Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute - Gideon Botsch - E-Book

Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute E-Book

Gideon Botsch

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Beschreibung

Rechtsextremismus begleitet die Geschichte der Bundesrepublik seit ihrer Gründung. Gerade die Auseinandersetzungen mit den fundamentaloppositionellen Bewegungen des radikalen Nationalismus hat die junge deutsche Demokratie gestärkt. Die Darstellung verortet die politisch organisierte extreme Rechte in den Traditionen von Kaiserreich und Nationalsozialismus und analysiert ihre Strukturmerkmale und die Bedin-gungen der Neuformierung unter alliierter Besatzung. Die chronologischen Kapitel zeichnen die historische Entwicklung der ›Nationalen Opposition‹ von 1949 bis zur Bundestagswahl 2009 nach, für die Zeit nach 1990 für Gesamtdeutschland. Somit liegt die erste moderne Übersicht über Grundlagen und Entwicklungen rechtsextremer, antidemokratischer Bewegungen vor.

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Geschichte kompakt

Herausgegeben vonKai Brodersen, Martin Kintzinger,Uwe Puschner, Volker Reinhardt

Herausgeber für den Bereich 19./20. Jahrhundert:Uwe Puschner

Berater für den Bereich 19./20. Jahrhundert:Walter Demel, Merith Niehuss, Hagen Schulze

Gideon Botsch

Die extreme Rechte in derBundesrepublik Deutschland1949 bis heute

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung inund Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Redaktion: Frank Schlumm, BerlinEinbandgestaltung: schreiberVIS, BickenbachSatz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-23832-1

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (epub): 978-3-534-71063-8

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Inhaltsverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis

Geschichte kompakt

Einleitung

1. Grundbegriffe und Anlage der Darstellung

2. Vom Kaiserreich zum Ende des Nationalsozialismus

I. „Nationale Opposition“ in der Nachkriegsgesellschaft

1. 1949–1959: Der Weg in die Fundamentalopposition

2. 1960–1969: „Nationale Sammlung“: Aufstieg und Scheitern der NPD

II. „Nationale Opposition“ im Übergang

1. 1970–1979: Desintegration und Wandel

2. 1980–1989: Zwischen Terror und Wahlkampf

III. „Nationale Opposition“ im geeinten Deutschland

1. 1990–1999: Gewalt und neonazistische Mobilisierung

2. 2000–2009: Die NPD und ihr Milieu

Schlussbetrachtung

Auswahlbibliographie

Organisationen, Verlage, Periodika

Personenregister

Geschichte kompakt

 

In der Geschichte, wie auch sonst,dürfen Ursachen nicht postuliert werden,man muss sie suchen. (Marc Bloch)

Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden.

Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte.

Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden.

Kai Brodersen

Martin Kintzinger

Uwe Puschner

Volker Reinhardt

Einleitung

1. Grundbegriffe und Anlage der Darstellung

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland existiert eine randständige, weithin einflusslose politische Subkultur, die sich selbst als „nationale Opposition“ begreift. In Verbindung mit autoritären, nationalistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Einstellungspotenzialen sowie mit Tendenzen zur Relativierung der Verbrechen des NS-Regimes hat dieses Milieu immer wieder für Besorgnis im In- und Ausland gesorgt – besonders durch politische Mobilisierungsschübe (Aufmärsche, Propagandaschmierereien), Wahlerfolge oder eine Massierung von Straf- und Gewalttaten. Vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte bestand Sorge um die Stabilität der deutschen Nachkriegsdemokratie. Dass diese Sorge sich als unbegründet erwiesen habe, wäre eine Interpretation, die zu kurz greift: Es waren gerade die Auseinandersetzungen mit den antidemokratischen Bewegungen, an denen die bundesdeutsche Demokratie gewachsen ist und Wurzeln in der zuvor wenig demokratischen deutschen Gesellschaft schlagen konnte.

Obgleich das „nationale Lager“ während jeder einzelnen Mobilisierungswelle eine erhebliche Beachtung, auch und gerade in der wissenschaftlichen Literatur, gefunden hat, steht seine zeitgeschichtliche Erforschung eher am Anfang. Es liegen monographische Einzelstudien, besonders über die wichtigsten Parteien – Sozialistische Reichspartei (SRP), Deutsche Reichspartei (DRP), Deutsche Gemeinschaft (DG) und Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) – vor, doch verfügen wir, trotz der Fülle von jeweils aktuell gehaltenen Arbeiten, kaum über neuere Gesamtdarstellungen der Entstehung und Entwicklung des Lagers. Präziser ausgedrückt: Wir schreiben den bis Ende der 1980er Jahre gewonnenen Forschungsstand zur Entwicklung der extremen Rechten in die Gegenwart fort, ohne ihn angesichts der epochalen Ereignisse im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts – die zu einer neuen Dynamik der radikalnationalistischen Bewegung in Deutschland geführt haben – einer neuen Bewertung und Interpretation zu unterziehen.

War es noch bis weit in die 1960er Jahre hinein üblich, das nationale Lager als einigermaßen greifbaren politischen Akteur zu benennen, der freilich seinem Charakter nach schon damals als „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ verstanden wurde, so rückte in den 1970ern zunehmend der sozialwissenschaftlich-analytische Begriff des Rechtsextremismus in den Mittelpunkt der Forschung und setzte sich im Laufe der 1980er Jahre weithin durch, obwohl ihm höchst diffuse Sachverhalte zugeordnet werden.

E

RechtsextremismusRechtsextremismus wird als amtlicher Begriff von staatlichen Behörden (Kommunen, Polizei, Justiz, Verfassungsschutz usw.) verwendet, der zivilen Gesellschaft dient er als Abgrenzungsbegriff. Wissenschaftlich gibt es keine einheitliche Definition. Der Politikwissenschaftler Richard Stöss unterscheidet rechtsextreme Einstellungenvon rechtsextremen Verhaltensweisen (Wahlverhalten, Mitgliedschaft, Gewalt/Terror sowie Protest/Provokation). Problematisch ist vielen Forschern die Anbindung an das theoretische Modell des Extremismus, doch lässt sich der Begriff auch unabhängig von diesem Konzept mit Gewinn anwenden. Allerdings macht die sozialwissenschaftliche, systematisch-analytische Konstruktion des Rechtsextremismusbegriffs seine Verwendung für historiographische Untersuchungen schwierig, zumal es sich nicht um einen Quellenbegriff handelt.Folgende Definition gibt der Politologe Hans-Gerd Jaschke: „Unter ‚Rechtsextremismus‘ verstehen wir die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklarationen ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen. Unter ‚Rechtsextremismus‘ verstehen wir insbesondere Zielsetzungen, die den Individualismus aufheben wollen zugunsten einer völkischen, kollektivistischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft in einem starken Nationalstaat und in Verbindung damit den Multikulturalismus ablehnen und entschieden bekämpfen. Rechtsextremismus ist eine antimodernistische, auf soziale Verwerfungen industriegesellschaftlicher Entwicklung reagierende, sich europaweit in Ansätzen zur sozialen Bewegung formierende Protestform.“

Den gesamten Komplex des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik beschreiben zu wollen, würde bedeuten, sich auch mit der Entwicklung von Ideologien und Weltanschauungen, Meinungen und Einstellungen, Wahlverhalten und Wählerwanderungen, Mentalitäten und kulturellen Codierungen zu beschäftigen und ebenso die Veränderungen auf dem Feld rechtsextremer Straf- und Gewalttaten – inklusive der Änderungen rechtlicher Normen und der Modifikationen in der Erfassungspraxis der Polizei- und Justizbehörden – im Verlauf zu präsentieren. Einzubeziehen wären gesellschaftliche Großdebatten, in denen sich rechtsextreme Einstellungen, Politikinhalte oder Ideologieelemente Bahn brachen, ohne dass sie von rechtsextremen Akteuren gesteuert worden wären. Schließlich wäre auch die staatliche und gesellschaftliche Reaktion auf rechtsextreme Tendenzen – von polizeilicher und justizieller Repression über die Änderung der schulischen und universitären Lehrinhalte bis hin zur Mobilisierung zivilgesellschaftlichen Engagements oder gar gewalttätiger Gegenaktivitäten – mit zu diskutieren. All dies würde den Rahmen der Darstellung bei Weitem sprengen.

Bewusst ist im Titel nicht vom „Rechtsextremismus“ die Rede, sondern von der „extremen Rechten“. Dies entspricht einer Veränderung in der internationalen politikwissenschaftlichen Forschung, die sich über lange Jahre auf die „Nachfrageseite“ (demand) konzentriert hatte, also v.a. auf das Wahlverhalten, und den gesellschaftlichen „Gelegenheitsstrukturen“ (opportunity structures) Aufmerksamkeit geschenkt hat, also z.B. den Einstellungen und ihrem Wandel. Gegenwärtig wird wieder stärker die „Angebotsseite“ (supply) thematisiert. Daraus folgt der „akteursorientierte Ansatz“ (actor orientated approach), dem sich auch die vorliegende Darstellung verpflichtet fühlt. Im Mittelpunkt steht die extreme Rechte in der Bundesrepublik als kollektiver politischer Akteur. Ihrem Selbstverständnis nach bezeichnet sie sich als „nationale Bewegung“, „nationales Lager“ oder „nationale Opposition“.

E

Nationale OppositionDer verbreitetste Eigenbegriff der extremen Rechten in der Bundesrepublik charakterisiert sie als weltanschaulich geprägte, fundamentaloppositionelle politische Bewegung, die als zentrales einigendes Merkmal durch radikalen Nationalismus auf Grundlage des ethnischen Abstammungsprinzips gekennzeichnet ist. Folgende Elemente bestimmen die Agenda: (a) die Überwindung der pluralen Gesellschaft zu Gunsten einer homogenen, gegliederten „Volksgemeinschaft“ unter Ausschluss von „fremden“ Elementen – Ausländern, Personen „nicht-deutscher Herkunft“ sowie Juden; (b) die Ersetzung der parlamentarischen Demokratie durch ein autoritäres Regime; (c) die Überwindung der Teilung Deutschlands in zwei Staaten (von 1949 bis 1990) und Rückgewinnung „verlorener“ deutscher Territorien inklusive Österreichs, teils in Verbindung mit weiteren territorialen Forderungen. Der Begriff knüpft bewusst an die radikalnationalistische Bewegung des wilhelminischen Kaiserreichs und der Weimarer Republik an.

Das nationale Lager lässt sich unterteilen in eine politische Bewegung, die durch Parteien, Jugendverbände, Aktionsgruppen, Zeitschriften usw. charakterisiert ist, sowie in ein lebensweltliches Milieu, in dem Traditionszirkel, Kulturgemeinschaften und eine – oft musikalisch unterfütterte – Erlebniswelt kleine Sinninseln in einer als feindselig empfundenen Umwelt stiften. Dabei zeigt sich für die Wahlparteien als charakteristisches Muster, dass sie nach anfänglichen aufsehenerregenden Mobilisierungserfolgen, regelmäßig auf Grundlage regionaler Hochburgen, nach relativ kurzer Zeit in sich zusammenfallen und das Gros ihrer Anhänger mit frustrierten Erwartungen hinterlassen, denen eine Rückwendung zu den „etablierten“ Parteien folgt. In diesen Phasen zieht sich ein harter Kern gesinnungsfester Aktivisten ins lebensweltliche Milieu zurück, arbeitet an der Tradierung der eigenen politischen Prämissen und Restrukturierung der Organisationen, die dann in einer neuerlichen, ebenso kurzlebigen Mobilisierungswelle ihre Früchte tragen. Gewissermaßen dreht sich die extreme Rechte also seit Jahrzehnten in einer Art Doppelhelix aus politischer Bewegung und lebensweltlichem Milieu. Da die vorliegende Darstellung sich auf die extreme Rechte als politischen Akteur konzentriert, wird sie den Schwerpunkt auf die Parteien, politischen Organisationen und Aktionsgruppen legen, auch wenn diese phasenweise – dies gilt etwa für die NPD in den 1970er/1980er Jahren – selbst Funktionen des lebensweltlichen Milieus übernommen hatten. Die Begrenzung auf die Bundesrepublik inklusive Berlin (West) bedeutet, dass Entwicklungen in der DDR – wo es eine formierte nationaloppositionelle Bewegung im hier verwendeten Sinne nicht gegeben hat – nur am Rande thematisiert werden.

Ein zweiter Schwerpunkt wird auf der Entwicklung der Jugendorganisationen liegen, für die der lebensweltliche Charakter phasenweise noch ausgeprägter ist, die indes für die Entwicklung und Struktur der extremen Rechten, insbesondere für ihre generationelle Reproduktion, von zentraler Bedeutung bleiben. Ein Element der rechtsextremen Jugendarbeit besteht in der Vorbereitung zum Kampf und dem Training an Waffen. Dabei haben sich, vornehmlich aus den Jugendorganisationen heraus, Ordnerdienste, Wehrsportgruppen oder terroristische Zellen gebildet.

Das dritte Element, das der rechtsextremen Bewegung in der Nachkriegszeit Struktur gegeben hat, sind die Bildungswerke und Diskutierzirkel, Verlags- und Medienunternehmen sowie Zeitschriftenprojekte – kurz, die „Kulturinitiativen“, vom elitären Thule-Seminar bis zum Rockmusik-Netzwerk Blood & Honour. Auch wo diese Netzwerke, Unternehmen und Organisationen politisch wirken, sind sie im lebensweltlichen Bezirk zu verorten. In der vorliegenden Darstellung werden diese eher am Rande behandelt und an exemplarischen Fällen vorgestellt, zumal es hier schwieriger ist, systematisch Entwicklungslinien und -tendenzen herauszuarbeiten.

Im Unterschied zum radikalen Nationalismus des Kaiserreichs und der Weimarer Zeit ist es der extremen Rechten nach 1945 nicht mehr gelungen, ihre politisch-weltanschauliche Agenda mit realen sozioökonomischen oder standesmäßigen Interessen zu koppeln. Während sich bereits im Wilhelminismus eine enge Verschränkung bestimmter sozialer Mittelgruppen mit dem radikalen Nationalismus entwickelte, konnte die bundesdeutsche extreme Rechte sich weder im agrarischen noch im gewerblichen Mittelstand, weder unter Handwerkern noch unter Klein- und Mittelbauern, weder unter Angestellten noch unter Beamten, aber auch nicht unter Studierenden, Volksschullehrern, Journalisten und kleineren Literaten zur Interessenvertreterin machen. Vom „großen Geld“ – inklusive der rheinisch-westfälischen Kohle- und Stahlindustrie, die ihren Vorläufern so viel Sympathie und Unterstützung entgegengebracht hatte – wurde sie ohnedies gemieden. Auch die Bundeswehr hatte kein Interesse daran, dass ihre Soldaten und Offiziere durch rechtsextreme Äußerungen auffielen. Es gelang der extremen Rechten nicht einmal, das große Potenzial der 1945 Depravierten, der „Heimatvertriebenen und Entrechteten“, Veteranen des Zweiten Weltkriegs, Angehörigen der Waffen-SS und ehemaligen NS-Mitglieder dauerhaft an sich zu binden. Für einige Zeit fanden diese Personengruppen ihre Interessen – Vorsorgungs- und Entschädigungsansprüche, Wiedereingliederung in die Gesellschaft, soziale Anerkennung und Wiederherstellung ihres Status – bei kleineren nationalistischen Parteien wie der Deutschen Partei (DP) oder dem Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), und einigen nationalistisch ausgerichteten Landesverbänden der FDP aufgehoben. Im Unterschied zur nationalen Opposition verweigerten diese Parteien die Einordnung in die bundesrepublikanische Gesellschaft nicht, ließen sich politisch in die Koalition Konrad Adenauers (1876–1967) – den Bürgerblock – einbinden und hatten so reale politische Hebel, um die Interessen ihrer Klientel zu vertreten. Im Zeichen der wirtschaftlichen und politischen Erfolge in der Ära Adenauer schmolzen sie bis Ende der 1950er in die Unionsparteien und die FDP ein. Versprengte Reste, die an einer radikaleren nationalistischen Agenda festhielten, wechselten ins fundamentaloppositionelle nationale Lager über, doch nicht in einem Umfang, der dieses politische Spektrum ernsthaft aufgewertet hätte.

Wer sich in der Bundesrepublik Deutschland für die nationalistische Rechte entschied, tat dies vorrangig aus politisch-weltanschaulichen Gründen, unter Zurückstellung von sozialem Prestige, Karrierevorteilen und ökonomischen Rücksichten. Im Selbstbewusstsein der Akteure äußerte sich dies in der Eigenbezeichnung „Idealisten“ oder „Nonkonformisten“. Andererseits zeigt sich daran aber auch, dass die bundesdeutsche extreme Rechte zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, die Interessen irgendeiner sozialen Gruppe, und sei es ihrer eigenen Basisklientel, zur Geltung zu bringen. Trotz ihres bewegungsförmigen Charakters bleibt daher Skepsis geboten, wenn sie mitunter als „soziale Bewegung“ dargestellt wird: Ihrerseits hat sie der „Interessenpolitik“ kaum Aufmerksamkeit zugewandt, Versuche zur Begründung rechtsextremer Bauern-, Beamten- oder Standesverbände bzw. Angestelltengewerkschaften sind allenfalls von taktischer Bedeutung geblieben – von Frauenorganisationen ganz zu schweigen.

Zu den inneren Problemen, mit denen die nationale Opposition stets zu kämpfen hatte, gehört das Verhältnis zum Nationalsozialismus einerseits, zum demokratischen Verfassungsstaat andererseits. Wenngleich die Wahlparteien seit dem Verbot der SRP (1952) formale Bekenntnisse zu Demokratie, Rechtsstaat und Grundgesetz nicht scheuten, blieb der fundamentaloppositionelle, systemilloyale Charakter der radikalnationalistischen Kräfte erhalten, der für ihre Einordnung als rechtsextreme Gruppen – im Gegensatz zur demokratischen Rechten und zum verfassungskonformen Patriotismus – konstitutiv ist. Die nationaloppositionellen rechtsextremen Strömungen lehnten die bundesdeutsche Verfassungsordnung ab, in der den Parteien und dem Parlament eine herausragende Rolle im politischen System zukommt, Verbände und Interessengruppen über gut geschützte eigene Rechte verfügen, individuelle Menschen, Bürger- und Freiheitsrechte gegenüber den Forderungen des nationalen Kollektivs ihren Eigenwert behalten. Sie erwiesen sich als unfähig, die Strukturprinzipien der demokratischen Zivilgesellschaft zu begreifen und einen angemessenen Umgang mit ihnen zu finden.

Innerhalb des fundamentaloppositionellen Rahmens zeigen sich in der extremen Rechten zwei gegenläufige Fliehkräfte. Einige Strömungen der nationalen Bewegung sahen die Notwendigkeit einer Abgrenzung von den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und wollten im Rahmen der Verfassungs- und Rechtsordnung unbedingt legal operieren können, ungeachtet der Tatsache, dass sie diese Ordnung mittelfristig überwinden wollten. Demgegenüber steht eine tendenziell neo-nationalsozialistisch orientierte Strömung, die zwar vom Standpunkt bürgerlicher Optik weniger „passabel“ war, dafür eine Ausstrahlung in jugendliche Milieus und Subkulturen entfaltete (z.B. unter militärbegeisterten Jugendlichen, in nationalen Jugendbünden, unter Skinheads und Fußballfans) und einen weitaus größeren Aktivismus aufwies. Ohne dieses Spektrum geht den rechtsextremen Wahlparteien ihre Mobilisierungskraft weitgehend verloren; mit ihm gelingt es nicht, die engen Grenzen der eigenen politischen Subkultur dauerhaft zu verlassen und das Wähler- und Anhängerpotenzial markant zu erweitern. Auch Versuche der Integration beider Spektren, wie sie in der DRP und in der NPD der 1960er zu erkennen sind, bleiben prekär, weil es sich eben um Fliehkräfte handelt, die zur Überdehnung des nationalen Lagers führen und in der Regel seine Desintegration begünstigen. Desintegration bedeutet aber für die extreme Rechte eine Aufsplitterung in zahlreiche bedeutungslose Kleinparteien und Einzelbünde. Auch dieser Wechsel von Sammlung und Spaltung ist ein Erklärungsfaktor für das oben beschriebene charakteristische Muster kurzfristiger Mobilisierungsphasen, die von solchen der Stagnation abgelöst werden.

Damit ist auch ein weiteres Spezifikum der Entwicklungsdynamik der extremen Rechten verbunden: „Ereignisketten“ (Peter Dudek/Hans-Gerd Jaschke), durch welche sie periodisch ins Licht der Öffentlichkeit rückt. Die Dynamik dieser Ereignisketten ist schwer zu fassen, da die einzelnen Ereignisse nicht unbedingt in einem direkten kausalen oder anderweitigen Zusammenhang miteinander stehen müssen. Gleichwohl kommt es wiederholt und aus unterschiedlichen Anlässen in der Geschichte der Bundesrepublik zu Erscheinungen, die plötzlich, eruptiv und oft unerwartet das Problem des Rechtsextremismus ins Bewusstsein des Publikums bringen und auf die Agenda der Politik zwingen. Solche Ereignisketten sind z.B. die Wahlerfolge der SRP in Verbindung mit der „Naumann-Verschwörung“ und der „Schlüter-Affäre“ in den 1950ern;die kurz vor Beginn des Jahres 1960 einsetzende „Hakenkreuz-Schmierwelle“ in Verbindung mit geschichtspolitischen Debatten um die juristische Aufarbeitung des Nationalsozialismus, oder die terroristische Mobilisierungswelle zu Beginn der 1980er Jahre in Verbindung mit dem Schock der SINUS-Studie, die unerwartet hohe rechtsextreme Einstellungspotenziale ermittelte. Im Zweifelsfall müssen diese Ereignisketten nicht unbedingt für eine besondere quantitative oder qualitative Zunahme des Rechtsextremismus stehen, mitunter drücken sie nur eine verstärkte, medial vermittelte gesellschaftliche Sensibilität aus.

Richard Stöss hat 1989 eine Periodisierung der extremen Rechten vorgeschlagen, die sich an den Wahlerfolgen rechtsextremer Parteien orientierte. Eine erste Phase beginnt demnach 1945 und dauert bis zum Beginn der Mobilisierungserfolge der NPD an; diese stehen am Anfang einer zweiten Phase; und mit den ersten Mobilisierungserfolgen der Partei Die Republikaner (REP) beginnt eine dritte Phase. Der Vorteil dieser Periodisierung ist zweifellos darin zu sehen, dass sie von den rechtsextremen Akteuren ausgeht. Zudem reflektiert Stöss auch die Mobilisierungswellen des europäischen Rechtsextremismus mit. Auch später hat er die dritte Phase im Jahr 1990 enden und eine vierte, gesamtdeutsche Phase beginnen lassen. Die vorliegende Darstellung wird die Periodisierung nach Stöss insofern berücksichtigen, als sie ebenfalls von bislang drei Entwicklungsphasen ausgeht. Sie wird aber die Abgrenzung dieser Phasen etwas anders vornehmen. Im Allgemeinen nehmen wir die Entwicklung der Bundesrepublik so wahr, dass wir die einzelnen Jahrzehnte als relativ scharf geschiedene Etappen dieser Geschichte ansehen. Die Fünfziger-, Sechziger-, Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre stehen jeweils als Begriffe für sich selbst und erzeugen unmittelbar eine Reihe von Assoziationen und Bildern, die jedem Jahrzehnt seine eigene Signatur verleihen. Die Entwicklung der extremen Rechten lässt sich vor der Folie der Geschichte der Bundesrepublik recht gut mit dem Wechsel der Jahrzehnte in Deckung bringen. Wir unterscheiden daher drei Blöcke von jeweils zwanzig Jahren – 1949–1969, 1970–1989, 1990–2009 –, die wir wiederum in jeweils zwei Etappen entsprechend den Jahrzehnten unterteilen.

2. Vom Kaiserreich zum Ende des Nationalsozialismus

Die Ursprünge der extremen Rechten in Deutschland liegen in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Ihre geistesgeschichtlichen Quellen reichen noch weiter zurück, in der Ära der politischen Romantik und der Frühphase des deutschen Nationalismus. So sind denn Herder (1744–1803), Fichte (1762–1814), Arndt (1769–1860) und „Turnvater“ Jahn (1778–1852) bis heute wichtige Bezugspunkte ihrer Tradition. Die spezifische Mischung aus antidemokratischem Staatsverständnis, territorialem Expansionismus und Idealisierung einer ethnisch homogenen Gemeinschaft, die diese Strömung als rechtsextreme, radikalnationalistische politische Opposition konstituiert, entstand in der Zeit, die von der „inneren Reichsgründung“ um 1878/79 bis in die Frühphase des Wilhelminismus seit den 1890er Jahren reicht. Die historische Konstellation dieser Jahre brachte einen tief greifenden Wandel innerhalb der politischen Kultur Deutschlands mit sich. Der mit Otto von Bismarcks (1815–1898) politischer Wende einsetzende Funktions- und Bedeutungswandel des Nationalismus, „vom linken zum rechten Nationalismus“ (Heinrich August Winkler), löste die deutsche Nationalbewegung von ihren humanistischen, demokratischen und liberalen Wurzeln. In enger Verbindung damit kamen der moderne Antisemitismus und die „Antisemitenparteien“ auf, die bereits in den späten 1870er Jahren die „ersten Kampfverbände des Reichsnationalismus“ (Hans-Ulrich Wehler) bildeten. Die frühe „Antisemitenbewegung“ wurde zu einem wichtigen Ausgangspunkt für die Herausbildung der deutschen extremen Rechten.

E

AntisemitismusIm Unterschied zur traditionellen, vorrangig religiös motivierten Judenfeindschaft der Antike und Frühen Neuzeit entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts eine neue Form des Antijudaismus, die sich von ihren religiösen Wurzeln ablöste. Ihre Protagonisten stellten die „Juden“ als eine fremde und zugleich bösartige Bevölkerungsgruppe dar, die es erreicht habe, sich still und unsichtbar die Herrschaft über die „germanische“ Bevölkerung zu sichern. Die Wurzeln dieses modernen Antisemitismus sind ideengeschichtlich im frühen 19. Jahrhundert nachweisbar, doch erst während der Großen Depression seit 1873 gewann das neue antijüdische Feindbild an Popularität. Seit etwa 1878 formierte sich die antisemitische Bewegung um Publizisten wie Wilhelm Marr (1819–1904) oder Theodor Fritsch (1852–1933) und politische Agitatoren wie Adolf Stoecker (1835–1909) und Otto Böckel (1859–1923). Als Initialzündung kann der „Berliner Antisemitismusstreit“ angesehen werden, der durch judenfeindliche Passagen in Heinrich von Treitschkes (1834–1896) Artikel „Unsere Aussichten“ 1879 ausgelöst wurde. Antisemitismus, der bald darauf mit der Rassenlehre zum „Rassenantisemitismus“ verschmolz, wurde zu einem charakteristischen Merkmal der extremen Rechten in Deutschland und prägt bis in die Gegenwart, wenn auch mit variierender Intensität und Radikalität, die gesamte „nationale Opposition“.

Wilhelminismus

Nach der Krönung Wilhelms II. (1859–1941) zum Deutschen Kaiser im Jahr 1888 und der zwei Jahre später erfolgenden Ablösung von Reichskanzler Bismarck durch Leo von Caprivi (1831–1899) gruppierte sich die politische Rechte in Deutschland neu. Neben die Vertreter konservativer Standesinteressen im Staat und Agrarsektor und großgewerblich-industrielle Interessengruppen, die bislang im rechten Lager dominierend gewesen waren, traten jetzt Teile der Mittelschichten, die ihrerseits eine sowohl nationalistische als auch rechte Agenda verfolgten. Die nationale Rechte in der wilhelminischen Ära war allerdings insgesamt noch keine systemilloyale politische Kraft, wie es die gewaltbereite extreme Rechte der Weimarer Republik werden sollte. Dennoch entwickelte sie sich der Richtung nach zur nationalen Opposition, geriet in den Jahren unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg in immer schärferen Widerspruch zur Reichsleitung und unterzog das politische System des Deutschen Reichs einer immer grundsätzlicher werdenden Kritik.

E

Die politische RechteAls unterscheidendes Merkmal zwischen rechten und linken politischen Positionen wird die Stellung zum Prinzip der Gleichheit in den gesellschaftlichen Ordnungskonzepten betrachtet. Politische Positionen können nach Norberto Bobbio auf einer sog. Rechts-Links-Achse oder Egalitarismus-Antiegalitarismus-Achse mit den Polen Gleichheit-Ungleichheit abgebildet werden. Rechtsextreme Positionen lassen sich demnach als „Ordnungen der Ungleichheit“ (Stefan Breuer) charakterisieren, wobei mit dieser allgemeinen Bestimmung ein weites Feld an unterschiedlichen Positionen umrissen ist, das weltanschaulich, ideologisch und politisch viele Varianten aufweisen kann. Zur Verortung einer politischen Position reicht die Rechts-Links-Unterscheidung nicht aus. Ergänzend kann nach der angestrebten politischen Ordnung gefragt werden, die auf einer Libertarismus-Autoritarismus-Achse abzubilden ist. Denkbar ist ferner eine Rationalismus-Irrationalismus-Achse, mit den Polen Aufklärung-Mythos. Die extreme Rechte in Deutschland findet sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert überwiegend in jenem Sektor der politischen Landschaft, der durch Antiegalitarismus, Autoritarismus und Irrationalismus bestimmt wird.

Agitationsverbände; Alldeutsche

Als Oberbegriff für die seit 1890 neu formierte nationalistische Rechte hat sich das Wort „Radikalnationalismus“ durchgesetzt. Gemeint ist damit eine breite Strömung im deutschen Bürgertum und den Mittelschichten, die sich v.a. in Vereinen und Verbänden organisierte und versuchte, auf diesem Weg in die deutsche Politik einzugreifen. Die radikalnationalistischen Agitationsverbände gliedern sich in drei Gruppen: (a) Verbände, die der Vertretung gewerblicher oder berufsständischer Interessen dienten und dies mit einer radikalnationalistischen Agenda verbanden, wie der Bund der Landwirte oder der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband, beide 1893 gegründet; (b) Verbände, die ein bestimmtes und begrenztes politisches Ziel verfolgten, wie die Kolonialgesellschaft, gegr. 1887, der Ostmarkenverein von 1894, der Flottenverein von 1898, der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie von 1904, der Wehrverein oder der Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, die beide 1912 entstanden; (c) übergreifende Interessenverbände, unter denen v.a. der Alldeutsche Verband (ADV), gegründet 1891 als Allgemeiner Deutscher Verband und 1894 umbenannt, und der 1894 gegründete völkische Deutschbund zu nennen sind. Im Laufe des Kaiserreichs entwickelte sich der ADV zum Sprachrohr der Kräfte des radikalen Nationalismus und engagierte sich schließlich auf nahezu allen Feldern des gesellschaftlichen Lebens, der inneren und der äußeren Politik, ohne sich selbst die Form einer politischen Partei zu geben. Vielmehr versuchte er, unter den Vertretern der nicht-sozialistischen Parteien für seine Positionen zu werben, und polemisierte gleichzeitig prinzipiell gegen den Reichstag. Insofern der ADV gegründet wurde, um den „Neuen Kurs“ der Regierung Caprivi nach dem Ende der Bismarck-Ära zu bekämpfen, hatte er von vornherein einen „nationaloppositionellen“ Zug. Im weiteren Verlauf der 1890er Jahre konnten die radikalen Nationalisten indes wieder hoffen, ihre innen-, außen- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen realisieren zu können, zu denen beispielsweise auch der Erwerb überseeischer Kolonien (Imperialismus) sowie die Begründung militärischer „See“- und „Landgeltung“ (Flottenbau- und Heerespolitik) zählten. Doch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sahen sich viele Protagonisten des alldeutschen Kurses in ihren Erwartungen und Hoffnungen enttäuscht. Unter dem Einfluss einer jüngeren Generation alldeutscher Funktionäre und Aktivisten entfremdeten sich der Verband und das ihn tragende politisch-soziale Milieu zunehmend von der Politik der Reichsleitung. Gleichzeitig radikalisierten sich seine Positionen, mehr und mehr wurde der ADV vom Antisemitismus, der in den ersten Jahren durchaus umstritten gewesen war, durchdrungen. Immerhin versuchten die Kräfte des radikalen Nationalismus noch nicht, die politische Ordnung umzustürzen, sondern nach wie vor auf dem Wege der Interessenpolitik den politischen Kurs zu beeinflussen. In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden sie zunehmend unruhig: Ihre weltpolitischen Ambitionen schienen durch das Einlenken der Reichsleitung in der Zweiten Marokkokrise (1911) vereitelt; innenpolitisch wurde die Sozialdemokratie angesichts ihres Durchbruchs in den Reichstagswahlen von 1912 – im radikalnationalistischen Spektrum als „Judenwahlen“ diffamiert – immer stärker als Bedrohung wahr genommen.

In dieser Zeit erzielte der radikale Nationalismus einen seiner bedeutendsten und nachhaltigsten Erfolge, als es 1913 gelang, im neuen Staatsangehörigkeitsgesetz des Reiches das auf Abstammung orientierte ius sanguinis oder „Blutsrecht“ anstelle des auf den Geburtsort abzielenden ius soli zu verankern. Unter dem Einfluss der Alldeutschen und ihrer Bündnispartner brachte die Regierung einen Gesetzesentwurf auf den Weg, der erklärtermaßen die Absicht hatte, „1. Deutschen im Ausland den Verlust der Staatsangehörigkeit zu erschweren; 2. früheren Deutschen den Wiedererwerb der Staatsangehörigkeit zu erleichtern, und eventuell 3. Ausländern die Naturalisation zu erschweren.“ Mit der Verabschiedung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 wurde die Abstammung zum leitenden Prinzip für die Gewährung oder Verweigerung der Staatsangehörigkeit. Damit orientierte sich das Deutsche Reich in dieser Frage am Konzept der Volksnation in Abgrenzung zum westlichen Modell der Staatsnation. Der radikale Nationalismus konnte damit gleich auf zwei zentralen Punkten seiner Agenda Erfolge verbuchen: Indem „die Staatsangehörigkeit in einem völkischen Sinne“ umgedeutet wurde, gelang es – wie Peter Walkenhorst festhält – erstens, sie „zu einem Instrument der sozialen Schließung gegenüber ‚volksfremden‘ Elementen umzufunktionieren“, zweitens aber auch, „ethnische“ Deutsche außerhalb der Reichsgrenzen zu Staatsbürgern zu machen – und sei es unter Inkaufnahme der ungeliebten Doppelstaatsangehörigkeiten – und somit zu bekräftigen, dass Deutschland und der Siedlungsraum des deutschen Volkes immer noch größer gedacht werden mussten, als das Territorium des Deutschen Reiches von 1871. Dieser Erfolg der radikalnationalistischen Politik war von lang anhaltender Wirkung: Die Abstammung blieb das bestimmende Prinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts über die politischen Wechsel von 1918/19, 1933 und 1945/49 hinaus, das – zumindest in der Bundesrepublik – ungebrochen bis ins Jahr 2000 galt, als die Einbürgerung von Personen nicht-deutscher Herkunft erleichtert wurde, während die positive Diskriminierung von Personen deutscher Abstammung unangetastet und damit ein wesentliches Element des ius sanguinis bis heute erhalten blieb.

E

Volksnation, Kulturnation, StaatsnationDie neuere Nationalismusforschung geht nicht mehr davon aus, dass Nationen gegebene kulturelle, historische oder gar natürliche Tatsachen seien, sondern analysiert sie als „vorgestellte politische Gemeinschaften“ (Benedikt Anderson). Während Nationsbildungsprozesse und nationale Weltanschauungen dabei immer die Konstruktion von Innen- und Außengruppen voraussetzen, lässt sich die Frage der Zugehörigkeit unterschiedlich definieren. Das „westliche“ Modell der Staatsnation geht von der dauerhaft im Territorium der Nation lebenden Wohnbevölkerung aus. So können auch nationale, ethnische oder sprachliche Minderheiten der Nation zugehören und Nationen sich aus mehreren Völker konstituieren, wie etwa in der Schweiz, und ein Beitritt zur Staatsnation ist denkbar, so dass sich Migration durch Einbürgerung der Migranten, wie in den USA, bewältigen lässt. In solchen Fällen wird mitunter auch von einer „Willensnation“ gesprochen. Davon abzusetzen ist das Konzept der Kulturnation, das einen bestimmten, essentiellen Zusammenhang der durch Sprache, Brauchtum und grundsätzliche Lebensauffassungen miteinander verbundenen Glieder der Nation konstatiert. In der Volksnation ist das zentrale verbindende Merkmal die gemeinsame ethnische Abstammung aller Angehörigen eines „Volkstums“.

Völkische

Eine Sonderform des radikalen Nationalismus stellen die Völkischen dar, die sich mit dem Abebben der ersten antisemitischen Welle formierten. Charakter, Umfang und Stellung der völkischen Bewegung wurden in der wissenschaftlichen Literatur sehr unterschiedlich gesehen: Wegen ihrer Tendenz, die Grenzen des Nationalstaats zu Gunsten eines größer gedachten „Volkskörpers“ zu transzendieren, wurde sie von einigen Autoren nicht einmal dem Nationalismus zugeschlagen; auf der anderen Seite bestand die Neigung, den Begriff „völkisch“ so weit auszudehnen, dass nahezu jede politische Formation auf der Rechten, die mit dem Begriff „Volk“ operierte, auch der völkischen Bewegung zugerechnet wurde. Demgegenüber fordert die neuere Forschung erstens einen „engen“ Begriff der völkischen Bewegung ein und sieht sie zweitens durchaus im Lager des radikalen Nationalismus verortet: Völkischer Nationalismus ist demnach eine Spielart des radikalen Nationalismus, aber weder sind beide deckungsgleich, noch scharf voneinander abgegrenzt. So gibt es auch zahlreiche Überschneidungen und Berührungspunkte zwischen dem völkischen Segment innerhalb des Nationalismus und dem breiteren Spektrum des radikalen Nationalismus. Zwischen den nationalistischen Agitations- und Interessenverbänden und den Gesinnungsgemeinschaften der völkischen Bewegung, deren bedeutendste der Deutschbund war, gab es zahlreiche Doppelmitgliedschaften, Schnittmengen und Kooperationen. Insgesamt betrieben die Völkischen im Vergleich zu den Agitationsverbänden weniger Interessenpolitik. Sie zielten eher auf die weltanschauliche, bündische, kulturelle, auch spirituell-religiöse Einbindung ihrer Angehörigen in eine Art lebensweltliche Gemeinschaft. Daher wiesen sie auch eine starke Affinität zur Lebensreformbewegung auf (ohne dass diese insgesamt als „völkisch“ bezeichnet werden darf). Wesentlich radikaler fiel der völkische Antisemitismus aus; wesentlich stärker machten die Völkischen die Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ von einer „rassisch“ verstandenen Abstammung abhängig; als wesentlich größer empfanden sie das Bedürfnis nach einer Regeneration des „deutschen Volkes“, nach „Rassenpflege“ und „Rassenhygiene“, bis hin zur „Rassenzucht“. Die völkische Bewegung verband sich mit kulturpessimistischen und modernisierungskritischen Strömungen, eiferte gegen Verstädterung und Heimatverlust und propagierte an Stelle einer modernen, pluralen Gesellschaft ursprüngliche, organische Gemeinschaften, nach denen sie das Ideal einer reinen, von Fremdkörpern gereinigten und homogenen Volksgemeinschaft bildete. Auffallenderweise ließ sich gerade in den Reihen der Völkischen dieses Gemeinschaftsideal nicht annähernd verwirklichen: Die Bewegung blieb – was ihr Hitler und andere nationalsozialistische Führer später mit einem gewissen Recht vorhielten – dauerhaft in hoffnungsloser, lähmender Zersplitterung, Konkurrenz eitler Selbstdarsteller und kleinlichem Sektierertum befangen. Zwar gab es innerhalb der völkischen Bewegung durchaus Einigungsbestrebungen und strömungsübergreifende Plattformen, unter denen an erster Stelle der Deutschbund zu nennen ist. Doch der unmittelbare politische Erfolg der Bewegung blieb unbedeutend, während die Völkischen in kultureller Hinsicht einigen Einfluss erlangen konnten. Bei der Radikalisierung der Inhalte und Methoden der nationalistischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg spielten die Völkischen eine zentrale Rolle, so dass sie durchaus als eine Keimzelle der NSDAP angesehen werden müssen. Allerdings ging die „nationale Sammlung“, für die die nationalsozialistische Bewegung stand, über das völkische Spektrum deutlich hinaus, und auch die extreme Rechte der Bundesrepublik regenerierte sich keineswegs bloß aus der Tradition der Völkischen.

Erster Weltkrieg

Die Entfremdung zwischen Reichsleitung und radikalem Nationalismus setzte sich im Lauf des Ersten Weltkrieges fort. Die Alldeutschen und ihre Bündnispartner zählten im Konzert des chauvinistischen Kriegsjubels zu den lautesten und schrillsten Stimmen; ihre Kriegszieldenkschriften und politischen Forderungen waren besonders weitreichend und unrealistisch. In Reaktion auf die „Friedensresolution“ der Reichstagsmehrheit gründeten führende Vertreter der nationalen Opposition, unter ihnen an prominenter Stelle Alfred Hugenberg (1865–1951), 1917 die Deutsche Vaterlandspartei. In ihr kam die Doppelstellung der nationalen Opposition gegenüber dem politischen System des wilhelminischen Kaiserreichs nochmals zum Ausdruck. Die Partei verband systemloyale nationalistische Politiker, die den alten Eliten verbunden waren, mit alldeutschen und verwandten Strömungen der nationalen Opposition; sie bekundete ihre Loyalität zu Vaterland und Herrscherhaus, bemühte sich aber gleichwohl um eine außer- und antiparlamentarische Mobilisierung und adaptierte – mindestens intern im Kreise ihrer führenden Funktionäre – den Gedanken einer notfalls durch einen Staatsstreich zu bildenden, gegen den Reichstag gerichteten politischen Diktatur. Die Hoffnungen lagen dabei nicht mehr auf der Person des Kaisers selbst, sondern auf der dritten Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg (1847–1934) und Erich Ludendorff (1865–1937).

Weimarer Republik

Zur nationalen Opposition im vollen Sinne des Wortes, nämlich zur fundamentaloppositionellen, systemilloyalen radikalnationalistischen Kraft, entwickelte sich die äußerste Rechte erst in dem Moment, als das Deutsche Reich zur Republik wurde. Die Fluchtpunkte der nationalistischen Kritik blieben die gleichen: Das Deutsche Reich war seinen Grenzen nach kleiner als der „deutsche Volksboden“ bzw. Siedlungsraum; Menschen, die nicht zu diesem Volk gerechnet wurden, galten dennoch als deutsche Staatsbürger; die politische Ordnung entsprach nicht den autoritären Ordnungsvorstellungen der extremen Rechten. Aber dennoch hatte sich die radikalnationalistische Politik substantiell verändert: Sie zielte nun darauf, eine Revision der internationalen Nachkriegsordnung, wenn nötig auch gewaltsam oder militärisch, zu erzwingen, „volksfremde“ Elemente – besonders die Juden – radikal auszuschließen und die verfassungsmäßige Ordnung der Republik umzustürzen. Zu diesem Wandel der Politik kam ein Wandel der Methoden. Zwar hatte es im Kaiserreich durchaus gelegentlich gewalttätige, von der Antisemitenbewegung forcierte Exzesse gegen Juden gegeben. Außerdem hatte der radikale Nationalismus durchaus ein hartes Vorgehen gegen die Anhänger der Sozialdemokratie befürwortet. Und auch ein Staatsstreich war für die radikalen Nationalisten eine denkbare Option. Doch erst die Brutalisierung weiter Teile ihrer Anhängerschaft im Laufe des Ersten Weltkriegs und die Enttäuschung über die Revolution, als Werk der Juden und Bolschewisten interpretiert, brachte die Bereitschaft hervor, jene exzessive politische Gewalt anzuwenden, die für die extreme Rechte der Weimarer Republik so typisch wurde. In den Freikorps der Revolutions- und Bürgerkriegsjahre fand dieser Stil im politischen Mord seinen Ausdruck.

Im Gefolge der Revolution entstanden eine Vielzahl völkischer und radikalnationalistischer Bünde und Verbände, deren Ziel es war, die Republik zu beseitigen, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und die Juden aus Deutschland zu vertreiben, die internationale Nachkriegsordnung zu bekämpfen und die von Deutschland in Folge des Versailler Vertrags abgetrennten Gebiete zurückzugewinnen. Dabei handelte es sich in der ersten Phase typischerweise um klandestine Männerbünde mit hohem Gewaltpotenzial, wie das Freikorps Roßbach oder die Organisation Consul. Größer und einflussreicher war der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (DVST), der auf Initiative des ADV als dessen Vorfeldorganisation gegründet wurde und sich zur Sammlungsbewegung der völkischen Verbände und Vereine entwickelte, bevor er 1922 in den meisten deutschen Ländern verboten wurde. Seine Aktivisten gingen häufig später zur nationalsozialistischen Bewegung über. Auch die NSDAP entstand 1919 im völkischen Milieu, obwohl sie später einen eigenen politischen Weg wählte. Die radikalnationalistischen Verbände hegten zunächst noch die Hoffnung, die Republik auf dem Wege des Putsches zu beseitigen. Mehrfach wurden gewaltsame Umsturzversuche vorbereitet und teilweise – wie 1920 unter Wolfgang Kapp (1858–1922) – in Angriff genommen. Als 1921/22 mit Matthias Erzberger (1875–1921) und Walther Rathenau (1867–1922) zwei Minister der demokratischen Regierung ermordet wurden, und als 1923 Hitler und Ludendorff einen weiteren Putschversuch unternahmen, leitete die Republik eine Reihe von Maßnahmen gegen die gefährlichsten nationalistischen Parteien und Kampfverbände ein. Sie warfen die Organisationsbemühungen der republikfeindlichen Rechten zwar um einige Jahre zurück, führten aber nicht zu nachhaltigen Erfolgen, zumal sie von Justiz, Verwaltung und Polizei auf der mittleren Ebene nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt wurden.

Deutschnationale; Deutschvölkische

Nicht alle Flügel des radikalen Nationalismus konnten es sich erlauben, stets und in allen Fragen eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der Republik aufrechtzuerhalten. Für einen Teil des nationalistischen Milieus ging es immerhin um die Verteidigung konkreter politischer und sozialer Interessen, für deren Artikulation und Durchsetzung es auch unter den Bedingungen der ungeliebten Republik eines Mediums bedurfte. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht der Weg der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Gegründet wurde sie als Sammlungspartei, die die früheren konservativen Parteien ebenso wie die Vaterlandspartei und diverse antisemitische, völkische und radikalnationalistische Gruppen vereinte. In den Anfangsjahren formierte sie sich auf einer klar antirepublikanischen Basis als fundamentaloppositionelle Kraft, wozu auch die Übernahme antisemitischer Programmpunkte gehörte. In den Kapp-Putsch verstrickt, wurde sie in Teilen der republikanischen Öffentlichkeit für die Morde an Erzberger und Rathenau mit verantwortlich gemacht. Durch diese äußeren Umstände zur Mäßigung gezwungen, verlor die DNVP 1922 ihren radikaleren, völkischen und antisemitischen Flügel, der sich zur Deutschvölkischen Freiheitspartei (DVFP) formierte. Diese wurde nach dem Verbot des DVST und der NSDAP zunächst zum Sammelbecken für Völkische und Nationalsozialisten im norddeutschen Raum, verlor dann aber seit Mitte der 1920er Jahre, nach der Neugründung der NSDAP, ihre Bedeutung. Die DNVP dagegen sah sich im Zuge der Stabilisierung der Republik zu immer weitgehenderen Arrangements mit dem neuen politischen System veranlasst. Ihre nationaloppositionelle Haltung gab sie zunächst auf und wandelte sich von einer zumindest äußerlich, also formal systemloyalen Opposition zur Regierungspartei. Als sich allerdings Ende der 1920er die Verhältnisse verschlechterten und eine neue Krise abzeichnete, wechselte die politische Haltung der DNVP erneut. Alfred Hugenberg, ADV-Funktionär der ersten Stunde und inzwischen zum rechten Medienzar avanciert, übernahm die Führung der DNVP und führte sie zurück in eine antirepublikanische, radikale Oppositionsrolle.

Harzburger Front

Unter Hugenbergs Mitwirkung nahmen die Kräfte des radikalen Nationalismus eine Kampagne gegen die Republik und gegen die internationale Nachkriegsordnung in Angriff. Seit 1929 formierten sie sich im Reichsausschuss für ein deutsches Volksbegehren. Auf plebiszitärem Wege sollte die deutsche Politik genötigt werden, den Young-Plan zur Begleichung der Reparationen abzulehnen und eine Gesamtrevision des Versailler Vertrags anzustreben. Zu dieser Initiative wurde neben dem Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten und anderen Wehrverbänden, Kreisen der Industrie sowie diversen völkischen und rechtsextremen Organisationen auch die NSDAP hinzugezogen. Nach dem Scheitern der Kampagne formierte sich die republikfeindliche Rechte, ebenfalls unter Beteiligung der NSDAP, auf einer Tagung in Bad Harzburg im Oktober 1931 erneut. In Frontstellung gegen das zweite Präsidialkabinett Heinrich Brünings (1885–1970) griff Hugenberg die alldeutsche Parole von der „nationalen Opposition“ erneut auf. Die „Harzburger Front“ war indes schon ein Zeichen des Verfalls der alten Form des radikalen Nationalismus, der sich mit neuen Strömungen konfrontiert sah.

Neuer Nationalismus

Im Laufe der Weimarer Republik hatte sich das „nationale Lager“ weit aufgefächert und ausdifferenziert, wobei an die Seite eines sog. Alten Nationalismus ein Neuer Nationalismus getreten war. Die Unterscheidung besteht im Wesentlichen darin, dass die Kräfte des Alten Nationalismus, für die auch ADV und DNVP stehen, im Prinzip an der sozialen Gliederung innerhalb der deutschen Nation festhalten wollten. Demgegenüber strebte der Neue Nationalismus eine stärkere Inklusion und Integration der unteren sozialen Schichten in die deutsche Gesellschaft an. Tendenziell ging dies mit einer Anerkennung ideeller und materieller Ansprüche besonders der Arbeiter einher. Eine aktivistischere, teils revolutionäre Rhetorik war für den Neuen Nationalismus typisch. In diesem Kontext formierten sich eine Reihe von Gruppierungen und Zirkeln, oft im Umfeld eines Leitmediums – z.B. der „Widerstandskreis“ um Ernst Niekischs (1889–1967) Zeitschrift „Widerstand“ oder der „Tat-Kreis“ um die Monatsschrift „Die Tat“ – zu speziellen Einzelgruppen innerhalb der nationalistischen Bewegung. Zahlreiche Publizisten und Pamphletisten prägten das Feld, bauten eigenständige Denksysteme und eigentümliche programmatische Sondergruppen auf und verstrickten sich im Geflecht von Bündnissen und Feindschaften, Kooperationen und Konkurrenzen. Fremd- und Eigenbezeichnungen variierten, es war von Jungkonservativen und Jungnationalen, Nationalrevolutionären und Nationalbolschewisten die Rede. Nach 1945 ist versucht worden, Schneisen in das Dickicht dieser diffusen Bewegung zu schlagen, einzelne Strömungen nach soziologischen, generationellen, organisatorischen, politischen, vor allem aber nach ideologisch-weltanschaulichen Gesichtspunkten zusammenzufassen und zu kategorisieren. Von „antidemokratischem Denken in der Weimarer Republik“ (Kurt Sontheimer) war dabei die Rede, oder – in dem einflussreichen, von geistiger Nähe zum Objekt geprägten Werk Armin Mohlers – von einer „Konservativen Revolution“. Für unseren Zusammenhang ist es nicht entscheidend, wie diese einzelnen Strömungen zu kategorisieren sind, obgleich uns einige von ihnen als weltanschauliche Bezüge in der Tradition der bundesdeutschen nationalen Opposition wieder begegnen. Entscheidend ist vielmehr, die Vielfältigkeit dieser Bewegung festzuhalten.

NSDAP

Vielleicht erlaubte gerade die Widersprüchlichkeit und Inkonsistenz der radikalen Rechten, dass sie schließlich weitgehend in die nationalsozialistische Sammlungsbewegung einmündete. 1923 nach dem gescheiterten Münchner Putsch in Haft genommen, hatte Adolf Hitler (1889–1945) seine Grundgedanken in seinem Buch „Mein Kampf“ niedergelegt, nach der Haftentlassung an Stil, Auftreten und politischer Strategie der NSDAP wesentliche Korrekturen vorgenommen und sie zur dynamischsten Kraft innerhalb des nationalistischen Lagers gemacht. Dabei hatte er sich von der Ausgangsbasis der Partei in der völkischen Bewegung und im rechtsradikalen Gewaltmilieu insoweit emanzipiert, dass er diese Kreise weiter an seine Partei binden und zum weltanschaulich gefestigten Kern des Parteikaders machen konnte, aber in die Lage kam, erstmals in der Geschichte der deutschen radikalen Rechten deutlich über den engen Kreis des bisherigen Basismilieus hinausgehende Erfolge zu erzielen. 1930 begann der Aufstieg der NSDAP, die alle anderen Kräfte im radikalnationalistischen Lager entweder absorbierte oder paralysierte, zu sich zog oder politisch ausschaltete. Die Machtübertragung an Hitler 1933 überführte dieser in eine „nationale Erhebung“ oder „nationale Revolution“, die sich als anschlussfähig für Vertreter des Alten, des Neuen und des völkischen Nationalismus erwies, darüber hinaus aber auch für alle jene Deutschen, die bereit waren, sich auf die neuen Verhältnisse einzulassen, und die ihrerseits nicht als „politische“ oder „rassenpolitische Gegner“ ausgegrenzt wurden. Die nationale Opposition war zur Regierungsmacht gelangt und ging nun daran, die zentralen Ziele des radikalen Nationalismus zu verwirklichen: Die Demokratie wurde beseitigt und durch eine brutale Diktatur ersetzt; Juden wurden aus der deutschen Nation ausgegrenzt, entrechtet, vertrieben und schließlich während des Krieges ermordet; die Grenzen des Deutschen Reiches wurden überschritten – zuerst im Sinne eines „Großdeutschen Reichs“, das alle geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete in Europa umfassen sollte, anschließend im Sinne eines kontinentalen Imperialismus, der auf Kosten der anderen europäischen Nationen wirtschaftliche „Ergänzungsräume“ im Westen und Norden und neuen „Lebensraum“ im Osten erschließen sollte.

NS-Gegner von rechts