Die Essenz von Shiatsu - Mike Mandl - E-Book

Die Essenz von Shiatsu E-Book

Mike Mandl

0,0
29,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Shiatsu ist im Vergleich zu anderen traditionellen Heilkunst-Systemen relativ jung: Keine 100 Jahre alt, hat sich Shiatsu rasch entwickelt und genauso rasch verbreitet. Aus einem Konglomerat an verschiedenen Wurzeln ist in kurzer Zeit ein Stamm mit vielen Zweigen und noch mehr Blüten hervorgegangen. Im Rahmen dieses Werdungsprozesses haben Gedankenmodelle und Behandlungstechniken vieler anderer Methoden Einfluss auf die Evolution von Shiatsu geübt und die Shiatsu-Blüten auf teils sehr unterschiedlich Art und Weise gefärbt und geformt. Fazit: Wir leben in einer bunten Shiatsu-Welt. Wir erfreuen uns großer Shiatsu-Vielfalt. Was ist aber die Essenz von Shiatsu? Auf welchen Kernprinzipien basiert es? Wie funktioniert es wirklich? Was ist die Rolle von Ki? Was die Rolle der Meridiane? Wie zentral ist das Hara? Und: Was zeichnet eine:n gute:n Praktiker:in aus? Dieses Buchprojekt widmet sich der Spurensuche: Zu Wort kommen global führende Shiatsu-Expert:innen mit jahrzehntelanger Erfahrung. Ihre Perspektive auf grundlegende Shiatsu-Fragen soll dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für die wesentlichen Aspekte unserer Kunst zu erlangen. Ihre Ansichten sollen uns helfen, uns der Essenz von Shiatsu anzunähern. Ein fruchtbarer wie herausfordernder Diskurs, der für Impulse und Inspiration sorgen will.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALTSVERZEICHNIS

IMPRESSUM

EINLEITUNG

IVAN BEL

Aufs Wesentliche konzentrieren, das Überflüssige loswerden

KAZUNORI SASAKI SENSEI

In der Tiefe der Existenz

ALICE WHIELDON

Erkennen, was wirklich ist

PHILIPPE VANDENABEELE

Die Absicht des Herzens durch die Hände leiten

YUICHI KAWADA

Macht über die eigene Gesundheit

Chris McAlister

Im Dienste der Transformation

TOMAS NELISSEN

Im Einklang mit unserer inneren Wahrheit

Tzvika Calisar

Aus tiefstem Herzen

Wilfried Rappenecker

Kommunikation für Freiheit und neue Wege

Joyce Vlaarkamp

Die Einheit von Geben und Nehmen

Mihael Mamychshvili

In tiefer Verbindung

Michel Odoul

Die Schreie des Körpers sind Botschaften der Seele

MIKE MANDL

Die Vermählung von Yin und Yang

Viorel Mihai

Vergangenheitsflucht, Innovation und Neuinterpretation

IMPRESSUM

DIE ESSENZ VON SHIATSU

Aus der Perspektive der Meisterschaft

Haftung:

Alle Angaben in diesem Buch basieren auf sorgfältiger Auswertung der Recherchen und Erfahrungen der Autoren. Weder die Verfasser noch der Verlag können für die Anwendung der in diesem Buch beschriebenen Therapien und Heilmittel Gewähr übernehmen.

Alle Rechte, insbesondere die des Nachdrucks, der Übersetzung, des Vortrags, der Radio- und Fernsehsendung und der Verfilmung sowie jeder Art der fotomechanischen Wiedergabe, der Telefonübertragung und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen und Verwendung in Computerprogrammen, auch auszugsweise, sind vorbehalten.

Die Nutzung im Rahmen von Lehrveranstaltungen, Vorträgen und Publikationen ist auszugsweise unter Angabe der Quelle (Autoren, Titel) erlaubt und erwünscht. Jede weitergehende Nutzung, Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen bedarf der schriftlichen Genehmigung der Autoren (Anfrage unter office@ bacopa.at).

© 2025 BACOPA Handels- & Kulturges.m.b.H.

BACOPA Verlag 4521 Schiedlberg | Austria, Waidern 42

e-mail: [email protected] | [email protected]

www.bacopa.at| www.bacopa-verlag.at

Die Essenz von Shiatsu. Aus der Perspektive der Meisterschaft (Buch)

ISBN: 9783991141242 Eur 34,80

Die Essenz von Shiatsu. Aus der Perspektive der Meisterschaft (eBook)

ISBN: 9783991141327 Eur 29,99

Herausgeber:

Mike Mandl

Lebt und arbeitet als Shiatsu- und TCM-Praktiker in Wien. Er ist Leiter der International Academy for Hara Shiasu. Geschäftsführer der Online-Plattform Das Zentrum, Vater von drei Kindern und begeisterter Snowboarder.

www.mikemandl.eu

www.hara-shiatsu.com

www.das-zentrum.com

Weitere Bücher sind im Bacopa-Verlag und auf Amazon erhältlich, oder können in jeder gut sortierten Buchhandlung bestellt werden.

Lektorat

Helmuth Santler lebt und arbeitet als Buchautor, freier Journalist, Texter und Lektor in Mistelbach und Wien. Er ist Vater einer Tochter, hat mit 60 die Liebe seines Lebens geheiratet und spielt leidenschaftlich gerne Badminton.

www.textmaker.at

www.korrektur.co.at

Gestaltung und Layout:

Mili Badic

www.milibadic.com

Cover Gestalltung:

Warum Diju - Dinah Hoppenstedt

www.warum-diju.de

EINLEITUNG

DIE ESSENZ VON SHIATSU

Aus der Perspektive der Meisterschaft

Shiatsu ist im Vergleich zu anderen traditionellen Heilkunst-Systemen eine relativ junge Methode: Nicht wesentlich mehr als 100 Jahre alt, hat sich Shiatsu rasch entwickelt und genauso rasch verbreitet. Zuerst in Japan. Dann auf der ganzen Welt. Aus einem Konglomerat an verschiedenen Wurzeln ist in kurzer Zeit ein Baum mit vielen Zweigen und noch mehr Blüten hervorgegangen. Im Zuge dieses Entstehungsprozesses haben etliche andere manuelle Behandlungstechniken, therapeutische Zugänge und Gedankenmodelle aus diversen philosophischen Richtungen Einfluss auf die Evolution von Shiatsu ausgeübt und die Shiatsu-Blüten auf teils sehr unterschiedliche Art und Weise gefärbt und geformt. Dazu gesellen sich zeitgemäße Strömungen, individuelle Interpretationen und die fokussierte Weiterentwicklung von spezifischen Aspekten dieser so schönen Berührungskunst. Fazit: Wir leben in einer bunten Shiatsu-Welt. Wir erfreuen uns großer Shiatsu-Vielfalt.

Was aber verbindet all diese unterschiedlichen Shiatsu-Stile? Gibt es überhaupt eine klar zu definierende Essenz von Shiatsu? Auf welchen Grundprinzipien baut es auf? Wie funktioniert es? Was ist die Rolle von Ki? Was die Rolle der Meridiane? Wie zentral ist das Hara? Und: Was zeichnet eine gute Praktikerin / einen guten Praktiker aus?Dieses Buch widmet sich der Spurensuche: Zu Wort kommen global führende Shiatsu-Expert:innen mit jahrzehntelanger Erfahrung. Zu Wort kommen die Menschen hinter Pionierleistungen und Innovationen, die Meister:innen unterschiedlichster Shiatsu-Stile und -Schulen. Ihre Perspektiven auf grundlegende Shiatsu-Fragen sollen dazu beitragen, ein tieferes Verständnis für die wesentlichen Aspekte unserer Kunst zu erlangen. Einen fruchtbaren wie herausfordernden Diskurs anstoßen, der für Impulse und Inspiration sorgen und Horizonte erweitern will.

Es ist mir dabei ein großes Anliegen, aufzuzeigen, dass es weder den „einen“ Shiatsu-Stil noch das „eine“ Shiatsu gibt. Dass es nicht um richtig und falsch, um besser oder schlechter geht. Dass diverse Zugänge, Interpretationen und Meinungen gerade das sind, was Shiatsu als Gesamtheit auszeichnet. Auch wenn – oder gerade weil – ich selbst als Praktiker und Schulleiter der International Academy for Hara Shiatsu für einen bestimmten Stil und eine bestimmte Shiatsu-Philosophie stehe, konnte ich aus jedem einzelnen Beitrag dieses Buches etwas für mich lernen, etwas für meine Praxis mitnehmen.

Das kann ein einzelner Satz gewesen sein, der mir geholfen hat, eine bereits bestehende Einsicht zu verdichten und zu vertiefen. Eine bestimmte Perspektive, aus der heraus ich Shiatsu oder einen bestimmten Aspekt von Shiatsu noch nicht betrachtet hatte. Das kann eine kontroverse Meinung gewesen sein, die mich zum Reflektieren und Hinterfragen angeregt hat. Oder eine frische Neubetrachtung von bereits zu selbstverständlich gewordenen Routinen.

Von anderen lernen zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Dies lebenslang zu dürfen ein noch größeres Geschenk. Shiatsu bietet uns diese Möglichkeiten. Und dieses Buch will ebenso verstanden werden: als ein Angebot des Lernens, des Hinterfragens und des Vertiefens. Es ist ein Geschenk der führenden Shiatsu-Vertreter:innen an Dich. Eine Bestandsaufnahme von deren über Jahre zusammengetragenen und erworbenen Erfahrungsschatz. Es bewahrt diesen Schatz und möchte ein Buch sein, auf das man auf seiner individuellen Shiatsu-Reise immer wieder zurückgreifen kann, um Neues zu entdecken, Vertrautes wiederzuentdecken oder Bekanntes zu vertiefen. Es ist ein Angebot, mit den Meister:innen der Berührungskunst in Dialog zu treten.

Denn wenn es eine Essenz von Shiatsu gibt, dann ist es Kommunikation: die Kommunikation zwischen zwei Menschen. Und auch ein Buch ist eine Form von Kommunikation: zwischen der lesenden und der beitragenden Person. Was mich daher sehr freuen würde: Wenn dieses Buch generell zum Thema Kommunikation in der Shiatsu-Welt beitragen würde. Zur Kommunikation zwischen Praktizierenden, Lehrenden, Stilen und Schulen. Denn so unterschiedlich sich die Blüten von Shiatsu auch ausgeformt haben, klar ist, dass wir alle diese spezielle Form der Körperarbeit lieben und schätzen und mit ihr zum Wohle aller Lebewesen (zu denen man jeweils auch selbst zählt) beitragen wollen.

Wenn wir uns mehr austauschen, schaffen wir mehr Verbindung und mehr Verständnis für die Vielfalt Shiatsu. Wir alle können den Stamm und die Wurzeln von Shiatsu stärken, auf dass dieser Baum weiterhin so schön wachsen und sich entfalten kann wie bisher.

Danke, dass Du dieses Buch erworben hast. Es würde mich sehr freuen, wenn es zu lesen für Dich genauso eine Quelle der Inspiration ist wie seine Entstehung für mich!

Mike Mandl

ÜBER DIE AUSWAHL DER BEITRAGENDEN PERSONEN

Ja. Warum ist diese eine Person im Buch und jene andere nicht? Als Herausgeber fiel die Verantwortung für die Auswahl mir zu. Wobei mir bewusst war und ist: Allen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Schlimmer noch: Welche Auswahl an Beitragenden man auch immer trifft, niemand wird mit dieser hundertprozentig einverstanden sein. Jeder Mensch hat diesbezüglich andere Kriterien und Präferenzen.

Ich habe jedenfalls versucht, so viel Objektivität wie möglich in die Auswahl der Mitautor:innen einfließen zu lassen. Und daher beschlossen, anhand einiger neutraler Parameter vorzugehen und meine persönliche Meinung weitestgehend aus dem Spiel zu lassen …

Einige dieser Parameter waren:

Potenzielle Beitragende sollten mindestens 20 Jahre Shiatsu-Erfahrung aufweisen und einen maßgeblichen Beitrag zur internationalen Shiatsu-Szene geleistet haben.Sie sollten neben der Praxis- auch über Lehrerfahrung verfügen.Sie sollten repräsentativ für einen bestimmten Shiatsu-Stil stehen, um die Vielfalt möglichst umfassend abzubilden.Dazu galt es, eine gewisse geografische Streuung zu berücksichtigen wie auch eine Mischung zwischen Tradition und Moderne.

Last but not least habe ich ein ausgewogenes Verhältnis von Yin und Yang angestrebt.

Auf der Basis dieser Parameter erstellte ich eine Liste und schrieb die entsprechenden Vertreter:innen unserer Zunft an.

Aber nur, weil alle Parameter vorhanden waren, bedeutete dies nicht automatisch, dass die angeschriebenen Personen auch Zeit und Lust und Raum hatten, um an einem solchen Projekt mitzuarbeiten. Das war zu akzeptieren. Was ich persönlich schade finde: die Unausgewogenheit von Yin und Yang. Es gibt wesentlich mehr Beiträge von Männern als von Frauen. Geplant war eine ausgeglichene Balance. Leider waren zu wenige Meisterinnen zur Teilnahme bereit. Irgendwann muss man jedoch auch die Verantwortung für das reale Zustandekommen des Buches übernehmen und die Motivation zur Mitarbeit ebenfalls zu einem mitentscheidenden Parameter machen.

Nun, nach allen überwundenen Schwierigkeiten – das Zusammenstellen einer Anthologie ist keine einfache Sache, habe ich gelernt –, bin ich jedenfalls glücklich über das Ergebnis und möchte mich ganz herzlich bei allen bedanken, die viel Zeit und Geduld aufgebracht haben, um ihren Geist in Textform zu bringen und der Shiatsu-Szene auf diese Weise etwas mitzugeben.

ZUM AUFBAU DES BUCHES

Jeder beitragenden Person wurden die gleichen Fragen gestellt:

Was ist die Essenz von Shiatsu? Welche Grundprinzipien sind entscheidend?Was ist Ki und welche Rolle spielt es im Shiatsu?Welche Bedeutung haben die Meridiane im Shiatsu?Was ist die Grundidee des Hara im ShiatsuBraucht Shiatsu Diagnose?

Was zeichnet eine gute Praktikerin / einen guten Praktiker aus?Den Autorinnen und Autoren wurde es freigestellt, in welchem Umfang sie auf diese Fragen eingehen. Das resultierte naturgemäß in kürzeren und längeren Beiträgen. Diese wurden so gereiht, dass sich vor allem ein guter Lesefluss und eine inspirierende Abwechslung ergab; eine wie auch immer geartete Präferenz sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht werden. Ebenfalls freigestellt wurde ihnen die Art und Weise des Genderns: Doppelnennung, abwechselnde Verwendung der männlichen und weiblichen Formen, substantiviertes Partizip (Lehrende und Lernende) oder der Doppelpunkt (Praktiker:innen) kommen vor, und auch dabei wurde vor allem auf den stetigen Lesefluss geachtet.

Dasselbe gilt für die asiatischen Termini für Energie. Ob Qi, Ki oder auch Chi, je nach persönlichem Hintergrund und Bezugsrahmen kommen alle Varianten vor. Wer mehr von chinesischen Systeme geprägt ist, wird eher den Begriff Qi verwenden, während die klassische Shiatsu-Sprache eher Ki verwendet.

Aber nun genug der einleitenden Worte: Tauchen wir ein in die Essenz von Shiatsu!

IVAN BEL

Aufs Wesentliche konzentrieren, das Überflüssige loswerden

Ivan ist ein internationaler Shiatsu-Lehrer französischer Herkunft, Gründer von Ryōhō-Shiatsu sowie der NGO „Missions Shiatsu Humanitaire“, die sich für die weltweite Entwicklung von Shiatsu einsetzt. Er hat Shiatsu-Schulen in Belgien, Malawi und Bosnien gegründet. Darüber hinaus unterrichtet Ivan europaweit an vielen Schulen zu etlichen Shiatsu-Fachbereichen, die er mit seinen profunden Kenntnissen der Traditionellen chinesischen Medizin und den Erfahrungen aus seiner 40-jährigen Ausübung von Kampfkunst ergänzt und vertieft.

Eine seiner großen Leidenschaften ist die Beschäftigung mit der historischen Entwicklung von Shiatsu, deren Erforschung und Dokumentation er in der von ihm initiierten Gruppe „History of Shiatsu“ verfolgt. Sein Blog www.ryohoshiatsu.com ist in sechs verschiedenen Sprachen übersetzt und erreicht monatlich über 10.000 Leser:innen. Zudem ist Ivan Autor des Buches „L’Esprit du Shiatsu“, das auf Französisch, Italienisch und Englisch zu einem Standardwerk für viele Shiatsu-Studierende und -Praktizierende geworden ist.

Mehr über Ivan Bel findest Du hier:

FB Page: https://web.facebook.com/ivanbelshiatsu

Ryōhō-Shiatsu: https://www.ryohoshiatsu.com

Ryōhō-Shiatsu auf Instagram: https://www.instagram.com/ryoho.shiatsu

Ryōhō-Shiatsu auf YouTube: https://www.youtube.com/channel/UCdJpejY84nxPbkH0EUtDJSQ

Missions Shiatsu Humanitaire: https://www.msh-shiatsu.org

History of Shiatsu: https://web.facebook.com/groups/historyofshiatsu

„Das Wichtigste ist, zwei Menschen zusammenzubringen, die eine Zeit lang einen gemeinsamen Weg gehen.“

Was ist die Essenz von Shiatsu?

Eine komplexe Frage, die sofort weitere Fragen mit sich bringt: Über welche Essenz von Shiatsu sprechen wir eigentlich? Geht es dabei um praktische, konzeptionelle, historische oder spirituelle Aspekte? Oder geht es darum, was unsere Kunst denjenigen Menschen bringt, die eine Shiatsu-Behandlung erhalten? Wenn wir uns der Essenz von Shiatsu also annähern wollen, ist es wichtig zu wissen, wo wir stehen und wovon wir sprechen.

Beginnen wir daher mit den Wurzeln von Shiatsu, seiner historischen Essenz. Bis 1928 wurde das Wort Shiatsu (指圧) nie veröffentlicht und existierte daher in der allgemeinen Wahrnehmung einfach nicht. In diesem Jahr veröffentlichte der Anmashi (Spezialist für Anma) Kazuma Fukunaga das Buch „Chikara ōyō ryōhō“ (Krafttherapie), das einen Anhang mit dem Titel „Shiatsuhō“ (Shiatsu-Methode) enthält, in dem der Begriff „Shiatsu“ erstmals auftaucht. Dieses Buch ist mittlerweile vergriffen. Nur noch ein Exemplar befindet sich in der japanischen Parlamentsbibliothek.

Seit 1925 wird in Japan regelmäßig ein Buch über gängige Gesundheitsmethoden veröffentlicht, das bis heute fast 2.000 aktualisierte Ausgaben umfasst. Wegen der Farbe seines Einbands auch als „Rotes Buch“ („Akaihon“) bekannt, verfasste dessen Herausgeber Takichi Tsukuda in der Ausgabe von 1929 ein eigenes Kapitel mit dem Titel „Shiatsu“. So verbreitete sich der Name von Shiatsu in der Öffentlichkeit und war von besonderem Interesse für die Anmashi, die nach einer Möglichkeit suchten, ihr zunehmend schwindendes Ansehen in der Öffentlichkeit wieder zu steigern.

Angesichts des aufkeimenden Erfolgs des Begriffs Shiatsu, der allmählich die von der Anma-Massage abgeleitete Bezeichnung Appaku-hō (Drucktechnik) ablöste, veröffentlichte Kaisen Tanokura 1931 ein Buch mit dem Titel „Shiatsu ryōhō“ (Shiatsu-Therapie). In diesem integrierte er Aspekte der westlichen Wissenschaft ins Shiatsu, vor allem Anatomie. Diese Idee wurde von Fukunaga aufgegriffen, der seinen Autorennamen nun in Tenpeki Tamai änderte. Im Jahr 1939 veröffentlichte er das Werk „Shiatsu hō“ (Shiatsu-Methode), das eine gewisse Reichweite erlangte und dem Namen Shiatsu weiter den Weg ebnete. In der Einleitung zu diesem Buch erläutert Tenpeki Tamai, dass er seit 20 Jahren Shiatsu praktiziert. Wenn wir von dieser Aussage ausgehen, bedeutet dies, dass Shiatsu um 1919 geboren wurde – im Jahr 2019 feierten auch einige Länder den hundertsten Jahrestag der Geburt von Shiatsu. Auf jeden Fall setzte sich Shiatsu mit dem Buch „Shiatsu hō“ als neuartiger manueller Stil unter diesem neuen Namen durch und erlangte immer mehr Aufmerksamkeit, bis Shiatsu schließlich 1955 offiziell vom Japanese Ministry of Health and Welfare als Therapiemethode anerkannt wurde. Dies ist die historische Essenz des Begriffs „Shiatsu“, der „Fingerdruck“ bedeutet.

Was ist nun die konzeptionelle Essenz von Shiatsu? Die Antwort ist vielschichtiger als gedacht, denn Shiatsu liegen viele Konzepte zugrunde. Im Laufe der Jahrhunderte hat Japan viele populäre Heilmethoden entwickelt. Weit in die Geschichte zurückgehend, erschien es laut damaliger Auffassung wichtig, im Fall von Krankheit und Leiden böse Geister zu vertreiben, die das Gleichgewicht von Körper und Psyche störten. Eine Aufgabe, die dem Spezialisten für Verhexung, dem Jugonshi, übertragen wurde. Hier finden wir den schamanischen Einfluss in der japanischen Volksheilkunde. Diese Herangehensweise wurde auch noch gelehrt, als bereits Akupunktur, Moxibustion, Massage oder Diätetik zur medizinischen Ausbildung zählten. Im Laufe der Zeit verschwand jedoch die Vorstellung, es mit Geistern zu tun zu haben, und der Schwerpunkt verlagerte sich auf die Bedeutung und das Studium natürlicher Zyklen und Rhythmen. Es ging um gegensätzliche bzw. einander ergänzende Kräfte und Dynamiken, die im Wechsel der Jahreszeiten genauso zum Ausdruck kommen wie in den verschiedenen Phasen des menschlichen Lebens. Die Einflüsse von Umwelt, Beruf, Ernährung und Emotionen auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden standen nun im Mittelpunkt. Dieser Zugang kann als eine Art von Beobachtungsmedizin verstanden werden, die versucht, das Prinzip von Ursache und Wirkung auf möglichst vielen Ebenen zu verstehen. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen entwickelten sich sieben Thesen[1], die auch heute noch für Shiatsu prägend sind:

1. Der Mikrokosmos spiegelt sich im Makrokosmos und umgekehrt. Alles Große findet sich im Kleinen wieder. Alles Kleine findet sich im Großen wieder.

2. Die Umwelt prägt den Menschen. Ein Mensch, der in den Bergen lebt, wird nicht derselbe sein wie ein Mensch, der am Wasser lebt.

3. Alles ist Bewegung. Nichts ist zweimal dasselbe. Das einzig Gleichbleibende ist die konstante Veränderung. Ein Prinzip, das sowohl dem Buddhismus als auch dem Taoismus gemeinsam ist.

4. Bewegungen sind zyklisch. Das ist das Prinzip des Kreises. Aber da nichts immer gleich ist, gibt es eine ständige Entwicklung, wodurch sich eine spiralförmige Bewegung ergibt. Heute wissen wir, dass das Blut in unseren Adern, das Wasser in unseren Waschbecken, der Saft in unseren Bäumen und alle anderen Flüssigkeiten in spiralförmigen Bewegungen zirkulieren.

5. Krankheiten entstehen nicht spontan. Das tun nur Unfälle. Eine Krankheit ist immer das Ergebnis eines mehr oder weniger langwierigen Prozesses, der eine Wurzel, eine Ursache hat. Es ist diese Ursache, die ebenso behandelt werden muss wie die Symptome.

6. Der Körper heilt sich im Allgemeinen selbst. Wenn nicht, braucht er eine helfende Hand (Shiatsu) oder spezifische Wirkstoffe, um seine Selbstheilungskräfte zu stärken (zum Beispiel von Pflanzen). Praktizierende sind keine Heilenden. Sie sind lediglich externe, helfende Personen, die dieses natürliche Prinzip stimulieren.

7. Die beste Medizin ist oft die einfachste. Es mag überraschen, dass die einfache Anwendung von Fingerdruck auf den Körper diesen wieder gesund machen kann. Man muss es nur ausprobieren, um festzustellen, wie wirksam es ist.

Tokujirō Namikoshi (1905–2000), der großen Einfluss auf die Entwicklung und Anerkennung von Shiatsu in Japan hatte, bringt dies mit seinem berühmten Satz auf den Punkt: „Das Herz von Shiatsu ist wie das Herz einer Mutter; wenn wir drücken, lassen wir die Quellen des Lebens sprudeln“ („Shiatsu no kokoro haha no gokoro, oseba inochi no izumi waku“). In diesem Satz finden wir mehrere grundlegende Konzepte: dass Shiatsu mit Einfühlungsvermögen und Liebe praktiziert wird, dass die praktizierende Person nicht heilt, sondern die Kräfte der Selbstheilung aktiviert, und dass Freude aus diesem Prozess entsteht und ihn begleitet. Im letzten Kapitel seines Buches von 1939 sagt Tenpeki Tamai, dass man, um ein guter Praktiker zu sein, jeden Tag das Herz-Sutra rezitieren müsse, um einen Sinn für Mitgefühl zu entwickeln.

Nach der Geschichte und den Konzepten können wir nun versuchen, das Wesen von Shiatsu selbst zu definieren. Es gibt viele verschiedene Shiatsu-Stile, mindestens hundert nach meinem Wissensstand. Und obwohl die Art und Weise, wie die Behandlungen angegangen werden, von einem Stil zum anderen variiert, gibt es doch gemeinsame Prinzipien, insbesondere den Fingerdruck betreffend. Dieser sollte senkrecht, kontinuierlich und stabil sein. Diese Begriffe werden auch in der japanischen Definition von Shiatsu durch das Gesundheitsministerium verwendet. Egal, welcher Körperteil berührt wird, der Druck sollte immer senkrecht zur anatomischen Zone und auf das Zentrum dieser Zone gerichtet sein. Der Begriff „kontinuierlicher Druck“ bedeutet, dass der Druck konstant und ohne ruckartige Bewegungen ausgeübt wird und dass er je nach gewünschter Wirkung unterschiedlich lange aufrechterhalten werden kann. Fast alle Shiatsu-Stile stimmen auch darin überein, dass der Druck in drei Stufen ausgeübt wird:

1. Der Finger wird mit der Person in Kontakt gebracht. Dies ist die Phase der Druckpunktberührung (Tsubo).

2. Der Druck wird ausgeübt – ohne Muskelkraft, vielmehr durch Verlagerung des Körperschwerpunkts –, bis das Gewebe des behandelten Körpers Widerstand leistet.

3. Die Druckentlastung erfolgt durch das Zurückziehen des Körperschwerpunkts.

Stabiler Druck bedeutet, dass der oder die Finger in einer Position gehalten werden, was nicht so einfach ist, wie man denken könnte. Aber genau darum geht es ja bei Shiatsu. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen. Stabiler Druck ermöglicht es dem Gewebe, den Druck ungestört aufzunehmen, sodass sich in Folge das Nervensystem entspannen kann. Zudem wird Shiatsu mit Kleidung praktiziert und nicht auf der Haut. Kleidung verrutscht wesentlich leichter, also ist es logisch, dass der Druck stabil sein muss.

Shiatsu ist in erster Linie eine manuelle Technik, was bedeutet, dass wir keine Werkzeuge aus Holz, Metall oder Stein verwenden wie zum Beispiel im Fall von Guasha. Es ist die Arbeit eines Körpers an einem anderen Körper. Um den wesentlichen Teil der Technik auszuführen, werden Hände und Finger am häufigsten verwendet, auch wenn aufgrund der historischen Wurzeln von Shiatsu im Anma die Verwendung von Ellbogen, Knie oder Unterarm in bestimmten Stilen präsent ist. Aber nicht nur der körperliche Aspekt, auch die psychische, emotionale Komponente von Shiatsu ist von großer Bedeutung.

Erstens, weil es sich bei Shiatsu um eine Beziehung zwischen zwei Menschen handelt. Zweitens, weil es sich um eine therapeutische Beziehung handelt, in der die behandelte Person ihre Lasten, ihre Sorgen und ihre körperlichen Schmerzen offenbaren kann und bei der behandelnden Person ein aufmerksames Ohr dafür findet. Ein Shiatsushi (wörtlich „Shiatsu-Experte“) ist nicht in Psychotherapie ausgebildet, aber es ist durchaus so, dass er oder sie im Allgemeinen sehr gut zuhören kann. Empathisches Zuhören ist ein integraler Bestandteil von Shiatsu, denn jeder Mensch möchte im Rahmen einer Behandlung über sich selbst und seine individuellen Herausforderungen sprechen. Da unser Körper nicht von einer Form von Bewusstheit und von den mannigfaltigen Emotionen getrennt ist, ist auch die ganze Person, die wir behandeln, weit mehr als nur ihre Muskeln, Knochen und Gelenke.

Wenn wir nun die historische Geschichte, die Prinzipien der natürlichen Gesundheit, die manuelle Technik und grundlegende Konzepte zusammenfassen, können wir dann die Essenz von Shiatsu erfassen? Ich glaube nicht, denn die Essenz von Shiatsu ist nicht die Summe seiner Einzelteile. Shiatsu ist vor allem Begegnung, ein Prozess, der sich auf mehreren Ebenen abspielt. Es ist die Begegnung zweier Menschen, von denen der eine in Shiatsu ausgebildet ist, aber niemals wirklich weiß, was in der zu behandelnden Person vor sich geht. Und die Shiatsu empfangende Person hat wiederum von Shiatsu meist wenig Ahnung, spürt aber, dass etwas in ihrem Körper-Geist-System nicht im Gleichgewicht ist. Sonst hätte sie den oder die Shiatsushi nicht aufgesucht.

Am Beginn einer Sitzung steht oft ein Gespräch, dann folgt aber bald Stille, um dem Körper den entsprechenden Raum zu geben, um zu fühlen, ohne Sprache, ohne Projektion seitens der Behandelnden. Der Weg der Empfangenden ist ihr eigener, und die Shiatsushis sind letztlich nur als vorübergehende Hilfestellung da, die ruhig und achtsam einen möglichen (Aus)Weg zeigen, ohne die Sichtweise der Empfangenden beeinflussen zu wollen. Diese spezielle Form der Begegnung ist ein wichtiger Aspekt für die Jūsha, die empfangende Person, die vorwärts geht, um sich selbst zu finden. Es ist ein Weg, der mit sich selbst beginnt, über einen anderen Menschen – die gebende Person – führt, um dann wieder zur empfangenden Person zurückzukehren, die mithilfe von Shiatsu in der Lage ist, das zu enträtseln, was enträtselt werden muss. Wie kann das geschehen? Indem die gebende Person unterstützende Hilfe anbietet, um die Ressourcen des Verstandes, des Geistes, der Gefühle und des Körpers in der empfangenden Person in vollem Umfang zu erwecken und zu harmonisieren.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Dies mindert in keiner Weise die Fähigkeit, Kompetenz und Verantwortung von uns Praktiker:innen. Der praktizierenden Person ist es zu verdanken, dass alles beginnt. Wenn der Mensch, der zu uns kommt, leidet, dann deshalb, weil er keine Lösung findet, um sich selbst zu heilen. Es sind also sehr wohl die Praktiker:innen, die helfen. Nehmen wir das Beispiel von jemandem, der sich das Bein bricht. Die Knochen würden auch ohne Hilfe wieder zusammenwachsen, aber nicht unbedingt auf die bestmögliche Art und Weise. Ein Arzt oder eine Chirurgin kann die Teile ausrichten, eine Schiene oder einen Gips anfertigen, sodass die Knochen in ihrer natürlichen Form heilen können.

Auch wenn Shiatsu keine Verbände anlegt, bedeutet dies nicht, dass es nicht wichtig ist, den natürlichen Energie-Fluss und die Ausgeglichenheit des Nervensystems wiederherzustellen, Muskelverspannungen zu lösen, Gelenke zu mobilisieren oder Traumata zu bewältigen. An diesem Punkt müssen Shiatsu-Therapeut:innen erkennen, dass sie sowohl diejenigen sind, die in das psychophysische Körpersystem der anderen Person eingreifen, als auch diejenigen, die die Natur dazu anregen, ihre ursprüngliche Harmonie wiederzuerlangen.

Die Essenz von Shiatsu ist daher meiner Meinung nach dieser Moment der gemeinsamen Reise, dieser stille Dialog, in dem die eine Person der anderen hilft, die Mittel zu finden, um sich selbst zu heilen, und der Klient der Praktikerin wertvolle Einsichten ermöglicht, um in seiner Praxis zu wachsen. Manchmal kann sich diese Begegnung über einen langen Zeitraum erstrecken, manchmal kann sie sehr emotional werden. Manchmal nicht. Aber das spielt keine Rolle. Das Wichtigste ist, zwei Menschen zusammenzubringen, die eine Zeit lang einen gemeinsamen Weg gehen.

Welche Grundprinzipien sind im Shiatsu entscheidend?

Ein Prinzip repräsentiert eine übergeordnete Instanz. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen.

1. Shiatsu basiert auf Grundprinzipien, die es unterstützen und leiten.

2. Diese Prinzipien sind so grundlegend, dass wir sie oft auch als universelle Gesetzmäßigkeiten betrachten können.

Im Shiatsu finden wir technische Prinzipien, wie die Art und Weise der Druckausübung, die Tiefe des Drucks, den richtigen Moment, um mit dem Druck aufzuhören, den Rhythmus der Behandlung, die Arbeit mit beiden Händen, das Hören auf die Hände, die Körperhaltung, die Aspekte der Zentrierung, der Stabilität und der vertikalen Ausrichtung. Wir können auch an die Bedeutung der Atmung, des Spürens und der Abwesenheit von Kraft denken. Allein die Liste der technischen Prinzipien ist unfassbar lang.

Zudem gibt es innere Prinzipien wie Einfühlungsvermögen, innere Stärke, Überblick, Wachsamkeit, Aufmerksamkeit, Distanz, die Rolle des Herzens, Begegnung, Trennung und Kontinuität der Arbeit und noch viele mehr. Man könnte meinen, dass es Zeitverschwendung ist, all dies zu studieren oder nur darüber zu lesen, aber in Wirklichkeit sind dies die Grundlagen für die angewandte Technik. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Viele Shiatsu-Schulen unterscheiden sich voneinander durch den Rhythmus, den sie ihrem Druck geben. Martialische Shiatsu-Schulen wie das Kōhō-Shiatsu können recht schnell sein, mit einem Druck von circa einer Sekunde. Die Namikoshi-Schule hat einen durchschnittlichen Rhythmus von drei Sekunden gewählt. Die Iokai-Schule arbeitet mit teils noch längeren Intervallen. Der Rhythmus ist ein technischer Aspekt.

Alle Schüler:innen lernen den jeweiligen Rhythmus ihres Stils und kennen meist nur diesen einen. Studiert man jedoch das Prinzip des Rhythmus, stellt man fest, dass jede Variante gewisse Vorteile hat, die die anderen nicht haben. Ein schneller Rhythmus belebt, ein mittlerer Rhythmus entspannt, und ein langsamer Rhythmus lässt einen in die Tiefe des Gewebes abtauchen. Das Studium des „Rhythmusprinzips“ gibt der übenden Person mehr Freiheit, einen technischen Aspekt auf verschiedene Arten auszuführen und dessen praktischen Nutzen zu verstehen. Dank dieses Verständnisses ist die praktizierende Person in der Lage, den Rhythmus ihrer Behandlung an die gewünschte Wirkung anzupassen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: die Beobachtung. Die Beobachtung einer Person als Teil der Diagnose im fernöstlichen bzw. energetischen Sinn beginnt nicht erst auf der Matte. Sie beginnt mit dem Klingeln an der Tür, mit der Art und Weise, wie die Person hinter der Tür steht, mit ihrem Händedruck, dem Tonfall ihrer Stimme … Wie sie geht, atmet, sitzt, ihre Probleme erklärt, ihre unbewussten Gesten, die Kleidung, die sie trägt, deren Qualität und ob sie gut gepflegt ist, die Gerüche, die sie verströmt, die Falten in ihrem Gesicht – alles ist von Bedeutung!

Wenn man jemandem helfen will, muss man ihn ruhig und aufmerksam beobachten, bis ins kleinste Detail. Dadurch erhält man eine Fülle von Informationen, die im Laufe der Sitzungen helfen, die Person besser zu verstehen und zu begleiten. Das bedeutet jedoch nicht, die Person zu kategorisieren und Menschen in Schubladen zu stecken. Die aus der Beobachtung gewonnenen Informationen bestätigen oder widerlegen eine Intuition, ob in Bezug auf ein Symptom oder einen Prozess. Je mehr Informationen wir sammeln, desto klarer können wir in den Shiatsu-Sitzungen Entscheidungen treffen.

Wie gehen wir eigentlich eine Sitzung an? Anfänger:innen machen oft bei mehreren Behandlungen das Gleiche. Sie wenden jenen Bewegungsablauf (Kata) an, den sie in ihrer Schule gelernt haben. Das ist kein Problem, aber nach einer Weile kann dies sowohl langweilig als auch entfremdend sein. In Wirklichkeit wird ein Bewegungsablauf den Schüler:innen vor allem als pädagogisches Mittel angeboten, um eine mehr oder weniger lange Abfolge zu erlernen und ihre Körper in der Praxis von Shiatsu zu trainieren. Aber eine Kata enthält ein ganzes Alphabet an Informationen, das man erst verstehen lernen muss, um es richtig anwenden zu können. Erfahrene Praktiker:innen können eine Kata als Grundlage verwenden, werden sie aber an das jeweilige Problem anpassen. Wenn die Kata also damit beginnt, dass die empfangende Person auf dem Bauch liegt, dies aber für die Behandlung nicht von Bedeutung ist, wird sie stattdessen am Rücken liegend behandelt. Das ist gesunder Menschenverstand.

Mithilfe dieser wenigen Beispiele können wir verstehen, warum es heißt, dass die Prinzipien befreien, während die Technik einen festhält. Wie oft haben wir gehört, dass die einzig wirkliche Art, Shiatsu zu praktizieren, dieser oder jener Weg ist? Diese Haltung bindet die Praktizierenden – und auch die Lehrenden – an Richtlinien, die zu verkrampften Haltungen und letztlich zu Konflikten zwischen Shiatsu-Schulen führen. Der beste Weg, diese Situation zu lösen, besteht darin, die der Technik zugrunde liegenden Prinzipien zu verstehen. Auf diese Weise bietet man den Praktizierenden mehr Freiheit in ihrer Praxis und sendet eine wichtige Botschaft aus: Die Schüler:innen sollten nicht das Shiatsu ihrer Lehrer:innen praktizieren, sondern dasjenige, das mit dem sie am besten in Resonanz gehen. Dasjenige, in dem sie ihre eigene Persönlichkeit, ihre eigene Menschlichkeit ausdrücken können.

Um also die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, es gibt Grundprinzipien. Und zwar viele. Diese Grundprinzipien betreffen äußere und innere Techniken, aber nicht nur das. Nehmen wir zum Beispiel das Prinzip des „Ki musubi“ oder „einen Knoten binden / mit Ki binden“. Dieser Begriff aus dem Shintoismus bringt zum Ausdruck, dass Natur und Mensch miteinander verbunden sind. Dieses Prinzip hilft, diese Verbindung zu erkennen, denn es ist die Basis, um Ki zum Fließen zu bringen (Ki nagare), Ki zusammenzuführen (Ki awase) und Ki zu trennen (Ki hazushi). Und das ist weit mehr als nur ein technischer Aspekt.

Was ist Ki und welche Rolle spielt es im Shiatsu?

Das ist ein umfangreiches Thema und gleichzeitig Gegenstand vieler Missverständnisse, insbesondere zwischen der medizinischen und der energetischen Welt, aber auch zwischen den verschiedenen Stilen von Shiatsu. Und doch ist es ganz einfach …

Im Fernen Osten ist das philosophische Denken dynamisch und basiert auf Bewegung und Fluss. Die Qualitäten von Yin und Yang kreieren einen ständigen Änderungsprozess in allen Erscheinungsformen, ob in der Dreiheit von Erde, Mensch und Himmel, in den vier Jahreszeiten, den fünf Bewegungsrichtungen, den sechs Schichten usw. Im weiteren Sinne geht es darum, dass auf allen Ebenen des Kosmos, der Erde, der Umwelt, der Beziehungen zwischen den Menschen und im menschlichen Körper „etwas“ zirkuliert. Gesundheit ist der Zustand der freien und harmonischen Zirkulation dieses „Etwas“ und Krankheit ist das Ergebnis von Stagnation, Überschuss oder Mangel an demselben „Etwas“. Die alten Chinesen nannten dieses „Etwas“ Qi.

Im Westen hat das von den alten Griechen initiierte philosophische Denken unsere Welt geprägt, allerdings auf eine ganz andere Weise. Für sie waren alle Phänomene erklärbar und beweisbar, wenn man sie nur lange genug und mit den richtigen Mitteln studierte. Die ersten Philosophen waren zusätzlich Geometer, Mathematiker, Astrologen und später Physiker. Die Wissenschaft – im weitesten Sinne des Wortes – ist die Frucht dieser Philosophie. Da alles genau beobachtet werden muss, wurde im Bereich der Medizin der Körper schon in frühen Zeiten geöffnet, um zu verstehen, wie er aufgebaut ist. Andererseits sagt die Betrachtung eines toten Körpers nichts über dessen Vitalität zu Lebzeiten oder die in ihm dann ablaufenden Prozesse aus, nichts über die Bewegung des Blutes, des Herzens oder der Verdauung. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich eine feste Vorstellung vom Körper, die in Systeme unterteilt war, und der Arzt wurde zum Spezialisten für eines dieser Systeme oder sogar nur für eines der Organe.

Das Ergebnis ist, dass es heute ein scheinbar unvereinbares Unverständnis zwischen westlicher und östlicher Medizin gibt. Dabei sind sie sich sehr ähnlich. Auch die westliche Wissenschaft hat diverse Arten von Energie definiert, die alle im menschlichen Körper vorhanden sind, wie zum Beispiel die thermische Energie. Unser Körper hat eine durchschnittliche Temperatur von 37 °C. Wir erzeugen jeden Tag eine Menge Wärme. Wir bewegen uns auch jeden Tag. Das führt uns in den Bereich der kinetischen Energie. Dreimal am Tag bauen wir Nahrungsmoleküle ab, um unsere Zellen zu ernähren. Mehr noch: Jedes Mal, wenn wir ein Hormon bilden, umwandeln oder abbauen, handelt es sich um Chemie, um chemische Energie. Wir finden in unserem Körper auch elektrische Energie, denn unser Gehirn und unser Nervensystem arbeiten mit elektrischen Impulsen. Wir sind intern sehr gut verdrahtet, um schnell zwischen dem Gehirn und unseren Zehen zu kommunizieren.

Alle Materie besteht aus Atomen. Auch der menschliche Körper. Milliarden und Abermilliarden von Atomen rotieren in uns und erzeugen so Schwingungen. Schwingung ist eine Welle. Wellen sind Träger von Energie. Wenn Du Dein Auto auf einer abschüssigen Straße parkst, ziehst Du die Handbremse an. Das Auto könnte losfahren, tut es aber nicht. Aber es besteht die Möglichkeit, dass es losfährt. Es beinhaltet potenzielle Energie. Im menschlichen Körper wird diese Handbremse als Schlaf bezeichnet. Wir schalten den Körper auf Pause und am nächsten Tag sind die Batterien wieder aufgeladen. Wir haben das Potenzial, den nächsten Tag in Topform anzugehen.

Überhaupt: Emotionen sind großartige Motoren. Wer ist nicht schon einmal zur Liebe seines Lebens gerannt, ohne sich dabei müde zu fühlen? Auch Überzeugungen und Glaube sind starke Antriebskräfte. Wenn wir sagen, dass „der Glaube Berge versetzt“, dann deshalb, weil für diejenigen, die glauben, nichts unmöglich ist. Willkommen im Bereich der psychischen Energie. Die Wissenschaft ermöglicht es den Menschen im Westen, jede Energieart thematisch zu unterteilen und zu analysieren, aber im Grunde geht es immer um dasselbe. Für die alten Chinesen ist all dies in dem Konzept von Qi – oder Ki auf Japanisch – enthalten.

Qi findet sich übrigens im Wörterbuch unter der Übersetzung „Gas, Luft, Vakuum“ und in dem Kontext, der uns interessiert, unter dem Wort „Atem“. Wenn ein Chinese jemanden sieht, der ganz rot ist und schwitzt, wird er sagen, dass diese Person viel Qi hat. Wenn ein Kind sehr unruhig ist und sich ständig bewegen muss, würde man sagen, dass es viel Qi hat. Wenn ein Mensch voller Ideen, Fantasie und Erfindungsreichtum ist, hat er ebenfalls viel Qi. Wenn er gut schläft und seinen Tag in Bestform beginnt, bedeutet das starkes Qi. Wenn er gut verdaut und einen perfekten Stuhlgang hat, ist das sogar ein Zeichen für hervorragendes Qi. Kurz gesagt, was auch immer geschieht, es lässt sich auf Qi zurückführen.

Das Zeichen für Qi stellte ursprünglich die Sonne und das Feuer als Ursprung des Phänomens dar, das Dampf erzeugt. Dann verschwanden die Sonne und das Feuer aus dem Zeichen und wurden durch Reis ersetzt, der beim Kochen Dampf freisetzt und den Deckel des Kochgeschirrs zurückdrängt. Dies wird mit dem neueren Zeichen für Qi (氣) erklärt. Diesem Zeichen fehlen jedoch zwei entscheidende Aspekte: das Vorhandensein von Wasser und Feuer. Für Chinesisch- und/oder Japanisch-Kundige besteht jedoch keine Notwendigkeit, dies im Schriftzeichen zu vermerken, denn alle wissen, dass Reis (米) mit Wasser und Feuer gekocht wird. Daher das Vorhandensein des Zeichens für gekochten Reis im Qi-Zeichen. Außerdem weist es darauf hin, dass Energie aus Nahrung entsteht. Auf der Ebene der menschlichen Biologie entsteht Energie durch die Verdauung von Nahrung, wobei in den meisten asiatischen Ländern Reis das Hauptgetreide in der Ernährung ist. Auf universeller Ebene sind es jedoch die Sonne und das Wasser, die Energie und somit Leben hervorbringen.

Unter kommunistischer Vorherrschaft vereinfachte China seine Schrift, um sie für das Volk leichter erlernbar zu machen. So wurde das Reiszeichen entfernt, was zu einer dritten Version des Zeichens führte: 气. Auch hier gibt es eine interessante semantische Entwicklung, denn der Dampf, das Qi, entsteht aus dem Nichts, genauer gesagt aus der Leere. Dies ist ein überraschend modernes Zeichen, denn die klassische Regel der chinesischen Schrift lautet, dass alle Wörter in ein Rechteck passen, ausgewogen und stabil sein müssen. Hier sehen wir jedoch, dass dieses Zeichen nicht mehr im Gleichgewicht ist, sondern auf einem Bein steht. Wenn es nicht mehr stehen kann, wird es fallen und Bewegung erzeugen. Die Leere erzeugt Bewegung, die Qi erzeugt. Dieses Zeichen ist also nicht nur eine Vereinfachung, sondern verweist auf eine grundlegende taoistische Vorstellung, nämlich die der Leere als Ursprung von allem.

Im Shiatsu ist diese Vorstellung von Qi bzw. Ki von grundlegender Bedeutung für das Verständnis dessen, was in einem lebenden Körper vor sich geht. Das Leben ist das Ergebnis einer riesigen Anzahl von Interaktionen und Bewegungen. Alle anatomisch-physiologischen Systeme haben damit zu tun. Das Atmungssystem umfasst mechanische Bewegung, Gasaustausch, Hormone oder elektrische Impulse … Das Gleiche gilt für das Herz-, Nerven-, Muskel-, Knochen- und das Verdauungssystem. Nach östlicher Auffassung ist es das Qi, das alles entwickelt, umwandelt und zirkulieren lässt. Wenn dieser Kreislauf im Ungleichgewicht ist, finden wir entweder Stagnation (im Japanischen Teitai), Überfluss (Jitsu) oder einen Mangel an Energie (Kyo). Man spricht auch von richtiger, harmonischer, ausgeglichener Energie (Seiki), sowohl innerlich als auch äußerlich. Oder von unausgewogener, nicht harmonischer Energie (Jaki).

Der Körper produziert eine Vielzahl von Signalen, die auf ein Ungleichgewicht hinweisen, lange bevor dieses spürbar wird oder feststellbare Symptome auftreten. Shiatsushis sind in der Lage, ein Ungleichgewicht zu behandeln, bevor es eine Krankheit auslöst. Keine Krankheit entsteht spontan. Krankheiten sind Prozesse, die entstehen und sich entwickeln. In der westlichen Medizin werden Krebserkrankungen im Idealfall im Stadium 0 erkannt, in dem der Tumor noch nicht ins umliegende Gewebe eingewachsen ist, allzu oft aber auch erst in deutlich späteren Stadien (3, umliegende Lymphknoten befallen, oder 4, Metastasen liegen vor). Energetiker:innen sind jedoch in der Lage, einzugreifen, bevor die Krankheit auftritt, bevor sie einen Namen erhält. Energetiker:innen wissen dafür meist nicht, welche Krankheit sich hinter den von ihnen wahrgenommenen Signalen versteckt. Aber sie sind in der Lage, die Homöostase des Körpers wiederherzustellen, das Qi – oder die Energien aus westlicher Sicht – wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch in fortgeschrittenen Stadien die Energie ausbalancieren können, also wenn sich die Krankheit bereits im Körper manifestiert hat. In solchen Fällen ergänzen sie die westliche Medizin. Bei der Vorbeugung können sie jedoch ganz unabhängig von dieser wirksam sein. Deshalb spielt Shiatsu eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von Krankheiten und der Erhaltung der Gesundheit. Aber bleiben wir bescheiden und erinnern wir uns an das chinesische Sprichwort „Gesundheit ist kein gutes Omen“, denn nichts ist ewig und alles ist in Bewegung.

Welche Bedeutung haben die Meridiane im Shiatsu?

Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten. Die korrekteste Übersetzung des japanischen Wortes „Keiraku“ oder des chinesischen Wortes „Jīngluò“ ist „Kanäle“, ein Erbe der alten chinesischen Medizin. Es gibt in der TCM in Summe 72 Meridiane[2]. Im Shiatsu studieren wir jedoch meist die zwölf Hauptmeridiane und die acht außerordentlichen Gefäße. Jeder Shiatsu-Stil setzt hier einen anderen Schwerpunkt. Dies bringt uns noch einmal zurück zur Geschichte der Entwicklung von Shiatsu und den drei japanischen Hauptzweigen.

Der erste ist der klassische Zweig, auch als „martialisches Shiatsu“ bekannt. Ein Shiatsu-Stil mit Kampfsporthintergrund. Es wird mit Kyusho (Vitalpunkten) sowie Kuatsu (Wiederbelebungstechniken) gearbeitet. Als die Kampfkunstschulen (vor allem Hakkō ryū Jujutsu und Jigen ryū Jujutsu) Anma und später Shiatsu übernahmen, behielten sie die Tradition bei, die Meridiane zu nutzen, um die Genesung zu unterstützen, die Kampfkünste Ausübenden von Schmerzen zu befreien und sie gegebenenfalls sogar wiederzubeleben. Sie haben auch Aspekte der Anatomie, der Osteopathie, der Bandagen und der Schienen übernommen, um die durch das harte Training lädierten Sportler:innen zu betreuen. Man könnte sagen, dass dies der traditionelle Zweig von Shiatsu ist, in dem Sinne, dass er das Wissen der klassischen chinesischen Medizin bewahrt hat, die in Japan auch als Kampo-Medizin bekannt ist.

Der zweite Zweig ist der sogenannte moderne Zweig, auch bekannt als „anatomisches Shiatsu“. Um in einem von den USA besetzten Japan praktizieren zu können, mussten Heilkunde-Schulen alles loswerden, was für den westlichen Geist zu obskur oder zu schwer zu verstehen schien, vor allem die Energetik. Der Schwerpunkt des Unterrichts lag nun auf Anatomie, Physiologie und Pathologie, zusätzlich zur Technik des Fingerdrucks. Dieser Prozess der Loslösung von der Tradition war bereits im ersten Buch von Tenpeki Tamai, der den Begriff „Shiatsu“ geprägt hat, zu beobachten. So konnten diese Schulen (Namikoshi usw.) schließlich die offizielle Anerkennung durch das japanische Gesundheitsministerium erlangen – der einzigen Institution, die ein staatliches Diplom verleihen darf.

Der traditionelle und der moderne Zweig entwickelten sich beide in den 30er, 40er und 50er Jahren unter dem Einfluss von Okuyama Sensei auf der einen und Namikoshi Sensei auf der anderen Seite. Der dritte Zweig entwickelte sich ein paar Jahrzehnte später, zwischen Ende der 60er und den 70er Jahren. Er kann als neotraditionell bezeichnet werden, da er die Rückkehr der Meridiane in die Praxis einläutete. Ausgelöst durch die Forschungen von Shizuto Masunaga, verbreitete sich dieser Stil rasch in der westlichen Welt, wo er zum dominierenden Stil wurde. Aber wie alles in Bewegung ist, führte Masunagas Vision dazu, dass sich auch andere Zugänge entwickelten, um mit den Meridianen zu arbeiten. Wie zum Beispiel bei Ted Saito in Kanada, Wataru Ohashi in den USA oder Ryokyu Endo in Japan, von denen jeder dem Gebäude neue Ideen hinzufügte. Dann folgten die Westler den japanischen Meistern. Heute sind wir Zeugen von immer mehr Kreationen und Innovationen in der Interpretation und der Anwendung von Meridianen im Shiatsu. Dies zeigt sowohl die Vitalität von Shiatsu als auch das vielseitige Gesicht von Meridianen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Shiatsu durch diese enorme Vielfalt sukzessive verzerrt wird und sich dadurch weit von seinen Wurzeln entfernt, sodass es irgendwann einmal schwierig sein könnte, Shiatsu weiterhin Shiatsu zu nennen.

Es ist daher wichtig, die Geschichte von Shiatsu zu kennen. Ein Studium der Kata-Diagramme von Namikoshi zeigt, dass die verwendeten Tsubos meist entlang der Meridianlinien aufgebaut sind, auch wenn Namikoshi nicht mit Meridianen, sondern mit Punkten arbeitet. Letzten Endes können wir also sagen, dass alle Zweige von Shiatsu auf dem Prinzip der Meridiane basieren.

Wie ich eingangs dargestellt habe, ist es ziemlich einfach, der wissenschaftlichen Welt zu erklären, was Ki ist. Komplizierter wird es hingegen, wenn man zu erklären versucht, dass dieses Ki durch Kanäle und mit einer bestimmten Richtung fließt. Es reicht nicht aus, nur darüber zu reden, man muss die Kraft von Ki visuell demonstrieren können, denn Wissenschaftler:innen sind im weiteren Sinn alle geistige Nachfahren des heiligen Thomas, der sagte: „Ich glaube nur, was ich sehe“. Deshalb legen wir bei öffentlichen Demonstrationen von Ryōhō-Shiatsu großen Wert darauf, die unmittelbare Wirkung der Meridiane und Punkte auf den physischen Körper visuell darzustellen und die Teilnehmenden aufzufordern, die Übungen selbst durchzuführen, um sich davon zu überzeugen. Es dauert nur ein paar Sekunden, um die Realität der Meridiane zu verstehen. Im Moment stehen wir also vor dem Rätsel von etwas, das eine unmittelbare Wirkung hat, das aber niemand wissenschaftlich versteht.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir einen westlich-naturwissenschaftlichen Weg finden, ihre Existenz nachzuweisen. Wir wissen, wie man alle Arten von Wellen und elektrischen Kreisläufen misst, auch am und im Körper. Wir kennen die Piezoelektrizität, die durch die Bewegung der Faszien erzeugt wird. Wir sollten in der Lage sein, die Wege von Energie im Körper zumindest teilweise zu erklären, und zwar mithilfe von Instrumenten, die erst noch erfunden werden müssen. Aber an dem Tag, an dem wir das tun, werden wir erkennen, dass dies trotzdem nur eine begrenzte Sicht auf ein großes Phänomen ist, denn nichts kann das Leben in seiner ganzen Komplexität beschreiben. Wie Laozi sagte: „Das Tao, von dem man sprechen kann, ist nicht mehr das ewige Tao“.

Unabhängig davon, ob wir unser Wissen über die Meridiane bewusst einsetzen oder nicht, ist die praktizierende Person in Kontakt mit einem Fluss, der im Körper zirkuliert. Vor allem, wenn wir uns die Zeit nehmen, langsamer zu werden und auf die Empfindungen zu hören, die von unseren Fingern und Händen ausgehen. Je nachdem, wo man Hände oder Daumen ansetzt, sind Intensität, Variabilität und Tiefe des Energieflusses unterschiedlich. Auf diese Weise lernen wir nach und nach die Natur der Meridiane kennen. Versuche doch einfach, Deinen Daumen auf den Lebermeridian zu legen und dort gut fünf Minuten zu verweilen, etwa auf Höhe des Oberschenkels. Dann wiederhole den Vorgang, aber auf der anderen Seite des Oberschenkels, auf dem Gallenblasenmeridian. Du wirst sehr schnell feststellen, dass die gesammelten Empfindungen keineswegs dieselben sind. Idealerweise sollte dieser Test mit einer gesunden Leber und Gallenblase durchgeführt werden. Ki-Störungen (Stagnation, Leere, Überfluss) sind ebenfalls sehr deutlich, aber sie verändern die Wahrnehmung der Situation.

Wenn man beginnt, den Meridianen zu folgen, ist man sich anfangs meist nicht sicher, warum man zu diesem oder jenem Punkt im Körper geht. Mit ein wenig Übung merkt man, dass ein Punkt zum Beispiel hart, verspannt oder schmerzhaft ist. Ein Punkt in einer ganzen Reihe von Punkten. Warum gerade dieser Punkt? Hat er eine Auswirkung auf die gesamte Bahn? Auf das Organ, das mit ihm verbunden ist? Anfänger:innen können diese Fragen nicht wirklich beantworten. Andererseits werden uns die Empfänger:innen mitteilen, wie sie sich fühlen, wenn der Punkt gelöst ist, was im Allgemeinen auf Entspannung, eine bessere Verteilung von Wärme im Körper oder eine geringere physische und psychische Anspannung hinweist. All diese Signale sind Beweise: Es funktioniert. Als ich Student war, verstand ich nicht wirklich, was ich tat, aber ich musste zugeben, dass es Ergebnisse gab. Erst mit den Jahren und einem tieferen Studium der Punkte und Meridiane, der Energiequalitäten und ihrer Zirkulation, begann ich besser zu verstehen, was vor sich ging.

Heißt das, dass die Meridianbehandlung ein Allheilmittel ist? Das kommt ganz darauf an, was man erreichen will. Wenn man einen Wirbel neu positionieren will, wird es wahrscheinlich lange dauern, wenn man nur Akupunkturpunkte verwendet. Anatomische Kenntnisse, Muskelentspannung, Dehnung und Mobilisierung sind diesbezüglich viel effektiver. Wenn man aber will, dass der Wirbel langfristig an seinem Platz bleibt und sich nicht wieder in die falsche Richtung zurückbewegt, dann ist die Arbeit mit den Meridianen interessanter. Umgekehrt reicht es bei Depressionen nicht aus, sich nur um den physischen Körper zu kümmern; die Wiederherstellung des Ki-Gleichgewichts in den Meridianen wird mittel- oder sogar kurzfristig viel interessantere Auswirkungen haben. Man muss also wissen, was man tut, denn es gibt kein Allheilmittel.