Die Freiheit einer Frau - Édouard Louis - E-Book

Die Freiheit einer Frau E-Book

Édouard Louis

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Beschreibung

Édouard Louis erzählt in »Die Freiheit einer Frau« schonungslos und liebevoll von seiner Mutter. Die Geschichte der Befreiung einer Frau. »Meine Mutter hat ihr ganzes Leben mit Armut und männlicher Gewalt gekämpft.«  Eines Tages stand Édouard Louis' Mutter einfach auf und ging. Weg aus der Gegend, weg von ihrem zweiten Mann, der wie der erste soff und sie demütigte. Édouard Louis erzählt eindringlich und gnadenlos vom Wunsch, als Kind eine andere Mutter zu haben, und vom großen Glück, sie heute als befreite und glückliche Frau zu erleben.

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Seitenzahl: 71

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Édouard Louis

Die Freiheit einer Frau

 

Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel

 

Über dieses Buch

 

 

»Meine Mutter hat ihr ganzes Leben mit Armut und männlicher Gewalt gekämpft.« Mit sechzehn verließ Édouard Louis‘ Mutter die Schule, weil sie schwanger war, mit neunzehn hatte sie bereits zwei Kinder und keine Zukunft. Alkohol und Gewalt bestimmten ihr junges Leben. Aber dann stand sie auf und ging. Weg aus der Gegend, weg von ihrem zweiten Mann, der wie der erste soff und sie schlug. Édouard Louis erzählt eindringlich und schonungslos vom Wunsch, als Kind eine andere Mutter zu haben, von der Scham für sie und vom großen Glück, sie heute als befreite und glückliche Frau mehr zu lieben als je zuvor.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Édouard Louis wurde 1991 geboren. Sein autobiographischer Debütroman »Das Ende von Eddy«, in dem er von seiner Kindheit und Flucht aus prekärsten Verhältnissen in einem nordfranzösischen Dorf erzählt, sorgte 2015 für großes Aufsehen. Das Buch wurde zu einem internationalen Bestseller und machte Louis zum literarischen Shootingstar. Sein zweiter Roman »Im Herzen der Gewalt« erschien 2016 und wird verfilmt. Édouard Louis' Bücher erscheinen in 30 Ländern. Im Sommer 2018 war er Samuel Fischer-Gastprofessor an der Freie Universität Berlin, wo er den Begriff der »konfrontativen Literatur« prägte. Zur selben Zeit adaptierte Thomas Ostermeier den Roman »Im Herzen der Gewalt« für die Schaubühne Berlin. Édouard Louis lebt in Paris.

 

Sein Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel (*1959) übersetzt seit 1987 Belletristik und Theaterstücke aus dem Französischen, Italienischen und Norwegischen, darunter Werke von Jon Fosse, Henrik Ibsen, Jean Echenoz, Louis-Ferdinand Céline, Stefano Benni und Massimo Carlotto. Er ist u.a. Träger des Jane-Scatcherd-Preises der Ledig-Rowohlt-Stiftung, des Paul-Celan-Preises und des Deutschen Jugendliteraturpreises.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

I

Sie wurde am [...]

Ich war so [...]

[Kapitel]

Von den Wänden [...]

Sie erzählte mir [...]

Sie war sich [...]

Beharrliches Unglück: In [...]

II

III

IV

Jetzt hatte sie [...]

Wie alle Metamorphosen [...]

Ein Jahr später [...]

[Kapitel]

Und dann deine [...]

Sie las mir [...]

Die Befreiung schritt [...]

[Foto]

Quellen

I

Alles hat mit einem Foto angefangen. Ich wusste nicht, dass es dieses Bild gab und ich es besaß – wer hat es mir gegeben und wann?

 

Das Foto hat sie mit ungefähr zwanzig gemacht. Ich stelle mir vor, wie sie den Apparat verkehrt herum hielt, um ihr Gesicht einzufangen. Zu der Zeit gab es noch keine Mobiltelefone, und sich selbst zu fotografieren war ziemlich umständlich.

Sie hat den Kopf auf die Seite geneigt und lächelt leise, das gekämmte Haar klebt auf ihrer Stirn, makellos, ihr blondes Haar rahmt die grünen Augen.

Als ob sie verführerisch wirken wollte.

Ich finde nicht die Worte, um es zu erklären, aber alles auf diesem Abzug, in ihrer Haltung, in ihrem Blick, im Schwung ihrer Haare erzeugt den Eindruck von Freiheit, die unendlich vielen Möglichkeiten vor sich, und vielleicht, auch, das Glück.

Ich glaube, ich hatte vergessen, dass sie vor meiner Geburt frei war – glücklich?

Wahrscheinlich habe ich manchmal daran gedacht, während ich noch bei ihr lebte, natürlich war sie irgendwann mal jung und voller Träume gewesen, aber als ich dieses Foto wiederfand, hatte ich schon lange nicht mehr daran gedacht, dieses Bewusstsein, Wissen, war zu abstrakt. Nichts oder so gut wie nichts daran, wie ich sie in meiner Kindheit kannte, während der körperlichen Nähe zu ihr fünfzehn Jahre lang, hätte mich daran erinnern können.

 

Als ich dieses Bild sah, spürte ich, wie die Sprache aus mir verschwand. Sie frei zu sehen, mit ganzem Körper in die Zukunft projiziert, rief meine Erinnerung an ihre mit meinem Vater geteilten Lebensjahre wach, die von ihm ausgegangenen Demütigungen, die Armut, zwanzig Jahre ihres Lebens versehrt und fast zerstört durch die männliche Gewalt und das Elend, zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig Jahren, in dem Alter, in dem andere das Leben ausprobieren, die Freiheit, Reisen, sich selbst kennenlernen.

Der Anblick dieses Fotos hat mich daran erinnert, dass die Zerstörung dieser zwanzig Lebensjahre nichts Natürliches war, sondern auf das Einwirken von Kräften außerhalb meiner Mutter zurückging – Gesellschaft, Männerwelt, mein Vater –, und dass folglich alles auch hätte anders gewesen sein können.

Der Anblick des Glücks hat mich die Ungerechtigkeit seiner Zerstörung spüren lassen.

Ich habe vor diesem Foto geweint, denn ich war, ohne mein Zutun, oder vielleicht eher zusammen mit meiner Mutter selbst und manchmal gegen sie, einer der Akteure dieser Zerstörung.

 

 

Der Tag des Streits mit meinem kleinen Bruder – das war im Sommer. Ich kam nach Hause, hatte den Nachmittag auf den Stufen des Rathauses des Dorfs verbracht, und zwischen meinem kleinen Bruder und mir brach vor dir ein Streit aus. Mitten in Geschrei und Beschimpfungen sagte mein Bruder mit einer Betonung, so herabsetzend wie nur möglich, Über dich zerreißt sich sowieso das ganze Dorf hinter deinem Rücken das Maul. Alle nennen dich eine Schwuchtel.

Nicht unbedingt, was er da sagte, verletzte mich, oder die Tatsache, dass ich wusste, es stimmte, sondern dass er es vor dir sagte.

Ich verzog mich in mein Zimmer, packte die Flasche mit buntem Sand, die auf meinem Schrank stand, ging zurück zu meinem kleinen Bruder und feuerte sie auf den Boden, vor ihm. Er hatte diese Flasche in der Schule gebastelt. Die Lehrerin hatte den Kindern seiner Klasse vorgeschlagen, Sand mit Farbstoff zu vermischen und ihn dann in leere Colaflaschen zu füllen, um verschiedenfarbige Objekte herzustellen; sie hatte meinen kleinen Bruder gefragt, für wen er die Flasche machen wollte, und seine Wahl war auf mich gefallen, für mich hatte er sich Mühe gegeben, für mich hatte er einen ganzen Tag lang an diesem Ding gearbeitet.

Als ich ihm die Flasche vor die Füße schmiss, schrie er einmal schrill auf und weinte, das Gesicht nicht zu sehen, zur Sofalehne gedreht. Du kamst zu mir, du gabst mir eine Ohrfeige und sagtest, du hättest noch nie ein so grausames Kind gesehen. Es tat mir sofort leid, aber ich hatte mich nicht beherrschen können. Ich nahm es meinem Bruder übel, dass er vor dir etwas offenbart hatte, das zu mir gehörte, zu meinem Leben, zu meinem Leid.

Ich wollte nicht, dass du wusstest, wer ich bin.

 

 

Während der ganzen ersten Jahre meines Lebens lebte ich in ständiger Furcht davor, du könntest mich erkennen. Als in der Mittelschule Treffen zwischen Eltern und Lehrern stattfanden, sorgte ich, anders als andere Kinder mit guten Noten, dafür, dass du es nicht erfuhrst. Ich versteckte die Einladungen, ich verbrannte sie. Als zum Schuljahresende im Festsaal des Dorfs eine Aufführung mit Sketchen, Liedern und kleinen Choreographien veranstaltet wurde, luden die anderen Kinder ihre Eltern und die ganze Familie ein. Ich aber tat alles dafür, dass du nicht hingingst. Ich sagte, die Tänze und Lieder wären doof, ich erfand technische Probleme, ich nannte dir das falsche Datum. Ich belog dich. Später studierte ich diese in Filmen und Fernsehserien so häufigen Szenen mit einem Kind, das auf der Bühne steht und darauf wartet, dass seine Eltern im Saal erscheinen, um die Vorführung zu bewundern, die es das Schuljahr über in Gedanken an sie vorbereitet hat, sorgfältig, und ich erkannte mich weder im Warten noch in der Enttäuschung über ihr Ausbleiben wieder. Als hätte ich meine ganze Kindheit im Grunde anders herum gelebt.

 

Du solltest nicht wissen, dass die anderen Kinder in der Schule nicht meine Freunde sein wollten, denn mit einem befreundet zu sein, der als der Schwule verschrien war, hätte ihrem Ansehen geschadet. Du solltest nicht wissen, dass zwei Jungen mich mehrmals die Woche im Flur zur Schulbibliothek abpassten, um mich zu ohrfeigen und mir ins Gesicht zu spucken, um mich dafür zu bestrafen, wer ich war, Stimmt’s, du bist n Schwuli?