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Die "Forsyte-Saga", verfasst von John Galsworthy, ist ein meisterhaftes episches Werk, das das soziale Leben und die materiellen Werte der britischen Oberschicht zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beleuchtet. In den ersten drei Bänden dieser Reihe schildert Galsworthy das Schicksal der wohlhabenden Forsyte-Familie, deren Mitglieder von Besitzgier und familiären Konflikten geprägt sind. Durch einen präzisen und zugleich lyrischen Stil gelingt es Galsworthy, die komplexen Beziehungen zwischen den Charakteren und den Wandel der Zeit eindrucksvoll darzustellen, während das Werk tiefergehende Themen wie Liebe, Verlust und den Einfluss des sozialen Wandels thematisiert. John Galsworthy, ein bedeutender englischer Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts und Nobelpreisträger, war selbst Teil der wohlhabenden Oberschicht, was seine Einsichten in die Gesellschaft und ihre Werte prägt. Seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen motivierten ihn, die inneren Konflikte und moralischen Dilemmata der Forsytes darzustellen. Galsworthys Engagement für soziale Themen und seine kritische Perspektive auf den Materialismus spiegelt sich in der Saga wider. Die "Forsyte-Saga" ist nicht nur ein Schlüsselwerk der modernen Literatur, sondern bietet auch eine eindringliche Analyse des menschlichen Verhaltens im Angesicht von Wandel. Leser, die an feinsinnigen Charakterstudien und scharfsinnigen sozialen Kommentaren interessiert sind, werden in dieses faszinierende Werk eintauchen und die universellen Themen von Verlust und den unaufhörlichen Kampf um Erfüllung erleben. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Die Autorenbiografie hebt persönliche Meilensteine und literarische Einflüsse hervor, die das gesamte Schaffen prägen. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Diese Werksammlung vereint unter dem Titel Die Forsyte-Saga (Buch 1-3) jene fünf Texte John Galsworthys, die den Kern der ersten Trilogie bilden: Der reiche Mann, Nachsommer, In Fesseln, Erwachen und Zu vermieten. Sie bietet eine geschlossene Lektüreeinheit, in der die Geschichte einer weit verzweigten englischen Familie im Zeichen von Besitz, Ansehen und Pflichtgefühl entfaltet wird. Galsworthy zeigt sich darin als präziser Beobachter der oberen Mittelschicht sowie ihrer Rituale, Sicherheiten und Risse. Die Zusammenstellung folgt der überlieferten Reihenfolge und führt Schritt für Schritt von den Anfängen der Saga zu ihrem ersten großen Abschluss.
Ziel dieser Edition ist es, den Umfang und die innere Dramaturgie der ersten Forsyte-Trilogie in einer kompakten, zugleich vollständigen Form zugänglich zu machen. Enthalten sind drei Romane und zwei Zwischenstücke, die zusammen eine durchgehende Erzählbewegung bilden, ohne den eigenständigen Charakter der einzelnen Teile zu nivellieren. Der Band versteht sich als Lektüreangebot sowohl für Ersteinsteigerinnen und Ersteinsteiger als auch für Kennerinnen und Kenner, die die Entwicklung von Figuren, Motiven und Milieus in ihrem vorgesehenen Ablauf verfolgen möchten. Er macht die Beziehungen zwischen den Texten sichtbar und ermöglicht Vergleich, Vertiefung und erneute Entdeckung.
Im Gattungsprofil überwiegt das Genre des Gesellschaftsromans. Der reiche Mann, In Fesseln und Zu vermieten sind breit angelegte Romane, die das Leben der Forsytes über längere Zeitabschnitte begleiten. Hinzutreten mit Nachsommer und Erwachen zwei kürzere Prosastücke, die als Zwischenspiele fungieren. Sie konzentrieren sich auf eng umrissene Situationen und Stimmen, erweitern Perspektiven und setzen feine Akzente zwischen den größeren Bögen. Diese Mischung aus epischer Breite und verdichteter Momentaufnahme verleiht der Trilogie eine besondere rhythmische Struktur, in der Tempo, Tonfall und Fokus bewusst wechseln und die Wahrnehmung der Leserinnen und Leser schärfen.
Die hier versammelten Texte gehen auf Werke zurück, die zwischen 1906 und 1921 erstmals erschienen sind und Galsworthys Ruf als bedeutendem Chronisten seiner Zeit begründeten. Die Anordnung spiegelt den historischen Entstehungszusammenhang und die intendierte Lesereihenfolge: Auf den ersten Roman folgt ein Zwischenstück, dann der zweite Roman, ein weiteres Zwischenstück und schließlich der dritte Roman. So entsteht ein Bogen, der vom späten 19. ins frühe 20. Jahrhundert führt, ohne den Fluss zu unterbrechen. Der Band respektiert diesen Verlauf und macht die Schrittfolgen der Erzählung kohärent und nachvollziehbar erlebbar.
Kernmotiv der Forsyte-Saga ist der Besitz in all seinen Bedeutungen: als Sacheigentum, als Statusgarantie, als Gefüge aus Rechten und Pflichten, als Gefühl der Anhaftung. Die Texte untersuchen, wie Besitz Vorstellungswelten formt, Entscheidungen leitet und Bindungen ordnet. Eigentum erscheint dabei nicht nur als materielles Faktum, sondern als psychologische und moralische Kategorie, die Nähe stiften und Distanz erzeugen kann. In diesem Spannungsfeld von Sicherheit und Enge entfalten sich die Konfliktlinien des Familienverbands. Galsworthy zeigt, wie tief Besitzlogiken in Sprache, Sitte und Selbstbild eingeschrieben sind und wie schwer sie sich verschieben lassen.
Mit präzisem Blick entfaltet Galsworthy ein soziales Panorama der englischen Oberschicht des Bürgertums. Räume, Kleidung, Kunstgeschmack und Stadtlandschaften stehen neben Recht, Geschäft und Finanzwesen. Der Alltag der Wohlhabenden wird dabei nicht als bloßes Inventar gezeigt, sondern als System von Gewohnheiten, Erwartungen und gegenseitiger Beobachtung. Konventionen stiften Ordnung, aber auch Reibung. Kunst, Freizeit und Wohltätigkeit markieren Felder symbolischer Auseinandersetzung, in denen Geltung und Sensibilität gegeneinander treten. Der soziale Ton ist verhalten, höflich und dennoch spannungsreich, getragen von feinen Übergängen zwischen öffentlicher Fassade und privater Empfindung.
Stilistisch verbindet Galsworthy eine klare, unpathetische Prosa mit ironischer Distanz und genauer Psychologie. Seine Beschreibungen sind knapp und sprechend, seine Dialoge tragen Subtext, seine Szenen sind sorgfältig gebaut. Wiederkehrende Motive – Räume, Gegenstände, Farbtöne – erhalten Leitfunktion und verbinden innere Zustände mit äußerer Welt. Der Erzähler wahrt Distanz und ermöglicht dennoch Nähe, indem er Blickwechsel und Nuancen zulässt. Das Ergebnis ist eine Erzählweise, die weder anklagt noch beschönigt, sondern durch Struktur, Ton und Auswahl der Details urteilsfähig macht. So entsteht eine kritische Empathie, die Figuren ernst nimmt und zugleich Strukturen sichtbar hält.
Die Trilogie arbeitet mit einem Ensemble aus miteinander verwandten Perspektiven. Stimmen und Standpunkte verschieben sich von Text zu Text, wodurch neue Akzente entstehen, ohne die Kontinuität zu gefährden. Zeiträume werden überblendet, Pausen und Sprünge setzen Sinnpunkte. Die Interludien vertiefen einzelne Figurenbilder, die Romane öffnen das gesamte Tableau. Diese Architektur schafft eine erzählerische Atembewegung: Konzentration und Weitung, Verdichtung und Ausgreifen. Wer die Teile nacheinander liest, erlebt die allmähliche Ausführung eines Themas; wer einzelne Stücke herausgreift, erkennt jeweils eine in sich stimmige Form. Beides zusammen ergibt einen vielstimmigen, doch streng komponierten Zyklus.
Die anhaltende Bedeutung der Forsyte-Saga liegt in ihrer Fähigkeit, private Erfahrung und gesellschaftliche Ordnung zu verschränken. Fragen nach Eigentum, Familie, Ehe, Geschlechterrollen und rechtlicher Regulierung sind weiterhin aktuell, ebenso die Spannungen zwischen persönlicher Freiheit und sozialer Erwartung. Galsworthys nüchterne Genauigkeit ermöglicht es, historische Distanz und Gegenwartsbezug zugleich zu spüren. Seine Figuren sind Produkte ihrer Zeit und zugleich Träger wiedererkennbarer Empfindungen. In dieser Doppelperspektive findet die Trilogie ihre Modernität: Sie zeigt Strukturen, ohne Menschen zu schematisieren, und bietet Stoff zur Diskussion, ohne die Lesenden in fertige Urteile zu zwingen.
Die vorliegende Reihenfolge führt durch den Bogen der ersten Trilogie: Der reiche Mann eröffnet die Welt der Forsytes; Nachsommer fügt ein kontemplatives Zwischenspiel hinzu; In Fesseln setzt den großen Erzählstrom fort; Erwachen bringt eine kurze, pointierte Perspektive; Zu vermieten beschließt den ersten Zyklus. Die Zwischenspiele sind mehr als Überleitungen: Sie schaffen Resonanzräume, in denen Motive neu klingen und Bedeutungen sich verschieben. Die Romane geben dem Ganzen architektonische Tragweite. Zusammen entfalten sie eine innere Logik, die nicht auf Überraschungseffekte setzt, sondern auf die Kraft genauer Beobachtung und beharrlicher Variation.
Diese Edition lädt zu zwei Lektüreweisen ein: als fortlaufende Chronik oder als Sammlung eigenständiger Texte. Wer der Chronik folgt, erlebt die sukzessive Entfaltung von Themen, Figurenkonstellationen und sozialen Codes. Wer einzelne Teile herausgreift, findet präzise gearbeitete Erzählformen mit jeweils eigener Tonlage. Beide Wege profitieren von Galsworthys Balance aus Zurückhaltung und Deutlichkeit. Weil keine Effekte unnötig hervorgehoben werden, gewinnt jedes Detail an Gewicht. Die Zwischenspiele empfehlen sich als Atempausen, die Wahrnehmung ordnen. Die Romane belohnen geduldige Lektüre durch Breite und Tiefe der Darstellung, ohne die Lesenden mit Vorwissen zu überfordern.
John Galsworthy, später mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, gilt mit der Forsyte-Saga als maßgeblicher Erzähler der britischen Moderne im Gesellschaftsroman. Diese Sammlung verfolgt das Ziel, den ersten, in sich geschlossenen Teil des Zyklus in seiner beabsichtigten Gestalt zugänglich zu machen. Sie respektiert Chronologie, Gattungsspezifik und Klangfarben der einzelnen Stücke und rückt zugleich das verbindende Thema des Besitzens in den Mittelpunkt. Wer sich auf diese Ordnung einlässt, findet eine Erzählkunst von großer Genauigkeit, Ruhe und Spannweite. So entsteht ein Leseangebot, das historische Welt, formale Klarheit und bleibende Relevanz miteinander verbindet.
John Galsworthy (1867–1933) war ein englischer Romancier und Dramatiker der späten viktorianischen und edwardianischen Epoche, dessen nüchterner Realismus die Sitten und Spannungen der wohlhabenden Mittelschicht präzise erfasste. Mit beobachtender Ironie und moralischer Ernsthaftigkeit verband er Gesellschaftsanalyse und genaue Charakterzeichnung. International bekannt wurde er durch seinen mehrbändigen Familienroman-Zyklus, dessen Teile in deutscher Übersetzung als Der reiche Mann, Nachsommer, In Fesseln, Erwachen und Zu vermieten vorliegen. Sein Werk prägte die literarische Darstellung von Besitz, Recht und Ehe in der Moderne. 1932 erhielt er den Nobelpreis für Literatur, was seine Stellung im Kanon nachhaltig festigte.
Ausgebildet wurde Galsworthy zunächst juristisch; ein Studium in Oxford und die Zulassung als Barrister prägten seine genaue Kenntnis des britischen Rechts und der sozialen Konventionen. Auf Reisen lernte er den späteren Schriftsteller Joseph Conrad kennen, dessen erzählerische Disziplin und Sinn für moralische Ambivalenz ihn nachhaltig beeindruckten. Prägende Einflüsse bildeten der europäische Realismus und eine skeptische Haltung gegenüber Besitzideologien. Früh übte er sich in genauer Beobachtung, nüchternem Ton und szenischer Verdichtung, die später seine Prosa und seine Dramen kennzeichnen. Die juristische Schulung schärfte zudem sein Gespür für institutionelle Zwänge, die er literarisch als mentale und soziale Bindungen erfahrbar machte.
Vom juristischen Beruf löste er sich zugunsten einer schriftstellerischen Laufbahn und fand bald eine Stimme, die sachliche Analyse mit stiller Empathie verband. Neben erzählerischer Prosa verfasste er Dramen, die Konventionen, Klassenprivilegien und die Reibungen moderner Institutionen reflektierten. Entscheidend wurde jedoch der Aufbau eines weitgespannten Familienromans, der Generationenfolgen, Besitzfragen und moralische Dilemmata fortlaufend beleuchtet. Leserinnen und Leser schätzten die Klarheit der Prosodie, die psychologische Delikatesse und den kontrollierten Erzählerstandpunkt. Kritische Stimmen hoben die Genauigkeit seiner Milieuschilderungen hervor, sahen in ihm aber weniger einen Experimentator als einen Meister der beharrlichen Beobachtung und der subtilen, ethisch fokussierten Erzählkunst.
Der reiche Mann eröffnet den Zyklus mit einem präzisen Blick auf Besitz als gesellschaftliche Triebkraft. Galsworthy zeigt, wie Status, Geschmack und juristische Sicherheiten Lebensentscheidungen formen, ohne die Figuren zu verurteilen. Seine Sprache bleibt ruhig, bildhaft und kontrolliert; die Ironie ist mild, doch unübersehbar. Hinter Salons, Ateliers und Kanzleien steht stets die Frage, was Eigentum mit Loyalität und Gefühl anstellt. Der Roman begründet die Methode, private Konflikte als Indikatoren sozialer Strukturen zu lesen. Zugleich etabliert er die Erzählökonomie, die spätere Teile trägt: sparsame Symbolik, dialogische Spannung, szenische Präzision und ein diskreter allwissender Erzähler.
Nachsommer und Erwachen sind als Zwischenspiele konzipiert und öffnen den Blick auf Innenräume der Erinnerung und des Reifens. Statt großer dramatischer Zuspitzungen bevorzugt Galsworthy dort das leise Umkreisen von Stimmungen, die Zärtlichkeit des späten Lichts und das Vorspiel kommender Entscheidungen. Die Texte rhythmisieren den Zyklus, indem sie Übergänge verlangsamen und Motive umfärben: Besitz erscheint weniger als Triumph, mehr als Last; Bindungen schimmern als Chance und Zwang zugleich. So verfeinert er psychologische Nuancen und schärft die moralische Perspektive, ohne die Figuren zu instrumentalisieren. Formale Schlankheit und lyrische Beobachtung halten sich in produktiver Balance.
In Fesseln und Zu vermieten führen das Panorama in die Dramen des modernen Rechts und der sich wandelnden Gesellschaft. Juristische Verfahren, Marktbewegungen und der subtile Druck öffentlicher Meinung bilden die Kulisse, vor der Gefühle, Bündnisse und Entfremdungen ihre Konsequenzen entfalten. Galsworthy hält Distanz, doch seine Sympathie gilt Menschen, die unter starren Normen leiden. Mit klarer Syntax, ökonomischen Szenen und kontrollierter Metapherndichte steigert er die Spannung, ohne Effekthascherei. Die Romane schließen Bögen, eröffnen aber auch Ambivalenzen, die über den Zyklus hinausweisen. Zeitgenössische Leser reagierten aufmerksam; spätere Generationen entdeckten darin präzise Zeitbilder von bestechender Aktualität.
In seinen späteren Jahren festigte Galsworthy die Reputation eines Autors, der gesellschaftliche Konflikte mit literarischer Disziplin und humanem Takt erschließt. Anerkennungen kulminierten 1932 im Nobelpreis; zugleich blieb er produktiv und publikumsnah. Sein Vermächtnis wirkt in der anhaltenden Lektüre des Zyklus fort, dessen deutsche Teile – Der reiche Mann, Nachsommer, In Fesseln, Erwachen, Zu vermieten – weiterhin als präzise Fenster auf Mentalitäten, Rechtspraktiken und Beziehungsnormen gelesen werden. Adaptionen und Neuauflagen vergegenwärtigen seine Themen, ohne die Texte zu übertönen. Heute gilt er als verlässlicher Chronist einer Epoche, deren Fragen nach Besitz und Verantwortung fortdauern.
John Galsworthy, 1867 in Surrey geboren und 1933 verstorben, schrieb die Forsyte-Saga zwischen 1906 und 1921 und fasste sie 1922 zusammen. Die Sammlung Die Forsyte-Saga (Buch 1–3) umfasst die Romane und Zwischenspiele Der reiche Mann, Nachsommer, In Fesseln, Erwachen und Zu vermieten. Sie verortet die fiktive Forsyte-Familie in den Jahrzehnten vom späten Viktorianismus über die edwardianische Zeit bis in die unmittelbare Nachkriegsära. Die Texte reagieren auf eine Gesellschaft, in der Besitz, Recht, Ehe und Status als ordnende Prinzipien fungierten und zugleich durch Modernisierung, Reformen und Krieg erschüttert wurden.
Im späten 19. Jahrhundert war das Britische Weltreich auf seinem Höhepunkt, und die industrielle Wirtschaftsordnung stützte eine selbstbewusste bürgerliche Oberschicht. Unter Königin Victoria verbanden sich Erwerbseifer, Respektabilität und strikte soziale Hierarchien. Eine expandierende, wohlhabende Mittelschicht investierte in Grundbesitz, städtische Immobilien und sichere Anlagen. Vor allem in London galt Eigentum als Garant für Sicherheit und als Ausweis sozialer Legitimation. Diese Konstellation liefert den historischen Rahmen, in dem der Habitus der Forsytes – die Betonung von Besitz, Kontinuität und Familienruhm – literarisch beobachtbar und kritisierbar wird.
Zentral für das Verständnis der Saga ist die viktorianisch-edwardianische Rechts- und Eigentumsordnung. Londoner Immobilien wurden häufig als Leaseholds mit langen Laufzeiten gehalten; Trusts und Ehegüterregelungen banden Vermögen über Generationen. Die Chancery-Gerichtsbarkeit (später die Chancery Division) prägte das Recht der Equity, insbesondere bei Treuhand- und Erbschaftsfragen. Das Scheidungsrecht blieb bis ins 20. Jahrhundert restriktiv und sozial stigmatisiert; Reformen verliefen schrittweise. Die Married Women’s Property Acts von 1870 und 1882 stärkten das weibliche Eigentumsrecht, ohne jedoch gesellschaftliche Normen rasch zu verändern. Diese rechtlichen Parameter bilden den Resonanzraum für Titel wie In Fesseln.
Der wirtschaftliche Aufstieg der City of London als globales Finanzzentrum prägte Werte und Entscheidungen der Besitzbürger. Bankwesen, Handel, Versicherungen und Anwaltskanzleien boten Sicherheit, Diversifikation und stetige Einkünfte, was das Ideal des risikobewussten, langfristigen Vermögensaufbaus festigte. Gils und Staatsanleihen galten als solide; Immobilien versprachen dauerhafte Rendite. In dieser Konstellation ist Kapital weniger Abenteuer als Disziplin: Buchführung, Verträge, Notare und stille Zinsen. Diese ordnende, konservative Logik durchdringt Lebensführung, Familienstrategien und die Beurteilung von Kunst, Liebe und Ansehen und zeigt, wie eng ökonomische Pflicht und persönliches Ethos verschränkt waren.
Die Londoner Stadtentwicklung bildete das alltägliche Umfeld der Forsytes. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen West End und bürgerliche Viertel wie Kensington, Bayswater und St. John’s Wood durch spekulativen Wohnungsbau und neue Verkehrsadern. Bauregeln, Gartensquares und uniformes Stadthausdesign vermittelten Repräsentation und Privatheit. Vorortlinien und später die elektrische U-Bahn erleichterten Pendeln und ermöglichten räumliche Distinktion. Die Wohnung wurde zur Bühne bürgerlicher Werte: Einrichtung, Kunst und Architektur signalisierten Herkunft und Geschmack. Dieser urbane Kontext erklärt, warum Besitzfragen nicht abstrakt sind, sondern in Grundrissen, Mietverträgen und Adressen Gestalt gewinnen.
Parallel dazu veränderte der Kunstmarkt die Beziehung zwischen Geld, Geschmack und Moral. Seit den 1870er Jahren boten Institutionen wie die Grosvenor Gallery Raum für Ästhetizismus und neue Stile; die Arts-and-Crafts-Bewegung opponierte gegen industrielle Uniformität. Kunstsammlungen dienten als Kapitalanlage und als moralische oder ästhetische Stellungnahme. In Salons, Auktionshäusern und Zeitschriften verhandelte man, was als vornehm oder vulgär galt. Diese Kulturkämpfe zwischen Nützlichkeit, Dekor und autonomer Kunst bilden ein wiederkehrendes Echo in der Saga, in der sich Fragen des Besitzes stets auch in der Sprache des Geschmacks und der Inneneinrichtung artikulieren.
Geschlechterordnungen und Ehepraxis des späten 19. Jahrhunderts setzten enge Grenzen. Die rechtliche Aufwertung verheirateter Frauen als Eigentümerinnen änderte nur langsam die soziale Erwartung von Häuslichkeit und Unterordnung. Die Neue-Frau-Debatten der 1890er Jahre und die Suffragettenbewegung (ab 1903 mit neuer Militanz) stellten Rollenbilder öffentlich in Frage. Scheidungen waren möglich, doch gesellschaftlich riskant und juristisch teuer; Sorgerechts- und Unterhaltsfragen spiegelten Machtasymmetrien. Diese Entwicklungen rahmen die in der Sammlung verhandelten Konflikte um Selbstbestimmung, Loyalität, Konvention und das Recht, über den eigenen Körper und die eigene Zukunft zu verfügen.
Technologische Innovationen verschoben Alltagsrhythmen und soziale Codes. Elektrisches Licht, Telefon und Schreibmaschine veränderten Arbeits- und Kommunikationsweisen; Fotografie und frühes Kino prägten visuelle Kultur. Die London Underground und motorisierte Verkehrsmittel verkürzten Distanzen und machten die Stadt mobiler und lauter. Das Automobil wurde um 1900 Statussymbol und Freiheitsversprechen. Zugleich beschleunigte Massenpresse die öffentliche Meinungsbildung. Diese Verdichtung der Moderne nährte ein Lebensgefühl zwischen Beschleunigung und Verlust, das in der Saga als Hintergrundrauschen spürbar ist: Freizeit, Konsum, Klatsch – und die Frage, ob Intimität gegen Öffentlichkeit noch zu sichern ist.
Der Zweite Burenkrieg (1899–1902) erschütterte Selbstgewissheiten des Empire. Die zähen Kämpfe, kontroverse Kriegsführung und unerwartet hohe Verluste lösten Debatten über nationale Gesundheit, militärische Effizienz und soziale Reform aus. Patriotismus mischte sich mit Kritik an Missständen in Verwaltung, Rekrutierung und Armutsverhältnissen. Die Kriegsjahre bildeten eine politische Schleuse in die edwardianische Ära, in der die alten Sicherheiten des Viktorianismus bereits rissen. Diese Atmosphäre des Prüfstands – was trägt, wenn es ernst wird? – ist ein subtiles Moment im historischen Umfeld, in dem Figuren der Saga ihre Werte neu gewichten müssen.
Die edwardianische Zeit (1901–1910) und die Jahre bis 1914 waren von Reformen und Konflikten geprägt. Die liberale Regierung setzte mit Altersrenten (1908) und der National Insurance (1911) sozialpolitische Markierungen. Das People’s Budget (1909) löste eine Verfassungskrise aus, die im Parliament Act 1911 die Macht des Oberhauses einschränkte. Gleichzeitig wuchsen Gewerkschaften und die Labour Party. Diese Politik der Umverteilung und der sozialen Mindeststandards hinterfragte eng vererbte Privilegien. Für eine besitzorientierte Schicht bedeutete das Anpassung: rechtzeitige Absicherung, Steuerplanung, und die leise Furcht, dass alte Spielregeln über Nacht nicht mehr gelten könnten.
Die literarische Kultur dieser Jahre war durch Realismus und soziale Diagnose geprägt. Zeitschriften, Leihbibliotheken und populäre Verlage schufen breite Lesemärkte. Zeitgenossen wie H. G. Wells, Arnold Bennett oder Joseph Conrad verbanden Gesellschaftsanalyse mit neuen Erzählformen. Galsworthy profilierte sich zugleich als Dramatiker sozialkritischer Stücke, in denen er Rechtswesen, Klassenjustiz und Humanität verhandelte. Diese intellektuelle Umgebung begünstigte eine Prosa, die Sittenstudie, ökonomische Beobachtung und psychologische Feinzeichnung vereint. Die Saga steht in dieser Tradition eines beobachtenden, moralisch sensiblen Realismus, der nicht skandalisiert, sondern Strukturen sichtbar macht.
Der Erste Weltkrieg (1914–1918) veränderte Großbritannien grundlegend. Massenmobilisierung, Verluste und die Heimfront mit Rüstungsarbeit verschoben Rollen und Erwartungen. 1918 brachte der Representation of the People Act eine erhebliche Wahlrechtsausweitung (auch für Frauen über 30), 1928 folgte die Gleichstellung im Wahlrecht. Die Inflationsjahre und die Wohnungsnot führten 1915 zu Mietpreisregulierungen. Die Grippepandemie 1918/19 verschärfte das Gefühl der Verwundbarkeit. In diesem Umfeld bekommt die Metapher Zu vermieten eine zusätzliche Resonanz: Nicht nur Häuser werden verfügbar, auch soziale Positionen und Lebensentwürfe geraten in Bewegung und stehen zur Disposition.
Der Wiederaufbau nach 1918 war von Ambivalenzen getragen. Das Addison-Gesetz von 1919 förderte kommunalen Wohnungsbau für Heimkehrer; Großprojekte standen jedoch wirtschaftlichen Engpässen gegenüber. Gleichzeitig expandierte die Konsumkultur: Warenhäuser wie Selfridges (1909 eröffnet) und Schaufensterarchitekturen versprachen einen neuen, demokratisierten Luxus. Kino und populäre Zeitschriften prägten Stile und Wünsche. Doch Arbeitslosigkeit und Streiks blieben präsent. Diese Mischung aus erweiterten Möglichkeiten und verletzlicher Sicherheit speist das Hintergrundgefühl der späten Teile der Sammlung, in denen Stabilität nicht mehr aus Tradition, sondern aus Aushandlung und Anpassungsfähigkeit wächst.
Moralische und psychologische Deutungsmuster veränderten sich. Die Autorität viktorianischer Tugendkataloge wurde durch Debatten über Individualität, Sexualität und die Grenzen des Konventionalismus relativiert. Ibsens Einfluss auf das englische Theater und die Verbreitung psychoanalytischer Ideen beförderten eine Sprache für innere Konflikte. Galsworthy thematisiert immer wieder den Besitztrieb als gesellschaftliche Kraft: das Bedürfnis, Menschen, Dinge und Situationen festzuhalten. Dieser Impuls kollidiert historisch mit neuen Freiheitsansprüchen und rechtlichen Möglichkeitsräumen. Die Sammlung dokumentiert so eine Übergangsmentalität zwischen Besitzstandswahrung und der Suche nach persönlicher Autonomie.
Die Publikationsgeschichte der Teile der Sammlung spiegelt den langen Atem ihrer Entstehung. Der reiche Mann erschien 1906; Nachsommer wurde 1918 veröffentlicht, In Fesseln und Erwachen folgten 1920, Zu vermieten 1921. 1922 wurden sie als Zyklus zusammengeführt. Zeitgenössische Leser erkannten darin eine Chronik der besitzbürgerlichen Lebensform und ihrer Spannungen. Galsworthy erhielt 1932 den Nobelpreis für Literatur; die Begründung hob seine ausgezeichnete Erzählkunst hervor, die in der Forsyte-Saga ihre höchste Ausprägung finde. Diese Anerkennung befestigte den Status der Sammlung als kanonisches Dokument einer Epoche im Übergang.
Die Rezeption im 20. Jahrhundert verlief in Wellen. Besonders die BBC-Fernsehserie von 1967 machte die Forsyte-Saga zu einem Massenphänomen und prägte ihr Bild als detailreiche Gesellschaftschronik. Eine weitere, viel beachtete Adaption folgte 2002. Spätere Lesarten betonten stärker Klassen- und Geschlechteraspekte, untersuchten die Logik des Eigentums als kulturelles Muster und fragten nach der Darstellung rechtlicher Zwänge. In der Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung dient die Sammlung zunehmend als Quelle, um urbane Räume, Konsumpraktiken und das Verhältnis von Kunst und Kapital in Großbritannien um 1900 zu verstehen.
Die fünf in der Sammlung vertretenen Teile fungieren als Fallstudien eines größeren historischen Moments. Der reiche Mann und In Fesseln spiegeln Institutionen und Normen, Nachsommer und Erwachen markieren mit ihren Zwischentönen ein Innehalten vor Wendepunkten, Zu vermieten blickt in eine Landschaft nach dem Bruch. Die Saga kommentiert nicht Ereignisse um ihrer selbst willen, sondern beobachtet, wie Recht, Besitz und Geschmack Handlungsräume eröffnen oder schließen. Damit dokumentiert sie die Verschiebung vom hochviktorianischen Selbstvertrauen zur fragilen Moderne – und bleibt als Analyse gesellschaftlicher Kräfte über ihre Entstehungszeit hinaus verständlich.
Ein Porträt der wohlhabenden Forsyte-Familie auf dem Höhepunkt des spätviktorianischen Wohlstands, mit Soames Forsyte als Inbild des Besitzdenkens. Seine Ehe mit der eigenständigen Irene legt den Widerstreit zwischen Eigentum und Individualität frei, während Kunst, Geschmack und Status zu Schauplätzen stiller Machtkämpfe werden.
Jahre später geraten private Konflikte in den juristischen und gesellschaftlichen Fokus, wenn Scheidung, Erbe und Ansehen die Familienordnung auf die Probe stellen. Der Blick rückt stärker zur nächsten Generation und zu Figuren, die sich an wandelnden Normen abarbeiten, in einer kühleren, analytischen Gegenüberstellung von Pflicht und Begehren.
Der Abschlussroman folgt den Erben, deren Bindungen und Ziele mit hinterlassenen Loyalitäten kollidieren. Moderne Töne untergraben alte Gewissheiten, während Häuser und Zuneigungen bepreist, verpachtet oder aufgegeben werden und der Zyklus in zurückhaltender, elegischer Stimmung ausklingt.
Die beiden Zwischenspiele öffnen Raum für intime Studien späten Mitgefühls und früher Empfindungen, die Haupthandlung kurz verlassend zugunsten leiser, kontemplativer Momente. Der Ton ist lyrischer und natur- wie detailnah, und bereitet die emotionale Tiefenschicht für die umliegenden Romane vor.
Quer durch die Sammlung fungiert Besitz – Häuser, Kunst, Geld – als Maß und Metapher für Zugehörigkeit, Kontrolle und die Grenzen des Habens. Fein beobachteter Gesellschaftsrealismus verbindet sich mit ironischer Distanz und empathischer Psychologie, während der Weg vom viktorianischen Selbstverständnis zu einer unsichereren Moderne nachgezeichnet wird.
»... Ihr antwortet: Die Sklaven sind ja unser...«
Kaufmann von Venedig.
Wer einem Familienfeste der Forsytes beiwohnen durfte, sah etwas Erfreuliches und Lehrreiches vor sich – eine Familie des besseren Mittelstandes in vollem Staat. Besaß einer dieser Begünstigten aber die Gabe psychologischer Analyse (ein Talent ohne Geldwert und den Forsytes gänzlich unbekannt), so konnte er Zeuge eines Schauspiels sein, das nicht nur an sich ergötzlich war, sondern auch zur Illustration eines dunklen menschlichen Problems diente. Mit andern Worten, die Versammlung dieser Familie – in der nicht einer Zuneigung für den andern empfand, nicht drei ihrer Mitglieder ein Gefühl kannten, das Sympathie genannt zu werden verdiente – bestätigte ihm jenen geheimnisvollen festen Zusammenhang, der eine Familie zu einem so gefährlichen Ganzen in der Gesellschaft, einem so treuen Abbild der Gesellschaft im Kleinen macht. Es zeigte sich ihm ein flüchtiger Schimmer der dunklen Pfade sozialen Fortschritts, er erhielt einen Begriff von patriarchalischem Leben, vom Nomadenleben wilder Stämme, von der Blüte und dem Verfall der Nationen. Man könnte ihn dem vergleichen, der das Wachstum eines Baumes – einem Muster von Zähigkeit und Gedeihen auf seinem isolierten Standpunkt inmitten hundertanderer absterbender Pflanzen, die weniger stämmig, saftreich und widerstandsfähig sind – von Anfang an beobachtet hat und ihn eines Tages im vollen Schmuck seines zarten Laubes, in fast verblüffender Üppigkeit, auf der Höhe seiner Entfaltung vor sich sieht.
Am fünfzehnten Juni, Ende der achtziger Jahre, gegen vier Uhr nachmittags, hätte ein zufälliger Beobachter unter den Gästen im Hause des alten Jolyon in Stanhope Gate sich von der höchsten Blütezeit der Forsytes überzeugen können.
Der Anlaß des Empfanges war die Verlobung von Miß June Forsyte, der Enkelin des alten Jolyon, mit Mr. Philip Bosinney. Im Festschmuck ihrer hellen Handschuhe, gelben Westen, Federn und Kleider war die ganze Familie anwesend – selbst Tante Ann, die nur noch selten die Ecke im grünen Wohnzimmer ihres Bruders Timothy verließ, wo sie im Schutze eines Büschels gefärbter Pampasgräser in einer hellblauen Vase, von den Bildern dreier Generationen der Forsytes umgeben, den ganzen Tag lesend und strickend saß. Selbst Tante Ann war da; mit ihrem ungebeugten Rücken und der stillen Würde ihres alten Gesichts ein Bild starren Festhaltens an der Familienidee.
Wenn ein Forsyte sich verlobte, heiratete oder geboren wurde, waren die Forsytes dabei[1q]. Wenn ein Forsyte starb – aber bis jetzt war noch kein Forsyte gestorben; sie starben nicht, der Tod widersprach ihren Grundsätzen, sie trafen Vorsichtsmaßregeln dagegen, ganz instinktiv, wie Menschen von hoher Lebenskraft, die keine Eingriffe in ihr Eigentum dulden.
Den Forsytes, die sich heute unter die Schar der Gäste mischten, war eine größere Sorgfalt in ihrer Erscheinung anzumerken, eine wachsame, inquisitorische Sicherheit, eine gediegene Solidität, als wären sie darauf gefaßt, sich gegen irgend etwas zu wehren. Derdem Gesicht von Soames Forsyte eigene schnüffelnde Zug hatte sich ihren Reihen mitgeteilt; sie waren auf ihrem Posten.
Die halb unbewußte Feindseligkeit ihrer Haltung stempelte den Empfang beim alten Jolyon zum psychologischen Moment der Familiengeschichte, machte ihn zum Vorspiel ihres Dramas.
Etwas verstimmte die Forsytes, nicht persönlich, aber als Familie; und diese Verstimmung äußerte sich in einer mehr als sorgfältig gewählten Kleidung, einem Übermaß von Familienherzlichkeit, einer übertriebenen Betonung der Familienwürde – und in jenem ›Schnüffeln‹. Was die Forsytes witterten, war Gefahr – und eine solche war kaum zu vermeiden, wenn man den Grundeigenschaften einer Gesellschaft, einer Gruppe oder eines Individuums auf die Spur kommen wollte; die Vorahnung einer Gefahr verlieh ihren Waffen Glanz. Zum ersten Mal schienen sie als Familie das Gefühl zu haben, mit einer unbekannten, unsichern Sache in Berührung zu kommen.
Am Klavier drüben stand ein beleibter, stattlicher Mann mit zwei Westen über der breiten Brust, mit zwei Westen und einer Rubinnadel anstatt einer Atlasweste und der Diamantnadel für mehr gewöhnliche Gelegenheiten, und sein glattrasiertes, breites, altes Gesicht von der Farbe blassen Leders, mit den hellen Augen über der Atlasbinde, hatte seine würdevollste Miene aufgesteckt. Dicht am Fenster, wo er mehr als genug frische Luft schöpfen konnte, schaute vornübergeneigt wie immer, sein Zwillingsbruder James versunken auf das Schauspiel vor ihm. Wie der beleibte Swithin war er über sechs Fuß hoch, aber sehr hager, als sei er von Geburt an dazu bestimmt, das Gleichgewicht herzustellen und den Durchschnitt aufrecht zu erhalten – den Dicken und den Dünnen nannte deralte Jolyon diese beiden. Seine grauen Augen hatten einen Ausdruck völliger Vertieftheit in geheime Unruhe, die nur zuweilen durch einen raschen prüfenden Blick auf die Vorgänge um ihn her unterbrochen wurde, und seine Wangen, die zwei gleichlaufende Falten und eine glattrasierte Oberlippe schmal erscheinen ließen, waren von langen Koteletts umrahmt. In den Händen drehte er einen Porzellangegenstand hin und her. Nicht weit davon, neben einer Dame in Braun, der er zuhörte, sah man blaß und gutrasiert, mit dunklem Haar, aber ziemlich kahl, das Kinn seitwärts vorgeschoben, seinen einzigen Sohn Soames, der die Nase mit dem bewußten »Schnüffeln« hob, als verschmähe er ein Ei, das für ihn unverdaulich war. Hinter ihm sein Vetter, der lange George, ein Sohn Rogers, des fünften Forsyte, mit dem durchtriebenen Blick in dem fleischigen Gesicht, über einem seiner boshaften Späße grübelnd.
Auf allen lastete ein Druck, der mit der festlichen Veranlassung in Zusammenhang stand.
In einer Reihe, dicht neben einander, saßen drei Damen – die Tanten Ann, Hester (die beiden alten Jungfern der Familie Forsyte) und Juley (Abkürzung von Julia), die sich, und nicht einmal in ihrer ersten Jugend, so weit vergessen hatte, Septimus Small, einen Mann von schwächlicher Konstitution, zu heiraten. Sie hatte ihn um viele Jahre überlebt. Jetzt wohnte sie mit ihrer älteren und jüngeren Schwester im Hause ihres sechsten und jüngsten Bruders Timothy am Bayswater Road. Jede dieser Damen hielt einen Fächer in der Hand und betonte durch eine Farbennote, eine effektvolle Feder oder Brosche das Festliche der Gelegenheit.
Mitten im Zimmer, unter dem Kronleuchter, stand, wie es sich für einen Wirt gebührt, das Haupt derFamilie, der alte Jolyon selbst. Mit seinen achtzig Jahren, dem schönen weißen Haar, der hochgewölbten Stirn, den kleinen dunkelgrauen Augen und einem mächtigen, herabhängenden Schnurrbart, der über die ganze Breite seiner starken Kinnladen reichte, glich er einem Patriarchen, und trotz der hagern Wangen und eingefallenen Schläfen schien er über eine unversiegbare Jugendkraft zu verfügen. Er hielt sich außerordentlich aufrecht, seine scharfen ruhigen Augen hatten nichts von ihrem hellen Glanz verloren, und er erweckte so, dem Zweifel und der Unentschlossenheit unbedeutenderer Menschen gegenüber, den Eindruck von Überlegenheit. Nachdem er unzählige Jahre hindurch seinen eigenen Weg gegangen war, hatte er ein unbestrittenes Recht darauf erworben, und niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, Bedenken oder Mißtrauen zu hegen.
Zwischen ihm und den vier andern Brüdern, James, Swithin, Nicholas und Roger, die sich alle eingefunden hatten, herrschte große Verschiedenheit und große Ähnlichkeit. Jeder einzelne dieser Brüder war sehr verschieden von den andern, und doch glichen sie sich alle.
Bei aller Abweichung in Zügen und Ausdruck dieser fünf Gesichter war eine gewisse Festigkeit des Kinns auffallend, das trotz äußerlicher Unterschiede als ein Rassenmerkmal – die wahre Zunftmarke und Gewähr für den Familienwohlstand – gelten konnte, aber zu lange bestand, und aus zu ferner Vorzeit stammte, um nachgewiesen und festgestellt zu werden.
Bei der jüngeren Generation, dem großen stierähnlichen George, dem bleichen kraftvollen Archibald, dem jungen Nicholas mit seinem liebenswürdig schüchternen Eigensinn und dem ernsten, in seiner Entschiedenheit fast albernen Eustace, bemerkte man, wenigerausgesprochen vielleicht, aber unverkennbar, dasselbe Merkmal – ein unausrottbares Zeichen des Familiencharakters.
Auf allen diesen ungleichartigen und doch so ähnlichen Gesichtern hatte sich im Laufe des Nachmittags mitunter ein Ausdruck des Argwohns gezeigt, dessen Gegenstand offenbar der Mann war, den kennen zu lernen, sie sich hier versammelt hatten.
Sie wußten, daß Philip Bosinney ein junger Mann ohne Vermögen war, aber Forsytesche Mädchen hatten sich auch früher mit solchen verlobt und sie dann auch wirklich geheiratet. Dies also war nicht eigentlich der Grund ihrer Besorgnis. Sie hätten den Ursprung dieser durch den Nebel des Familienklatsches verdunkelten Bangigkeit nicht erklären können. Jedenfalls ging das Gerücht, er habe seinen Antrittsbesuch bei den Tanten Ann, Hester und Juley in einem weichen grauen Hut gemacht! – in einem weichen grauen Hut! und nicht einmal in einem neuen – sondern in einem verstaubten, formlosen Ding. »Unglaublich, nicht wahr – sehr merkwürdig!« Als Tante Hester durch den kleinen dunklen Flur ging, hatte sie versucht (sie war ziemlich kurzsichtig) das Ding vom Stuhl hinunter zu scheuchen, da sie es für eine gemeine fremde Katze hielt – ihr Tommy hatte so kompromittierende Freunde! Sie war ganz verstört, als es sich nicht rührte.
Wie ein Künstler beständig die bedeutsame Kleinigkeit zu entdecken sucht, in der sich der ganze Charakter einer Szene, eines Ortes oder eines Individuums verkörpert, waren die Forsytes, diese unbewußten Künstler, ganz intuitiv an diesem Hute haften geblieben. Das war für sie die bedeutsame Kleinigkeit, der kleine Nebenumstand, der die Bedeutung der ganzen Sache in sich faßt; denn jeder hatte sich gefragt:»Hättestdudiesen Besuch in solchem Hut gemacht?« und jeder hatte erwidert »Nein!« und einige mit mehr Phantasie hatten hinzugefügt: »So etwas wäre mir nie in den Sinn gekommen!«
Als George die Geschichte hörte, grinste er. Mit dem Hut hatte der junge Mann sich offenbar einen Scherz erlaubt! Er selbst verstand sich auf dergleichen.
»Sehr kühn!« sagte er, »dieser wilde Bukanier!«
Und diesesmot, »der Bukanier« ging von Mund zu Mund, bis er die Lieblingsform wurde, mit der man auf Bosinney anspielte.
Die Tanten machten June später Vorwürfe wegen des Hutes.
»Du hättest das nicht zulassen dürfen, mein Kind!« hatten sie gesagt.
Auf ihre herrisch lebhafte Art, in der sich die ganze Willenskraft des kleinen Geschöpfes offenbarte, hatte June geantwortet:
»Ach, was schadet das? Phil weiß nie, was er anhat.«
Niemand hätte eine so verwegene Antwort für möglich gehalten. Ein Mann sollte nicht wissen was er anhat? Unglaublich!
Wer war denn eigentlich dieser junge Mensch, der durch seine Verlobung mit June, der anerkannten Erbin des alten Jolyon, so gut für sich gesorgt hatte? Er war Architekt, das war an sich doch kein genügender Grund einen solchen Hut zu tragen. Von den Forsytes war zufällig keiner Architekt, aber einer von ihnen kannte zwei Architekten, die zu einem Pflichtbesuch in der Londoner Saison niemals solch einen Hut getragen hätten. Verdächtig – sehr verdächtig!
June natürlich fand gar nichts darin, aber sie stand auch, trotz ihrer neunzehn Jahre, in einem besondern Ruf. Hatte sie nicht zu Soames' Frau –die immer so wundervoll angezogen ging – gesagt, Federn wären ordinär? Und wirklich hatte Soames' Frau seitdem keine Federn mehr getragen, so schrecklich unverfroren war die liebe June.
Diese Besorgnisse, diese Mißbilligung und dies durchaus echte Mißtrauen hinderten die Forsytes jedoch nicht, sich auf die Einladung des alten Jolyon hin einzufinden. Ein Empfang in Stanhope Gate war eine große Seltenheit, seit dem Tode seiner Frau vor acht Jahren hatte keiner mehr stattgefunden.
Noch nie hatte sich dort eine so zahlreiche Gesellschaft versammelt, denn trotz aller Verschiedenheit im Geheimen eng mit einander verknüpft, hatten sie sich gegen eine gemeinsame Gefahr gewappnet. Wie eine Herde, wenn ein Hund ins Feld läuft, standen sie Kopf an Kopf und Schulter an Schulter, bereit den Eindringling niederzurennen und totzutrampeln. Offenbar waren sie auch gekommen um herauszufinden, welche Art von Geschenken schließlich wohl von ihnen erwartet wurde. Regelten sie die Frage der Hochzeitsgeschenke auch gewöhnlich in dieser Art: – »Was schenkstdu? Nicholas schenkt Löffel!« – so kam es doch sehr auf den Bräutigam an. War er gewandt, geschniegelt und von gefälligem Aussehen, so hielten sie es für geboten ihm auch hübsche Geschenke zu machen, das durfte er von ihnen erwarten. Zuletzt gab jeder freilich genau das, was durch eine Art von Familienübereinkommen als passend und schicklich festgesetzt wurde, wie die Preise auf der Börse festgesetzt werden, wobei die genauen Einzelheiten in Timothys behaglichem, am Park gelegenen Haus aus roten Ziegeln näher bestimmt wurden, wo die Tanten Ann, Hester und Juley wohnten.
Die Unruhe der Familie Forsyte war durch die einfache Erwähnung des Hutes gerechtfertigt. Hättenicht jede Familie des besseren Mittelstandes, die den ihr gebührenden äußeren Anstand zu wahren wußte, es für unmöglich und unrecht gehalten, sich hier nicht beunruhigt zu fühlen!
Der Urheber dieser Unruhe stand im Gespräch mit June an der nächsten Tür. Sein lockiges Haar war zerzaust, und er sah aus, als fände er alles ungewöhnlich, was um ihn her vorging. Seine Miene verriet auch, daß er seinen Spaß daran hatte.
George, der sich halblaut mit seinem Bruder Eustace unterhielt, sagte:
»Er sieht aus, als wolle er sich aus dem Staube machen – der flotte Bukanier!«
Dieser »sehr sonderbar aussehende Mann«, wie Mrs. Small ihn hernach nannte, war von mittlerer Größe und kräftig gebaut, hatte ein bleiches, braunes Gesicht, einen staubfarbenen Schnurrbart, sehr vorstehende Backenknochen und hohle Wangen. Seine Stirn stieg bis zum Wirbel des Kopfes hinauf und trat über den Augen in Höckern hervor, wie man es an Löwenstirnen im Zoo sehen kann. Er hatte Augen von der Farbe des Sherry, mit einem zuweilen beunruhigend zerstreuten Blick. Der Kutscher des alten Jolyon sollte, nachdem er June und Bosinney ins Theater gefahren hatte, zum Butler, dem Haushofmeister, gesagt haben:
»Aus dem wer ich nich klug. Mir kommt er wahrhaftig vor wie 'n ›Jahrmarkts-Tiger‹!«
Und hin und wieder tauchte ein Forsyte in der Nähe auf, schob sich vorbei und warf dabei einen Blick auf ihn.
June – das winzige Ding, »ganz Haar und Geist«, wie jemand einmal gesagt hatte, mit furchtlosen blauen Augen, einem festen Mund und leuchtenden Farben, stand vor ihm und wehrte diese müßigeNeugierde ab – Gesicht und Körper waren fast zu zart für ihre Krone rotgoldenen Haares.
Eine große Dame von schöner Gestalt, ein Familienmitglied hatte sie einmal mit einer heidnischen Göttin verglichen, beobachtete die beiden mit einem schattenhaften Lächeln.
Sie hielt die Hände in perlgrauen Handschuhen gekreuzt, das ernste schöne Gesicht zur Seite gewandt, und die Blicke aller Männer in der Nähe ruhten darauf. Ihre biegsame Gestalt wiegte sich, wie vom bloßen Lufthauch bewegt. Es war Wärme in ihren Wangen, aber wenig Farbe; ihre großen dunklen Augen blickten sanft. Aber die Männer schauten auf ihre Lippen, wenn sie mit jenem schattenhaften Lächeln eine Frage stellte oder eine Antwort gab. Es waren sensitive Lippen, süß und sinnlich, und wie von einer Blume, schien Wärme und Duft von ihnen auszuströmen.
Von dem Brautpaar war die stille Göttin und ihr forschender Blick bis jetzt unbemerkt geblieben. Bosinney entdeckte sie zuerst und fragte nach ihrem Namen.
June führte ihren Verlobten zu der Dame mit der schönen Figur.
»Irene ist meine allerbeste Freundin,« sagte sie. »Und ihr beide müßt auch gute Freunde werden.«
Alle drei lächelten bei dem Gebot des kleinen Wesens, und während sie noch lächelnd dastanden, tauchte Soames Forsyte geräuschlos hinter der Dame mit der schönen Figur auf, die seine Frau war, und sagte: »Bitte, stelle mich doch auch vor.«
Er entfernte sich bei öffentlichen Gelegenheiten nur selten von Irenens Seite, und wenn sie im Drang des gesellschaftlichen Verkehrs einmal getrennt wurden, konnte man sehen, wie seine Augen ihr mit einem seltsamenAusdruck von Wachsamkeit und Verlangen folgten.
Am Fenster untersuchte James, sein Vater, noch immer den Fabrikstempel auf dem Porzellan.
»Ich wundere mich, daß Jolyon diese Verbindung zugibt,« sagte er zu Tante Ann. »Wie ich höre, haben sie auf Jahre hinaus keine Aussicht sich zu heiraten. Dieser junge Bosinney (er machte im Gegensatz zu der üblichen Anwendung des offenen o einen Dactylus aus dem Wort) besitzt nichts. Als Winifred damals Dartie heiratete, sorgte ich dafür, daß er jeden Pfennig sicher anlegte – ein wahres Glück übrigens – sonst hätten sie jetzt nichts mehr!«
Tante Ann blickte von ihrem Sammetsessel auf. Graue Locken rahmten ihre Stirn ein, Locken, die seit Jahrzehnten unverändert, allen Sinn für Zeit in der Familie ausgelöscht hatten. Sie erwiderte nichts, denn sie sprach selten und schonte ihre alte Stimme, aber für James, der kein ganz ruhiges Gewissen hatte, war ihr Blick so gut wie eine Antwort.
»Ja,« sagte er, »ich konnte nichts dafür, daß Irene kein Geld hatte. Soames hatte es so eilig, er magerte sichtlich ab, als er sich so lange um sie bewarb.«
Verdrießlich stellte er die Schale aufs Klavier und ließ seine Augen zu der Gruppe an der Tür wandern.
»Meiner Ansicht nach,« sagte er ganz wider Erwarten, »ist es ganz gut so wie es ist!«
Tante Ann forderte ihn nicht auf, diese merkwürdige Äußerung zu erklären. Sie wußte was er dachte. Da Irene keine Mittel hatte, würde sie nicht so töricht sein dumme Streiche zu machen, denn es hieß – es hieß – sie habe getrennte Zimmer verlangt; aber Soames natürlich hatte nicht –
James unterbrach sie in ihrer Träumerei.
»Wo ist denn Timothy?« fragte er. »Ist er nicht mitgekommen?«
Über Tante Anns zusammengepreßte Lippen drängte sich ein Lächeln.
»Nein, er hat es nicht für ratsam gehalten, wo so viel Diphtheritis in der Luft liege und er so dazu neige, sich etwas zu holen.«
»Ja,erist sehr besorgt um sich,« erwiderte James. »Ich kann's mir nicht leisten, so besorgt um mich zu sein, wie er.«
Es war nicht leicht zu sagen, ob Bewunderung, Neid oder Verachtung in dieser Bemerkung vorherrschend war.
Timothy, das Baby der Familie, ließ sich in der Tat selten sehen. Er war Verleger von Beruf und hatte vor einigen Jahren, als das Geschäft noch in voller Blüte stand, eine Stockung vorausgewittert, die zwar noch immer nicht eingetreten war, aber nach der übereinstimmenden Meinung aller schließlich kommen mußte, darauf seinen Anteil an eine Firma verkauft, die sich hauptsächlich mit der Herstellung religiöser Bücher beschäftigte, und den ganz beträchtlichen Gewinn in goldsichern Papieren angelegt. Hierdurch war er sofort in eine völlig isolierte Stellung gekommen, denn kein Forsyte begnügte sich mit weniger als vier Prozent für sein Geld; und diese Isolierung hatte langsam aber sicher einen Geist unterminiert, der mehr zu Vorsicht neigte, als gemeinhin üblich war. Er war fast zur Mythe geworden – einer Art Verkörperung der Hypothekensicherheit, die im Hintergrund der Forsyteschen Welt spukte. Er hatte nie die Unklugheit besessen zu heiraten oder sich irgendwie mit Kindern zu behelligen.
James fuhr fort, indem er das Porzellan beklopfte:
»Das ist kein echtes altes Worcester. Jolyon hatdir doch wohl etwas über den jungen Mann gesagt. Nach allem wasichhöre, hat er weder ein Geschäft, noch ein Einkommen oder nennenswerte Verbindungen; aber ich weiß übrigens nichts – mir sagt keiner was!«
Tante Ann schüttelte den Kopf. Ein Zittern überflog ihr geierähnliches altes Gesicht mit dem eckigen Kinn; die spindeldürren Finger preßten und verflochten sich in einander, als wäre sie bemüht, ihre Willenskraft immer aufs neue anzuspannen.
Sie war um einige Jahre älter als die übrigen Forsytes und nahm deshalb eine besondere Stellung unter ihnen ein. Obwohl allesamt Opportunisten und Egoisten – wenngleich nicht mehr als ihre Nachbarn auch – schwand ihre Sicherheit doch ihrem unbestechlichen Wesen gegenüber, und wurde es ihnen einmal zu arg, so gingen sie ihr lieber aus dem Wege!
James schlug die langen dünnen Beine über einander und fuhr fort:
»Jolyon muß immer seinen eigenen Weg gehen. Er hat keine Kinder –« hier stockte er, denn ihm fiel ein, daß des alten Jolyon Sohn, der junge Jolyon, Junes Vater, noch existierte, der eine solche Torheit begangen und sich selbst um alles gebracht hatte, als er Weib und Kind im Stiche gelassen und mit der ausländischen Erzieherin durchgegangen war. »Na,« fing er hastig wieder an, »wenn er so was tut, muß er sich's wohl leisten können. Was gibt er ihr denn mit? Wohl tausend Pfund jährlich; er hat ja sonst niemand, dem er sein Geld hinterlassen kann.«
Er streckte die Hand aus, um sie einem lebhaften, glattrasierten Manne mit eingeknickter Nase, dicken Lippen und kalten grauen Augen unter rechtwinkligen Brauen zu reichen, der kaum ein Haar auf dem Kopfe hatte.
»Na, Nick,« brummte er, »wie geht's?«
Mit seiner vogelartigen Geschwindigkeit und dem Aussehen eines übernatürlich braven Schuljungen legte Nicholas Forsyte (er hatte es bei den Gesellschaften, deren Direktor er war, durchaus rechtmäßig, zu einem großen Vermögen gebracht) in diese kalte Hand seine noch kälteren Fingerspitzen und zog sie schnell wieder zurück.
»Mir geht's schlecht,« sagte er verdrießlich – »die ganze Woche schon; kann nachts nicht schlafen, der Doktor weiß nicht warum. Er ist ein tüchtiger Kerl, sonst hätte ich ihn nicht, aber ich bekomme nichts als Rezepte aus ihm heraus.«
»Doktoren!« fiel James ihm scharf ins Wort. »Ich hatte die Doktoren von ganz London für uns. Aus denen ist nichts Vernünftiges herauszubekommen, sie sagen einem irgend etwas. Da nimm zum Beispiel Swithin. Was haben sie dem genützt? Er ist dicker denn je, geradezu unförmig; sie bekommen sein Gewicht nicht herunter. Sieh ihn nur an!«
Swithin Forsyte, groß, vierschrötig und breit, mit einer Brust wie ein aufgeplusterter Täuberich im Staat seiner hellen Westen, kam gerade auf sie zustolziert.
»'n Tag, wie geht's,« sagte er in seiner stutzerhaften Weise.
Jeder der Brüder nahm eine gedrückte Miene an, wenn er die andern beiden ansah, denn er wußte aus Erfahrung, daß sie versuchen würden, seine Leiden durch die ihren in Schatten zu stellen.
»Wir sprachen eben davon,« sagte James, »daß du gar nicht dünner wirst.«
Swithins helle runde Augen quollen bei der Anstrengung hervor, die das Hören ihm bereitete.
»Dünner? Ich bin ganz zufrieden,« sagte er und neigte sich etwas vor, »nicht so ein Zwirnsfaden wie du!«
Aber in der Furcht etwas von seiner Stattlichkeit einzubüßen, nahm er wieder seine unbewegliche Haltung an, denn ihm ging nichts über eine distinguierte Erscheinung.
Tante Ann ließ ihre alten Augen von einem zum andern schweifen. Ihr Blick war ernst und mild. Die drei Brüder wiederum blickten Tante Ann an. Sie begann klapprig zu werden. Eine wunderbare Frau! Bald sechsundachtzig, und konnte gut noch zehn Jahre länger leben, dabei war sie nie sehr kräftig gewesen. Swithin und James, die Zwillinge, waren erst fünfundsiebzig, Nicholas ein wahres Baby an die siebzig. Alle waren gesund und die Aussichten darum tröstlich. Von allem Besitz lag ihre Gesundheit ihnen natürlich am meisten am Herzen.
»Mir geht's eigentlich recht gut,« fuhr James fort, »aber meine Nerven sind nicht in Ordnung. Die geringste Kleinigkeit ärgert mich zu Tode. Ich werde nach Bath gehen müssen.«
»Bath!« sagte Nicholas. »Ich hab's mit Harrogate versucht.Dashat gar keinen Zweck. Ich brauche Seeluft. Es geht nichts über Yarmouth. Wenn ich dort bin, schlafe ich –«
»Mit meiner Leber steht's schlimm,« unterbrach ihn Swithin langsam. »Scheußliche Schmerzen hier,« und er legte die Hand auf die rechte Seite.
»Mangel an Bewegung,« brummte James mit einem Blick auf die Porzellanschale. Schnell fügte er hinzu: »Habe da auch Schmerzen.«
Swithin wurde rot, sein altes Gesicht erinnerte an einen Truthahn.
»Bewegung!« sagte er. »Die hab ich reichlich. Ich benutze nie den Fahrstuhl im Klub.«
»Davon wußte ich nichts,« fiel James ein. »Ich weiß überhaupt von nichts; mir sagt keiner was.«
Swithin glotzte ihn an und fragte:
»Was tust du gegen die Schmerzen da?«
James leuchtete auf.
»Ich,« begann er, »ich nehme eine Mischung von –«
»Wie geht's, Onkel!«
June stand mit ausgestreckter Hand vor ihm und reckte ihr resolutes Gesichtchen empor zu dem seinen.
Das Leuchten in James Gesicht erlosch.
»Guten Tag,« sagte er unwirsch. »Du willst also morgen nach Wales, um die Tanten deines Verlobten zu besuchen? Da regnet es immer.« Er beklopfte die Schale: »Dies ist kein echtes altes Worcester. Das Service, das ich deiner Mutter zur Hochzeit schenkte, das war echt.«
June schüttelte ihren drei Großonkeln der Reihe nach die Hand und wandte sich darauf zu Tante Ann. Ein inniger Ausdruck war in das Gesicht der alten Dame gekommen, sie küßte dem Mädchen die Wange mit zitternder Inbrunst.
»Nun, mein Kind,« sagte sie, »du willst also auf einen ganzen Monat fort?«
Das junge Mädchen ging weiter, und Tante Ann sah der zierlichen kleinen Gestalt nach. Die runden, stahlgrauen Augen der alten Dame, die sich wie bei einem Vogel mit einem Häutchen zu überziehen begannen, folgten ihr nachdenklich durch das lärmende Gedränge, denn die Gesellschaft fing gerade an aufzubrechen; und ihre Fingerspitzen preßten sich in erneuter Anspannung ihrer Willenskraft wie zur Abwehr gegen jene unabwendbar letzte Reise immer fester an einander.
»Ja,« dachte sie, »es waren alle sehr freundlich; so viele kamen, um ihr zu gratulieren. Sie müßte so recht glücklich werden.«
Von den Gästen, die sich an der Tür drängten – lauter gutgekleidete Leute aus den Kreisen von Juristen, Ärzten, Kaufleuten und andern zahllosen Berufen des bessern Mittelstandes – waren nur etwa zwanzig Prozent Forsytes. Aber Tante Ann schien alle als Forsytes zu betrachten – und ein großer Unterschied war allerdings auch nicht vorhanden – sie sah nur ihr eigen Fleisch und Blut. Die Familie, das war ihre Welt, und für sie gab es keine andere, hatte es vielleicht nie eine andere gegeben. Alle ihre kleinen Geheimnisse, Krankheiten, Verlobungen und Heiraten, wie sie vorwärts kamen und ob sie Geld verdienten: alles dies war ihr Eigentum, ihre Freude, ihr Leben; darüber hinaus gab es nur einen vagen, schattenhaften Nebel von Ereignissen und Personen ohne eigentliche Bedeutung. Das würde sie eines Tages aufgeben müssen, wenn die Reihe zu sterben an sie kam; das gab ihr dieses Ansehen, jenes geheime Selbstgefühl, ohne das keiner von uns das Leben erträgt; und daran klammerte sie sich inbrünstig mit einer täglich wachsenden Gier. Wenn das Leben ihr auch entglitt,daswollte sie bis zum Ende behalten.
Sie dachte an den jungen Jolyon, Junes Vater, der mit der Ausländerin durchgegangen war. Das war ein Schlag für seinen Vater und sie alle. Solch ein vielversprechender Junge! Ein harter Schlag, wenn es auch glücklicherweise zu keinem öffentlichen Skandal gekommen war, da Jo's Frau keine Scheidung gewollt hatte! Es war lange her! Und als Junes Mutter vor acht Jahren starb, hatte Jo jene Person geheiratet, und sie hatten jetzt zwei Kinder, wie sie gehört. Dennoch hatte er sein Recht verwirkt hier zu sein, hatte sie um die höchsten Erwartungen betrogen, die der Familienstolz in ihr erweckt, und sie der Freude beraubt, ihren Liebling, solcheinen vielversprechenden Jungen, auf den sie so stolz gewesen, zu sehen und zu küssen! Dieser Gedanke zehrte mit der Bitterkeit lang erlittenen Unrechts an ihrem zähen alten Herzen. Ihre Augen wurden feucht und sie trocknete sie verstohlen mit einem Taschentuch aus feinstem Batist.
»Na, Tante Ann?« sagte eine Stimme hinter ihr.
Soames Forsyte, flachschultrig, glattrasiert, schmalwangig und engbrüstig, aber doch etwas geschlossen Vornehmes über seiner ganzen Erscheinung, sah schräg auf Tante Ann herab, als versuche er durch seine eigene Nase zu sehen.
»Und was sagstduzu dieser Verlobung?« fragte er.
Tante Anns Augen ruhten mit Stolz auf ihm. Als der Älteste ihrer Neffen seit dem Verschwinden des jungen Jolyon aus dem Familienkreise, war er jetzt ihr Liebling, denn in ihm erkannte sie einen treuen Heger der Familienseele, die ihrer Obhut so bald entrissen werden sollte.
»Sehr erfreulich für den jungen Mann,« sagte sie, »er sieht übrigens gut aus. Aber ich weiß nicht, ob er so ganz der Rechte ist für unsere June.«
Soames befühlte den Rand eines vergoldeten Kronleuchters.
»Sie wird ihn zähmen,« sagte er, indem er seinen Finger heimlich naß machte und an den höckrigen Buckeln rieb. »Das ist echte alte Vergoldung, so was gibt es heute gar nicht mehr. Der brächte einen guten Preis bei Jobson.« Er sprach mit Behagen, als fühle er, daß er die alte Tante aufheitere. Er war selten so mitteilsam. »Ich wollte, er gehörte mir,« fügte er hinzu, »alte echte Sachen wird man jederzeit gut los.«
»Du verstehst dich so gut auf solche Dinge,« sagte Tante Ann. »Und wie geht es Irene?«
Soames' Lächeln erstarb.
»O, ganz gut,« sagte er. »Sie klagt über schlechten Schlaf, dabei schläft sie viel besser als ich,« und er blickte zu seiner Frau hinüber, die an der Tür mit Bosinney sprach.
Tante Ann seufzte.
»Vielleicht wäre es besser,« sagte sie, »wenn sie nicht so viel mit June zusammensteckte. Sie ist ein so ausgesprochener Charakter, die liebe June!«
Soames stieg die Röte ins Gesicht; sie flog über seine schmalen Wangen und setzte sich als Merkmal quälender Gedanken zwischen den Augen fest.
»Ich weiß nicht, was sie an dem kleinen Irrwisch findet,« entfuhr es ihm, doch als er merkte, daß sie nicht länger allein waren, drehte er sich um und fing wieder an, den Kronleuchter zu untersuchen.
»Ich höre, Jolyon hat ein neues Haus gekauft,« sagte seines Vaters Stimme dicht neben ihm; »er muß einen Haufen Geld haben – mehr, als er zu gebrauchen weiß! Am Montpellier Square, sagen sie, dicht neben Soames! Mir hat keiner was davon gesagt – Irene sagt mir nie was!«
»Ausgezeichnete Lage, keine zwei Minuten von mir,« ließ sich Swithins Stimme vernehmen, »und von meiner Wohnung fahre ich in acht Minuten bis zum Klub.«
Die Lage ihrer Häuser war für die Forsytes eine Lebensfrage, kein Wunder übrigens, denn die ganze Seele ihres Erfolges war darin verkörpert.
Ihr Vater, der einem Bauerngeschlecht entstammte, war im Anfang des Jahrhunderts von Dorsetshire gekommen.
Von Beruf Steinmetz, hatte er sich zum Baumeister emporgearbeitet. Gegen Ende seines Lebens war er nach London gezogen, wo er in Highgate begrabenwurde, nachdem er bis an seinen Tod gebaut hatte. Er hinterließ seinen zehn Kindern über dreißigtausend Pfund. Wenn der alte Jolyon ihn überhaupt einmal erwähnte, beschrieb er ihn als einen ›Mann von kräftig derbem Schlag – nicht sonderlich fein‹. Die zweite Generation hatte allerdings das Gefühl, daß nicht viel Staat mit ihm zu machen war. Der einzige aristokratische Zug, den sie in seinem Wesen entdecken konnten, war seine Gewohnheit Madeira zu trinken.
Tante Hester, eine Autorität auf dem Gebiet der Familiengeschichte, schilderte ihn in folgender Weise:
»Ich erinnere mich nicht, daß er je etwas tat, wenigstens nicht zumeinerZeit. Er war eben – Hausbesitzer, weißt du. Sein Haar war etwa von der Farbe wie das von Onkel Swithin; ziemlich vierschrötig war er. Groß? N–nicht sehr (er war fünf einen halben Fuß hoch gewesen, mit roten Flecken im Gesicht), er hatte frische Farben. Trank sehr gern Madeira, das weiß ich noch, fragt nur Tante Ann. WasseinVater war? Der, hm – der hatte mit dem Land da unten in Dorsetshire, an der See, zu tun.«
James war einmal hingefahren um selbst zu sehen, aus was für einer Gegend sie eigentlich stammten. Er fand zwei alte Pachthöfe vor, von wo aus eine Wagenspur, die die rote Erde durchfurchte, zu einer Mühle unten am Strande führte, eine kleine graue Kirche innerhalb einer Pfeilermauer und eine noch kleinere und grauere Kapelle. Der Strom, der die Mühle trieb, kam in einem Dutzend kleiner Bäche plätschernd herab, und an der Bucht trieben sich Schweine umher. Ein leichter Nebel verhüllte die Aussicht. Die Vorfahren der Forsytes waren es augenscheinlich zufrieden gewesen, hunderte von Jahren Sonntag für Sonntag, die Füße tief im Morast und den Blick aufs Meer gerichtet, durch diesen Hohlweg zu wandern.
Ob James im stillen auf ein Erbe gerechnet, oder sonst etwas ganz Außergewöhnliches zu finden gehofft hatte oder nicht, er kam jedenfalls ganz kleinlaut nach der Stadt zurück und war aufs äußerste bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
»Da ist nicht viel zu holen,« sagte er, »ein richtiges kleines Landnest, und uralt.«
Das Alter war noch ein Trost. Der alte Jolyon, bei dem mitunter eine unverfrorene Offenherzigkeit hervorsprudelte, sprach von seinen Vorfahren zuweilen als von »Freisassen – kleine Verhältnisse vermutlich.« Doch wiederholte er das Wort »Freisassen«, als gewähre es ihm eine besondere Genugtuung.
Die Forsytes hatten es alle so weit gebracht, daß sie nun als »gutsituierte Leute«, wie man es nennt, eine gewisse Stellung einnahmen. Sie hatten ihr Vermögen in allen möglichen Aktien angelegt, nur – Timothy ausgenommen – nicht in Konsols, denn sie fürchteten nichts auf der Welt so sehr, wie drei Prozent für ihr Geld. Sie sammelten Bilder und unterstützten Wohltätigkeitsanstalten, die ihren kranken Dienstboten einmal zugute kommen konnten. Von ihrem Vater, dem Steinmetz, hatten sie Verständnis für Ziegel und Mörtel geerbt. Wenn sie ursprünglich vielleicht auch einer schlichten Sekte angehört hatten, waren sie nach dem natürlichen Lauf der Dinge jetzt Mitglieder der Staatskirche und hielten darauf, daß ihre Frauen und Kinder ziemlich regelmäßig die vornehmeren Kirchen der Hauptstadt besuchten. Zweifel an ihrer Christlichkeit hätten sie überrascht und verletzt. Einige von ihnen bezahlten sogar ihre Kirchenstühle und brachten so in der praktischsten Weise ihre Sympathie für die Lehren Christi zum Ausdruck.
Ihre Häuser lagen in bestimmten Abständen rings um den Park und paßten wie die Schildwachen auf,daß das reiche Herz Londons, an dem ihre Wünsche hingen, nicht ihren Händen entschlüpfte und sie dadurch in der eigenen Achtung sinken ließ.
Der alte Jolyon wohnte in Stanhope Place; James in Park Lane; Swithin in der einsamen Pracht orangefarbener und blauer Gemächer in Hyde Park Mansions – er hatte nie geheiratet – Gott bewahre! – Soames mit seiner Frau in ihrem Heim bei Knightsbridge; Roger in Prince's Gardens (Roger war dadurch merkwürdig unter den Forsytes, daß er sich vorgenommen und es durchgesetzt hatte, seine vier Söhne zu einem neuen Beruf zu erziehen. »Legt euer Geld in Häusern an – darüber geht nichts!« pflegte er zu sagen. »Ich hab's nie anders gemacht!«)
Dann Haymans – Mrs. Hayman war die einzige verheiratete Schwester der Forsytes – in einem Haus oben in Campden Hill, wie eine Giraffe anzusehen und so hoch, daß wer es betrachtete, einen steifen Nacken bekam. Nicholas wohnte in Ladbroke Grove in einer geräumigen Wohnung und billig dazu; und endlich Timothy am Bayswater Road, wo Ann, Hester und Juley unter seinem Schutze lebten.
James hatte die ganze Zeit nachdenklich dagestanden und fragte endlich seinen Gastgeber und Bruder was er für das Haus am Montpellier Square gegeben hatte. Er selber habe seit Jahren dort ein Haus im Auge, aber sie forderten einen zu hohen Preis dafür.
Der alte Jolyon berichtete über die Einzelheiten seines Kaufes.
»Auf zweiundzwanzig Jahre?« wiederholte James, »gerade das Haus, das ich wollte – du hast zu viel dafür bezahlt!«
Der alte Jolyon runzelte die Stirn.
»Ich will es nicht etwa für mich haben,« sagte James hastig, »zu dem Preis paßt es nicht für meineZwecke. Soames kennt das Haus sehr gut, na – er wird dir sagen, daß es zu teuer ist – auf sein Urteil kann man etwas geben.«
»Ich gebe keinen Pfifferling dafür,« sagte der alte Jolyon.
»Meinetwegen,« brummte James, »du mußt ja immer deinen Willen haben – aber sein Urteil ist gut. Adieu! Wir wollen nach Hurlington hinausfahren. Ich höre, June geht nach Wales. Du wirst morgen allein sein. Was hast du vor? Du solltest zum Essen lieber zu uns kommen!«
Jolyon lehnte ab. Er ging mit an die Haustür, half ihnen in den Wagen und winkte ihnen zu, denn er hatte seinen Unmut schon vergessen. Im Fond saß groß und majestätisch James' Frau mit kastanienbraunem Haar, ihr zur Linken Irene – die beiden Gatten, Vater und Sohn, nahmen eifrig, fast erwartungsvoll, ihren Frauen gegenüber Platz. Auf ihren Sprungfederpolstern hin und her geworfen, gaben sie schwankend jeder Bewegung des Wagens nach und fuhren, von den Blicken des alten Jolyon begleitet, schweigend im Sonnenschein davon.
Während der Fahrt unterbrach James' Frau das Schweigen.
»Ist euch jemals eine solche Gesellschaft schnurriger Leute vorgekommen?«
Soames, der sie unter seinen Lidern hervor flüchtig ansah, nickte und bemerkte, wie Irene ihm einen ihrer unergründlichen Blicke zuwarf.
Höchst wahrscheinlich hatte jeder Zweig der Familie Forsyte auf der Heimfahrt von dem Empfang beim alten Jolyon diese Bemerkung gemacht.
Unter den letzten der aufbrechenden Gäste gingen der vierte und fünfte Bruder, Nicholas und Roger zusammen fort und schlugen die Richtung am Hyde Parkentlang nach einer Station der Untergrundbahn ein. Wie alle andern Forsytes in einem gewissen Alter, hielten sie sich eigenes Fuhrwerk und vermieden, wenn es sich irgend tun ließ, eine Droschke zu nehmen.
Es war ein schöner Tag, die Bäume des Parks standen in der vollen Pracht ihres Junilaubes, aber die Brüder schienen nicht auf die Natur zu achten, die nichtsdestoweniger zur Lebhaftigkeit ihres Ganges und der Unterhaltung beitrug.
»Ja,« sagte Roger, »ein schönes Weib, diese Frau von Soames. Ich höre, es stimmt da nicht alles.«
Dieser Bruder hatte eine hohe Stirn und von allen Forsytes die frischeste Farbe. Seine hellgrauen Augen musterten die Häuser der Straßenfront am Wege, und dann und wann hob er seinen Schirm, um die verschiedenen Höhen abzumessen.
»Geld hatte sie nicht,« erwiderte Nicholas.
Er selbst hatte sehr reich geheiratet, und da es noch in der goldenen Zeit vor Einführung des Vermögensrechts der Ehefrauen war, glücklicherweise einen vorteilhaften Gebrauch von dem Gelde machen können.
»Was war ihr Vater?«
»Er hieß Peron, Professor, wie ich höre.«
Roger schüttelte den Kopf.
»Das bringt nichts ein,« sagte er.
»Ihr Großvater von Mutters Seite soll in Cement gearbeitet haben.«
Rogers Gesicht erhellte sich.
»Er machte aber Bankrott,« fuhr Nicholas fort.
»Ja, ja,« rief Roger aus. »Soames wird seine Not mit ihr haben, denk an mich, er wird seine Not mit ihr haben – sie hat was Verdächtiges im Blick.«
Nicholas leckte sich die Lippen.
»Sie ist eine schöne Frau,« sagte er und schob einen Straßenkehrer beiseite.
»Wie kam er eigentlich an sie heran?« fragte Roger darauf. »Ihre Toilette muß ihn ein Heidengeld kosten!«
»Ann sagt,« erwiderte Nicholas, »er war ganz toll hinter ihr her. Fünfmal hat sie ihn abgewiesen. James ist die Sache fatal, das ist ihm anzumerken.«
»Für James tut es mir leid,« fing Roger wieder an, »er hat schon mit Dartie seine Not gehabt.« Das Gehen hatte seine frische Farbe noch erhöht, er schwang den Schirm öfter denn je bis in Augenhöhe. Auch Nicholas' Gesicht hatte einen heitern Ausdruck.
»Zu blaß für meinen Geschmack,« sagte er, »aber die Figur ist prachtvoll!«
Roger erwiderte nichts.
»Ich finde, sie sieht vornehm aus,« sagte er endlich – es war das höchste Lob im Forsyteschen Wortschatz. »Dieser junge Bosinney soll so'n Kunstfex sein – hat sich in den Kopf gesetzt, die englische Architektur zu vervollkommnen; das bringt nichts ein! Ich möchte wissen, was Timothy dazu sagt.«
Sie betraten die Bahnstation.
»Welche Klasse fährst du? Ich fahre zweiter.«
»Nur nicht zweiter,« sagte Nicholas, »man weiß nie, was man sich da holt.«
Er nahm ein Billett erster Klasse nach Notting Hill Gate, Roger eins zweiter nach Kensington. Eine Minute später fuhr der Zug ein, die Brüder trennten sich und jeder stieg in sein Abteil. Beide waren verletzt, daß der andere nicht von seiner Gewohnheit abgewichen war, um seine Gesellschaft etwas länger zu genießen.
»Immer ein alter Starrkopf dieser Nick!« dachte Roger bei sich.
Oder wie Nicholas es im stillen ausdrückte: »Ein unverträglicher Geselle war Roger von jeher!«Sentimentalität war nicht gerade Sache der Forsytes. Wo sollten sie in dem großen London, das sie sich erobert hatten, und in dem sie untergetaucht waren, auch die Zeit hernehmen, sentimental zu sein?
