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Die Frau auf Sylt: Roman E-Book

Lotte R. Wöss

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Beschreibung

Hanna verschwand vor zehn Monaten spurlos, nachdem sie ein gewaltiges Vermögen geerbt hatte. Während ihre Freunde und Ex-Freund Thorben noch heute der Meinung sind, sie genieße ein Leben in Saus und Braus und sie wolle nicht gefunden werden, ist ihre beste Freundin Marie sich sicher: Hanna ist ermordet worden. Doch nicht einmal die Polizei schenkt ihr Glauben. Gerade als Marie hofft, endlich mit der Sache abschließen zu können, traut sie ihren Augen kaum. In einer Zeitung entdeckt sie ein Bild von Hanna in Gesellschaft eines fremden Mannes in einem Café auf Sylt. Der Dekoration nach, muss es um die Weihnachtszeit entstanden sein – zwei Monate nach Hannas verschwinden. Sofort bricht Marie auf, um dem Geheimnis auf die Spur zu gehen. Schnell findet sie Freunde, die sie bei ihrer Suche unterstützen. Dabei lernt sie auch David kennen, einen Wissenschaftler, in den sie sich sogleich verliebt. Während zunächst alles den Anschein hat, als könnte Marie trotz der Sorge um Hanna glücklich werden, ahnt sie noch nicht, in welcher Gefahr sie tatsächlich schwebt und was für ein Netz aus Lügen und Intrigen Hannas Verschwinden umgibt.

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Prolog
Kapitel 1 (Marie)
Kapitel 2 (Marie)
Kapitel 3 (Marie)
Kapitel 4 (Marie)
Kapitel 5 (David)
Kapitel 6 (Marie)
Kapitel 7 (David)
Kapitel 8 (Marie)
Irgendwo auf Sylt
Kapitel 9 (Marie)
Kapitel 10 (David)
Irgendwo auf Sylt
Kapitel 11 (Marie)
Irgendwo auf Sylt
Kapitel 12 (Marie)
Irgendwo auf Sylt
Kapitel 13 (Marie)
Kapitel 14 (David)
Irgendwo auf Sylt
Kapitel 15 (David)
Kapitel 16 (Marie)
Kapitel 17 (David)
Westerland
Kapitel 18 (Marie)
Kapitel 19 (David)
Kapitel 20 (Marie)
Kapitel 21 (David)
Kapitel 22 (Marie)
Kongresszentrum Westerland
Kapitel 23 (David)
Kapitel 24 (Marie)
Zwischen Deutschland und Dänemark
Kapitel 25 (Marie)
Kapitel 26 (David)
Kapitel 27 (Marie)
Danksagung
Weitere Veröffentlichungen

 

 

 

 

 

 

Lotte R. Wöss

Die Frau auf Sylt

 

 

Über das Buch:

 

Hanna verschwand vor zehn Monaten spurlos, nachdem sie ein gewaltiges Vermögen geerbt hatte. Während ihre Freunde und Ex-Freund Thorben noch heute der Meinung sind, sie genieße ein Leben in Saus und Braus und sie wolle nicht gefunden werden, ist ihre beste Freundin Marie sich sicher: Hanna ist ermordet worden. Doch nicht einmal die Polizei schenkt ihr Glauben.

 

Gerade als Marie hofft, endlich mit der Sache abschließen zu können, traut sie ihren Augen kaum. In einer Zeitung entdeckt sie ein Bild von Hanna in Gesellschaft eines fremden Mannes in einem Café auf Sylt. Der Dekoration nach muss es um die Weihnachtszeit entstanden sein – zwei Monate nach Hannas Verschwinden.

 

Sofort bricht Marie auf, um dem Geheimnis auf die Spur zu gehen. Schnell findet sie Freunde, die sie bei ihrer Suche unterstützen. Dabei lernt sie auch David kennen, einen Wissenschaftler, in den sie sich sogleich verliebt. Während zunächst alles den Anschein hat, als könnte Marie trotz der Sorge um Hanna glücklich werden, ahnt sie noch nicht, in welcher Gefahr sie tatsächlich schwebt und was für ein Netz aus Lügen und Intrigen Hannas Verschwinden umgibt.

Die Autorin:

 

 

Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.

Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman »Schmetterlinge im Himmel« als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin als auch in Verlagen.

Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit, an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer eins.

Lotte R. Wöss

 

Die Frau auf Sylt

 

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

September © 2022 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Nicole Siemer

 

Korrektorat: Tino Falke

www.tinofalke.de/lektorat

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 235000824, Adobe Stock ID 332668485, Adobe Stock ID 127449673, Adobe Stock ID 113481608 und freepik.com

Prolog

 

Breitbeinig stand er vor der Leiche.

Eigentlich schade. Sie war gut gewesen. Hatte sich in sein Betriebssystem gehackt bis in die verborgensten Schichten. Und sämtliche Geheimnisse aufgedeckt. Wie schockiert sie getan hatte!

Hatte sie tatsächlich gedacht, dass man es im Leben weit brachte, wenn man sich von moralischen Bedenken führen ließ?

Jetzt musste eine akzeptable Lösung her. Die Leiche zu entsorgen war das geringste Problem. Jem, einer seiner besten Männer fürs Grobe, würde das diskret erledigen.

Er selbst jedoch brauchte eine überzeugende Geschichte.

Nicht, dass es ihm größere Probleme bereiten würde, eine Unwahrheit zu erfinden. Lüge war praktisch sein zweiter Vorname. Wenn er nur daran dachte, wie seine Mutter, die naive Henne, ihm alles geglaubt hatte. Bis zum Schluss.

Vermutlich war sie auch da noch überzeugt gewesen, dass das Messer versehentlich zwischen ihre Rippen geraten war. Sie hätte ihm eben das Erbe früher auszahlen sollen.

Er wäre heute nicht da, wo er war, hätte er nicht gezielt ein paar Menschen beiseitegeräumt.

Die Welt hatte ohnehin zu viele davon. Und nur die Starken kamen durch.

So war es schließlich immer schon gewesen.

»Heute Nacht, Boss?« Jem stand vor ihm, hünenhaft, gelassen, hartgesotten.

Ein kurzes Nicken, dann verließ er den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Auf seinen Handlanger konnte er sich verlassen.

Kapitel 1 (Marie)

»Hanna, du wirst abgeholt.«

»O schade.« Marie nahm Hannas Hand, und gemeinsam liefen sie über die nasse Wiese zum Haus zurück. Das Tempo war wohl zu rasant, denn sie landeten im Gras.

Marie lachte und rappelte sich hoch.

Hanna blieb sitzen und begann zu weinen.

»Was ist los?«

»Ich bin schmutzig«, flüsterte ihre Freundin unter Schluchzen.

Eine halbe Minute später stand eine dunkel gekleidete Frau vor ihnen. Hannas Kindermädchen, die Marie »Eule« getauft hatte, weil die Augen hinter dicken Brillengläsern verborgen waren.

»Wie siehst du wieder aus?«, schimpfte die Eule. »Du weißt, dass deine Mama es hasst, wenn du dich wie ein Ferkel benimmst. Zur Strafe gehst du ohne Abendessen ins Bett.« Sie zog Hanna grob hoch und zerrte sie zu Tür.

Marie lief auf ihre geliebte Mama zu, die sie zärtlich in die Arme nahm.

 

* * *

 

»Entschuldigen Sie, wir wollen einchecken«, ertönte eine Stimme vor ihr, und Marie wurde aus ihren Gedanken gerissen. Wo war denn Joy? Eigentlich hätte die Auszubildende sich um die Anreisenden kümmern müssen.

Marie seufzte innerlich. An ihrer Autorität musste sie noch arbeiten. Aber das lag ihr einfach nicht. Sie hatte den Job in dem Innsbrucker Nobelhotel Alpenglück nur ihrem Verlobten Hendrik zuliebe angenommen, dessen Eltern eine gewöhnliche Kellnerin nicht genügte. Sie hatten ihr auch die Arbeit hier verschafft. Glücklich war sie in den Monaten, seitdem sie hier arbeitete, nicht geworden.

Die verwöhnten Gäste mit ihren hohen Ansprüchen in diesem Luxusressort nervten sie zusehends.

Die Bedienung auf den Skihütten hatte einfach mehr Spaß gemacht. Mit Hanna.

Wehmütig dachte sie an die Zeit zurück. Hanna fehlte ihr so sehr.

»Hallo? Hören Sie mir zu? Wir wollen einchecken!« Die Stimme klang nun richtiggehend scharf.

Mit Macht konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit und blickte auf den Bildschirm. »Ihr Zimmer ist noch nicht bereit, Herr Maler, ich gebe der Hausdame Bescheid, dass Sie angereist sind. Vielleicht möchten Sie in der Zwischenzeit einen Spaziergang zum ›Goldenen Dachl‹ machen? Es ist nicht weit von hier.«

»Das geht auf keinen Fall.« Herr Maler hob die Hand. »Ich hoffe, das mit dem Zimmer dauert nicht zu lange, meine Frau ist etwas unpässlich.«

»Das tut mir sehr leid. Vielleicht nehmen Sie drüben in der Sitzgruppe Platz? Ich telefoniere sofort.«

Unnötig, das Ehepaar Maler darauf hinzuweisen, dass die Zimmer normalerweise erst ab 15 Uhr bezugsfertig und sie somit zwei Stunden zu früh dran waren. Hier hatte sie dafür zu sorgen, dass dem Gast der Mond vom Himmel geholt wurde, sollte er es wünschen.

Marie fand Joy in dem kleinen Kämmerchen hinter der Rezeption. Die Siebzehnjährige spielte mit ihrem Handy. »Wo steckst du denn? Gib der Hausdame Bescheid, dass die Gäste von 367 schon angereist sind. Und kümmere dich ums Gepäck.«

»Jaja.«

»Und spuck um Himmels willen den Kaugummi aus!«

»Ich schieb ihn eh nach hinten.« Immerhin wählte sie eine interne Nummer und brachte in Erfahrung, dass das Zimmer in einer Stunde bezugsfertig sei.

»Eine Stunde noch.« Marie ahnte bereits, dass das Paar damit alles andere als einverstanden sein würde.

Widerwillig richtete sie die Botschaft aus. »Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit einen Kaffee anbieten?«

»Eine ganze Stunde!« Herr Maler schüttelte den Kopf.

»Einen Latte«, bat Frau Maler, deren Hochsteckfrisur ihre Wangenknochen betonte.

»Für mich einen Schwarzen, wenn es denn sein muss.« Herr Maler sah sich um. »Gibt es hier einen Kiosk? Dann hole ich mir eine Zeitung.«

»Gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite.«

Der Herr stand ohne ein weiteres Wort auf.

Marie gab dem Küchenservice Bescheid, dass sie die beiden Kaffeewünsche erfüllten.

Neue Gäste reisten an, das Telefon klingelte, und Marie musste eine Rechnung für einen abreisenden Herrn drucken lassen.

Schließlich meldete sich die Hausdame, dass Zimmer 367 bezugsfertig sei. Marie sah zu Joy, die erneut auf ihrem Handy herumtippte. Seufzend begab sie sich selbst zur Sitzecke und wollte die gute Nachricht überbringen. Frau Maler war nicht da, vielleicht zur Toilette gegangen. Herr Maler hatte eine große Tageszeitung aufgeschlagen und war in die Lektüre vertieft. Er hörte Marie offenbar nicht kommen, die sich von hinten näherte.

Ein Bild erweckte ihre Aufmerksamkeit, wie erstarrt blieb sie stehen. Sie hörte Joy von der Rezeption her rufen, doch sie reagierte nicht. Der Deutsche machte Anstalten umzublättern, da griff sie, ohne nachzudenken, über seine Schulter und zog ihm das Blatt aus den Händen.

»Jetzt hören Sie mal …«

Sie beachtete seinen Protest nicht.

Wie in Trance starrte sie auf das Foto, konnte den Blick nicht lösen. Ihr Hals wurde eng, und sie vergaß zu atmen.

Hanna.

Auf dem Foto war eindeutig Hanna zu sehen.

Ihre Freundin Hanna, die vor zehn Monaten verschwunden war. Alles hatte dafürgesprochen, dass sie sich mit ihrem gesamten Vermögen nach Dänemark abgesetzt hatte. Niemand hatte daran gezweifelt.

Ausgenommen Marie.

Sie hatte niemals an diese Version geglaubt. In ihrem tiefsten Inneren spürte sie, dass Hanna nicht mehr lebte.

Nun war sie verunsichert.

Auf dem Foto saß ihre beste Freundin lachend in einem Gasthaus oder einer Bar, ihre Haare hatten eine andere Farbe, und der Mann, den sie innig anlächelte, war Marie unbekannt. Das Halstuch, das Hanna trug, identifizierte sie eindeutig.

Denn Marie hatte es ihr geschenkt.

O Gott, Hanna lebte. Wo war sie da? Ein gemaltes Bild war im Hintergrund zu erkennen. Es zeigte einen Leuchtturm im Vordergrund und ein stürmisches Meer dahinter.

Das durfte nicht wahr sein.

Sie hatte sich Sorgen gemacht, hatte vehement bestritten, dass Hanna, ihre Hanna, einfach abhauen würde – und jetzt das?

Jemand zog an ihrem Unterarm.

»Sie unverschämte Trine. Was stehen Sie da rum wie ein Zinnsoldat? Geben Sie sofort meinem Mann die Zeitung zurück.«

Marie sah nun direkt in die Augen der Dame, dick geschminkte Lippen und pudriges Make-up. Automatisch trat sie einen Schritt nach hinten und drückte die Zeitung an sich. »Tut mir leid, aber ich brauche sie.« Hastig begann sie, das große Papier zusammenzufalten.

»Was soll das heißen?« Nun baute sich auch der Herr vor ihr auf. »Das war das letzte Exemplar des ›Norddeutsch Kuriers‹, und ich habe ihn noch nicht zu Ende gelesen.«

Marie drehte sich um, eilte zur Rezeption zurück, an Joy vorbei, die sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Offenbar hatte sie gerade einem Gast ein paar Sehenswürdigkeiten empfohlen, denn aus dem Augenwinkel registrierte Marie, dass die Auszubildende den Stadtplan und einen Stift in Händen hielt. Sie beachtete sie nicht weiter, stürzte förmlich ins Hinterzimmer und stieß die Tür zu.

Dort ließ sie sich auf einen der Bürostühle sinken und faltete die Zeitung erneut auseinander.

Es musste Hanna sein. Das schmale, lange Gesicht mit der Nase, die Hanna von klein auf für zu groß erachtet hatte, die hellen Augen, sofern man das auf dem Foto erkennen konnte. Lediglich die Frisur war anders. Statt des dunklen Zopfs, den sie immer trug, waren die langen glatten Haare offen und mittelblond gefärbt. Zudem hatte sie noch nie zuvor so schwarze Kleidung getragen, sie liebte es bunt. Nur das rot gemusterte Halstuch brachte Farbe ins Bild.

Es war das Tuch. Tiroler Handarbeit, ein Unikat.

Lichterketten, Sterne und Kerzen waren zu sehen, eine deutliche Weihnachtsdekoration.

Aber Hanna war weit vor Weihnachten verschwunden.

Das hieß, dass sie im Dezember noch am Leben gewesen sein musste.

O Gott, Hanna, warum hast du dich nie gemeldet? Tränen traten Marie in die Augen, und das Bildnis verschwamm.

Wer war der Mann neben ihrer Freundin?

Marie las den Artikel. Das Bild war auf Sylt entstanden, jenem Ort, an dem sie zuletzt von Hanna gehört hatte. Das Foto bot einen Blick in einen Gastraum, mehrere Personen saßen an Tischen, in der Mitte eine Art Bar oder Ausschank. Die meisten Leute waren nur undeutlich in Teilstücken oder von hinten drauf, lediglich Hanna und der Fremde waren klar zu erkennen. Es ging um den Tourismusaufschwung in den Orten und dass langsam nach der Coronapandemie wieder Festivitäten stattfinden würden. Mehrere Fotos schmückten den Bericht aus, mit der typischen Dünenlandschaft der Insel und einem kleinen Hafen.

Unter dem Bild stand, dass es einige Weihnachtsfeiern gegeben hätte. Weihnachtszeit – sie hatte sich nicht geirrt.

Marie fand keinen Hinweis darauf, wo das Foto genau gemacht worden war.

Das musste sich doch herausfinden lassen.

Der Norddeutsch Kurier war eine große deutsche Zeitung, sie würde dort anrufen und den Fotografen ausfindig machen.

Weihnachten – Hanna war laut Polizei im Oktober nach Dänemark gefahren. War sie danach irgendwann nach Sylt zurückgekehrt?

O Hanna, wieso hast du dich nicht gemeldet?

Langsam nahm der Raum um sie wieder Konturen an.

Sie hatte sich unmöglich benommen, das würde sie nun ausbaden müssen. Hoffentlich hatte Joy in der Zwischenzeit nichts angestellt, Marie musste sofort an die Rezeption zurück.

Rums!, wurde die Tür aufgerissen. Joy stand vor ihr. »Was machst du hier? Der Gast rastet förmlich aus! Warum hast du ihm die blöde Zeitung weggenommen?«

Was hatte Herr Maler gesagt? Dass es das letzte Exemplar wäre? Klar, in Österreich gab es nicht so viele Zeitungen aus Deutschland zu kaufen. Marie würde sie trotzdem auf keinen Fall zurückgeben, egal was passierte.

Joy blinzelte. »Sag schon, was steht denn da drin, dass du sie einfach an dich gerissen hast?«

Marie faltete die Zeitung mehrmals sorgfältig, vor allem, um das für sie so wertvolle Bild nicht zu beschädigen, und stopfte sie in ihre Handtasche, die hinter der Tür hing. Die Zeit bis zu ihrem Feierabend um sieben würde ihr lang erscheinen.

Vorher musste sie noch Herrn Maler besänftigen.

 

* * *

 

Die Kirchturmuhr von gegenüber schlug siebenmal. Aufatmend schlüpfte Marie aus der Dienstuniform und zog ihre Shorts und ein Top über. Ein merkwürdiges Gefühl von Aufregung erfasste sie. Die unschöne Szene im Hotel war an ihr vorbeigeglitten. Herr Maler hatte einen Riesenaufstand veranstaltet, schließlich hatte sie ihn mit einer Flasche Champagner, die sie auf ihre Kosten ins Zimmer liefern ließ, besänftigen können. Den gesamten Nachmittag hatte sie sich mühselig auf ihre Arbeit konzentriert, sie hatte funktioniert und hoffentlich keine Fehler gemacht. Sie hatte Hendrik eine kurze SMS geschrieben, dass sie noch etwas zu erledigen hätte, und danach ihr Handy auf stumm geschaltet.

Mit ihrem alten Fiat, der bereits sechzehn Jahre auf dem Buckel hatte, fuhr sie nach Jenbach, ihrem Heimatort. Auf der Autobahn benötigte sie normalerweise dazu eine halbe Stunde, doch ausgerechnet heute hatte es einen Unfall gegeben, und so kam sie nur schrittweise voran.

Vor ihren Augen sah sie immer wieder das Bild von Hanna vor sich.

Wer war der Mann auf dem Foto? Es gab nur eine einzige Person, die ihr darüber Auskunft geben konnte.

Zielsicher lenkte Marie ihren Wagen zu dem Wohnblock. Obwohl sie seit Monaten nicht mehr hier gewesen war, fand sie den Weg problemlos.

Durch den Stau hatte sie viel Zeit verloren, zudem suchte sie zehn Minuten vergeblich nach einem Parkplatz. So war es schon fast halb neun, als sie bei Thorben Pichler Sturm läutete. Sie hielt die gefaltete Zeitung in den Fingern und gab nicht auf. Er musste zu Hause sein, denn sein Wagen stand vor der Tür.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich endlich meldete. »Was soll das?«

»Ich bins, Marie. Ich muss mit dir reden.«

»Gehts noch? Heute nicht.«

»Verdammt, es ist wichtig!«

»Ich bin nicht allein.«

Natürlich nicht. »Egal. Schick sie weg. Es betrifft Hanna.«

»Was sonst?«

Erleichtert hörte Marie den Türsummer und stieß die Tür auf. Sie nahm sich nicht Zeit für den Aufzug, sondern rannte die zwei Stockwerke zu Fuß hinauf und drückte auf den Klingelknopf neben Thorbens Tür.

Sie hatte den Finger noch auf dem Knopf, als die Tür aufgerissen wurde. Thorben trug lediglich eine Jogginghose, die seine schmalen Hüften hinunterzurutschen drohte, er hatte sich nicht verändert: Die Rippen traten deutlich hervor, seine langen Haare waren hinten lose mit einem Gummiband zusammengebunden, die spitze Nase dominierte sein Gesicht.

Weiß Gott, was Hanna an ihm gefunden hat, dachte Marie zum wiederholten Mal. Sie schob ihn zur Seite und trat ein.

»Komm doch rein«, sagte er mit spöttischem Unterton hinter ihr.

Sie hörte die Tür zufallen und betrat das Wohnzimmer.

Auf der Couch saß ein junges Mädchen, das gerade ihre Bluse zuknöpfte. Dabei warf sie ihr wütende Blicke zu, die vorgeschobene Unterlippe signalisierte zusätzlich, dass sie über die Störung alles andere als erbaut war.

»Also, was willst du?« Thorben angelte sich sein T-Shirt vom Stuhl und zog es über seinen mageren Körper. »Ich hoffe, du kommst nicht mit neuen Mordthesen, dass ich Hanna umgebracht und irgendwo verscharrt hätte.«

»Du bist mit ihr in diesem Urlaub gewesen, warst der Letzte, der sie gesehen hat. Was zum Teufel hätte ich sonst denken sollen?«

»Sie ist abgehauen, die verdammte Kohle hat ihr den Kopf verdreht. Und teilen wollte sie wohl nicht. Übrigens auch nicht mit dir.«

»Ich war nie scharf auf ihr Geld, im Gegensatz zu dir.« In Marie stieg die alte Wut hoch. »Du hast sie jahrelang hingehalten, bist mit anderen ins Bett gestiegen, aber gleich, als sie geerbt hat, wolltest du sie vom Fleck weg heiraten.«

»Was du ja verhindert hast, du Zicke.«

»Geht das noch lang?«, maulte das Mädchen von der Couch. »Wer ist die Kuh überhaupt?«

Marie trat zu ihr hin. »Wenn du ein bisschen Grips im Hirn hast, dann machst du dich vom Acker. Der Kerl hier«, sie deutete auf Thorben, »ist nicht wählerisch und hüpft mit jeder in die Kiste, die nicht bei drei auf dem Baum ist.«

»Jetzt reicht’s.« Marie spürte Thorbens harten Griff am Oberarm. »Die Einzige, die hier verschwindet, bist du.«

Sie riss sich los und legte die Zeitung auf den Tisch. »Sag mir, wo das ist. Und wer ist der Kerl neben ihr?«

»Was meinst du?«

»Hier.« Sie schlug mit der Hand auf das Foto. »Das ist Hanna. Wo wurde es gemacht?«

Nun beugte er sich über den Tisch. »Mich laust der Affe! Alle machen sich Sorgen um sie, und da hockt sie, mit ’nem neuen Macker. So eine betrügerische Ziege.«

»Ah, und wie oft bist du fremdgegangen?«

Thorben schüttelte den Kopf. »Das war nie was Ernstes. Leck mich am Arsch, das ist wirklich Hanna. Was ist das für eine Zeitung? Ist sie aktuell?«

»Ja, sie ist von heute. Der ›Norddeutsch Kurier‹, das ist ein Bericht von Sylt.«

»Dann kann das Foto auch älter sein.«

»Möglich. Aber es ist ein Weihnachtsbild, siehst du die Deko? Leuchtketten und Sterne. Wo ist diese Bar? Oder ist es ein Restaurant? Kommt dir das Bild mit dem Leuchtturm bekannt vor?«

»Meine Güte, davon gibt es viele auf Sylt, ist ja ein Touristenort und so.« Thorben ließ sich auf den Stuhl fallen. »Denkst du, dass Hanna noch auf Sylt ist? Aber sie ist doch auf die Fähre nach Dänemark gestiegen. Zumindest hat das die Polizei recherchiert.« Er rutschte vor und fixierte Marie. »Sieh mal an, jetzt sind all deine Anschuldigungen total haltlos geworden. Weil du dir nicht hast vorstellen können, dass deine Busenfreundin dich abgeschrieben hat und untergetaucht ist. War wohl doch nicht so dicke, die Freundschaft?«

In Maries Kopf wirbelten die Gedanken. Sie konnte es einfach nicht glauben! Hanna hätte sich niemals abgesetzt. Wozu auch? Durch ihr Erbe war sie plötzlich reich geworden und konnte endlich das Leben führen, das sie wollte. Weshalb sollte sie untertauchen und kein Lebenszeichen von sich geben?

Marie war überzeugt, dass ihr etwas zugestoßen sein musste.

Das Foto sprach jedoch eine andere Sprache.

Hatte Hanna womöglich ihr Gedächtnis verloren?

»Na, jetzt bist du sprachlos.« Thorben stand auf.

»Ist die bald fertig?«, ertönte es von der Couch.

»Meine Freundin ist verschwunden und vermutlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen.« Marie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Nein, ich bin nicht fertig, weil ich sie verdammt noch mal finden will und dein Typ da der Letzte war, der sie gesehen hat. Also verdrück dich, wenn es dir zu fad wird.« Damit setzte sie sich hin, egal ob es Thorben passte oder nicht.

»Darf sie so mit mir reden?« Das Mädchen schob die Unterlippe vor. »Sag doch was!« Ihre Augen hingen an Thorben.

Der wischte mit der Hand durch die Luft. »Zieh Leine«, sagte er schroff. »Wir sehen uns ein andermal.«

»Ganz sicher nicht.« Sie erhob sich, schloss ihre Shorts und schlüpfte in ihre Sandalen. »Verarschen lass ich mich nicht.« Damit stöckelte sie zur Tür, kurz darauf hörte man die Eingangstür zuknallen.

»Na bitte, bist du zufrieden? Jetzt hast du mir den Abend gründlich verdorben.« Thorben fuhr sich durchs Haar. »Alles wegen deiner Hirngespinste. Die Polizei ermittelt nicht, schon vergessen?«

»Ich weiß, dass mir die Polizei nicht geglaubt hat und dass du mit einer schneeweißen Weste dastehst. Aber ich kenne Hanna seit dem Kindergarten. Niemals wäre sie so einfach untergetaucht.«

»Du kanntest die arme Hanna. Ein Mädchen, das von seinen Eltern kurzgehalten wurde, das sich ständig anhören musste, was für ein Lottosechser es sei, adoptiert worden zu sein, und das sich alles hart erkämpfen musste. Und dann – bumm – sterben die Adoptiveltern, und sie erbt auf einmal einen Riesenbatzen Geld. Wenn das kein Grund ist auszuflippen!« Er schüttelte den Kopf. »All die Jahre war sie scharf drauf, mich zu heiraten, aber als sie dann reich war, war das Thema für sie vom Tisch.«

»Nein, sie hat lediglich gecheckt, dass du es niemals ernst gemeint hast. Als Erbin war sie plötzlich interessant für dich.«

»Nicht schon wieder die alte Leier.« Thorben stand auf und holte ein halb volles Glas vom Tisch, die dunkle Flüssigkeit sah nach Cola aus.

Marie musste schlucken, Thorben hatte recht. Es brachte nichts, wiederholt die alten Sachen aufzuwärmen. »Was hältst du von dem Foto?«

Thorben trank das Glas leer, stellte es ab und rülpste. »Was soll ich dazu sagen? Hanna ist Vergangenheit für mich. Sie hat mir gezeigt, dass ich ihr nichts mehr bedeute, und der Affe da«, er tippte auf das Foto, »scheint ihr neuer Lover zu sein.«

Marie musste zugeben, dass es den Anschein erweckte. Aber irgendetwas stimmte nicht mit dem Bild. Oder mit Hanna. Sie wirkte fremd. Es musste etwas mit ihr passiert sein, das fühlte sie.

»Du schnallst es immer noch nicht.« Thorben beugte sich zu ihr, dass sie seinen heißen Atem im Gesicht spürte. Automatisch fuhr sie zurück. »Hanna will auch von dir nichts mehr wissen. Sie führt jetzt ein mondänes Leben.« Mit der Hand klopfte er auf die Zeitung. »Sieh dir ihr neues Herzblatt an! Geschniegelt, Markenkleidung. Das Sakko kostet mehr, als du im Monat verdienst. Das ist die Welt, in der sie sich nun bewegt.«

Marie sprang auf. »Das stimmt nicht!« Ein Kloß saß ihr im Hals.

Thorben packte sein leeres Glas, schlurfte in die Küche, öffnete den Kühlschrank und warf ihr einen schrägen Blick zu. »Willst du auch was, wo du schon mal da bist?«

Marie hatte tatsächlich einen trockenen Mund, bei der Hitze kein Wunder. Das Fenster stand zwar offen, doch bei der Julihitze war das eher kontraproduktiv. »Ein Glas Wasser, gern.«

Thorben holte eine Flasche Cola heraus, schenkte sich ein und trank in durstigen Zügen. Dann angelte er ein weiteres Glas aus dem Schrank, hielt es unter den Wasserhahn und reichte es ihr schließlich.

Sie trank es fast in einem Zug leer. Ihr Blick fiel auf die Uhr an der Wand, es war nach neun. Die Helligkeit des Sommerabends täuschte.

Hendrik! Er wunderte sich bestimmt schon, wo sie blieb.

Aber das hier war wichtiger.

»Erzähl mir noch einmal von deiner letzten Begegnung mit Hanna.«

»Nicht wieder der Käse! Das hab ich doch schon hundertmal.«

»Ich möchte wirklich wissen, was sie zu so einem Schritt getrieben hat.«

Thorben seufzte übertrieben. »Scheinbar hältst du mich nicht mehr für einen Axtmörder. Zudem«, er breitete die Arme aus und drehte sich herum, »würde ich wohl nicht in diesem Loch wohnen bleiben, wenn ich mir Hannas Geld unter den Nagel gerissen hätte.«

Die schöne Zweizimmerwohnung als Loch zu bezeichnen, ließ wieder Wut in Marie hochsteigen. Sie wusste, dass sich Thorbens Mutter als Kassiererin in einem Supermarkt die Finger wund arbeitete, damit ihr einziger Sohn studieren konnte. Thorbens Vater hatte sich aus dem Staub gemacht und drückte sich vor den Unterhaltszahlungen.

Thorben schien nach ihm zu kommen. Von Arbeit hielt er nicht viel, und obwohl bald dreißig, war noch kein Ende abzusehen, wann er sein Studium beenden wollte. Marie konnte sich nicht erinnern, dass er jemals zu einer Prüfung angetreten wäre.

»Also, ihr wart essen.«

»Ich habe Fischbrötchen geholt, in der Nähe von dem Apartmenthaus, in dem wir wohnten, war nämlich so eine Wirtschaft. Wegen Corona haben wir vorn im Freien gegessen.«

»Ich dachte, ihr seid beide geimpft?«

»Ja, aber ich hatte mein Handy liegen gelassen. Also saßen wir auf einer Bank mit Blick auf das Meer, da habe ich Hanna noch mal gesagt, dass wir eigentlich heiraten könnten.«

»Eigentlich? Das war ja enorm romantisch.«

»Mein Gott, hätte ich eine Kapelle organisieren sollen? Hanna und ich waren seit sieben Jahren zusammen, da wird es doch Zeit. Und nach meinem ersten Heiratsantrag …«

»… den du ihr gleich beim Begräbnis ihrer Eltern gemacht hast, so in der Art, jetzt könnten wir ja bald heiraten, nachdem du vorher nichts davon hast wissen wollen? Das war wirklich ausgesprochen feinfühlig.«

»Hanna stand nie auf so was, die brauchte solchen Schnickschnack nicht.«

Damit hatte er recht. Hanna war durch die strenge karge Erziehung ihrer Eltern erwartungsfrei geblieben, das war auch der Grund, weshalb sie geglaubt hatte, sie bekäme nichts Besseres als Thorben ab.

»Okay, du hast sie also in deiner charmanten Art gefragt, ob sie dich heiraten will, und dann?«

»Hanna ist ausgeflippt.« Thorben schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht glauben. »Ich habe sie noch nie zuvor so erlebt. Sie ist aufgesprungen, hat mit dem halb gegessenen Fischbrötchen in der Luft herumgefuchtelt und gesagt, dass sie mich nie, niemals heiraten wird.«

»Da warst du bestimmt wütend.«

Er rieb über seine Nase. »Na ja, ein bisschen, klar. Ich meine, was hat die sich eingebildet? Tut so, als wäre ich der letzte Hirsch.«

»Stimmt ja auch.« Marie zuckte bei Thorbens Blick leicht zusammen, fuhr jedoch trotzdem fort. »Was hast du ihr schon zu bieten?«

»Ist das nicht egal? Hanna ist stinkreich geworden. So viel Geld, was braucht man da zu arbeiten?«

Marie ballte unter dem Tisch die Hände, sie musste sich zusammenreißen, um den Esel vor ihr nicht anzubrüllen. »Und dann?«

»Ich bin aufgestanden und weggegangen. Hab mich nicht umgedreht, bin die Stufen hinunter zum Strand und dort entlangspaziert, bis nach Westerland, so eine Stunde, und dann auf dem Weg im Inneren wieder zurück.«

»Und Hanna?«

»Hörst du mir überhaupt zu? Ich hab nicht geschaut, was die Zicke gemacht hat. Ich war wütend, verdammt! Aber wir hatten ja das gemeinsame Apartment, also musste ich wieder zurück. Als ich da zwei Stunden später hinkam, war es leer.«

»War Hanna in der Zwischenzeit da?«

»Weiß ich nicht. Hab ich der Polizei alles erzählt damals und dir übrigens auch. Du hattest ja nichts Besseres zu tun, als mich als Mordverdächtigen hinzustellen. Dabei gibt es keine Leiche, nicht wahr? Jetzt sitzt sie da und lacht sich einen ab, mit einem anderen. Vermutlich auch ein stinkreicher Schnösel, so wie der aussieht. Reich und Reich gesellt sich gern.«

Marie holte Luft und sah wieder auf das Bild. »Und du hast keine Ahnung, welche Bar das sein könnte?«

»Nö, wirklich nicht. Da gibt’s in jedem Ort solche Plätze mit überdachten Bars, das kann überall auf der Insel sein. Aber so groß ist die ja nicht.«

»Was meinte Hanna mit ihrer letzten Nachricht an mich? Was hat sie entdeckt?«

Er prallte zurück. »Du kannst mich noch hundertmal fragen, ich weiß es nicht. Aber damit du Ruh’ gibst …« Er stand auf und ging ins Nebenzimmer. Kurze Zeit später brachte er einen Laptop. »Der gehört Hanna. Ich habe schon geschaut, ob sie was geschrieben hat, da ist nichts Nennenswertes. Nada. Vielleicht siehst du ja mehr.«

Hannas Laptop? Fast zärtlich strich sie mit den Fingern darüber.

Thorbens Gesicht kam plötzlich ganz nah. »Und nun, Prinzessin?« Er zwinkerte und leckte mit der Zunge über seine Lippen. »Du hast mein Date vergrault. Wird’s was mit uns beiden?«

»Wenns jetzt zu schneien beginnt.« Marie stand auf. Es war Zeit, dass sie zu Hendrik kam. Der würde staunen. Denn er war auch einer gewesen, der ihr nicht geglaubt hatte.

Niemand hatte das innige Verhältnis, das sie zu Hanna gehabt hatte, verstanden.

Was sollte sie tun? Morgen musste sie bei der Zeitung anrufen und feststellen, wo und wann das Bild entstanden war.

Sie konnte sich nur vorstellen, dass Hanna gestürzt war oder so, und sich an nichts erinnern konnte. Aber wo war sie all die Monate gewesen? Weshalb hatte sie sich die ganze Zeit versteckt?

Thorben stand auf einmal auf und zog den Rotz in seiner Nase hoch. »Okay, ich bringe dir jetzt alles, was ich noch von Hanna hab. Und danach will ich dich nie wiedersehen, verstanden?«

Kapitel 2 (Marie)

Auf ihrem Handy sah sie fünf verpasste Anrufe von Hendrik. Er war bestimmt sauer. Sie setzte sich ins Auto und rief zurück.

Wie erwartet, war er ungehalten. »Wo steckst du denn, verdammt noch mal? Bei der Arbeit warst du nicht mehr, dort habe ich angerufen.«

»Hast du meine Nachricht nicht gelesen?«

»Ich dachte, du kämst zehn Minuten später oder so. Du kannst es doch nicht vergessen haben.«

Er klang wirklich total wütend, und in derselben Sekunde schoss ihr in den Kopf, warum. Ihr wurde siedend heiß, als Hendrik weiter schimpfte.

»Meine Eltern waren nicht begeistert, dass du nicht zum Essen erschienen bist. Das war extrem unhöflich.«

Die Einladung von seinen Eltern! Wie hatte sie die vergessen können? Sie schloss die Augen. Das würde Ärger geben.

Im Kopf formulierte sie Entschuldigungen. Aber sie wusste bereits jetzt, dass Hendrik nichts gelten lassen würde. Er hatte ihre Obsession, Hanna zu finden, ohnehin nie verstanden. Marie konnte das verstehen, denn die Indizien, dass Hanna sich freiwillig abgesetzt hatte, waren für alle ausreichend gewesen.

Aber sie hatte Hanna besser gekannt.

Oder hatte sie sich doch geirrt?

»Soll ich noch ins Restaurant fahren?« Sie sah an sich herab, die leichte Sommerhose und das Top eigneten sich so gar nicht für einen Besuch in Innsbrucks feinstem Lokal.

»Lebst du auf dem Mond? Es ist bald elf Uhr. Ich bin längst zu Hause.«

 

* * *

 

Die Rückfahrt ging schneller, dennoch war es fast Mitternacht, als sie das Wohnhaus erreichte, in dem sie seit zwei Monaten mit Hendrik die Dachwohnung bewohnte. Während sie mit dem verspiegelten Aufzug hochfuhr, wurde ihr wieder einmal bewusst, wie unwohl sie sich in diesem hypermodernen Ambiente fühlte.

Die Spiegel zeigten ihr, was sie ohnehin geahnt hatte: ihre zerzauste Frisur und das zerdrückte Oberteil.

Die Türen öffneten sich direkt im Apartment. Sie atmete kurz durch und betrat die Wohnung.

Hendrik saß auf der Ledercouch im Wohnzimmer über seinen Laptop gebeugt. Er trug immer noch seine Anzughose, lediglich seine Jacke hing fein säuberlich aufgehängt in der Garderobe. Er musste sie kommen hören, sah jedoch nicht auf.

»Hendrik, es tut mir leid.«

Er hob die Hand. »Einen Moment, ich muss noch diese E-Mail beantworten.«

Behände schlüpfte sie aus ihren Sandalen und stand dann barfuß hinter ihm. Sie hasste diese Situationen, in denen er sie warten ließ und sie sich vorkam wie eine reuige Sünderin.

Nach einer Minute wurde es ihr zu dumm, sie bewegte sich an ihm vorbei. »Ich geh duschen.«

»Na toll! Erst lässt du mich hängen und jetzt bist du sauer, weil ich dich kurz warten lasse? Das, was ich mache, ist wichtig, verstehst du?« Er hob den Kopf. »Meine Eltern hatten ihre Freunde, den Stadtrat Lachermayr und seine Frau, eingeladen. Sie wollten dich als meine Verlobte vorstellen. Ich dachte, es würde dir etwas bedeuten, dass meine Eltern dich anerkennen. Sie sind dir entgegengekommen, und du glänzt durch Abwesenheit? Nicht mal entschuldigt hast du dich. Ich hatte keine Ahnung, wo du steckst?«

»Ich habe dir eine Nachricht geschickt.«

»Toll! ›Komme heute später.‹ Das war enorm aussagekräftig. Für meine Eltern muss das so aussehen, als wäre dir eine Einladung von ihnen total unwichtig.« Er klappte den Laptop zu und verschränkte die Arme. »Ich warte immer noch auf eine plausible Erklärung.«

Marie ließ sich ihm gegenüber auf einen Lederstuhl fallen. »Es tut mir ehrlich leid, Hendrik. Aber heute ist etwas Wichtiges passiert.« Sie entrollte die Zeitung und deutete mit dem Finger auf das Foto. »Erkennst du Hanna? Sie ist auf Sylt, wo genau, weiß ich nicht, und …«

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, unterbrach er sie, ohne auch nur einen Blick auf das Bild zu werfen. »Du versäumst ein wichtiges Essen und bringst als Entschuldigung ein altes Zeitungsbild von deiner Freundin, die es nicht der Rede wert gefunden hat, sich zu verabschieden? Die sich monatelang nicht bei dir gemeldet hat? Und da freust du dich über ein Bild?«

»Sie lebt, das ist das Wichtigste, verstehst du? Es muss ihr irgendwas zugestoßen sein, Gedächtnisschwund oder so. Ich kann nicht glauben, dass sie einfach so untergetaucht wäre und …«

»Ist sie aber.« Er nahm ihr die Zeitung aus der Hand, betrachtete das Bild und schüttelte den Kopf. »Das hier beweist es nur zu deutlich. Du wolltest es nicht wahrhaben, obwohl die Polizei herausgefunden hat, dass sie die Fähre nach Römö genommen hat. Mit ihrem Geld im Gepäck.«

»Ich habe das nie geglaubt. Was sollte Hanna in Dänemark? Wenn sie von einem Land geträumt hat, dann war es Irland.«

»Wir haben das schon zigmal durchgekaut. Sie ist halt von Dänemark weitergereist, wohin auch immer.«

»Nein.« Marie schüttelte heftig den Kopf. »Und jetzt beweist das Bild, dass sie auf Sylt ist, und ich werde herausbekommen, was es damit auf sich hat.«

Es war heraus, noch ehe sie hatte darüber nachdenken können.

Sekundenlang war einzig Hendriks Atem zu hören. Schließlich räusperte er sich. »Habe ich richtig gehört? Wie willst du das denn anstellen?«

»Ich werde hinfahren.« Sie beugte sich vor. »Das muss ich tun, verstehst du? Thorben meinte auch, dass …«

»Thorben? Was hat der damit zu tun?« Hendrik stand auf und baute sich vor ihr auf. »Ah, daher weht der Wind. Jetzt kommen wir der Sache näher! Du warst vorhin bei ihm, nicht wahr? Hat er dir den Floh ins Ohr gesetzt, dass du Privatdetektivin spielen sollst?«

Sie holte tief Luft. »Ich war bei ihm, das stimmt. Deswegen habe ich auch das Essen vergessen. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, aber ich musste noch mal mit ihm reden. Er war der Letzte, der Hanna gesehen hat.«

Hendrik verengte die Augen zu Schlitzen. »Er hat doch damals bereits alles erzählt, nicht wahr? Was läuft da zwischen euch?« Mit zwei langen Schritten ging er zum Barschrank und holte eine Flasche Weinbrand heraus.

»Mit dem Foto hat sich ein neuer Blickwinkel ergeben, verstehst du das nicht?«

Es klirrte, als er ein Glas aus dem Schrank nahm und es auf dem kleinen Tischchen platzierte. »Nein, das begreife ich nicht. Thorben hat dir damals schon alles erzählt, was hat sich groß geändert?« Hendrik schraubte die Flasche auf und schenkte sich ein Glas ein. Mit dem Flaschenhals zeigte er auf Marie. »Willst du auch einen? Würde dir guttun.«

Sie schüttelte den Kopf. »Hendrik, ich habe das Gefühl, dass ich Hanna im Stich gelassen habe. Alle haben geglaubt, sie wäre untergetaucht. Nur ich nicht. Dennoch habe ich aufgegeben, nach ihr zu suchen.« Ein Kloß saß ihr im Hals. »Ich bin eine verdammt schlechte Freundin.«

»Marie, jetzt komm wieder runter. Ich weiß, dass die Geschichte rund um deine Freundin ein rotes Tuch für dich ist, aber du musst mal abschließen können. Hanna hat ein neues Leben begonnen und will dich nicht länger als Teil davon.«

»Schwachsinn!«

Hanna und sie, das war mehr als Freundschaft gewesen, sie waren durch dick und dünn gegangen. So eine tiefe Beziehung warf man nicht einfach aus einer Laune heraus fort.

Bis vor Kurzem hatte sich Marie damit abgefunden, dass Hanna tot sein musste. Doch dieses Bild veränderte alles.

Hendrik nahm einen großen Schluck, dann klang seine Stimme ruhig. »Marie, du ahnst wohl nicht, was für ein schlechtes Licht deine heutige Abwesenheit auf deinen Charakter wirft. Ich stehe kurz vor der Eröffnung meiner eigenen Kanzlei, und die Protektion von Stadtrat Lachermayr ist total wichtig für mich. Er ist in der Lage, mir lukrative Klienten zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass meine Kanzlei erfolgreich wird. Du hättest nur dazusitzen brauchen und ihn mit deinem Charme bezirzen, das wäre doch nicht zu viel verlangt gewesen. Schließlich kommt meine Karriere auch dir zugute.« Mit einer Handbewegung deutete er auf die Wohnung. »Den Luxus hier genießt du, das kannst du nicht bestreiten. Da du finanziell nichts dazu beitragen kannst und wirst, wäre das eine Möglichkeit, dich einzubringen.«

Wie bitte? »Was soll das heißen?«

»Marie, ich bitte dich.« Hendrik trank den Rest und schenkte sich gleich nach. »Du weißt, dass dein Aussehen dein größtes Kapital ist. Das ist gut fürs Geschäft, du wirst mich bei sämtlichen Geschäftsessen mit Klienten begleiten und eine positive Wirkung ausüben.«

Marie fühlte sich wie im falschen Film. Dass ihr Verlobter sie so direkt auf ihr Äußeres degradierte, hätte sie sich nie gedacht. »Ich habe einen Beruf.«

»Ich bitte dich.« Seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch. »Natürlich, jetzt im ›Alpenglück‹ hast du eine gehobenere Stellung inne, doch im Grunde genommen wirst du künftig nicht mehr arbeiten müssen. Wir wollen schließlich bald Kinder. So ein Fauxpas darf allerdings nicht noch mal passieren, das musst du mir versprechen.«

Marie schloss kurz die Augen, dann zwang sie sich zu einem ruhigen Tonfall. »Ich verstehe dich ja, und es tut mir leid, dass ich wegen dieses Fotos heute ein wenig durch den Wind bin.

---ENDE DER LESEPROBE---