Showdown - Enno Reins - E-Book

Showdown E-Book

Enno Reins

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Beschreibung

Für seine Frau Chumani war Eike Wolfen, ein ehemaliger Kommissar der Berliner Mordkommission, in die amerikanische Kleinstadt Homer City gezogen. Jetzt ist sie tot. Überfahren. Fahrerflucht stand in der Akte. Für Eike war es Mord. Er will Rache und sucht den Todesfahrer. Das wird schwieriger als gedacht. Der Fahrer ist ein professioneller Killer, verwickelt in einen politischen Komplott. Der steht im engen Zusammenhang mit dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Ein skrupelloser Wahlkampfmanager hilft Eike bei der Suche und stellt ihm die ehemalige CID-Ermittlerin Lozen Graham zur Seite. Eike nimmt jede Hilfe an, die er nur kriegen kann.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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1.

Die Schmerzen werden nie aufhören. Nie ist ein großes Wort. Nie. Eike Wolfen griff die leere Whiskeyflasche und warf sie gegen einen Grabstein, an dem sie zersplitterte. Betrunken saß er im hohen Präriegras vor einem frischen Grab mit einem einfachen, grauen Stein. Ein Wort war eingemeißelt: Chumani. Tränen liefen seine Wange hinunter.

Neben ihm lag ein Smartphone, aus dem der Traditional O Death in einer Bluegrass/Rap-Version schepperte. Der Song lief in einer Endlosschleife. »Oh Tod, kannst du mich nicht noch ein Jahr verschonen«, sang die Sängerin.

Der Friedhof, das waren zweihundertdrei Grabsteine und einige Bäume, die sich auf einer Fläche von drei Football-Feldern verteilten. Der erste Mensch war hier 1863 begraben worden. Ein Siedler namens Rod Kane. Von ihm hatte der Friedhof seinen Namen. Es gab keinen Zaun, keine Mauer, kein Gebäude. Der Kane-Friedhof lag mitten in der Prärie. Das nächste Krematorium war 40 Meilen entfernt, die Kirche fünfzehn. Eike kannte die Entfernungen. Vor einer Woche war seine Frau Chumani auf dem Kane-Friedhof beerdigt worden. Überfahren. Fahrerflucht stand in der Akte. Für Eike war es Mord. Vom Todesfahrer und dem Wagen gab es bisher keine Spur. »Die Alten, die Jungen, die Reichen oder die Armen, das ist mir alles gleich. Weder Reichtum, Land, noch Silber oder Gold befriedigen mich, sondern nur deine Seele«, drang es aus dem Smartphone. Ein Rapper hatte die Sängerin ersetzt. Gangstagrass hieß die Gruppe. Chumani hatte sie sehr gemocht.

Eike war knapp 1,80 Meter groß, mit dunkelblondem Haar und Dreitagebart. Er trug braune Stiefel, Bluejeans und ein schwarzes Tanktop. Der rechte Arm war mit schwarzen Tribals und einem Schwert mit zwei Flügeln tätowiert. Er öffnete eine Dose Bier und blickte in den blauen Himmel mit seinen langgezogenen Wolken. Die Sonne würde sich bald verabschieden. Es war ein heißer Tag gewesen. Der Sommerwind fuhr durch das hohe Präriegras. Eike genoss die kühle Brise. Ihn überkam der Drang aufzustehen und in die endlose Ebene zu laufen. Er erinnerte sich noch gut, als er dieses Gefühl das erste Mal gespürt hatte. Vor vier Jahren war es gewesen, als seine Frau ihm das Haus gezeigt hatte, das sie für sie gekauft hatte. Das Haus lag abgelegen in der Prärie, 5 Meilen entfernt von der nächsten asphaltierten Straße, 17 Meilen von Homer City entfernt, einer Kleinstadt mit 600 Einwohnern in Chayton County. Der Bezirk gehörte zum Bundesstaat South Dakota und lag am Rande der Black Hills zwischen Butte und Lawrence County an der Grenze zum Nachbarstaat Wyoming. Eike hatte damals auf der Veranda gestanden, zum Horizont geschaut und sich in der Weite verloren. Sie war faszinierend. Bis dahin hatte er in Berlin gelebt. Natur, das waren die Balkonpflanzen und Dachgärten der Nachbarn gewesen. Mietshäuser, Hinterhöfe, Untergrundbahnen, mehrspurige Straßen und dazu Menschen, viele Menschen – so hatte seine Welt ausgesehen. Am nächsten Tag war Eike losmarschiert – und hatte sich verirrt. Die Prärie war gleichförmig wie das Meer, Orientierung war für einen Städter wie Eike unmöglich. Sein Schwiegervater fand ihn nach 5 Stunden. In den kommenden Jahren brachten ihm der alte Mann und Chumani bei, wie man in dieser menschenleeren Wildnis überlebte.

Eike trank einen Schluck und beobachte die wellenförmigen Bewegungen des Präriegrases. Als Soldat und als Polizist war der Tod ihm oft begegnet. Er kam unerwartet und brutal, aber die Sterblichkeit definierte den Menschen. Wäre die Lebenszeit nicht begrenzt, gäbe es nicht Krankheiten, Unfälle, Kriege und Verbrechen, der Mensch würde ohne Tatendrang dahinvegetieren. Ohne ein Ende hatte das Leben keinen Sinn. Bisher hatte diese Philosophie allen Begegnungen mit dem Tod Stand gehalten. Bisher. Eike blickte auf den Grabstein. Der Wind fuhr ihm durchs Haar. Er legte sich hin. Der Boden war warm. Er roch das Gras. »Oh Tod, kannst du mich nicht noch ein Jahr verschonen«, sang die Sängerin erneut. Sein Magen begann sich zu verkrampfen, er schlug mit den Fäusten auf den Boden und weinte.

Ein leises Motorengeräusch war zu hören. Eike richtete sich auf. Auf dem eine Viertelmeile entfernten Parkplatz des Friedhofs fuhr ein schwarzer Dodge Durango mit dem gelben Schriftzug Sheriff an den Seiten und parkte neben Eikes schwarzem SUV. Ein hochgewachsener Mann stieg aus und ging mit steifen Schritten in seine Richtung. Eike wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Das ist der siebte Tag in Folge, dass du dich volllaufen lässt, Sohn«, sagte der hochgewachsene Mann, als er Eike erreicht hatte. »In sieben Tagen hat der Herr die Welt erschaffen.« Der bibelfeste Mann war Anfang Sechzig. Der massive Schädel war kahl, eine silbergerahmte Brille saß auf der dicken Nase. Unter der Nase hing ein buschiger Schnauzbart aus einem anderen Jahrhundert. Der Mann trug eine beigebraune Uniform. An der Hüfte hing ein alter Colt Double Eagle.

»Was willst du, Earl?«

Earl Arendts war der Sheriff von Chayton County, Eikes Boss und der Vater von Chumani. »Sie haben den Wagen gefunden.« Eike sprang auf.

»Wo?«

»An der Grenze zwischen Brown und Marshall County. Wir treffen den Sheriff morgen früh.«

Eike versuchte erfolglos aufrecht zu stehen.

»Komm, Sohn, ich bring’ dich nach Hause. In deinem Zustand solltest du nicht fahren.«

2.

Als sein Schwiegervater ihn um 3 Uhr morgens abholte, saß er bereits auf der Veranda und wartete. Eike hatte nicht schlafen können. Im Haus war es zu still und in seinem Kopf zu laut gewesen. Nach einer sechsstündigen Fahrt erreichten sie ihr Ziel. Earl stoppte den Wagen auf einer Landstraße.

Links und rechts die Prärie. Eike verspürte erneut den Sog der Weite.

Ein schwarzer Ford Raptor stand am Straßenrand. Der Sheriff von Marshall County, ein dicklicher Rotschopf, parkte daneben. Eike schob sich aus dem Wagen. Er brauchte Kaffee oder stärkeres.

»Tag, Jack«, sagte Earl zu seinem Kollegen.

»Earl.«

Eike nickte dem Sheriff zu.

»Nach wie vor eine Abneigung gegen Uniformen, Deputy Wolfen?«

»Jep.«

Eike trug eine schwarze Lederjacke, Bluejeans und braune Stiefel. Im ersten Jahr in Homer hatte er die beige-braune Uniform getragen. Aber länger ging nicht. Er kam sich verkleidet vor und hielt deshalb seinem Schwiegervater eine lange Rede über kulturelle Unterschiede. Das war Chumanis Idee gewesen. Sie hatte Erfolg. Seit dem Vortrag musste er die Dienstkluft nur noch bei offiziellen Anlässen tragen.

»Wer hat den Wagen gefunden?«, fragte Earl.

»Mein Deputy hat ihn gestern Abend zufällig entdeckt.

Wusstest du, dass die Nummernschilder falsch sind?« Earl nickte.

»Der Fahrer?«, fragte Eike.

Der Sheriff zuckte mit den Schultern.

»Warum konnte der Pickup nicht weiterfahren?«

»Ein elektronischer Defekt, meint mein Deputy.«

»Und der ist Spezialist?«

»Sein Onkel hat ’ne Autowerkstatt.«

Jack Morse, der Sheriff von Marshall County, war ein Idiot.

Er hatte für die Verkehrsbehörde gearbeitet, bevor ihn der Ehrgeiz überkam, Gesetzeshüter zu werden. Es war Eike ein Rätsel, warum die Bewohner des Countys ihn zum Sheriff gewählt hatten. Seinem Schwiegervater, der Präsident der South Dakota Sheriff Association war, ging es ebenso.

»Ist das hier eine stark befahrene Strecke?«, fragte Eike.

»Nein. Seit der Fertigstellung nehmen die meisten den Highway.«

»Wer benutzt die Straße regelmäßig?«

»Kaum jemand. Der Schulbus, ein Milch-Lieferant und da gestern Freitag war: Bud und Willy um nach Britton zu fahren. Das war´s.«

»Dann los.«

Jack Morse war vielleicht ein Idiot, aber nicht dumm genug, um zu versuchen, Eike und seinen Schwiegervater aufzuhalten. Earl Arendts war seit zehn Jahren Sheriff in Chayton County und hatte davor als Polizist in Sioux Falls gearbeitet, der größten Stadt des Staates. Eike hatte – bis vor vier Jahren – bei der Berliner Mordkommission ermittelt.

Jack Morse hatte keine Ahnung, ob die deutsche Polizei was taugte. Alleine aber das Wort Mordkommission beeindruckte ihn.

In Britton, der Kreisstadt von Marshall County, war Eike bisher nicht gewesen. Es war eine Stadt, wie es sie in South Dakota häufig gab: Im Stadtzentrum rote Backsteingebäude mit Geschäften, drumherum helle, freundliche Einfamilienhäuser und eine Kirche. Menschen sah man selten auf den Gehwegen. Eike war auch nach vier Jahren unschlüssig, ob er diese Art von Städten schätzte oder nicht.

Auf der einen Seite fand er sie, in einem positiven Sinne, amerikanisch und erinnerten ihn an die unzähligen Spielfilme, die er konsumiert hatte. Auf der anderen Seite kam der Europäer in ihm durch, der Altstädte und Burgen mochte, die vom historischen Erbe des Landes zeugten.

Sheriff Morse brachte Eike und seinen Schwiegervater zu einem Wohnhaus an der Ecke Main Avenue und 4th Street, gegenüber der St. John´s Lutheran Church, einer hübschen Kirche aus weißem Holz. Ein schlaksiger Mitsechziger in Jeans und Led-Zeppelin-T-Shirt begrüßte die drei Polizisten.

Er hieß Milt Bearle und war der Fahrer des Schulbusses.

»Am Morgen habe ich den Wagen nicht bemerkt. Erst auf der Rückfahrt«, sagte Milt Bearle.

»War jemand am Wagen?«, fragte Eike.

»Zwei Typen.«

»Wie sahen die aus?«

»Weiß ich nicht. Ich bin vorbeigefahren.«

»Weiße?«

»Ja. Auf jeden Fall.«

»Kleidung?«

»Dunkel.«

»Jung oder Alt?«

»Nicht alt.«

Der Milch-Lieferant wohnte auch in Britton. Er hatte den Wagen nicht gesehen.

»Wo finden wir diesen Bud und diesen Willy?«, fragte Eike, als sie das Haus des Lieferanten verließen.

»Sind wahrscheinlich wieder zu Hause. Die kommen jeden Freitagabend in die Stadt, lassen sich volllaufen, schlafen im Wagen den Rausch aus und fahren am Morgen zurück auf ihre Farm«, sagte Sheriff Morse. »Sind Bud und Willy ein schwules Paar?«

Sheriff Morse und sein Schwiegervater blickten Eike irritiert an. Homosexualität war für sie eine Krankheit, die dringend geheilt werden musste. Das meinten sie nicht als Metapher, sondern wörtlich. Einer der besten Freunde seines Schwiegervaters war Pfarrer, der Seminare abhielt, deren absurder Zweck es war, Schwule auf den heterosexuellen Weg zurückzuführen, was Eike dazu verleitete, das Thema regelmäßig anzusprechen und Earl Arendts und seine Gesinnungsgenossen damit zu provozieren.

»Sie heißen Bud und Willy Redfield. Sie sind Brüder«, sagte Sheriff Morse.

Sie fuhren den County Highway 9 bis zur County Road 6, passierten den stehengelassenen Raptor, bogen nach 15 Meilen in einen Feldweg ein, der durch ein nicht enden wollendes Maisfeld zur Farm der Redfields führte. Die Brüder reparierten einen rostigen, blauen Trecker als die Polizisten ankamen. Neugierig blickten sie zu den Gästen.

Bud war eine Bohnenstange mit langen Haaren und Vollbart, der ein Kopftuch wie ein Biker trug. Willy hatte ein glattrasiertes Gesicht und kurze Haare und war so groß wie sein Bruder, aber massiger. Beide trugen Camouflage-Hosen und zerschlissene, ölverschmierte T-Shirts mit Superhelden-Motiven.

»Bud, Willy, dies sind Sheriff Earl Arendts und sein Deputy aus Chayton County«, sagte Sheriff Morse.

Die Brüder nickten zur Begrüßung.

»Habt ihr gestern den schwarzen Wagen auf der 6 bemerkt?«

»Klar«, sagte Willy Redfield.

»Elektrik war im Arsch«, sagte sein Bruder.

»Wir haben die Besitzer mit nach Britton genommen.« »Wie haben sie ausgesehen?«, fragte Eike.

»Sie haben einen seltsamen Akzent, Mister«, sagte Willy Redfield.

»Ich komme aus Deutschland.«

»Dies ist South Dakota. Wer nicht aus Skandinavien kommt, kommt aus Deutschland.«

»Ich bin vor vier Jahren in die USA gekommen.«

»Oh.«

»Die Männer des Wagens?«

»Nette Kerle.«

»Kamen aus dem Osten. New York haben sie gesagt.«

»Haben sie gesagt, warum sie in South Dakota waren?«

»Urlaub, meinten sie.«

»Haben sie gesagt, wo sie den Urlaub verbracht haben?«

»Sind mit dem Auto durch die Gegend gefahren.«

»Haben sie gesagt, wo sie hinwollten?«

»Nein.«

»Wo haben Sie die Männer abgesetzt?«

»Bei Fisher.«

»Der Autohändler?«, fragte Sheriff Morse.

»Gibt es einen anderen?«

»Warum werden die Männer gesucht?«, fragte Bud Redfield.

»Sie haben meine Frau umgebracht«, sagte Eike.

»Mein Beileid.«

Ein schwarzer Raptor hatte Chumani überfahren. An einem Sonntagnachmittag. Eikes Frau war Reporterin des Homer Bugle gewesen, der einzigen Zeitung des Countys. An diesem Tag hatte sie einen Artikel für die Montagsausgabe fertiggestellt. Die Aufnahmen der Überwachungskamera von der Bank von Homer zeigten wie Chumani das Gebäude verließ, in dem sich die Redaktionsräume des Bugle befanden, über die Main Street ging und der Wagen in sie reinfuhr. Der Aufprall schleuderte Chumani durch die Luft.

Der Wagen fuhr weiter, ohne zu bremsen. Sonntag bedeutete in Homer City: kein Verkehr, kein Mensch auf der Straße.

Erst nach einer Viertelstunde entdeckte sie jemand. Es dauerte weitere 45 Minuten bis der Arzt erschien. Dr. McKennar war auf der Jagd gewesen. Hätte der Fahrer angehalten, sofort den Notruf gewählt und Hilfsmaßnahmen durchgeführt, hätte Chumani gerettet werden können, sagte Dr. McKennar später.

Eike hatte sich die 15-sekündige Aufnahme wieder und wieder angeschaut. Ein Versuch, das Unbegreifliche zu begreifen. Nach fünf Stunden hatte sein Schwiegervater den Computer runtergefahren und ihm eine Flasche Whiskey in die Hand gedrückt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Eike nicht gewusst, wie er einen harten Kerl definieren sollte, nun wusste er es. Earl Arendts war die Verkörperung eines harten Kerls. Weder am Tag ihres Todes noch ihrer Beerdigung zeigte er Schwäche. Eike war sich nicht klar, ob er das bewundern oder einen Psychiater rufen sollte.

»Wie sahen die Männer aus?«, fragte Eike.

»Beide Mitte 30. Trugen schwarze Jeans und schwarze Jacken. Einer war schlank und durchtrainiert. Er war der Fahrer«, sagte Willy Redfield.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Er saß hinterm Steuer, als wir ankamen.«

Eike hatte eine Ausschnittvergrößerung des Fahrers gemacht, der seine Frau getötet hatte. Das unscharfe Bild entsprach ungefähr der Beschreibung, die Willy Redfield von dem Mann am Steuer gegeben hatte.

»Ist Ihnen sonst noch was an ihm aufgefallen?«

»Er war Soldat.«

»Hat er das gesagt?«

»Ich hab’ zwei Touren in Afghanistan gemacht. Man merkt es, wenn man einen Kameraden trifft.«

»Tattoos, die auf seine Einheit hingewiesen haben?«

»Nein.«

»Und der andere?«

»Hatte einen Dreitagebart und trug ´ne runde Brille. War der nervöse Typ. Hat mit seinem Smartphone rumgespielt.«

»Auch ein Ex-Soldat?«

»Möglich. Bei dem war ich mir nicht sicher.«

3.

Fishers Car war ein unansehnlicher Bungalow, vor dem gebrauchte und neue Wagen in den verschiedensten Preisklassen unter einem Zeltdach standen. Besitzer Carl Fisher war ein hässlicher Endzwanziger mit unreiner Haut, der in einem 70er-Jahre-Anzug steckte. Typisch für seinen Berufsstand konnte er das Maul nicht halten, dafür hatte er Gedächtnisprobleme.

»Ich kann mich nicht an zwei schwarzgekleidete Fremde erinnern«, sagte Fisher. Dabei kratzte er sich an der Wange.

»Die Redfields haben sie hier abgesetzt«, sagte Eike. »Ach, bestimmt haben die sich geirrt. Die trinken ja gerne einen.«

Fisher lachte und kratzte sich an der Nase.

»Juckt es, Mr. Fisher?«, fragte Eike.

»Bitte?«

»Sie kratzen sich ständig.«

»Es ist nichts. Allergie.«

»Wussten Sie, dass 48 % aller Menschen, die die Unwahrheit sagen, den Drang verspüren, sich zu kratzen?«

Nach 9/11 war Eike kurzfristig in eine Sonderkommission zur Jagd auf Terroristen versetzt und deshalb in speziellen Verhörtechniken ausgebildet worden. Verhaltensanalyse hatte dazu gehört. Es war ein Schuss ins Blaue, aber was konnte er verlieren.

»Was reden Sie da, Deputy Sheriff?«

Der Autohändler kratzte sich an der Wange, bemerkte es und stoppte.

»Das ist ein Fakt, Mr. Fisher.«

»Unsinn. Es ist – wie bereits gesagt – eine Allergie.«

»Gegen was?«

»Gegen was?«

»Gegen was sind Sie allergisch?« Fisher blickte Eike irritiert an.

»Sollen wir die Redfields holen und Sie sagen ihnen ins Gesicht, dass sie niemanden hier abgesetzt haben?« »Jack, was soll das?«

Sheriff Morse sah Eike an.

»Wissen Sie, wogegen Mr. Fisher allergisch ist, Sheriff Morse?«

Morse atmete durch.

»Ich wusste nicht, dass du eine Allergie hast, Carl.«

»Was? Jeder hat heutzutage doch eine Allergie.«

»Mir reicht´s. Wir holen die Redfields«, sagte Eike, »und sprechen mit Ihrem Arzt über die Allergie, Mr. Fisher. Geben Sie Sheriff Morse bitte Name und Rufnummer.« Fisher öffnete die Mund, aber kein Wort kam heraus. »Carl, bitte«, sagte Sheriff Morse.

Fishers Erinnerungsprobleme hatten einen Grund. Die schwarzgekleideten Fremden hatten einen Wagen ohne Formalitäten gewollt und eine ansprechende Summe geboten, der Fisher nicht widerstehen konnte. Für einen Aufpreis von 1000 Dollar, hatte der Autohändler ihnen einen alten, beigen Chevy plus Nummernschilder und GPS verkauft.

»Die Männer haben bar gezahlt?«, fragte Eike.

»Ja.«

»Haben sie gesagt, wo sie hinwollen?«

»Nein. Ich kann es Ihnen aber trotzdem sagen.« »Weil?«

»Weil ich gesehen habe, wie der eine den Zielort ins GPS eingegeben hat.« »Und der Zielort war?«

»Typisches Touristenziel: Deadwood.«

Eike ließ sich von Fisher Wagentyp und Nummernschild geben, zog das Smartphone aus der Jacke, rief die Polizei in Deadwood an und gab ihnen die Angaben durch. Deadwood war eine legendäre Grenzstadt des Wilden Westens an den Füßen der Black Hills. Der bekannte Revolverheld Wild Bill Hickok war dort erschossen worden und es gab eine Western-Serie, die in dem Ort spielte. Als Eike nach South Dakota gezogen war, musste Chumani mit ihm Deadwood besichtigen. Er erinnerte sich, wie sie sich gesträubt hatte.

Eine schreckliche Idealisierung der weißen Siedler, die mein Volk fast ausgerottet hätten, hatte sie gesagt. Chumanis Mutter war eine Sioux gewesen. Sie hatte dieses Erbe ernst genommen und diese Einstellung an die Tochter weitergegeben. Deshalb hatte Chumani vor dem Trip nach Deadwood jegliche Wild-West-Romantik zerstört, indem sie mit Eike durch die benachbarte Buffalohead Reservation fuhr, die jeder nur Rez nannte, und ihm dort die verrotteten Trailer, die armseligen Hütten, die Autowracks, den Alkoholismus und die Gewalt zeigte.

Nach dem Gespräch mit der Polizei von Deadwood, verabschiedeten sich Eike und sein Schwiegervater von Sheriff Morse.

»Normalerweise ist Fisher nicht so«, sagte Morse. »Sie meinen, er ist kein verlogener Dummkopf?«, fragte Eike.

Morse lächelte verkrampft.

»Was für ein Idiot«, sagte Earl Arendts, als sie im Wagen saßen und zurück nach Homer City fuhren.

Eike blickte nachdenklich aus dem Beifahrerfenster.

»Sohn, was wirst tun, wenn die Kollegen in Deadwood die Fremden erwischen sollten?«

Eike zuckte mit den Schultern.

»Mach’ nichts Unüberlegtes.«

Eike sah zu seinem Schwiegervater. Er fragte sich, ob Sheriff Earl Arendts aus Homer City, Chayton County, South Dakota jemals etwas Unüberlegtes getan hatte. Wahrscheinlich nicht.

In Chumanis zweitem High-School-Jahr wurde bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert. Zwei Monate später war sie tot.

Earl Arendts fehlte nicht einen Tag bei der Arbeit. Selbst nach der Beerdigung war er direkt ins Sheriff Office gefahren, hatte Chumani erzählt.

»Ich mach’ schon nichts Unüberlegtes, Earl.«

»Ich hoffe es, Sohn.«

Eikes Schwiegervater wechselte das Thema und begann vom kommenden Schmeckfest zu reden. Wie viele Bewohner der Dakotas waren Earl Arendts Vorfahren Wolgadeutsche, also Deutsche, die vor Napoleon aus Schwaben nach Russland geflüchtet und in den 1880ern in die USA ausgewandert waren, weil der russische Zar die Deutschen zu Russen machen wollte. Earl Arendts war sein deutsches Erbe wichtig, weshalb er hocherfreut gewesen war, als Eike und Chumani geheiratet hatten. Der Sheriff hatte vor Jahren sogar ein Buch über das Deutsch geschrieben, das von den Alten in Dakota gesprochen wurde und er veranstaltete regelmäßig Festivitäten, wie das Schmeckfest, an denen die Bürger von Homer City zusammenkamen, Volksmusik hörten und deutsche Gerichte aßen. Eike war kein Fan dieser Festivität, aber er kam nicht drumherum.

Am späten Nachmittag erreichten sie Homer City. Seit der Beerdigung von Chumani war Eike nicht in der Stadt gewesen. Sie passierten die Kirche aus weißem Holz, in der sie geheiratet und in der die Trauerfeier stattgefunden hatte, kamen zur Homer High School, einem flachen, bungalowähnlichen Gebäude aus den 1970ern, die Chumani besucht hatte.

Sheriff Arendts bog auf die Main Street mit ihren roten Backsteingebäuden und Holzhäusern im Western-Style.

Susan Ralston winkte ihnen zu. Eine quirlige, redselige Frau, die den Bargain Barn betrieb, eine umgebaute Scheune, in der sie Klamotten verkaufte. Jeden Samstagmorgen waren Eike und Chumani nach Homer gefahren und hatten ihre Einkäufe erledigt. Selbst wenn sie nichts bei ihr kauften, ein Gespräch mit Susan Ralston gehörte zum Wochenendritual, ebenso wie der Blick in die Schaufenster von Black Hills Gold, dem örtlichen Schmuckladen, den beiden Kunstgalerien daneben und Sarah’s Fashion Shop, in dem es schickere Kleidung gab als bei Susan Ralston. Anders als in vielen Kleinstädten, war die Main Street nicht eine Aneinanderreihung geschlossener Geschäfte mit zugenagelten Türen und Fenstern. Homer war ein intakter Ort. Es gab genug Arbeit. Touristen kamen auf dem Weg nach Deadwood vorbei und genossen die lebendige Erinnerung an die USA vergangener Tage.

»Willst du einen Kaffee von Mike, Sohn?«, fragte Earl Arendts und bremste leicht.

»Nein.«

Das Frühstück in Mike’s Diner war der Ausgangspunkt der samstäglichen Shopping-Tour gewesen. In Frank’s Bakery kauften Chumani und Eike Brot, in King’s Drugstore Zigaretten und Lebensmittel. Bei Durham Sports waren sie selten. In dem Geschäft konnte man Messer, Langbögen, Pistolen und Gewehre kaufen. Im Napoli, dem italienischen Restaurant, gingen sie einmal im Monat essen. Trotz der Möglichkeit übers Internet zu bestellen, hielten sie der Buchhandlung Piles of Books die Treue, obwohl es bis zu 10 Tagen dauerte, bis ein bestelltes Buch kam. Der Betreiber hieß Daniel Piles und war ein Schulfreund von Chumani.

Earl Arendts hielt an der Ampel vor dem Larsen Hotel, neben dem das einzige Café der Stadt lag, das Morrison hieß und von Barbara Lassiter und ihrem Mann Rod, einem Künstler aus San Francisco, betrieben wurde. Das Morrison war der Schlusspunkt der samstäglichen Einkaufsrunde gewesen, es sei denn, sie fuhren zur Dakota Mall, die Chumani, die nichts von Einkaufszentren hielt, nicht wegen der Shopping-Möglichkeiten besuchte, sondern wegen des einzigen Kinos des Countys. Eine Träne rann über Eikes Wange. Er wischte sie schnell weg und schaute zu seinem Schwiegervater. Der konzentrierte sich auf die Ampel. Er hatte die Träne nicht gesehen. Zumindest tat er so. Eike schloss die Augen. Bleib cool, Dicker.

Sheriff Arendts parkte auf dem Parkplatz hinter dem aus roten Backstein gebautem, schmucklosen Sheriff Office, von dessen Eingang aus man auf einen begrünten Platz mit einem Brunnen in der Mitte und das Rathaus, einem imposanten Gebäude aus grauem Stein, sehen konnte.

Den Dienstraum füllten vier Schreibtische und eine Zelle, die durch ein Gitter vom übrigen Raum abgetrennt war. Die Wände bestanden aus unverputztem Stein, auf dem Boden lagen abgenutzte Dielen. Am vordersten Schreibtisch saß eine ältere Dame, die mit vollem Namen Ruth Maria Knox hieß, jeder aber nur Ruthie rief. Sie trug, wie üblich, einen roten Trainingsanzug, der mit dem rötlich gefärbten Haaren korrespondierte. Wenn jemand den Notruf in Chayton County wählte, landete er bei Ruthie. Wenn jemand den Sheriff sprechen wollte, landete er bei Ruthie. Wenn jemand wissen wollte, wer am Wochenende über die Stränge geschlagen hatte, landete er bei Ruthie. An den übrigen Tischen saßen Eike und die Deputys Mark Filmore und Ron Maupas. Sheriff Arendts besaß als einziger ein abgetrenntes Büro.

Als Eike und sein Schwiegervater den Dienstraum betraten, trafen sie auf Joel Kraft, Bürgermeister von Homer City und gleichzeitig Gouverneur von South Dakota, der sich mit Ruthie unterhielt. Kraft war ein jovialer Typ, der Eike, wegen seiner hohen Stirn und dem krausen Haar, an den Schauspieler Gene Hackman erinnerte. Earl Arendts und der Gouverneur waren alte Freunde, die sich gemeinsam darum bemühten, das deutsche Erbe in den Dakotas am Leben zu erhalten. Der Politiker hatte großen Anteil am Tod Chumanis genommen und auf der Beerdigung eine kurze Rede gehalten.

»Earl, Eike, glaubt ihr, dass wir die Schweine kriegen?«, fragte Kraft, nachdem Sheriff Arendts von den Ermittlungen in Britton berichtet hatte.

»Wir wissen, welchen Wagen sie fahren und wo sie hinwollen. Also sieht es nicht schlecht aus, Joel«, sagte Earl.

»Gut, gut. Wie geht es Ihnen, Eike? Sie sehen müde aus.«

Wie die meisten Amerikaner sprach Kraft den Namen des Deutschen wie Ike aus.

»War ’nen langer Tag.«

Der Politiker klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Wir kriegen die Kerle«, sagte Kraft.

»Ich hoffe es«, sagte der Sheriff.

»Ihr wisst, wenn ihr irgendetwas benötigt, meldet euch.«

»Danke«, sagte Eike.

»Ich muss los.«

Kraft gab Eike und seinem Schwiegervater die Hand. Der Politiker war ein vielbeschäftigter Mann. Er besaß eine Fleischverarbeitungsfabrik, in der viele Bewohner von Homer City arbeiteten. Seit acht Jahren war Kraft Bürgermeister von Homer City, seit fünf Jahren der Gouverneur von South Dakota. Genauso lang war Kraft das Sprachrohr der Konservativen im Mittleren Westen, das national für Schlagzeilen sorgte. Er hatte gerade knapp die Vorwahlen geworden und würde in fünf Wochen auf dem Nominierungsparteitag der Republikaner zum Präsidentschaftskandidaten gewählt werden. Kraft war der Shooting Star der Partei. Mit seinen politischen Ansichten konnte Eike nichts anfangen. Abtreibung sollte erlaubt sein, Haschisch auch und nicht jeder sollte eine Waffe haben.

4.

Die Sonne war ein roter Feuerball, der am Horizont verschwand. Ein leichter Wind wehte. In der Ferne sah Eike einen Reiter. Er saß auf der Veranda seines Hauses im Schaukelstuhl. Es war ein einstöckiges, L-förmiges Gebäude aus dunklem Holz mit einem Stall für zwei Pferde. Auf Eikes Schoß lag eine alte Glock 18, eine Vollautomatik mit abnehmbaren Anschlagschaft. Über der Stuhllehne hing der spezialangefertigte Schulterhalfter. Links befand sich das Holster für die Waffe, rechts die Halterung für den Anschlagschaft.

Er trank Bier aus einer braunen, dicken Flasche mit einem kurzen Hals. Ein Pale Ale von Chayton Miner, einer lokalen Brauerei in der Nähe, das zu ihrem abendlichem Ritual gehört hatte: Chumani und er saßen draußen, tranken ein Bier und erzählten sich die Erlebnisse des Tages. Neben ihrer Tätigkeit als Reporterin beim Homer Bugle hatte sie im Rez unterrichtet. Chumanis Alltag war Eike spannender vorgekommen als seiner, obwohl er es nicht nur mit Verkehrssündern und betrunkenen Farmern am Wochenende zu tun hatte.

Die Statistik der vergangenen vier Jahren verzeichnete fünf gelöste Diebstähle, fünf verhaftete weiße Vergewaltiger, die über Sioux-Frauen hergefallen waren, zwei explodierte Meth-Labore und drei Meth-Labore, die Earl und er geschlossen hatten. Dazu kam der Verrückte, der grundlos Kühe getötet hatte. Kuh Ripper hatte Chumani ihn in einem Artikel genannt. Über diesen reißerischen Titel hatten sie gelacht, damals, auf der Veranda. Eike leerte die Flasche und öffnete eine zweite. Er schaute auf die Glock. In den vergangenen Tagen hatte er darüber nachgedacht, sie in seinen Mund zu schieben und abzudrücken. Er hatte es nicht getan. Der Hass auf den Todesfahrer verhinderte es. Er wollte dem Mann die Waffe an die Schläfe halten und abdrücken.

Eike zündete sich eine Zigarette an. Eine Schwäche, die er und Chumani geteilt hatten.

Die Sonne war mittlerweile untergangen. Eike blickte in die Finsternis. Sein Smartphone klingelte. Quickdraw von Gangstagrass ertönte. Den Klingelton hatte er seinem Schwiegervater zugeordnet. Er nahm den Anruf nicht an.

Vermutlich wollte Earl einen weiteren Vortrag über Selbstjustiz halten oder ihm eine Aufgabe für das Schmeckfest aufdrücken.

Das Smartphone hörte auf zu klingeln. Die Ruhe war wiederhergestellt. Eike atmete erleichtert durch. Er mochte Earl Arendts, aber manchmal nervte er. Gedankenverloren wippte Eike mit dem Schaukelstuhl hin und her. Das Smartphone läutete erneut. Diesmal war es der neutrale Klingelton, was bedeutete, dass er den Anrufer nicht kannte.

Eike nahm ab. Es war der Sheriff von Deadwood. Er teilte mit, dass sie den beigen Chevy vor einem Motel entdeckt und einen der Männer in Gewahrsam genommen hatten. Eike versprach, am Morgen vorbeizukommen und den Mann abzuholen, wobei seine Stimme vor Aufregung leicht zitterte.

Er zündete sich eine weitere Zigarette an. Ob der Inhaftierte der Fahrer war? Und wenn ja, was würde er mit ihm tun? Auf der Flucht erschießen?

»Du siehst Scheiße aus«, sagte jemand.

Eike erschrak, obwohl er die Stimme sofort erkannte.

»Hi, George.«

George Echo-Hawk war Polizist im Rez und ein Freund. Er betrat die Veranda, die unter seinem Gewicht knarrte. Er war ein untersetzter, kräftiger Mann mit kurzen schwarzen Haaren. Eike warf ihm ein Bier zu. George öffnete es. Die Männer stießen an.

»Was machst du mit der Waffe hier draußen?«

»Zielübungen.«

»Auf was schießt du?«

»Die Dunkelheit.«

»Die kann man nicht verfehlen.«

Eike steckte die Glock in den Halfter.

»Alles klar bei dir, Eike?«

»Ein Verdächtiger wurde in Deadwood in Gewahrsam genommen.« »Wann?«

»Gerade.«

»Wann fährst du los?«

»Morgen früh.«

»Ich komme mit.«

George und Chumani waren zusammen auf die Homer High School gegangen, zwischen 13 und 14 ein Paar gewesen und danach, erstaunlicherweise, Freunde geblieben. »Kann sein, dass ich Grenzen überschreite«, sagte Eike.

»Ich habe Grenzen nie gemocht.«

Er und George hatten sich auf Anhieb verstanden. Sie trainierten gemeinsam in Eikes Stall, wo er im hinteren Bereich einen abgetrennten Trainingsraum mit Gewichten und einem Sandsack eingerichtet hatte. »Earl würde nicht wollen, dass ich fahre.«

»Wie unamerikanisch. Vigilantentum hat eine lange Geschichte in diesem Land.«

5.

Vor der Polizeiwache von Deadwood stand eine Ambulanz. Der Parkplatz vor dem Backsteingebäude war abgesperrt. Obwohl es nicht einmal 7 Uhr morgens war, kämpften Reporter von verschiedenen Websites, regionalen und einem nationalen TV-Sendern um die beste Position für ihre Kameras. Fotografen und Schaulustige drängelten sich auf dem Bürgersteig.

Eike parkte den Wagen in einer Nebenstraße und eilte mit George zur Wache. Der Uniformierte am Eingang ließ sie durch, nachdem sie ihm ihre Marken gezeigt hatten. Die Wache war ein Schlachtfeld. Im Empfangsbereich lagen zwei uniformierte Polizisten mit Eintrittswunden im Kopf und in der Herzgegend. Es musste sehr schnell gegangen sein. Ihre Waffen steckten im Holster. Die Tür zum Zellenblock stand offen. Neben ihr saß ein Polizist zusammengesunken an der Wand. Es wirkte, als würde er schlafen. Doch die Blutstreifen an der Wand hinter ihm, klärten diesen Irrtum auf. Auch er war in Kopf und Brust getroffen worden.

Der Sheriff von Deadwood, ein kräftiger Mann mit Sommersprossen und schütterem Haar, saß am Schreibtisch vor einem angeschalteten Computer. Sein Gesicht war bleich. Die Hand, in der er eine Zigarette hielt, zitterte.

»Deputy Sheriff Wolfen«, sagte Eike.

Der Sheriff sah ihn müde an.

»Sie haben uns das eingebrockt.«

Eike ignorierte die Beschuldigung.

»Was ist passiert?«

»Wir haben Ihren Mann gestern Abend eingesperrt. Er hat keinen Widerstand geleistet. Eine Verhaftung ohne Vorkommnisse. Einer meiner Männer ist die Nacht vor dem Motel geblieben. Von seinem Begleiter gab es keine Spur.

Bis heute Morgen. Da ist er reingekommen, hat drei meiner Leute erschossen und einen vierten verwundet.« »Mein Beileid«, sagte George.

»Gab es Gepäck?«, fragte Eike.

»Was?«

»Gepäck.«

»Keine Ahnung.«

»Wer war der Verhaftete?«

»Weiß ich nicht. Hatte keine Papiere bei sich.«

»Fingerabdrücke?«

»Hatten wir noch nicht genommen. Es ging um Fahrerflucht, gottverdammt.«

Eike schaute sich in dem Büro um und entdeckte Kameras.

»Können wir uns die Aufnahmen der Überwachungskameras anschauen, Sheriff?«

Der Sheriff tippte müde auf die Computertastatur und drehte den Monitor zu Eike.

Der schwarz gekleidete Mann betrat die Wache. Kurze, dunkle Haare. Glattrasiert. Schwarze Baseballkappe. Eine Sonnenbrille verdeckte die Augen. Er trug einen Rucksack.

Eindeutig der Fahrer des Raptors. Ein Polizist saß am Empfang. Ein zweiter stand neben ihm. Der schwarz gekleidete Mann zog eine Waffe mit Schalldämpfer und schoss. Ruhig, in einem gleichmäßigen Rhythmus, beide Hände an der Waffe. Eine FN Five-seven, erkannte Eike. Die belgische Halbautomatik benutzten der Secret Service und verschiedene US-amerikanische Strafverfolgungsbehörden.

Mit gezogener Waffe ging der Killer Richtung Zellenblock. Plötzlich drehte er sich nach rechts und feuerte vier Mal. Eike schaute sich im Raum um, entdeckte die Tür zur Kaffeeküche, in der vier Einschusslöcher zu erkennen waren. Hinter ihr muss der Polizist gestanden haben, der überlebt hat. Warum der Killer ihn nicht erledigt hatte, zeigten die Aufnahmen. Der vierte Polizist stürmte mit gezogener Waffe aus dem Zellenblock. Ein Fehler. Er hätte sich verbarrikadieren und auf Hilfe warten sollen. Der Killer drückte zweimal ab, nahm dem toten Polizisten die Schlüssel ab und ging in den Zelltrakt. Eine Minute später verließ der Mann alleine und ohne Hast die Polizeiwache.

»Warum hat der Mann alleine die Wache verlassen?«, fragte Eike.

Der Sheriff rief die Bilder aus dem Zelltrakt auf. Eike sah, wie der Polizist nach draußen stürmte. Kurz darauf betrat der Angreifer den Trakt, in dem es drei, durch Gitter getrennte Zellen gab. Der inhaftierte Mann grinste. Bis der Angreifer ihn erschoss. Aus dem Rucksack zog er einen Kanister, überschüttete den Toten, entzündete das Benzin mit einem Zippo-Feuerzeug und verließ den Raum.

»Warum macht er das?«, fragte George.

»Er wollte die Identifizierung erschweren. Das ist die einzige logische Erklärung«, sagte Eike.

»Wer ist dieser Scheißtyp?«, fragte der Sheriff, »Sie haben am Telefon gesagt, es ginge um Fahrerflucht. Aber das hier sieht nach was ganz anderem aus.«

Der Sheriff sprang auf und verschwand auf das Klo. »Er hat recht«, sagte George, »Das war kein Verrückter. Der wusste, was er tat.«

»Ex-Militär, würde ich vermuten«, sagte Eike. »Die Bewegungsabläufe sind antrainiert. Er denkt nicht, er handelt. Wie eine Maschine.«

Der Sheriff kam zurück an den Schreibtisch. Er war bleicher als zuvor und roch nach Kotze. Ohne Eike und George zu beachten, zündete er sich eine Zigarette an und blickte resigniert auf den Rauchmelder an der Decke.

Der Sheriff war zu nichts zu gebrauchen. Eike nahm die Computertastatur und rief die Datei über die gestrige Verhaftung auf. Keine Einträge außer beim Ort der Festnahme: Zimmer 12, Custer-Motel. Eike und George fuhren hin. Beim Anblick der Marken überließ ihnen der Rezeptionist des Motels den Schlüssel für die 12. Das Bett war unberührt. Es gab kein Gepäck. Als sie aus dem Zimmer traten, entdeckte George den beigen Chevy. Eike brach den Wagen auf. Auf der Rückbank lagen zwei identische Rucksäcke mit identischem Inhalt: Einwegrasierer, Rasierschaum, Zahnbürste, Zahnpasta, zwei Garnituren Unterwäsche, zwei Unterhemden, zwei schwarze Hemden, drei Magazine für die FN Fiveseven, zwei Schalldämpfer.

Eike und George nahmen sich ein Doppelzimmer im Bullock Hotel, einem grauen, zweistöckigen Steinhaus mit einer Art Turm auf der linken Seite. Eike hatte darauf bestanden, weil er mit Chumani in dem Hotel übernachtet hatte. Es war ein Hotel für Touristen, erbaut von Seth Bullock, dem legendären Sheriff der Stadt, der 1876 nach Deadwood gekommen war.

»Es war keine gute Idee im Bullock zu übernachten«, sagt George, als sie an der Bar saßen, »Zu viele Erinnerungen.«

»Hm.«

»Erinnerungen bringen einen um.«

Eike bestellte zwei Whiskeys. Er und George waren die einzigen Gäste, was um zehn Uhr morgens nicht überraschte.

»Diese Sache ist seltsam«, sagte Eike. »Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass ich eine Spur des Wagens finden würde. Eine Woche war reichlich Zeit, den Bundesstaat zu verlassen.«

Sie stießen an. Nach einem zweiten Whisky beschlossen sie, woanders weiterzutrinken. George und Eike traten auf die Main Street und gingen sie hinunter, vorbei an Touristen und Bikern. Der Ausflug nach Deadwood war der erste gewesen, nachdem Eike zu Chumani gezogen war. Kennengelernt hatten sie sich in einer Bar in Berlin. Er suchte einen Platz, landete am Tisch, an dem Chumani und ihr Vater saßen und kam mit ihnen ins Gespräch. Earl Arendts zeigte seiner Tochter die Welt ihrer Vorfahren väterlicherseits: Deutschland und Russland. Er ging irgendwann ins Hotel und Eike und Chumani waren weitergezogen. Erst als die Sonne aufging, trennten sie sich.

Es folgte eine intensive Kommunikation über Telefon und soziale Netzwerke, bei der sie Fotos, Musik und Gedanken austauschten. Ein Vierteljahr später war Eike ins Flugzeug gestiegen. Sie holte ihn am Kennedy Airport ab. Sie verbrachten die erste Woche in New York, anfangs in getrennten Hotelzimmern. Am vierten Tag, nach einem alkoholreichen Abendessen, küssten sie sich und buchten ein Doppelzimmer. Die zweite Woche von Eikes Urlaub verbrachten sie in Chayton County. Als er nach Deutschland zurückflog, hatte er sich entschieden in die USA auszuwandern und Chumani zu heiraten. »Ich werde ein Provinzler« hatte er damals einem Freund gemailt.

»Es ist nicht cool, auf der Straße zu heulen«, sagte George.

Eike war nicht aufgefallen, dass eine Träne seine Wange runtergekullert war.

»Taschentuch?«, fragte George.

»Wichser«, sagte Eike.

Sie gingen in einen Biker-Schuppen, in dem vier alte Rocker und eine dralle Blondine an einem Tisch saßen und Kaffee tranken, setzten sich an die Theke und bestellten zwei Bier.

»Nichts ist besser als Whiskey und Bier vor dem Mittagessen«, sagte George. Eike grinste müde. Da klingelte sein Smartphone. Neutraler Ton. Unterdrückte Rufnummer.

Er ging ran.

»Ja?«

»Ironwood, FBI«, sagte eine angenehme Frauenstimme, »Spreche ich mit Deputy Sheriff Eike Wolfen?«

»Ja.«

»Special Agent Hannigan bittet Sie umgehend nach Sioux Falls zu kommen.«

»Worum geht’s?«

»Um den Überfall auf die Frachtmaschine auf dem Sioux Falls Regional Airport vor acht Tagen.«

Eike hatte über den Überfall im Homer Bugle gelesen. Es war der größte Überfall dieser Art in North und South Dakota gewesen, bei dem Edelsteine im Wert von rund einer Million Dollar gestohlen und zwei Menschen erschossen worden waren.

»Was habe ich damit zu tun?«

»Erfahren Sie von Special Agent Hannigan.«

Agent Ironwood nannte eine Adresse und legte auf.

»Seltsame Sache, oder?«, sagte Eike, nachdem er George erzählt hatte, wer angerufen hatte.

»Vor acht Tagen war der Überfall und vor acht Tagen wurde Chumani überfahren«, sagte George.

»Wo soll da der Zusammenhang sein?«

»Hat dich der Alkohol und die Trauer blöd gemacht?«

George nahm sein Smartphone, ging ins Internet, rief die Seite des Homer Bugle auf und schob das Telefon zu Eike.

Es war einer der Artikel über den Raubüberfall.

»Warum soll ich das lesen?«

»Lies.«

Eike las den Artikel, entdeckte nichts, was er nicht wusste, bis er zur Beschreibung der Fluchtautos kam. Ein schwarzer Van und ein Pickup. Auch schwarz. Eine Marke wurde nicht genannt. Es konnte ein Ford Raptor sein.

6.

In der Mitte der dunklen, fensterlosen Lagerhalle befand sich eine Monitorwand, auf der Aufnahmen von Überwachungskameras liefen. Vor ihr saßen ein halbes Dutzend Männer und Frauen in Businessanzügen an Computern. Für eine Task Force, die einen der größten Überfälle in der Geschichte der Dakotas aufklären sollte, herrschte eine seltsame Ruhe. Für Eike das Zeichen, dass die Ermittlungen stagnierten. Er saß mit George auf einer alten, brüchigen Holzbank am Rande der beleuchteten HighTec-Insel. Das provisorische Hauptquartier der Task Force war in der alten Halle eingerichtet worden, in der Nähe des FBI-Büros von Sioux Falls, das auf der 325 South 1st Avenue lag. Es war nur ein kleines Satellitenbüro. Die Minneapolis Division war für die Staaten Minnesota, North Dakota und South Dakota zuständig.

Seit einer halben Stunde warteten Eike und George auf die Chefin der Task Force. Sie saß, im Zentrum der HighTecInsel, an einem schwarz lackierten Metallschreibtisch und telefonierte. Eine attraktive Frau mit kurzen rot-braunen Haaren, Ende 40, Anfang 50, die einen schwarzen Anzug trug.

»Warum gehen wir nicht einfach rüber?«, fragte George.

»Das ist ein Spiel. Sie will uns zeigen, wie wichtig sie ist und wie unwichtig wir sind. Die, die auf einen solchen Scheiß stehen, mögen es nicht, wenn man aufdringlich wird.«

Während seiner Zeit bei der Berliner Mordkommission hatte Eike oft mit solchen Wichtigtuern zu tun gehabt.

Eine Frau mit langen, blonden Haaren, die einem grauen Business-Anzug trug, trat zu ihnen.

»Special Agent Hannigan hat nun Zeit für Sie«, sagte die Frau.

Eike erkannte die Stimme. Vor ihnen stand Agent Ironwood.

Sie lächelte. Für George, nicht für Eike. Sie führte die Polizisten zu ihrer Vorgesetzten.

»Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ, aber eine Task Force leitet sich nicht von selbst.«

Herablassender als Hannigan das Wort Sie betonte, ging nicht. Es war eindeutig, dass sie Eike und George für dumme Provinzbullen hielt, die schon mit dem Aufschreiben von Verkehrssündern überfordert waren.

»Warum glauben Sie, stehen Sie vor mir, Deputy Sheriff?«

Willkommen auf der Schulbank – Eike nervte die Arroganz der FBI-Agentin auf Anhieb. »Na, Deputy?«

Er atmete durch.

»Es ist naheliegend, warum Sie sich gemeldet haben. Vor acht Tagen wird das Frachtflugzeug überfallen, am selben Tag wird eine Frau in Homer City überfahren. Fahrerflucht.

Gestern wird der Wagen gefunden. Ein schwarzer Raptor.

Vermutlich war eines der Fahrzeuge beim Überfall ein Pickup dieser Marke. Vermutlich haben Sie eine Fahndung laufen. Auf die ist Sheriff Morse gestoßen, als er seinen Bericht schrieb und hat Sie informiert. Das ist natürlich nicht Grund genug, uns hierher zu zitieren. Also interessieren Sie sich für das Massaker in Deadwood. Darüber gibt es keine Daten Online, weil der dortige Polizeichef zurzeit arbeitsunfähig ist. Deshalb stehen wir vor Ihnen.«

»Ihr Name ist nochmal?«

»Eike Wolfen.«

»Deputy Sheriff aus Chayton County?«

»Deputy Sheriff aus Chayton County.«

»Sie haben einen Akzent.«

»Das haben Sie richtig bemerkt. Haben Sie weitere Fragen?«

Hannigan sah Eike an.

»Was ist in Deadwood passiert, Deputy?« Eike gab eine Zusammenfassung.

»Danke für die Informationen«, sagte Hannigan und griff zum Telefon. Mit einem Kopfnicken gab ihnen die blonde FBI-Agentin ein Zeichen, ihr zu folgen. Am Rand der HighTec-Insel stand ein Tisch mit einer chromglänzenden Kaffeemaschine. Sie schüttete drei Tassen ein.

»Mein Name ist Ann Lee Ironwood.«

»Ich bin George Echo-Hawk und dies ist Eike Wolfen.«

»Warum glauben Sie, Agent Ironwood, lagen zwischen Überfall und dem Auffinden des Pickups eine Woche?«, fragte Eike.

»Ich kann Ihnen keine Informationen über laufende Ermittlungen geben. Was ist Ihre Theorie, Deputy? Ich nehme an, Sie haben eine.«

Eike und George hatten auf der Fahrt nach Sioux Falls über die Frage mit Earl Arendts am Telefon diskutiert. »Wir glauben, dass die Täter sich eine Woche in South Dakota versteckt haben.«

»Statt mit der Beute abzuhauen, warteten sie, bis sich die Aufregung gelegt und bis die Polizei die Straßensperren wieder abgebaut hatte, um ungefährdet nach Hause zu fahren.« »In South Dakota einen Ort zu finden, an dem man sich unbemerkt eine Woche aufhalten kann, ist nicht schwierig. Es ist einer der am wenigsten besiedelten Staaten der USA.« »Strategisch gut gedacht. Jeder rechnet damit, dass sie schnell das Weite suchen, aber stattdessen warteten sie ab, bis sich die Situation beruhigt hat.«

Eike hatte darüber nachgedacht, was das für den Tod von Chumani bedeutete: Der Fahrer hatte die Nerven verloren oder war einfach ein Raser. Den Arzt zu rufen und sich zu stellen, kam – wegen des Überfalls auf das Frachtflugzeug – nicht in Frage.

»Sehen Sie, Deputy, da haben Sie die Antwort auf Ihre Frage.«

»Eine Idee, warum der Mann in der Zelle eliminiert wurde?«, fragte Eike.

»Ich kann Ihnen keine Informationen über laufende Ermittlungen geben. Was denken Sie?« »Ich habe keine Ahnung.« Ironwood grinste.

»Können Sie uns wenigstens erzählen, wie der Überfall abgelaufen ist?«, fragte George.

Die blonde Agentin schaute zu Special Agent Hannigan. Sie telefonierte und gestikulierte dabei wild.

»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Ein Teil der Bilder ist sowieso veröffentlicht.«

Ann Lee Ironwood führte sie zu einem unbenutzten Computer außerhalb des Sichtbereichs ihrer Vorgesetzten und loggte sich ein. Sie war Linkshänderin, weshalb sie die tippende Hand mit der rechten verdeckte. Weil Eike links von ihr stand, konnte er mitlesen. Benutzername: Ironwood.

Passwort: Schwanensee23. Eine Ballett-Freundin, dachte Eike. Chumani hatte Ballett gemocht. Nach drei Aufführungen, die er wiederwillig besuchte, verstand Eike die Faszination an dieser Tanzform. Sie war so schön und friedvoll. »Die Überwachungskameras haben den größten Teil des Überfalls aufgezeichnet«, sagte Ann Lee Ironwood, »Wir haben die Aufnahmen zusammengeschnitten, damit der Ablauf deutlich wird.«

Die FBI-Agentin öffnete einen Dateiordner.

»Der Überfall fand um 3 Uhr morgens statt. Um diese Uhrzeit gab es eine eklatante Sicherlücke. Jeder im Cargo-Terminal von Black Hills Airlines, inklusive der zwei Wachmänner, machte eine Frühstückspause. Erleichtert wurde der Raub durch den Umstand, dass es zwei Baustellen am Flughafenzaun gab. Die haben das Sichtfeld der Überwachungskameras im äußeren Sicherheitsbereich eingeschränkt. Zwischen den Baustellen haben die Gangster ein Loch in den Zaun geschnitten und sind über das Rollfeld des Flughafens zum Cargo-Terminal gefahren. Ab dem Terminal haben Überwachungskameras den Überfall aufgezeichnet.« »Saß niemand an den Monitoren?«, fragte Eike.

»Wie ich sagte: Frühstückspause.«

Ann Lee Ironwood startete die Videoaufnahmen: Ein schwarzer Van fuhr über den Flughafen. Vom Raptor keine Spur. Schnitt. Eine Laderampe. Ein Mann rauchte eine Zigarette. Fünf bewaffnete, dunkel gekleidete Männer mit Skimasken über den Gesichtern kamen ins Bild. Der Frachtarbeiter hob die Hände. Ein Mann schlug ihm ins Gesicht und in den Bauch. Der Schläger war offensichtlich der Anführer. Er wies zwei seiner Kumpane an, den Mann hochzuheben. Schnitt. Die Kantine des Cargo-Terminals. Der Anführer betrat mit seinen Komplizen und dem Frachtarbeiter den Raum. Die Gangster warfen zur Abschreckung den blutenden Frachtarbeiter auf den Boden, richteten ihre Waffen auf die zwei Wachmänner und die sechs Angestellten. Der Anführer ging auf einen älteren Herrn mit langem, grauem Haar zu und sprach mit ihm. Ann Lee Ironwood stoppte die Aufnahmen.

»Der Grauhaarige ist Rudi Eirich. Der Chef des Cargo-Terminals. Laut Aussage Eirichs drohte ihm der Gangster, sagte, er wisse, wo er wohne, dass zwei seiner Männer vor dem Haus warteten und dass, wenn Eirich Schwierigkeiten machen würde, er die Männer losschicken würde, um seine Frau zu besuchen.«

»Netter Kerl«, sagte George.

Ann Lee Ironwood ließ die Aufnahmen weiterlaufen. Die Gangster fesselten die Angestellten und Wachleute.

»Dann warteten die Gangster auf die Frachtmaschine BHL 1235.«

»Der Tower bekam nichts mit?«

»Nein.«

»Woher kam die Maschine?«

»Odessa. Kam über New York nach Sioux Falls.«