Die Farben des Verlangens - Matthias Töpfer - E-Book

Die Farben des Verlangens E-Book

Matthias Töpfer

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Beschreibung

Die Geschichte dreht sich um Lara, eine junge Frau, die in der Prostitution arbeitet. Ihr Alltag ist geprägt von Routinen, von Begegnungen mit Männern, die alle ihre eigenen Geschichten und Verletzungen mitbringen. Lara selbst trägt eine schwere Last mit sich herum: eine Vergangenheit, die sie nicht loslässt, und eine Zukunft, die ungewiss erscheint.

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Seitenzahl: 119

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Ein neuer Weg

Kapitel 2: Ein neuer Anfang

Kapitel 3: In der Dunkelheit

Kapitel 4: Ein neuer Anfang

Kapitel 5: Der letzte Schatten

Kapitel 6: Befreiung

Kapitel 7: Der Wendepunkt

Kapitel 8: Ein neuer Anfang

Kapitel 1: Die erste Nacht

Es war noch dunkel, als der Wecker um 17:30 Uhr klingelte. Das dumpfe Geräusch riss mich aus einem leichten Schlaf, einem, der kaum erholsam war, und die Müdigkeit hing schwer auf meinen Lidern. Seit Monaten war das mein tägliches Erwachen, und selbst wenn ich es wollte, konnte ich diesen Rhythmus nicht ändern. Die Sonne war längst untergegangen, und ich wusste, dass die kommende Nacht wieder dieselben Schritte bringen würde: ein Aufstehen, ein Strecken, eine Verwandlung.

Lara. Ich spüre den Namen, wie er in meinen Gedanken herumschwirrt, aber er fühlt sich seltsam fremd an. Der Name, den mir meine Mutter vor so vielen Jahren gegeben hatte, die in ihrer Vorstellung vielleicht ein ganz anderes Leben für mich gesehen hatte. Lara, das Mädchen, das studieren sollte, das in die große Stadt ziehen wollte. Ein Traum, den ich einmal geträumt hatte, aber jetzt schien er wie etwas aus einem anderen Leben.

Der Name, den ich jetzt benutze, ist Sasha. So kennen sie mich. Sasha ist der Name, den die Männer flüstern, wenn sie eintreten, wenn sie mich ansehen, wenn sie mich begehren. Er ist wie eine Maske, die ich jeden Abend aufsetze, eine Figur, die ich spiele, um mich von der Realität zu distanzieren.

Ich setze mich auf und lasse meine nackten Füße über die Bettkante gleiten. Der kalte Boden unter meinen Füßen fühlt sich für einen Moment wie ein Weckruf an. Es ist still, bis auf das Summen der Klimaanlage und das ferne Geräusch des Verkehrs von draußen, das wie ein leises Echo durch die dicken Wände dringt. Die Stadt schläft nie, nicht wirklich. Nicht in dieser Gegend.

Ich stehe auf, gehe ins Bad und werfe einen Blick in den Spiegel. Mein Gesicht ist blass im Licht der grellen Leuchtstoffröhre über mir. Das Licht ist gnadenlos und zeigt jede kleine Unvollkommenheit, jede Müdigkeitslinie, die sich in den letzten Monaten festgesetzt hat. Es ist ein Gesicht, das sich verändert hat. Früher war es weich, jung, voller Leben. Jetzt ist es härter, gezeichnet von den Nächten, die nie wirklich enden. Meine Augen wirken leerer, als würden sie immer weniger sehen. Oder vielleicht ist es besser so.

Ich greife nach dem tiefroten Lippenstift auf dem Waschbeckenrand und trage ihn auf. Die rote Farbe verwandelt mein Gesicht. Sie verleiht ihm einen Hauch von Leben, von Sinnlichkeit. Es ist nicht ich, aber es ist Sasha. Sasha ist alles, was zählt in diesen Nächten.

Während ich mich anziehe, wandern meine Gedanken zurück in die Vergangenheit, in die Jahre, bevor ich hier landete. Früher hatte ich Träume. Große Träume, die nicht in dieses Zimmer passten. Ich wollte Journalistin werden, wollte Geschichten schreiben, die die Welt veränderten. Doch die Realität hat mich eingeholt. Es begann langsam, fast unschuldig. Erst waren es nur ein paar Abende, an denen ich als Hostess arbeitete, um etwas Geld dazuzuverdienen. Dann folgten die Männer, das Geld, die Verlockung eines schnellen Weges, um meinen Schulden zu entkommen.

Jetzt bin ich hier. Und es gibt kein Zurück.

Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich leicht, und Alice, eine meiner Kolleginnen, steckt den Kopf herein. Ihr Haar ist perfekt gestylt, ihre Lippen ebenso rot wie meine, doch in ihren Augen sehe ich etwas, das ich nur zu gut kenne – Erschöpfung.

„Bist du bereit?“, fragt sie mit einem schiefen Grinsen, das nicht ganz ihre Augen erreicht.

Ich nicke. Bereit ist ein relativer Begriff. Bereit für das, was kommt, für das, was wir tun müssen. Aber ist man jemals wirklich bereit für das, was in diesen Zimmern geschieht? Alice weiß es ebenso gut wie ich. Wir alle wissen es.

„Mittwochabend“, sagt sie, als wäre das eine Erklärung. „Es wird nicht so schlimm.“

„Nicht schlimmer als sonst“, entgegne ich trocken, und sie zuckt mit den Schultern.

Alice geht wieder, und ich bleibe allein im Raum. Ein paar Minuten Ruhe, bevor es beginnt. Ich gehe zum Fenster und ziehe den Vorhang beiseite, blicke auf die Straße hinunter. Die Lichter der Stadt leuchten, Autos fahren vorbei, Menschen laufen über den Gehweg. Keiner von ihnen weiß, was in diesem Gebäude geschieht, was hinter den Fenstern verborgen bleibt. Oder vielleicht wissen sie es, aber sie schauen weg. Es ist einfacher, wegzusehen.

Ein leises Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. Mein erster Kunde für den Abend. Ich atme tief ein, setze ein Lächeln auf und öffne die Tür.

Er ist mittleren Alters, gut gekleidet, aber seine Schultern hängen ein wenig nach vorn, als hätte er den ganzen Tag gearbeitet und wäre erschöpft. Seine Augen wandern sofort zu mir, gleiten über meinen Körper, wie es immer passiert. Ein Blick, der mich nicht wirklich sieht. Für ihn bin ich nur ein Mittel, eine Ablenkung von seinem Alltag.

„Sasha“, sagt er, und sein Ton ist erwartungsvoll, als ob allein das Aussprechen meines Namens ihm etwas versprechen würde.

„Guten Abend“, antworte ich und trete einen Schritt zur Seite, damit er eintreten kann. Ich kann den Duft seines Aftershaves riechen, eine schwere, maskuline Note, die mich an das Büro erinnert, in dem er wahrscheinlich arbeitet. Geschäftsmann, verheiratet, zwei Kinder. Vielleicht. Oder vielleicht ist er allein. Es spielt keine Rolle.

Er setzt sich auf den Stuhl am Fenster und schaut mich an. Sein Blick ist schwer, dunkel, als würde er versuchen, in mir etwas zu finden, das nicht da ist.

Ich trete langsam auf ihn zu, meine Bewegungen bewusst geschmeidig, meine Hüften schwingen leicht, gerade so viel, dass ich seine Aufmerksamkeit halte. „Was wünschst du dir heute?“ Meine Stimme ist weich, einladend, aber auch professionell. Ein Teil des Spiels, das ich spiele.

Seine Augen weichen meinem Blick aus, und er zuckt leicht mit den Schultern. „Ich weiß nicht“, murmelt er, seine Stimme rau. „Etwas… Entspannung.“

Ich lächle leicht, trete näher an ihn heran und lege eine Hand auf seine Schulter. „Ich kann dir helfen, dich zu entspannen“, sage ich leise, und ich sehe, wie sich seine Gesichtszüge ein wenig entspannen. Er lehnt sich zurück, und ich weiß, dass ich die Kontrolle habe. Sie wollen immer das Gleiche: die Illusion, dass sie für einen Moment ihre Sorgen, ihre Verantwortung, ihre Welt hinter sich lassen können.

Langsam beginne ich, mich auszuziehen, mein Kleid fällt sanft zu Boden, und ich spüre, wie seine Augen mir folgen, über meine Haut gleiten, gierig und voller Erwartung. Seine Hände greifen nach mir, und ich lasse es zu, führe ihn zum Bett, wo wir uns niederlassen.

Ich setze mich auf die Kante des Bettes und spüre, wie sich das Laken leicht unter meinem Gewicht spannt. Er bleibt vor mir stehen, fast zögerlich, als ob er nicht genau weiß, wie er sich verhalten soll. Ein leises Zittern in seinen Händen verrät seine Unsicherheit. Diese Männer – sie kommen mit all ihrer Arroganz und ihrem Geld, glauben, die Welt gehöre ihnen, und doch sind sie hier, bei mir, in diesem kleinen Raum, auf der Suche nach etwas, das sie nicht in ihrem Alltag finden.

Ich lege meine Hände auf seine Oberschenkel und ziehe ihn sanft zu mir heran. Er lässt es zu, wie so viele vor ihm. Seine Atmung wird schneller, und ich spüre, wie sich die Spannung in seinem Körper löst. Für ihn bin ich nicht Lara, ich bin eine Projektion seiner Fantasie, die Person, die er braucht, um sich für eine Weile stark zu fühlen, um sich selbst zu vergessen.

Während ich ihm die Krawatte abnehme und seine Jacke langsam über seine Schultern gleiten lasse, dringen die vertrauten Gedanken in meinen Kopf – Gedanken, die ich oft in diesen Momenten habe, wenn ich mich von der Situation distanziere. Ich denke daran, wie ich hier gelandet bin, an die Kette von Entscheidungen, die mich in dieses Zimmer geführt haben. Es war nicht immer so, das Leben hatte für mich mehr bereitgehalten. Ein Studium, eine Karriere. Doch irgendwann hat das Leben andere Pläne gemacht, und ich bin einfach mitgegangen, wie in einem Strudel, aus dem ich mich nicht befreien konnte.

Seine Hände beginnen, mich vorsichtig zu berühren, als wäre ich zerbrechlich, als müsste er sich zurückhalten. Aber ich weiß, dass das nicht lange anhalten wird. Bald wird er mehr wollen, wird die Kontrolle verlieren, wie sie es alle irgendwann tun. Für einen Moment kann ich seine Unsicherheit spüren, fast so, als wäre er sich nicht sicher, ob das hier real ist oder nur ein Traum. In diesen Momenten fühle ich mich manchmal ein wenig überlegen – sie denken, sie kaufen Macht, aber ich bin es, die die Kontrolle hat. Ich bestimme, wie weit es geht.

Ich stehe auf, nehme seine Hand und führe ihn zum Bett. Es ist alles Teil des Rituals, das ich so gut kenne, dass ich es fast schon im Schlaf tun könnte. Er setzt sich auf die Kante, und ich knie mich vor ihm, meine Bewegungen langsam, bewusst. Seine Augen sind dunkel, sein Atem beschleunigt, und ich sehe, wie die Verlangen, die er mitgebracht hat, ihn überwältigen. In diesen Momenten verlieren sie alle ihre Masken – die Fassade, die sie draußen in der Welt tragen, bröckelt, und ich sehe die Wahrheit. Angst, Unsicherheit, Verzweiflung, Einsamkeit – das sind die Emotionen, die hinter ihren Blicken verborgen liegen.

Seine Hände gleiten über meine Schultern, und ich schließe kurz die Augen, um meine Gedanken zu sammeln. Ich habe gelernt, in diesen Momenten abzuschalten, mich von meinem Körper zu trennen, während ich weiter das Spiel spiele, das von mir erwartet wird. Es ist ein Schutzmechanismus, den ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe. Ich bin nicht wirklich hier. Ich bin Lara, aber gleichzeitig auch nicht. Ich bin jemand anderes, eine Person, die ich erschaffen habe, um mit dieser Realität zurechtzukommen. Sasha.

Während die Nacht sich entfaltet und sich unsere Körper bewegen, lasse ich meine Gedanken abschweifen, weit weg von diesem Raum. Ich denke an die Straßen draußen, an das Licht, das durch die Fenster schimmert, an die Menschen, die in Bars sitzen, lachen und trinken, während ich hier bin. Für sie bin ich unsichtbar. Sie wissen nichts von diesem Leben, oder wenn sie es tun, dann verdrängen sie es. Ich bin nur ein Schatten in der Dunkelheit, eine Stimme, die sie nicht hören wollen.

Als es vorbei ist, liege ich auf dem Bett, die Laken kleben an meiner Haut, und der Mann – mein erster Kunde der Nacht – erhebt sich langsam. Ich beobachte ihn, wie er sich anzieht, seine Bewegungen wieder geordnet, als ob er versuchte, seine Fassung zurückzugewinnen. Er meidet meinen Blick, wie sie es fast alle tun, und ich sehe, wie sich Scham in seinen Augen spiegelt. Es ist immer dasselbe. Für einen Moment sind sie von ihren Begierden getrieben, und sobald diese gestillt sind, bleibt nichts als Leere. Sie wollen nicht mit der Realität konfrontiert werden, mit dem, was sie hier getan haben, also machen sie sich schnell davon. Die Scham schleicht sich ein, und sie verschwinden, als könnte das Verlassen des Raums auch das Geschehene ungeschehen machen.

„Danke“, murmelt er leise, und ich nicke, obwohl ich diese Worte kaum noch registriere. Sie sind bedeutungslos, eine Floskel, die nichts verändert.

Er verlässt das Zimmer, und ich bleibe zurück. Die Stille füllt den Raum, und ich lasse mich für einen Moment auf das Bett sinken, spüre die kühle Luft auf meiner nackten Haut. Es ist eine vertraute Stille, die mich jeden Abend empfängt, wenn die Kunden gehen. Für einen Moment ist es fast beruhigend, aber ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das nächste Klopfen an der Tür ertönt.

Ich stehe auf, strecke mich und gehe ins Bad, um mich frisch zu machen. Der Spiegel zeigt mir wieder mein eigenes Gesicht, und ich erkenne mich kaum. Die rote Farbe auf meinen Lippen ist ein wenig verwischt, mein Haar leicht zerzaust. Für einen Moment betrachte ich mich selbst, versuche, mich wiederzufinden, aber es ist, als würde ich in die Augen einer Fremden blicken. Was ist aus mir geworden? Diese Frage stelle ich mir oft, aber die Antwort bleibt aus.

Als ich mich wieder anziehe, die Haut gereinigt, das Haar glatt gestrichen, sehe ich die vertraute Gestalt von Sasha. Sie ist es, die die nächste Nacht durchstehen wird, die die nächsten Stunden überlebt. Lara bleibt irgendwo tief in mir vergraben, geschützt vor der Welt. So muss es sein, um weitermachen zu können.

Ein weiteres leises Klopfen. Der nächste Kunde. Es ist immer dasselbe, und doch anders. Jeder Mann bringt seine eigene Geschichte, seine eigenen Wünsche mit. Sie tragen sie wie Mäntel um sich herum, versuchen, sie abzulegen, aber am Ende bleiben sie immer dieselben.

Ich öffne die Tür, und diesmal ist es ein jüngerer Mann, vielleicht Ende zwanzig, sein Hemd leicht zerknittert, als hätte er es hastig angezogen. Seine Augen huschen nervös über mein Gesicht, und ich erkenne sofort, dass er nicht oft hier ist. Wahrscheinlich ist es seine erste Erfahrung in einem solchen Etablissement, und er ist unsicher, wie er sich verhalten soll.

„Komm rein“, sage ich sanft und trete zur Seite. Er zögert einen Moment, aber dann tritt er ein, seine Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben.

„Ich... ähm, ich weiß nicht genau, was ich...“, beginnt er unsicher und kratzt sich verlegen am Nacken.

Ich lächle leicht. „Das ist in Ordnung. Du musst nicht wissen, was du willst. Wir können es zusammen herausfinden.“ Meine Stimme ist beruhigend, sanft, und ich sehe, wie er sich langsam entspannt.

Ich schließe die Tür hinter ihm und führe ihn zum Bett. Er setzt sich zögerlich, und ich kann die Nervosität in seiner Haltung spüren. Seine Hände zittern leicht, und seine Atmung ist flach. Es ist immer dasselbe mit den jüngeren Kunden. Sie wollen es erleben, aber die Realität ist oft überwältigender, als sie es sich vorgestellt haben.

„Wie heißt du?“, fragt er plötzlich, und ich bin überrascht. Die meisten stellen diese Frage nicht. Sie wollen keine Namen, keine Verbindungen.

„Sasha“, antworte ich automatisch, und ich sehe, wie er den Namen auf sich wirken lässt.