Die Exerzitien - Ignatius von Loyola - E-Book
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Die Exerzitien E-Book

Ignatius von Loyola

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Beschreibung

Innere Unabhängigkeit, Strenge und Gehorsam: Dank dieser Prinzipien und einer hocheffektiven Organisation wurde der Orden der Jesuiten zur zentralen Kraft der Gegenreformation. Mit den Ignatianischen Exerzitien, die am Beginn der Ordensgründung standen, fand der unmittelbare Dialog zwischen Mensch und Gott seine Form. Heute sind die Exerzitien als geistliche Übungen ein spirituelles Angebot auch für Nicht-Christen. In ihrer klassischen Form als Praxis zwischen Gebet und Meditation auf eine Dauer von vier Wochen angelegt, geben sie eine Anleitung zur »Unterscheidung der Geister« – der Prüfung der eigenen Gedanken auf ihre Herkunft hin: Stammen sie von mir, vom Guten oder aber vom Bösen? »Ars semper gaudendi. Diese Kunst ist die Praxis einer Entdeckung, um deretwillen allein das psychologische Genie Loyola sein Heiligtum verdient. Er stellte als Erster fest, dass der durch das Gewissen versehene Europäer umso mehr unter diesem Gewissen leidet, je stärker er an der Täuschung der eigenen Willensbestimmung festhält. Die Ausschaltung des freien Willens ist das vollendete Glück, dem Glück des Verliebten gleich, der zur Frau sagt, mach mit mir, was du willst.«          — Franz Blei

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Theologische Brocken 007

Ignatius von Loyola

Die ExerzitienGeistliche Übungen undTagebucheinträge

Aus dem Spanischen von Ferdinand Weinhandl

Mit einem Essay von László F. Földényi

Inhalt

Im Banne des authentischen Lebens László F. Földényi

Die Exerzitien

Aus dem geistlichen Tagebuch

Aus dem Pilgerbericht

Anhang Über Ignatius von Loyolas Leben und Werk

Papst Paulus III.

René Schickele

Franz Blei

Ferdinand Weinhandl

Ernst Bloch

Georges Bataille

Roland Barthes

Im Banne des authentischen Lebens László F. Földényi

»Und gehet, sagt J. Böhme, unser ganzes Lehren dahin, dass und wie man das von der Ewigkeit abgekehrte und in dieser Abkehrung vergiftete Leben dahin bringe, dass es mit seiner Begierde wieder in der Ewigkeit Wesen als in das in ihm Verschlossene eingehe.«

Franz von Baader, Fermenta cognitionis

»Einmal wohnte ich eine ganze Woche im Uttewalder Grund zwischen Felsen und Tannen, und in dieser ganzen Zeit traf ich keinen einzigen lebenden Menschen; es ist wahr, diese Methode rate ich niemandem – auch für mich war das schon zu viel.«

Caspar David Friedrich, Brief an Wassili A. Schukowski, am 23. Juni 1821

Die großen Kathedralen entstanden nicht von einem Tag auf den anderen. Sie sind das Ergebnis der Arbeit von Jahren, Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten. Diejenigen, die die Grundsteine gelegt hatten, bekamen das vollendete Werk nicht mehr zu sehen; denjenigen, die die Schlusssteine zuhauten, blieb hingegen die Gründung für immer verborgen. Die Generationen dazwischen waren wiederum Gefangene der Details und verschwanden spurlos, um von den vielen Toten, die im Lauf der Zeit von den Gerüsten stürzten oder von herabfallenden Steinen erschlagen wurden, gar nicht zu reden. Und doch erweckt das fertige Werk, und mag beim Bau noch so viel Zeit verstrichen sein, den Eindruck, als sei es von vornherein in seiner endgültigen Gestalt auf seinen Platz gestellt worden, in einem einzigen Augenblick, bewirkt durch einen großen WILLEN, der nur FIAT! gerufen hat und dabei Raum und Zeit überwand.

Den Eindruck einer Kathedrale erwecken auch Ignatius von Loyolas Exerzitien. Ihr Eröffnungssatz ist der erste Spatenstich zur Vorbereitung der Gründung, ihr letzter Satz bildet den Schlussstein. Und das Werk entsteht Schritt für Schritt mit ingenieurhafter Logik und Konsequenz, man sieht ihm nicht an, wie viel geistige Arbeit und seelische Anstrengung zu seiner Entstehung vonnöten waren. Denn Ignatius hat sein Werk gewiss durchlitten. Um es schreiben zu können, musste er die tiefsten Abgründe seelischer Verlorenheit genauso durchleben wie die nicht minder schweren und erschöpfenden Momente der Ekstase. Der kampferprobte, nach militärischen Ehren verlangende, den Freuden des Lebens frönende junge Mann wurde 1521, im Alter von dreißig Jahren, bei der Belagerung von Pamplona schwer verwundet und bat im Krankenhaus um etwas zu lesen. In seiner Autobiografie erinnert er sich – von sich in der dritten Person Singular schreibend – wie folgt: »Da er auf die Lektüre von Büchern mit weltlichem und erfundenem Inhalt schon immer versessen war [diesbezüglich ähnelte er übrigens der jungen Heiligen Teresa von Ávila] – man nennt sie gewöhnlich Ritterromane – und da er sich nun gesund genug fühlte, bat er um einige solcher Bücher, um sich damit die Zeit zu vertreiben. Jedoch fand sich in jenem Haus nichts von seiner üblichen Lektüre. Deshalb gab man ihm ein Leben Christi und eine Sammlung von Heiligenleben in spanischer Sprache.«1 Infolge seiner ritterlichen Erziehung und adeligen Herkunft drehten sich seine Gedanken aber nicht nur um Christus, sondern auch um eine scheinbar unzugängliche Dame (vermutlich Germaine de Foix, die Königin von Navarra, deren Knappe er früher war). »Er stellte sich nämlich vor, was er im Dienst einer Dame zu tun habe, wie er es anstellen könne, um an ihren Aufenthaltsort zu gelangen, was für schöne Verse und welche Worte er zu ihr sagen werde und was für Waffentaten er in ihrem Dienst vollbringen wolle. So ganz hingegeben war er an diese Vorstellung, dass er gar nicht darauf achtete, wie unmöglich ihre Verwirklichung war. Denn die Dame war nicht von gewöhnlichem Adel oder bloß Gräfin oder Herzogin, sondern ihr Stand war viel höher als all dieses.«2 Doch während er seine Tage im Banne der Unzugänglichen verbrachte, wurde er auf etwas Merkwürdiges aufmerksam: »Wenn er sich mit weltlichen Gedanken beschäftigte, hatte er zwar großen Gefallen daran; wenn er aber dann, müde geworden, davon abließ, fand er sich wie ausgetrocknet und mißgestimmt. Wenn er jedoch daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur noch wilde Kräuter zu essen und alle andern Kasteiungen auf sich zu nehmen, die, wie er las, die Heiligen auf sich genommen hatten, da erfüllte ihn nicht bloß Trost, solange er sich in solchen Gedanken erging, sondern er blieb zufrieden und froh, auch nachdem er von ihnen abgelassen hatte.«3 So wurde die Dame aus Fleisch und Blut allmählich vom Ideal des Ewig-Weiblichen abgelöst, was Ignatius aber alles andere als leicht fiel: Wie die Exerzitien zeigen werden, musste er dazu alle Abgründe der inneren Zerrissenheit überwinden.

So nahm der lange, mühsame Prozess der Bekehrung seinen Anfang. Aus dem Krankenhaus entlassen, machte er sich auf den Weg nach Montserrat, um in den Dienst Gottes einzutreten, und verhielt sich dennoch nach wie vor so, wie es später der in Dulcinea verliebte Don Quijote tun wird: »Da sein ganzer Sinn noch von jenen Geschichten des Amadís de Gaula und anderer Romane dieser Art erfüllt war, kamen ihm einige ähnliche Gedanken. Daher beschloß er, eine ganze Nacht lang vor dem Altar Unserer Lieben Frau vom Montserrat in seinen Waffen Wache zu halten, ohne sich niederzusetzen oder hinzulegen, teils aufrechtstehend, teils kniend.«4 Von seiner Krankheit noch nicht genesen, rang Ignatius, wie es eines Ritters würdig ist, um einen höheren Glauben, und es kam zu jenem Erlebnis, das als »mystischer Augenblick« bezeichnet werden kann. Denn nahe Manresa führte sein Weg zur Kirche den »Fluss entlang. In Andacht versunken, ging er so dahin und setzte sich eine kleine Weile nieder mit dem Blick auf den Fluß, der tief unten dahinfloß. Wie er nun so dasaß, begannen die Augen seines Verstandes sich ihm zu eröffnen. Nicht als ob er irgendeine Erscheinung gesehen hätte, sondern es wurde ihm das Verständnis und die Erkenntnis vieler Dinge über das geistliche Leben sowohl wie auch über die Wahrheiten des Glaubens und über das menschliche Wissen geschenkt. Dies war von einer so großen Erleuchtung begleitet, daß ihm alles in neuem Licht erschien. Und das, was er damals erkannte, läßt sich nicht in Einzelheiten darstellen, obgleich es deren sehr viele waren. Nur daß er eine große Klarheit in seinem Verstand empfing.«5 Noch Jahrzehnte später, am Ende seines Lebens, bekundet er, dass dieses Erlebnis ihm mehr gegeben habe als all die Hilfe, die er in zweiundsechzig Jahren von Gott erhalten hatte. »Dieses Ereignis war so nachdrücklich, daß sein Geist wie ganz erleuchtet blieb. Und es war ihm, als sei er ein anderer Mensch geworden und habe einen anderen Verstand erhalten, als er früher besaß.«6

Obwohl Ignatius dieses Erlebnis in den Exerzitien kein einziges Mal erwähnt, spricht alles dafür, dass es wohl den Kern des Buches bildete, jene zentripetale Kraft, die ihm seine endgültige Form verlieh, in den er vermutlich auch viel von seinen bereits früher entstandenen Notizen einarbeitete, die sich auf mindestens dreihundert eng beschriebene Seiten belaufen: »Er habe die Geistlichen Übungen nicht in einem Zug niedergeschrieben, sondern zunächst nur einige Punkte, die er in seinem Innern beobachtete und die er nutzbringend fand. Er habe geglaubt, sie könnten auch für andere Menschen von Nutzen sein, und daher habe er sie zu Papier gebracht.«7 Fünf Jahre später, 1526, muss das Werk bereits fertig gewesen sein, denn Ignatius wurde in Alcalá wegen der Neuartigkeit seiner Schrift von der Inquisition in Untersuchungshaft genommen. (Auch später in Paris wurde das Werk von der Inquisition begutachtet, wo ihm allerdings Lob zuteilwird.) 1527 prüften wohl auch die Kirchenbehörden in Salamanca das bereits fertige Manuskript, das aber nicht erhalten geblieben ist. Es existiert eine Kopie des Originaltextes auf Spanisch vom Anfang der 1530er Jahre, der von Ignatius durchgesehen und vermutlich auch genehmigt wurde. 1534 entstand die erste von Ignatius autorisierte Übersetzung auf Lateinisch. 1546 wird der Autor erneut Verfolgungen ausgesetzt, worauf der Herzog von Gandía, der spätere heilige Franz von Borja, ihm nahelegt, sich zwecks Genehmigung des Werkes an den Papst zu wenden. 1548 werden die Exerzitien, deren Verfasser zu jenem Zeitpunkt bereits seit acht Jahren der Generaloberer der von ihm selbst gegründeten Societas Jesu, des Jesuitenordens, war, von Paul III. genehmigt. Um diese Zeit, 1548, erschien es auch zum ersten Mal in Druck – wenn auch nicht in seiner Originalsprache, auf Spanisch, sondern in lateinischer Übersetzung.

»Non coerceri a maximo, contineri tamen a minimo divinum est.« Diesen Satz stellte Hölderlin 1797 als Motto an den Anfang von Hyperion oder Der Eremit in Griechenland, ohne die Quelle anzugeben. Doch drei Jahre zuvor, 1794, als er in Schillers Thalia das Fragment von Hyperion veröffentlicht hatte, hatte er den Satz in seiner Einleitung als »Sentenz in der Grabschrift des Loyola« zitiert. Auf Loyolas Grab in Il Gesù in Rom sucht man allerdings vergeblich nach einer solchen Aufschrift. Erst 1947 löste der Theologe Hugo Rahner das Rätsel: Flandrische Jesuiten hatten 1640 einen Band zur Erinnerung an Ignatius zusammengestellt, und darin war der Satz enthalten.

»Nicht vom Größten beherrscht zu werden, sich jedoch vom Kleinsten begrenzen zu lassen, ist göttlich.« Diesen Satz hätte auch Ignatius zum Motto seines Buches wählen können. Dieses entsprang einer tiefen, seelischen Krise. Lange hatte Ignatius zwischen Selbsthass und Schwärmerei für Christus geschwankt, mal langweilten ihn die seelischen Dinge, war er nicht einmal fähig zu beten, dann wiederum schienen sie ihm alle Traurigkeit von den Schultern zu nehmen, in diesen Momenten fühlte er sich unendlich frei. Derart ständig hin- und hergerissen vermochte er allerdings so wenig seinen Frieden zu finden, dass in Manresa »in dieser Seelenverfassung [...] ihm oftmals gar heftige Versuchungen [kamen], sich durch ein großes Loch, das im Boden der Zelle war, in die Tiefe zu stürzen«.8 Man kann die Exerzitien sogar als etwas lesen, das zum Zweck der Selbsttherapie geschrieben wurde: Ignatius wollte im Grunde sein eigenes Leben in Ordnung bringen, sich von dem seelischen Chaos befreien, das ihn nach seiner Verwundung befallen hatte.

Gewiss hatte er auch schon vor seinem »mystischen Erlebnis« am Flussufer von Manresa Balsam für seine innere Zerrissenheit gefunden. Als er verwundet im Bett lag, bedeutete es für ihn den größten Trost, »den Himmel und die Sterne zu schauen«, was er sehr häufig und jeweils lange Zeit hindurch tat.9Die Unendlichkeit des Sternenalls konfrontierte ihn mit der unendlichen Kleinheit seines eigenen menschlichen Seins. Das Unendliche war für ihn nicht etwas, das jenseits von ihm war, ein neutrales Objekt seiner Betrachtung, sondern etwas, dessen Teil er selbst war. Erlebnishaft wird das Unendliche dann, wenn man akzeptiert, dass man ein Teil der Allheit und das eigene Dasein fast nichts ist. Das ist der glühende Kern der mystischen Erfahrung. In Manresa wurde Ignatius bewusst, dass das Dasein des Menschen nicht auf das reduziert werden kann, was ihn von seiner Geburt bis zu seinem Tod umfasst. Das Leben ist eingebettet in ein größeres Unbekanntes, das Nietzsche später als terra incognita bezeichnen wird. Als Ignatius sich in Manresa vor einem Kruzifix zu Boden warf, ähnelte er vermutlich Nietzsche am Ufer des Sees von Silvaplana. Dort am Seeufer, beim Anblick eines riesigen Felsens, an dem ihn seine täglichen Spaziergänge vorbeiführten, kam ihm der Gedanke der »Ewigen Wiederkunft«. Im August 1881 notierte er auf einem Blatt: »›6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit‹. Ich gieng an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgethürmten Block unweit Surlei machte ich Halt. Da kam mir dieser Gedanke.«10Nietzsche wurde durch das »mystische Erlebnis« genauso aus der Zeit herausgeschleudert wie Ignatius – und viele andere große Gestalten der europäischen Mystik. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie aus sich heraustretend (die wörtliche Bedeutung von Ekstase) über das Ich hinausgingen und sich dem sogenannten Selbst annäherten. Was ist das Selbst? Hier bieten sich Nietzsches Worte an: »Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: Hinter ihnen liegt noch das Selbst. Das Selbst sucht auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes … Es herrscht und ist auch des Ich's Beherrscher. Hinter deinen Gedanken und Gefühlen … steht ein mächtiger Gebieter, ein unbekannter Weiser, die terra incognita – der heißt Selbst.«11 Bei Franz Rosenzweig heißt es später: »Das Selbst … stellt sich … unmittelbar dem Gott gegenüber.«12

Auch Ignatius mochte in Manresa das Gefühl gehabt haben, Gott selbst gegenüberzustehen. Sein mystisches Erlebnis weckte in ihm das Gefühl, seine unendliche Kleinheit und seine grenzenlose Größe seien voneinander nicht zu unterscheiden. Die Exerzitien lassen sich auch als ein Wegweiser lesen, der in sämtlichen Erscheinungen des sinnlichen, diesseitigen Lebens das übersinnliche, jenseitige Sein spürbar machen will. Die große Frage des Buches lautet: Wie kann man sich so über das Leben erheben, dass man dennoch auch akzeptiert, dass es das einzige Leben ist, das einem gegeben ist? Auf diese Frage suchte Ignatius eine Antwort. Ihre außergewöhnlich große Wirkung entfalteten die Exerzitien dadurch, dass ihr Schöpfer das weltliche Leben als natürlichen Zustand und Seinsbedingung akzeptierte und seine Grenzen dennoch zu erweitern versuchte. Wie unzählige seiner Vorgänger und Nachfolger in der europäischen Kultur beschäftigte Ignatius die Frage: Was umfasst das weltliche Leben, worin ist es eingebettet? Was geht der Geburt voraus und folgt auf den Tod? Man hat dafür viele Bezeichnungen geprägt. Plotin nannte es das vollendete Eine, für die Gnostiker war es das Unnennbare, für Damaskios das Unsagbare, für Dionysius Areopagita das Überseiende, für Meister Eckhart das Lautere Wesen, für Johannes Tauler die Unaussprechliche Verborgenheit, für den heiligen Johannes vom Kreuz eine Generation nach Ignatius die Dunkle Nacht der Seele, später für Jakob Böhme war es der Ungrund, für Schelling die Weltseele, während im 20. Jahrhundert Rudolf Otto, Roger Caillois oder Mircea Eliade auch unter Berücksichtigung der außereuropäischen Religionen den Begriff des paradoxen Heiligen entwickelten, und Heidegger wiederum vom Sein schrieb, ja im Alter sogar diese Bezeichnung als unbefriedigend empfand und sie durchgestrichen schrieb: SEIN. Auch Ignatius rang darum, das Unaussprechliche in die Sphäre der menschlichen Erfahrungen einzubeziehen und die Horizonte des menschlichen Schicksals auf diese Weise zu erweitern. Ihm stand der christliche Mythos zur Verfügung, in dessen Sprache suchte er nach der Lösung, wobei er nicht nur den Christen half, eine Antwort zu finden, sondern allen, die die erwähnte ewige Frage beschäftigte. Er suchte das »jenseitige« Unendliche »innerhalb« des weltlichen Lebens und stellte seine Leser damit vor eine Schicksalsaufgabe: das Unendliche in sich selbst zu entdecken. Der Mensch, sagt er, will Christus ähnlich werden, Christus ist aber auch im Menschen verborgen, man muss ihn nur finden. Nicht nach einem äußeren, sondern nach einem inneren Bild muss man sich richten. Ignatius strebte nach dem gleichen Ziel, nach dem später auch Nietzsche streben wird: jenem idealen, inneren Ich, das dieser als das Selbst bezeichnen wird. Für Ignatius ist es Christus. Den Weg dahin führen die Exerzitien vor Augen, aber so dass ihn der Leser auch in der Praxis begehen muss. Von seiner Entscheidung hängt es ab, ob er diesen Weg betritt oder nicht. Bleibt er bloß ein Leser, wird er Christus verfehlen.

Ignatius’ Buch trennt die Gnade Gottes und den freien Willen sowie das Handeln des Menschen nicht voneinander. Dieses Paradox macht ihn so besonders: Grundsätzlich erleidet der Mensch die Gnade (erhält sie von außen), dennoch kann er nicht daran teilhaben, wenn er nicht aktiv danach strebt. Am Ende seines Buches, gleichsam als Schlusswort, betont Ignatius noch einmal, wir dürften »nicht so häufig und so nachdrucksvoll von der Gnade sprechen, daß dadurch das Gift der falschen Lehre erzeugt würde, welche die Freiheit des Willens aufhebt«. Man müsse aufpassen, dass bei der Lobpreisung Gottes der freie Wille keinen Schaden erleide oder gar ignoriert werde. Deshalb betont Ignatius stets die Aktivität, die individuellen Entscheidungen. Die Exerzitien sind keine theoretische Schrift, sondern ein Handbuch für die Praxis. Die wesentlichste Aussage des Buches besteht darin, dass es nicht auf die passive Liebe zu Gott ankommt, sondern auf die Frage, wie man handeln, sich verhalten soll, um zu Gott zu gelangen. In heutiger Sprache ausgedrückt: wie man das Unbekannte, das dem weltlichen Leben vorausgeht und darauf folgt, schon in diesem Leben erlebnishaft erfahren kann. Kein Wunder, dass das alles der Inquisition anfangs verdächtig vorkam.

Wie soll das Individuum sein Schicksal gestalten, sein Leben vervollkommnen? Das Neue an Ignatius' Buch besteht darin, dass man Gott nicht in einem »allgemeinen« Sinn gehorchen muss, sondern dass jeder seinen eigenen Neigungen, Instinkten, seiner eigenen Psychologie entsprechend jenen individuellen Weg finden muss, der nur für ihn da ist und mit dem von niemand anderem verwechselt werden kann. Ignatius empfiehlt dazu auch Methoden anderer Kulturen. Die Art, wie er zum Beispiel das Beten mit dem Atmen und dessen Regelung verbindet, knüpft ausdrücklich an die Praxis fernöstlicher Religionen an. Im Zusammenhang damit schrieb Georges Bataille in seinem Buch Die innere Erfahrung, »der Atem ist die einzige Bewegung, die in die Innerlichkeit führt. Indem die Hindus langanhaltend, ruhig und vielleicht lautlos ein- und ausatmen, haben sie nicht zu Unrecht dem Atem eine Macht gegeben, die zwar nicht die ist, die sie vermeint haben, die aber dennoch die Geheimnisse des Herzens erschließt«.13 Auch Ignatius' Ratschläge bezüglich des Trinkens und des Essens zielen darauf ab, dass man sich von seelischen Unordnungen befreit. Man solle nicht den Körper verleugnen, verkündet er, sondern durch Akzeptanz seiner Funktionsweise in die Rätsel des Herzens eindringen. Ohne die Physik des Körpers gibt es auch keine Metaphysik.

Das Individuum muss stets bestrebt sein, bei seinen Entscheidungen sein eigenes Ich in Einklang zu bringen mit dem, was jenseits des Ichs ist (das Selbst). Welche Speisen einem schmecken, welche Düfte einem lieb sind, welche persönlichen Präferenzen man hat, sind körperliche Gegebenheiten. Diese gilt es aber nicht zu unterdrücken, sondern nutzbar zu machen und in die Heilssuche einzubinden. Den Sinnen kommt bei den Exerzitien eine genauso wichtige Rolle zu wie den Gefühlen, die während der Übungen in einem entstehen: Freude, Trauer, seelischer Kampf, Niedergeschlagenheit und so weiter. Man muss auch die Trostlosigkeit, also das Eingesperrtsein in das weltliche Leben (»Verfinsterung der Seele, Verwirrung in ihr, Zug zu niedrigen und irdischen Dingen«) erfahren, um Trost zu erlangen. Trost ohne Trostlosigkeit gibt es genauso wenig wie es Licht ohne Dunkelheit gibt. (Aufgrund dessen stellte der Kunsthistoriker Walter Friedländer Ignatius’ Buch mit Caravaggios Malerei in Zusammenhang: In beiden geht es nicht nur um den Gegensatz von Licht und Dunkelheit, sondern um die Dynamik, den dramatischen Kampf beider.)

Auch diesem sinnlichen Dynamismus verdanken die Exerzitien ihre bis heute anhaltende Wirkung. Die Stelle mit den beiden Fahnen appelliert ausdrücklich an die Fantasie. Ignatius, der einstige Ritter und Soldat, ruft die Teilnehmer der Exerzitien dazu auf, sich die Orte vorzustellen, die Gegenden um Jerusalem beziehungsweise um Babylon, wo sich die Heere Christi und Luzifers zur Schlacht bereitmachen und dann aufeinandertreffen. Man erlebt nicht einfach den Sieg des Guten über das Böse, sondern wie beide untrennbar ineinander verschlungen sind, mal die eine Seite die Oberhand gewinnt, mal die andere siegreich zu sein scheint, wie beide Feldherren als Kriegsstrategen Teile ihrer Heere mal hierhin, mal dorthin schicken. Statt eines statischen Bildes erinnert das Ganze an das Aufeinandertreffen des Perserkönigs Darius und Alexanders des Großen bei Issos auf Albrecht Altdorfers berühmtem Gemälde, das genau zum gleichen Zeitpunkt wie die Exerzitien in Bayern entstand (1529). Obwohl Altdorfer eine antike Szene verewigte, verweisen das Getümmel der irdischen Heere sowie die entsprechenden stürmischen Wolkenbewegungen am Himmel auf ein Drama, das das damalige Europa beschäftigte. Altdorfer malte sein Bild zwölf Jahre, nachdem Luther seine Thesen auf das Tor der Schlosskirche in Wittenberg geheftet hatte. Luther hatte anfangs nicht die Spaltung, sondern nur die Reform der Kirche im Sinn, wobei er dem Kampf, der Entschlossenheit, der individuellen Aktivität eine ebenso entscheidende Rolle beimaß wie Ignatius, der sich seinerseits die Reform der katholischen Kirche zum Ziel gesetzt hatte. Wie Luthers Thesen und die Exerzitien kündet auch Altdorfers Gemälde von den geistigen Erschütterungen der katholischen Kirche. Luthers Thesen führten schließlich zur Spaltung der Institution Kirche. Ignatius stellte die Bedeutung der persönlichen Einstellung und der Verantwortung, die Frage des freien Willens in den Vordergrund und bereitete damit den Boden für eine Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche.

Sein Buch ist aber mehr, als dass man es als ein bloßes Dokument der Kirchenerneuerung lesen könnte. Ignatius erkannte in seiner persönlichen Krise die krisenhafte Lage der neuzeitlichen Kultur. Er wollte das Christentum reformieren, sein Buch entfaltete aber auch deshalb eine so große Wirkung, weil das Menschenbild, das er darin entwarf, zwar im Einklang mit dem modernen Europäer stand, gleichzeitig aber auch auf die Schranken der Modernität aufmerksam machte. Dieser neue Mensch ist dynamisch und aktiv, da er modern ist, er bewegt sich immer souveräner im weltlichen Leben, hat ein immer umfassenderes Verständnis für die praktischen Dinge und neigt dazu, die ganze Natur zu unterjochen und sich als Herr der Schöpfung zu sehen. Wenn er aber die kosmischen Zusammenhänge außer Acht lässt, wenn er vergisst, dass sein eigenes Sein im Vergleich zur unermesslichen Größe des Universums (das man Gott zu nennen pflegt) verschwindend klein ist, dass sein Leben in einen größeren Zusammenhang eingebettet ist und er niemals Herr des Universums werden wird, da alles, was dem Leben vorausgeht und darauf folgt, unvergleichlich größer als er ist, und er es nicht nur nie wird erkennen, sondern auch nie wird beherrschen können – dann wird er von Krise zu Krise stolpern. Wie wir es auch heute ständig um uns herum sehen können.

Und was ist die Hauptursache für die Krise? Für Ignatius ist es die Vertauschung des Ziels mit dem Mittel, das zum Ziel führt. »Daher muß alles, was ich nur immer wähle, darauf gerichtet sein, daß es mir zum Ziele diene, zu welchem ich geschaffen bin; so daß ich nicht das Ziel dem Mittel unterordne und gewaltsam unterstelle, sondern das Mittel dem Ziele.« Die Vertauschung beider ist charakteristisch für die Moderne, die deshalb auch als das Zeitalter des instrumentellen Verstandes bezeichnet wird. Die Ratio will alles beherrschen und vergisst dabei, dass ihre eigenen Grenzen nicht von der Ratio gesetzt werden, sondern von etwas, das man traditionell als »göttlich« bezeichnet, ohne es dabei auf eine bestimmte Konfession zu beschränken. In den Worten Georges Batailles: »Gott ist keine Grenze des Menschen, aber die Grenze des Menschen ist göttlich. Anders ausgedrückt: Im Erfahren seiner eigenen Grenzen wird der Mensch göttlich.«14 Etwas Ähnliches hatte auch Ignatius im Sinn, als er von der Vertauschung von Mittel und Ziel schrieb. Worin besteht das Mittel? Ignatius’ Antwort lautet: im Anhäufen irdischer Güter, im Sicheinschließen in das weltliche Leben, das jenen als neuzeitliche Religion zu bezeichnenden Glauben zur Folge hat, dass man mit Verstand und Willen alles beherrschen könne. Und worin besteht das Ziel? »Gott dienen zu wollen«, sagt Ignatius. Mit anderen Worten: unsere Grenzen zu erfahren, einzusehen, wie verschwindend gering und beschränkt unser Dasein im Vergleich zur Allheit ist, die wir in ihrer Ganzheit nie werden erfassen können, und im Vergleich zu der das Leben eines Menschen sich nicht vom Dasein eines Tieres, einer Pflanze oder auch eines leblosen Steinbrockens unterscheidet. Gott würde, so Ignatius, Gleiches bewirken »an den Himmeln, in den Elementen, in den Pflanzen, Früchten, Tieren usw., indem er ihnen das Sein gibt.« Die Erfahrung eines alles überragenden »Seins« ist das »Ziel«, das der Mensch erreichen muss. Den Weg dahin führen die Exerzitien vor Augen. Diesen Weg begehend wird man damit konfrontiert, dass man, wie auch immer man handeln mag, der Allheit stets unterworfen ist. Wie der große, ungarische Dichter Sándor Weöres in seinem Gedicht Vom Ziele schreibt: »Ich kämpfe: ich weiß nicht für wen / und ich weiß nicht gegen wen. / Ich muss mein Ziel nicht kennen, / denn mein Ziel kennt mich.«

Der Mensch hält sich für den Herrn der Schöpfung, und doch ist bereits dieser Gedanke eine Offenbarung seiner unendlichen Kleinheit. Für Ignatius lautet die entscheidende Frage, ob der Mensch gewillt ist, das einzusehen, oder nicht. Ob er sich dieser Einsicht verschließt, was ihn persönlich und mit ihm die ganze Kultur in eine Krise treiben wird? Oder ob er zur Einsicht fähig ist? Wodurch sich seine Lage innerhalb des Seins zwar nicht verändern wird, er sein knapp bemessenes Leben aber authentischer wird leben können.

Aus dem Ungarischen von Akos Doma

  1Ignatius de Loyola, Der Bericht des Pilgers, Eintrag 5.

  2Ebd., Eintrag 6.

  3Ebd., Eintrag 8.

  4Ebd., Eintrag 17.

  5Ebd., Eintrag 30.

  6Ebd.

  7Ebd., Eintrag 99.

  8Ebd., Eintrag 24.

  9Ebd., Eintrag 11.

 10Friedrich Nietzsche, Ecce homo, in: Sämtliche Werke, Bd.6, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 1980, S. 335.

 11Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Sämtliche Werke, Bd. 4, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München 1980, S. 39–40.

 12Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt am Main 1988, S. 78.

 13Georges Bataille, Die innere Erfahrung, München 1999, S. 31.

 14Georges Bataille, Le Coupable, in: Œuvres complètes, Bd. 5, Paris 1973, S. 350.

Die Exerzitien

Das Gebet Anima Christi war ein Lieblingsgebet des heiligen Ignatius und wird von ihm öfters im Exerzitienbüchlein erwähnt. Der Ursprung des Gebetes lässt sich bis vor die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen.

Anima Christi, sanctifica me,

Corpus Christi, salva me.

Sanguis Christi, inebria me.

Aqua lateris Christi, lava me.

Passio Christi, conforta me.

O bone Jesu, exaudi me:

Intra tua vulnera absconde me:

Ne permittas me separari a te:

Ab hoste maligno defende me:

In hora mortis meae voca me:

Et jube me venire ad te,

Ut cum Sanctis tuis laudem te

In saecula saeculorum. Amen.

Seele Christi, heilige mich.

Leib Christi, erlöse mich.

Blut Christi, tränke mich.

Wasser der Seite Christi, wasche mich.

Leiden Christi, stärke mich.

O gütiger Jesus, erhöre mich.

Verbirg in deine Wunden mich.

Von dir lass nimmer scheiden mich.

Vor dem bösen Feind beschütze mich.

In meiner Todesstunde rufe mich.

Und lass zu dir dann kommen mich.

Damit mit deinen Heiligen dich

Ich loben möge ewiglich. Amen.

VORBEMERKUNGEN

zu einigem Verständnis für die geistlichen Übungen, welche folgen, und zur Hilfe dem, der sie mitteilen und dem, der sie empfangen soll.

Die erste Vorbemerkung, dass man unter dem Namen der geistlichen Übungen versteht: jede Art Gewissenserforschung, Betrachtung, Beschauung, mündliches und innerliches Beten und andere geistliche Tätigkeiten, von denen später gesprochen werden soll. Denn gleich wie Gehen, Vorwärtsschreiten und Laufen körperliche Übungen sind, so nennt man auch geistliche Übungen eine jede Weise, welche die Seele vorbereitet und in die rechte Verfassung bringt, alle ungeordneten Neigungen von sich zu entfernen und, nachdem man sie entfernt hat, den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Durchbildung des eigenen Lebens zum Heil der Seele.

Die zweite Vorbemerkung: Wer einem anderen die Weise und Ordnung des Betrachtens und Beschauens vermittelt, der soll die Geschichte, welche dieser Betrachtung oder Beschauung zugrunde liegt, treu erzählen und sie nur Punkt für Punkt, in Kürze und dem Wesentlichen nach erläutern. Denn wenn der Betrachtende den wahren Grundtatbestand der Erzählung nimmt und durch Sinnen und Nachdenken aus sich selbst heraus etwas findet, was den Gegenstand für ihn etwas klarer oder eindrucksvoller macht, sei es, dass er dahin durch eigene geistige Tätigkeit gelangt oder dass sein Verstand durch göttliche Kraft erleuchtet wird, so sind geistiger Genuss und geistige Frucht größer, als wenn der, welcher die Übungen lehrt, den Sinn der Geschichte ausführlich erläutert und erklärt hätte. Denn nicht die Überfülle des Wissens sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Spüren und Verkosten der Wahrheit selbst im Innern.

Die dritte Vorbemerkung: Da wir in allen nachfolgenden geistlichen Übungen Akte des Denkens anwenden, wenn wir überlegen, Akte des Wollens und Fühlens, wenn wir ergriffen sind, so müssen wir beachten, dass bei den Akten des Wollens und Fühlens, wenn wir mündlich oder rein geistig mit Gott unserem Herrn oder mit seinen Heiligen sprechen, von unserer Seite eine tiefere Ehrfurcht gefordert wird, als wenn wir im Einsehen und Verstehen unsere Denkkraft gebrauchen.

Die vierte Vorbemerkung: Wenn auch für die folgenden Übungen vier Wochen angesetzt sind, die den vier Abschnitten, in welche die Übungen eingeteilt sind, entsprechen, wobei der erste Teil die Erwägung und Beschauung über die Sünden, der zweite das Leben unseres Herrn Christi (bis zum Palmsonntag einschließlich), der dritte die Passion unseres Herrn, der vierte die Auferstehung und Himmelfahrt samt den drei Gebetsweisen umfasst: So darf dies doch nicht so verstanden werden, als ob jede Woche notwendig sieben oder acht Tage enthalten müsse. Denn da es geschehen kann, dass in der ersten Woche die einen langsamer als die andern erreichen, was sie suchen, nämlich Zerknirschung, Schmerz, Tränen über ihre Sünden, da ferner die einen eifriger sind als die andern und einige mehr als andere von verschiedenen Geistern bewegt oder versucht werden, so ist es notwendig, dass die erste Woche bisweilen abgekürzt, bisweilen aber ausgedehnt werde. Dasselbe soll auch bei allen andern Wochen geschehen, indem man den jeweiligen Übungszweck zu erreichen sucht. Indessen werden die Übungen meist in ungefähr dreißig Tagen vollendet.

Die fünfte Vorbemerkung: Dem, der die geistlichen Übungen empfängt, nützt es sehr, sie mit weiter und freischenkender Seele gegen seinen Schöpfer und Herrn anzutreten, all sein Wollen und seine Freiheit darbringend, auf dass seine göttliche Majestät nach ihrem heiligsten Willen verfüge – sowohl über ihn, als über alles, was er besitzt.

Die sechste Vorbemerkung: Wenn der, welcher die Übungen mitteilt, gewahr wird, dass der Übende in seiner Seele weder geistige Bewegungen, wie Trost oder Untrost, noch auch das Drängen verschiedener Geister erlebt, so muss er ihn in Betreff der Übungen sorgfältig fragen, ob er sie zur angesetzten Zeit und wie er sie mache; ebenso bezüglich der Zusätze, ob er sie genau beachte; und so soll er über alles und jedes einzeln Rechenschaft fordern.

Die siebente Vorbemerkung: Wenn der, welcher die Übungen mitteilt, gewahr wird, dass der, welcher sie empfängt, in Trostlosigkeit und Versuchung steht, so soll er sich gegen ihn nicht hart und rau benehmen, sondern mild und sanft, indem er ihm für die Zukunft Mut und Kraft einzuflößen sucht, ihm die trügerischen Pläne des Feindes der menschlichen Natur aufdeckt und durch Zuspruch dahin wirkt, dass er sich für den künftigen Trost bereite und öffne.

Die achte Vorbemerkung: Der, welcher die Übungen mitteilt, kann gemäß dem Bedürfnis, das er bei dem Übenden wahrnimmt, je nachdem dieser Untrost und Anfechtungen oder Trost erfährt, die Regeln der ersten und zweiten Woche, die zur Unterscheidung der verschiedenen Geister dienen, erklären.

Die neunte Vorbemerkung: Es ist zu beachten, wenn der Übende in geistigen Dingen nicht bewandert ist und während der ersten Übungswoche in heftiger und offenkundiger Weise versucht wird, z. B. wenn ihm der innere Feind, um ihn von einem weiteren Fortschreiten im Dienste Gottes unseres Herrn abzuhalten, Hindernisse vorstellt wie Anstrengung, Beschämung, Furcht vor dem Verlust weltlicher Ehre usw.: Dann soll der, welcher die Übungen leitet, ihm nicht die Regeln zur Unterscheidung der verschiedenen Geister, die für die zweite Woche bestimmt sind, mitteilen. Denn so sehr für einen solchen die Regeln der ersten Woche von Nutzen sind, so schädlich werden ihm die der zweiten Woche sein, da deren Gegenstand zu hoch ist und eine zu feine Unterscheidung erfordert, als dass ihn jener zu erfassen vermöchte.

Die zehnte Vorbemerkung: Wenn der, welcher die Übungen mitteilt, gewahr wird, dass der, welcher sie empfängt, unter dem Schein des Guten angegriffen und versucht wird, dann ist es angemessen, mit ihm über die erwähnten Regeln der zweiten Woche zu sprechen. Denn der Widersacher versucht gewöhnlich mehr unter dem Schein des Guten, wenn der Mensch sich auf dem Wege der Erleuchtung, der den Übungen der zweiten Woche entspricht, befindet; während er dagegen auf dem Reinigungswege, der den Übungen der ersten Woche entspricht, nicht so sehr (unterm Schein des Guten) versucht.

Die elfte Vorbemerkung: Für den, der die Übungen empfängt, ist es nützlich, in der ersten Woche nichts von dem zu erfahren, was er in der zweiten Woche zu tun hat. Er bemühe sich vielmehr, in der ersten Woche auf die Erlangung dessen, was er sucht, so hinzuarbeiten, als ob er in der zweiten Woche nichts mehr Gutes zu finden hoffte.

Die zwölfte Vorbemerkung: Jede der fünf Übungen oder Beschauungen, die täglich angestellt werden, soll eine Stunde lang dauern. Es soll daher der, welcher die Übungen mitteilt, den, der sie empfängt, eindringlich mahnen, diese Zeit immer einzuhalten, damit sich dieser innerlich vollkommen in dem Gedanken beruhigt fühle, er habe eine Stunde dabei beharrt, ja eher mehr als weniger Zeit darauf verwendet. Denn der Versucher pflegt nicht wenig dahin zu wirken, dass die Stunde der Beschauung, der Betrachtung oder des Gebetes abgekürzt werde.

Die dreizehnte Vorbemerkung: Ebenso ist zu achten, wie es zur Zeit der Tröstung leichtfällt, eine volle Stunde in der Betrachtung zu verharren, so ist es zur Zeit des Untrostes sehr schwer, diese ganze Stunde auszufüllen. Deshalb soll der Übende, um gegen diesen Untrost anzukämpfen und die Versuchungen zu besiegen, stets etwas über die volle Stunde in der Betrachtung aushalten, damit er sich gewöhne, dem Widersacher nicht nur zu widerstehen, sondern ihn auch niederzustrecken.

Die vierzehnte Vorbemerkung: