Die falschen Weihnachtsbäume - Charlotte Niese - E-Book

Die falschen Weihnachtsbäume E-Book

Charlotte Niese

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Weih nachtserzählungen: Die falschen Weihnachtsbäume Um die Weihnachtszeit (aus "Aus dänischer Zeit")

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Inhalt

Die falschen Weihnachtsbäume

Um die Weihnachtszeit

(aus „Aus dänischer Zeit“)

Charlotte Niese

Die falschen Weihnachtsbäume

Auf unsrer Insel gab es wenig Bäume. So wenig, daß das Brennholz weither über das Wasser geholt werden mußte, und daß viele der Inselbewohner niemals einen Wald gesehen hatten. Auch die Tannenbäume waren ein seltner Artikel, was uns als Kinder immer sehr aufregte. Denn wenn es gegen die Weihnachtszeit ging, tauchten immer wieder die Zweifel auf, ob wir wohl einen wirklichen oder einen falschen Tannenbaum am heiligen Abend bekämen. Einen wirklichen Tannenbaum, der im Walde gewachsen war, und in dessen Zweigen die Vögel gesungen hatten, oder einen falschen, der in der Werkstatt des Meister Ahrens das Licht der Welt erblickt hatte.

Meister Ahrens war unser Tischler. Er sah alt aus und hatte einen sehr kahlen Kopf, aber wir hatten ihn gern, besonders wenn er nicht immer von seinem guten Herzen sprach. Das langweilte uns, weil wir es eigentlich für selbstverständlich hielten, daß man ein gutes Herz haben müsse.

Ahrens kam oft zu uns. In unsrer Kinderstube ging aller Augenblicke etwas auseinander, was eigentlich zusammengehörte, und Meister Ahrens erschien dann mit seinem Leimtopf, sagte, er hätte ein gutes Herz, und klebte alles wieder zusammen. Wir halfen ihm natürlich und drängten uns um die Ehre, in seinem klebrigen Topf dreimal herumrühren zu dürfen; aber seine Tannenbäume konnten wir nicht leiden. Das kam wahrscheinlich daher, weil wir sie schon so lange vorher sahen. Schon im Frühjahr arbeitete Ahrens an langen Weißen Stöcken, in die er Löcher bohrte; im August und September malte er diese Stöcke mit grasgrüner Ölfarbe an und trocknete sie vor seiner Haustür. Später sahen wir sie zusammengebunden in seiner Werkstatt liegen, bis der Dezember ins Land zog. Dann verschaffte er sich Tannenzweige, steckte diese in die Löcher der grünen Stöcke und betrieb einen schwunghaften Handel mit Tannenbäumen. Auch uns bot er immer von seinem Fabrikat an, aber obgleich wir nicht leugnen konnten, daß seine Bäume schließlich sehr nett aussahen, so verhielten wir uns meist ablehnend. »Sie sind so billig,« sagte Ahrens eines Tages zu uns, als wir ihn einer Bestellung wegen in seiner Werkstatt besuchten, und er gerade einen grünen Stock etwas nachmalte.

»Wir wollen sie doch nicht!« erwiderte mein Bruder Jürgen, der in seinen Aussprüchen oft sehr bestimmt war. »Ich mag keinen falschen Tannenbaum!«

»Falsch! Du lieber Gott, wasn Wort!« Ahrens sah beleidigt aus. »Da is nich die geringste Falschheit bei! Meine Tannenbäumens sind feiner als die natürlichen, kann ich dich sagen, mein Junge! An die natürlichen is oft Smutz und Erde, und bei mich is bloß die reine Ölfarbe!«

»Wo bekommst du eigentlich die Tannenzweige her?« fragten wir.

Der alte Tischler machte ein wichtiges Gesicht. »Aus 'n Wald, aus 'n richtigen Tannwald, wo die Vögelns singen, und wo soviel Bäumens stehn, daß man mannichmal keine Luft kriegen kann!«

»Wo liegt der Wald, und wer holt dir die Tannenzweige?« Wir waren dem Tischler doch näher gerückt und sahen ihn gespannt an. Aber er zuckte die Achseln. »Ja, das möcht ihr wohl wissen! Das sag ich abersten nich – nee, das sag ich nich!«

Auf diese Art umgab Meister Ahrens seine Bäume mit dem Nimbus des Geheimnisvollen, und dadurch gewannen sie natürlich in unsern Augen.

Es war schon ziemlich nahe vor Weihnachten, und wir sprachen eigentlich von nichts anderm als von dem bevorstehenden Feste. Endlos lange Wunschzettel waren geschrieben: hin und wieder wurde eine Träne über eine völlig mißglückte Weihnachtsarbeit vergossen, oder wir schmiedeten Pläne, was wir noch verschenken wollten. Manchmal ging die Zeit entsetzlich langsam und manchmal unheimlich schnell dahin, und unsre Lehrer beklagten sich über unsre Zerstreutheit.

Es war an einem Morgen im Dezember, daß ich zu Meister Ahrens geschickt wurde, um ihn samt seinem Leimtopfe zu uns einzuladen. Unsre Kinderstubeneinrichtung hatte durch eine längere lebhafte Unterhaltung der ältern Brüder stark gelitten, und Ahrens sollte gleich kommen. Vergnügt polterte ich die enge Treppe zu seiner Werkstatt hinauf, konnte aber nicht bis auf die letzte Stufe kommen, weil dort ein Kind stand, auf das der alte Tischler eifrig einsprach.

»Ich muß die Zweigens haben, und Vater muß herüber und sie holen!«

»Vater is bang!« lautete die schüchterne Erwiderung.

»I, was sollt Vater woll bang sein; er muß los – sonsten klag ich ihm ein, wo er mich doch Geld schuldig is! Ohne die Zweigens kann ich ja nix machen, und das Geschäft mit die Bäumens muß anfangen! Nu geh du man, und laß Vater man auch gehn!«

Das Kind, es war ein ziemlich großes Mädchen, glitt an mir vorüber, und ich konnte jetzt in die Werkstatt treten und meine Bestellung ausrichten. Aber Meister Ahrens hörte kaum auf mich. Er war sehr schlechter Laune und betrachtete seufzend seinen Haufen grüner Stöcke, der friedlich in einer Ecke lag.

»Kannst du keine Zweige aus dem großen Walde kriegen?« fragte ich neugierig. Er aber sah mich streng an.

»Frag nich so dumm! Ich kann allens, was ich will, und meine Tannenbäumens sind besser als die natürlichen!«

Als ich wieder hinauskam, da saß dasselbe Mädchen, das vorhin mit Ahrens gesprochen hatte, auf der Türschwelle. Sie weinte nicht, aber sie sah aus, als ob sie wohl Lust dazu hätte, und ich setzte mich neben sie und betrachtete sie schweigend. Sie war sehr ärmlich, aber ziemlich sauber gekleidet, nur ihr dickes, blondes Haar hing unordentlich um ihren Kopf. An diesem Haar erkannte ich sie, und ich nickte ihr freundlich zu.

»Du hast mir neulich mein Lesebuch nachgebracht, als ich aus der Stunde kam, weißt du noch? Ich hatte es auf dem Wege verloren!«

Sie sah jetzt auf, und ihre Augen blickten weniger trübe.

»Das war so'n feines Buch,« sagte sie, »mit Bildern ein – so'n feines Buch!«

»Hast du kein Lesebuch?« erkundigte ich mich, während ich mit einiger Beschämung daran dachte, daß ich dieses Buch schon zweimal hinter den Schrank geworfen hatte, nur um es nie wieder zu sehen. Leider war es immer wiedergefunden worden.

Sie schüttelte den Kopf. »Nee – ich hab nix, gar nix!«

»Was wünschst du dir denn zu Weihnachten?«

»Ich?« Das Mädchen sah überrascht aus. Dann lachte sie.

»Was sollt ich mich woll wünschen; ich krieg doch nix!«

»Du bekommst gar nichts?«

Unwillkürlich rückte ich der Sprecherin näher. »Bist du dann zu Weihnachten nicht furchtbar traurig?«

»Nee« – sie lachte wieder. »Was sollt ich woll traurig sein, wo ich den ganzen Abend rumlauf und in all die Fensters guck und all die Weihnachtsbäumens zu sehen krieg! Mannichmal krieg ich auch noch ein Stück Brot mit Rosinens geschenkt!«

»Weihnachtsabend darf man eigentlich nicht ausgehn!« sagte ich. »Da muß man zu Hause bei seinen Eltern bleiben!«

»Ja, wenn Vater man nich sitzt, denn bleib ich auch bei ihm; abers er is nu ja ümmerlos im Loch – da sitz ich ja ganz allein, wo Mutter doch tot is –«

»Er sitzt im Gefängnis?«

Wenn es angegangen wäre, hätte ich mich noch näher an meine neue Bekanntschaft gedrückt. Wir saßen aber schon ganz nahe aneinander geschmiegt. Aber um ihr doch zu zeigen, wie interessant sie mir sei, griff ich in die Tasche, in der ich einige getrocknete Pflaumen hatte, und bot sie ihr an. Dörthe Krieger, so hieß das Mädchen, nahm sie auch und verzehrte sie mit einiger Gier, während ich ihr zusah. Ich hatte mir nämlich gerade aus dem vorhin erwähnten Lesebuch eine wunderhübsche Geschichte von einem unschuldig Gefangnen vorlesen lassen und nahm jetzt an, daß die Gefängnisse nur dazu da wären, Unschuldige zu quälen.

»Dein Vater hat doch natürlich nichts Böses getan?« fragte ich.

Dörthe schüttelte den Kopf. »Nee – natürlich nich! Bloß ein büschen Stehlen. Weiter gar nix. Der Bürmeister is auch zu eigen. Abers nach die Tannenzweigen in Holstein will er doch nich hin!«

»Stiehlt er die auch?«