes beliebigen Zusammenhangs von Daten auseinandersetzen muß, wenn er sich mit Fragen, die Frauen betreffen, an die traditionelle Geschichtsschreibung wendet. Es gibt wenige brauchbare Arbeiten über Frauen, und die vorliegenden sind rein deskriptiv. Von den Fachwissenschaftlern sind keine Interpretationen oder verallgemeinernden Aussagen über das Leben von Frauen vorgelegt worden.

Die Geschichte der Frauen und die Geschichte der sich verändernden Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den Gesellschaften Mesopotamiens müssen also noch geschrieben werden. Ich habe die größte Hochachtung gegenüber dem Wissen und den technischen und linguistischen Kenntnissen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die über den Nahen Osten arbeiten; und ganz sicher wird in diesem Fachbereich einmal eine Arbeit publiziert werden, die zusammenfassend und genau die bisher kaum erläuterte Entwicklung darstellen wird, während der sich im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr. der soziale, politische und ökonomische Status von Frauen deutlich verändert hat. Da ich keine ausgebildete Assyriologin bin und Keilschrifttexte nicht im Original lesen kann, habe ich nicht versucht, diese Geschichte zu schreiben.

Ich konnte jedoch feststellen, daß die Abfolge der Ereignisse nicht meinen bisherigen Annahmen entsprach. Obwohl die Herausbildung der archaischen Staaten, die mit größeren ökonomischen, technologischen und militärischen Veränderungen einherging oder auf sie folgte, deutliche Veränderungen in den Machtbeziehungen zwischen Männern und zwischen Männern und Frauen mit sich brachte, gab es keinen Hinweis auf einen »Umsturz.« Die Periode der »Durchsetzung des Patriarchats« war nicht »ein Ereignis«, sondern ein Prozeß, der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 v. Chr., vollzogen hat. Selbst im Bereich des alten Vorderen Orients ging dieser Prozeß in einigen unterscheidbaren Gesellschaften in unterschiedlicher Geschwindigkeit und zu verschiedenen Zeiten vor sich.

Außerdem schienen Frauen in verschiedenen Lebensbereichen einen sehr unterschiedlichen Status zu haben, so daß z.B. im 1. Jahrtausend v. Chr. In Baby1onien die Sexualität der Frauen vollkommen von Männern kontrolliert war, während einige Frauen sich einer großen ökonomischen Unabhängigkeit, vieler gesetzlich abgesicherter Rechte und Privilegien erfreuten und viele Positionen von hohem gesellschaftlichem Rang und Ansehen innehatten. Ich war überrascht herauszufinden, daß das, was das historische Material über Frauen aussagte, wenig Sinn ergab, wenn es nach den traditionellen Maßstäben interpretiert wurde. Nach einiger Zeit erkannte ich, daß ich mich mehr mit der Kontrolle der Sexualität und Fruchtbarkeit von Frauen zu befassen hatte als mit den gemeinhin untersuchten ökonomischen Fragestellungen;· und so begann ich nach den Ursachen und Wirkungen der sexuellen Kontrolle zu suchen. Auf diese Weise begannen die einzelnen Teile des Puzzles an ihren Platz zu gelangen. Ich war so lange unfähig, die Bedeutung der erkennbaren historischen Tatsachen zu begreifen, wie ich nach Klassenstrukturen in ihrer Bedeutung für Männer und Frauen gesucht hatte – ausgehend von der traditionellen Annahme, daß das, was für Männer zutrifft, auch für Frauen stimmt. Als ich zu fragen begann, welche Unterschiede es hinsichtlich der klassenspezifischen Definition von Frauen und Männern gerade während der Entstehung der Klassengesellschaft gegeben hat, konnte ich das Material vor meinen Augen auch verstehen.

Ich werde in diesem Buch folgende Thesen aufstellen und zu belegen versuchen:

a) Die Aneignung. Der sexuellen und reproduktiven Kapazität der Frauen durch die Männer geschah vor der Entstehung des Privateigentums und der Klassengesellschaft. Zweifellos ist die Verwandlung dieser Fähigkeiten in Waren eine der Voraussetzungen für die Entstehung des Privateigentums. (Kapitel 1 und 2)

b) Die archaischen Staaten wurden in der Form von Patriarchaten organisiert; und so hatte der Staat von Anfang an ein existentielles Interesse an der Beibehaltung der patriarchalen Familie. (Kapitel 3)

c) Wie es möglich ist, andere Menschen zu beherrschen und eine Hierarchie zu festigen, das lernten die Männer durch die bereits praktizierte Dominanz über die Frauen in ihrer eigenen Gemeinschaft. Diese kam zum Ausdruck in der Institutionalisierung der Sklaverei, die mit der Versklavung der Frauen besiegter Stämme begann. (Kapitel 4)

d) Die sexuelle Unterordnung der Frauen wurde in den frühesten Rechtsordnungen institutionalisiert und mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln durchgesetzt. Die Kooperation der Frauen in diesem System wurde auf verschiedene Art sichergestellt: durch Anwenden von Gewalt, durch ökonomische Abhängigkeit vom männlichen Familienoberhaupt, durch das Gewähren von klassenspezifischen Privilegien für sich anpassende und abhängige Frauen der Oberschichten und durch die künstlich-willkürliche Unterteilung der Frauen in respektable und nichtrespektable Frauen. (Kapitel 5)

e) Die Klassenzugehörigkeit der Männer war und ist bestimmt von ihrer Beziehung zu den Produktionsmitteln: Diejenigen, denen die Produktionsmittel gehörten, konnten diejenigen, denen ·sie nicht gehörten, beherrschen. Die Klassenzugehörigkeit der Frauen ist vermittelt durch ihre sexuelle Bindung an einen Mann, der ihnen seinerseits den Zugang zu den materiellen Ressourcen gewährt. Die Einteilung der Frauen in »respektable« (d.h. an einen Mann gebundene) und »nichtrespektable« (d. h. nicht an einen Mann gebundene oder von Männern unabhängige) wird institutionalisiert in Gesetzen, die das Schleiertragen von Frauen betreffen. (Kapitel 6)

f) Lange nachdem die Frauen den Männern sexuell und ökonomisch untergeordnet worden sind, spielen sie noch immer eine aktive und geachtete Rolle bei der Vermittlung zwischen Menschen und Göttern: als Priesterinnen, Seherinnen, Wahrsagerinnen und Heilkundige. Die metaphysische Macht von Frauen, besonders die Macht, Leben zu spenden, wird von Männern und Frauen in der Gestalt von machtvollen Göttinnen verehrt, noch lange nachdem die Frauen den Männern in den meisten Bereichen des irdischen Lebens untergeordnet worden waren. (Kapitel 7)

g) Die Entthronung der mächtigen Göttinnen und ihre Ablösung durch einen dominanten männlichen Gott vollzieht sich in den meisten Gesellschaften des Vorderen Orients nach dem Errichten eines starken und imperialistischen Königtums. Zunehmend wird die Funktion der Kontrolle der Fruchtbarkeit, die zuvor ganz den Göttinnen oblag, dargestellt durch die symbolische oder tatsächliche Vermählung des männlichen Gottes öder Gottkönigs mit der Göttin oder ihrer Priesterin. Schließlich werden Sexualität (Erotik) und Fruchtbarkeit voneinander getrennt und durch das Erscheinen von entsprechenden Göttinnen für jede dieser Funktionen symbolisiert, wobei die Muttergöttin zur Gemahlin/ Gefährtin des obersten männlichen Gottes wird. (Kapitel 7)

h) Das Heraufkommen des hebräischen Monotheismus geschieht in der Form eines Angriffs auf die weitverbreiteten Kulte der verschiedenen Fruchtbarkeitsgöttinnen. Im ersten Buch Moses, der Genesis, werden Schöpferkraft und Fruchtbarkeit einem allmächtigen Gott zugeschrieben, dessen Titel als »König« und »Herr« ihn als einen männlichen Gott bestimmen; die weibliche Sexualität wird assoziiert mit Sünde und Übel, wenn sie zu anderem als dem Zweck der Fortpflanzung dient. (Kapitel 8)

i) Bei der Bildung und Festigung der Gemeinschaft des Bundes (zwischen Gott und den Nachkommen des Abraham) geht der zugrundeliegende Symbolgehalt und der tatsächliche Vertrag zwischen Gott und den Menschen von der untergeordneten Position der Frauen sowie ihrem Ausgeschlossensein von dem metaphysischen Bund und der irdischen Gemeinschaft des Bundes als einer selbstverständlichen Gegebenheit aus. Der einzige Zugang zu Gott und der Gemeinschaft der Heiligen ist den Frauen in ihrer Eigenschaft als Mutter möglich. (Kapitel 9)

j) Diese symbolische Abwertung von Frauen im Verhältnis zum Göttlichen bildet eine der fundamentalen Metaphern der westlichen Zivilisation. Die andere grundlegende Metapher beruht auf einem Beitrag der aristotelischen Philosophie. Diese geht davon aus, daß Frauen unvollständige und beschädigte menschliche Wesen sind, die einer ganz anderen Art angehören als Männer (Kapitel 10). Mit der Schaffung dieser beiden metaphorischen Konstrukte, die einen Teil des Fundaments des symbolischen Systems der westlichen Zivilisation ausmachen, wird die Unterordnung der Frauen als »natürlich« festgeschrieben und damit der bewußten Wahrnehmung entrückt. Dies ist es, was schließlich das Patriarchat sowohl tatsächlich wie ideologisch fest absichert.

Welche Beziehung gibt es zwischen Ideen, insbesondere den Ideen über die kulturspezifischen Geschlechtsrollen, und den gesellschaftlichen und ökonomischen Kräften, die den Lauf der Geschichte bestimmen?10 Die Substanz und der Boden einer jeden Idee ist die Wirklichkeit – niemand kann sich eine Vorstellung von etwas machen, das er nicht selbst erlebt hat oder zumindest andere Menschen vor ihm erlebt haben. So sind Ideen, Metaphern und Mythen Ausdruck dessen, was durch vergangene Erfahrungen »geprägt« und vorgeformt worden ist. In Zeiten der Veränderung interpretieren die Menschen diese Symbole auf eine neue Weise, was schließlich zu neuen Konstellationen und neuen Einsichten führt.

Ich versuche in diesem Buch mit Hilfe historischer Belege die Entwicklung der bestimmenden Ideen, Symbole und Metaphern nachzuzeichnen, durch die die patriarchalen Beziehungen zwischen den Geschlechtern in die westliche Zivilisation Eingang fanden. Jedes der Kapitel ist, wie die Kapitelüberschrift angibt, einer solchen Metapher für die Geschlechterbeziehung zugeordnet. In diesem Buch geht es mir darum, die Formen der Geschlechterrollen herauszuarbeiten und zu bestimmen, wie sie die westliche Zivilisation festgelegt hat, und zu untersuchen, wie es sich mit ihnen in Zeiten des sozialen Wandels verhält. Diese Formen bestehen aus sozialen Normen, die in den sozialen Rollen, in Gesetzen und in bestimmten Metaphern zum Ausdruck kommen. Sie sind gewissermaßen historische Produkte, aus denen die soziale Realität abgeleitet werden kann. Mit der Analyse des Wandels von Metaphern und Vorstellungen kann auch die darunter sich vollziehende historische Veränderung der Gesellschaft nachgezeichnet werden, sogar wenn andere Belege für die historische Entwicklung fehlen. Im Falle der mesopotamischen Gesellschaft ist es wegen der Vielfalt der historischen Quellen sehr weitgehend möglich, die Analyse der Symbole durch einen Vergleich mit den durch solche Quellenstudien gesicherten Erkenntnissen zu bestätigen.

Die wichtigsten geschlechtsspezifischen Symbole und Metaphern der westlichen Zivilisation sind zum großen Teil mesopotamischen und später hebräischen Ursprungs. Es wäre selbstverständlich wünschenswert, in diese -Studie auch arabische, ägyptische und europäische Einflüsse mit einzubeziehen, aber dazu wäre die wissenschaftliche Arbeit von weiteren Jahren erforderlich, mehr als ich mir in meinem Alter zu leisten noch vornehmen kann. Ich hoffe allerdings, daß meine Bemühungen um eine Neuinterpretation der Ergebnisse historischer Forschung andere inspirieren werden, diesen Fragen mit ihren speziellen Fachkenntnissen und differenzierten wissenschaftlichen Hilfsmitteln nachzugehen.

Zu Beginn habe ich diese Untersuchung konzipiert als eine Studie über die Beziehung von Frauen zum Prozeß der Erschaffung der Symbolsysteme dieser Welt, über das Ausgeschlossensein der Frauen von diesem Prozeß, über ihre Anstrengungen zur Überwindung eines sie systematisch benachteiligenden Erziehungs- und Ausbildungswesens und schließlich über die Entstehung eines feministischen Bewußtseins. Aber während meines Studiums der Quellen über Mesopotamien veranlaßte mich die überaus reichhaltige Quellenlage zur Erweiterung meines Forschungsberichts. Die vorliegende Arbeit endet ungefähr im Jahre 400 v. Chr.; ein weiteres Buch, das ich vorbereite, wird das Entstehen eines feministischen Bewußtseins darstellen und die Zeit des Christentums behandeln.

Obwohl ich der Auffassung bin, daß meine Hypothesen eine weitreichende Geltung beanspruchen können, versuche ich nicht, auf der Grundlage der Untersuchung über einen Kulturkreis eine »allgemeine Theorie« der Entstehung des Patriarchats und des Sexismus abzuleiten. Die von mir vorgelegte Hypothese bezieht sich auf die westliche Zivilisation und bedarf der Überprüfung und vergleichender Untersuchungen im Hinblick auf andere Kulturen, bevor Aussagen über ihre Allgemeingültigkeit erlaubt sind.

Angesichts der Zielsetzung unserer Forschungsarbeit ist zu fragen, wie wir uns Frauen als eine Gruppe zu denken haben. Drei Metaphern sollten uns helfen, einen neuen Blickwinkel zu finden.

In einem brillanten Artikel sprach Joan Kelly 1979 von einem neuen »doppelten Blick« der feministischen Wissenschaft:

»...Der Platz der Frau ist nicht eine abgetrennte Sphäre oder Domäne der Existenz, sondern eine Position innerhalb des allgemeinen Lebenszusammenhangs ... Das feministische Denken geht über die gespaltene Wahrnehmung der sozialen Realität hinaus, die es aus der jüngsten Vergangenheit übernommen hat. Unser Blickwinkel hat sich inzwischen verändert, was ein neues Bewußtsein vom ›Platz‹ der Frauen in Familie und Gesellschaft hat entstehen lassen ... Wir sehen nicht zwei Sphären der Gesellschaft (Haushalt und Beruf, privates und öffentliches Leben), sondern zwei oder drei Strukturen von sozialen Beziehungen.«11

Wir fügen der männlichen Sicht die weibliche hinzu, und dieser Vorgang führt zu Veränderungen. Aber die Metapher von Joan Kelly muß noch einen Schritt weiter entwickelt werden: Wenn wir nur mit einem Auge sehen, so ist unser Gesichtskreis eingeschränkt und auch die Tiefenschärfe ist von minderer Qualität. Fügen wir dem die für sich allein genommene Sicht des anderen Auges hinzu, so wird zwar das Gesichtsfeld größer, aber es mangelt noch immer an der Sehschärfe. Nur wenn beide Augen gemeinsam sehen, erreichen wir den ganzen Umfang des Sehfeldes und die richtige Tiefenschärfe.

Der Computer liefert uns eine andere Metapher. Der Computer zeigt uns das Bild eines Dreiecks (zweidimensional). Unter Beibehaltung dieses Bildes wird das Dreieck räumlich dargestellt und so in eine Pyramide verwandelt (dreidimensional). Nun bewegt sich die Pyramide, eine Kurve bezeichnend, im Raum (vierte Dimension), während sie noch immer das Bild der Pyramide und des Dreiecks enthält. Wir sehen alle vier Dimensionen zugleich, verlieren keine von ihnen aus dem Blick, sondern sehen sie auch in ihrer genauen Beziehung zueinander.

Unser Bild vom Patriarchat ist bisher zweidimensional. Dem patriarchalen Bezugssystem der Erkenntnis »die Sicht der Frauen hinzuzufügen« macht die Sichtweise dreidimensional. Aber nur, wenn die dritte Dimension voll integriert ist und mit dem Ganzen in Bewegung gerät, nur wenn weibliche und männliche Sichtweise gleichwertig sind, können wir die wahre Gestalt des Ganzen und seine Struktur, die innere Verbindung zwischen den Teilen erkennen.

Schließlich noch eine weitere Versinnbildlichung: Männer und Frauen leben auf einer Bühne, auf der sie die ihnen übertragenen Rollen darstellen, die gleich wichtig sind. Das Spiel kann nicht weitergehen, ohne daß beide Arten von Darstellern auftreten. Keine Darstellergruppe »leistet einen Beitrag« zum Ganzen, der größer oder kleiner wäre als der der andere Gruppe; keine ist marginal jede ist unverzichtbar. Aber das Bühnenbild ist von Männern entworfen, gemalt und festgelegt; Männer sind die Autoren des Stücks, sind die Regisseure der Aufführung, interpretieren die Bedeutung der Handlung. Sie haben sich selbst die interessantesten, heldenhaftesten Rollen vorbehalten und den Frauen die helfend unterstützenden Rollen zugedacht.

Sobald den Frauen der Unterschied in der Mitwirkung an dem Stück deutlich wird, verlangen sie eine größere Gleichheit bei der Festlegung der Rollen. Sie drängen die Männer manchmal in den Hintergrund, manchmal springen sie auch ein für einen fehlenden männlichen Darsteller. Nach erheblichen Kämpfen setzen die Frauen schließlich durch, daß sie Zugang zu den gleichen Rollen haben; aber erst müssen sie sich noch »qualifizieren.« Die Kriterien ihrer »Qualifikationen« werden wieder von Männern festgesetzt; und Männer beurteilen, inwieweit die Frauen den Erfordernissen gerecht werden; Männer gewähren oder versagen die Zulassung. Sie bevorzugen unterwürfige Frauen und solche, die dem von ihnen entworfenen Anforderungsprofil genau entsprechen. Männer bestrafen durch Lächerlichmachen, Ausschließen oder Verdammung jeder Frau, die es sich herausnimmt, ihre eigene Rolle selbst zu interpretieren, oder – die größte aller Sünden! - das Recht beansprucht, das Skript umzuschreiben.

Es dauert ziemlich lange, bis Frauen begreifen, daß sie nicht gleichberechtigt sind, wenn sie »gleich wichtige« Rollen haben, solange das Textbuch, die Requisiten, das Bühnenbild und die Regie unangefochten in der Hand von Männern liegen. Sobald die Frauen das bemerken und sich zwischen den Akten oder gar während des Auftritts zusammenrotten, um zu diskutieren, wie sich diese Situation ändern ließe, ist das Schauspiel zu Ende.

Wenn wir die interpretierte und aufgezeichnete Geschichte der Gesellschaft betrachten, als wäre sie ein solches Stück, so stellen wir fest, daß die Geschichte der Aufführungen während Tausender von Jahren nur von Männern aufgeschrieben und in ihren Worten erzählt worden ist. Ihre Aufmerksamkeit hat sich meist auf das Handeln der Männer gerichtet, und so überrascht es nicht, daß ihnen vollkommen entgangen ist, was Frauen getan haben. In den letzten fünfzig Jahren haben endlich einige Frauen genug gelernt, um für das Theater die Rollenbücher schreiben zu können. Beim Schreiben wuchs ihre Aufmerksamkeit für das Verhalten der Frauen. Sie waren jedoch von ihren männlichen Mentoren sehr gut ausgebildet worden. Deshalb hielten sie das, was Männer getan hatten, im ganzen für viel relevanter und signifikanter; und in dem Bedürfnis, die Rolle der Frauen in der Vergangenheit aufzuwerten, suchten sie angestrengt nach Frauen, die dasselbe geleistet hatten wie Männer. So kam es zur kompensatorischen Darstellung der Vergangenheit.

Was die Frauen tun müssen und die Feministinnen nun auch tun, das ist hinzuweisen auf die Bühne, das Bühnenbild, die Requisiten, den Regisseur und den Autor; so wie das Kind im Märchen, das entdeckte, daß der Kaiser nackt war; die Frauen müssen aussprechen, daß die fundamentale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern an den Rahmenbedingungen, dem Bezugsrahmen liegt. Und dann müssen sie diesen Rahmen niederreißen.

Wie wird die Geschichtsschreibung aussehen, wenn der Schirm der männlichen Dominanz entfernt worden ist und Frauen und Männer an der Definition der Dinge in gleicher Weise beteiligt sind? Werden wir die Vergangenheit entwerten, die Kategorien außer Kraft setzen, und wird Chaos die Ordnung zerstören?

Nein, wir werden nur hinaus ins Freie treten. Wir werden beobachten, wie der Himmel sich verändert, wie die Sterne scheinen und der Mond auf seiner Bahn kreist; und wir werden die Erde und ihre Produkte mit männlicher und weiblicher Stimme beschreiben. Wir werden mit einem umfassenderen und zugleich tiefergehenden Blick sehen. Wir wissen, daß Männer nicht der Maßstab für das Menschliche sind, sondern Frauen und Männer charakterisieren, was Menschsein bedeutet. Männer stehen nicht im Mittelpunkt des Weltgeschehens, sondern Frauen wie Männer. Diese Einsicht wird das Bewußtsein ebenso stark verändern wie die Entdeckung des Kopernikus, daß die Erde sich nicht im Mittelpunkt des Universums befindet.

Wir können unsere verschiedenen Rollen auf der Bühne spielen, können sie je nach Lage der Dinge tauschen oder aber entscheiden, sie beizubehalten. Wir entdecken möglicherweise neue Talente bei denen, die immer unter einem von anderen gemachten Schirm gelebt haben. Es mag sich herausstellen, daß diejenigen, die sich früher die Last des Handelns und des Definierens aufgebürdet haben, nun die Freiheit finden, zu spielen und reine Lebensfreude zu empfinden. Es ist ebensowenig unsere Aufgabe, das zu beschreiben, was wir dabei herausfinden werden, wie das die Aufgabe der Entdecker war, die zum fernen Rand der Welt segelten um dann herauszufinden, daß die Erde rund ist.