Kyrie - Lisa-Marie Schaundegl - E-Book

Kyrie E-Book

Lisa-Marie Schaundegl

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Beschreibung

Die Versklavung ihrer gesamten Nachkommenschaft. Dies waren die Konsequenzen für Briana Henotellos mitwirken beim Aufbau eines totalitären Regimes. Ihre Gabe der Telekinese verhalf Lothar von Bärenstein an die Macht. Jahrhunderte später hat ihre Nachfahrin Kyrie die Pflicht dem Militär beizutreten, wie jedes erstgeborene Henotello- Kind. Trotz der Qualen der Ausbildung findet Kyrie Freunde und jemanden, den sie von Herzen lieben kann. Einen schrecklichen Unfall und eine grausame Strafe später findet sie sich an der Front des ewigen Krieges zwischen Bärenstein und den Rebellen von OneSheep wieder. Unwissend das ihr geliebter Bruder längst Mitglied der geheimnisvollen Organisation ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Lisa-Marie Schaundegl

Kyrie

Nebel des Krieges

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Titel

Kyrie- Nebel des Krieges

 

von Lisa-Marie Schaundegl

 

Inhalt

Widmung 12.08.2018

Dieses Buch ist für meine Eltern.

Mama, du hast dir die Geschichte hundertmal anhören müssen und dich trotzdem kein einziges Mal beklagt. Das Haus am Mondsee kriegst du aber trotzdem erst, wenn du "Kyrie" gelesen hast :)

Papa, du warst von Anfang an dabei, hast mir so viele Tipps gegeben und warst mein erster Fan. Ich hoffe, ich habe dich stolz gemacht.

Eine Person will ich hier noch hinschreiben. Jemand der mir ebenfalls immer zugehört und Mut gemacht hat. Jemand der in den letzten Jahren zu einer sehr guten Freundin geworden ist und Abenteuer um Abenteuer mit mir erlebt hat. Ich hoffe, wir erleben noch viele mehr zusammen. Jasmin Schartner, jetzt stehst du in einem Buch.

Weißt du von Gut und böse? Im wilden Sturm und Meeresgetöse. Krieg ein gutes Herz zerstört, niemand ihre Rufe hört!

Können Mitgefühl und Liebe retten? Er  sie wird befreien von den Ketten. Wut ein gutes Herz zerstört, niemand ihre Schreie hört!

Ist das Leben Schneeweiß oder Blutrot? die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Einsamkeit, ein gutes Herz zerstört, niemand ihr Schluchzen hört!

Das Schicksal ihrer Töchter

England 1783

Briana Henotello sah in den schmutzigen Spiegel in ihrem kleinen, dreckigen Zimmer im Freudenhaus. Ihre müden Augen konnten die blauen Flecke und das schmuddelige, alte Kleid, ihr einziges Kleid, nicht ignorieren.

Beim Anblick ihrer vom Leben als Hure zerstörten Gestalt wurde sie furchtbar traurig. Seufzend dachte sie an ihre Kindheit, sogar Jugend. Damals schien alles so einfach und schön. Eltern, die zwar streng aber liebevoll zu ihr waren. Ein älterer Bruder, der den Familiennamen weitertragen konnte. Es war ein gewöhnliches Leben, aber friedvoll.

Niemals hätte sie gedacht, dass sie in einem Freudenhaus in einer kleinen unbedeutenden Stadt enden würde. Einer Stadt, die ihr niemals gnädig war und es auch nie sein würde. Sie war wertlos für die Dorfbewohner, nur ein weiteres gefallenes Mädchen. Grausamkeit und Verachtung war alles was Briana von ihnen kannte.

Kein Licht drang durch die Fenster, die Stadt lag in tiefer Nacht, doch im Freudenhaus hatte die Arbeit gerade erst begonnen. Es roch nach Schweiß, nach abgestandener Luft doch am meisten nach dem billigen Wein, der im Schankbereich ausgegeben wurde. Brianas Gast war gerade gegangen und angewidert von sich selbst und dem Leben das ihr aufgedrängt worden war, blickte sie auf das zerwühlte Bett.

Mit einer leichten Handbewegung richtete sich die Bettdecke von selbst und das Weinglas vom Tisch davor flog ihr zu. Gekonnt fing sie es auf und nahm einen großzügigen Schluck. Niemals würde Briana ihre Fähigkeiten in der Gegenwart anderer Menschen verwenden, nur einmal hatte sie dies in ihrer Jugend getan und einen furchtbaren Preis dafür gezahlt. Ihre Eltern hatten die besondere Gabe Brianas dem Teufel zugeschrieben und sie dem Dorfvorsteher gemeldet. Brianas Befragung war kurz und einfach gewesen. Auf die Frage, ob sie eine Hexe sei, hatte Briana immer wieder nein geantwortet.

Unzureichend für den Dorfvorsteher und den Priester.

Vertrieben, gebrandmarkt und verlassen war der damals sechzehnjährigen kein anderer Beruf als der einer Hure möglich. Aber solange sie alleine war, verspürte sie keinen Grund nicht einzusetzen was Gott ihr gegeben hatte, selbst wenn andere den Teufel als ihren Schöpfer bezeichneten. "Mama, dürfen wir rauskommen?", fragte eine zittrige Mädchenstimme vom Schrank neben der Tür. Sofort sprang Briana auf und lief durchs Zimmer um die Eingangstüre ihres Arbeitsplatzes zu verriegeln. Als dies getan war, öffnete Briana die Schranktüren und zwei kleine Mädchen fielen ihr entgegen.

Ihre Töchter Nelenia und Sandrine klammerten sich an ihren dicker werdenden Bauch. Briana erwartete ein weiteres Kind und konnte sich deshalb nur schwerlich ihrer Töchter erfreuen.

Mit jedem Kind wurde es schwieriger, sie zu ernähren. Briana war keineswegs gut in ihrem Beruf, doch niemals würde sie ihren Töchtern ihr Schicksal aufhalsen.

Sie sollten einer ehrlichen Tätigkeit nachgehen, nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter treten müssen. Nelenia, die ältere sah sie mit großen blauen Augen an und lächelte als sie in das Gesicht ihrer Mutter blickte. Liebevoll strich Briana diesem sanften Mädchen mit denselben braunem Haar wie sie selbst über den Kopf. Ihr ältestes Mädchen war ein so gutmütiges, verständnisvolles Kind. Niemals würde ein böses Wort über die Lippen ihrer Tochter kommen und für ihre kleine Schwester war sie eine Beschützerin.

Ein lauter Knall und eine aufgetretene Tür ließ die Frau und ihre Töchter erschrocken zum Eingang blicken. Ein Mann mit einem langen Holzstock in der Hand starrte sie wütend nieder. Seine Wange zierte eine lange Narbe und die muskulösen Oberarme ließen keinen Zweifel an seiner Stärke. Sein Name war Brock, er war der Eigentümer des Hurenhauses und somit auch Brianas Eigentümer. Mit einem zornigen Grunzen und schwingendem Stock schrie er sie an. "Was hab ich dir gesagt, Brie? Du hast Kundschaft! Geh und bedien die Männer in meinem Haus! Bevor du zu fett wirst und dich niemand mehr will! Und ich will diese Bälger nicht noch mal in deinem Zimmer finden, hast du verstanden?" Briana nickte ängstlich, "Es tut mir leid, Brock, aber im Weinkeller, wo sie normalerweise warten ist es zu kalt. Sie würden sich da unten den Tod holen." Eine Ausrede, eine derer sich beide bewusst waren. Seit Nelenia zehn geworden war, versuchte Brock für sie im Gasthaus Werbung zu machen und den Höchstbietenden ihre Unschuld zu verkaufen. Dies würde nicht funktionierten, wenn Briana sie die ganze Zeit in ihrem Zimmer versteckte.

"Dann werden sie eben im Gasthaus Wein ausschenken!" Verzweifelt sah Briana von ihren Töchtern zu dem großen Mann.

"Bitte, sie sind doch noch so klein. Bitte. Ich kann mehr arbeiten. Ich tue alles, was du willst. Aber bitte, lass die Mädchen in Ruhe." Brocks Augen wurden schmal, die Sehnen an seinem Hals traten unwillkürlich hervor und mit einem wütenden Schnauben trat er näher an die junge Frau.

"Du widersprichst mir?!", fragte er drohend. Noch einmal versuchte Briana um das Leben ihrer Kinder zu betteln, doch dies schien den Mann nur noch mehr in Rage zu versetzten.

Um seine Worte zu verdeutlichen griff er in ihr Haar und warf sie auf den Boden. Die Mädchen schrien erschrocken auf und versuchten zu ihrer Mutter zu gelangen. Briana kniff die Lippen zusammen und sagte nichts mehr. Keine Worte dieser Welt konnten ihren Zuhälter nun aufhalten. Sie konnte sich glücklich schätzen, seinen Wutanfall mit einem blauen Augen und ein paar geprellten Knochen zu überstehen. Brock holte aus und schlug ihr ins Gesicht, desorientiert versuchte Briana wegzukriechen.

"Komm her!", schrie Brock und zog sie an den Beinen wieder zu sich. Wie wild prügelte er auf sie ein. Briana versuchte ihre Augen so gut es ging zu schützen und bettete, dass der Wutanfall bald ein Ende haben würde. Als Brock jedoch die Hände um ihren Hals legte und anfing zuzudrücken, bekam Briana es mit der Angst zu tun. Es stand Mord in seinen dunklen Augen. Speichel tropfte aus seinem wütend verzogenen Mund auf ihr blutverschmiertes Gesicht. Verzweifelt versuchte sie sich zu wehren, hob panisch die Hände um von ihrer Gabe Gebrauch zu machen, doch nichts geschah. Sie war zu schwach, zu ängstlich, vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte.

"Du miese kleine Dirne, ich verliere nur Geld wegen dir! Du bist zu nichts zu gebrauchen. Nur eine vorlaute hässliche Hure! Du solltest dich glücklich schätzen, dass ich dich damals aufgegabelt habe, sonst wärst du und die Gören längst tot!", wütete Brock weiter, ließ von ihrem Hals ab und schlug noch einmal zu. Panisch saugte Briana die Luft in ihre verzweifelten Lungen und versuchte normal zu atmen. Tränen rannen ihr über die Wangen. Nelenia und Sandrine schrien er solle von ihrer Mutter ablassen, doch Brock war zu sehr in Rage. Die kindlichen Schreie verhallten ungehört. "Es tut mir leid.", wiederholte Briana immer wieder stockend und schließlich stand Brock auf.

"Nun, wenn du mir nicht gewillt bist mein Geld zu erarbeiten, dann werden es deine Töchter." Ohne auf Nelenias Proteste zu hören, entriss er Sandrine den Armen ihrer Schwester und zog sie Richtung Tür. Das achtjährige Mädchen schrie verzweifelt und versuchte den großen Mann zu schlagen.

Dieser lachte und öffnete die Tür. Die Gäste im Schankbereich sahen zu der offenen Tür. Männer wie Huren hatten die Schreie gehört und machten nun keinen Hehl aus ihrer brennenden Neugierde. Briana lag am Boden und wollte nichts lieber als Sandrine zu retten, oder zumindest Nelenia vor dem Anblick zu bewahren. Kein Kind sollte sein Geschwisterchen auf diese weise verlieren. Keinem Kind sollte so etwas je widerfahren. Briana blickte zu Nelenia, versuchte sie zu trösten, doch aus ihrem Mund kam nur Blut, keine Worte. Erschrocken sah sie wie ihre sanfte, freundliche Tochter ganz ruhig wurde und aufhörte nach ihrer Schwester zu schreien. Unter dem Geschrei ihrer jüngeren Schwester hob sie Brock mit ihrer Gabe hoch und brach ihm mit einem kräftigen Ruck das Genick.

Der große Mann fiel leblos zu Boden und entließ Sandrine aus seinem festen Griff. Aus dem Schankbereich wurden Schrei hörbar und Hilferufe wurden herausgeschrien. Jeder sah das kleine Mädchen, sah Brocks Leiche und zwischen die Rufe mischte sich das Wort Hexe. Nelenias Nase blutete, ihr Gesicht war kalkweiß und einen Moment später brach sie auf dem Boden zusammen. Briana sah wie Sandrine zu ihrer Schwester rannte und bitterlich weinte. Mit einem letzten rasselnden Atem brach die Schwärze der Bewusstlosigkeit über Briana zusammen. Ihre Gedanken galten Nelenia, dem zehnjährigen Mädchen, das nun eine Mörderin war.

Als Briana wieder erwachte befand sie sich in einem Verließ.

Sie lag auf Stroh, doch konnte sie den kalten, feuchten Steinboden unter sich fühlen. Ein Bild ihrer Mädchen schoss ihr durch den Kopf und sofort setzte sie sich auf. Zu schnell, denn eine Welle des Schwindels brach über sie herein. Gequält ließ sie sich wieder auf das Stroh fallen.

"Immer mit der Ruhe, Missi. Sie haben da ganz schön Schläge kassiert.", sprach ein Mann in ihrer Nähe. Briana drehte ihren Kopf in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Sie sah eiserne Gitterstäbe und einen Mann in seinen Dreißigern mit feinem Anzug und einem Gehstock.

"Wo...Wo sind...?", versuchte Briana ihrem Verlangen nach Nelenia und Sandrine Ausdruck zu verleihen, doch ihr Mund war so trocken und ihre Zunge so schwer.

"Die Mädchen?, beendete der Mann ihren Satz. Ruhig nahm er einen Wasserkrug und einen Becher von der Bank gegenüber ihrer Zelle und stellte sie durch die Gitterstäbe in ihre Nähe. Er sah sie im Schein der Kerze neugierig an. Außer ihm schien niemand im Verließ zu sein.

"Nun, das ist eine gute Frage. Wie wäre es wenn ich Ihnen eine Frage beantworte und Sie mir? Eine Hand wäscht die andere." Durstig schleppte sich Briana zum Wasser und trank gierig. Als sie ihre Zunge wieder ordentlich bewegen konnte, sah sie den Mann misstrauisch an. Sie wusste weder wo sie war, noch ihre lieben Mädchen. Es gab überhaupt keine andere Wahl als dem Mann zu geben was er verlangte. "Na gut. Was ist ihre Frage?", antwortete Briana heißer auf das Ansuchen des Fremden. Der Mann lächelte und setzte sich auf die Bank vor ihrer Zelle. Sanft strich er über seinen sauberen Anzug. Briana wollte gar nicht erst an sich hinunter blicken, schon vor dieser Prügelei hatte sie nicht gutausgesehen, nun würde sie einer Katastrophe gleichsehen. "Ihre Tochter Nelenia hat beängstigende Fähigkeiten gezeigt. Besitzt Ihr auch solche Kräfte wie Eure Tochter?" Briana setzte sich auf so gut es ging und sah den Fremden misstrauisch an. "Ja, ich besitze dieselbe Fähigkeit." Der Mann nahm die Information mit einem Nicken zur Kenntnis und wartete geduldig auf ihre Frage. "Wo sind meine Töchter?" "Ah, nun die wichtigste Frage wie es scheint. Sie befinden sich in einer Zelle sehr ähnlich der Ihren. Nur wurden ihnen die Hände und Füße in Ketten gelegt. Reine Vorsicht, versteht sich. Sie dagegen werden ja wohl kaum irgendwohin laufen." Briana hatte große Schmerzen und wusste das der Fremde recht hatte. Für eine Weile würde sie sich kaum bewegen können. "Nun zu meiner nächsten Frage. Viele der Anwesenden, welche ihre Kraft beobachtet haben, sprechen von Hexerei. Stimmt es? Besitzt ihr, eine gewöhnliche Hure, Zauberkraft?" Briana hörte sich abgehakt lachen und trank noch einen Schluck. Diese Frage wurde ihr schon oft gestellt, doch nie schien jemand mit der Antwort zufrieden zu sein. "Nein, alles was ich kann ist Gegenstände für kurze Zeit schweben zu lassen. Wenn ich mich anstrenge sogar Menschen und schwere Objekte, aber das ist alles. Ich bin keine Hexe, ich kann niemanden verzaubern, nicht beschwören, nicht verfluchen. Meine Töchter genauso wenig." "Ich denke, der unschuldige Mann dessen Genick Nelenia gebrochen hat, würde anderer Meinung sein. Er kommt sich sicher verflucht vor." Briana schnaubte wütend. "Unschuldig! Er war keineswegs unschuldig. Nelenia tat was sie in ihrer Verzweiflung für nötig gehalten hat. Sie hat noch nie zuvor jemandem wehgetan."

Der Mann stand auf. "Wenn es nach den Stadtbewohnern geht, wird sie das auch niemals wieder." Erschrocken kämpfte Briana sich auf die Beine und schleppte sich zu den Gitterstäben.

"Was soll das heißen?" Der Mann trat näher an die Gitterstäbe, nun konnte Briana seine dunklen Augen sehen. Sein Gesicht war glatt rasiert, die Züge darunter kantig, unnachgiebig.

"Ihr drei, oder sollte ich eher vier sagen, nach dem Umfang Ihres Bauchs zu urteilen, werdet wohl demnächst hingerichtet." Brianas Mund wurde trocken und Verzweiflung machte sich in ihr breit. "Allerdings gibt es da noch eine andere Lösung,", meinte der Mann seltsam lächelnd und trat noch einen Schritt näher. Durch die Gitterstäbe berührte er sanft ihre Wange," Ich bin ein einflussreicher Mann und wäre gewillt euch und eure Töchter zu retten, aber dafür müsst Ihr mir die Treue schwören. Ihr und alle eure Nachkommen. Ich habe Pläne, für diese Stadt, für dieses Land und Ihr könntet Teil davon sein. Ein Imperium soll es werden, groß und mächtig. Ich an der Spitze der Macht."

"Das ist wahnsinnig, vollkommen unmöglich! Ihr seid nur ein einzelner Mann." Der Fremde lachte leise und zeigte mit den Zeigefinger auf sie. "Allerdings, ich werde starke Soldaten wie es Nelenia mit der richtigen Ausbildung sein könnte brauchen. Zusammen können wir diese Welt verändern. Stellt Euch das nur vor, Briana. Ihr könntet frei sein, Eure Töchter ebenso." Briana schüttelte den Kopf.

"Sie ist nur ein Kind. Bitte. Helft uns hier raus und ich verspreche euch zu helfen. Aber ich flehe Euch an, zwingt mein Töchter nicht in die Sklaverei." Die Gesichtszüge des Mannes wurden hart und unnachgiebig. "Ich will dich Briana, Nelenia und Sandrine sowie das Kind unter deinem Herzen und alle deine Nachkommen. Ich will das ihr Teil meiner Zukunft seid, Teil meines Imperiums. Das ist wohl kaum Sklaverei! Sag ja oder entreiße deinen Töchtern ihre letzte Chance auf Leben."

In Brianas Kopf drehten sich die Gedanken. Was sollte sie nur tun? Ihre Töchter dem Henker aushändigen oder ihnen ein Leben als Soldaten in den Reihen dieses Wahnsinnigen aufzwingen. Geschlagen und hoffnungslos rutschte Briana auf den kalten Boden der Zelle. Der Mann hockte sich vor sie und hob sanft ihr zerschlagenes Gesicht um ihr in die Augen sehen zu können.

Das letzte Abendmahl

2018 Kontinent Europa, Land Beerellon

Kyrie konzentrierte sich auf den Stift vor ihr am Schreibtisch und ließ ihn schließlich sanft schweben. Eigentlich sollte sie ihre Hausaufgaben zu Ende machen, doch was hatte das alles noch für einen Sinn? Morgen würde sie von den Pythonissam abgeholt. Umgangssprachlich wurden sie Hexen genannt. Die Eliteeinheiten des großen Führers Lothar von Bärenstein V. Kyrie würde ausgebildet werden und schließlich in seiner Armee von Mördern, die das Land unter Kontrolle hielten dienen. Sie würde dieselben furchtbaren Dinge tun wie hunderte andere von Brianas Nachfahren. Sie würde Lothar die Treue halten und ihre Seele verkaufen. Als ihre Aufmerksamkeit sich der Bildercollage in ihrem Zimmer zuwandte, fiel der Stift auf den alten Holzfußboden. Kyrie ließ ihn liegen und stand auf. Fotos ihrer Freunde und Familie waren wild durcheinander gesteckt und bildeten Kyries ganzes Leben. Sanft strich sie über ein Bild ihrer besten Freunde Alice und Mike. Vor ein paar Monaten hatten sich die beiden verliebt, nun weinte Alice jedes Mal wenn sie mit Kyrie in der Schule redete und Mike mied Kyrie vollkommen. Eigentlich hatte sie seit Wochen mit keinem ihrer Freunde geredet. Zugegeben mehr um sich selbst zu schützen, als ihre Freunde.

Der Gedanke auf Befehl ihres Vorgesetzten demnächst vielleicht ihren Freunden wehzutun bereitete Kyrie schmerzen und ließ ihre Wangen vor Wut glühen. Die ganze Situation machte Kyrie furchtbar wütend, so hatte es sich auch in ihrem Verhalten die letzten Wochen gezeigt.

Ihre Gabe der Telekinese, normalerweise gut trainiert, ließ von Zeit zu Zeit ohne ihr zu tun Gegenstände in ihrer Umgebung wackeln. Sie ließ ihren Blick von Alice und Mike zu einem Bild ihrer Familie wandern. Ihre Mutter Cecil hatte schulterlanges braunes Haar und ebensolche Augen und die Grübchen ließen ihr Gesicht freundlich und offen erscheinen. Coraline, Kyries kleine Schwester sah der Mutter am Ähnlichsten. Dieselben Haare, Augen, Grübchen und das offene Wesen. Kyries ein Jahr jüngerer Bruder Brandon und sie selbst sahen dem Vater ähnlicher. Blondes Haar und kantige Gesichtszüge waren vom Vater Richard weitervererbt worden. Vater, dachte Kyrie und strich über ein Bild von ihm. Er war immer so ernst.

"Abendessen ist fertig! Kyrilla, Brandon, Coraline. Kommt runter!", rief Kyries Mutter Cecil die Stufen hinauf. Der Duft des Essens unterstrich die Aussage der Mutter. Kyrie atmete drei Mal gut durch und wappnete sich gegen die einströmenden Gefühle hinsichtlich des letzten Abendessens bei ihrer geliebten Familie. Auf ihrem Weg nach unten sah sich jeden Zentimeter ihrer Heimat genau an. Sie wollte sich an alles erinnern, wollte sich erinnern wer sie einmal gewesen war.

Das Haus in dem sie lebten war zweistöckig und gut möbliert. Es war Herbst und bereits kühler draußen, doch das Haus war gut beheizt. An den Wänden hingen Bilder von Familienausflügen und Schulfotos von den drei Kindern. Bei einem Bild von Brandon und ihr blieb sie schließlich stehen. Es hing seit Jahren immer an derselben Stelle in der Mitte der Treppen. Der Tag an dem es gemacht wurde, war Kyrie nicht in Erinnerung geblieben, wohl aber das Gefühl von Brandons Hand in ihrer. Auf dem Bild hatten sie während eines heißen Sommers im nahen Teich nach fischen geangelt.

Als ihre Mutter mit dem Fotoapperat gekommen war, hatte ihr siebenjähriger Bruder ihre Hand gehalten und breit gegrinst. Unzählige Male vor diesem Moment hatte er dies getan, doch in diesem Augenblick war der achtjährigen Kyrie klar geworden, das ihr kleiner Bruder sie mehr liebte als alles andere auf dieser Welt. Das Gefühl der Liebe saß immer noch tief in ihr und hinterließ nun, da sie sich vermutlich für immer von ihm verabschieden musste, ein tiefes Loch in ihrem Herzen. Sie ging weiter ins Wohnzimmer zu einem reichlich gedeckten Tisch beleuchtet durch teuren Strom.

Mit einem Seufzer registrierte Kyrie das ihre Familie es nur so gut hatte, da ihr Vater von Briana Henotello abstammte und damit in der Zeugung Kyies einer Nationalen Pflicht nachgekommen war. Lothar von Bärenstein V unterstützte jede Henotello abstammende Familie und sammelte nach 18 Jahren deren Erstgeborene ein. Es war ein schmutziges Geschäft, das viele Henotellos dennoch ausnutzen. Ihr Onkel hatte ebenfalls vor Jahren eine Tochter gezeugt, doch der Mutter des Kindes nichts über seinen Namen oder das Schicksal des Mädchens erzählt.

Seit der Geburt ihrer Cousine lebte Kyries Onkel gut, ging nicht arbeiten und erfreute sich seines Lebens. Kyries Vater hatte ihr einmal erzählt, das sein Bruder noch einige andere Kinder hatte, nicht ein einziges davon kannte oder aufzog. Nur von seinem Namen lebte.

"Mann, hab ich einen riesen Hunger.", meinte Brandon und legte seiner großen Schwester einen Arm um die Schulter. Er war größer als sie geworden, doch Kyrie konnte immer noch den lächelnden Jungen hinter den beinahe erwachsenen Zügen erkennen. Seine blonden Haare hatte er in einem kleinen Zopf am Hinterkopf zusammengebunden, die einfache Jogginghose und das lockere T-shirt erinnerten sie daran zuhause zu sein. In Sicherheit.

Brandon lächelte, doch Kyrie konnte auch ohne ihre bildhafte Telepathie die Trauer, Wut und vor allem den Verlust in Brandons Gedanken erkennen.

Sanft zog er an ihrem blonden Pferdeschwanz und führte sie an den Esstisch. Coraline wartete bereits ungeduldig. Mit ihren acht Jahren war sie das Nesthäckchen der Familie und eine große Ablenkung von den bevorstehenden Ereignissen. Cecil kam aus der Küche mit einem großen Topf in den behandschuten Händen. Der Vater folgte ihr mit einer Salatschüssel.

"Ich habe dein Lieblingsessen gekocht.", meinte Cecil und stellte den schwer aussehenden Topf auf den Tisch.

"Mhm, das riecht gut!", schrie Coraline heraus und wackelte unruhig auf ihrem Sessel.

"Danke, Mama.", versuchte Kyrie es mit einer guten Miene zu bösem Spiel. Ihr Vater nickte ihr dankbar zu und nahm ebenfalls Platz. Als alle Familienmitglieder saßen wurde das Essen herumgereicht. Kyrie versuchte sich auf das köstliche Abendessen zu konzentrieren. Ihre Mutter hatte ohne Zweifel stunden in der Küche verbracht und sich äußerste Mühe gegeben.

Um sie nicht zu kränken, zwang Kyrie sich ihren Teller aufzuessen, selbst wenn ihr Magen sich wie ein Stein in ihren Innereien anfühlte. Ein paar Mal versuchte Cecil ein Gespräch in Gang zu bringen, jedoch waren alle zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Besonders Kyrie konnte beim Anblick ihres Vaters nicht aufhören an den schwersten Tag ihrer Kindheit zurückzudenken. Sie war zehn geworden und die Schule hatte endlich das Thema Pythonissame und ihre Aufgabe im Regime Lothar von Bärensteins durchgenommen. Kyrie war so schockiert gewesen als sie erfuhr das ihre Familie ebenfalls von Briana Henotello abstammte, weinend war sie zu ihrem Vater gelaufen. Dieser hatte die schwere Aufgabe gehabt einem Kind zu erklären, was in der Zukunft mit ihm passieren würde. Kyrie konnte sich an die Tränen ihres Vaters erinnern, als er sich wiederholend entschuldigt hatte. Sie wusste damals nicht warum.

Heute jedoch wusste sie es. Richard hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihr alles über seine Familie zu erzählen, sie möglicherweise durch Wissen beschützen zu können. Das Schicksal seiner Erstgeborenen war ihm von anfang an klargewesen. Er war ebenfalls in einem Haushalt mit einer älteren Schwester und den Annehmlichkeiten eines Henotellos aufgewachsen.

Als seine Schwester Tamara allerdings abgeholt wurde, änderte sich Richards Einstellung zum Vermächtnis seiner Vorfahrin. Er hatte seine große Schwester geliebt. Tante Tamara hatte die Akedemie und das Leben als Soldatin nicht überlebt. Selbstmord war zwar nicht verbreitet, aber es geschah. Weggelaufen, wie es sich Kyrie schon oft vorgestellt hatte, war seit gut 100 Jahren niemand mehr. Der damalige Lothar von Bärenstein hatte ein neues Gesetzt erlassen, demnach jede Familie einer weggelaufenen Hexe öffentlich abgeschlachtet werden würde.

Nichts hätte Kyrie fester an ihr Schicksal gebunden wie der Gedanke ihre Familie in Gefahr zu bringen. Aber sosehr sie sich auch bemüht hatte, sie konnte ihrem Vater nicht böse sein. In einem stillen Moment zwischen Mutter und Tochter hatte Cecil ihr erzählt, das ihr Vater niemals vorgehabt hatte ein Kind zu zeugen. Dies hatte er ihr an ihrem ersten Date fest entschlossen erklärt. Cecil war damit einverstanden gewesen und sie waren ein Paar geworden. Ein paar Monate später, wurde klar, dass Cecil ein Kind erwartete. Richard hatte getobt und Gegenstände durch die Luft geworden.

Kyrie hatte den Beschreibungen ihrer Mutter nicht recht glauben können, schließlich kannte sie ihren Vater als sorgsam und umgänglich. Sogar einen Schwangerschaftabbruch zogen sie in erwägung, doch als die Behörden von Cecils Umständen erfuhren, war dies keine Option mehr.

Es hätte ihrer beider Tod bedeutet. So entschieden sie sich Kyrie zu behalten. Traurig sah sie in die Gesichter ihrer Familie, erkannte, dass ihr Verlust sie alle bis ins Mark erschütterte. Selbst ihre kleine Schwester störte die trauernde Stille des letzten Abendessens nicht. Natürlich war ihren Eltern klar gewesen, dass Kyrie sobald sie 18 war, in die Pythonissam eintreten musste und damit verloren sein würde. Jedoch hatten ihre Eltern beschlossen statt emotionaler Kälte liebe die größte Erinnerung Kyries an ihre Familie sein zu lassen. Diese Liebe, da war sich Kyrie sicher, würde sie in den kommenden Jahren retten. Sie war ihnen für die vielen schönen Momente so dankbar. "Komm, ich räume den Tisch ab.", meinte Brandon, stappelte die Teller und verließ durch eine schwingende Türe das geräumige Wohnzimmer.

Wie überall knarrte der Boden als er in der Küche arbeitete.

"Ich geh helfen!", Coraline sprang auf und lief zu ihrem Bruder. Cecil und Richard, ihre Mutter und Vater sahen sich an. Kyrie spürte so viele Gefühle von ihnen. Unbewusst ließ sie sich in die Gefühle ihrer Mutter sinken und sah ein Bild von sich als Baby, sah die schönsten Momente ihrer gemeinsamen Zeit. Dem Charakter ihrer Mutter entsprechend dachte diese nur an die guten Momente und an ihre starke Liebe zu ihrem Kind.

Ein Gegensatz dazu spürte Kyrie bei ihrem Vater. Seine Gedanken waren ein Chaos aus Bildern von Feuer, Gewalt und ihrer kleinen Hand in seiner. Obwohl so viel Wut in ihm tobte, war sein Gesicht ruhig als er sie ansah. Immer noch versuchte er sie auf seine Weise zu beschützen.

"Ich habe noch ein Geschenk an dich, meine liebe Tochter." Neugierig steckte Kyrie die Hand aus als er ihr eine kleine, blaue Schachtel reichte. Darin fand Kyrie ohrstecker vor, winzig klein, aus Gold und in der Form einer Blume.

"Wir dachten, wenn sie so klein sind, nehmen sie sie dir in der Akademie vielleicht nicht weg. Dann hättest du immer etwas bei dir von uns.", die Stimme ihrer Mutter war brüchig und Tränen sammelten sich in den braunen Augen.

"Danke Mama, die sind wunderschön. Ich werde sie niemals abnehmen, versprochen." Richard räusperte sich.

"Kyrilla, es tut mir leid. Nichts davon hast du gewollt und nichts davon verdienst du. Ich...wir lieben dich so sehr und hätten uns einen anderen Weg gewünscht." Kyrie nickte zögerlich und schlug die Augen nieder.

Die geschlagene Stimme ihres Vaters brachte Tränen in ihre Augen.

"Kannst du mir verzeihen, Kyrie?" Verwirrt blickte sie auf und sah in die tränennassen Augen ihres Vaters. Ohne zu zögern stand Kyrie auf, rannte um den Tisch und warf sich in Richards Arme.

"Da gibt es nichts zu verzeihen, papa! Ich hab dich so lieb! So lieb!" Weinend standen sie da und warteten darauf ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.

"Ich werde dich auch vermissen, Kyrie.", meinte die achtjährige Coraline in der Küchentür stehend. Sie weinte nicht, aber sie war sehr viel ruhiger als sonst, schien die angespannte Situation zu begreifen. Brandon stand hinter ihr, einen großen Schokoladekuchen in der Hand. Kyrie wand sich aus den Armen ihres Vaters und setzte sich wieder an ihren Platz.

Mit einem tiefen Atemzug schob Brandon seine kleine Schwester zurück auf ihren Platz neben Kyrie und stellte den Kuchen in die Mitte des Tisches. Cecil stand auf um den Kuchen zu schneiden, während Richard Monopoly aus dem Regal holte. Kyrie traute ihren Augen nicht als er anfing das Spiel vorzubereiten und ihre Mutter ein großes Stück Kuchen vor ihr hinstellte.

"Wir dachten, an unserem letzten Abend zusammen, könnten wir genauso gut etwas Schönes machen. Schlafen wird sowieso niemand von uns können." Zum ersten Mal seit einer Woche breitete sich ein Lächeln auf Kyries Gesicht aus. Dankbar sah sie in die Gesichter ihrer Familie.

"Das war Brandons Idee.", meinte Richard lächelnd und stellte die Spielfiguren auf den Start. Liebevoll sah Kyrie ihren kleinen Bruder an. Dieser erwiderte ihren Blick lächelnd. Den Rest des Abends verbrachte die Familie damit Monopoly zu spielen, zu lachen und Kuchen zu essen.

Erst als es zwei Uhr wurde, schlief Coraline am Tisch ein und die Eltern brachten sie ins Bett. Gähnend verabschiedeten sie sich und Cecil versprach Kyrie rechtzeitig aufzuwecken. Der Abholtermin würde um acht uhr morgens sein. Kyrie ging Zähneputzen und legte sich schließlich in ihr dunkles Zimmer.

Angestrengt versuchte sie einzuschlafen, doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte ihr Herz nicht beruhigen. Es raste in ihrer Brust als würde sie einen Marathon laufen. Ihre Gedanken kreisten, ihre Telekinese ließ mehrere Gegenstände im Raum wackeln. Frustriert versuchte sie sich auf einen Punkt an der Decke zu konzentrieren und meditativ zu atmen.

Brachte nichts außer einen unschönen Riss in der Decke. Kyrie gab es auf und wälzte sich stattdessen unruhig im Bett umher.

Plötzlich öffnete sich die Tür und eine dunkle Gestalt schlüpfte in ihr Zimmer. Kyrie stützte sich auf die Ellenbogen und benutzte ihre Telepathie um in ihren Besucher zu identifizieren. Brandon ließ sich neben ihr Bett auf den Boden fallen und drückte Kyries Schultern zurück auf die Matratze.

"Du kannst nicht schlafen, oder?", flüsterte er.

"Nein." Brandon wusste immer wann es ihr nicht gutging, im Scherz hatte sie oft behauptet, dass dies seine Henotello-Gabe wäre.

"Ich bleibe heute Nacht bei dir.", meinte er bestimmt und nahm Kyries Hand. Sie zitterte leicht.

"Das ist Unsinn, Bran. Du hast morgen Schule. Geh Schlafen. Ich komm schon klar." Der junge Mann schnaubte.

"Sicher. Ich weiß, dass du Angst hast, Kyrie. Und ich weiß, dass du uns nicht verlassen willst. Aber du musst gehen, das weiß ich auch. Ich kann dich nicht beschützen, ich kann dich auch nicht retten. Aber ich kann heute Nacht bei dir bleiben und dafür sorgen, dass du morgen ausgeschlafen diesen Mistkerlen gegenüber treten kannst. Versprich mir nur das du dich nicht unterkriegen lässt." Kyrie spürte wie sich ihr bei den Worten ihres Bruders der Hals zuschnürte. Nur brüchig brachte sie die nächsten Worte heraus.

"Ich verspreche es."

"Da ist noch etwas," Brandon machte eine Pause und kam näher an ihr Ohr, "es gibt.... Leute, die mit Bärensteins Regime nicht einverstanden sind. Sie halten ihn für selbstsüchtig und grausam. Und-"

"Was hat das mit mir zu tun?", unterbrach Kyrie. Brandon fiel es sichtlich schwer ihr diese Dinge zu erzählen.

"Ich hab mich umgehört. Es gibt da eine Organisation. Sie wollen Bärenstein nicht mehr an der Macht. Ich dachte wir,"

"Bran, das ist wahnsinnig gefährlich. Denk an Mama und Papa und Coraline!" Ohne es zu merken war Kyries Stimme lauter geworden. Brandon deutete ihr leiser zu sein. In seiner Stimme schwang Wut und Verbitterung.

"Denkst du ich weiß das nicht. Aber, Schwester, Ich möchte nicht im Militär dienen nur weil ich groß und stark bin. Viel lieber wäre ich Lehrer und irgendwann möchte ich Kinder haben. Ich möchte, dass diese Kinder in Frieden leben können. Verstehst du nicht, das wir niemals frei sein können. Niemals Frieden haben werden. Diese Gene, dieser Name und die darin enthaltenen Gaben werden uns immer zu Sklaven machen."

"Ich weiß! Ich weiß, dass von uns allen am besten! Aber niemals würde ich dich, Mama, Papa oder Coraline dafür in Gefahr bringen. Ich kann nicht glauben, dass du so etwas tun würdest. Das ist so egoistisch!"

Brandon schlug die Augen nieder und lehnte sich enttäuscht mit dem Rücken gegen ihr Bett. Kyrie starrte wütend, aber insgeheim auch hoffnungsvoll an die Decke und sortierte ihre Gedanken. Es gab nur eine Oraganisation, die Brandon meinen könnte. >OneSheep< wurde sie genannt. Angeblich weil sie einen aus dem Schlaf des Regimes reißen würden. Immer mal wieder ließen sie Bomben explodieren und entführten Regimeanhänger. Die einzigen Leidtragenden waren die toten Zivilisten und deren Angehörige. Geändert hatte sich nichts. Kyrie hatte sich nie Gedanken um Revolution gemacht. Ihre einzige Sorge galt dem Schutz ihrer Familie und dem Überleben in der Akademie. Sie wollte leben.

"Soll ich gehen?", fragte Brandon kleinlaut, dass er sich nicht für seine Idee entschuldigen würde, war Kyrie klar. Es war nicht nur sein Körperbau, der Brandon zum Militärdienst gebracht hatte. Seinen Lehrern war seine Führungskraft, Entschlossenheit und die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen aufgefallen.

In Beerellon entschied man sich nichts fürs Militär, man wurde rekrutiert, ob man wollte oder nicht. Brandon hatte genauso wenig Wahl gehabt wie sie. Nun mussten sie beide einem Land dienen, das sie zutiefst hassten.

Magentas Auftritt

Meine Liebste Nelenia,

kannst du dich an die Geschichte vom einsamen Wolf erinnern, die ich dir als du klein warst immer vorgelesen habe? Ich weiß, dass dein Leben dieser Geschichte gerade sehr ähnlich ist. Ich weiß, dass ich der Grund für deine Einsamkeit und Angst bin und es tut mir unendlich leid. Niemals wollte ich dir ein Leben als Sklave antun, doch mit der Zeit wirst du meine Gründe verstehen. Ich schreibe dir, in der Hoffnung das die in den Zeilen enthaltene Liebe ihren Weg zu dir findet. Wenn ich Bärenstein frage, sagt er dass es dir gut geht, dass du trainierst und arbeitest. Er lässt mich diesen Brief nur schreiben, wenn er ihn vorher durchlesen kann. Deiner Schwester Sandrine und mir geht es zwar gut, aber wir vermissen dich. Sandrine fragt jeden Tag nach dir. Wir leben in Lothars Burg, aber ohne dich ist es nicht dasselbe. Seit neuestem hast du auch einen kleinen Bruder. Sein Name ist John. Ich hoffe ihn dir eines Tages vorstellen zu können. Meine kleine Nelenia, mein Sonnenschein, mein Engel, pass auf dich auf und komm uns bald besuchen. In Liebe deine Mutter Briana Henotello.

Pünktlich um acht Uhr würden zwei Personen in dunkler Militärkleidung und ernsten Gesichtern vor der Eingangstür ihres Hauses stehen und klingeln. Kyrie konnte sich vorstellen, was sie wohl sehen würden; ein mit Efeu überwachsenes grün gestrichenes Haus mit einem kleinen Blumengarten davor. Ihr Vater pflegte diesen mit leidenschaftlicher Hingabe.

Es war ein gutes Haus, trocken und sauber, keine Einschusslöcher in einer guten loyalen Gegend. Früher hatte sogar eine andere Henotello-Familie hier gewohnt, aber nachdem sie ihren Tribut, ihren erstgeborenen Sohn aufgeben mussten, hatten sich die Eltern getrennt und waren allesamt weggezogen.

Kein seltenes Schicksal bei zurückgelassenen Familien, aber Kyrie war sich sicher, dass ihre Eltern ihren Verlust gemeinsam überstehen würden.

Selbst wenn sie sich danach nicht mehr lieben sollten, würden sie Coraline und Brandon nicht ein leben in Pflegefamilien antun, denn wer keine Intakte Partnerschaft aufweisen konnte, verlor die Kinder.

Die Sonne schien durch das Wohnzimmerfenster und machte es ohne Heizung warm. Im Sonnenlicht sah alles gleich viel schöner aus, viel Hoffnungsvoller, ganz anders als Kyries Gefühlslage.

Der Esstisch war immer noch mit Torte und Monopoly gedeckt. Kyries brauner Seesack war bereits gepackt und wartete an der Tür. In einer Ecke des geräumigen Zimmers stand ein kaum benutzter Fernseher. Die anderen Wände waren voller Bücher über alle möglichen Themen.

Ihre Mutter war leidenschaftliche Leserin und hatte diese Sammlung von ihrem Vater geerbt. Manche der Bücher waren Jahrhunderte alt und sehr kostbar. Coralines Spielzeug lag am Boden und Brandons Gitarre weilte in einer Ecke. Seit er zum Militärdienst berufen worden war, hatte er sie nicht mehr angerührt.

Es war ein schönes Wohnzimmer, ruhig und mit Dekoration und Basteleinen der Kinder geschmückt. Hier hatte sie sich immer wohlgefühlt. Während ihres kurzen hastigen Frühstücks berührte sie die neuen Ohrringe. Sie wollte sichergehen, dass sie sie nicht vergessen hatte. Ähnlich tat es ihre Mutter indem sie Kyrie immer wieder über das blonde Haar strich und sie auf die Stirn küsste. Ihr Vater hatte sich bis jetzt nicht aus seinem Arbeitszimmer gewagt. Eine dunkle Eichentür sperrte ihn ein und seine Familie aus.

Kyrie fürchtete ihn nicht noch einmal zu sehen, bevor sie ging. Unruhig spielte sie mit ihrem langen Haar und hörte Coraline beim reden zu.

Ihre kleine Schwester versuchte hartnäckig mit quatschen die Situation zu entspannen. Kyrie konnte über diesen süßen Versuch ihrer achtjährigen Schwester nur lächeln.

Ding. Dong.

Ihr Herz raste als sie die Klingel hörte. Sanft wackelte der Tisch. Brandon nahm ihre Hand und drücke fest zu.

"Hey, tief durchatmen.", flüsterte er mit seinem sanften Bariton. Kyrie nickte hastig, tat wie ihr befohlen und versuchte ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Instinktiv versuchte sie mit ihrer Telepathie herauszufinden, wer sich da vor ihrer Tür befand, doch ein starker, unmissverständlicher Händedruck Brandons zog ihre Sinne auf ihn. Sein bestimmtes Kopfschütteln erinnerte sie daran, dass die Abholer zur Pythonissame gehörten und vielleicht die Fähigkeit der Telepathie besaßen. Sie würden es spüren wenn Kyrie in ihren Kopf zu gelangen versuchte. Sie würden sie als Telepathin kennenlernen und sobald sie dann sahen wie Kyrie aus Angst etwas schweben ließ, war es aus mit ihrem Geheimnis.

Ein Geheimnis, das nicht einmal ihre Eltern kannten.

Henotellos erhielten ihre Gabe normalerweise mit etwa zehn- bis zwölf Jahren und dann auch nur eine einzige Gabe je noch Anlage der Gene. Sollten diese Gene stärker ausgeprägt sein würde sich dies in der Stärke der Gabe zeigen. Kein Henotello suchte sich seine Gabe aus, man erhielt was die Gene hergaben, jedoch ließ sich nicht selten am Charakter des Kindes eine Affinität feststellen.

Cecil und Richard dachten bei ihrer Tochter sofort an Telekinese. Oft musste Kyrie sich Geschichten aus ihrer Kindheit zu einem kurzen Geduldsfaden und großer Willensstärke anhören. Wie es die Eltern vermuteten, kam es auch. Kyrie ließ mit zwölf Jahren einen Stein schweben. Die Eltern waren erfreut recht gehabt zu haben, jedoch hieße die Fähigkeit der Telekinese auch ein hartes Training und Kampf an vorderster Front im Krieg gegen Rebellen und andere Länder.

Beinahe sofort begann Richard mit einem Trainingsplan für Kyrie. Nur Brandon war da als sie mit dreizehn Jahren Kerzen entflammte und an ihrem vierzehnten Geburtstag den ersten Gedanken aus Brandons Kopf stahl. Als sie sich mit fünfzehn eine Schnittwunde beim Kochen für sich und Brandon zuzog heilte die Verletzung in wenigen Minuten. Jedes Jahr kam eine neue Fähigkeit dazu. Wirklich trainiert hatte sie nur die Telekinese mit ihrem Vater.

Mit Feuer zu spielen oder sich selbst zu verletzten um zu sehen wie schnell es heilen würde, wäre viel zu auffällig gewesen. Brandon und Kyrie hatten lange darüber diskutiert ob sie ihren Eltern von den Gaben erzählen sollten, doch Brandons Argument, das es sicherer für sie wäre es nicht zu wissen, ließ Kyrie immer verstummen.

Selbst viele Stunden der Nachforschung hatten keine Hinweise auf eine andere Henotello ergeben die mehr als eine Gabe besaß. Es würde Kyrie zur Kuriosität machen, sie vielleicht für den Rest ihres Lebens in ein Labor verbannen. Ein noch schrecklicheres Schicksal als in der Armee zu dienen.

"Ich...ich werde aufmachen.", meinte Cecil und legte das Geschirrtuch weg, richtete ihr einfaches blaues Kleid und trat zögerlich an die Tür.

Das Sonnenlicht ließ ihre grauen Strähnen leuchten und zeigten Kyrie deutlich die Spuren des Kummers. Schneller als die Kinder es für möglich gehalten hatte, wurde die Türe des Arbeitszimmers aufgerissen und ihr Vater stürmte heraus. Seinem Aussehen zu urteilen hatte er die halbe Nacht im Arbeitszimmer verbracht. Das braune Hemd war zerknittert und mit Kaffeflecken versehen, die Hose ebenso. Wild stand ihm das dünner werdende blonde Haar wie ein Heiligenschein vom Kopf ab.

Angespannt stellte er sich neben seine Frau. Kyrie konnte die Schatten unter seinen Augen sehen, den Kiefer zusammenpresst. Sofort stellten die Kinder das Frühstücken ein und starrten wie gebannt auf die hölzerne Eingangstür, als wäre sie gerade in Flammen aufgegangen. Mit zittrigen Händen öffnete Richard die Eingangstür und bat die ungebetenen Gäste herein.

Kyrie starrte die Frau Mitte dreißig und den jungen Mann kaum älter als sie mit offenen Augen an. Die dunkle Militärkleidung verhüllte jegliche körperlichen Attribute der beiden, außer, dass sie groß waren. Kyrie hoffte nur, dass sie sich nicht denselben Kurzhaarschnitt wie die Frau zulegen musste, viel zu sehr liebte sie ihr langes Haar. Die Fremde trat vor und hielt Kyrie die Hand hin.

"Guten Tag, Kyrilla Henotello. Mein Name ist Magenta. Dies ist mein Kollege Lewis. Wir sind hier um dich zur Akademie zu bringen. Hast du deine Sachen gepackt?"

Kyrie schüttelte die Hand der Fremden nur widerwillig. Obwohl Magenta freundlich klang, konnte Kyrie den unmissverständlichen Befehl nicht überhören. Magenta sah sich mit ihren eisig blauen Augen genau im Wohnzimmer um, verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.

Ihr Begleiter hielt sich im Hintergrund, sagte nichts, doch sein neugieriger Blick wanderte ebenso wie Magentas. Die dunklen Haare waren bis auf einen Milimenter geschoren. Eine lange, wulstige Narbe zierte seine linke Schläfe, ließ ihn in Kyries Augen bedrohlicher, aber auch trauriger wirken.

Während Kyrie sich von ihrer Familie verabschiedete, ließ sie Magenta nicht aus den Augen. Sie hatte das Gefühl, die Fremde könnte jeden Moment zu morden beginnen. Zuerst umarmte sie Coraline und strich dem Mädchen zärtlich über den Kopf.

"Sei brav, Cora. Ich hab dich lieb. Meine Kleider gehören jetzt alle dir."

Unter Tränen lächelte das Mädchen ihre große vorbildhafte Schwester an. "Ich hab dich auch lieb, Kri.", flüsterte Cora in Kyries schwarzes Langshirt.

Sie würde das Mädchen vermissen, das wusste Kyrie sicher. Sie war auf die Welt gekommen, als Brandon und sie schon ein eingespieltes Team waren und gemeinsam Unfug anstellten. Cora war immer wie die lebensechte Puppe gewesen, die Kyrie sich nicht zu wünschen getraut hatte. Die Geschwister hatten ihre kleine Schwester auf Händen getragen, ab nun würde Brandon dies alleine tun müssen.

Die Tränen unterdrückend drehte Kyrie sich zu ihrer Mutter und umarmte auch diese fest, dachte an all die Momente in denen sie mit ihrer Mutter gelacht hatte. Cecil hatte ihr das Backen beigebracht und war mit ihr einkaufen gegangen. Bei jedem Problem war ihre Mutter zur Stelle gewesen um alles wieder gut zu machen. Kyrie konnte sich ein Leben ohne die tröstenden Worte und das ansteckende Lachen dieser wundervollen Frau gar nicht vorstellen. Worte, der bedingungslosen Liebe und Dankbarkeit blieben ihr im Hals stecken, zu unwirklich erschien ihr der Abschied.

Unwillig drehte sie sich dennoch zu ihrem Vater, der die Tränen nur schwerlich zurückhalten konnte. Wut brodelte an der Oberfläche seiner Gefühle. Sanft strich Kyrie ihm über die Wange und meinte lächelnd:

"Du hast mir eine wundervolle Kindheit geschenkt, Papa. Bitte, sorg dafür das Brandon und Coraline auch so eine haben." Richard schluckte und nickte ergeben. Gegen die Worte seiner Tochter konnte er nicht argumentieren. Jede Art der Rebellion, manchmal sogar nur der Gedanke konnte Tote zur Folge haben. In Beerellon waren nicht einmal die Gedanken sicher.

"Wir sollten losfahren", mischte sich Magenta ein.

"Gleich, nur noch mein Bruder und dann fahren wir." Magenta ließ einen widerwilligen Seufzer hören, der Kyries Wut anstachelte. Aber sobald sie in die traurigen Augen ihres Bruder sah, verspürte sie nur noch Verlust. Der junge Mann nahm seine Schwester liebevoll in die Arme und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Hastig flüsterte Brandon seine Abschiedsworte.

"Ich hab dich so lieb, Kyrie. Du bist stark und mutig, du wirst das hier schaffen. Pass auf das dich niemand erwischt und zähl bis drei bevor du was gefährliches tust. Bitte,... bitte pass auf dich auf. Egal was passiert, ich bin immer auf deiner Seite, immer.....komm zu uns zurück..." Kyrie nickte zögerlich, tränen rannen ihre Wange hinunter, benetzten Brandons Shirt.

Die bebenden Schultern konnte auch Brandons fester Griff nicht stoppen. Kyrie, konnte Brandons zittrigen Atem hören, spürte wie sehr er die Trauer, aber auch Wut zurückhalten musste. Sie fragte sich, ob sie dieselbe oder doch eine sehr viel zerstörerische Wut in sich trug.

"So, dass reicht. Kyrilla, komm jetzt. Wir haben noch einen langen Tag vor uns." Magenta zog an Kyries Schulter, versuchte sie von Brandon wegzuziehen. Mit einem Telekinetischen Schubs warf Kyrie sie einen Schritt zurück. Es war keinesfalls ein fester Schlag, wenn Kyrie wollte konnte sie eine Person sehr viel heftiger Stoßen.

Erstaunt und erfreut breitete sich ein Lächeln auf Magentas Gesicht aus. Die kalten Augen fingen an zu glitzern und bedrohlich kam Magenta näher.

"Das hättest du nicht tun sollen, kleines Kind!", meinte sie und berührte Kyrie am Arm bevor diese wegzucken konnte. Ein stechender Schmerz raste durch ihren Arm hinauf in ihren Brustkorb, raubte ihr den Atem und ließ sie taumeln.

Es wartet ein Haufen Scheiße

Meister Bärenstein,

wie gewünscht wurde das Mädchen Nelenia gegen die Rebellen im Süden eingesetzt.

Sie konnte die Rebellion innerhalb weniger Stunden vollkommen zerschlagen.

Ihre Konditionierung hat gehalten, keiner meiner Befehle wurde missachtet. Sie gehorchte jedem meiner Worte. Ich bin von den Fähigkeiten der Hexe sehr beeindruckt. Dennoch muss ich Euch mitteilen, dass die Kraftanstrengung enorm war und sie danach für drei Wochen unbrauchbar war.

Ist es Euch möglich weitere dieser Pythonissam zu schicken?

Mit allergrößer Hochachtung, Commandant Fuchs vom vierten Regiment.

"Wach auf! Komm schon, Kyrilla! Wach auf, bevor sie kommt. Du willst nicht wissen, wie Magenta dich wecken würde. Wach auf, Kleine. Schlafenszeit ist beendet.", langsam öffnete Kyrie die Augen und sah in das harte Gesicht eines unbekannten Mannes der sich über sie beugte. Seine grünen Augen schienen vor Intensität zu strahlen. Erschrocken zuckte sie weg, setzte sich auf und sah sich um. Sie saß auf der Rückbank eines stehenden Wagen. Im Licht der Flutlichtanlage und der Autoscheinwerfer sah eine einzelne befestigte Straße, die zu einer rot-weiß gestreifte Schranke und einem kleinen grauen Häuschen daneben führte. Zu beiden Seiten der Schranke standen Soldaten in denselben Uniformen wie Magenta und starrten stur geradeaus. Hinter der Schranke konnte Kyrie die Straße zu mehreren grauen, blockartigen Gebäuden führen sehen. Die Umgebung bestand nur aus Bäumen und dieser einen Straße, weit und breit weder Häuser noch Geschäfte noch Menschen. Die Tür zur Rückbank war weit offen und ließ die kalte Nachtluft hinein. Die Dunkelheit außerhalb des künstlichen Lichts schien erdrückend. Fröstelnd schlang Kyrie die Arme um sich, bemerkte das sie keine Jacke trug, nur ihr Langshirt und die verwaschene Jeans. Ihre braunen lieblingsschuhe lagen vor ihr auf dem Autoboden. Ein stechender Schmerz in ihrem Arm erinnerte sie daran was geschehen war, erinnerten sie an die Schmerzen und ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie konnte Magenta nirgends sehen nur den Fremden vor ihr, der trotz herben Äußerem einen ruhigen und verständnisvollen Blick hatte. Dennoch Misstrauisch beäugte sie den jungen Mann vor sich. "Du bist Lewis, richtig? Wo bin ich? Wo ist Magenta?"

Lewis richtete sich auf und fuhr sich über die kurzen Haare, als wären sie einmal länger gewesen. "Du bist in der Akademie, oder zumindest kurz davor. Siehst du das graue Häuschen dort? Da ist eine Wache der Pythonissam drin. Magenta redet grad mit ihm, damit er uns durchlässt.", er taxierte Kyrie von oben bis unten und meinte dann stirnrunzelnd, "Alles in Ordnung? Magenta hat dich ordentlich erwischt, normalerweise hat sie mit neuen Rekruten ein wenig mehr Geduld, aber du hast sie mit deinem kleinen Telekinese-trick wirklich auf die Palme gebracht."

Kyrie strich sich das wirre Haar aus dem Gesicht und zuckte mit den Achseln.

"Ich wollte mich nur verabschieden. Ich werde meine Familie nie wiedersehen, da kann ich doch wenigstens anständig Lebewohl sagen."

Lewis nickte und Kyrie dachte für eine Sekunde so etwas wie Traurigkeit in seinem Gesicht gesehen zu haben. Seufzend deutete er ihr auf der Rückbank Platz zu machen. Kyrie rutschte rein und sah zu wie Lewis die Türe schloss und seine Jacke um ihre Schultern hing. "Es ist ziemlich kalt draußen." "Danke", stotterte sie überrascht " Geht es meiner Familie gut? Habt ihr meinen Seesack mitgenommen?" "Ja, deiner Familie geht es gut. Sie waren etwas schockiert als Magenta ihre Gabe verwendet hat, aber sie haben sich gut benommen. Magenta wird sie nicht melden. Sie sind sicher und ja, wir haben den Seesack, obwohl du ihn nicht brauchen wirst." Kyrie nickte erleichtert, doch seine Worte verwirrten sie zunehmend. "Was meinst du damit? Wieso werde ich den Seesack nicht brauchen? Sie haben im Einzugsbrief deutlich geschrieben, was man einpacken soll." Lewis schnaubte und lehnte sich näher zu ihr. "Sie schreiben das nur damit man keine Angst kriegt. Du bekommst jedes Kleidungsstück neu von ihnen, sogar Haarbürsten und Zahnputzzeug. Nichts wird je wieder dir gehören. Nicht mal dein Name." Stirnrunzelnd sah sie Lewis an. "Mein Name?" "Genau oder sehe ich wirklich aus wie ein bekloppter Lewis? Ich heiße Zeus." Kyrie konnte ein Lachen gerade noch unterdrücken. "Zeus? Wirklich?" Zuerst versuchte Zeus sie böse anzusehen, schmunzelte dann jedoch selbst. "Ja wirklich. Meine Mutter liebte die griechische Mythologie und besonders den Götterkönig. Der Name ist seltsam, aber er ist alles was ich habe." "Nun es freut mich dich kennenzulernen, Zeus Henotello.", Kyrie streckte ihm die Hand hin und lächelnd ergriff sie der junge Mann. Sein Lächeln verblasste als er aus dem Autofenster sah. Kyrie folgte seinem Blick. Magenta verabschiedete sich gerade von einem etwa Vierzigjährigen mit schütterem Haar und imposanter Größe. Beim Anblick der Frau wurde Kyrie heiß und Kalt. Wut ließ ihr Blut kochen, doch die Angst vor erneuten Schmerzen ließ sie frösteln. "Schnell wir haben nicht viel Zeit. Hör mir zu.", drängte Zeus und zwang sie ihn anzusehen. "Egal was sie verlangen, tu es. Egal wie unangenehm es auch ist. Und es wird unangenehm werden. Du bist zwar wertvoll, aber sie haben ihre Wege um jeden gefügig zu machen. Du willst dir die Schmerzen nicht antun, glaub mir. Vertraue niemanden, wir sitzen zwar alle im selben Boot, aber es gibt durchaus Henotellos, die gerne Soldat spielen und ihre Gaben missbrauchen. Magenta ist eine von ihnen. Sie ist Ausbilderin in der Akademie." Kyrie nickte hastig zum Zeichen des Verstehens.

"Gut, schnell zieh dir die Schuhe an. Und mach dich bereit."

"In Ordnung." Kyrie zog sich die Schuhe an und warf dabei immer wieder einen ängstlichen Blick aus dem Fenster. Magenta war auf dem Weg zurück zum Auto, in ihrer rechten Hand hielt sie Papiere.

"Noch was. Ich werd nicht mehr so freundlich sein, wenn wir erst in der Akademie sind. Dort gibt es keinen Platz für Freunde. Sollte wer nett sein, halte dich besser von ihnen fern."

"Was wird jetzt passieren?", fragte sie ängstlicher als beabsichtigt. Zeus sah sie gleichgültig an. "Sie werden dir alles nehmen, danach kommt die Ausbildung. Kyrilla, ich will dich nicht anlügen. Es wartet ein Haufen Scheiße auf dich."

Kopfschüttelnd lächelte sie ihn schief an. "Hab ich mir fast gedacht. Übrigens nennt man mich Kyrie. Zumindest nannte man mich so. Mal sehen was für einen Namen sie für mich haben."

Er erwiderte das kleine Lächeln.

"Hallo Kyrie. Ich werde mich jetzt nicht zu sehr an den Namen gewöhnen. Beim nächsten Mal wirst du dich mir leider anders vorstellen." Zeus öffnete die Autotür und lächelte sie ein letztes Mal an, bevor die Emotionen sein Gesicht verließen, der harte Blick eines Soldaten zurückkehrte und er ausstieg. Magenta stieg bei der Fahrertür ein und steckte ohne Umschweife den Schlüssel ins Zündschloss. Zeus war kaum eingestiegen, als sie losfuhr und mit einem Blick in den Rückspiegel registrierte, dass ihr bewusstloser Gast nicht mehr bewusstlos war.

"Guten Morgen, Kyrilla. Ich nehme an du hast gut geschlafen. Du bist rechtzeitig zu deiner Ankunft in der Akademie aufgewacht." Kyrie konnte den schadenfrohen Tonfall in Magentas Stimme heraushören und spürte wie sie wütend wurde. Der Blick aus dem Fenster lenkte sie jedoch von ihren Gefühlen ab. Je näher sie den grauen Gebäuden umgeben von einer schier unendlichen freien Fläche kamen umso größer wurden sie. Kyrie konnte Gitterstäbe an allen Fenstern erkennen und ein Zaun säumte das Ende des Grundstückes. Dem lauten Summen nach zu urteilen, war er elektrisch. Der Wagen hielt auf einem militärparkplatz neben Truppentransportern und Panzern. Magenta und Zeus stiegen sofort aus und Kyrie tat es ihnen gleich. Sie wollte Zeus ratschlag beherzigen, zumindest fürs erste.

Magenta öffnete den Kofferraum und warf ihr den Seesack zu.

"Den wirst du brauchen.", meinte sie mit einen fiesen kleinen Lächeln und ging voraus zum Eingang eines Gebäudes. Ein vielsagender Blick aus Zeus Augen ließ sie sich innerlich für das kommende wappnen. Eine kurze Treppe führte zu einer großen metallenen Eingangstür. Durch diese Eingangstür schritt Kyrie und wurde von einem großen Raum empfangen. Stühle standen in mehreren Reihen an den Wänden und sahen alle in dieselbe Richtung.; zu einer Rezeption in der eine genervt aussehende Frau Anfang vierzig Papiere durchsah. Ihr Brille saß tief auf der Nase als sie aufsah um die Neuankömmlinge zu begutachten. Magenta zeigte auf zwei Sessel und ging zur Rezeption.

Zeus griff nach ihrem Oberarm und führte sie zu den Sesseln. Neugierig wurde sie von den bereits dort sitzenden Menschen erwartet.

Jede neue Pythonissam saß neben einem Soldaten in perfekter Uniform wie Zeus. Kyrie sah zwei Mädchen und drei Jungen, neue wie sie. Eines der Mädchen weinte bitterlich und wurde deshalb von ihrem Bewacher immer wieder böse angesehen. Die anderen versuchten möglichst unauffällig zu sein und sich keinen Ärger einzuhandeln. Kyrie legte ihren Seesack vor sich auf dein Boden und konzentrierte sich auf Magentas Gespräch mit der Rezeptionistin, benutzte ihre Gabe des perfekten Hörens, die sich letztes Jahr gezeigt hatte und lauschte interessiert.

"Guten Abend, Magenta. Wie geht es dir?"

"Guten Abend, Pipione. Mir geht's gut. Dir?" Pipione seufzte frustriert und strich sich das schwarze Haar aus dem Gesicht. Einige Strähnen hatte sich aus dem strengen Dutt gelöst.

"Naja, mein Wachposten ist heute leider krank, also bin ich alleine mit den neuen Bälgern. Dieses herum Geheule. 18 ist bei weitem zu alt um sich so aufzuführen. Und dann glauben sie auch noch, dass sie mit mir über ihre Probleme und Ängste reden könnten. Sehe ich so freundlich aus? Ich freue mich schon auf meinen Dienstschluss!"

"Ich freue mich auch wenn mein Auftrag endlich erledigt ist. Die Kleine war ganz schön nervig. Ständig dieses Gefühlsgeplänke. Musste sie doch allen Ernstes mit meiner Gabe schocken, sonst wäre sie bei Mami und Papi geblieben." Pipione sah neugierig in Kyries Richtung und wandte ihren Blick dann wieder Magenta zu.

"Wen hast du für mich?", fragte die Rezeptionistin interessiert.

"Kyrilla Henotello. Siebter Bezirk. Hier sind die Einzugspapiere." Magenta lehnte sich näher zu Pipione.

"Glaubst du es stimmt, was der Verwalter gesagt hat? Dass sie eine direkte Nachfahrin von Nelenia und deren erstgeborenen ist?" Pipione lächelte verhalten.

"Nun, das werden wir schon noch rausfinden. Laut den Papieren kann es durchaus sein. Aber alles weitere erledige ich. Du ruh dich aus und genieße deinen freien Abend. Wir sehen uns morgen."

"Gut, ich lasse dir Lewis zur Sicherheit da. Sollte sie Schwierigkeiten machen." Pipione lachte leise.

"Ich weiß schon wie ich mit neuen Rekruten umgehen muss, aber danke, ich nehme das Angebot gerne an. Und sei es auch nur weil der Junge gutaussehen ist."

Kyries Wangen brannten als sie die letzten Worte hörte und schnell konzentrierte sie ihre Sinne auf den Boden vor ihr. Der Einsatz ihres perfekten Gehörs machte sie immer für ein paar Sekunden taub.

"Hey, hast du mich gehört?", fragte Magenta und wackelte mit ihrer Hand vor Kyries Gesicht. Anscheinend hatte diese entsetzliche Frau schon etwas zu ihr gesagt. Zeus nahm ihren Seesack und zog sie auf die Beine.

"Ja...nein, ich hab dich nicht verstanden, was ist los?" Magenta seufzte genervt und zeigte zu Pipione.

"Geh rein und mach ihr ja keinen Ärger. Lewis, du assentierst und bringst Miss Strohdumm dann in ihr neues Bett. Tu nichts dummes!", die letzten Worte schienen an sie beide gerichtet zu sein. Mit einer schwungvollen Bewegung verließ Magenta den Raum und verschwand durch die Tür in die Nacht. Als sie weg war, fühlte Kyrie sich ein wenig besser. Magentas Anwesenheit war etwas worauf sie gefließlich verzichten konnte.

Kyrie warf einen letzten Blick auf ihre neuen Kameraden, die wartend im Vorraum saßen und sie mit großen Augen anstarrten. Dann folgte sie Lewis durch die weiße Tür. Als sie die Einrichtung im Raum dahinter sah, schluckte Kyrie ängstlich. Alles war weiß und steril, es sah aus wie eine Arztpraxis.

An den Wänden hingen Anatomiebilder und die Bücherregale waren voller Medizinbücher. Pipione setzte sich an einen großen mit Dokumenten und Ordnern übersäten Schreibtisch und deutete ihr davor stehen zu bleiben. Kyrie verschränkte die Arme und wartete auf die nächsten Befehle.

Zeus warf ihren Seesack neben den Schreibtisch und stellte sich in eine Ecke des Raumes, hielt den Mund und beobachtete. Kyrie war sich seiner Gegenwart nur zu sehr bewusst, konzentrierte sich jedoch auf Pipione.

Diese schnappte sich einen Stift und begann Fragen zu stellen.

"Name?"

"Kyrilla Henotello."

"Alter?"

"18."

Der Stift sauste übers Papier. Alles Daten wurden gesammelt.

"Chronische Krankheiten? Allergien?"

"Nein, nichts davon. Ich bin gesund."

Pipione sah auf und musterte Kyrie von Kopf bis Fuß.

"Nun, das entscheide ich. Wann hattest du deine letzte Periode?" Schüchtern sah Kyrie zu Zeus.

"Also? Mädchen schau nicht zu ihm, du redest mit mir!"

"Letzte Woche."

"Gut. Sexuell Aktiv?" Kyrie hielt ihre Augen auf Pipione und schüttelte den Kopf.

"Ja oder nein?"

"Nein." Pipione legte den Stift beiseite und stand auf.

"Hüpf auf und ab." Kyrie tat wie ihr befohlen während Pipione um sie herumging. Kyrie verschränkte die Arme vor den Brüsten um sie vom wackeln abzuhalten. Ihr C-Körbchen war ein Sport-BH.

"Berühr deine Zehen." So ging das eine Weile bis Pipione einen Krankenhauskittel aus einem Schrank holte und Kyrie befahl ihn anzuziehen. Kyrie nahm in nur widerwillig und fragte nach einer Umkleidekabine. Pipione lächelte schadenfroh. Diese Frage schien sie schon oft gestellt worden zu sein. "Es gibt keine. Wir sind hier kein Spa. Zieh dich aus. Ich muss jeden Zentimeter Haut sehen."

Kyrie runzelte die Stirn und verschränkte die Arme.

"Nein. Das werde ich nicht tun." Als hätte Pipione auf diese Antwort gewartet deutete sie Zeus zu ihr zu kommen.

"Du wirst dich jetzt ausziehen oder Lewis wird es für dich tun." Mit zusammengepressten Kiefer beäugte Kyrie sowohl Pipione als auch Lewis und sah keinerlei Zweifel in deren Augen.

Sie würden sie ausziehen, notfalls mit Gewalt. Geschlagen nickte sie und begann sich das Shirt über den Kopf zu ziehen. Zeus begab sich wieder an seinen vorherigen Platz und hielt seine Augen auf den Boden vor sich. Wütend kickte sie ihre Schuhe von den Füßen und suchte fieberhaft nach einem Weg diese Prozedur mit Würde hinter sich zu bringen. Es gab keinen. Zittrig öffnete sie ihre Jeans und schlüpfte raus. In Unterwäsche stand sie vor der Fremden, die mit Adleraugen jeden Zentimeter ihres Körpers abzutasten schien. "Eine gesunde Hautfarbe. Du verbringst viel Zeit im freien?"

"Ähm, ja. Ich gehe regelmäßig draußen laufen." Pipione nickte und notierte sich die Information.

"So, Lewis dreh dich bitte ganz um und Kyrilla zieh die Unterwäsche aus und den Kittel an. Danach setzt dich in den Stuhl. Ich bin gleich wieder da."

Die Rezeptionistin, die offenbar auch Ärztin war zeigte auf einen großen metallenen Sessel in der Mitte des Zimmers. Besagter Sessel war ein Frauenarztsessel und strahlte dank seinem Dasein in diesem Raum kein Vertrauen aus.

Während Pipione ins Nebenzimmer ging, tat Kyrie wie ihr Befohlen. Zeus hatte recht gehabt. Es war unangenehm, es war furchtbar. Noch nie hatte Kyrie sich so alleine und verletzlich gefühlt. Trotz all ihrer Gaben, konnte keine einzige sie aus dieser Situation retten. Sie war dieser Frau wehrlos ausgeliefert und das machte sie wütend. Die Fäuste geballt, atmete sie tief durch.

Ein Blick zu Zeus zeigte, dass er sich tatsächlich umgedreht hatte, jedoch hieß das nichts. Kyrie kannte seine Gabe nicht, gut möglich, dass er die Fähigkeit besaß zu sehen was hinter ihm passierte. Schweren Herzen öffnete sie den BH und ließ ihn zu Boden fallen, danach kam das Höschen.

So schnell sie konnte warf sie den Kittel um sich und setzte sich hin.

Kyrie brachte es nicht übers Herz die Beine hochzulegen, nicht bevor sie nicht wirklich musste.

Pipione kam zurück, in der Hand ein Tablett mit einer Nadel und mehreren leeren Ampullen. Ihre Hände waren in weiße Gummihandschuhe gehüllt.

Sie nahm sich einen metallenen Hocker und setzte sich damit vor Kyrie.

"Ich werde dir jetzt Blut abnehmen. Halt den Arm ruhig und atme tief durch. Hast du irgendwelche Nebenwirkungen auf Blutabnehmen?"

Kyrie schüttelte den Kopf und erinnerte sich dann, dass sie antworten musste.

"Nein. Ich hab kein Problem mit Nadeln oder Blut." Henotellos wurden regelmäßig von Ärzten des Regimes untersucht. Ihre Körper waren Eigentum des Meisters Lothar von Bärenstein, daher wurde jede noch so kleine Erkältung sofort behandelt. Der Rest der Bevölkerung hatte diesen Luxus nicht. Man musste gute Verbindungen und viel Geld haben um sich einen guten Arzt und Medizin leisten zu können. Pipione lächelte.

"Das ist gut." Schnell und sicher nahm sie Kyrie Blut ab, schrieb ihren Namen drauf und reichte das Tablett danach Lewis.

"Bring es zwei Türen weiter ins Labor."

Lewis hob nicht einmal den Blick, nickte nur und ging. Kyrie konnte nicht glauben, dass dies derselbe junge Mann war, mit dem sie sich im Auto unterhalten hatte. Sein Lächeln vor weniger als einer halben Stunde war so echt gewesen, so natürlich. Nun erschien es ihr wie ein Traum, verschwunden war der Mann, der ihr ein wenig von ihrer Angst genommen hatte. Zurück blieb ein höriger Soldat.

"Leg die Beine in die Schlaufen. Ich muss dich untenrum untersuchen." Kyrie ballte die Hände zu Fäusten, doch tat es widerwillig. Langsam hob sie jeweils ein Bein und legte sich zurück. Durch den Kittel konnte sie nicht sehen, was Pipione tat und diese sagte auch nichts. Ängstlich wartete sie auf die nächsten Handgriffe der Ärztin.

"Nun zumindest hast du die Wahrheit gesagt. Jungfrau, aber keine Lügnerin. Gib die Beine runter und steh auf." Pipione zog sich die Gummihandschuhe aus und setzte sich zurück an ihren Schreibtisch.

Der kalte Fußboden machte das Gehen unangenehm und ließ Kyrie die Arme um sich legen. Jemand klopfte an die Tür und öffnete sie dann. Zeus steckte vorsichtig den Kopf durch den Türspalt.

"Komm rein Lewis und bring unseren neuen Gast in ihr Quartier. Sie ist für heute fertig." Zeus nickte und trat ein. Ohne ein weiteres Wort warf er sich den Seesack über die Schulter und griff grob nach Kyries Arm. Seine raue Handfläche war warm. Die einzige Wärme in diesem kalten Raum.

Zeus führte sie aus dem Arztzimmer, vorbei am Warteraum zu einer engen Treppe im hinteren Teil des großen Vorbereichs.

"Komm.", flüsterte er und zog sie nach oben.

"Wohin gehen wir?", fragte Kyrie zitternd.

"Heute Nacht wirst du in einer speziellen Kammer übernachten. Sie ist befestigt wie ein Bunker. Falls deine Fähigkeiten gefährlich sind oder werden können."

Die Treppe führte in einen langen fensterlosen Flur mit Eisentüren zu beiden Seiten. Das Deckenlicht flackerte unregelmäßig, warf gespenstige Schatten an die Wände. Zeus brachte sie zu einer Tür, die mit einer große rote vier markiert war. Langsam öffnete er die schwere Tür und ließ sie eintreten.

Der kleine Raum besaß ein schmales Bett, ein Waschbecken und ein Klo. Ansonsten war es ein einfacher Betonklotz. Zeus trat hinter ihn ein und legte ihren Seesack auf das Bett. Dieses quietschte unter der Last ein wenig.

"Kommst du mich morgen abholen?", fragte Kyrie hoffnungsvoll in Anbetracht ihrer kommenden Nacht. Zeus schüttelte den Kopf und deute mit dem Kinn dezent auf eine große Kamera in einer Ecke des Raumes.

Langsam trat er näher und flüsterte kaum hörbar.

"Du wirst eine Weile hier bleiben. Sie werden dein Limit testen, deine Fähigkeiten, deinen Körper und Geist. Doktor Pipione war erst der Anfang."

Angst rauschte durch ihre Adern und bevor sie wusste was sie tat, griff sie telepathisch nach seinen Gedanken.

Sah seine Erinnerungen an diesen Ort, seine Schreie, seinen Kampf, doch am Ende hatte er sich ergeben, hatte gelernt wann es wichtig war zu gehorchen. Zögerlich nickte Kyrie zog sich aus seinen Gedanken zurück.

"Zeus,", flüsterte sie seinen wahren Namen so leise wie er und nahm seine Hand. Er versteifte sich, ließ sie jedoch gewähren.

Kyrie brauchte diesen Körperkontakt, brauchte einen Moment frieden bevor die Hölle begann. Zu früh, löste Zeus sich von ihr.

Test 1

Liebste Mutter, liebe Sandrine, lieber John

ich habe deine Briefe erhalten, Mutter, allerdings können sie mir kein Trost sein. Meine Hände sind rot vom Blut unschuldiger, aber egal wie oft ich sie mir wasche, die Schuld bleibt, das rot bleibt. Seit Jahren leben ich von Schlacht zu Schlacht und ich weiß, dass dieser Brief dich niemals erreichen wird, aber irgendwo muss ich meine Gefühle aufschreiben. Irgendwo muss ich fühlen. Dieser Körper ist übersät von Narben, innerlich wie Äußerlich. An manchen Tagen fühle ich mich wie ein Flickenteppich aus Wut und Schmerz. Da ist nichts von der Liebe die du mir immer versprochen hast.

Ich kann mich nicht wehren aus Angst Bärenstein wird dir und meinen Geschwistern wehtun, denn ich liebe euch immer noch. Nach all dieser Zeit, nach Qualen und Angst, seid ihr es an die ich denke, wenn ein Messer in meinem Bauch meine Gedanken beherrscht, wenn der Sprung von einer Klippe wie Erlösung scheint.

Ich höre die Schreie unschuldiger Menschen, höre ihren Protest gegen einen grausamen Eroberer und ich möchte ihnen zurufen:

Flieht! Flieht ihr Narren! Bärenstein hat ein Monster und das bin ich.

 

 

Die Zeit verging, zumindest das wusste Kyrie mit Sicherheit. Alles andere zerfloss in dem grauen Raum wie Eis im Sommer.

Immer wieder änderte sie ihre Position im Raum, verbrachte einige Stunden in dieser Ecke, dann in einer anderen, legte sich aufs Bett, unters Bett, am Boden oder ging im Raum kreise.

Der harte Betonboden ließ sie zumindest etwas fühlen, ansonsten verbarg das schwache Dämmerlicht die meisten Details ihres Gefängnisses.

Vor einiger Zeit hatte sie versucht mit der Kamera zu reden, hatte versucht zu argumentieren und war dann zu schreien übergegangen.

Nichts half, die Türe blieb verschlossen. Hartnäckig ermahnte sie sich nicht auf die psycho-Spielchen dieser Monster hereinzufallen, doch die Isolation, die Angst und der nagende Hunger machten es ihr schwer ruhig zu bleiben, machten es ihr schwer zu denken.

"So es reicht!", schrie sie sich selbst an. Wutschnaubend stand sie auf und trat vor die Tür. Mit telekinetischen Händen drückte sie gegen das harte Metall, legte ihre ganze Kraft hinein ohne zu merken wie ihre Gabe die anderen Gegenstände im Raum in Mitleidenschaft zog.

Das Waschbecken zerknitterte wie Papier unter Kyries Wut, ebenso das Bett, aber die Tür blieb wo sie war, einzig eine Beule in der Mitte zeugte von Kyries Kraftanstrengung. Blut tropfte aus ihrer Nase als ein heftiger Kopfschmerz sich einstellte. Desorientiert fasste Kyrie sich an die schmerzende Schläfe und bemerkte da erst das leuchtendrote Blut.