Die Farbe Lila - Alice Walker - E-Book

Die Farbe Lila E-Book

Alice Walker

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Beschreibung

Die junge Schwarze Celie wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in Georgia auf. Während ihre Mutter im Sterben liegt, wird sie mit vierzehn zum ersten Mal von ihrem Vater vergewaltigt und in den Folgejahren zweimal schwanger. Er gibt die Kinder weg, sie weiß nicht, ob sie noch leben oder tot sind. Als sie in die Ehe mit einem Mann gezwungen wird, der sie schlägt, wendet sich Celie in verzweifelten Briefen an Gott, da sie keinen anderen Ausweg mehr weiß.

Erst als ihr Mann seine Geliebte Shug Avery ins Haus holt, verbessert sich Celies Situation. Sie verliebt sich in Shug und lernt von ihr, dass echte Liebe nichts mit Gewalt zu tun hat. Durch Shugs Liebe und die Freundschaft weiterer Frauen geht Celie endlich gegen alle Widerstände ihren Weg.

»Eine starke neue Übersetzung.« Paul Ingendaay, FAZ, 30.12.2021

»Es ist eine großartige Idee des jungen Ecco Verlags, dieses Buch neu herauszubringen. [...] Eine mehr als lohnende Wiederentdeckung.« Verena Auffermann, Deutschlandfunk Kultur, 22.01.2022

»Den lakonischen Ton, den das Original vorgibt, hat [Cornelia Holfelder-Von der Tann] in einer kunstvollen, aber nie zu aufdringlichen Umgangssprache gut getroffen.« Julian Weber, taz, 10.02.2022

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Seitenzahl: 344

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Die Originalausgabe erschien1982unter dem Titel

The Color Purplebei Harcourt, New York.

Die Arbeit der Übersetzerin an diesem Text wurde im Rahmen des ProgrammsNEUSTARTKULTURaus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.

Die Arbeit der Übersetzerin wurde ferner unterstützt durch ein Aufenthaltsstipendium im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen aus Fördermitteln der KunststiftungNRW.

eccoverlag.de

THECOLOR PURPLEby Alice Walker.

Copyright © Alice Walker. Copyright ©1982by Alice Walker.

By arrangement with the author. All rights reserved.

Deutsche Erstausgabe

©2021für die deutschsprachige Ausgabe

Ecco Verlag in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Covergestaltung von Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung von Tina Berning

Autorinnenfoto von Scott Campbell

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783753050096

Motto

Dem Geist

ohne dessen Hilfe

weder dieses Buch

noch ich

geschrieben worden

wären

Show me how to do like you

Show me how to do it.

Stevie Wonder

Hauptteil

Erzähl das ja keinem außer Gott. Es würd deine Mammy umbringen.

Lieber Gott,

ich bin vierzehn. Ich bin war immer brav. Vielleicht kannst du mir ja ein Zeichen geben, damit ich weiß, was mit mir passiert.

Letztes Frühjahr, wie der kleine Lucious grad frisch geboren war, hab ich sie rumstreiten hören.

Er zieht sie am Arm. Sie sagt, ist noch zu bald, Fonso, mir geht’s nicht gut. Schließlich lässt er sie in Ruh. Eine Woche drauf zieht er sie wieder am Arm. Sie sagt, naw, ich mach’s nicht. Siehst du denn nicht, ich bin ja schon halb tot und dann die ganzen Kinder.

Sie ist nach Macon, zum Arzt von ihrer Schwester. Da ist es an mir, für die anderen zu sorgen.

Er hat kein nettes Wort für mich. Sagt nur, du machst jetzt, was deine Mammy sich weigert. Erst drückt er sein Ding an mich dran und windet sich damit so an mir rum. Dann packt er meine Brüste. Dann zwängt er sein Ding in meine Pussy. Wie’s wehtut, schrei ich. Er würgt mich, sagt, halt den Mund und gewöhn dich dran.

Aber ich gewöhn mich da nie dran. Und jetzt wird mir jedes Mal schlecht, wenn ich kochen muss. Meine Mama regt sich dann auf und guckt mich so an. Sie ist froh, weil er jetzt gut zu ihr ist. Aber so krank, lang macht sie’s nimmer.

Lieber Gott,

meine Mama ist tot.

Sie ist mit Schreien und Schimpfen gestorben. Mich hat sie angeschrien, mich hat sie beschimpft. Ich bin dick. Ich kann mich nicht so schnell bewegen. Bis ich vom Brunnen zurück bin, ist das Wasser warm. Bis ich das Tablett gerichtet hab, ist das Essen kalt. Bis ich alle Kinder für die Schule fertig hab, ist Mittag. Er hat nichts gesagt. Er hat am Bett gesessen, ihre Hand gehalten und geweint und gejammert, lass mich nicht allein, geh nicht.

Sie hat mich wegen dem ersten gefragt, von wem es ist. Ich hab gesagt, von Gott. Ich kenn keinen anderen Mann, weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Wie es losging mit dem Schmerz und mein Bauch sich so bewegt hat und wie dann das Baby aus meiner Pussy rauskam, mit der Faust im Mund, da war ich total baff.

Uns kommt nie jemand besuchen.

Sie ist immer kränker geworden.

Schließlich hat sie gefragt, wo ist es?

Ich hab gesagt, Gott hat’s genommen.

Er hat’s genommen. Er hat’s genommen, wie ich geschlafen hab. Hat’s draußen im Wald getötet. Wird auch das hier töten, wenn er kann.

Lieber Gott,

er tut, wie wenn er mich nimmer ausstehen kann. Sagt, ich bin schlecht und hab immer nur Böses im Sinn. Er hat mir mein zweites kleines Baby weggenommen, war diesmal ein Junge. Aber ich glaub nicht, dass er’s getötet hat. Ich glaub, er hat’s verkauft, an einen Mann und dem seine Frau, drüben in Monticello. Ich hab die Brüste so voll Milch, dass sie an mir runterläuft. Er sagt, warum siehst du nicht anständig aus? Zieh dir was Rechtes an. Aber was soll ich denn anziehen? Hab ja nichts.

Ich hoff die ganze Zeit, er findet eine zum Heiraten. Ich seh ja, wie er meine kleine Schwester anguckt. Sie hat Angst. Aber ich sag, ich pass auf dich auf. Mit Gottes Hilfe.

Lieber Gott,

er hat eine aus der Gegend von Gray mit heimgebracht. Sie ist vielleicht so alt wie ich, aber sie haben geheiratet. Er ist die ganze Zeit auf ihr drauf. Sie läuft rum, wie wenn sie total geschockt ist. Sie hat wohl gedacht, sie liebt ihn. Aber er hat so viele von uns, und alle brauchen immerzu was.

Meine kleine Schwester Nettie hat einen Verehrer, der ist fast wie Pa in Grün. Seine Frau ist tot. Ihr Geliebter hat sie umgebracht, auf dem Heimweg von der Kirche. Er hat aber nur drei Kinder. Er hat Nettie in der Kirche gesehen und jetzt kreuzt Mr.___ jeden Sonntagabend bei uns auf. Ich sag Nettie, sie soll weiter lernen. Es ist kein Zuckerschlecken, für Kinder zu sorgen, die nicht mal die eigenen sind. Und wir wissen ja, wie’s Ma ergangen ist.

Lieber Gott,

heut hat er mich geschlagen, weil ich angeblich in der Kirche einen Jungen angezwinkert hab. Vielleicht hab ich ja was im Aug gehabt, aber angezwinkert hab ich niemand. Ich guck Männer nicht mal an. Ehrlich. Frauen, ja, die guck ich an, weil ich vor denen keine Angst hab. Man könnt meinen, weil meine Mama mich beschimpft hat, wär ich sauer auf sie. Bin ich aber nicht. Mama hat mir leidgetan. Dass sie ihm hat glauben wollen, das hat sie umgebracht.

Manchmal guckt er immer noch Nettie so an, aber ich stell mich dann immer dazwischen. Jetzt sag ich ihr, sie soll Mr.___ heiraten. Warum, sag ich ihr nicht.

Ich sag, heirat ihn, Nettie, und versuch, ein gutes Jahr in deinem Leben zu haben. Danach, das weiß ich, ist sie dick.

Aber ich nicht, nie wieder. Ein Mädchen in der Kirche hat gesagt, dick kann man nur werden, wenn man jeden Monat blutet. Ich hab das nimmer.

Lieber Gott,

Mr.___ ist endlich damit rausgerückt und hat um Nettie angehalten. Aber er will sie nicht gehen lassen. Sagt, sie ist zu jung und unerfahren. Sagt, Mr.___ hat schon so viele Kinder. Und dann der Skandal mit seiner Frau, wie sie umgebracht worden ist? Und was er alles so hört, von wegen Shug Avery? Was ist damit?

Ich hab unsere neue Mammy gefragt wegen Shug Avery. Was das ist, hab ich gefragt. Sie weiß es nicht, hat sie gesagt, aber sie kriegt’s raus.

Sie hat sogar noch mehr geschafft. Sie ist an ein Foto gekommen. Das erste von jemand Wirklichem, das ich gesehen hab. Sie sagt, Mr.___ hat was aus seiner Brieftasche genommen, um es Pa zu zeigen, und da ist es rausgefallen und unterm Tisch gelandet. Shug Avery ist eine Frau. Die schönste Frau, die ich je gesehen hab. Schöner wie meine Mama. Und ungefähr zehntausendmal schöner wie ich. Ich seh sie dastehen, im Pelz. Sie hat Rouge drauf. Haar wie Schweifhaar. Sie grinst und hat den Fuß auf jemand seinem Auto. Aber ihre Augen sind ernst. Bisschen traurig.

Ich hab sie gefragt, ob sie mir das Foto gibt. Den ganzen Abend hab ich’s angeschaut. Und wenn ich jetzt träum, träum ich von Shug Avery. Sie ist todschick angezogen und tanzt und lacht.

Lieber Gott,

ich hab ihm gesagt, er soll mich nehmen statt Nettie, solang unsre neue Mama krank ist. Aber er fragt nur, wovon ich red. Ich sag, ich kann mich für ihn schön machen. Verschwind in mein Zimmer und komm dann wieder raus, mit Unterrock und Federschal und Stöckelschuhen von unserer neuen Mama. Er schlägt mich, weil ich nuttig angezogen bin, aber er macht’s trotzdem mit mir.

Mr.___ ist an dem Abend da. Ich lieg im Bett und heul. Nettie ist jetzt klar, worum’s geht. Unserer neuen Mammy auch. Sie ist in ihrem Zimmer und heult. Nettie kümmert sich abwechselnd. Sie hat solche Angst, dass sie nach draußen geht und kotzt. Aber nicht vorn, wo die zwei Männer sind.

Mr.___ sagt, und, Sir? Ich hoff doch, Sie haben sich’s anders überlegt.

Er sagt, naw, kann man nicht sagen.

Mr.___ sagt, aber meine armen Kleinen haben eine Mutter dringend nötig.

Tjaa, sagt er so lang gezogen, Nettie kann ich Ihnen nicht geben. Sie ist zu jung. Weiß nichts wie das, was man ihr sagt. Außerdem will ich, dass sie noch bisschen zur Schule geht. Dass sie mal Lehrerin wird. Aber Celie, die können Sie haben. Sie ist eh die Älteste. Gehört sich, dass sie zuerst heiratet. Ist allerdings nimmer frisch, aber ich denk mal, das wissen Sie. Sie hat schon was abgekriegt. Zweimal. Aber eine Frische muss es eh nicht sein. Ich hab da drin selbst eine Frische, und die ist immer nur krank. Er spuckt übers Geländer. Die Kinder gehen ihr auf die Nerven, und kochen tut sie auch nicht gut. Und sie ist jetzt schon dick.

Mr.___ sagt nichts. Ich bin so verdutzt, dass ich aufhör zu heulen.

Sie ist hässlich, sagt er. Aber sie ist harte Arbeit gewöhnt. Und sie ist sauber. Und Gott hat sie verschlossen. Man kann’s mit ihr machen, wie man will, und sie hängt einem keine hungrigen Mäuler an.

Mr.___ sagt immer noch nichts. Ich hol das Foto von Shug Avery raus. Schau ihr in die Augen. Ihre Augen sagen, yeah, so ist es manchmal, das Leben.

Fakt ist, sagt er, ich muss sie loswerden. Sie ist zu alt, um hier im Haus zu bleiben. Und sie verdirbt mir die anderen Mädchen. Sie würd auch ihre eigene Hauswäsche mitbringen. Und sie kann die Kuh haben, die sie da hinterm Haus aufgezogen hat. Aber Nettie, die kriegen Sie nicht. Jetzt nicht. Und überhaupt nie.

Mr.___ kriegt jetzt endlich den Mund auf. Räuspert sich, sagt, die hab ich mir nie richtig angeguckt.

Na ja, wenn Sie nächstes Mal da sind, können Sie sie ja angucken. Sie ist hässlich. Sieht gar nicht aus, wie wenn sie mit Nettie verwandt sein könnt. Aber sie gibt die bessere Frau ab. Sie ist auch nicht besonders gescheit und ich sag’s ehrlich, man muss sie im Aug behalten, sonst gibt sie alles weg, was man hat. Aber sie kann arbeiten wie ein Mann.

Mr.___ sagt, wie alt ist sie?

Er sagt, sie ist bald zwanzig. Und noch was – sie erzählt Lügengeschichten.

Lieber Gott,

den ganzen Frühling hat er gebraucht, von März bis Juni, um sich zu entscheiden, dass er mich nimmt. Ich hab immer nur an Nettie gedacht. Dass sie ja zu mir kommen kann, wenn wir verheiratet sind und wo er doch so verknallt ist in sie, und dass mir dann schon was einfällt, wie wir abhauen können. Wir schwitzen jetzt immer beide über Netties Schulbüchern, weil wir wissen, wir müssen klug sein, um wegzukommen. Ich weiß, ich bin nicht so hübsch und auch nicht so klug wie Nettie, aber sie sagt, ich bin nicht dumm.

Wenn du dir merken willst, wer Amerika entdeckt hat, sagt Nettie, denk einfach an Kohl. Dann kommst du wieder auf Columbus. Das mit Columbus hab ich in der ersten Klasse gelernt, aber scheints gleich wieder vergessen. Sie sagt, Columbus ist mit Schiffen gekommen, die hießen Nina, Pina und Santamarina. Die Einheimischen waren so nett zu ihm, dass er welche mit zu sich nach Haus geschleppt hat, damit sie der Königin dienen.

Aber Denken ist schwer, wenn die Heirat mit Mr.___ die ganze Zeit über meinem Kopf hängt.

Wie ich das erste Mal dick geworden bin, hat Pa mich von der Schule genommen. War ihm egal, dass ich gern hingegangen bin. Nettie steht mit mir am Hoftor und hält meine Hand fest. Ich bin sauber angezogen für den ersten Tag Schule. Du kannst nicht weiter zur Schule gehen, du bist zu dumm, sagt Pa. Nettie ist die Gescheite von dem Haufen hier.

Aber, Pa, sagt Nettie und weint dabei, Celie ist auch gescheit. Das sagt sogar Miss Beasley. Nettie schwärmt für Miss Beasley. Denkt, auf der ganzen Welt gibt’s keine wie sie.

Pa sagt, wen juckt’s, was Addie Beasley sagt. Die quatscht so viel, dass kein Mann sie hat haben wollen. Drum hat sie Lehrerin werden müssen. Er schaut nicht mal her, putzt nur weiter sein Gewehr. Da kommen auch schon paar Weiße über den Hof. Auch mit Gewehren.

Pa steht auf und geht mit ihnen mit. Die ganze Woche kotz ich und muss Wild zurichten.

Aber Nettie ist keine, die aufgibt. Auf einmal taucht Miss Beasley bei uns zu Haus auf und will mit Pa reden. Sie sagt, solang sie Lehrerin ist, hat sie kein Kind gekannt, das so gern lernen hat wollen wie Nettie und ich. Aber wie Pa mich dann ruft und sie sieht, wie mein Kleid spannt, sagt sie nichts mehr und geht.

Nettie versteht’s immer noch nicht. Ich auch nicht. Wir merken nur, dass mir immer schlecht ist und dass ich fett bin.

Manchmal find ich’s schlimm, dass Nettie mich im Lernen überholt hat. Aber scheints will nichts, was sie sagt, in meinen Kopf rein und da bleiben. Einmal hat sie mir was erklären wollen, von wegen die Erde wär nicht flach. Ich hab nur gesagt, yeah, klar, wie wenn ich’s weiß. Ich hab ihr nicht gesagt, dass sie für mich ganz flach aussieht.

Eines Tags kommt Mr.___ schließlich, total fertig. Die Frau, die er als Hilfe gehabt hat, ist gegangen. Seine Mammy hat gesagt, ihr reicht’s.

Er sagt, zeigen Sie sie mir noch mal.

Pa ruft mich. Celie, sagt er und dann, als wär’s nichts, Mr.___ will dich nochmal angucken.

Ich stell mich in die Tür. Die Sonne scheint mir in die Augen. Er sitzt immer noch auf seinem Pferd. Mustert mich von oben bis unten.

Pa raschelt mit seiner Zeitung. Näher, er beißt nicht, sagt er.

Ich geh näher an die Stufen ran, aber nicht zu nah, weil ich bisschen Angst hab vor dem Pferd.

Dreh dich, sagt Pa.

Ich dreh mich. Einer von meinen kleinen Brüdern kommt an. Ich glaub, es war Lucious. Er ist dick und lustig und immer irgendwas am Mampfen.

Er sagt, warum machst du das?

Pa sagt, deine Schwester denkt ans Heiraten.

Kümmert ihn nicht. Er zieht mich am Rockzipfel und fragt, ob er bisschen Brombeermarmelade aus dem Fliegenschrank darf.

Ich sag, klar.

Sie ist gut mit Kindern, sagt Pa und raschelt wieder mit der Zeitung. Hab sie nie ein böses Wort sagen hören, zu keinem von ihnen. Nur dass sie ihnen alles gibt, was sie wollen, das ist das einzige Problem.

Mr.___ sagt, ist die Kuh noch mit drin?

Er sagt, ist ihre Kuh.

Lieber Gott,

mein Hochzeitstag sieht so aus, dass ich vor dem Ältesten wegrenn. Er ist zwölf. Seine Mama ist in seinen Armen gestorben und von einer neuen will er nichts hören. Er hebt einen Stein auf und schmeißt ihn mir an den Kopf. Das Blut rennt nur so zwischen meinen Brüsten runter. Sein Daddy sagt, lass das! Aber weiter sagt er nichts. Er hat vier Kinder, keine drei, zwei Jungen und zwei Mädchen. Den Mädchen ihr Haar ist nimmer gekämmt worden, seit ihre Mammy tot ist. Ich erklär ihm, ich kann’s nur ganz abrasieren. Damit’s neu wächst. Er sagt, es bringt Unglück, einer Frau das Haar abzuschneiden. Also verbind ich mir erst den Kopf, so gut wie’s geht, koch Essen – sie haben eine Quelle, keinen Brunnen, und einen Kochherd, so groß wie ein Lastauto – und mach mich dann ans Entfitzen. Sie sind erst sechs und acht und heulen. Schreien, ich bring sie um. Um zehn bin ich fertig. Sie weinen sich in den Schlaf. Aber ich wein nicht. Ich lieg da und denk an Nettie, während er auf mir drauf ist, frag mich, ob ihr nichts passiert. Und dann denk ich an Shug Avery. Ich weiß, das, was er jetzt grad mit mir macht, hat er mit Shug Avery auch gemacht, und vielleicht hat’s ihr ja gefallen. Ich leg die Arme um ihn.

Lieber Gott,

ich bin in der Stadt auf dem Wagen gesessen, während Mr.___ im Trockenwarenladen war. Da hab ich mein kleines Mädchen gesehen. Ich weiß, sie war’s. Sie sieht gespuckt aus wie ich und mein Daddy. Wie wenn sie mehr von uns hätt wie wir selber.

Sie zockelt hinter einer Frau her und sie sind beide genau gleich angezogen. Sie kommen am Wagen vorbei und ich sag Tag. Die Frau antwortet freundlich. Meine Kleine guckt hoch und runzelt die Stirn. Wie wenn sie über was nachgrübelt. Sie hat meine Augen, so wie sie jetzt sind. Wie wenn sie alles gesehen hätt, was ich gesehen hab, und drüber nachdenkt.

Ich glaub, sie ist meine Tochter. Mein Herz sagt, sie ist es. Aber ich weiß nicht, ob sie’s ist. Wenn sie’s ist, heißt sie Olivia. Ich hab auf all ihre Windeln Olivia gestickt. Ich hab auch Sternchen und Blumen draufgestickt. Er hat die Windeln mitgenommen, wie er sie weggebracht hat. Da war sie so um die zwei Monate rum. Jetzt ist sie etwa sechs Jahre.

Ich steig vom Wagen und geh Olivia und ihrer neuen Mammy nach, in einen Laden. Ich seh, wie sie mit der Hand am Ladentisch langfährt, wie wenn ihr langweilig ist. Ihre Ma kauft Stoff. Sie sagt, nichts anfassen. Olivia gähnt.

Der sieht hübsch aus, sag ich und helf ihrer Mama sich ein Stück Stoff anhalten.

Sie lächelt. Ich will mir und meiner Kleinen neue Kleider nähen, sagt sie. Ihr Daddy wird ja so stolz sein.

Wer ist denn ihr Daddy, platz ich raus. Endlich weiß scheints jemand was.

Sie sagt, Mr.___. Aber das ist nicht mein Daddy.

Mr.___? sag ich. Wer ist das?

Sie guckt, wie wenn ich was gefragt hab, was mich nichts angeht.

Der Reverend Mr.___, sagt sie und dreht sich dann zum Verkäufer. Er sagt, was ist jetzt, wollen Sie den Stoff oder nicht? Wir haben noch andere Kundschaft.

Sie sagt, ja, Sir, ich möchte bitte fünf Yards, Sir.

Er schnappt sich den Ballen und knallt ihn auf den Ladentisch. Er misst nicht ab. Wie er denkt, es sind fünf Yard, reißt er den Stoff ab. Macht einen Dollar dreißig, sagt er. Brauchen Sie Garn?

Sie sagt, naw, Sir.

Er sagt, ohne Garn können Sie nicht nähen. Er nimmt eine Rolle und hält sie an den Stoff. Die Farbe dürfte passen. Meinen Sie nicht?

Sie sagt, doch, Sir.

Er fängt an zu pfeifen. Nimmt zwei Dollar. Gibt ihr einen Vierteldollar raus. Guckt mich an. Und du, Mädchen, willst du was? Ich sag, naw, Sir.

Ich trott ein Stück hinter ihnen her.

Ich hab nichts zu bieten und fühl mich armselig.

Sie guckt die Straße rauf und runter. Er ist nicht da. Er ist nicht da. Sie sagt’s, wie wenn sie gleich heult.

Wer? frag ich.

Der Reverend Mr.___, sagt sie. Er ist mit dem Wagen weg.

Der Wagen von meinem Mann steht gleich da, sag ich.

Sie steigt rauf. Schönen Dank, sagt sie. Wir sitzen da und gucken die ganzen Leute an, die in der Stadt sind. Ich hab noch nie so viele Leute gesehen, nicht mal in der Kirche. Manche sind fein angezogen. Manche machen nicht viel her. Die Kleider von den Frauen stauben ganz schön ein.

Sie fragt mich, wer mein Mann ist, jetzt, wo ich alles über ihren weiß. Sie lacht bisschen. Ich sag, Mr.___. Sie sagt, Tatsache? Wie wenn sie alles über ihn weiß, nur nicht, dass er verheiratet ist. Gutaussehender Mann, sagt sie. Da kann hier in der Gegend keiner mithalten. Egal ob weiß oder Schwarz, sagt sie.

Er sieht schon nicht schlecht aus, sag ich. Aber ich sag’s einfach nur so. Für mich sehn die meisten Männer ziemlich gleich aus.

Wie lang haben Sie Ihre Kleine schon? frag ich.

Oh, sie wird sieben.

Wann? frag ich.

Sie überlegt. Sagt dann, Dezember.

November, denk ich.

Ich sag so obenhin, wie wird sie gerufen?

Sie drauf, oh, sie heißt Pauline.

Mein Herz bummert.

Dann runzelt sie die Stirn. Aber ich nenn sie Olivia.

Warum nennen Sie sie Olivia, wenn sie nicht so heißt? frag ich.

Na, schauen Sie sie doch mal an, sagt sie so schelmisch und guckt das Kind an, sieht sie nicht aus wie eine Olivia? Schauen Sie doch mal, ihre Augen. Solche Augen hat doch nur jemand Altes. Darum nenn ich sie Ole Livia. Sie lacht. Naw. Olivia, sagt sie und streicht der Kleinen übers Haar. Ah, da kommt ja der Reverend Mr.___, sagt sie. Ich seh einen Wagen und einen großen, kräftigen Mann in schwarzen Sachen mit einer Peitsche in der Hand. Wir danken Ihnen für das nette Plätzchen. Sie lacht wieder und guckt auf die Pferde, von denen eins grad anfängt zu äpfeln. Und die schöne Aussicht, sagt sie. Und ich kapier den Witz und lach übers ganze Gesicht.

Mr.___ kommt aus dem Laden. Steigt auf den Wagen. Setzt sich hin. Brummt, was sitzt du da und lachst wie blöd?

Lieber Gott,

Nettie ist da. Sie ist von daheim abgehauen. Sagt, es ist ihr arg, unsere Stiefmutter allein zu lassen, aber sie hätt da weggemusst, vielleicht Hilfe für die anderen Kleinen finden. Die Jungen kommen klar, sagt sie. Die können ihm einfach aus dem Weg bleiben. Wenn sie groß sind, werden sie ihm eins draufgeben.

Ihn totschlagen vielleicht, sag ich.

Wie läuft’s mit dir und Mr.___? fragt sie. Aber sie hat ja Augen im Kopf. Sie gefällt ihm immer noch. Abends kommt er im Sonntagsstaat raus auf die Veranda. Sie sitzt dann mit mir da und pult Erbsen oder hilft den Kindern mit dem Rechtschreiben. Hilft mir mit dem Rechtschreiben und allem, was ich nach ihrer Meinung wissen muss. Egal was ist, Nettie bemüht sich immer, mir beizubringen, was auf der Welt vorgeht. Und sie ist so eine gute Lehrerin. Es macht mich fertig, wenn ich mir vorstell, sie heiratet einen wie Mr.___ oder landet in der Küche von einer weißen Lady. Den ganzen Tag ist sie am Lesen und Lernen und übt schreiben und versucht uns zum Denken zu bringen. Meistens bin ich zu müd zum Denken. Aber sie ist die leibhaftige Geduld.

Mr.___ seine Kinder sind schlau, aber hinterhältig. Sie sagen, Celie, ich will das, ich will das. Unsere Mama hat’s uns immer gegeben. Er sagt nichts. Wenn sie was von ihm wollen, versteckt er sich hinter einer Rauchwolke.

Lass dich von denen nicht untermangeln, sagt Nettie. Du musst ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat.

Sie, sag ich.

Aber sie bleibt dran, du musst dich durchsetzen. Du musst kämpfen.

Aber ich kann das nicht, kämpfen. Ich kann nur am Leben bleiben.

Hübsches Kleid hast du da an, sagt er zu Nettie.

Sie sagt, danke.

Sehn gut aus, die Schuh.

Sie sagt, danke.

Deine Haut. Dein Haar. Deine Zähne. Jeden Tag gibt’s was andres zu bewundern.

Erst lächelt sie bisschen. Dann zieht sie die Augenbrauen zusammen. Dann macht sie gar kein bestimmtes Gesicht. Sie bleibt einfach nur in meiner Näh. Sie sagt zu mir, deine Haut, dein Haar, deine Zähne. Wenn er ihr ein Kompliment macht, gibt sie’s an mich weiter. Langsam fühl ich mich schon richtig hübsch.

Bald lässt er’s bleiben. Irgendwann nachts im Bett sagt er zu mir, so, wir haben für Nettie getan, was wir können. Jetzt muss sie gehen.

Wo soll sie denn hin? frag ich.

Mir egal, sagt er.

Ich sag’s Nettie am nächsten Morgen. Statt dass sie sauer ist, ist sie ganz froh. Das einzig Schlimme ist, dass sie mich hier zurücklassen muss, sagt sie. Wie sie das sagt, fallen wir uns um den Hals.

Es ist mir arg, dich mit diesen schrecklichen Kindern allein zu lassen, sagt sie. Und erst mit Mr.___. Es ist, wie wenn du lebendig begraben wärst, sagt sie.

Es ist schlimmer, denk ich bei mir. Wenn ich begraben wär, müsst ich nicht arbeiten. Aber ich sag, halb so wild, mach dir nichts draus, solang ich G-o-t-t buchstabieren kann, hab ich ja noch jemand.

Aber alles, was ich ihr hab mitgeben können, ist der Name vom Reverend Mr.___. Ich hab ihr gesagt, sie soll nach seiner Frau fragen. Dass die ihr vielleicht hilft. Sie ist die einzige Frau mit Geld, die ich je gesehen hab.

Ich hab gesagt, schreib.

Sie hat gesagt, was?

Ich hab gesagt, schreib!

Sie hat gesagt, nur der Tod kann mich davon abhalten.

Sie hat aber nicht geschrieben.

G-o-t-t,

zwei Schwestern von ihm sind zu Besuch. Schön angezogen, alle zwei. Celie, sagen sie. Eins ist mal sicher. Du hältst das Haus sauber. Über Tote soll man ja nichts Schlechtes sagen, sagt die eine, aber die Wahrheit kann nie was Schlechtes sein. Annie Julia war im Haushalt echt lausig.

Sie hat ja auch nie hier sein wollen, sagt die andere.

Wo hat sie denn sein wollen? frag ich.

Daheim, sagt sie.

Aber das ist keine Entschuldigung, sagt die erste, Carrie mit Namen, die andere heißt Kate. Wenn eine Frau heiratet, dann hat sie den Haushalt anständig zu führen und die Familie sauber zu halten. Mann, das war was, im Winter hierherzukommen, und alle Kinder waren verrotzt, waren krank an der Grippe und am Durchfall, hatten’s auf der Lunge und hatten Würmer und Schüttelfrost und Fieber. Und Hunger. Und waren ungekämmt. So eklig, dass man sie nicht hat anfassen wollen.

Ich hab sie angefasst, sagt Kate.

Und die Kocherei. Sie wollt nicht kochen. Hat sich aufgeführt, wie wenn sie noch nie eine Küche gesehen hätt.

Seine hatte sie noch nie gesehen.

Schändlich war das, sagt Carrie.

Wenn, dann er, sagt Kate.

Wie meinst du das? fragt Carrie.

Ich mein, er bringt sie her, lädt sie hier ab und rennt schnurstracks weiter hinter Shug Avery her. Das mein ich. Keiner zum Reden, kein Besuch. Er ist tagelang weggeblieben. Dann ging’s los mit dem Kinderkriegen. Und dabei war sie jung und hübsch.

So hübsch nicht grad, sagt Carrie und guckt in den Spiegel. Nur das Haar. Sonst war sie zu schwarz.

Na ja, auf Schwarz steht er ja wohl, unser Bruder. Shug Avery ist so schwarz wie mein Schuh.

Shug Avery, Shug Avery, sagt Carrie. Die steht mir bis hier. Ich hab gehört, sie zieht jetzt rum und macht auf Singen. Pff, was hat die schon zu singen? Hab gehört, sie trägt jetzt Kleider, wo man das ganze Bein sieht, und so einen Kopfputz mit Bommeln und Troddeln dran, säh aus wie Schaufensterglitzer.

Ich horch auf, wie Shug Avery ihr Name fällt. Ich würd am liebsten selber was über sie sagen. Sie sind still.

Mir steht sie auch bis hier, sagt Kate und seufzt. Und mit Celie, da hast du recht. Gute Hausfrau, gut mit Kindern, gut im Kochen. Unser Bruder hätt’s nicht besser treffen können, wie er’s auch versucht hätt.

Ich muss dran denken, wie er’s versucht hat.

Diesmal ist Kate allein da. Sie ist so um die fünfundzwanzig. Alte Jungfer. Sieht aber jünger aus wie ich. Gesund. Klare Augen. Scharfe Zunge.

Kauf Celie was zum Anziehen, sagt sie zu Mr.___.

Sie braucht Sachen? fragt er.

Guck sie doch mal an.

Er guckt mich an. Wie wenn er den Erdboden anguckt. Das da braucht was? sagen seine Augen.

Sie geht mit mir in den Laden. Ich überleg, welche Farbe Shug Avery tragen würd. Für mich ist sie wie eine Königin, also sag ich zu Kate, was Lilanes, vielleicht auch mit bisschen Rot drin. Aber wir suchen und suchen. Kein Lila. Jede Menge Rot, aber sie sagt, naw, für Rot zahlt er nie und nimmer. Sieht zu fröhlich aus. Wir haben die Wahl, Braun, Rostbraun oder Dunkelblau. Ich sag Blau.

Solang ich denken kann, hab ich noch nie ein Kleid als Erste angehabt. Und jetzt wird eins extra für mich genäht. Ich versuch Kate zu erklären, was das für mich heißt. Mein Gesicht wird ganz heiß, und ich stotter.

Sie sagt, ist schon recht, Celie. Du verdienst mehr wie das.

Vielleicht, denk ich.

Harpo, sagt sie. Harpo ist der Älteste. Harpo, lass nicht immer Celie das ganze Wasser reintragen. Du bist jetzt ein großer Junge. Zeit, dass du hilfst.

Weiberarbeit, sagt er.

Was? sagt sie.

Weiberarbeit. Ich bin ein Mann.

Du bist ein nichtsnutziges Würstchen, sagt sie. Nimm jetzt den Eimer da und bring ihn voll wieder her.

Er guckt mich bös an. Stolpert raus. Ich hör ihn was zu Mr.___ brummeln, der auf der Veranda sitzt. Mr.___ ruft seine Schwester. Sie reden eine Weile draußen auf der Veranda, dann kommt sie wieder rein. Sie zittert.

Ich muss gehen, Celie, sagt sie.

Beim Packen ist sie so wütend, dass ihre Tränen nur so durch die Gegend fliegen.

Du musst dich wehren, Celie, sagt sie. Ich kann’s nicht für dich machen. Du musst selber für dich kämpfen.

Ich sag nichts. Ich denk an Nettie, die jetzt tot ist. Sie hat gekämpft, sie ist weggelaufen. Was hat’s gebracht? Ich kämpf nicht, ich bleib, wo ich soll. Aber ich leb noch.

Lieber Gott,

Harpo hat seinen Daddy gefragt, warum er mich schlägt. Mr.___ sagt, weil sie meine Frau ist. Und außerdem ist sie störrisch. Das Einzige, wozu Weiber gut sind – er sagt’s nicht zu Ende. Er steckt nur die Nase in seine Zeitung, wie er’s immer macht. Erinnert mich an Pa.

Harpo fragt mich, warum bist du störrisch? Er fragt nicht, warum bist du seine Frau? Keiner fragt das.

Ich sag, bin wohl so auf die Welt gekommen.

Er schlägt mich, wie er die Kinder schlägt. Nur dass er die fast nie schlägt. Er sagt, Celie, hol den Gürtel. Die Kinder draußen linsen durch die Ritzen. Ich kann nur versuchen, nicht zu heulen. Ich mach mich zu Holz. Ich sag mir, Celie, du bist ein Baum. Daher weiß ich, dass Bäume Angst vor Menschen haben.

Harpo sagt, ich lieb jemand.

Ich sag, ah?

Er sagt, ein Mädchen.

Ich sag, echt?

Er sagt, yeah. Wir wollen heiraten.

Heiraten, sag ich. Du bist nicht alt genug zum Heiraten.

Doch, sagt er. Ich bin siebzehn. Sie ist fünfzehn. Alt genug.

Was denn ihre Mama sagt, frag ich.

Mit der hab ich noch nicht geredet.

Und ihr Daddy?

Mit dem auch nicht.

Ah, und was sagt sie?

Wir haben auch noch nicht geredet. Er senkt den Kopf. Er sieht gar nicht mal schlecht aus. Groß und dünn, so schwarz wie seine Mama, mit Riesenaugen.

Wo seht ihr euch denn? frag ich. In der Kirche seh ich sie, sagt er. Draußen sieht sie mich.

Mag sie dich?

Weiß nicht. Ich zwinker ihr zu. Sie tut, wie wenn sie sich nicht traut, mich anzugucken.

Wo ist denn ihr Daddy derweil?

Vorn bei den Amen-Rufern, sagt er.

Lieber Gott,

Shug Avery kommt in die Stadt! Sie kommt mit ihrem Orchester. Sie soll im Lucky Star singen, draußen an der Coalman Road. Mr.___ will hin. Er macht sich vor dem Spiegel fein, guckt sich an, zieht dann wieder was aus und was anderes an. Er macht sich Pomade ins Haar, wäscht sie dann wieder raus. Er hat auf seine Schuh gespuckt und ist mit einem Lappen drübergegangen.

Er trägt mir auf, wasch dies, bügel das. Such mir dies. Such mir das. Er knurrt wegen Löchern in seinen Socken.

Ich renn rum und flick und bügel, such Taschentücher. Ist was Besondres? frag ich.

Wieso? sagt er, wie wenn er wütend ist. Ich will nur nicht aussehen wie der hinterletzte Farmer. Jede andre Frau wär froh.

Ich bin ja froh, sag ich.

Wieso? fragt er.

Du siehst gut aus, sag ich. Da könnt jede Frau stolz sein.

Findst du? sagt er.

So was hat er mich noch nie gefragt, ich bin total baff. Bis ich yeah sag, ist er schon draußen auf der Veranda, rasiert sich da, wo das Licht besser ist.

Den ganzen Tag schon brennt mir der Zettel ein Loch in die Tasche. Er ist rosa. Die Bäume zwischen dem Abzweig zu unsrer Straße und dem Laden leuchten von den Dingern. Er hat bestimmt fünf Dutzend in seiner Truhe.

Shug Avery steht an einem Klavier, Ellbogen gebeugt, Hand in der Hüfte. Sie trägt einen Kopfschmuck mit Federn. Ihr Mund ist offen und zeigt alle ihre Zähne und sie sieht aus, als hätt sie keine Sorge auf der Welt. Nicht verpassen, steht da. Die Queen Honeybee ist wieder in der Stadt.

Gott, ich würd so gern hin. Nicht zum Tanzen. Nicht zum Trinken. Nicht zum Kartenspielen. Noch nicht mal, damit ich Shug Avery singen hör. Ich wär schon froh, wenn ich sie einfach nur sehen könnt.

Lieber Gott,

Mr.___ ist Samstag nicht heimgekommen und Sonntag nicht und fast den ganzen Montag nicht. Shug Avery war übers Wochenend in der Stadt. Er kam reingewankt und hat sich aufs Bett geschmissen. Er war müd. Traurig. Schlapp. Hat geweint. Dann hat er den Rest des Tags und die ganze Nacht geschlafen.

Er ist aufgewacht, wie ich schon auf dem Feld war. Wie er schließlich kommt, hab ich schon drei Stunden in der Baumwolle gehackt. Wir sagen beide nichts.

Aber ich hab tausend Fragen. Was hat sie angehabt? Ist sie noch die gleiche Shug wie auf meinem Foto? Wie hat sie die Haare? Was für einen Lippenstift? Perücke? Ist sie kräftig? Ist sie dünn? Klingt sie, wie wenn’s ihr gut geht? Wie wenn sie müd ist? Krank? Wo sind all eure Kinder, wenn sie überall rumzieht und singt? Fehlen sie ihr? Lauter Fragen wimmeln in meinem Kopf rum. Fühlen sich an wie Schlangen. Ich bet drum, stark zu sein, beiß mir innen auf die Backe.

Mr.___ hebt eine Hacke auf und fängt an mit Hacken. Er hackt vielleicht dreimal, dann nimmer. Er schmeißt die Hacke in die Feldfurche, macht auf dem Absatz kehrt, geht wieder zum Haus, holt sich kühles Wasser zum Trinken, holt seine Pfeife raus. Setzt sich auf die Veranda und starrt vor sich hin. Ich geh ihm nach, weil ich denk, er ist krank. Da sagt er, mach, dass du wieder aufs Feld kommst. Wart nicht auf mich.

Lieber Gott,

Harpo ist nicht besser wie ich drin, sich gegen seinen Daddy zu wehren. Jeden Tag vom Aufstehen an sitzt sein Daddy auf der Veranda und starrt einfach nur raus. Manchmal guckt er auf die Bäume vorm Haus. Guckt auf einen Schmetterling, der auf dem Geländer gelandet ist. Trinkt untertags bisschen Wasser. Bisschen Wein am Abend. Aber die meiste Zeit rührt er sich nicht.

Harpo beschwert sich, dass er so viel pflügen muss.

Sein Daddy sagt, du machst das und fertig.

Harpo ist beinah so groß wie sein Daddy. Sein Körper ist stark, aber sein Wille ist schwach. Er hat Angst.

Er und ich, wir sind den ganzen Tag auf dem Feld. Wir schwitzen beim Hacken und Pflügen. Ich hab jetzt eine Farbe wie geröstete Kaffeebohnen. Er ist schwarz wie ein Kamin innendrin. Seine Augen sind traurig und voll Gedanken. Sein Gesicht sieht langsam aus wie von einer Frau.

Warum arbeitest du nimmer? fragt er seinen Daddy.

Brauch ich nicht, sagt sein Daddy. Du bist doch da, oder? Er sagt es gemein. Harpo ist gekränkt.

Und er ist immer noch verliebt.

Lieber Gott,

der Daddy von Harpo seinem Mädchen meint, Harpo ist nicht gut genug für sie. Harpo trifft sich schon eine Weile mit ihr. Er sagt, er sitzt mit ihr in denen ihrer Stube, und ihr Daddy sitzt auch da in der Ecke, bis es für alle die reinste Qual ist. Dann geht er raus auf die Veranda und setzt sich direkt vor die offene Tür, wo er alles hören kann. Punkt neun bringt er Harpo seinen Hut.

Warum bin ich nicht gut genug? fragt Harpo Mr.___.

Mr.___ sagt, wegen deiner Mammy.

Harpo sagt, was ist denn mit meiner Mammy?

Mr.___ sagt, jemand hat sie umgebracht.

Harpo hat schlimme Träume. Er sieht seine Mama, wie sie über die Wiese rennt und heimzukommen versucht. Mr.___, der Mann, von dem sie sagen, dass er ihr Freund war, rennt hinter ihr her. Sie hat Harpo an der Hand. Sie rennen und rennen. Der Mann packt sie an der Schulter, sagt, du kannst mich jetzt nicht verlassen. Du gehörst mir. Sie sagt, nein, ich gehör zu meinen Kindern. Er sagt, du Nutte, du gehörst gar nirgends hin. Er schießt ihr in den Bauch. Sie fällt um. Der Mann rennt weg. Harpo umklammert sie, zieht sie mit dem Kopf auf seinen Schoß.

Er fängt an zu schreien, Mama, Mama. Ich werd davon wach. Die anderen Kinder auch. Sie weinen, wie wenn ihre Mama grad gestorben wär. Harpo wacht auf, zittert am ganzen Leib.

Ich mach die Lampe an, beug mich zu ihm runter und streichel ihm den Rücken.

Sie kann doch nichts dafür, dass einer sie umgebracht hat, sagt er. Nichts! Gar nichts!

Nein, sag ich. Nichts.

Alle sagen, wie gut ich zu Mr.___ seinen Kindern bin. Ich bin ja auch gut zu ihnen. Aber ich empfind nichts für sie. Harpo den Rücken streicheln ist noch nicht mal wie einen Hund streicheln. Es ist mehr wie Holz streicheln. Keinen lebendigen Baum, sondern einen Tisch oder Schrank. Aber sie mögen mich ja auch nicht, egal wie gut ich zu ihnen bin.

Sie hören nicht auf mich. Außer Harpo packt keins mit an. Die Mädchen gucken immer zum Fahrweg hin. Bub ist bis spät in die Nacht weg und trinkt mit Kerlen, die doppelt so alt sind wie er. Ihr Daddy pafft seine Pfeife.

Harpo erzählt mir jetzt alles von seiner Liebschaft. Er denkt Tag und Nacht an Sofia Butler.

Sie ist hübsch, sagt er. Hell.

Im Kopf?

Nein. Ihre Haut. Schlau ist sie auch, glaub ich. Manchmal schaffen wir’s, dass sie ihrem Dad entwischt.

Da weiß ich schon, als Nächstes hör ich, sie ist dick.

Wenn sie so schlau ist, warum ist sie dann dick? frag ich.

Harpo zuckt mit den Schultern. Anders kommt sie nicht weg von daheim, sagt er. Mr.___ lässt uns ja nicht heiraten. Sagt, ich bin nicht gut genug, dass ich in seinem Haus verkehr. Aber wenn sie dick ist, hab ich ein Recht, mit ihr zusammen zu sein, gut genug hin oder her.

Wo wollt ihr denn wohnen? frag ich.

Sie haben ja ein großes Haus, sagt er. Wenn wir verheiratet sind, gehör ich doch praktisch zur Familie.

Hmpf, sag ich. Mr.___ hat dich nicht wollen, eh sie dick war, er wird dich nicht lieber wollen, weil sie dick ist.

Harpo guckt verdattert.

Red mit Mr.___, sag ich. Er ist dein Daddy. Vielleicht weiß er ja Rat. Oder auch nicht, denk ich.

Harpo bringt sie mit her, seinen Daddy kennenlernen. Mr.___ hat gesagt, er will sie mal zu Gesicht kriegen. Ich seh sie schon von Weitem die Straße langkommen. Hand in Hand marschieren sie, wie wenn’s in den Krieg geht. Sie bisschen vorneweg. Sie kommen auf die Veranda, ich begrüß sie und rück paar Stühle näher zum Geländer hin. Sie setzt sich und fächelt sich mit einem Taschentuch. Echt heiß, sagt sie. Mr.___ sagt nichts. Mustert sie nur von oben bis unten. Sie ist wohl im siebten oder achten Monat, platzt bald aus ihrem Kleid. Harpo ist so schwarz, dass sie für ihn hell ist, aber so hell ist sie gar nicht. Reine, mittelbraune Haut, die glänzt wie gute Möbel. Haar knotig, aber dick und viel, in einem Haufen Braids hochgebunden. Sie ist nicht ganz so groß wie Harpo, aber viel breiter, und sie sieht kräftig aus und hat so eine rötliche Farbe um die Wangen, wie wenn ihre Mama sie mit Schweinefleisch großgezogen hätt.

Sie sagt, wie geht’s, Mr.___?

Er antwortet nicht drauf. Hast da ein dickes Problem, wie’s aussieht.

Nein, Sir, sagt sie. Ich hab kein Problem. Dicken Bauch, den hab ich.

Sie streicht die Falten über ihrem Bauch glatt.

Wer ist der Vater? fragt er.

Sie guckt erstaunt. Harpo, sagt sie.

Woher soll er das wissen?

Er weiß es, sagt sie.

Junge Frauen taugen nichts heutzutag, sagt er. Machen für jeden Dahergelaufenen die Beine breit.

Harpo guckt seinen Daddy an, wie wenn er ihn noch nie gesehen hätt. Sagt aber nichts.

Mr.___ sagt, musst nicht glauben, ich lass zu, dass mein Junge dich heiratet, nur weil bei dir was unterwegs ist. Er ist jung und dumm. Ein hübsches Ding wie du kann ihn doch leicht reinlegen.

Harpo sagt immer noch nichts.

Sofias Gesicht wird noch röter. Die Haut über ihrer Stirn rutscht nach hinten, ihre Ohren gehen nach oben.

Aber sie lacht. Sie guckt kurz zu Harpo rüber. Er sitzt da, Kopf unten, Hände zwischen den Knien.

Sie sagt, warum sollt ich Harpo heiraten? Er wohnt doch noch hier bei Ihnen. Sein Essen und seine Kleider zahlen ja Sie.

Er sagt, dein Daddy hat dich doch rausgeschmissen. Sitzt ja sonst wohl auf der Straße.

Sie sagt, nein, ich sitz nicht auf der Straße. Ich wohn bei meiner Schwester und ihrem Mann. Sie sagen, ich kann bei ihnen wohnen bleiben, solang ich leb. Sie steht auf, groß, stark und gesund, und sagt, tja dann, war nett. Ich geh jetzt heim.

Harpo steht auch auf, will mitgehen. Sie sagt, nein, Harpo, du bleibst hier. Wenn du frei bist, erwarten wir dich, ich und das Kind.

Er hängt kurz so zwischendrin, setzt sich dann wieder hin. Ich guck in dem Augenblick in ihr Gesicht, mein, dass ich einen Schatten drüberhuschen seh. Dann sagt sie zu mir, Mrs.___, ich wär dankbar für ein Glas Wasser, eh ich geh, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.