Die geheimen Tagebücher der Charlotte Brontë - Syrie James - E-Book
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Die geheimen Tagebücher der Charlotte Brontë E-Book

Syrie James

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Beschreibung

Chronik einer Liebe. Charlotte Brontë mag den neuen Hilfspfarrer ihres Vaters gar nicht. Da hilft es nichts, dass er ihrem alten Vater wirklich ein tatkräftiger Unterstützer ist. Auch wenn sie es vor ihren Geschwister Emily, Anne und Branwell zu verbergen versucht, alle ahnen, dass sie immer noch in Prof. Héger, den Direktor des Brüssler Pensionats verliebt ist, wo sie und Emily ein Jahr Schülerinnen waren und Charlotte danach noch ein Jahr unterrichtet hat. Es muss viel geschehen, bis Charlotte endlich darüber nachdenkt, seinen Heiratsantrag anzunehmen. Rückblickend erzählt die Autorin von „Jane Eyre“ in einem Tagebuch die Geschichte ihrer zweiten Liebe, die zugleich die Geschichte der Familie Brontë ist. “Äußerst charmant und bemerkenswert authentisch.” Deborah Crombie.

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Seitenzahl: 810

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Syrie James

Die geheimen Tagebücher der Charlotte Brontë

Roman

Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger

Impressum

Syrie James, Die geheimen Tagebücher der Charlotte Bronte

Die Originalausgabe unter dem Titel The Secret Diaries of Charlotte Bronte erschien 2009 bei Avon, An Imprint of HarperCollinsPublishers, New York.

ISBN 978-3-8412-0378-6

Aufbau Digital, veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, Juli 2012

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2012 bei Aufbau Taschenbuch, einer Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 2009 by Syrie James

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung capa, Anke Fesel unter Verwendung eines Motivs von George Dunlop Leslie / Bridgeman Art Library

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

www.aufbau-verlag.de

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Inhaltsübersicht

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Impressum

Inhaltsübersicht

DANKSAGUNGEN

VORWORT DER AUTORIN

DIE GEHEIMEN TAGEBÜCHER DER CHARLOTTE BRONTË

ERSTER BAND

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ZWEITER BAND

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

DRITTER BAND

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

NACHWORT DER AUTORIN

ÜBER DAS LESEN UND DIE LIEBE

ÜBER LIEBE UND EHE

DIE WERKE DER CHARLOTTE BRONTË

ANREGUNGEN FÜR BÜCHERKREISE – DAS GEHEIME TAGEBUCH DER CHARLOTTE BRONTË

Für meinen Mann Bill und unsere Söhne Ryan und Jeff für ihre Liebe und Unterstützung.

Und in liebevoller Erinnerung an meine Mutter, Joann Astrahan – eine scharfsinnige, weise und großzügige Frau, die immer gesagt hat, ich sollte Bücher schreiben.

DANKSAGUNGEN

Ich möchte die Beiträge der folgenden Menschen würdigen, die für mich unverzichtbar waren, während ich diesen Roman schrieb. Zuerst und am meisten bin ich meinem Mann Bill zu Dank für seine tägliche Unterstützung in meinem Beruf verpflichtet, der mich tagelang am Computer festhält und mich selbst dann, wenn ich endlich wieder auftauche, noch immer mit schöpferischem Nebel umhüllt. Ein Dankeschön auch an meine Söhne Ryan und Jeff, die bis in die frühen Morgenstunden Manuskripte gelesen haben, damit sie mir ihre Rückmeldungen geben konnten. (Dir, Ryan, besonderen Dank dafür, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast, welche Bedeutung Emilys zweiter Vorname hat!). Danke auch an Yvonne Yao, die in schwierigen Zeiten ihre sehr geschätzte Hilfe angeboten hat. Danke an meine Agentin Tamar Rydzinski für ihre unermüdliche Unterstützung und dafür, dass sie immer genau weiß, welche Absätze ich streichen sollte. Danke an meine Lektorin Lucia Macro dafür, dass sie meine Liebe zu allem teilt, was mit den Brontës zu tun hat, und dafür, dass sie mich daran erinnert hat, dem Roman den Mittelpunkt zu geben, den er brauchte. Und ein Dank an alle beim Verlag Avon, die bei meinen Büchern stets so großartige Arbeit leisten. Dank an meine Korrekturleser mit den Adleraugen, Sara und Bob Schwager, für ihre begeisterten Kommentare und dafür, dass sie jedes einzelne Wort des Texts bei ihrem bedingungslosen Streben nach Echtheit und Wirklichkeitsnähe doppelt und dreifach auf die Goldwaage gelegt haben. Danke an Ann Dinsdale, die Leiterin der Sammlung im Brontë Parsonage Museum in Haworth, für das freundliche Willkommen während meines Besuchs und dafür, dass ich Originalbriefe, Manuskripte und andere Dokumente, die von Charlotte und anderen Mitgliedern der Familie Brontë geschrieben wurden, persönlich studieren durfte. Und Dank an Sarah Laycock, die für die Bibliothek und die Informationsarbeit des Museums verantwortlich ist und mir so viele wunderbare Einzelheiten über Charlottes Hochzeitskleid, ihren Schleier, den Ring, ihr Nachthemd, das Flitterwochenkleid und andere Kleidungsstücke mitgeteilt und mir dazu noch umfassende Beschreibungen einer Vielzahl von Kleidungsstücken aus der Sammlung des Museums zur Verfügung gestellt hat. Ich möchte auch Steven Hughes, dem Vorsitzenden des Hollybank Trust, danken, der so freundlich war, mich und meinen Mann an einem regnerischen Tag persönlich vom Keller bis zum Dachboden durch die Hollybank School in Mirtfield, West Yorkshire, zu führen. Dies war früher die Roe Head School, und dort hat sich seit Charlottes Zeiten bis heute bemerkenswerterweise kaum etwas verändert. Sogar vom hauseigenen Gespenst wurde uns berichtet. Ich bin den Werken vieler gelehrter Experten zu Dank verpflichtet, die über die Brontës geschrieben haben, darunter Juliet Barker, Winifred Gérin, Christine Alexander und Margaret Smith, und sowohl Smith als auch Clement Shorter für die von ihnen herausgegebenen Sammlungen der Briefe Charlotte Brontës, ohne die ich diesen Roman niemals hätte schreiben können. Ich schulde natürlich auch den Romanen und Gedichten der Brontë-Schwestern sehr viel, denn in ihren Werken haben sie uns einen Blick auf ihre Welt ermöglicht. Und schließlich geht vielleicht der wichtigste Dank an Charlotte Brontë selbst, deren außerordentlichem Geist und deren hervorragendem Talent ich treu bleiben wollte; ich hoffe, dass sie damit einverstanden gewesen wäre.

VORWORT DER AUTORIN

Liebe Leserin, lieber Leser,

stellen Sie sich, wenn Sie möchten, vor, dass eine große Entdeckung gemacht wurde, die in der gesamten literarischen Welt ungeheures Aufsehen erregt hat: Eine Reihe von Tagebüchern wurde gefunden, die über ein Jahrhundert im Keller eines abgelegenen Bauernhauses auf den Britischen Inseln verborgen lagen und die nun offiziell als die Tagebücher von Charlotte Brontë bestätigt wurden. Was würden uns diese Tagebücher verraten?

Jeder Mensch hat Geheimnisse. Charlotte Brontë, eine leidenschaftliche Frau, die einige der schönsten Liebesromane in der englischen Literatur schrieb, die bisher alle Zeiten überdauert haben, war da sicherlich keine Ausnahme. Ihre Biographie und ihr auf uns überkommener Briefwechsel sagen viel über Charlotte aus; aber wie alle Mitglieder der Familie Brontë hatte auch Charlotte eine sehr private, zurückgezogene Seite, die sie nicht einmal ihren engsten Freunden und Verwandten enthüllt hat.

Welche intimen Geheimnisse verschloss Charlotte Brontë in ihrem Herzen? Was waren ihre verborgensten Gedanken und Gefühle und ihre persönlichsten Erinnerungen? Wie war ihre Beziehung zu ihrem Bruder und ihren Schwestern, die alle ebenfalls begabte und ehrgeizige Künstler waren? Wie konnte eine unbekannte Pfarrerstochter, die beinahe ihr ganzes Leben in einem weit abgelegenen Dorf in Yorkshire verbrachte, das Buch Jane Eyre schreiben, einen Roman, den alle Welt liebt? Und – was vielleicht am wichtigsten ist: hat Charlotte je selbst die wahre Liebe gefunden?

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen begann ich, Charlotte Brontës Leben genau zu studieren. Besonders interessierte mich ein sehr wichtiger Aspekt der Brontë-Geschichte, dem bisher kaum größeres Augenmerk gewidmet wurde: Charlottes lange und wechselhafte Beziehung zum Hilfspfarrer ihres Vaters, Arthur Bell Nicholls. Es ist hinreichend bekannt, dass Charlotte Brontë vier Heiratsanträge erhielt, unter denen wohl der berühmteste der Antrag von Mr. Nicholls war. Trotzdem bleibt Arthur Bell Nicholls in den Brontë-Biographien eine beinahe schattenhafte Randfigur, wird im Allgemeinen erst zum Ende hin erwähnt, und auch dann nicht besonders ausführlich. Und doch weiß man, dass Mr. Nicholls acht Jahre lang neben den Brontës wohnte und während dieser Zeit beinahe täglich Kontakt mit ihnen hatte und dass er wohl insgeheim eine tiefe Zuneigung zu Charlotte entwickelte, lange bevor er endlich den Mut aufbrachte, ihr einen Heiratsantrag zu machen.

Hat Charlotte je Mr. Nicholls’ Zuneigung erwidert? Sollte sie ihn heiraten oder nicht? Ah – wie Charlotte selbst sagen würde – darum dreht sich in dieser Geschichte alles. Und ich möchte mir gern vorstellen, dass ihre Gefühle und dieses Dilemma sie inspiriert haben, solche Tagebücher zu schreiben.

Die Geschichte, die Sie gleich lesen, ist wahr. Charlottes Leben ist so faszinierend, dass ich meine Erzählung beinahe ganz auf Tatsachen aufbauen und daraus entwickeln konnte und dass ich nur da Vermutungen anstellen musste, wo ich das für nötig hielt, um den dramatischen Konflikt zu überhöhen oder etwaige Lücken zu füllen. Ab und zu habe ich auch Kommentare und Fußnoten hinzugefügt. Einige Leser mögen vielleicht meinen, das, was im Folgenden vor ihnen entsteht, ähnelte eher einem der Romane Charlotte Brontës als einem Tagebuch im üblichen Sinne, denn Charlotte blickt ja auf vergangene Ereignisse zurück und zeichnet sie nicht Tag für Tag auf. Doch ich glaube, dass Charlotte sie so festgehalten hätte, denn sicherlich hätte sie sich mit diesem Stil und dieser Struktur am wohlsten gefühlt.

Hier sind nun also – mit dem höchsten Respekt und der größten Bewunderung für die Frau, die mich dazu angeregt hat – Die geheimen Tagebücher der Charlotte Brontë.

DIE GEHEIMEN TAGEBÜCHER DER CHARLOTTE BRONTË

ERSTER BAND

EINS

Jemand hat mir einen Heiratsantrag gemacht.

Liebes Tagebuch, dieser Antrag, den ich vor wenigen Monaten erhielt, hat meinen gesamten Haushalt – nein, das gesamte Dorf – in hellen Aufruhr versetzt. Wer ist dieser Mann, der es gewagt hat, um meine Hand anzuhalten? Warum ist mein Vater so sehr gegen ihn voreingenommen? Warum ist die Hälfte der Einwohner von Haworth entschlossen, ihn zu lynchen – oder zu erschießen? Seit dem Augenblick seines Antrags habe ich Nacht für Nacht wach gelegen und über die unzähligen Ereignisse nachgegrübelt, die zu dieser Feuersbrunst geführt haben. Wie um alles in der Welt, frage ich mich, konnten die Dinge so ausufern?

Ich habe vom Glück der Liebe geschrieben. In den geheimsten Winkeln meines Herzens träume ich schon lange von einer vertrauten Beziehung zu einem Mann; jede Jane, das glaube ich, verdient doch ihren Rochester – nicht wahr? Trotzdem hatte ich längst jede Hoffnung aufgegeben, diese Erfahrung einmal in meinem eigenen Leben zu machen. Stattdessen bemühte ich mich um eine literarische Laufbahn; und nachdem ich damit Erfolg hatte, soll ich – muss ich – sie nun aufgeben? Kann eine Frau sich voll und ganz einem Beruf und ihrem Ehemann widmen? Ist es möglich, dass diese beiden so lebenswichtigen Seiten in den Gedanken und Gefühlen einer Frau friedlich nebeneinander existieren? Es muss einfach so sein; denn ich glaube, wahres Glück lässt sich auf keine andere Weise erreichen.

Ich habe schon seit langem die Gewohnheit, mich in Zeiten großer Freude oder mächtiger Gefühlswallungen in die trostreichen Gefilde meiner Phantasie zu flüchten. Dort, in der Prosa und in der Lyrik, habe ich stets meinen innersten Gedanken und Gefühlen hinter dem schützenden Schleier des Erdachten freien Lauf gelassen. Auf den vorliegenden Seiten möchte ich einen völlig anderen Weg einschlagen. Hier möchte ich mein Herz ausschütten – Wahrheiten enthüllen, die ich bisher nur mit wenigen, eng vertrauten Menschen besprochen habe, von denen ich manche überhaupt keiner Menschenseele entdeckt habe. Denn gegenwärtig durchlebe ich äußerst schwierige Zeiten, stehe ich vor einem Dilemma ungeheuren Ausmaßes.

Wage ich es, gegen Papas Willen zu handeln und mir den Zorn aller, die ich kenne, zuzuziehen, indem ich diesen Antrag annehme? Wichtiger noch, will ich ihn annehmen? Liebe ich diesen Mann wirklich und möchte ich seine Frau werden? Ich konnte ihn nicht einmal leiden, als wir uns kennenlernten; doch seither ist sehr viel geschehen.

Mir scheint, dass jegliche Erfahrung, die ich je machte, alles was ich je sagte und tat, und jeder Mensch, den ich je liebte, wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass ich zu der Person wurde, die ich heute bin. Hätte der Pinsel die Leinwand ein wenig anders berührt, wäre dabei eine etwas hellere oder dunklere Farbe aufgetragen worden, dann wäre ich jetzt ein völlig anderer Mensch. Und so nehme ich nun auf der Suche nach einer Antwort Papier und Feder zur Hand. Vielleicht kann ich so begreifen, was mich bis zu diesem Augenblick geführt hat, und verstehen, was ich fühle – und was das Schicksal in seiner Güte und Weisheit für mich vorherbestimmt hat.

Doch halt! Keine Geschichte darf in der Mitte anfangen, noch viel weniger am Ende. Nein, um meiner Erzählung eine angemessene Form zu geben, muss ich weit zurückgehen – in die Zeit, in der alles anfing. Zu dem stürmischen Tag vor beinahe acht Jahren, als ein unerwarteter Besucher an der Tür des Pfarrhauses eintraf.

Der 21. April 1845 war ein düsterer, nasser kalter Tag.

Bei Tagesanbruch weckte mich ein gewaltiger Donnerschlag aus dem Schlaf. Wenige Augenblicke später zerriss das Grau des Himmels, und ein sintflutartiger Wolkenbruch ging nieder. Den ganzen Morgen lang klatschte der Regen gegen die Fensterscheiben des Pfarrhauses, prasselte auf das Dach und die Regenrinnen, ließ die gedrängt stehenden Grabmale auf dem nahe gelegenen Friedhof vor Nässe triefen und tanzte über die Steinplatten auf der kleinen Straße, floss zu kleinen Rinnsalen zusammen, die unaufhaltsam an der Kirche vorbei auf die steile Hauptstraße des Dorfes mit ihrem Kopfsteinpflaster zuströmten.

Drinnen in der Küche des Pfarrhauses war es jedoch behaglich. Der Raum war durchzogen vom Duft frisch gebackenen Brotes und der Wärme eines großzügigen Feuers. Es war ein Montag – Backtag –, und meine Schwester Emily meinte, das wäre wirklich sehr passend, denn es war auch mein Geburtstag. Ich hatte es stets vorgezogen, derlei Anlässen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken, aber da ich neunundzwanzig Jahre alt wurde, bestand Emily darauf, wir sollten uns die Zeit für eine kleine Feier im trauten Familienkreis nehmen.

»Es ist für dich das letzte Jahr in einem wichtigen Jahrzehnt«, sagte Emily, während sie mitten im Raum auf dem bemehlten Tisch mit geschickten Händen einen Berg Teig knetete. Zwei Laibe waren bereits im Ofen, und eine weitere Schüssel voll Teig ging unter einem Tuch auf. Ich war mit den Vorbereitungen für eine Pastete und einen Obstkuchen schon weit fortgeschritten. »Zumindest müssten wir den Tag mit einer Torte feiern.«

»Ich sehe keinen Sinn darin«, erwiderte ich, während ich das Mehl für den Pastetenteig abmaß. »Anne und Branwell sind nicht hier, also würde es kein richtiges Fest werden.«

»Wir können doch während ihrer Abwesenheit nicht auf alles Vergnügen verzichten, Charlotte«, versicherte mir Emily ernst. »Wir müssen das Leben wertschätzen und uns daran freuen, solange wir es haben.«

Emily war zwei Jahre jünger als ich und außer Papa die größte in unserer Familie. Sie war eine komplizierte Persönlichkeit mit zwei gleich starken Seiten: Zum einen liebte sie es, melancholisch und nach innen gerichtet über den Sinn von Leben und Tod nachzugrübeln; zum anderen bereitete es ihr großes Entzücken, die mannigfaltigen Freuden der Welt zu genießen und die Schönheiten der Natur zu betrachten. Solange sie zu Hause sein konnte, von ihrem geliebten Moor umgeben, war Emily glücklich und nahm das Leben leicht. Im Gegensatz zu mir ließ sie sich nicht so schnell erschüttern. Sie verlor sich lieber in Gedanken oder in den Seiten eines Buchs und zog das Grübeln oder die Lektüre allen anderen Beschäftigungen vor – eine Wahl, der ich von ganzem Herzen zustimmen konnte. Emily gab nicht viel auf die Meinung der Leute, und sie interessierte sich überhaupt nicht für Mode. Obwohl man längst eng an der Taille anliegende Kleider mit weiten Röcken und Unterkleidern zu tragen pflegte, zog Emily es noch immer vor, die altmodischen, formlosen Kleider und dünnen Untergewänder anzuziehen, die sich ihr um die Beine schmiegten und ihrer mageren Figur nicht sonderlich schmeichelten. Da sie kaum je aus dem Haus ging, es sei denn, sie wollte über die Heide wandern, war das allerdings von geringer Bedeutung.

Mit ihrer schmalen Gestalt, ihrem bleichen Teint und ihrem dunklen Haar, das sie völlig achtlos unter einem spanischen Kamm zu einem Knoten zusammendrehte, erinnerte mich Emily an einen kräftigen Baumschössling: dünn und anmutig, doch unbeugsam, widerstandsfähig in ihrer Einsamkeit, unempfindlich gegen Wind und Regen. In Gegenwart von Fremden zog sich Emily völlig in sich zurück, war nichts als würdevoller Ernst und Schweigen; aber in Gesellschaft ihrer Familie kam ihre überschwängliche, empfindsame Natur zu vollem Ausdruck. Ich liebte sie so sehr wie das Leben selbst.

»Wie lange ist es her, dass wir einmal alle an deinem Geburtstag zusammen waren?«, fuhr Emily fort.

»Ich kann mich an das letzte Mal gar nicht mehr erinnern«, antwortete ich voller Bedauern.

Es war in der Tat schon viel Zeit vergangen, seit meine Geschwister und ich einmal alle an einem Ort vereint waren, mit Ausnahme der wenigen kurzen Wochen zu Weihnachten und in den Sommerferien. In den letzten fünf Jahren war unsere jüngste Schwester Anne bei der Familie Robinson in Thorp Green Hall bei York als Gouvernante angestellt. Unser Bruder Branwell, der vierzehn Monate jünger war als ich, hatte sich vor drei Jahren als Hauslehrer des ältesten Sohns dieser Familie zu Anne gesellt. In den Jahren davor war ich viel abwesend, weil ich in der Schule war, zunächst als Schülerin und dann als Lehrerin. Danach war ich selbst eine Weile als Gouvernante tätig. Darauf waren zwei Jahre in Belgien gefolgt, eine Erfahrung, die überaus prägend, aufregend und lebensverändernd war und die mir das Herz gebrochen hatte.

»Ich backe dir einen Gewürzkuchen, keine Widerrede«, verkündete Emily. »Nach dem Abendessen setzen wir uns am Kamin zusammen und erzählen einander Geschichten. Vielleicht gesellen sich auch Tabby und Papa zu uns.«

Tabby war unsere ältliche Bedienstete, eine gute, treue Seele aus Yorkshire, die seit unserer Kindheit bei uns war. Im Laufe der Jahre hatte Tabby, wenn sie gute Laune hatte, ihren Bügeltisch an den Kamin im Esszimmer gerückt und uns erlaubt, uns um sie zu scharen. Während sie die Laken und Nachthemden oder Rüschen der Nachthauben plättete, erfreute sie uns aufmerksam lauschende Kinderschar mit Geschichten von Liebe und Abenteuern aus den alten Märchen und Balladen – oder, wie ich später entdeckte, aus ihren Lieblingsromanen, wie zum Beispiel Pamela1. Bei manch anderer Gelegenheit hatten Papas spannende Nacherzählungen von Gespenstergeschichten und uralten Sagen aus der Umgegend unsere Abende am Kamin verschönt.

Heute Abend war es jedoch ungewiss, ob Papa sich uns anschließen würde.

Ich schaute aus dem Küchenfenster auf das Moor hinaus. Ein Regenschauer vergoss große Tränen über den fernen Bergen, verbarg ihre Gipfel hinter den niedrig hängenden, ausgefransten Haarsträhnen einer Wolke. »Herrliches Wetter für einen Geburtstag. Zumindest passt der Tag zu meiner Stimmung: dunkel und finster, mit turbulenten Stürmen und ohne Aussicht auf Besserung.«

»Du redest ja schon wie ich«, erwiderte Emily, während sie die Zutaten für den Kuchen vermengte. »Gib die Hoffnung nicht auf. Wenn wir immer einen Tag nach dem anderen nehmen, vielleicht findet sich noch eine Lösung.«

»Wie denn?«, sagte ich mit einem Seufzer. »Papas Augenlicht wird mit jedem Tag schwächer.«

Mein Vater war aus Irland nach England gekommen und hatte es mit Beharrlichkeit und guter Schulbildung geschafft, weit über den Stand seiner armen, ungebildeten Familie aufzusteigen. Als bei der Einschreibung im St. John’s College der Universität Cambridge der Beamte wegen seines starken irischen Akzents nicht verstehen konnte, wie man seinen Nachnamen buchstabierte, schrieb er ihn selbst auf und änderte ihn dabei gleich von Brunty in das wesentlich interessantere Brontë um, nach dem griechischen Wort für Donner. Papa war ein guter, freundlicher, lebhafter und hochintelligenter Mann, sehr belesen, mit einem großen Interesse an Literatur, Kunst, Musik und Naturwissenschaften, das weit über seinen Tätigkeitsbereich als Geistlicher einer kleinen Gemeinde in Yorkshire hinausging. Er schrieb gern, und neben unzähligen Artikeln wurden auch einige seiner Gedichte und religiösen Geschichten veröffentlicht. Er war sehr in das politische Leben der Gemeinde eingebunden, und er war ein außerordentlich engagierter Pfarrer. Jetzt plagten ihn gewaltige Sorgen: gegenwärtig, im Alter von achtundsechzig Jahren, nach einem Leben in treuen Diensten der Kirche, erblindete unser geliebter Vater.

»Ich muss jetzt für Papa lesen und schreiben«, sagte ich. »Ich fürchte, bald wird er nicht mehr in der Lage sein, selbst die kleinsten Dienste in der Gemeinde zu verrichten – und wenn er sein Augenlicht ganz verliert, was machen wir dann? Papa wird nicht nur jegliches, selbst das kleinste Vergnügen im Leben einbüßen und völlig von uns abhängig werden – ein Umstand, den er mit äußerster Sorge herannahen sieht –, sondern zweifellos wird er auch gezwungen sein, seine Pfarrstelle aufzugeben. Dann müssen wir nicht nur auf sein gesamtes Einkommen verzichten, sondern auch noch auf unser Zuhause.«

»In jeder anderen Familie würde der Sohn ihm finanziell unter die Arme greifen«, meinte Emily mit einem Kopfschütteln, »aber unser Bruder hat ja keine Arbeitsstelle lange behalten können.«

»Seine Tätigkeit als Hauslehrer in Thorp Green ist tatsächlich die längste Anstellung, die er je hatte«, fügte ich hinzu, während ich meinen Pastetenteig ausrollte. »Man scheint ihn dort sehr zu schätzen, und doch reicht sein Einkommen kaum für ihn selbst aus. Wir müssen uns damit abfinden, Emily: Sollte Papas Zustand sich weiter verschlechtern, dann lastet die gesamte Bürde dieses Haushalts nur auf unseren Schultern.«

Ich glaube, ich spürte das Gewicht dieser Verantwortung wesentlich stärker als meine Geschwister, vielleicht weil ich die Älteste war. Das war ich allerdings nicht durch meine Geburt, sondern durch eine Tragödie. Meine Mutter, an die ich nur höchst verschwommene Erinnerungen habe, brachte in sechs Jahren sechs Kinder zur Welt und starb, als ich fünf Jahre alt war. Meine geliebten Schwestern Maria und Elizabeth wurden uns in früher Kindheit entrissen. Mein Bruder, die jüngeren Schwestern und ich wurden von unserem Vater unterrichtet und von einer strengen und ordnungsliebenden Tante aufgezogen, die nach Mutters Tod bei uns wohnte. Wir Kinder flüchteten uns in eine herrliche Welt voller Bücher und Phantastereien, wir streunten über die Moore, wir zeichneten und wir malten, wir lasen und wir schrieben wie besessen; wir alle träumten davon, eines Tages Schriftsteller zu sein, deren Werke veröffentlicht wurden. Obwohl dieser Traum vom Schreiben nie verging, war er schon lange von den Notwendigkeiten des Lebens in den Hintergrund gedrängt worden. Wir waren gezwungen, uns unseren Lebensunterhalt zu verdienen.

Meinen Schwestern und mir standen nur zwei Berufe offen: Lehrerin oder Gouvernante, beides Beschäftigungen in sklavenartiger Abhängigkeit, die ich aus tiefster Seele verachtete. Ich hatte mir bereits eine ganze Weile überlegt, die beste Lösung für uns wäre es, eine eigene Schule aufzumachen. Zu diesem Zweck – um Kenntnisse im Französischen und Deutschen zu erlangen, was unsere Aussichten verbessern sollte, Schülerinnen anzuwerben – waren Emily und ich vor drei Jahren nach Brüssel gegangen. Nach Emilys Rückkehr nach England war ich noch ein weiteres Jahr allein dort geblieben. Als auch ich wieder in Haworth war, versuchten wir, eine Schule im Pfarrhaus zu eröffnen, doch trotz all meiner eifrigen Bemühungen war kein einziges Elternpaar gewillt, ein Kind an einen so abgelegenen Ort zu schicken.

Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Haworth war ein kleines Dorf im Norden von Yorkshire, weit von allem entfernt. In unserer ganzen Moorgemeinde lebte außer uns keine einzige gebildete Familie. Im Winter lag das Land unter einer dicken Schneedecke, und in drei von vier Jahreszeiten wehte hier ein kalter und erbarmungsloser Wind. Es gab keine Eisenbahnverbindung. Keighley, die nächste Stadt, lag vier Meilen weiter das Tal hinunter. Hinter dem Pfarrhaus und in der ganzen Umgebung ringsum erstreckten sich die stummen, endlosen, windgepeitschten Hänge des Moors. Nicht jedes Auge konnte die Schönheit erkennen, die meine Geschwister und ich in dieser weiten, rauen, kahlen, öden Landschaft sahen. Für uns war das Moor immer eine Art Paradies gewesen, eine Zufluchtsstätte, wo wir unserer blühenden Phantasie freien Lauf lassen konnten.

Das Pfarrhaus, auf der Anhöhe eines steilen Berges gelegen, war ein zweigeschossiges, symmetrisches graues Steinhaus, das man im späten achtzehnten Jahrhundert erbaut hatte. Von dort sah man auf ein jämmerlich kleines, quadratisches Rasenstück, an das auf der anderen Seite einer niedrigen Steinmauer sogleich der überfüllte, von Unkraut überwucherte Friedhof angrenzte; dahinter lag die Kirche. Wir waren keine begeisterten Gärtner; da in diesem Klima nichts so recht wachsen wollte, außer dem Moos, das unsere feuchten Steine und den nassen Boden überzog, nannten wir nur wenige Beerensträucher und einige struppige Dornenbüsche und Fliederbäume unser eigen, die an einem halbkreisförmig angelegten Kiesweg wuchsen.

Der Garten mochte ein wenig vernachlässigt sein, unser Haus war es nicht. Alles dort wurde liebevoll gepflegt und mit größter Sorgfalt sauber gehalten, von den glänzenden Fensterscheiben in den Sprossenfenstern bis zu den makellosen Sandsteinböden, die sich jenseits der Küche über alle Räume des Untergeschosses erstreckten. Die Wände waren nicht tapeziert, sondern in einer sehr hübschen taubenblauen Farbe gestrichen. Weil Vater sich panisch vor Feuer (und der gefährlichen Kombination von Kindern, Kerzen und Vorhängen) fürchtete, hatten wir statt Gardinen nur Klappläden, die von innen vor die Fenster gelegt wurden, und nur kleine Teppiche im Esszimmer und im Salon (Papas Studierzimmer). Alle unsere Zimmer im Obergeschoss und unten waren klein, aber von schönen Proportionen, unser Mobiliar spärlich, aber solide: Stühle und Sofa mit Rosshaarpolstern, Mahagonitische und einige wenige Bücherregale, die mit den Klassikern angefüllt waren, an denen wir seit unserer Kindheit unsere Freude hatten. Das Pfarrhaus war keineswegs ein großartiges Haus, aber es war das größte Haus in Haworth und nahm als solches eine herausragende Stellung ein; wir brauchten und wünschten nicht mehr als dies; wir liebten jede Ecke und jeden Winkel von ganzem Herzen.

»Und jetzt haben wir schon sieben Monate lang keinen Hilfspfarrer mehr, der Papa zur Hand gehen könnte«, sagte ich. »Wenn man einmal von Reverend Joseph Grant von Oxenhope absieht, der mit seiner neuen Schule zu viel zu tun hat, um eine wirkliche Hilfe zu sein.«

»Hat Papa morgen nicht einen Kandidaten für den Posten des Hilfspfarrers zu sich bestellt?«

»Ja.« Da ich seit einigen Monaten den Briefwechsel meines Vaters führte, wusste ich ein wenig über den fraglichen Herrn. »Es ist ein gewisser Mr. Nicholls aus Irland. Er hat auf Papas Anzeige in der Ecclesiastical Gazette geantwortet.«

»Vielleicht ist der ihm recht.«

»Das wollen wir hoffen. Wenn Papa einen guten Hilfspfarrer hat, gibt ihm das ein wenig Bedenkzeit, und dann können wir alle zusammen entscheiden, was zu tun ist.«

»So was wie einen guten Hilfspfarrer gibt’s heutzutage nicht mehr«, grummelte Tabby, unsere weißhaarige Bedienstete, in ihrem starken Yorkshire-Akzent, als sie mit einem Korb Äpfel aus der Speisekammer in die Küche gehumpelt kam. »Diese jungen Pfarrer sind alle so hochnäsig und eingebildet, die meinen, sie sind allen anderen haushoch überlegen. Ich bin hier nur eine Bedienstete und verdiene es ihrer Meinung nach nicht einmal, höflich behandelt zu werden. Und sie schimpfen immer auf unsere Sprache, unsere Sitten und die Menschen hier in Yorkshire. Und wie sie aus heiterem Himmel beim Pfarrer zum Tee oder zum Abendessen hereingeschneit kommen, also, das kann ich wirklich nicht entschuldigen. Für nichts und wieder nichts machen sie den Frauen so viel Arbeit.«

»Das würde mich nicht so sehr stören«, antwortete ich, »wenn sie nur mit dem zufrieden wären, was wir ihnen vorsetzen; aber sie beklagen sich ja auch noch dauernd.«

»Die alten Pfarrer sind mehr wert als alle die Bürschchen vom College zusammen«, sagte Tabby mit einem Seufzer, ließ sich auf einem Stuhl am Küchentisch nieder und begann die Äpfel zu schälen. »Die wissen wenigstens, was gute Manieren sind, und die sind zu allen freundlich, zu den feinen Leuten und zu den Bediensteten.«

»Tabby«, sagte ich plötzlich und schaute zur Uhr auf dem Kaminsims, »ist die Post schon dagewesen?«

»Ja, und es war nichts für dich dabei, Kind.«

»Bist du sicher?«

»Ich habe doch zwei Augen, oder? Von wem erwartest du denn einen Brief? Hast du nicht gerade vor zwei Tagen Post von deiner Freundin Ellen bekommen?«

»Ja.«

Emily schaute mich scharf an. »Sag nicht, dass du immer noch auf einen Brief aus Brüssel hoffst?«

Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und der Schweiß auf die Stirn trat; ich redete mir ein, es sei die Wärme des Feuers und hätte nichts mit Emilys Bemerkung oder der Intensität ihres durchdringenden Blicks zu tun. »Nein, natürlich nicht«, log ich. Ich wischte mir mit dem Schürzenzipfel über die Stirn. Dabei geriet Mehl auf meine Brille; ich nahm sie kurz ab und polierte sie ein wenig.

Tatsächlich lagen versteckt in der untersten Schublade meiner Kommode fünf kostbare Briefe aus Brüssel: Briefe von einem gewissen Mann, die so oft gelesen und wieder gelesen worden waren, dass sie an den Falzstellen zu zerreißen drohten. Ich sehnte mich nach weiterer Post, aber es war nun ein ganzes Jahr her, seit ich die letzte erhalten hatte, und der so begehrte weitere Brief blieb aus. Ich spürte, dass Emilys Augen auf mir ruhten; von allen Familienmitgliedern kannte sie mich am besten – und ihr entging nie etwas. Ehe sie jedoch mehr sagen konnte, vibrierte der Draht der Türklingel, und dann läutete die Glocke.

»Wer könnte das denn sein, bei dem scheußlichen Wetter?«, fragte Tabby.

Beim Klang der Glocke waren die beiden Hunde, die zufrieden am Kamin gelegen hatten, aufgesprungen. Flossy, unser liebenswerter, seidiger schwarzweißer King-Charles-Spaniel, blinzelte nur ruhig und interessiert. Emilys Hund Keeper, eine gedrungene, löwengleiche, schwarzköpfige englische Dogge, bellte laut und raste auf die Küchentür zu. Blitzschnell hatte Emily den Rüden beim Halsband gepackt und hielt ihn zurück.

»Keeper! Ruhig!«, rief Emily. »Ich hoffe nur, es ist nicht Mr. Grant oder Mr. Bradley, der zum Tee kommt. Ich bin heute nicht in der Stimmung, Hilfspfarrer durchzufüttern.«

»Für Tee ist es noch zu früh«, gab ich zu bedenken.

Keeper kläffte nach wie vor wild; Emily musste all ihre Kraft aufbringen, um ihn zu kontrollieren. »Ich sperre ihn in mein Zimmer ein«, sagte Emily, während sie ihn eilig aus der Küche und die Treppe hinauf zerrte.

Ich verstand Emilys Abneigung gegen Fremde gut, wusste also, dass sie nicht genauso eilig zurückkehren würde. Da Tabby alt und schlecht zu Fuß war und Martha Brown, das Dienstmädchen, das im Allgemeinen den Löwenanteil der Hausarbeit übernahm, für eine Woche nach Hause gegangen war, weil ihr Knie schmerzte, fiel mir die Aufgabe zu, die Tür zu öffnen.

Überhitzt und müde nach einem ganzen Morgen in der Küche, konnte ich nur im Vorübergehen einen kurzen Blick in den Spiegel im Flur werfen, um mein Aussehen zu überprüfen. Ich schaute mir mein Ebenbild nie gern an; ich war sehr klein und dünn, und ich verspürte stets Unzufriedenheit über das bleiche, unscheinbare Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegensah. Jetzt erinnerte mich dieser flüchtige Blick zu meinem Entsetzen daran, dass ich mein ältestes Kleid trug, das mir nun wirklich nicht schmeichelte, dass ich ein Kopftuch umgebunden hatte, meine Schürze vom Kneten des Pastetenteigs mit Mehl bestäubt war und dass auch meine Hände und meine Stirn mit Mehl eingepudert waren. Ich wischte mir rasch mit der Schürze über die Stirn, was die Sache allerdings eher verschlimmerte.

Erneut ertönte die Glocke. Flossy folgte mir auf dem Fuße, und seine Zehennägel klickten auf dem Steinboden, während ich durch den Flur zur Haustür eilte und sie öffnete.

Ein eiskalter Windstoß wehte Regen und Sturm ins Haus. Ein junger Mann von vielleicht Ende zwanzig stand vor mir auf den Stufen, bekleidet mit einem schwarzen Mantel und Hut, unter einem völlig unzureichenden Regenschirm, den eine plötzliche Bö zum Entsetzen des Mannes auch noch umdrehte. Da nun selbst der geringe Schutz durch den Schirm fehlte, erschien mir unser Besucher auf den ersten Blick wie eine hoch aufgeschossene nasse Ratte. Sein verzweifelter Versuch, den Schirm wieder zu richten und blinzelnd durch den peitschenden Regen zu sehen, machte es mir schwer, seine Gesichtszüge zu erkennen, und das wurde noch schlimmer, als er, mich erblickend, unverzüglich den Hut zog, was ihm einen weiteren Guss der Elemente bescherte.

»Ist zufällig Ihr Herr zu Hause?« Der keltische Singsang seiner tiefen, sonoren Stimme, der seine irische Herkunft verriet, wurde noch durch eine kleine schottische Beimischung kompliziert.

»Mein Herr?«, erwiderte ich voller Entrüstung, der sofort tiefe Zerknirschung folgte. Er hatte mich für eine Bedienstete gehalten! »Wenn Sie Herrn Pfarrer Patrick Brontë meinen, der ist allerdings zu Hause, Sir, und er ist mein Vater. Bitte entschuldigen Sie meinen Aufzug. Im Allgemeinen begrüße ich Besucher nicht von Kopf bis Fuß mit Mehl eingestäubt. Aber heute ist Backtag.«

Der junge Mann schien nicht im mindesten verstört über seinen Patzer (vielleicht weil eiskalter Regen auf ihn niederprasselte), sondern sagte nur blinzelnd: »Ich bitte um Verzeihung, ich bin Arthur Bell Nicholls. Ich habe mit Ihrem Vater bezüglich der Stelle eines Hilfspfarrers korrespondiert. Ich werde erst morgen erwartet, aber da ich einen Tag früher als geplant in Keighley eingetroffen bin, dachte ich, ich könnte schon einmal vorbeischauen.«

»Ah ja, Mr. Nicholls. Bitte kommen Sie herein«, forderte ich ihn höflich auf und trat einen Schritt zurück, sodass er an mir vorbei in die Eingangshalle gehen konnte. Als ich die Tür geschlossen hatte, lächelte ich zu ihm hinauf und sagte: »Das ist wirklich ein schreckliches Unwetter, nicht wahr? Ich erwarte jeden Augenblick, einen Zug von Tieren zu sehen, die paarweise die Straße entlang zur Arche wandern.«

Ich nahm an, dass er lächeln oder auf ähnlich launige Art antworten würde, aber er stand nur steif wie eine Statue da und starrte mich an, während es vom Schirm und vom Hut in seiner Hand auf den Steinboden tropfte. Jetzt, da er sich vor den wütenden Elementen gerettet hatte, bemerkte ich, dass er ein Mann von kräftiger Statur mit einem dunklen Teint, einem attraktiven, breitflächigen Gesicht, einer großen, aber schönen Nase, einem festen Mund und dichtem, sehr schwarzem Haar war, das ihm, triefnass wie es war, in Strähnen am Schädel klebte. Er war mindestens einsachtzig groß – ganze dreißig Zentimeter größer als ich. Aus seinen Briefen war mir im Gedächtnis geblieben, dass er siebenundzwanzig Jahre alt war – beinahe zwei Jahr jünger als ich. Er hätte noch jünger ausgesehen, überlegte ich, wären nicht die dichten, säuberlich gestutzten Koteletten gewesen, die sein ansonsten bartloses Gesicht einrahmten. Seine Augen waren zurückhaltend und intelligent. Nun wandte er endlich den Blick von mir ab und sah sich schüchtern im Flur um, als sei er entschlossen, überallhin, nur nicht zu mir zu schauen.

»Ich nehme an«, versuchte ich es erneut, »dass Sie in Irland derlei Wolkenbrüche gewöhnt sind?«

Er nickte, starrte auf den Fußboden und antwortete nicht; anscheinend sollte die Aussage an der Tür sein einziger Versuch einer Konversation bleiben. Flossy stand zu Füßen des Neuankömmlings und schaute mit neugierigen, erwartungsvollen Augen zu ihm auf. Mr. Nicholls war zwar nass und fröstelte sichtlich, lächelte aber den Hund an, beugte sich zu Flossy hinunter und tätschelte ihm sanft den Kopf.

Ich wischte mir die mehligen Hände, so gut es ging, an der Schürze ab und sagte: »Darf ich Ihren Hut und Mantel nehmen, Sir?«

Er schaute mich fragend an, reichte mir aber wortlos seinen triefenden Regenschirm, entledigte sich dann seines Huts und Mantels und gab mir beides. Ich sah, dass seine Schuhe durchnässt und schmutzverkrustet waren. »Sagen Sie nicht, dass Sie bei diesem Wetter den ganzen Weg vom Bahnhof in Keighley zu Fuß zurückgelegt haben, Mr. Nicholls?«

Er nickte. »Es tut mir leid wegen Ihres Fußbodens. Ich habe versucht, so viel Schmutz wie möglich abzustreifen, ehe ich geklingelt habe.«

Er hatte wahrhaftig gesprochen! Zwei ganze Sätze, wie kurz sie auch immer sein mochten! Ich betrachtete dies als kleinen Sieg. »Dieser Boden ist Schlammspuren gewöhnt, das kann ich Ihnen versichern. Möchten Sie sich am Feuer in der Küche wärmen, Mr. Nicholls, während ich ein Handtuch für Sie hole?«

Er schaute verängstigt. »In der Küche? Nein, danke.«

Mich verstörte ein wenig der überraschte und herablassende Ton in seiner Stimme, als er das Wort »Küche« aussprach. In meinen Ohren schien darin eine innere Abneigung gegen das Wesen dieses Raumes zu liegen, als hielte er die Küche für einen Raum, der allgemein so sehr mit den Frauen des Hauses in Verbindung stand, dass es unter seiner Würde wäre, ihn auch nur zu betreten. Das ärgerte mich. »Es tut mir leid, aber im Esszimmer ist kein Feuer angezündet«, antwortete ich gereizt, »sonst hätte ich Ihnen das angeboten. Doch in der Küche ist es sehr warm und gemütlich. Sie könnten sich gern dort einige Minuten aufwärmen und trocknen, von niemandem gestört, außer mir und unserer Bediensteten, ehe ich Sie dann zu meinem Vater ins Studierzimmer bringe.«

»Ich möchte Ihren Vater lieber jetzt gleich sprechen, wenn ich darf«, erwiderte er rasch. »Er hat doch sicherlich ein Feuer im Kamin. Für ein Handtuch wäre ich allerdings dankbar.«

Nun, überlegte ich, während ich mich aufmachte, um das Gewünschte zu holen, da hätten wir einmal einen sehr eingebildeten, arroganten Iren. Unser früherer Hilfspfarrer, der zutiefst verachtete Reverend Smith, schien mir im Vergleich dazu nun ein rechter Hauptgewinn gewesen zu sein. Wenige Augenblicke später kehrte ich mit einem Handtuch zurück. Mr. Nicholls wischte sich wortlos die Nässe aus den Haaren und von der Stirn und benutzte das Handtuch dann, um seine Schuhe zu reinigen; schließlich reichte er mir den verschmutzen Lappen zurück.

Bestrebt, ihn so schnell wie möglich loszuwerden, ging ich zur Tür von Papas Studierzimmer und sagte: »Da ich in letzter Zeit die Korrespondenz meines Vaters führe, denke ich, dass ich Sie vorgewarnt habe: das Augenlicht meines Vaters ist stark beeinträchtigt. Er wird Sie sehen können, nimmt Sie aber nur verschwommen wahr. Die Ärzte sagen, dass er eines Tages völlig erblinden wird.«

Mr. Nicholls’ einzige Reaktion war ein ernstes Nicken, begleitet von den Worten: »Ja, ich erinnere mich.«

Ich klopfte an die Tür des Studierzimmers, wartete Papas Antwort ab, öffnete dann die Tür und meldete Mr. Nicholls. Papa stand von seinem Sessel am Kamin auf und begrüßte den Neuankömmling mit einem überraschten Lächeln. Papa war ein hoch aufgeschossener, schlanker, aber kräftiger Mann; das Alter hatte sein einstmals attraktives Gesicht mit Falten überzogen. Er trug eine Nickelbrille, die meiner eigenen nicht unähnlich war, sowie sieben Tage die Woche seine schwarze Amtskleidung. Sein Haarschopf hatte die gleiche Farbe wie sein großes schneeweißes Halstuch, das er sich immer in so üppigen Falten umband (um sich gegen Erkältungen zu schützen), dass sein Kinn völlig darin verschwand.

Mr. Nicholls durchquerte den Raum und schüttelte Papa die Hand. Ich ließ die beiden allein und eilte nach oben, um mein Äußeres in Ordnung zu bringen, noch immer beschämt, dass ich einen Fremden in einem solchen Aufzug empfangen hatte. Ich nahm das Kopftuch ab, überzeugte mich, dass mein braunes Haar ordentlich gekämmt und aufgesteckt war. Ich zog mir ein sauberes silbergraues Kleid an – aus Seide natürlich. (Seit wir in Haworth lebten, hatte Papa für so viele Kinder Trauergottesdienste abhalten müssen, deren Kleidung Feuer gefangen hatte, weil sie zu nah an den Kamin getreten waren, dass er Baumwolle und Leinen vermied und darauf bestand, wir sollten nur Wolle oder Seide tragen, Stoffe, die weniger leicht entflammen.) Frisch in meine Quäkergewänder gehüllt, fühlte ich mich etwas wohler und entspannter. Mir fehlen vielleicht, dachte ich mir, die Vorzüge persönlicher Schönheit, aber zumindest würde ich mich nicht mehr durch meinen Aufzug vor unserem Besucher in Verlegenheit bringen.

Emily war inzwischen wieder in der Küche bei der Arbeit, als ich zurückkehrte. Ich spielte ihr und Tabby die kleine Szene vor, die sich an der Haustür zugetragen hatte. »In der Küche?«, sagte ich und versuchte, den verächtlichen Tonfall von Mr. Nicholls nachzuahmen. »Nein danke.« Als würde er sich nie im Leben herablassen, auch nur einen Fuß in einen Raum zu setzen, der gewöhnlich von Frauen bevölkert ist.

Emily lachte.

»Das klingt, als wäre er recht ungehobelt«, meinte Tabby.

»Wir wollen hoffen, dass es eine kurze Unterredung ist und wir den Herrn bald von hinten sehen«, sagte ich.

Als ich mich mit dem Teetablett zum Studierzimmer aufmachte, konnte ich durch die angelehnte Tür die tiefen Stimmen zweier Iren hören, die sich miteinander unterhielten. Papa hatte seit dem Tag, an dem er sein Studium begann, versucht, seinen Akzent abzulegen, hatte aber seinen irischen Tonfall nie verloren und ihn an all seine Nachkommen weitergegeben, mich eingeschlossen. Die beiden Männer sprachen höchst angeregt; ab und zu war herzliches Lachen zu vernehmen – was mich überraschte, da ich doch Mr. Nicholls nur so wenige Silben entlockt hatte und kein einziges Lächeln.

Ich wollte gerade eintreten, als ich Papa sagen hörte: »Ich habe den Mädchen immer gesagt: Bleibt bei euren Handarbeiten. Lernt, wie man Hemden und Kleider näht und wie man Pasteten bäckt, dann seid ihr eines Tages kluge Hausfrauen. Nicht dass sie meinen Rat befolgt hätten.«

Worauf Mr. Nicholls erwiderte: »Ich bin ganz Ihrer Meinung. Frauen sind am besten in den Beschäftigungen, die Gott für sie vorgesehen hat, Mr. Brontë – wenn sie nähen oder sich in der Küche betätigen. Sie sind wahrhaftig vom Glück begünstigt, dass Ihre Töchter zwei alte Jungfern sind und Ihnen den Haushalt führen.«

Zorn und Entrüstung stiegen plötzlich in mir hoch; fast hätte ich das Tablett fallen lassen. Ich war mit den Ansichten meines Vaters über die Rolle der Frau bestens vertraut; meine Schwestern und ich hatten unser ganzes Leben damit verbracht, mit ihm über dieses Thema zu streiten, hatten erfolglos versucht, ihn davon zu überzeugen, dass Frauen über genauso viele geistige Fähigkeiten verfügen wie Männer und dass man ihnen gestatten sollte, ihren Aufgabenbereich weit über die Küche hinaus auszudehnen. Er hatte in der Praxis nachgegeben – indem er uns endlich erlaubte, gemeinsam mit unserem Bruder Geschichte und die Klassiker zu studieren –, aber nicht in der Theorie, weil er fest davon überzeugt war, dass es reine Zeitverschwendung war, wenn wir Latein und Griechisch lernten und Vergil und Homer lasen.

Derlei Engstirnigkeit konnte ich bei Papa entschuldigen, auch wenn ich sie nicht billigte; er war achtundsechzig Jahre alt, ein lieber alter Herr, dessen Augen erblindeten und dessen Ansichten eben die der Männer seiner Generation waren. Aber von einem jungen, studierten Mann wie Mr. Nicholls – den man für eine Stelle in Erwägung zog, die von ihm verlangen würde, dass er in unserer Gemeinde täglich mit Männern und Frauen allen Alters kommunizierte – würde man sich doch eine offenere und liberalere Einstellung erhoffen!

Kochend vor Wut, lehnte ich mich mit dem Rücken an die Tür, schob sie ganz auf und marschierte in das Zimmer. Die beiden Herren saßen nah beim Kamin. Die Wärme des Feuers hatte wahre Wunder gewirkt: Mr. Nicholls hatte sich aufgewärmt, seine Kleider schienen trocken, und sein dunkles Haar, das nun säuberlich über der Stirn gescheitelt war, wirkte glatt und dicht und hatte einen gesunden Schimmer. Auf dem Schoß hatte er Tom, unseren schwarz getigerten Kater; Mr. Nicholls lächelte breit und streichelte gedankenverloren das Tier, das zufrieden schnurrte. Der begeisterte Blick auf der Miene des Fremden verging jedoch mit einem Schlag, als ich mich näherte; er setzte sich aufrecht hin, was den Kater dazu veranlasste, ihm vom Schoß zu springen. Dieser Mann konnte mich offensichtlich nicht sonderlich gut leiden. Es machte mir kaum etwas aus, denn nach seiner letzten Bemerkung hatte ich ohnehin jeglichen Respekt verloren, den ich je für ihn gehegt haben mochte.

»Papa, ich bringe den Tee.« Ich stellte das Tablett auf dem kleinen Tisch neben Mr. Nicholls ab. »Ich will euch nicht stören, überlasse also alles Weitere den fähigen Händen von Mr. Nicholls.«

»Oh, Charlotte! Bitte bleibe da und schenke den Tee ein. Wie trinken Sie Ihren Tee?«

»Wie immer man ihn mir reicht«, antwortete Mr. Nicholls. Papa lachte. Zu mir sagte Mr. Nicholls unvermittelt: »Zwei Stückchen Zucker, bitte, und eine Scheibe Brot mit Butter.«

Meine zarte weibliche Seele schrak vor seinem Befehlston zurück; am liebsten hätte ich das Brot abgeschnitten und ihm in sein arrogantes Gesicht geworfen. Ich hielt mich jedoch zurück und tat, was man von mir verlangt hatte. Er hatte zumindest den Anstand, sich zu bedanken. Ich ließ das Teetablett bei ihnen und floh in die Küche zurück, wo Emily, Tabby und ich den größten Teil der nächsten Stunde damit verbrachten, uns über die Narrheiten engstirniger Männer zu empören.

»Eine alte Jungfer genannt zu werden – mit neunundzwanzig! –, und noch dazu von einem Mann, der sich für zu fein hält, einen Fuß in unsere Küche zu setzen!«, rief ich voller Verachtung. »Und dann erwartet er im gleichen Augenblick, dass ich ihn bediene, ihm die Butter aufs Brot streiche – das ist einfach unerträglich!«

»Mich hat er auch eine alte Jungfer genannt«, fügte Emily mit einem Achselzucken hinzu, »und er hat mich noch nicht einmal gesehen. Ich hätte nicht gedacht, dass es dir etwas ausmachen würde. Du hast doch immer gesagt, dass du niemals heiraten würdest.«

»Ja, aber aus freien Stücken! Ich habe zwei Heiratsanträge erhalten. Ich habe sie nicht angenommen. Der Ausdruck ›alte Jungfer‹, da denkt man an ein jämmerliches altes Mädchen, ungeliebt und von niemandem begehrt.«

»Ach, und wer ist sich jetzt zu fein?«, fuhr die verwitwete Tabby dazwischen und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich hätte nicht gedacht, dass zwei Anträge per Post was sind, mit dem man sich groß brüsten kann!«

»Es zeigt aber doch, dass ich meine Maßstäbe habe. Ich heirate nur, wenn die Zuneigung beiderseitig ist, und dann einen Mann, der nicht nur mich liebt und respektiert, sondern der auch Frauen im allgemeinen respektiert.« Ich sank, höchst verärgert, auf den Schaukelstuhl beim Kamin. »Die Männer zitieren immerzu die tüchtige Frau des Königs Salomon als Musterbeispiel dafür, wie ›unser Geschlecht‹ zu sein hat. Nun, die war aber Handwerkerin! Sie stellte feine Kleider und Gürtel aus Wolle und Flachs her und verkaufte sie! Sie war zudem Bäuerin und Verwalterin. Sie kaufte Äcker und pflanzte Weinberge an.2Aber wird uns Frauen heutzutage gestattet, auch nur annähernd so tüchtig wie sie zu sein?«

»Nein, das wird es nicht«, antwortete Emily.

»Uns ist keine Beschäftigung erlaubt, außer den Arbeiten im Haushalt und Näharbeiten, keine irdischen Vergnügen außer den wenig erbaulichen ›Besuchen in der Nachbarschaft‹ und keine Hoffnung, je im Leben etwas Besseres zu erreichen. Die Männer erwarten von uns, dass wir uns mit diesem langweiligen und wenig erfreulichen Schicksal zufriedengeben, ohne uns zu beklagen, tagein, tagaus, als hätten wir nicht die geringste Anlage für irgendetwas anderes. Ich frage dich: Könnten Männer selbst so leben? Würden sie dessen nicht sehr bald überdrüssig?«

»Die Männer haben keine Ahnung, welche Mühsal die Frauen in ihrem Leben ertragen müssen«, sagte Tabby mit einem traurigen Kopfschütteln.

»Und selbst wenn«, meinte Emily, »dann würden sie trotzdem nichts daran ändern.«

Als ich endlich mit einem erleichterten Seufzer die Haustür hinter Mr. Nicholls schloss, ging ich raschen Schrittes in Papas Studierzimmer und sagte: »Ich hoffe, dass wir diesen Herrn heute zum letzten Mal gesehen haben.«

»Im Gegenteil«, erwiderte Papa. »Ich habe ihn eingestellt.«

»Du hast ihn eingestellt? Papa! Das kannst du nicht ernst meinen!«

»Er ist der beste Kandidat, mit dem ich seit Jahren gesprochen habe. Er erinnert mich an William Weightman.«

»Wie kannst du das sagen? Er hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit William Weightman!« Mr. Weightman, Papas ersten Hilfspfarrer, hatte jedermann in der Gemeinde geliebt, besonders meine Schwester Anne. Leider hatte er sich vor drei Jahren bei Krankenbesuchen mit Cholera angesteckt und war gestorben. »Mr. Weightman sah gut aus und war ausgesprochen charmant und leutselig. Er hatte einen wunderbaren Humor.«

»Mr. Nicholls besitzt auch einen wunderbaren Humor.«

»Davon habe ich aber nichts bemerkt – es sei denn, seine Witze gehen auf Kosten der Frauen. Er ist engstirnig, ungehobelt und arrogant, Papa, und viel zu reserviert.«

»Reserviert? Was, wie kommst du darauf? Der Mann hat mir ein Loch in den Bauch geredet. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein so angenehmes und anregendes Gespräch mit einem Mann geführt hätte.«

»Mit mir hat er kaum drei Sätze gewechselt.«

»Vielleicht fühlt er sich nicht wohl, wenn er mit Frauen spricht, die er noch nicht lange kennt.«

»Wenn das stimmt, wie will er dann mit der Gemeinde zurechtkommen?«

»Ich denke, er wird gut mit ihr zurechtkommen. Er wurde uns sehr empfohlen, wie du weißt, und ich verstehe, warum. Er hat letztes Jahr seinen Studienabschluss am Trinity College gemacht. Er ist ein fähiger Mann und hat einen klugen Kopf auf den Schultern. Wir haben vieles gemeinsam, Charlotte. Kannst du dir das vorstellen? Er ist in der Grafschaft Antrim geboren, im Norden Irlands, nur fünfundvierzig Meilen von dem Ort entfernt, an dem ich aufgewachsen bin. Wir stammen beide aus Familien mit zehn Kindern, unsere Väter waren beide arme Bauern, und uns beide hat jeweils der Ortspfarrer dabei unterstützt, auf die Universität zu gehen.«

»Diese Ähnlichkeiten sind schön und gut, Papa, aber machen sie ihn auch zu einem guten Hilfspfarrer? Er ist so jung.«

»Jung? Natürlich ist er jung! Mein liebes Mädchen, für 90 Pfund im Jahr kann man schließlich keinen erfahrenen Hilfspfarrer erwarten. Er ist noch nicht einmal ordiniert, sodass wir etwa einen Monat warten müssen, ehe er hier seine Pflichten aufnehmen kann.«

»Noch einen Monat? Es ist so viel zu tun! Kannst du es dir leisten, so lange zu warten, Papa?«

Papa lächelte. »Ich denke, Mr. Nicholls wird das lange Warten wert sein.«

ZWEI

In der letzten Maiwoche zog Mr. Nicholls als Untermieter in das Haus des Küsters ein. Das niedrige Steingebäude grenzte an die Kirchenschule an und lag nicht weiter als einen Steinwurf entfernt – von uns nur durch das Kopfsteinpflaster der Gasse zwischen dem Pfarrhaus und seinem kleinen ummauerten Garten getrennt. Mir war die Aufgabe zugefallen, den neuen Hilfspfarrer im Dorf willkommen zu heißen; und das tat ich einen Tag nach seiner Ankunft, indem ich den üblichen Korb mit selbstgemachten Lebensmitteln zusammenstellte.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Ich trat mit meinem Geschenk aus dem Tor des Pfarrhauses und nickte grüßend dem Steinmetz in seinem Schuppen zu, der sich emsig mit dem Meißel zu schaffen machte und die Namen und Lebensdaten der unlängst Verstorbenen auf die dort stehenden großen Steinplatten eingravierte.

»Mr. Nicholls!«, rief ich, als ich sah, dass der fragliche Herr gerade seine Unterkunft verließ. Er bog in die Gasse ein und kam mir entgegen. »Meine Familie und ich möchten Sie herzlich hier willkommen heißen, Sir. Ich hoffe, dass Sie sich gut einleben.«

»Das will ich tun«, antwortete er mit einer überraschten Verbeugung. »Vielen Dank, Miss Brontë. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«

»Es ist nicht viel, Sir, nur ein Laib Brot, ein kleiner Kuchen und ein Glas Stachelbeermarmelade, aber meine Schwester und ich haben alles selbst zubereitet. Ich möchte hinzufügen, dass ich auch die Leinenserviette eigenhändig gesäumt habe. Da ich weiß, dass Sie der Meinung sind, Frauen seien am besten in den Beschäftigungen, die Gott für sie vorgesehen hat – nämlich Nähen oder Betätigung in der Küche –, gehe ich davon aus, dass unser Geschenk Ihnen außerordentlich angemessen erscheinen wird.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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