Die falsche Wahl - Enno Reins - E-Book

Die falsche Wahl E-Book

Enno Reins

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es ist wieder mal Wahlkampf. Lozen Graham muss sich mit Provokateuren, Hackern und einem rechten Milliardär rumschlagen. Was sie nicht weiss: Sie und ihr Team werden beobachtet. Von einem Mann ohne Namen und ohne Identität. Was sind seine Absichten? "Erst schießen, dann wählen" ist - nach "Die Vergangenheit stirbt nicht", "Showdown", "Rechte Patrioten", "Verloren" und "Der letzte Dreck" - der sechste Roman um die Ermittlerin Lozen Graham.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 220

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Danke, Uta. Wie immer.

Inhaltsverzeichnis

Interlude 1

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

Interlude 2

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

73. Kapitel

74. Kapitel

75. Kapitel

76. Kapitel

77. Kapitel

78. Kapitel

79. Kapitel

80. Kapitel

81. Kapitel

82. Kapitel

83. Kapitel

84. Kapitel

85. Kapitel

86. Kapitel

87. Kapitel

88. Kapitel

89. Kapitel

90. Kapitel

Interlude 3

91. Kapitel

Interlude 1

Die geschlossene Black-Phoenix-Chat-Gruppe auf dem Instant-Messenger-Portal des Onlinedienstes ‚LukOut‘:

Wondergirl32: „Du bist überzeugt, dass die Auswahl ein Problem darstellt?“

Hammerhead11: „Ja. Hatte mehrfach mit der Person zu tun.“

LadyMystery5: „Was unternehmen wir?“

Wondergirl32: „Wir setzen einen Kontraktor ein.“

Hammerhead11: „Soll ich mich nicht darum kümmern?“

Wondergirl32: „Aus Sicherheitsgründen nehmen wir einen Kontraktor von außerhalb. Vorschläge?“

Patriot33: „Passe.“

LadyMystery5: „Passe.“

FourFace8: „Passe.“

UnionJack: „Mein Vorgesetzter hat Leute in der Stadt.“

Wondergirl32: „Ich sagte, ein Kontraktor von außerhalb.“

Hammerhead11: „Ich kenne jemanden. Fähig. Unpolitisch. Aus dem kriminellen Milieu. Teuer. Im Notfall entbehrlich. Weiß nicht, ob er solche Aufträge annimmt.“

Wondergirl32: „Schick die Kontaktdaten zu UnionJack. @UnionJack: Überprüf den Kontraktor, schließ den Vertrag ab, wenn er der Richtige ist, und informier deinen Vorgesetzten.“

1.

Ein scharfer Wind blies. Es nieselte. Der Mann schaute die Menschen um sich herum an, die wie er an der Ampel warteten. Eine massive Frau mit dicken roten Lippen und stämmigen Beinen, die eine blaue Jacke und einen gelben Wollrock trug. Vermutlich eine Verkäuferin. Ein glatzköpfiger Afroamerikaner, der eine Aktentasche wie ein Schild vor den Bauch hielt. Vielleicht ein Buchhalter, vielleicht ein Frührentner, auf jeden Fall jemand mit wenig Selbstvertrauen. Ein Typ mit grünem Mantel, weißem Hemd und grüner Krawatte. Mode, Musik, Internet, schwer zu sagen. Eine Araberin mit Regenschirm, die in einem Pelzmantel steckte, mit einer hochgesteckten Frisur, wie sie in den 1960ern in Mode gewesen war. Nicht einzuschätzen, womit sie ihr Geld verdiente, unter Umständen tätowierte sie, auf jeden Fall ein Retro-Groupie. Drei Teenager mit Mützen, die auf ihre Smartphones starrten. Schüler. Neben ihnen stand ein älterer Herr mit Hut, der aussah, als wäre er Statist in einem Mafia-Film. Der Mann beobachtete gern. Wer beobachtete, lernte etwas. Über Menschen, über Abläufe. Wer beobachtete, war achtsam. Wer beobachtete, erkannte frühzeitig eine Bedrohung und überlebte.

Die Ampel sprang um. Der angezeigte Countdown unter der weißen Hand zeigte an, dass die Fußgänger dreißig Sekunden lang Zeit hatten, die Straße zu überqueren. Der Mann schlenderte auf die andere Seite, wo er eine Gruppe passierte, die trotz des miesen Wetters Flugblätter verteilte. Sie trugen Anstecker, auf denen ‚Joel Kraft for President‘ stand. Eine fette Fanatikerin mit blondem Haar drückte ihm ein Flugblatt in die Hand.

„Weg mit Präsident Adam A. Kettle“, sagte sie mit wütender Stimme. Unter der geöffneten Hardshelljacke trug die Fanatikerin ein T-Shirt mit viel Text. ‚Die USA ist keine Demokratie, sondern eine konstitutionelle Republik‘ war auf der Brust zu lesen. Es war Wahlkampf, mal wieder, immer noch, hatte er überhaupt je aufgehört? Gefühlt nicht, dachte der Mann und warf das Flugblatt weg.

Er war einsachtzig, kräftig gebaut, wog knapp hundert Kilo, mit grau-weißen Haaren, die zu einem Männerdutt gebunden waren. Das Gesicht war faltig und braungebrannt. Über dem linken Auge hatte er eine rote Narbe, die sich durch die Augenbraue zog. Ein Messerkampf in einem Lastenaufzug in Singapur. Er trug eine schwarze Lederjacke, die in den 1970ern neu gewesen war, darunter einen schwarzen Kapuzenpulli, dazu eine schwarze Cargohose. Der Gang war federnd und schwer zu gleich. Sein Alter war im Führerschein mit einundfünfzig angegeben. Das Dokument war eine Fälschung, das Alter eine Schätzung, was daran lag, dass er es nicht kannte. Aber das war eine Sache, über die er selten Worte verlor.

Aus der Innentasche der Lederjacke zog er das Smartphone. Zwei Push-Mails eines Nachrichtenportals auf dem Display: Der Dow-Jones-Index war auf einen historischen Höchststand geklettert und die Doomsday Clock auf zwei Minuten vor zwölf gesprungen. Was sagte einem das?

Im Gehen kramte er Kopfhörer hervor, steckte sie ins Ohr und startete auf einer App auf dem Smartphone einen Radiosender. Es lief ein Bericht, der die Vorwahlen thematisierte. Acht Republikaner kämpften um die Kandidatur, darum, den amtierenden Präsidenten Adam A. Kettle zu schlagen, der die zweite Amtszeit anstrebte. Der Bericht fokussierte auf den überraschenden Umstand, dass Mr. William McKay, ein Außenseiter unter den Präsidentschaftskandidaten der republikanischen Partei, in den Umfragen auf Platz drei stand, nur knapp hinter Joel Kraft, dem populären erzkonservativen Gouverneur von South Dakota, der für Gesetz und Ordnung stand, und hinter Marian Stacey, einer ehemaligen Seriendarstellerin aus den 1990ern, die ohne politische Erfahrung, aber mit Kraftausdrücken und provozierenden Gesten auf sich aufmerksam gemacht hatte.

Der Radiosprecher fasste die Karriere von William McKay zusammen, einem mehrfachen Millionär Mitte sechzig, der sein Geld mit zwei Banken und einer Computerfirma gemacht hatte, der früher ein Mitglied der Demokraten gewesen und dann am Ende seiner ersten Amtszeit als Gouverneur von Wyoming zu den Republikanern gewechselt war, was ihn seine Wiederwahl gekostet hatte. Der Kandidat war ein Gemäßigter, der Abtreibung und eine ökologische Wirtschaftspolitik befürwortete.

Der Mann betrat die gut gefüllte Veranstaltungshalle im Westen von Washington D.C., in der William McKay in wenigen Minuten eine Wahlkampfrede halten würde. Bei den vergangenen zwei Auftritten hatten Provokateure die Rede des Kandidaten mit Beschimpfungen und Sprechchören unterbrochen.

Auch wenn er von Wahlkämpfen keine Ahnung hatte, glaubte der Mann nicht an Zufälle. Die Zielperson dachte wohl ähnlich. Bei den vergangenen Auftritten des Kandidaten hatte es keine Bestuhlung gegeben, weshalb es den Störenfrieden gelungen war, auf die Bühne vorzudringen. Diesmal gab es fünf Stuhlreihen, die als Verteidigungsmauer dienten. Wer zur Bühne wollte, musste es links oder rechts versuchen, wo breitschultrige Schlägertypen in dunklen Anzügen standen. Der Mann glaubte, dass die Zielperson etwas plante. Sein Smartphone piepte. Eine Nachricht: „Warte mit dem Wagen vor der Halle.“

Er schaute sich das Publikum an, das auf den Sitzen Platz genommen hatte. Harmlose Anhänger des Kandidaten. Hinter den Stuhlreihen, wo sich die Menschen drängten, da würden die Provokateure auftauchen.

2.

Als der Kandidat, ein schlanker weißhaariger Mann, mit dynamischen Schritten die Bühne betrat, erhoben sich die Menschen von den Stühlen, schwenkten die US-Fähnchen und jubelten. Der Mann sah die Zielperson links am Bühnenrand neben Wahlkampfmanagerin Lena Dixon, einer kleinen kräftigen Frau mit großer Nase und kurzen grauen Haaren, die einen blauen Business-Anzug und High Heels trug. Der Mann hatte mitbekommen, dass Lena Dixon die Zielperson und ihr Team nicht mochte. Die Abneigung war gegenseitig. Die Zielperson hielt sie für eine Rassistin.

Wie bei den vorherigen Veranstaltungen legten die Provokateure los, als der Kandidat mit der Begrüßung fertig war und mit seiner Rede begann. Sie brüllten ‚Mörder‘, was sich auf seine Abtreibungspolitik bezog, sie riefen ‚Verräter‘ und ‚Jobkiller‘, weil der Kandidat an Umweltschutz glaubte, sie schrien ‚Marionette‘, weil er mehr Geld an die UN zahlen wollte. Als er sah, wie die Zielperson die Bühne verließ, eilte er nach draußen. Gegenüber der Halle sah er den schwarzen 1970er Dodge Charger RT parken, lief hinüber, öffnete die Tür und setzte sich auf den Beifahrersitz. Den Wagen hatte er sich gekauft, weil der Held seiner Lieblingsactionfilmreihe ihn fuhr, wofür ihn seine Mitarbeiterin bis heute hochnahm, weil sie es pubertär fand.

„Alles okay, Boss?“, fragte die Asiatin am Steuer. Die langen Haare waren blond gefärbt und zum Zopf gebunden. Auf der linken Wange hatte sie ein rotes Drachentattoo, der Hals war mit verschiedenen Motiven bedeckt. Die Frau trug eine braune Jacke und eine braune Hose. Die linke Hand am Steuer war wegen der vielen Tattoos fast schwarz. Mit vollem Namen hieß sie Constance Kris Chan, aber den ersten Vornamen ließ sie unter den Tisch fallen. Klinge zu sehr nach Tussi, hatte sie dem Mann erklärt, und er konnte nicht widersprechen.

„Alles bestens.“

Er nahm eine Kamera mit Teleobjektiv von der Rückbank. Es dauerte nicht lange und er sah, wie die Zielperson aus einer Seitenstraße fuhr, in zweiter Reihe parkte und den Eingangsbereich beobachtete. Sie hatte tatsächlich etwas vor.

Kurz darauf schoben Sicherheitsleute schreiende und wild gestikulierende Frauen und Männer aus der Halle nach draußen auf den Gehweg. Zwei der Typen hatte der Mann bei den vorherigen Veranstaltungen gesehen.

Nachdem die Sicherheitsleute sich in die Halle zurückgezogen hatten, stürzte eine Frau auf die Eingangstür zu und rüttelte an ihr, aber sie war jetzt verschlossen. Ein mittelgroßer kräftiger Kerl um die dreißig mit kurzen dunklen Haaren, der eine rote Jacke trug, redete beruhigend auf sie ein. Er gehörte zu denen, die der Mann wiedererkannt hatte.

Als der Kerl sich von den anderen verabschiedete, fuhr die Zielperson ihm langsam hinterher.

„Häng dich dran“, sagte der Mann, „aber vorsichtig.“

„Ich habe das schon öfter gemacht.“

„Sie ist ein Profi.“

„Ich auch.“

„Dann respektiere sie und pass auf.“

Die Zielperson hieß Lozen Graham. Mitte dreißig. Lange schwarze Haare. Schlank. Circa 50 Kilo. War bei der Army gewesen. Special Forces. Scharfschützin. Danach Ermittlerin beim CID, der Militärstrafverfolgungsbehörde der U.S. Army. Vor einigen Jahren hatte sie ‚Graham Security‘ gegründet, eine kleine Firma in Washington D.C., die Ermittlungsarbeiten und Personenschutz anbot. Sie war für die Sicherheit von William McKay verantwortlich.

Lozen Graham besaß einen guten Ruf. Der Auftraggeber hatte den Mann gewarnt, sie nicht zu unterschätzen. Würde er nicht. Auch wenn er nach zweiwöchiger Überwachung zu dem Schluss gekommen war, dass sie ihre beste Zeit hinter sich hatte. Sie ging zu einem Psychiater, trank und kiffte zu viel. Nicht gut. Wahrscheinlich ein Kampf, eine Verletzung, ein Toter zu viel. Das passierte den Besten. Eines Tages ließen einen die Nerven im Stich. Zum Glück hielt er durch, obwohl er seit über dreißig Jahren im Geschäft war.

Der Provokateur stoppte zwei Blocks entfernt vor einem dunkelblauen Chevy älteren Jahrgangs und stieg ein. Er fuhr zur Interstate 395, dann raus aus der Stadt, bog beim Fort Ward Park auf die King Street und nach ein paar Meilen auf einen Feldweg, der durch ein Waldstück zu einer Lichtung führte, auf der Wagen parkten und auf der eine inoffizielle Schießanlage errichtet worden war. Hinter einer behelfsmäßigen Absperrung aus Baumstämmen und Steinen standen Frauen und Männer und feuerten auf Zielscheiben in Form von Raubtieren, Drachen, arabisch aussehenden Terroristen und bekannten Politikern.

Der Kerl kletterte aus dem Wagen, eine braune Holzschatulle unter dem Arm, aus der er einen silberglänzenden Colt nahm. Lozen Graham stieg ebenfalls aus. Sie trug einen schwarzen Ledermantel und eine schwarze Wollmütze. Sie lehnte sich auf die Kühlerhaube, rauchte eine Zigarette und beobachtete den Kerl, der an einer Mutter vorbeiging, die ein Baby mit schallisolierenden Kopfhörern in den Armen hielt und ihrem Mann und ihrem pubertierenden Sohn zuschaute, wie sie mit halbautomatischen Waffen auf eine zerschossene Zielscheibe ballerten, die den aktuellen US-Präsidenten darstellte. Als der Kerl Kugeln in die Trommel seiner Waffe schob, zog Lozen Graham eine Heckler & Koch P9S aus dem Schulterhalfter, suchte sich einen Platz und begann, auf eine runde Zielscheibe zu schießen.

„Lass uns auch ein bisschen, sonst fallen wir auf“, sagte der Mann.

„Okay.“

Die Asiatin und er stiegen aus und gingen zur Schießanlage. Sie trugen Gürtelholster, in denen jeweils eine Glock 22 steckte. Sie zogen ihre Waffen und schossen auf einen blauen Drachen. Der Kerl stand ein paar Meter entfernt und ballerte auf einen Holzstamm. Neben ihnen zeigte ein fülliger Vater mit Sonnenbrille einem kleinen Mädchen, wie man mit dem Gewehr umging.

Nach einer halben Stunde war der Provokateur fertig und fuhr zu einem Einkaufszentrum in der Nähe. Als er aus dem Wagen stieg, trug er eine uniformähnliche Jacke mit dem Logo der ‚National Rifle Association‘, die NRA, die Organisation der US-amerikanischen Waffenlobby, und eine prallgefüllte Sporttasche. Er ging nicht shoppen, sondern zu einem Kindergarten, den es am Rande des Konsumtempels gab. Lozen Graham folgte ihm.

Der Mann stieg aus, mit der Kamera in der Hand. Er zoomte heran. Durch ein Fenster konnte er ins Spielzimmer schauen. In dem stand der Kerl und holte vor den neugierigen Augen einer Gruppe Kinder verschiedene Schusswaffen aus der Sporttasche und drapierte sie auf einem Tisch, auf dem Kürbisse standen, weil Halloween kurz bevorstand. Damit war klar, was der Kerl tat. NRA-Anhänger meinten, den Umgang mit einer Waffe könne man nicht früh genug lernen. Der Mann ging zurück zum Wagen.

„Was macht der Kerl da drin?“, fragte Kris Chan.

„Kleinen Kindern klarmachen, wie cool Knarren sind.“

„Es geht nichts über gute Erziehung.“

3.

„Der Provokateur heißt Buck Risso. Dreiunddreißig, geschieden, zwei Kinder. Arbeitet zurzeit für eine Firma für Sanitärtechnik in Arlington, Virginia. Mitglied der NRA. Mitglied der Republikanischen Partei. Besitzt einen Waffenschein“, sagte eine Männerstimme.

Akzent von New Orleans, es ist Nick Davout, dachte der Mann. Er saß mit Kris Chan in einem leer stehenden Büro, das er angemietet hatte und zwei Stockwerke über dem von Graham Security lag. Auf einem Tisch hatten sie Aufnahmegeräte und andere Überwachungstechnik aufgebaut. Auf drei Monitoren waren die Räumlichkeiten von Lozen Grahams Firma zu sehen.

„Hat er Vorstrafen, Nick?“, frage Lozen Graham.

„Keine.“

Nick Davout war der gefährlichste Mitarbeiter von Graham Security. Der Mann hatte sich umgehört. Selbst der russische Mafioso in New York, für den er früher gearbeitet hatte, sprach von ihm mit Hochachtung. Jemand hatte Nick Davout als einen Menschen beschrieben, für den die Welt, in der er lebte, viel zu langsam war. Er war ein Computer-Ass mit fotografischem Gedächtnis, der mit achtzehn seinen Doktortitel gemacht und eine kurze, aber erfolgreiche Karriere beim CIA hingelegt hatte. Warum er schließlich bei Lozen Graham angeheuert hatte, konnte der Mann nur vermuten. Leute mit einem hohen IQ hatten oft Probleme mit strengen Hierarchien und viel Bürokratie.

„Risso ist also ein unbeschriebenes Blatt“, sagte eine Frauenstimme.

Karen Seymour, Afroamerikanerin. Wie Lozen Graham eine ehemalige Scharfschützin. Zwei Touren in Afghanistan. Besaß dank einer Mine auf einem staubigen Trampelpfad in Kunduz eine Beinprothese, die sie bei Einsätzen offenbar nicht behinderte.

„Die Slackers sind am Kerl dran“, sagte Lozen Graham.

Nach dem Kindergarten war Buck Risso nach Hause gefahren. Er wohnte in Nauck, das zu Arlington gehörte. Offenbar hatte Lozen Graham beschlossen, ihn zu überwachen. Das machte Sinn, weil es wahrscheinlich war, dass er im Auftrag handelte. Dafür sprachen Störungsversuche an Veranstaltungsorten in verschiedenen Bundesstaaten. Der Mann öffnete auf dem Laptop einen Ordner mit dem Namen ‚LG‘, in dem er und Kris Chan die Informationen über Graham Security sammelten. Die Slackers fand er schnell. Zwei Kautionsjäger namens Jose Martinez und Zac Egger. Ex-Cops, die gelegentlich für die Zielperson arbeiteten. Warum sie die Typen ‚Slackers‘, die Faulenzer, nannten, stand nicht in den Unterlagen.

„Die Fotos von diesem Risso und seinen Komplizen habe ich euch geschickt“, meinte Lozen Graham.

„Okay“, antwortete Karen Seymour.

„Was anderes: Reichen die Leute, die wir angeheuert haben?“

„Sicher“, sagte eine zweite Männerstimme.

Rowan McIntire, ein kleiner rothaariger Mann Mitte vierzig, der früher für Homeland Security Terroristen gejagt hatte. Er, Nick Davout und die Frauen bildeten das Kernteam von Graham Security. Für Einsätze, die mehr Personal benötigten, griffen sie auf einen Pool von freien Mitarbeitern zurück.

„Was steht morgen an?“, fragte Karen Seymour.

„Ein Rodeo. Dein Job“, sagte Nick Davout.

„Ist die Dixon dabei?“

„Ja.“

„Fuck.“

„Du wirst es überleben“, sagte Lozen Graham.

„Komm doch mit.“

„Eine Afroamerikanerin und eine Ureinwohnerin auf einmal wären zu viel für sie.“

Lozen Graham war Chiricahua-Apachin.

„Nehmen wir auf die Bitch jetzt auch noch Rücksicht?“

Es gab eine Tonstörung. Kris Chan und der Mann hatten die Büroräume, die Wahlkampfzentrale von William McKay und Lozen Grahams Haus verwanzt und versteckte Kameras angebracht. Der Mann hatte anfangs gezögert, weil Nick Davout fast mystische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. Deshalb beunruhigte es ihn, dass im Konferenzzimmer, in dem sich die Zielperson und ihre Angestellten befanden, die Kameras nicht funktionierten und die Mikrofone Aussetzer hatten.

„Ich verspreche dir, Karen, wenn wir mit dem Job durch sind, kümmern wir uns um diese rassistische Schlampe“, sagte Lozen Graham.

Ungewöhnlich an der Zielperson war, dass sie politisch links stand, was der Mann bei einer Frau mit ihrem Lebenslauf nicht erwartet hatte. Vor einer Woche hatte er ein privates Gespräch der Frauen abgehört. Sie hatten in Lozen Grahams Haus gesessen, Weißwein getrunken und einen Superheldenfilm angesehen, in dem sich ein humanoider Meeresbewohner über die Umweltzerstörung durch die Menschen beschwerte. Das hatte Lozen Graham veranlasst, eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit zu erzählen; wie sie vor über fünfzehn Jahren den Bau einer Ölpipeline durch ein Naturschutzgebiet verhindern wollte, indem sie die Laster, Bagger und Werkzeugschuppen auf der Baustelle in Brand gesetzt hatte.

4.

Die Zielperson verließ am frühen Abend ‚Clints Gym‘, in dem sie zwei- bis dreimal pro Woche in den Ring stieg, um zu trainieren. Es wurde von einem riesigen Afroamerikaner betrieben. Einmal war ihr der Mann in die Halle gefolgt. Wenn man jemanden im Ring beobachtete, lernte man viel über ihn. Lozen Graham kämpfte gradlinig, unkonventionell, pragmatisch und hart. Mit das Beste, was der Mann seit Langem gesehen hatte. Es machte ihm klar, dass sie trotz der offensichtlichen Schwächen jemand war, die es mit jedem aufnehmen konnte.

Die Zielperson stieg ins Auto und fuhr los. Der Mann folgte ihr. Offensichtlich ging es nach Hause. Lozen Graham lebte am Rande von Washington D.C., in Takoma Park, Maryland. Kurz bevor sie ankamen, bog Lozen Graham ab und fuhr in eine andere Richtung. Vor einer Schule, einem dreistöckigen Gebäude aus rotem Backstein mit großen Fenstern und einem grünen Dach, parkte sie, stieg aus und ging hinein. Der Mann wartete etwas, bevor er zum Eingang ging. An der Tür klebte ein handgeschriebenes Schild, auf dem stand, dass ein Treffen einer Selbsthilfegruppe für Veteranen in einem Raum im Erdgeschoss stattfand. Die Gruppe nannte sich ‚Veterans for Life‘. Dass die Zielperson zu solchen Treffen ging, war neu für den Mann. Das hieß, sie besuchte sie selten und unregelmäßig.

Er machte ein paar Schritte zurück und sah ein Fenster, aus dem Licht drang. Er ging hin und schaute vorsichtig hinein. Lozen sprach mit einem drahtigen Afroamerikaner mit Henriquatre-Bart und Brille, den der Mann auf fünfzig schätzte. Ihm fehlte die rechte Hand. Sie standen in einem schmucklosen Klassenzimmer, in dem Stühle zu einem Kreis aufgestellt waren. Außer der Zielperson und ihrem Gesprächspartner befanden sich dort ein Dutzend Männer und Frauen zwischen zwanzig und siebzig. Einige sprachen miteinander, andere saßen apathisch auf den Stühlen. Nach einigen Minuten setzten sich alle und der Afroamerikaner sprach zu ihnen. Er war also der Leiter der Gruppe. Schade, dass er nichts hörte, dachte der Mann.

5.

Lozen Graham parkte vor einem einstöckigen Holzhaus mit einer Veranda an der Vorderseite, das hellblau angestrichen war. Vor der Eingangstür saß ein rauchender junger Typ mit asiatischen Gesichtszügen, schwarzem Haar und Dreadlocks. Neben ihm stand ein schwarz-grüner Rucksack. Als Lozen ihn sah, musste sie lächeln. Offenbar kannte sie ihn.

„Mach ein Standbild von dem Typen“, sagte der Mann zu seiner Mitarbeiterin. Er saß mit Kris Chan in einem Wohnmobil, zu dem er direkt von der Schule gefahren war. Er hatte auf dem Weg die Selbsthilfegruppe recherchiert. Es gab wöchentliche Treffen. Sie wurde von einem Omar Meze geleitet, der in Somalia gedient hatte.

In dem Fahrzeug, in dem der Mann saß, befanden sich wie in den Büroräumen Monitore und Überwachungstechnik. Sie hatten es drei Straßen entfernt geparkt, in einer Lagerhalle, deren versoffenem Besitzer sie dafür fünfzig Dollar am Tag zahlten. Die Reichweite der eingesetzten Kamera reichte nicht bis zur Empfangsstation in den Büroräumen, weshalb sie das Wohnmobil einsetzten. Die Bild- und Tonaufnahmen wurden alle fünfzehn Minuten auf eine Cloud geladen, sodass der Mann und Kris Chan die Möglichkeit hatten, zeitversetzt von überall die Aufnahmen zu sichten.

Lozen Graham und der Besucher umarmten sich herzlich. Kris Chan hatte auf dem Dach des Hauses gegenüber eine versteckte Kamera angebracht, die den Eingangsbereich filmte. Sie hatte dem Mann gesagt, dass sie die Außenüberwachung des Hauses für überflüssig hielt, er hatte jedoch darauf bestanden.

Der Besucher zeigte auf die Fassade, das Gras vor dem Haus und den Briefkasten. Offenbar machte er sie auf die abblätternde Farbe, den Rasen, der gemäht, und den Briefkasten, der geleert werden musste, aufmerksam. Lozen Graham zuckte mit den Schultern. „Der Kleine ist niedlich“, sagte Kris Chan.

„Wenn du meinst.“

„Lover oder Freund, was denkst du?“, fragte Kris Chan.

„Hm.“

Der Mann schaute auf den Monitor und sah, wie Lozen Graham und ihr Besuch lachend das Haus betraten.

„Freund“, sagte er.

„Willst du wetten?“

„Eine Flasche Wein.“

„Deal.“

Das Liebesleben der Zielperson war trostlos. Der Mann hatte beobachtet, wie sie betrunken einen Typen aus einer Bar abgeschleppt und mit ihm in ein billiges Motel gefahren war, das sie allein eine halbe Stunde später verlassen hatte. Laut dem Auftraggeber hatte sie eine Affäre mit einem John Petracci, einem über sechzigjährigen Witwer und General. Den hatte er bisher nicht zu Gesicht bekommen.

Lozen Graham schaltete das Licht an. Die Aufnahmen der Wohnzimmerkamera, die der Mann sah, besaßen eine gute Qualität. Der Besucher stellte den Rucksack ab, warf sich aufs Sofa, vor dem ein flacher Holztisch stand, zog die schwarz-grüne Softshelljacke aus, nahm die Fernbedienung und schaltete den Flat-Screen-Fernseher an.

„Geh auf Classic“, sagte sie.

Er ging auf die App und startete einen alten Schwarz-Weiß-Film. Die Zielperson schaute bevorzugt Klassiker.

„Du stehst auf den alten Stoff“, sagte er.

„Absolut.“

Lozen Graham liebte Kino – und das Wort ‚absolut‘, das sie oft benutzte.

Sie ging in die Küche, die durch eine Theke vom Wohnbereich getrennt war, nahm eine Weißweinflasche aus dem Kühlschrank, holte zwei Gläser und setzte sich neben den Besucher, der begann, einen Joint zu drehen.

„Was bringt dich nach D.C.?“, fragte Lozen Graham und schenkte ein.

„Ich wollte dich wiedersehen.“

„Haben sie dir endlich die widerliche Homosexualität ausgetrieben?“

„Leider nicht. Der Priester, der es versucht hat, ist mit mir ins Bett gestiegen. Mein Charme ist stärker als Jesus.“

„Kirchenleute sind nicht mehr das, was sie mal waren.“

Kris Chan lachte.

„Du schuldest mir eine Flasche“, sagte der Mann grinsend.

Lozen Graham und ihr Gast prosteten sich zu und hielten Smalltalk. Die Zielperson besaß nicht viele Freunde. Sie telefonierte ab und zu mit einem Eike Wolfen. Der Mann hatte ihn recherchiert. Ein ehemaliger Ermittler der Berliner Mordkommission, der als Deputy Sheriff in Homer City, in Chayton County, arbeitete. Der Bezirk gehörte zum Bundesstaat South Dakota und lag am Rande der Black Hills, zwischen Butte und Lawrence County, an der Grenze zum Nachbarstaat Wyoming. Die Zielperson war in den vergangenen Jahren mehrfach in dem Bezirk gewesen. Der deutsche Deputy war wegen einer Frau in den Wilden Westen gezogen. Die war mittlerweile tot. Bei einem Anschlag war dieser Eike Wolfen fast getötet worden. Hatte eine Entziehungskur auf dem Buckel. Er wäre der perfekte Partner für die Zielperson, dachte der Mann.

„Und, Johnnie? Immer noch pleite und drogenabhängig?“, fragte Lozen Graham.

„Absolut.“

Er zündete den Joint an, nahm drei Züge und reichte ihn Lozen.

„Das Gästezimmer ist oben, gleich rechts“, sagte sie.

„Ich weiß. Das Bett ist sehr bequem. Ich habe ein Nickerchen gemacht.“

Er grinste.

„Tatsächlich?“

„Dein Haus ist schlecht gesichert. Das Schloss der Hintertür ist ein Witz.“

„Tatsächlich?“

Interessant, dachte der Mann, offenbar war dieser Johnnie eingebrochen und hatte sich umgesehen und die Zielperson schien das nicht zu ärgern. Was für eine seltsame Beziehung war das denn?

„Überprüf bitte ihren Gast“, sagte er.

„Mach ich, Boss.“

Kurz darauf ging Kris Chan. Der Mann blieb. Er lernte gerne den Alltag einer Zielperson kennen, denn je besser er sie einschätzen konnte, desto präziser konnte er deren Handlungsweisen voraussagen, und das war im Ernstfall matchentscheidend. Deshalb erlebte er mit, wie Lozen Graham und ihr Gast rauchten, kifften, tranken und über belanglose Dinge quatschten wie die beliebte Science-Fiction-Serie ‚Star City‘ und über einen der Hauptdarsteller, Scott Keener, der ältere Bruder von Hollywoodstar Kevin Keener. Der Mann mochte die Serie, die von den Bewohnern einer riesigen Stadt erzählte, die durch den Weltraum schwebte.

Gegen elf stand Lozen Graham bekifft und betrunken in ihrem Schlafzimmer und zog sich bis auf die Unterwäsche aus. Auf ihren linken Oberarm war ein Adlerflügel tätowiert. Von ihrer Achselhöhle bis zum Hüftknochen zog sich der Schriftzug ‚Apache Nation‘. Nach wie vor ein schönes Tattoo, dachte der Mann, der in jedem Zimmer eine Kamera versteckt hatte. Lozen Graham band ihre Haare zu einem Zopf, nahm das Smartphone vom Nachttisch und ging ins Badezimmer, wo sie sich zuvor ein Schaumbad eingelassen hatte. Sie zog sich aus und legte sich in die Wanne. Am Kopfende lagen ein Joint und ein Feuerzeug. Sie stellte auf dem Smartphone einen Radiosender ein. Sie hörte immer denselben. Er hieß Pahá Sápa. Der Mann hatte nachgeschaut. Es war eine regionale Station in Chayton County, die von einer Gruppe Sioux betrieben wurde. Lozen Graham zündete den Joint an, nahm ein paar Züge und aschte in die Kloschüssel, die direkt neben der Wanne stand.

Es klopfe an der Tür.

„Komm rein“, sagte Lozen Graham und richtete sich auf.

Johnnie öffnete die Tür und musterte sie.

„Du siehst umwerfend aus.“

„Danke.“

„Da sind einige Narben.“

„Gehört zum Job.“

„Auf deinem Klassikkanal läuft gleich ‚Happy Ghost III‘.“

„Ist das nicht ein Frühwerk deines Namensvetters?“

„Hey, dein Deutscher hat dir viel beigebracht.“

Der Besucher schien viel über die Zielperson zu wissen. Sie war mit einem deutschen Kulturblogger namens Arvist Bunger zusammen gewesen. Sie telefonierten unregelmäßig.

„Ich brauche Arvist nicht.“

Johnnie setzte sich auf den Wannenrand.

„Dafür brauchst du einen schwulen Untermieter.“

„Wow, wie schnell du vom Gast zum Untermieter geworden bist.“

„Erwarte nur keine pünktliche Zahlung der Miete.“