Die ersten Suchmaschinen - Anton Tantner - E-Book

Die ersten Suchmaschinen E-Book

Anton Tantner

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Beschreibung

Der Historiker Anton Tantner erzählt die Geschichte derer, die nicht zueinander kommen, weil sie nicht voneinander wissen. Und wie dem abgeholfen wurde. Dahinter steht die Frage: Wie war die Gesellschaft vor ein paar hundert Jahren organisiert, und wie ist sie es heute? Was heute Dating- Apps, Tauschbörsen, Finanzmakler, Jobcenter und Carsharing- Anbieter übernehmen, leistete früher eine einzige Institution: das Adressbüro. Wer im 17. Jahrhundert etwas kaufen oder verkaufen wollte, Arbeit, Wohnung, ein Hausmädchen oder einen Arzt suchte oder zu vermitteln hatte, konnte dort sein Anliegen gegen Gebühr in ein Register eintragen lassen oder Auszüge aus diesem Register erhalten. Solche Adressbüros gab es in vielen europäischen Städten, etwa in London die registry oder das intelligence office, in der Habsburgermonarchie die Frag- und Kundschaftsämter und in anderen deutschsprachigen Städten Adresscomptoirs und Berichthäuser. Anton Tantner schreibt eine Ideengeschichte des Sammelns, Organisierens und Weitergebens von Informationen und Wissen - aus der Perspektive unserer Gegenwart, in der wir ohne google kaum mehr leben können, social media scheinbar alles und - andererseits - Datenschutz ein zentrales Thema ist. Dass man aber die richtige Form für das Vermitteln von Information kaum unterschätzen kann, beweist Tantners eigener, bisweilen vergnügt erzählender Stil.

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Anton Tantner

Die ersten Suchmaschinen

Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs

 

 

Verlag Klaus Wagenbach Berlin

 

 

E-Book-Ausgabe 2015

© 2015 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40 /41, 10719 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.Covergestaltung: Julie August unter Verwendung einer Fotografie © Eduard Andras / getty images 2014.

eISBN: 978 3 8031 4188 0Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3654 1

Kulturgeschichte bei Wagenbach

Peter Burke Die Explosion des Wissens

Von der Encyclopédie bis Wikipedia

Nur ein Medienhistoriker vom Format Peter Burkes versteht es, den grundlegenden Umbruch unserer Wissens- und Informationsgesellschaft im Ganzen zu überblicken und im Detail zu erklären. Seine umfassende Wissensgeschichte ist singulär auf dem Buchmarkt – und höchst aktuell.

Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian WohlfeilGebunden mit Schutzumschlag. Großformat. 392 Seiten

 

Peter Burke     Papier und Marktgeschrei

Die Geburt der Wissensgesellschaft

Wissen erwerben, klassifizieren, kontrollieren und verkaufen – in diesem Buch geht es um das neue Wissen, das sich nach Erfindung der beweglichen Lettern rasant verbreitete.

Aus dem Englischen von Matthias Wolf

Broschiert. Großformat. 256 Seiten

 

Horst Bredekamp     Der schwimmende Souverän

Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers

In seinem fulminanten neuen Buch liefert Horst Bredekamp einen Schlüssel zum Verständnis Karls des Großen. Ein souveräner Coup über den schwimmenden Souverän!

KKB. Gebunden mit Schildchen und Prägung

176 Seiten mit vielen, zum Teil farbigen Abbildungen

 

Carlo Ginzburg     Faden und Fährten

wahr falsch fiktiv

Endet die historische Wahrheit, wo die Erfindung beginnt? Der Spurensicherer Carlo Ginzburg präsentiert die Bilanz seines Historikerlebens – und gewährt neue Einblicke in die schier unendliche Fülle seiner Themen und Gedanken.

Aus dem Italienischen von Victoria Lorini

KKB. Gebunden mit Schildchen und Prägung

160 Seiten mit vielen, zum Teil farbigen Abbildungen

Literarische Einladungen von Wagenbach

Paris   Eine literarische Einladung

Paris: Stadt der Liebe und Literatur. Dieser Band lädt ein zu literarischen Spaziergängen durch die Metropole an der Seine. Zeitgenössische Texte, viele erstmals übersetzt, erzählen Geschichten von Orten, Menschen und der Pariser Lebensart.

Herausgegeben von Karin Uttendörfer und Annette WassermannS∀LTO. Rotes Leinen. Fadengeheftet. 144 SeitenMit Illustrationen von Franziska Neubert

 

London   Eine literarische Einladung

Ein literarischer Streifzug durch eine coole und angesagte Metropole. Mit Texten von David Byrne, Alan Hollinghurst, Sadie Jones, Hanif Kureishi, Doris Lessing, Ian McEwan, Muriel Spark, Virginia Woolf und vielen anderen.

Herausgegeben von Ingo Herzke und Hans-Gerd KochS∀LTO. Rotes Leinen. Fadengeheftet. 144 Seiten

 

Egon Erwin Kisch Aus dem Café GrößenwahnBerliner Reportagen

Nach langer Zeit wird der »rasende Reporter« endlich den Lesern wieder zugänglich gemacht: mit seinen schönsten Reportagen aus dem Berlin zwischen Kaiserreich und Republik. Sorgfältig ausgestattet mit Photos der Orte und ihrer Bewohner.

S∀LTO. Rotes Leinen. Fadengeheftet. 144 Seiten

 

Klaus Wagenbach Kafkas PragEin Reiselesebuch. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach

Ein Portrait der literarischen und biografischen Orte Kafkas in seiner Heimatstadt, in Text und Bild.

S∀LTO. Rotes Leinen. Fadengeheftet. 128 Seiten mit zahlreichen Abbildungen

 

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     Verlag Klaus Wagenbach   Emser Straße 40/41   10719 Berlin   www.wagenbach.de

Der Historiker Anton Tantner erzählt die Geschichte derer, die nicht zueinander kommen, weil sie nicht voneinander wissen. Und wie dem abgeholfen wurde. Dahinter steht die Frage:

Wie war die Gesellschaft vor ein paar hundert Jahren organisiert, und wie ist sie es heute?

»Ein fundamentaler Beitrag zur Geschichte der Information in Europa.«

Peter Burke

Was heute Dating-Apps, Tauschbörsen, Finanzmakler, Jobcenter und Carsharing-Anbieter übernehmen, leistete früher eine einzige Institution: das Adressbüro. Wer im 17. Jahrhundert etwas kaufen oder verkaufen wollte, Arbeit, Wohnung, ein Hausmädchen oder einen Arzt suchte oder zu vermitteln hatte, konnte dort sein Anliegen gegen Gebühr in ein Register eintragen lassen oder Auszüge aus diesem Register erhalten. Solche Adressbüros gab es in vielen europäischen Städten, etwa in London die registry oder das intelligence office, in der Habsburgermonarchie die Frag- und Kundschaftsämter und in anderen deutschsprachigen Städten Adresscomptoirs und Berichthäuser.

Anton Tantner schreibt eine Ideengeschichte des Sammelns, Organisierens und Weitergebens von Informationen und Wissen – aus der Perspektive unserer Gegenwart, in der wir ohne google kaum mehr leben können, social media scheinbar alles und – andererseits – Datenschutz ein zentrales Thema ist.

Inhalt

Zuversicht und Sorgen des Informationsprofessionisten Caspar Rieß – eine wissenschaftliche Fiktion

Paris und London – Die Anfänge der Adressbüros

Die »Urszene«: Montaignes Vorschlag

Das Bureau d’adresse des Théophraste Renaudot

Pariser Adressbüros nach Renaudot

Londoner Offices of Intelligence

Deutschsprachige Ideen und Realisierungen im 17. Jahrhundert

Das Wiener Fragstuben-Projekt des Johannes Angelus de Sumaran

Wilhelm von Schröders Intelligentz-Werck

Leibniz’ Pläne

Preußen: Adresshäuser als Pfandleihanstalten

Deutschsprachige Adressbüros im 18. Jahrhundert

Die habsburgischen Frag- und Kundschaftsämter

Ein geschwätziges Fragamt zu Pressburg

Die Frankfurter Frag- und Anzeigungsnachrichten

Sächsische Adressbüros

Das preußische Intelligenzwerk

Berichthäuser in Basel und Zürich

Schluss

Anfrage- und Auskunftscomptoire des 19. Jahrhunderts

Conclusio

 

Anmerkungen

Literatur

Abkürzungen

Dank

Zuversicht und Sorgen des Informationsprofessionisten Caspar Rieß -eine wissenschaftliche Fiktion

Wie jeden Tag war Caspar Rieß nach dem Frühstück von seiner Wohnung im ersten Stock des Hauses in der Burgstraße ins Erdgeschoss hinuntergegangen, hatte um Punkt 9 Uhr die Ladentür geöffnet und wartete nun auf Kundschaft. Mehr als zehn Jahre waren es nun her, dass er sein Intelligenz- und Adresscomptoir – ein mit ebendieser Aufschrift bezeichnetes Holzschild hing an einer Eisenstange über dem Eingang des Etablissements – in der fürstlichen Residenzstadt eröffnet hatte; damals regierte im fernen Wien noch Kaiser Karl VI., und in vielen Städten im Reich entstanden Adressbüros, die nach Vorbild des in der österreichischen Hauptstadt befindlichen Frag- und Kundschaftsamts Stätten universeller Vermittlung sein wollten. Nicht länger sollte es vorkommen, dass Käufer und Verkäufer von unentbehrlichen Waren einander aus Mangel an Kenntnis nicht antreffen konnten, nicht länger sollten Personen, die eine Wohnung mieten wollten, tagelang die Straßen der Stadt auf und ab laufen, immer Ausschau haltend nach den von Wind und Wetter manchmal fast schon unleserlichen Zetteln an den Haustüren, die eine freie Wohnung versprachen; nicht länger sollten Dienstherren von den Zubringerinnen untaugliches Personal vermittelt bekommen, das dann doch nur schnell seinen Arbeitsplatz wieder verließ. Stattdessen sollten all diese Wünsche, Anliegen und Begehren an einem Ort – eben dem Adresscomptoir – gesammelt und gegen Bezahlung einer geringen Gebühr in jeweils eigene Registerbände säuberlich niedergeschrieben werden; wer nun zum Beispiel Wein zu verkaufen gedachte, sich in der Stadt einlogieren oder eine Stelle als Haussekretär antreten wollte, und auch wer Geld zu verleihen hatte, konnte das Büro zu den Öffnungszeiten aufsuchen und einen Bediensteten in den Registern nachsehen lassen. War die Suche erfolgreich, sollte der Kunde gegen Bezahlung eine Abschrift des Eintrags zur Verfügung gestellt bekommen, die nicht zuletzt die Adresse der Person enthielt, bei der er eine Befriedigung seines Begehrs erwarten konnte. Käuferinnen und Verkäufer, Lehrer und Schüler, Meister und Lehrlinge, Dienstherrinnen und Diener könnten so leichter als bisher miteinander in Kontakt treten; kein nützliches Talent wäre mehr dazu verurteilt, müßig zu sein.

In diesem Sinne hatte Rieß damals um die Erteilung eines Privilegs für ein Intelligenz- und Adresscomptoir bei der fürstlichen Behörde ersucht; mit dieser Einrichtung sollte auch die Herausgabe eines Intelligenzblatts verbunden sein, das Registereinträge aus den Protokollen des Büros veröffentlichen sollte. Dieses Anzeigenblatt, so hatte Rieß damals argumentiert, bringe den Vorteil, dass auch Parteien, die außerhalb der Stadt wohnten und für die es zu aufwendig sei, regelmäßig den Gang in die Stadt anzutreten, nur um das Büro aufzusuchen, über die in das Comptoir eingebrachten Angebote informiert werden könnten. Bis Rieß mit dem Durchbringen seines Anliegens erfolgreich war, sollte viel Zeit – fast zwei Jahre – vergehen; groß waren die Widerstände bei den traditionell mit Informationsvermittlung beschäftigten Bevölkerungsgruppen, insbesondere bei den Gesindemaklerinnen und -maklern, die um ihre Einkünfte fürchteten. Letzten Endes waren die Behörden dann aber doch von Rieß’ Ansinnen überzeugt, vor allem als er versprach, eigene Register über Wohlverhalten und Führungszeugnisse der vermittelten Dienstbotinnen und Dienstboten anzulegen, die eine Kontrolle dieser unsteten Personen erlauben würden. Unerwartet wenig Proteste waren von den Lohnlakaien gekommen, die in den Gasthäusern Reisenden aufwarteten, um diese zu Sehenswürdigkeiten oder freien Zimmern zu führen; wahrscheinlich betrachteten diese das Comptoir nun doch nicht als gefährliche Konkurrenz für ihren Erwerbszweig.

Mit dem Gang der Geschäfte war Rieß im Großen und Ganzen zufrieden; gewiss, sein Büro hätte noch mehr Frequentierung durch Anfragende vertragen, doch mit den erzielten Einnahmen kam er über die Runden. Insbesondere das ebenfalls von ihm betriebene Pfandleihgeschäft samt gelegentlicher Versteigerung der verfallenen Pfänder sorgte dafür, dass ein regelmäßiger Strom an zufließendem Geld in den Rechnungsbüchern verzeichnet werden konnte.

Manchmal war Rieß jedoch auch angestrengt, vor allem dann, wenn sich die Beschwerden der Kundschaft häuften, wie in jenen Tagen, als der neu angestellte Bedienstete Johann Fundneyder nicht aufhörte, die Zeilen der Registerbücher durcheinanderzubringen, und sich erhebliche Fehler in seine aus den Büchern für die Anfragenden erstellten Auszüge einschlichen. Einer der Empörten war der Advokat Ferdinand Leopold Keller: Letzterer war, ganz so, wie es ihm der von Fundneyder verfasste Zettel verheißen hatte, beim entlegen im Schwingshandlischen Haus in der Singerstraße wohnenden Philipp Kinsch vorstellig geworden, um dort fünf Eimer St. Georger Wein abzuholen, allein, Kinsch musste den Advokaten belehren, dass er mit Weinverkauf nichts am Hut und das Adresscomptoir nur aufgesucht habe, weil er einen silbernen Siegelstempel gefunden hatte. Keller stellte Rieß darauf zur Rede und klagte, dass er den Wein doch so dringend zur Bewirtung einer Abendgesellschaft gebraucht hätte; nur mit Mühe konnte Rieß den Rechtsgelehrten besänftigen, indem er ihm versprach, das Intelligenzblatt für ein halbes Jahr zur Hälfte des Preises zuzustellen. Kaum war des Advokaten Zorn verraucht, tauchte schon der nächste Beschwerdeführer im Büro auf: Joseph Laar war es, der eine Stelle als Hauslehrer suchte; Laar wollte Fechten und Französisch unterrichten, doch als er im Palais des ihm genannten Georg Suppanovich auftauchte, musste er vom Portier hören, dass der Posten schon längst vergeben sei. Der verhinderte Lehrer fühlte sich in die Irre geführt und verlangte die schon bezahlte Vermittlungsgebühr zurück. Rieß versuchte ihn damit zu trösten, dass es oft vorkomme, dass das Büro von erfolgten Vermittlungsakten keine Mitteilung erhielte, obwohl er doch wiederholt dazu aufrufe.

Zum Glück verlief das Alltagsgeschäft ruhiger, und der übliche Trott des Entgegennehmens von Anfragen und Ordnunghaltens in den Registern wurde zumeist nur durch hereinplatzende Fuhrleute unterbrochen, die ihre Warenlieferung abladen wollten. Als Rieß nämlich mit seiner Tätigkeit begonnen hatte, wurden die von den Verkäufern angebotenen Waren nur in den Registern des Adresscomptoirs verzeichnet und verblieben in den Lagern der Anbieter; als aber immer mehr Interessenten danach verlangten, zumindest Proben der Waren im Büro sehen zu können, hatte sich der Direktor des Comptoirs dazu entschlossen, seine Räume zu erweitern und in diesen nicht nur Informationen, sondern auch manche Waren anzubieten. So konnten also die Liebhaber die goldenen Sackuhren, das Pompadourische Zahnpulver, die Lissabonsche Schokolade und den für Landwirte so nützlichen Erdbohrer in den Räumlichkeiten des Büros selbst begutachten und erstehen; zuweilen erhielt Rieß auch Rückmeldungen über die Qualität der von ihm verkauften Waren: Erst vor einem Monat hatten ihm einige Kundinnen mitgeteilt, dass der im Adresscomptoir veräußerte, von einem Bauern aus der Umgebung gelieferte Himbeersirup von zu dicker Konsistenz war und zu süß schmeckte; Rieß hatte die Beschwerden prompt weitergeleitet und konnte den nunmehrigen Besucherinnen verkünden, dass die neu eingetroffene Lieferung etwas dünner und säuerlicher ausgefallen war.

Manchmal kam es auch vor, dass so ungewöhnliche Gegenstände wie Tafelbilder eingebracht wurden; einmal hatte die Kaufmannswitwe Anna Lutzenbergerin ein aus der Hinterlassenschaft ihres Mannes stammendes, gar schrecklich anzusehendes Haupt der Medusa bei Rieß deponiert, der es daraufhin in einem Nebengewölbe zwischen all den physikalischen Modellen ausstellte, die auch im Adresscomptoir zu sehen waren. Die Lutzenbergerin hatte damals verlangt, dass die Nachricht von dem Bild auch noch schnell in das Intelligenzblatt eingerückt werden sollte, und überredete Rieß dazu, deswegen die Druckerpressen anzuhalten. Bei der kunstsinnigen Kennerschaft der Stadt wurde das Adressbüro daraufhin zu einem Geheimtipp, und manch ein Freund der Malerei sollte dieses nur des Medusenhauptes wegen aufsuchen.

Das übrige Geschäft bestand im Registrieren neu zugereister und Ausfindigmachen abgängiger Personen: Alle paar Tage erhielt Rieß die Meldungszettel der Gasthöfe, die ihn darüber informierten, wer in der Stadt eine Herberge gefunden hatte, und die Rieß’ Mitarbeiter in ein Fremdenregister übertrugen. Die Polizei, die dieses immer wieder konsultierte, war damit allerdings höchst unzufrieden, da in ihren Augen allzu viele Wirte nachlässig waren und die Meldungen unterließen oder zu spät abgaben; selbst der Goldene Adler, die beste Beherbergungsstätte vor Ort, war manchmal wochenlang säumig und musste an die Meldepflicht wiederholt erinnert werden. Dabei konnte sich Andreas Buchhardt, der Betreiber dieses Gasthofs, glücklich schätzen, dass Reisende, die sich bei der Suche nach einer Unterkunft an das Adresscomptoir wandten, zumeist an den Goldenen Adler verwiesen wurden. Anfragen dieser Art kamen nicht allzu häufig vor, mehrten sich höchstens zu Zeiten des Jahrmarkts, bei denen auch Private vorstellig wurden und ihre Zimmer über das Adressbüro zur Vermietung anboten. Auch das Aufspüren verschollener Personen zählte manchmal zu Rieß’ Aufgaben; eben erst hatte er per Boten einen schriftlichen Aufruf erhalten, dass sich der in der Stadt vermutete Buchhaltungsakzessist Johann Redlein bei seinen Verwandten melden sollte, eine Erbschaft sei angefallen, und Redlein solle seinen Anteil abholen; Rieß würde sich bei seinen Informanten erkundigen und plante auch, den Aufruf in das Anzeigenblatt aufzunehmen, das zwei Tage später erscheinen sollte. Er rechnete damit, dass diesmal bei der Ausgabe des Intelligenzblatts ein größerer Andrang entstehen würde, da sich herumgesprochen hatte, dass in der politischen Beilage nähere Nachrichten über die Kriegsvorbereitungen im Zusammenhang mit dem Erbfolgestreit im benachbarten Territorium veröffentlicht werden sollten. Die berittene Stadtwache wollte er trotzdem nicht anfordern, dies war erst ein einziges Mal – vor knapp drei Jahren – notwendig geworden, als das Extrablatt Meldungen über den lange ersehnten Waffenstillstand brachte und es vor dem Comptoir zu einem tumultartigen Auflauf gekommen war: Es schien damals, als hätten sich alle Stadtbewohner in der gar nicht so schmalen Burgstraße vor dem Büro gedrängt, um die Ersten zu sein, ein Blatt zu erhaschen und die Neuigkeiten zu vernehmen. Fast hätte es Tote gegeben, wenn nicht der Kommandant der Wache mit seinen Reitern eingegriffen und eine ordnungsgemäße Abgabe des Blatts sichergestellt hätte.

Rieß dachte fortwährend darüber nach, wie er die Attraktivität seines Comptoirs erhöhen könnte. Schließlich reichte er bei den Landesbehörden ein neues Projekt ein: Ein Lekturkabinett wollte er eröffnen, in dem die interessierten Leser – an Leserinnen dachte Rieß nicht – aktuelle Zeitungen und Zeitschriften, Bücher aus allen Bereichen der Gelehrsamkeit, ja selbst ausgesuchte Romane einsehen könnten. Allen Benutzern, die halbjährlich eine bestimmte Summe zu zahlen hatten, würde er Tinte, Feder und Papier zur Verfügung stellen, und wer vom Lesen Entspannung suchte, sollte auch die Gelegenheit haben, Schach oder Billard zu spielen; auch sollten auf Wunsch Erfrischungen, weiterhin Kaffee, Schokolade und Gefrorenes aufgewartet werden, und wer wollte, könnte gegen eine Kaution auch Bücher mit nach Hause nehmen. Hatte Rieß zunächst mit dem Gedanken gespielt, das Lekturkabinett im Erdgeschoss, in den bisherigen Räumen des Adresscomptoirs zu eröffnen, so hatte er diesen bald verworfen, bedurften doch manche der hier abgewickelten Geschäfte der Vertraulichkeit. Stattdessen war er dazu entschlossen, Teile seiner bisherigen Wohnung im ersten Stock dafür zu verwenden, da er ohnehin willens war, mit seiner Familie ins Nachbarhaus zu ziehen. Das große Zimmer ließe sich dabei nicht nur als Lesesaal nutzen, sondern könnte auch für gelehrte Vorträge dienen, die Rieß einmal im Monat veranstalten wollte, und eventuell genehmigte die Landesstelle sogar einen Debattierklub, dessen Mitglieder das Vorgetragene sowie das Gelesene unter Anwesenheit von Gelehrten der hiesigen Universität diskutieren sollten. Rieß war nur zu bewusst, dass er damit recht viel forderte und die Toleranz seiner Behörde auf die Probe stellte, hatte dieser aber zu erkennen gegeben, dass er – falls sie es denn verlangte – dazu bereit wäre, so heikle Themen wie Politik und Religion von der Debatte auszuschließen.

Der Direktor war froh, sich mit den Erfolgsaussichten eines solchen Projekts auseinandersetzen zu können, hatten ihm die vorangegangenen Monate doch hinsichtlich seines Unternehmens einiges an Verdruss bereitet: Just ein halbes Jahr bevor das Privileg seines Intelligenz- und Adresscomptoirs auslief, hatte Rieß von einem befreundeten Landesbeamten erfahren, dass ein gewisser Ulrich Reindl das Projekt einer Konkurrenzeinrichtung eingereicht hatte, die Reindl nach habsburgischem Vorbild Frag- und Kundschaftsamt benannt hatte und die sich von dem Rießschen Büro ausschließlich darin unterschied, dass es nur die Hälfte an Einschreibgebühren verlangte. Rieß kannte Reindl nur zu gut: Dieser war ein ehemaliger Mitarbeiter seines Büros, den Rieß vor Jahren sich zu entlassen genötigt gesehen hatte, weil dieser ein privates Register der Vermittlungsgeschäfte angelegt und damit in die eigene Tasche gewirtschaftet hatte. Reindl war dann in auswärtigen Städten umtriebig gewesen, und sein unvermutetes Wiederauftauchen schien nichts Gutes zu bedeuten, sondern darauf hinzuweisen, dass er sich der Unterstützung einflussreicher Kreise am hiesigen Hof erfreuen konnte. Rieß hielt nun die Verlängerung seines Privilegs für ernsthaft gefährdet, noch dazu, wo er wusste, dass die Pachtsumme diesmal empfindlich erhöht werden sollte, weil der Fürst damit den Neubau der Bibliothek finanzieren wollte. So war er nur allzu beunruhigt, als er die Benachrichtigung erhielt, dass das Privileg des Adresscomptoirs nicht – wie beim letzten Mal – ohne viel Aufsehen per Vertrag verlängert, sondern versteigert werden sollte. Mit viel Zähneknirschen musste Rieß diese Ankündigung in seinem Intelligenzblatt abdrucken, und er sah der Versteigerung mit Zittern entgegen. Was für ein Glück, dass er mit einer gar nicht so hohen Summe einen Beamten bestechen konnte, der ihm mitteilte, wie viel Pachtsumme die Behörden ungefähr erwarteten; dieses Wissen beruhigte Rieß, und als dann der Tag der Versteigerung gekommen war, fiel es ihm nicht schwer, seinen Konkurrenten auszustechen. Gleich am Tag darauf unterschrieb er die Vertragsverlängerung, das Privileg war nun für zehn Jahre gesichert; Rieß konnte zuversichtlich in die Zukunft blicken.

So oder ähnlich mag es in einem Adressbüro der Frühen Neuzeit zugegangen sein. Diese bislang zumeist unbeachtet gebliebenen Institutionen des frühneuzeitlichen Umgangs mit Informationen muten heute seltsam an und erinnern in ihrer schillernden Vielfalt an Kunst- und Wunderkammern. Sie tauchen unter den Namen Adresshaus, Adresscomptoir, Frag- und Kundschaftsamt, Berichthaus, Intelligenzbüro, Intelligenzamt, Notizamt oder unter den französischen und englischen Bezeichnungen bureau d’adresse, bureau de rencontre, intelligence oder registry/register office auf, hinterließen in den europäischen Archiven und Bibliotheken aber nicht allzu viele aussagekräftige Spuren, da es sich in der Regel um private, wenn auch zumeist mit einem Privileg versehene Einrichtungen handelte, worüber auch der Umstand nicht hinwegtäuschen darf, dass manche von ihnen die Bezeichnung »Amt« führten. Somit haben sich nur wenige Dokumente erhalten, die über das Innenleben dieser Institutionen Auskunft geben, über die Konflikte, die diese mit Konkurrenten und Widersachern austrugen, über ihr alltägliches Funktionieren. Meine Recherchen in Wien, St. Pölten, Innsbruck, Graz, Paris, Bratislava, Brno, Prag, Schleswig und Berlin waren nicht immer ertragreich, weswegen manche Fragen für die künftige Forschung offen bleiben.1

Paris und London – Die Anfänge der Adressbüros

Die »Urszene«: Montaignes Vorschlag

Die »Urszene« des Adressbüros findet sich in Montaignes Essais; die erstmals 1580 veröffentlichte Passage wurde in der nach Montaignes Tod erschienenen Neufassung von 1595 erweitert. Letztere basierte auf einem von ihm verfassten Manuskript. Die deutsche, von Hans Stilett besorgte Übersetzung lautet wie folgt:

Mein verstorbener Vater, der für einen Mann, dem nur seine Erfahrung und seine naturgegebenen Fähigkeiten zur Verfügung standen, ein sehr gesundes Urteilsvermögen besaß, sagte mir einmal, er hätte gern veranlasst, dass in den Städten eine bestimmte Stelle eingerichtet würde, an die alle, die irgendetwas brauchten, sich wenden könnten, um ihre Sache durch einen eigens dafür eingesetzten Beamten registrieren zu lassen – zum Beispiel: ›Ich suche Perlen zu verkaufen‹ oder ›Ich suche Perlen zu kaufen‹. Der und der möchte eine Reisebegleitung nach Paris; der und der hält nach einem Diener mit den und den Eigenschaften Ausschau, der und der nach einem Dienstherrn, der und der nach einem Arbeiter; der eine sucht dies, der andere das, jeder nach seinem Bedarf.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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