Die Freiheit der Diebin - Lisa-Marie Schaundegl - E-Book

Die Freiheit der Diebin E-Book

Lisa-Marie Schaundegl

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Beschreibung

Hyperion ist eine Stadt ohne Gnade. Nur die Stärksten überleben ihre grausamen Straßen. Persephone Jones gehört zu ihnen. Ohne Eltern, Geld oder ein Dach über dem Kopf schlägt sie sich als Kind in Hyperion durch. Als sie älter wird erkennt sie ihre Begabung für Diebstahl und macht daraus ihren Beruf. Niemanden lässt sie an sich heran, bleibt alleine in der Dunkelheit Hyperions. Einzig Polizist Alec Winter, den sie aus Kindheitstagen kennt, sieht mehr in ihr. Gemeinsam verfolgen sie einen Kindermörder und Persephone erkennt, dass Freiheit nichts ohne jemandem ist mit dem man sie teilen kann.

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Seitenzahl: 226

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Lisa-Marie Schaundegl

Die Freiheit der Diebin

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

 

 

 

 

 

Die Freiheit der Diebin

von Lisa-Marie Schaundegl

 

 

 

 

 

Inhalt

Gewidmet meiner unglaublichen Oma, Sylvia Brunner. Hoffentlich wirst du noch viele weitere Jahre an meiner Seite Kuchen essen können.

Und meinen eigenen inspirierenden Helden. Danke für die Stärke und Eigensinnigkeit.

She had blue skin,

and so did he.

He kept it hid,

and so did she.

They searched for blue,

their whole life through,

then passed right by,

- and never knew.

Für alle die nicht anders sein wollen.

Blühende Blumen

Wenn rot und weiß die Mädchen blühn, hat Sünde nie ein Zeichen, sonst macht ein Fehltritt sie erglühn, die Furcht wie Schnee erbleichen. Was Schuld sei oder Schrecken nur, wer möcht es unterscheiden, wenn ihre Wange von Natur die Farbe trägt der beiden?

Die Blumen blühten als der Mord geschah.

Persephone hatte geglaubt, dass Morde nur an regnerischen Herbsttagen passierten.

Doch als ihre drogensüchtige Mutter ihren gewalttätigen Vater erschoss, war es Sommer und die Blumen blühten. Persephone war damals gerade acht Jahre alt geworden. Ihre langen braunen Locken versperrten ihr manchmal die Sicht, doch an diesem Tag sah sie alles.

Ihre Eltern stritten und wie immer wurde es in diesen Situationen laut. Persephone versteckte sich, auf keinen Fall sollte die Wut ihrer Eltern sich auf ihr entladen.

Das Essen auf dem Herd verbrannte, es roch widerlich in der kleinen Wohnung. Der Dreck stapelte sich, nichts war sauber.

Der Streit wurde hitziger und ihre Mutter zückte eine Pistole. Persephone wusste von der Feuerwaffe, allerdings hatte sie nie über deren Gebrauch nachgedacht. Die dürren Arme ihrer Mutter konnten das Gewicht der Waffe kaum bewältigen, nur das irre glitzern in ihren Augen schien ihr genügend Kraft zu verliehen.

Der Schuss schmerzte in ihren Ohren, alles wurde für einen Moment still. Das Blut ihres Vaters klebte an der Wand hinter ihm und sammelte sich langsam in einer Larche um seinen leblosen Körper.

Es tat ihr nicht leid um diesen brutalen alten Sack, dennoch erschreckte sie der Anblick. Persephone bewegte keinen Muskel.

Aus ihrem Versteck heraus starrte sie die Mutter an. Ein Zittern kroch die Arme ihrer Mutter entlang bis sie deren gesamten Körper erfasst hatte.

"Was sie jetzt wohl tun wird", fragte sie sich. Es dauerte einige Sekunden bis ihre Mutter sich wieder bewegen konnte und einen erstickten Seufzer von sich gab.

Sie durchsuchte Kästen nach Bargeld und sobald sie dieses fand, packte sie den Rest ihrer Habseligkeiten in einen alten, braunen Koffer.

Die kleine Persephone kam aus ihrem Versteck und stellte sich neben den Koffer ihrer Mutter. Diese schien sie erst wahrzunehmen, als sie nach dem Koffer griff und stattdessen Persephones Hand erwischte.

"Mama, wohin gehen wir?", fragte Persephone in ihrer ruhigen Kinderstimme und näselte am Rand ihres T-shirts. Die wunderschönen Augen der Mutter wurden groß und füllten sich mit Tränen. Sie beugte sich zu ihrer Tochter hinunter und umarmte sie fest.

"Mein Schatz, ich muss auf eine Reise gehen. Aber ich kann dich leider nicht mitnehmen.", antwortete die Mutter mit tränenerstickter Stimme, wieder durchfuhr sie ein Zittern.

"Aber Mama! Was passiert denn dann mit mir?"

Persephones Mutter strich ihr sanft über die Wangen und küsste sie dann auf die Stirn, hinterließ nichts außer einer Spur roten Lippenstifts. Sie sah ihrem Kind in die Augen und meinte traurig, aber bestimmt:

"Ab jetzt musst du auf dich selbst achtgeben. Auf den Straßen Hyperions musst du rücksichtslos und selbstsüchtig sein. Nur so wirst du überleben. Ich komme zurück und hole dich sobald ich kann."

Persephone nickte langsam. An diese Worte würde sie sich ihr Leben lang erinnern. Ihre Mutter nahm ihren Koffer, gab Persephone zwanzig Dollar und verließ die Wohnung.

Persephone sah in ihre Hand und steckte seufzend das Geld ein.

Nun hieß es auf die Behörden warten.

Während sie geduldig wartete knurrte ihr Magen, daher beschloss sie die restlichen Kekse in ihrer Geheimlade zu essen. Stunden später kam endlich die Polizei, jemand hatte den Schuss gehört und ließ es nicht auf sich beruhen. Zwei Detektives und ein paar übellaunige Spurensicherer durchsuchten die Wohnung. Persephone wusste, dass sie hauptsächlich nach Wertgegenständen suchten.

Allerdings würden sie kaum etwas finden. Persephone hatte bereits alle versteckt. Die Detektives waren beide schon älter, ihre Augen registrierten den Leichnam kaum, zu viele hatten sie in den Jahren gesehen.

Einer der Beiden, hatte eine Brille, einen leichten Bart und beugte sich zu Persephone um ein Gespräch zu beginnen.

"So kleine. Mein Name ist Detektive Brown, das hier ist mein Partner Detektive Mortez. Erzähl mal was passiert ist."

Persephone konnte den Kaffee in seinem Atem riechen und die Ungeduld in seiner Stimme hören. Der zweite Detektive sah sie nicht einmal an, stattdessen zündete er eine Zigarette an. Persephone würde nichts sagen, beschloss sie. Ihre Mutter würde zurück kommen und sie wollte ihr keinen Ärger machen.

Als Detektive Brown merkte das sie nicht sprechen würde, richtete er sich schwerfällig auf. Zu seinem Partner meinte er abfällig:

" Ruf das Jugendamt, sollen die sich doch mit der Göre rumschlagen." Detektive Mortez nickte und wählte eine Nummer in seinem Handy.

Die Polizei nahm Persephone mit aufs Revier und ließ sie dort auf einem Sessel Platz nehmen. Es herrschte reges Treiben und überall liefen Polizisten herum. Eine Nutte sowie ein Drogendealer saßen auf jeweils einem Sessel genau neben ihr. Der Drogendealer schien irgendwas genommen zu haben und brabbelte wild vor sich her. Persephone kannte diesen Zustand von ihrer Mutter und versuchte auf Fragen des Dealers möglichst höflich zu antworten. Die Nutte gab ihr wenig hilfreiche Tipps im befriedigen von Männern. Wieder versuchte Persephone höflich zu sein und möglicherweise würde ihr das Wissen irgendwann helfen.

Kurze Zeit später tauchte eine Frau auf. Sie hatte wirres rotes Haar, dunkle Augenringe und sah erschöpft aus.

"Ah, Mrs. Sandro. Schön sie zu sehen.", begrüßte Detektive Brown sie beinahe überschwänglich.

"Detektive Brown, gleichfalls. Wo ist sie?" Brown lächelte.

"Immer gleich auf den Punkt. Das mag ich an Ihnen. Da vorne sitzt sie. Laut dem Computer ist ihr Name Persephone Jones. Acht Jahre alt. Vater tot und ihre Mutter auf der Flucht. Hat bis jetzt kein Wort mit uns geredet. Bei ihren Sitznachbarn scheint sie gesprächiger zu sein." Mrs. Sandro sah zweifelnd zu der halbnackten Nutte und dem zitternden Dealer.

"Nun, vielleicht wirkt ihr Charm nicht bei jedem Kind. Ich versuche es mal."

Mrs Sandro setzte sich zu Persephone und strich ihre zerknitterte Bluse glatt. Offensichtlich hielt sie sich für besonders gut im Umgang mit verstörten Kindern.

"Hallo Persephone. Mein Name ist Rachel. Ich möchte über deine Eltern reden. Weißt du wo deine Mama zurzeit ist?"

Persephone verdrehte innerlich die Augen. Sie wollte einfach nur wissen, wo sie heute schlafen würde und sprach es daher direkt an:

" Was passiert jetzt mit mir, Rachel? Wo werde ich wohnen?" Sie machte sich nichts vor. Vermutlich würde es dort wo Persephone hinging auch nicht besser sein, als bei ihr Zuhause.

Die Sozialarbeiterin hob die Augenbrauen und sah Persephone überrascht an. "Nun, ich habe vor dich in St.Claires Waisenhaus für junge Mädchen zu bringen. Ein schöner Ort, er wird dir gefallen. Dort bleibst du bis ich eine Pflegefamilie für dich gefunden habe."

Ein Waisenhaus war nicht das Schlechteste. Man war ein Kind unter vielen. Es war wesentlich leichter abzuhauen falls es Probleme gab, oder sich unauffällig zu verhalten bis man alt genug war um für sich selbst sorgen zu können.

Persephone stand auf und deutete Mrs. Sandro an zu gehen.

Diese blickte ihr verwundert nach, folgte allerdings ohne große Widerrede. Die Detektives verabschiedeten sich nur mit einem Nicken und beschäftigten sich dann wieder mit ihrem Essen.

Obwohl es Sommer war, fror Persephone als sie draußen ankamen.

Ihr blaues T-Shirt und die Jeanshorts waren nicht für nächtliche Temperaturen gemacht.

Vielleicht war das auch nur der Schock der ereignissreichen Nacht.

Rachel Sandro fuhr ein kleines, altes Auto, offensichtlich verdiente man als Sozialarbeiterin nicht besonders viel.

Persephone seufzte und erstellte in ihrem Kopf eine Liste von Dingen die sie brauchen würde.

Neue Kleidung, ein Messer (zur Selbstverteidigung), eine Uhr und Tauschware für das Waisenhaus. Sie kannte ein paar Waisenkinder, hatte sich bereits mit ihnen auf den Straßen unterhalten.

Sie sagten immer, Tauschware war wesentlich besser als Geld, denn Geld kann gestohlen werden. Tauschware jedoch war nur von Wert wenn man einen geeigneten Käufer hatte.

"So Persephone. Das ist ein wirklich interessanter Name. Hat ihn deine Mama ausgesucht?" Persephone verdrehte die Augen, es war als würden alle Sozialarbeiter dasselbe Handbuch auswendig lernen. >Wie erschleiche ich mir das Vertrauen von Kindern< Ausgabe 1.

"Ich weiß nicht. Möglich. Ich hab in einem Buch gelesen das Persephone in der griechischen Mythologie Hades Frau war- dem Gott der Unterwelt. Kann sein das meine Eltern eine morbide, totliebende Ader hatten."

Beim Gedanken an die Seltsamkeit ihrer verkorksten Eltern musste sie grinsen. Rachel sah sie mit offenem Mund an.

Dieser Blick war Persephone nicht unbekannt. Viele Lehrer und Sozialarbeiter hatten denselben gehabt.

"Das wusste ich noch nicht. Liest du viel?" Persephone nickte.

"Nun du scheinst ein kluges Mädchen zu sein. Versuche also den Schwestern des Ordens nicht allzu viele Umstände zu machen. Sei ein braves Mädchen."

Wieder nickte Persephone nur. Die Tatsache das Rachel darauf hinweisen musste, bedeutete nichts Gutes.

Wenig später kamen sie in St. Claires an. Gemeinsam stiegen sie aus. Vor ihnen stand ein großes, graues Gebäude.

Es sah alt aus und war vollkommen dunkel. Ungeduldig klingelte Rachel an der Torglocke bis eine Frau in einer Nonnentracht das Tor öffnete und auf die vor ihr stehenden Personen starrte.

Die Frau war alt, hatte graues zu einem Dutt gedrehtes Haar und sah streng auf sie herab. Die Falten um ihre Augen und Mundwinkel schienen keine Lachfalten zu sein.

"Verzeihen Sie die nächtliche Störung, doch ich habe hier einen Schützling der ihnen zugeteilt worden ist. Können wir eintreten?"

Wiederwillig machte die Frau Platz und ließ sie eintreten.

Persephone sah sich aufmerksam um. Es war wichtig in jedem Raum eine oder mehrere Fluchtmöglichkeiten zu finden.

Sie befanden sich in einem großen Foye. Der Boden bestand aus dunkelroter Marmor und die Wände waren mit alten Fotos und Bibelzitaten geschmückt. Alles war blitzeblank und versprach ein sauberes und ordentliches Heim.

"Folgen Sie mir." Die alte Nonne brachte sie über eine breite Treppe in den ersten Stock. Je weiter man sich vom Foye entferte umso kahler wurden die Flure und Wände. Sie wurden in ein geräumiges Büro in welchem eine ebenso alte doch wesentlich autoritärere Person an einem Schreibtisch saß geführt.

Diese sah erst von ihren Papieren auf als die andere Nonne schweigend den Raum verlassen hatte. Offenbar legte sie viel Wert auf Privatsphäre.

"So Mrs. Sandro. Sie bringen mir einen neuen Zögling. Name des Kindes?" "Guten Tag, Oberin Moser. Es ist schön sie wieder zu sehen."

Rachel setzte sich auf einen der beiden Sessel die vor dem Schreibtisch aufgestellt waren und holte Persephones Akte heraus. Sie zitterte leicht und strich ständig nervös über ihre Bluse.

Persephone blieb stehen, dies war eine fremde Umgebung. Es könnte alles Mögliche passieren. Es war auf jeden Fall besser stehen zu bleiben und falls nötig schnell wegzulaufen. Sicherheit ging immer vor. Wenigsten diese eine Lektion hatten ihre Eltern ihr erfolgreich beigebracht.

"Setz dich Kind."

"Nein danke. Ich stehe lieber." Oberin Moser sah sie eindringlich an.

"Wenn ich sage du sollst dich setzten, dann setz dich, Kind!"

Die Autorität ließ Persephone zusammenzucken und schnell landete ihr Hintern auf dem zweiten Sessel. Oberin Moser lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder Rachel zu und wiederholte ungeduldig.

"Name?"

"Äh, ja richtig. Persephone Jones. Acht Jahre alt. Vater ermordet. Mutter auf der Flucht. Die Polizei geht davon aus das sie es war."

Persephone hörte gar nicht weiter zu. Wenn das wirklich ihr gesamtes Leben war, was war sie dann wert. Nur die Sünden ihrer Eltern.

"Gut, wir haben zufällig noch ein freies Bett. Den Papierkram werden wir morgen genauer besprechen. Auf Wiedersehen Mrs. Sandro."

Damit war die Sozialarbeiterin entlassen und verließ fluchtartig das Büro. Persephone sah ihr hinterher. Offenbar war Rachel Sandro tatsächlich ein Feigling ohne Rückgrat. Sie fragte sich ob die Frau immer schon so gewesen war, oder ob der Job sie so hat werden lassen.

Oberin Moser stand auf und stellte sich vor Persephone.

Auch sie trug wie die andere Nonne eine schwarze Kutte, allerdings befand sich auf ihrer rechten Brust ein Anstecker, der sie als Oberin auszeichnete.

"Komm mit Kind."

Gehorsam folgte sie der Oberin durch die dunklen Gänge des alten Gebäudes. Offensichtlich war dies mal ein richtiges Kloster gewesen, bevor die Schwestern es zu einem Waisenhaus umfunktioniert hatten.

Auf ihrem Weg sah sie wieder dieselben Flure, doch diesmal nahmen sie eine andere Biegung und landeten vor einem großen Saal in dem viele Mädchen schliefen. Man konnte dutzende schnarchgeräusche hören und sanftes Atmen.

"Du wirst sehen, das Leben hier ist hart aber gerecht. Jeder unserer Zöglinge übernimmt verschiedene Aufgaben im Haushalt. Natürlich wirst du keine Ausnahme sein. Sei folgsam und wir werden keine Probleme haben." Persephone machte sich nicht die Arbeit zu antworten oder gar zu widersprechen. Einen Tag würde sie hierbleiben, wenn ihr nicht gefiel was sie sah, wäre sie schneller weg als diese Nonnen es glauben könnten.

Oberin Moser zwang sie ihr in die Augen zu sehen. Intensive blaue Augen starrten in ihre.

"Und versuche nicht wegzulaufen. Das versucht jede von euch. Doch die Welt da draußen ist weit grausamer als du dir vorstellen kannst."

Wieder behielt Persephone eine Antwort für sich. Die Oberin nickte langsam und seufzte.

"Du bist eine von den sturen. Na gut dann lass es mich anders ausdrücken. Meine Schwestern stehen wache und wir haben überall Kameras und Bewegungsmelder. Solltest du versuchen abzuhauen, dann sei dir deiner Sache sicher, denn falls wir dich erwischen wirst du dir wünschen deine Mama hätte dich gleich mit erschossen."

"Sie versuchen mir Angst zu machen.", flüsterte Persephone mit großen Augen.

"Ich hoffe, du hast verstanden. Dein Bett ist das zweite Rechts. Geh schlafen."

St. Claires Apfelbäume

Voll Sehnsucht erobere ich die Welt. Frei wandere ich unterm Himmelszelt. Dort bin ich mein eigener Held. Alles ließ ich zurück, auf der Suche nach Glück. In der goldenen Stadt- mit Pfirsich und Wein.

Persephone feierte ihren zwölften Geburtstag nicht.

Niemand feierte in St.Claires jemals Geburtstag.

Stattdessen arbeitete sie wie jeden Sommer im Garten des Waisenhauses.

Es war ein großer Garten, der viele Apfel- und Kirschbäume beherbergte. Jeden Sommer durfte Persephone sich ausschließlich damit befassen, denn sie war die geschickteste Kletterin.

Niemand konnte wie sie ohne Angst auf die höchsten Äste klettern und die süßesten Früchte pflücken. Sie war begabt in diesem Gebiet, das Wohnhaus von St.Claire hatte sie ebenfalls einige Male erklommen.

"Persephone! Wo bist du?", rief Kioko von unten zu ihr herauf.

Persephone war ganz oben, genoss die Sonne und brauchte ein paar Minuten um zu ihrer Freundin zu gelangen.

Kioko wartete schon ungeduldig auf sie.

"Was ist?"

"Es ist Zeit fürs Mittagessen, oder hast du das schon wieder vergessen?" Persephone sah ihre Freundin lächelnd an. Natürlich hatte sie es vergessen, wenn sie in den Baumwipfeln saß vergaß sie die ganze Welt.

Kioko sah sie skeptisch an und griff dann nach ihrer Hand.

Gemeinsam rannten sie zum Speisesaal.

Wie alle Räume in St. Claires war auch dieser Saal in Grau gehalten.

Reihe um Reihe war mit Mädchen unterschiedlichsten Alters besetzt.

Insgesamt mussten es an die vierzig Mädchen sein.

Es gab eine lange Schlange bei der Essensausgabe und es herrschte reges Treiben.

Trotz des ungenießbaren Essens wurde alles verschlungen.

Die harte Arbeit ließ jedes Mädchen hungrig werden und Hunger ist bekanntlich der beste Koch. Wie immer hatte Kioko alles genau hergerichtet sodass Persephone sich nur noch hinsetzten musste.

Sie und Kioko waren seit etwa einem Jahr gut befreundet.

Als Persephones Bett durchgebrochen war und die Schwestern erste ein neues organisieren mussten, hatten sie sich ein Bett geteilt und waren dadurch Freunde geworden.

Kioko war Japanerin, zumindest wenn man nach ihrem Aussehen ging. Schlitzaugen und langes schwarzes, sehr glattes Haar.

Die Nonnen zwangen sie es jeden morgen zu einem festen Dutt zu formen, daher sah sie immer etwas angestrengt aus. Persephone wusste, das Kioko nichts lieber tun würde als ihre Haare offen zu tragen.

Das war ihr geheimer Wunsch. Woher Kioko kam wusste sie nicht genau. Ihre Mutter hatte sie mit etwa fünf Jahren nach St.Claires gebracht. Etwas depremiert sah Persephone auf ihren Teller.

Das heutige Gericht war abolute ungenießbar, offenbar hatte die Köchin wieder etwas neues ausprobiert.

Außer den kreativen aber ungenießbaren Einfällen der Köchin hatte Persephone an ihrem ersten Tag festgestellt, das St.Clairs nicht so schlimm war. Es gab schlimmere Einrichtungen und natürlich hatte Mrs. Sandro keine Pflegefamilie für sie gefunden.

Wer würde schon ein Mädchen mit so einer Vergangenheit wollen.

So hatte sie beschlossen zu bleiben bis sie genügend Wertgegenstände und Geld zusammen hatte um in der Stadt nicht zu verhungern.

"Komm iss! Wir müssen doch bei kräften bleiben.", meinte Kioko und stopfte sich die Fleischsoße in den Mund.

Persephone bewunderte ihre Fähigkeit zu Essen ohne zu Schmecken und tat es ihr mit zusammen gekniffenen Augen gleich.

Nach dem Mittagessen wurde gebetet und danach wieder an die Arbeit gegangen.

Die glücklicheren Mädchen durften selbstständig draußen im Garten arbeiten, die anderen mussten im Gebäude sauber machen.

Normalerweise war dies für die ungehorsamen Kinder der Fall.

Persephone hatte nie zu diesen gehört.

Seit ihrem ersten Tag hatte sie gehorcht und war so unauffällig an alle möglichen Gegenstände gekommen.

Außerdem war sie St.Claires größte Schmugglerin und Händlerin von Tauschware. Persephone konnte sich nicht über fehlende Kunden beklagen, schließlich wollte jedes Mädchen etwas.

Während des Abendbrotes ging sie die Zahlen ihrer versteckten Habseligkeiten noch einmal durch. Sie war alt genug, geschickt genug um zu überleben, das wusste sie nun.

Aber war sie bereit zu gehen?

Oberin Moser und ein Mann mitte dreizig traten in den Speisesaal und sahen sich um. Sofort verstummten die wenigen Gespräche und alle Augen richteten sich auf sie.

"Liebe Mädchen. Dieser Herr neben mir heißt Olaf Stanson. Er und seine Frau sind zufällig in den Bestitz von viel Geld gekommen und würden nun gerne ein paar von euch adoptieren.", sagte Oberin Moser mit festen Blick auf ihre Zöglinge.

Persephone musterte den Mann aufmerksam. Auf keinen Fall war er einer der netten. Seine Haaren waren mit Gel zurückgekämmt, kleine braune Augen sahen sich aufmerksam um.

Sein brauner Anzug sah übertrieben korrekt aus und an jedem Finger steckte ein proziger Ring. Als wollte er den Eindruck von Souveränität erwecken. Wäre er eine Frau hätte er zu viel Make-up drauf.

Für Persephone war klar, dass dieser Gangster nichts Gutes wollte. Unbemerkt steckte sie eines der Messer ein und ließ ihre braunen Locken vor ihr Gesicht gleiten.

Sie waren nicht mehr so lange wie damals, nun reichten sie nur noch bis zu den Schultern, hatten aber immer noch genug Volumen um sie zu verstecken.

Oberin Moser drehte sich zu Mr, Stanson um und meinte unbekümmert:

" Suchen sie sich welche aus."

Mit diesen Worten ließ Stanson sich nicht zweimal bitten und ging langsam durch die Reihen der Mädchen.

"Die hier." Gisele stand auf. Sie war immer die Schönste der vierzehnjährigen gewesen. Langes blondes Haar und volle Lippen waren ihr Markenzeichen. Sie lächelte im Glauben nun endlich ein echtes Zuhause zubekommen.

Zu erwähnen nicht notwendig war das sie außerdem recht dumm war.

"Oh einfach wunderschön.", meinte Stanson und zeigte auf Natalie, eine elfjährige mit langen schwarzen Haaren und einer Haut wie Elfenbein.

Auch aus ihr würde einmal eine Schönheit werden.

Persephone erkannte das Muster. Offenbar suchte Stanson neue Prostituierte für sein Bordelle.

Nun Waisenkinder zu nehmen war tatsächlich keine schlechte Idee und natürlich würde Persephone ihn auch nicht aufhalten solange er sich nicht sie aussuchte.

"Das ist ganz schön schwer. All diese schönen Mädchen. Wie kann man sich da nur entscheiden." Stanson übertrieb sein Schauspiel etwas, sogar die Oberin verdrehte für einen Moment die Augen.

"Komm her Kind.", sagte Stanson und nahm Ariana an der Hand.

Das Mädchen war dreizehn und hatte eine Haut wie dunkle Schokolade und leuchtend blaue Augen. Sie bildeten einen so exotischen Kontrast, das jedes der Mädchen sie beneidete.

Ariana stand nur wiederwillig auf und sah sich panisch um. Persephone wusste, dass sie nicht dumm war und genau wusste, was mit ihr passieren würde sollte dieser Mann sie mitnehmen.

Allerdings würde keine hier Anwesende ihr helfen. Die Gefahr auf sich aufmerksam zu machen war einfach zu groß. Stanson lächelte und schickte sie zu Gisele und Natalie. Dann sah er sich weiter um und blieb neben Persephones Tisch stehen.

"Wie heißt sie?", fragte Stanson Oberin Moser und zeigte auf Persephone. Moser hatte tatsächlich die Nerven zu lächeln.

"Persephone."

"Aha, wirklich schön."

Persephone dachte panisch nach und sah nur einen Ausweg.

Schnell steckte sich heimlich den Finger in den Mund.

Sofort erbrach sie ihre halbverdaute Nahrung auf den Tisch.

Die anderen Mädchen schraken zurück und Stanson verzog angewidert sein Gesicht.

"Ist sie krank?" Oberin Moser kam näher.

"Wie wäre es wenn sie mal die drei mitnehmen und für Persephone einfach morgen wiederkommen. Morgen geht es ihr sicher blendend und sie wird keine Schwierigkeiten machen."

Stanson nickte wiederwillig und scheuchte seine Beute aus dem Gebäude und rein in einen Lastwagen.

Spätestens da wurde auch Gisele klar, dass sie kein Zuhause erwartete. Oberin Moser riss Persephone von ihrem Platz und schleifte sie vor die Tür. "Was hast du dir dabei gedacht?!", fauchte sie das Mädchen an.

"Denkst du wirklich, diese kleine Kotzaktion wird dich vor deinem Schicksal bewahren. Sieh es doch ein."

Hyperions Gnade

I'm a princess cut from marble, smoother than a storm And the scars that mark my body, they're silver and gold My blood is a flood of rubies, precious stones It keeps my veins hot, the fires find a home in me I move through town, I'm quiet like a fight And my necklace is of rope, I tie it and untie it

(Lorde, Yellow flicker beat)

Das Leben auf der Straße war tatsächlich nicht so schlimm.

Das erste Jahr war etwas hart gewesen, doch nun feierte Persephone Jones ihren dreizehnten Geburtstag und könnte nicht glücklicher sein.

Sie hatte in einem verlassenen Gebäude ein Zimmer für sich gefunden.

Eine Möglichkeit zu dusche hatte sie ebenfalls entdeckt.

Durch Diebstähle und kleinere Botengänge hatte sie immer genügend Geld um nicht zu verhungern.

Natürlich war das Leben auf der Straße nicht nur einfach.

Persephone verbrachte viel Zeit damit sich vor den großen Mafiabossen in Hyperion zu verstecken. Es war das reinste Minenfeld.

Aber auf jeden Fall war ihr selbstgewähltes Leben besser als das was Oberin Moser für sie bereit gehalten hätte.

Sie war niemandes Hure und bestimmte selbstständig über ihren Körper. Ein Gefühl, welches den Hunger und die Kälte nicht mehr so schwer zu ertragen machte.

Persephone saß auf einer Schaukel in einem verlassenen Spielplatz.

Es war bereits Abend und kein Mensch traute sich mehr in die Nähe des Parks. Drogendeals und andere Zwielichtige Geschäfte wurden hier abgehandelt. Die meisten kannten Persephone, für einige machte sie hin und wieder die Buchhaltung- sie war gut in Mathe und so ließen sie sie in Ruhe. Sie strich sich das nun kurze gelockte Haar aus dem Gesicht und klopfe auf ihre schwarze Jacke um den Dreck wegzubekommen.

Natürlich half das nichts. Waschmaschinen waren Luxus.

Es war ihre Sommerjacke, leicht, mit vielen Taschen.

Generell bevorzugte sie schwarze Kleidung, damit fiel sie in der Nacht einfach nicht so auf.

Als Diebin und Straßenkind musste man immer auf der Hut sein.

Die Polizei wäre mehr als erfreut Ihresgleichen in ein großes Heim zu stecken.

"Hi, Junge. Brauchst du was?"

"Nein, danke. Ich suche nur nach Jemanden. Haben sie diesen Jungen schon mal gesehen?"

Persephone horchte auf. Der Junge klang gut erzogen und jemand der so sprach und nach jemanden suchte konnte nur ein Spitzel der Polizei oder wirklich verzweifelt sein.

Sie stand auf und kletterte auf einen Baum in der Nähe.

Es war besser die Dinge von oben zu beobachten.

Der Junge war etwa in ihrem Alter, hatte dunkles Haar und sah trotz seiner Sprechweise nicht nach reichem Bengel aus.

"Ne, ne. Ich kenn niemanden. Wenn du nichts kaufen willst verzieh dich!", schrie Macon, ein Drogendealer der Probleme mit Mathe hatte.

Er versuchte mithilfe eines langen braunen abgewetzten Mantels seine Ware zu verstecken. Persephone kannte ihn und wusste das er schnell ausrasten konnte.

"Bitte sie verstehen nicht. Der Junge ist mein Freund. Ich will ihm nur helfen."

"Ich sagte verzieh dich!" Macon zog ein Messer und stierte den Jungen an. Persephone war neugierig auf den Jungen.

Mit einem Satz war sie neben Macon und strich über seinen Arm.

"Beruhig dich, Mc altes Haus. Ich kümmere mich darum."

Sofort sah Macon sie an und schenkte ihr seine gesamte Aufmerksamkeit. "Hallo. Kleine. Schaff mir diesen Wicht aus den Augen!" Persephone nickte und ging auf den Jungen zu.

"Komm mit mir. Sonst sticht dich Macon noch ab. Ich habe wonach du suchst." Der Junge folgte ihr ohne Wiederrede.

Er schien von den Ereignissen überrumpelt. Sie führte ihn weg vom Park und in eine heruntergekommene Wohnhausgegend.

Danach hieß es hinauf aufs Dach. Falls er die Kletteraktion mitmachte, würde sie ihm vielleicht sogar mit seinem Freund helfen.

Über verrostete und kaputte Feuerleitern und einer sehr wackeligen Planke ging es bis hinauf aufs Dach.

Der Weg sah äußerst Fragwürdig aus und selbst Persephone hatte beim ersten Mal Mut gebraucht, doch sie hatte die schlimmsten Stellen ausgebessert und der Weg war nun sicher genug.

"Bist du dir sicher das wir da rauf müssen?" Persephone lachte.

"Wenn du etwas über deinen Freund wissen willst, ja."

Die Augen des Jungen weiteten sich.

"Du weißt etwas über James?" Sie drehte sich lächelnd um und stieg die Leiter hinauf.

"Das wirst du erst erfahren wenn wir oben sind."

Sein Tempo war beachtlich und sie sah den Mut in seinem Gesicht.

Als sie oben angekommen waren, hatte sie tatsächlich Respekt vor seiner Courage. Nicht viele Menschen würden einer Fremden über kaputte Leitern folgen. Persephone setzte sich auf eine Bank die in der Mitte des Daches stand und wartete darauf das er wieder zu Atem kam.

In der Ferne sah man Lichter in Fenster und auch einige der Straßenlaternen funktionierten noch. Ansonsten war es hier oben sehr dunkel, nur der fast volle Mond tauchte ihren Platz in ein gespenstisches Silberlicht. Persephone steckte sich einige Strähnen ihrer Haare hinter die Ohren um den Jungen besser ansehen zu können.

Müde setzte sich dieser neben sie.

"Ich heiße übrigens Alec. Und du?" Sie lächelte ihn an.

Er schien nett zu sein, auch wenn seine Kleidung sagte, dass er nicht von der Straße kam. Er sah generell zu sauber aus.

"Ich sag dir meinen Namen noch nicht. Könnte ja sein das du ein Verrückter bist, der mir wehtun will."

"Und mir nicht zu sagen wie du heißt beschützt dich in wie weit?" Persephone lachte.

"Hast recht. Persephone." Sie schüttelten sich die Hände.

"Schön dich kennenzulernen. Also du weißt etwas über meine Freund? James."

Er gab ihr das Bild, welches er auch Macon gezeigt hatte.

Ein rotharriger, lachender Junge sah sie umgeben von Bäumen an.

Neben ihm stand Alec. James kam ihr nicht bekannt vor und sie kannte so gut wie jeden auf der Straße.

"Sorry, Alec. Aber den kenn ich nicht."

Alec wurde wütend, raufte sich die Haare und stand auf.

"Aber du hast gesagt, du kennst ihn! Das ist der einzige Grund warum ich dir überhaupt gefolgt bin!"

Persephone ließ sich von seiner Wut nicht beeindrucken, stand ebenfalls auf und beobachtete ihn mit einem kalten Blick. Sollte er eine falsche Bewegung machen und sie angreifen, würde sie sich verteidigen.

"Beruhig dich! Ich kann dir trotzdem helfen. Sag mir was passiert ist und ich seh mich in der Stadt etwas um."

Alec stand dicht vor ihr. Sie waren gleich groß und Persephone starrte in wunderschöne braune Augen.

"Wie solltest du mir helfen können. Du bist ein Kind genauso wie ich. Es war dumm zu glauben ich finde tatsächlich Antworten."

Mit einem tiefen und traurigen Seufzer ließ sich Alec wieder auf die Bank fallen. Er schien irgendwie zerstört. Persephone wusste nicht genau wie sie damit umgehen sollte. Dies war eine neue Erfahrung.

Sie half normalerweise niemanden, das führte zu Komplikationen und sie mochte ihre Ruhe und Ordnung.

Unbeholfen setzte sie sich neben ihn und strich sanft über seinen Rücken. Er trug eine braune Lederjacke und dunkle Jeans.

Persephone hatte zuvor nicht darauf geachtete, doch eigentlich war Alec gutaussehend. Er hatte eine sportliche Figur und ganz wenig sah sie sogar den Mann, der er einmal werden würde.

Ein Herzensbrecher, dem Aussehen nach.

"James war mein bester Freund. Seit wir klein waren. Vor einer Woche ist er spurlos verschwunden. Die Polizei hat keinerlei Anhaltspunkte."

Natürlich hatte die Polizei keine. Die Polizei in Hyperion war mehr schlecht als recht.