Die Geheimnisse von Paris. Band II - Eugène Sue - E-Book

Die Geheimnisse von Paris. Band II E-Book

Eugène Sue

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Beschreibung

Entführung, Mord und Prostitution: Eugène Sues "Die Geheimnisse von Paris" entführt die Leser in die elenden Arbeiterviertel und die Unterwelt von Paris im Jahre 1838. In den schmutzigen Spelunken, wo sich die Verbrecher der Stadt treffen, werden finstere Pläne geschmiedet, während sich in den schicken Salons der adligen Oberschicht familiäre Dramen abspielen, aber um jeden Preis die Fassade gewahrt werden muss. Der Moloch Paris lässt hier mit seiner Enge, seinem Dreck und den allgegenwärtigen Verbrechen die Menschen verrohen. Und mitten in diesem Sumpf der zwielichtigen Gassen des Großstadtdschungels erscheint wie aus dem Nichts ein fremder Retter, der sich den Hilflosen und Entrechteten zur Seite stellt, um das Boshafte zur Rechenschaft zu ziehen. Auf insgesamt knapp 2000 Seiten entfaltet sich ein detailreiches und farbenprächtiges Bild des Pariser Alltags Mitte des 19. Jahrhunderts. Dutzende von Figuren aus unterschiedlichen sozialen Ständen und ihre Geschichten werden mit dem Haupthandlungsfaden des Werkes verwoben. Sue verbindet Elemente des Kriminalromans, des Gesellschaftsromans und des Melodrams und erschafft daraus ein bildgewaltiges Epos einer vergangenen Zeit, das durch sein Rachemotiv und die intriganten Verwicklungen zuweilen an den Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas erinnert, der von Sue inspiriert wurde. Der Abenteuer-Klassiker liegt hier in der ungekürzten Übertragung ins Deutsche von August Diezmann vor. Zeichensetzung und Rechtschreibung der Erstübertragung wurden teilweise dem heutigen Sprachgebrauch angenähert, teilweise beibehalten. Dies ist der Versuch eines Kompromisses zwischen einem Zugeständnis an die Lesegewohnheiten heutiger Leserinnen und Leser sowie der Bewahrung des damaligen Sprachkolorits, welches wesentlich zur Atmosphäre der Geschichte beiträgt. Dieses ist der zweite von sechs Bänden des monumentalen Werkes. Der Umfang des zweiten Bandes entspricht ca. 350 Buchseiten.

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Seitenzahl: 424

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Eugène Sue

 

DIE GEHEIMNISSE VON PARIS

 

 

 

Historischer Roman

in sechs Bänden

 

 

BAND II

 

 

 

Ungekürzte Ausgabe

in einer

Übersetzung von

 

August Diezmann

 

 

 

 

 

 

Die Geheimnisse von Paris wurde im französischen Original Les mystères de Paris zuerst veröffentlicht vom 19. Juni 1842 bis zum 15. Oktober 1843 in der Tageszeitung Le Journal des Débats (Paris).

Diese ungekürzte und vollständige Ausgabe in sechs Bänden wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook

© apebook Verlag, Essen (Germany)

 

Band 2 von 6

www.apebook.de

1. Auflage 2020

Anmerkungen zur Transkription: Der Text der vorliegenden Ausgabe folgt der Übersetzung von August Diezmann (Otto Wigand Verlag). Zeichensetzung und Rechtschreibung der Erstübertragung wurden teilweise dem heutigen Sprachgebrauch angenähert, teilweise beibehalten. Dies ist der Versuch eines Kompromisses zwischen einem Zugeständnis an die Lesegewohnheiten heutiger Leserinnen und Leser sowie der Bewahrung des damaligen Sprachkolorits, welches wesentlich zur Atmosphäre der Geschichte beiträgt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-96130-198-0

Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de

Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.

Alle Rechte vorbehalten.

© apebook 2020

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

DIE GEHEIMNISSE VON PARIS. Band II

Impressum

ZWEITER BAND

I. Tom und Sarah.

II. Sir Walter Murph und der Abbé Polidori.

III. Eine erste Liebe.

IV. Der Ball.

V. Der Wintergarten.

VI. Das Zusammentreffen.

VII. Mein Engel, Du kommst spät.

VIII. Das Rendezvous.

IX. Ein Engel.

X. Die Idylle.

XI. Besorgnisse.

XII. Der Hinterhalt.

XIII. Das Pfarrhaus.

XIV. Das Zusammentreffen.

XV. Der Abend.

XVI. Die Gastfreundschaft.

XVII. Die Musterwirtschaft.

XVIII. Die Nacht.

XIX. Der Traum.

XX. Der Brief.

XXI. Das Erkennen.

XXII. Die Milchfrau.

XXIII. Tröstungen.

XXIV. Reflexion.

XXV. Die Begegnung.

XXVI. Clemence von Harville.

XXVII. Die Geständnisse.

XXVIII. Fortsetzung der Erzählung.

XXIX. Fortsetzung der Erzählung.

XXX. Die Mildtätigkeit.

XXXI. Armut.

XXXII. Die Schuld.

Eine kleine Bitte

Direktlinks zu den einzelnen Bänden

A p e B o o k C l a s s i c s

N e w s l e t t e r

F l a t r a t e

F o l l o w

A p e C l u b

L i n k s

Zu guter Letzt

 

 

 

Zweiter Band

 

I. Tom und Sarah.

Sarah Seyton, damals Witwe des Grafen Mac Gregor und sieben- bis achtunddreißig Jahre alt, stammte aus einer trefflichen schottischen Familie und war die Tochter eines Landedelmannes.

Im siebzehnten Jahre verwaiset, von vollendeter Schönheit, hatte Sarah mit ihrem Bruder Tom Seyton von Halesbury Schottland verlassen.

Die albernen Prophezeiungen einer alten Hochländerin, ihrer Wärterin, hatten die beiden Hauptfehler Sarah's, den Stolz und den Ehrgeiz, fast bis zum Wahnsinn gesteigert, indem sie ihr mit einer unglücklichen ausdauernden Überzeugung das höchste Geschick — warum es nicht sagen? — einen Thron, verhießen.

Die junge Schottin glaubte an die Prophezeiung jener Wärterin und sprach sich selbst, um ihren ehrgeizigen Glauben zu befestigen, fortwährend vor, daß eine Wahrsagerin der schönen und vortrefflichen Creolin, die auf dem Throne Frankreichs saß und Königin war durch Anmut und Herzensgüte, wie es Andere durch Majestät sind, die Krone ebenfalls prophezeihet hatte.

Seltsam! Tom Seyton, der so abergläubisch war wie seine Schwester, bestärkte diese in ihren törichten Hoffnungen und hatte sich vorgenommen, der Verwirklichung des Traumes Sarah's, des eben so blendenden als unsinnigen Traumes, sein Leben zu widmen.

Der Bruder und die Schwester waren indes nicht so verblendet, daß sie fest an der Prophezeiung der Hochländerin hielten und auf einen Thron vom ersten Range spekulierten, sekundäre Königreiche und souveraine Fürstentümer aber verachteten; nein, wenn nur auf der Stirn der schönen Schottin einst eine Krone glänzte, die Größe der Besitzungen derselben beachtete das ehrgeizige Paar weiter nicht.

Nach dem Gothaischen Hofkalender von 18.. entwarf Tom Seyton kurz vor der Abreise aus Schottland eine Tabelle von allen Königen und souveränen Fürsten Europa's, die damals heiratsfähig waren.

Der Ehrgeiz der Geschwister war, wenn auch sehr absurd, doch rein und frei von jedem schmachvollen Mittel; Tom sollte seiner Schwester beistehen das Eheband zu schlingen, mit welchem sie irgend einen Kronenträger zu fesseln hoffte; er sollte Theil nehmen an jeder List, an allen Intrigen, welche zu diesem Zwecke führen könnten, aber lieber hätte er gewiß seine Schwester umgebracht, als zugegeben, daß sie die Maitresse eines Fürsten würde.

Die Nachforschungen in dem Gothaischen Hofkalender gaben ein befriedigendes Resultat; Deutschland zumal hatte eine ziemliche Anzahl junger mutmaßlicher Thronerben; Sarah war Protestantin und Tom wußte, wie leicht es in Deutschland den Fürsten ist, eine Ehe zur linken Hand einzugehen, die übrigens vollkommen rechtmäßig ist und in die er im Nothfalle für seine Schwester eingewilliget haben würde. Beide entschlossen sich also, zuerst nach Deutschland zu gehen.

Wenn man den Plan für unwahrscheinlich, diese Hoffnungen für unsinnig hält, so antworten wir darauf, daß ein maßloser Ehrgeiz, der überdies noch durch Aberglauben gesteigert wird, in seinen Plänen und Ansichten selten vernünftig ist und meist nur das Unmögliche versucht, und wenn man sich gewisser zeitgeschichtlicher Tatsachen von hohen morganatischen Ehen zwischen souveränen und einer Schönen aus ihren Untertanen erinnert, läßt sich den Einbildungen Tom's und Sarah's einige Wahrscheinlichkeit auf glücklichen Erfolg nicht absprechen.

Übrigens müssen wir hinzusetzen, daß Sarah mit einer bewunderungswürdigen Schönheit die verschiedenartigsten Talente und eine um so größere Macht der Verführung verband, als sie neben einem harten Gemüte, einem gewandten und boshaften Geiste, einer vollendeten Verstellungskunst und einem hartnäckigen Charakter einen Schein von einer edeln, warmen und leidenschaftlichen Natur besaß.

Auch ihre körperliche Organisation war eben so perfid.

Ihre großen schwarzen Augen, die unter den ebenholzschwarzen Brauen halb glühten, halb schmachteten, konnten das Feuer der Wollust heucheln; aber die glühende Sehnsucht der Liebe hatte nie ihre kalte Brust bewegt; nie konnte das Herz, nie konnten die Sinne die kaltblütigen Berechnungen dieses schlauen, selbstsüchtigen und ehrgeizigen Weibes stören.

Nach der Ankunft auf dem Kontinente wollte Sarah, wie ihr Bruder es ihr riet, ihre Unternehmungen nicht beginnen, bevor sie sich eine Zeitlang in Paris aufgehalten, wo sie ihre brittische Steifheit im Umgange mit einer eleganten, liebenswürdigen Gesellschaft abzulegen hoffte.

Sarah wurde in Folge einiger Empfehlungsschreiben und des Wohlwollens der Gemahlin des englischen Gesandten sowie des alten Marquis von Harville, welcher den Vater Tom's und Sarah's in England kennengelernt hatte, in der besten und höchsten Gesellschaft eingeführt.

Falsche, kalte Verstandesmenschen nehmen mit überraschender Schnelligkeit selbst die Sprache und die Manieren an, welche ihrem Charakter am meisten widerstreben; bei ihnen ist Alles Außenseite, Oberfläche, Schein, Firniß, Rinde; sobald man in die Tiefe geht, sobald man sie errät, sind sie verloren; der Erhaltungsinstinkt, den sie besitzen, macht sie deshalb zur Verstellung vollkommen geeignet. Sie legen ihr Gesicht in beliebige Falten und kostümieren sich so schnell und geschickt wie ein vollendeter Schauspieler.

Nach einem Aufenthalte von sechs Monaten in Paris hätte Sarah mit der parisischesten Pariserin an pikanter Grazie des Geistes, an reizender Heiterkeit, an Koketterie und der herausfordernden Naivetät ihres zugleich keuschen und leidenschaftlichen Blickes wetteifern können.

Nachdem seine Schwester auf diese Weise genügend gerüstet war, reiste Tom mit ihr nach Deutschland ab, wohin er die vorzüglichsten Empfehlungsschreiben mitnahm.

Der erste Staat, welcher in dem Reiseplane Sarah's aufgeführt stand, war das Großherzogthum Gerolstein, das in dem diplomatischen und unfehlbaren Gothaischen Hofkalender also aufgezeichnet ist:

 

Gerolstein.

»Großherzog Maximilian Rudolph, geb. am 10. December 1764, succ. seinem Vater Karl Friedrich Rudolph am 21. April 1785, Witwer seit dem Januar 1808 von Louise, Tochter des Prinzen Johann August von Burglen.

Sohn:

»Gustav Rudolph, geb. den 17. April 1803.

Mutter:

»Großherzogin Judith, Witwe des Großherzogs Karl Friedrich Rudolph seit dem 21. April 1785.«

 

Tom hatte wohlbedacht zuerst auf die Liste die Jüngsten der Fürsten geschrieben, die er sich zu Schwägern wünschte, weil er wohl wußte, daß die Jugend viel leichter zu verführen ist als das reifere Alter. Übrigens waren, wie bereits erwähnt, Tom und Sarah an den regierenden Großherzog von Gerolstein von dem alten Marquis von Harville dringend empfohlen, der wie Jedermann für Sarah eingenommen war, deren Schönheit und Grazie er nicht genug bewundern konnte.

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der mutmaßliche Thronerbe von Gerolstein Gustav Rudoph war; er zählte kaum achtzehn Jahre, als Tom und Sarah seinem Vater vorgestellt wurden.

Die Ankunft der jungen Schottin war an dem kleinen stillen ernsten, sozusagen patriarchalischen Hofe ein Ereignis. Der Großherzog, der beste Mensch, regierte sein Land mit weiser Festigkeit und väterlicher Güte; es konnte in materieller und moralischer Hinsicht kein Staat glücklicher sein als Gerolstein; die Einwohner desselben, arbeitsame und ernste, mäßige und fromme Menschen, bildeten gleichsam den idealen Typus des deutschen Charakters.

Diese braven Leute erfreuten sich also eines so geruhigen Glückes, sie waren mit ihrer Lage so vollkommen zufrieden, daß die erleuchtete Fürsorge des Großherzogs wenig zu tun nötig gehabt hatte, um sie vor der Sucht der konstitutionellen Neuerungen zu bewahren.

Was die neuen Entdeckungen und die praktischen Ideen betraf, welche einen heilsamen Einfluß auf das bürgerliche und geistige Wohl des Volkes haben konnten, so unterrichtete sich der Großherzog stets davon und wendete sie an, da seine Geschäftsträger an den Höfen der verschiedenen enropäischen Mächte eigentlich kein anderes Geschäft hatten als das, ihren Herrn und Gebieter von allen Fortschritten der Wissenschaft in Bezug auf praktische Nützlichkeit zu unterrichten.

Wir haben bereits erwähnt, daß der Großherzog ebensoviel Liebe als Dankbarkeit gegen den alten Marquis von Harville fühlte, der ihm 1815 sehr große Dienste geleistet hatte; deshalb wurden denn auch wegen dieser Empfehlung Tom und Sarah Seyton von Halesbury am Hofe von Gerolstein mit ganz besonderer Auszeichnung aufgenommen.

Vierzehn Tage nach ihrer Ankunft hatte Sarah, die einen scharfen Beobachtungsgeist besaß, den festen, loyalen, offenen Geist des Großherzogs erkannt; ehe sie den Sohn gewann, was ihr nicht fehlen konnte, wollte sie sich der Meinung des Vaters versichern. Dieser schien seinen Sohn so sehr zu lieben, daß Sarah einen Augenblick glaubte, er würde lieber in eine Mißheirat willigen, als seinen geliebten Sohn ewig unglücklich sehen wollen. Bald aber überzeugte sich die Schottin, daß der so zärtliche Vater von gewissen Grundsätzen, von gewissen Ideen über die Pflichten der Fürsten niemals abweichen würde.

Es war dies keineswegs Stolz bei ihm, sondern Sache des Gewissens, der Vernunft, der Würde.

Ein Mann von so energischem Charakter, der um so liebevoller und gütiger ist, je fester und stärker er ist, gibt in Dingen, welche sein Gewissen, seinen Verstand, seine Würde berühren, niemals nach.

Sarah stand bereits auf dem Punkte, vor solchen fast unübersteiglichen Hindernissen ihr Unternehmen aufzugeben; sie bedachte indes, daß auf der andern Seite Rudolph sehr jung war, daß man allgemein seine Sanftmut, seine Herzensgüte, seinen schüchternen und träumerischen Charakter rühmte, hielt den jungen Prinzen für schwach und unentschlossen und blieb also bei ihrem Plane und ihren Hoffnungen.

Ihr und ihres Bruders Benehmen bei dieser Gelegenheit war ein Meisterstück der Gewandtheit.

Das junge Mädchen wußte Jedermann und namentlich die Personen für sich zu gewinnen, die auf ihre Vorzüge eifersüchtig oder neidisch hätten sein können; sie wußte durch die bescheidene Einfachheit, in die sie sich hüllte, ihre Schönheit und Anmut vergessen zu machen. Bald wurde sie der Abgott nicht bloß des Großherzogs, sondern auch der Mutter desselben, der verwitweten Großherzogin Judith, die trotz ihren sechsundneunzig Jahren oder vielmehr wegen derselben Alles, was jung und schön war, in hohem Maße liebte.

Tom und Sarah sprachen mehrmals von ihrer Abreise und niemals wollte der Souverän von Gerolstein einwilligen. Um den Bruder und die Schwester ganz für sich zu gewinnen, ersuchte er den Baronet Tom Seyton von Halesbury, die eben vacante Stelle eines ersten Stallmeisters anzunehmen, und bat Sarah, die Großherzogin Judith nicht zu verlassen, die sie nicht mehr entbehren konnte.

Nach langer Zögerung, welche durch die dringendsten Bitten bekämpft wurde, nahmen Tom und Sarah diese glänzenden Anträge an und blieben an dem Hofe von Gerolstein, an welchem sie vor zwei Monaten angekommen waren.

Sarah, eine ausgezeichnete Musikkennerin, welche die Vorliebe der Großherzogin für die alten Meister und unter andern für Gluck kannte, ließ die Werke dieses berühmten Mannes kommen und fesselte die alte Fürstin durch ihre unerschöpfliche Gefälligkeit, sowie durch das Talent, mit welchem sie jene alten so einfach schönen, so ausdruckvollen Arien sang.

Tom seinerseits wußte sich in dem Amte, das der Großherzog ihm übertragen hatte, sehr nützlich zu machen. Er war ein vollendeter Pferdekenner, besaß viele Ordnungsliebe und Festigkeit und gestaltete in kurzer Zeit den Stalldienst, der durch Nachlässigkeit und Schlendrian sehr heruntergekommen war, fast ganz um.

Die Geschwister sahen sich bald an dem Hofe gleich geliebt und fètirt. Den, welcher von dem Herrn ausgezeichnet wird, zeichnen auch andere Personen aus. Sarah bedurfte übrigens zu ihren künftigen Plänen zu vieler Stützpunkte, als daß sie nicht ihre ganze Verführungskunst angewendet hätte, um sich Anhänger zu verschaffen. Ihre Heuchelei, die sie in die reizendsten Formen kleidete, täuschte leicht die meisten dieser rechtlichen deutschen Frauen und bald weihete die allgemeine Liebe das große Wohlwollen, welches ihr der Großherzog schenkte.

So war denn unser Paar an dem Hofe von Gerolstein sicher und ehrenvoll gestellt, ohne daß auch nur einen Augenblick die Rede von Rudolph gewesen wäre. In Folge eines glücklichen Zufalls war der Letztere einige Tage nach der Ankunft Sarah's mit einem Adjutanten und dem treuen Murph zu einer Truppeninspektion abgereiset.

Diese für die Pläne Sarah's doppelt günstige Abwesenheit gestattete ihr, die Hauptfäden des Gewebes, das sie anlegte, ordnen und anknüpfen zu können, ohne durch die Anwesenheit des jungen Prinzen gehindert und gestört zu werden, dessen zu stark ausgesprochene Bewunderung Besorgnis in dem Großherzoge hätte erregen können.

Dieser dachte leider bei der Abwesenheit seines Sohnes nicht daran, daß er seine Freundschaft einem Mädchen von seltener Schönheit und reizendem Geiste geschenkt hatte, die alle Tage mit Rudolph zusammentreffen mußte.

Sarah blieb innerlich gleichgiltig gegen diese so rührende, so edle Aufnahme und gegen das Vertrauen, mit dem man sie in den Schoß dieser souveränen Familie aufnahm.

Weder das junge Mädchen noch der Bruder verloren ihre schlechten Absichten einen Augenblick aus den Augen; sie brachten absichtlich und bewußt Unruhe und Kummer an den bis dahin so friedlichen und glücklichen Hof. Sie berechneten kaltblütig die wahrscheinlichen Resultate des grausamen Zwistes, den sie zwischen einem Vater und einem Sohn säeten, die bis dahin durch die innigste Liebe mit einander vereinigt gewesen waren.

II. Sir Walter Murph und der Abbé Polidori.

Rudolph war von seiner Kindheit an von schwächlicher Constitution gewesen und sein Vater kam auf folgende scheinbar sehr bizarre, dem Grunde nach aber sehr verständige Gedanken:

Die englischen Landedelleute zeichnen sich meist durch eine eisenstarke Gesundheit aus. Dieser Vorzug rührt zum großen Theile von ihrer körperlichen Erziehung her, die einfach und rauh ist und ihre Kräfte entwickelt. Rudolph muß den Händen der Frauen entnommen werden; wenn ich ihn gewöhne, wie der Sohn eines englischen Pächters zu leben (mit einiger Schonung), stärke ich vielleicht seine Constitution.

Der Großherzog ließ deshalb aus England einen würdigen Mann kommen, der im Stande war, eine solche physische Erziehung zu leiten, und Sir Walter Murph, ein herkulischer Landedelmann aus Yorkshire, erhielt diesen wichtigen Auftrag. Die Richtung, welche er dem jungen Prinzen gab, entsprach vollkommen den Ansichten des Großherzogs.

Murph und sein Zögling bewohnten mehrere Jahre lang ein reizendes Landgut, das mitten unter Feldern und Wäldern einige Stunden von der Stadt Gerolstein malerisch und gesund lag.

Rudolph führte hier, frei von jeder Etikette, ein mäßiges, männliches und regelmäßiges Landleben, beschäftigte sich nebst Murph mit ländlichen Arbeiten, die für sein Alter paßten, und seine Vergnügungen, seine Zerstreuungen waren starke Leibesübungen, das Ringen, der Faustkampf, das Reiten und die Jagd.

In der reinen Luft der Wiesen, Wälder und Berge schien der junge Prinz sich umzugestalten und wurde kräftig wie eine junge Eiche; seine etwas krankhafte Blässe wich der strahlenden Farbe der Gesundheit; obgleich noch immer schlank und schmächtig, ertrug er die rauhesten Strapazen; Gewandtheit, Energie und mut ersetzten was ihm an Muskelkraft gebrach und er konnte deshalb sich bald mit jungen Leuten messen, die weit älter waren als er. Er stand damals im funfzehnten oder sechzehnten Jahre.

Auf seine wissenschaftliche Ausbildung hatte die Bevorzugung der körperlichen allerdings einen wesentlichen Einfluß gehabt; Rudolph wußte sehr wenig; der Großherzog meinte aber mit Recht, wenn man von dem Geiste viel verlangen wollte, müßte derselbe durch einen kräftigen Körper unterstützt werden und die geistigen Fähigkeiten entwickelten sich dann, wenn auch spät, um so rascher.

Der gute Walter Murph war kein Gelehrter und konnte Rudolph nur einige Elementarkenntnisse beibringen; dagegen verstand es Niemand besser als er, in seinem Schüler das Gefühl für Recht und Ehre, sowie den Abscheu vor allem Niedrigen, Gemeinen und Erbärmlichen zu entwickeln.

Diese energische und heilsame Vorliebe und Abneigung wurzelten für immer in der Seele Rudolph's ein; später wurden zwar diese Grundsätze durch die Stürme der Leidenschaften gewaltsam erschüttert, nie aber aus seinem Herzen ganz herausgerissen. Der Blitz trifft, zerreißt und zersplittert einen festgewurzelten Baum, in den Wurzeln aber wirkt der Saft immer fort und tausend grüne Zweige brechen aus dem Stumpfe hervor, der vertrocknet zu sein schien.

Murph gab also, wenn man so sagen darf, seinem Zöglinge die Gesundheit des Körpers und der Seele; er machte ihn stark uns gewandt und pflanzte ihm Theilnahme ein an allem Guten und Schönen, sowie Widerwillen gegen alles Schlechte und Böse.

Nachdem der Squire auf diese Weise seine Aufgabe bewunderungswürdig gelöset hatte, beriefen ihn wichtige Interessen nach England zurück und er verließ zur großen Betrübniß Rudolph's, der ihn zärtlich liebte, auf einige Zeit Deutschland.

Er sollte zurückkommen und sich für immer in Gerolstein mit seiner Familie niederlassen, nachdem er einige für ihn sehr wichtige Angelegenheiten beendiget haben würde. Er hoffte, daß seine Abwesenheit höchstens ein Jahr dauern sollte.

Der Großherzog dachte, nachdem er über den Gesundheitszustand seines Sohnes beruhiget war, ernstlich an die wissenschaftliche Ausbildung dieses geliebten Kindes.

Ein gewisser Abbé Polidori, berühmter Philolog, ausgezeichneter Arzt und Geschichtsforscher, ein Mann, der in den exacten und physikalischen Wissenschaften vollkommen erfahren war, erhielt den Auftrag, den reichen, aber noch jungfräulichen, von Murph so ernstlich vorbereiteten Boden zu bebauen und zu befruchten.

Diesmal aber war die Wahl des Großherzogs eine unglückliche, oder vielmehr sein Glaube wurde durch die Person, welche ihm den Abbé vorstellte und die Annahme des katholischen Priesters zum Lehrer eines protestantischen Prinzen bewirkte, grausam getäuscht. Diese Neuerung wurde von vielen Leuten für eine nicht zu rechtfertigende gehalten und man erwartete allgemein die traurigsten Folgen davon für die Erziehung Rudolph's.

Der Zufall oder vielmehr der abscheuliche Charakter des Abbé rechtfertigte zum Theil diese traurigen Vermutungen.

Der Abbé Polidori war gottlos, heuchlerisch, boshaft und verachtete das Heiligste, was der Mensch hat; bei seiner Verschlagenheit und Verschmitztheit verhüllte er leicht die gefährlichste Immoralität und den grauenvollsten Unglauben unter einer frömmelnden sittenstrengen Außenseite; er heuchelte eine übertriebene falsche christliche Demut, um seine einschmeichelnde Gefügigkeit zu verstecken und trug ein allumfassendes Wohlwollen, einen scheinbar aufrichtigen Optimismus zur Schau, um seine perfiden eigennützigen Schmeicheleien zu verbergen; er besaß eine vollendete Menschenkenntniß oder hatte vielmehr nur immer die schlechten Seiten und die schändlichen Leidenschaften der Menschen kennen gelernt und benutzt, und war mit einem Worte der gefährlichste Lehrer und Führer, den man einem jungen Manne geben konnte.

Rudolph, der höchst ungern das unabhängige Leben aufgab, das er bis dahin bei Murph geführt hatte, um über Büchern zu erbleichen und den ceremoniösen Sitten und Gebräuchen am Hofe seines Vaters sich zu unterwerfen, hegte vom Anfange an Widerwillen gegen den Abbé.

Das konnte nicht anders sein.

Der arme Squire hatte seinen Zögling, als er von demselben schied, mit einem jungen wilden, Anmutigen, feurigen Füllen verglichen, das auf den schönen Wiesen aufgewachsen und da frei und fröhlich umhergesprungen war, nun aber sich dem Zaume, dem Zügel und den Sporen unterwerfen, sich mäßigen und seine Kraft nützlich anzuwenden lernen sollte, die es bisher nur gebraucht hatte, um frei umherzuspringen.

Rudolph erklärte dem Abbé sogleich, daß er keinen Beruf zum Studiren fühle, daß er zuerst seine Arme und Beine üben, die freie Luft athmen, in den Wäldern und auf den Bergen umherschweifen müsse und daß er ein gutes Gewehr und ein gutes Pferd den schönsten Büchern auf der Erde vorziehe.

Der Priester antwortete seinem Zöglinge, daß es allerdings nichts Langweiligeres und Widerwärtigeres gebe als das Studiren, daß aber auch nichts gröber sein könnte als die Vergnügungen, die er dem Studium vorziehe, Vergnügungen, die nur eines ungebildeten Bauers würdig seien, — kurz der Abbé entwarf eine so komische, so lächerliche Schilderung von dem einfachen ländlichen Leben, daß Rudolph sich zum ersten Male schämte, sich bis dahin so glücklich gefühlt zu haben, und endlich den Priester naiv fragte, womit man seine Zeit hinbringen könne, wenn man weder das Studium, noch die Jagd, noch das freie Leben auf dem Lande liebe.

Der Abbé antwortete geheimnißvoll, daß er ihn später davon unterrichten würde.

Die Hoffnungen dieses Geistlichen waren, unter anderm Gesichtspunkte, so ehrgeizig als die Sarah's.

Obgleich der Staat Gerolstein nur zu denen des zweiten Ranges gehörte, glaubte der Abbé doch, einst in demselben ein Richelieu werden und Rudolph zu einem Fürsten erziehen zu können, der sich um die Regierung nicht kümmert.

Er fing also damit an, sich seinem Zöglinge wo möglich angenehm zu machen und ihm Murph zu ersetzen. Er gab ihm deshalb in Allem nach. Da Rudolph seine Abneigung gegen das Studium nicht überwand, so verschwieg der Abbé dem Großherzoge diese Abneigung, rühmte vielmehr den Fleiß und die staunenswerthen Fortschritte des jungen Prinzen, und einige Prüfungen, die vorher zwischen ihm und Rudolph verabredet worden waren, die aber improvisirt zu sein schienen, erhielten den Großherzog, der, wie ich nicht verschweigen darf, freilich selbst kein großer Gelehrter war, in seiner Verblendung und seinem Vertrauen.

Allmälig änderte sich der Widerwille, den der Priester anfangs dem Prinzen eingeflößt hatte, in eine von der ernsten Liebe zu Murph sehr verschiedene cavalière Vertraulichkeit um. Rudolph sah sich nach und nach an den Abbé (wenn auch in sehr unschuldigen Dingen) durch eine gewisse solidarische Verbindlichkeit gefesselt, welche beide Mitschuldige vereinigte. Früher oder später mußte er aber einen Mann von dem Charakter und dem Alter dieses Priesters verachten, der unwürdig log, um die Trägheit seines Zöglings zu entschuldigen —

Der Abbé wußte dies.

Er wußte aber auch, daß, wenn man sich nicht sofort mit Unwillen von verdorbenen Geschöpfen abwendet, man sich unwillkührlich und allmälig an ihr oft geistreiches Wesen gewöhnt und unmerklich ohne Scham und Unwillen Alles, was man bisher verehrte, verspotten und verhöhnen hören lernt.

Der Abbé war übrigens zu schlau, um geradezu gegen gewisse edele Überzeugungen Rudolph's, die Frucht der Erziehung Murph's, anzustoßen. Der Priester verdoppelte seinen Spott über die plumpen Zeitvertreibe der ersten Jahre seines Zöglings, legte allmälig die Maske der Sittenstrenge ab und reizte die Neugierde Rudolph's lebhaft durch halbe Eröffnungen über das herrliche Leben gewisser Fürsten in früherer Zeit; dann gab er den dringenden Bitten Rudolph's nach und entflammte, nach mancherlei scherzhaften Bemerkungen über den ceremoniellen Ernst am Hofe des Großherzogs, die Phantasie des jungen Prinzen durch übertriebene und lebhaft ausgemalte Erzählungen von den Vergnügungen und Galanterien aus der Zeit Ludwig's XIV., des Regenten und besonders Ludwig's XV., des Helden Cäsar Polidori's.

Er versicherte dem unglücklichen Jüngling, der ihm mit verderblicher Begierde zuhörte, daß selbst übermäßige Genüsse einem glücklich begabten Fürsten nicht nur nicht schadeten, sondern ihn vielmehr gnädig und mild machten. Ludwig XV., der »Vielgeliebte«, sei ein unwidersprechlicher Beweis von dieser Behauptung. Und dann, sagte der Abbé, wie viele große Männer der alten und neuen Zeit haben dem raffinirtesten Epikuräismus gehuldiget! von Antonius bis zu dem großen Condé, von Cäsar bis zu Vendôme!

Solche Gespräche mußten entsetzlichen Schaden in einem jungen feurigen und jungfräulichen Herzen anrichten; aber es blieb nicht dabei; der Abbé übersetzte zufällig seinem Zöglinge die Oden des Horaz, in welchen dieser seltene Geist mit der reizendsten Anmut die üppige Wonne eines Lebens preiset, das ganz der Liebe und ausgesuchten sinnlichen Genüssen gewidmet ist. Um die Gefahr dieser Theorien zu verhüllen und auch dem angeborenen Edelsinne zu genügen, welcher in dem Charakter Rudolph's lag, schilderte ihm der Abbé bisweilen die reizendsten Utopien.

Seinen Worten nach konnte ein mit Klugheit sinnlicher Fürst die Menschen durch das Vergnügen bessern, durch das Glück tugendhafter machen und in den Ungläubigsten das religiöse Gefühl wecken, indem er ihren Dank gegen den Schöpfer lenke, welcher den Menschen in unerschöpflicher Fülle Genüsse biete.

Stets und Alles zu genießen, hieß, nach dem Abbé, Gott in der Herrlichkeit und Ewigkeit seiner Gaben preisen, Diese Theorien trugen ihre Früchte. Inmitten des so regelmäßigen und tugendhaften Hofes, der durch das Beispiel des Gebieters nur unschuldige Zerstreuungen und Vergnügungen kannte, träumte Rudolph bereits von den tollen Nächten in Versailles, von den Orgien in Choisy, von den Freuden des Hirschparks und bisweilen wohl auch von irgend einer romantischen Liebschaft.

Der Abbé hatte auch nicht verfehlt, seinem Zöglinge zu beweisen, daß der Prinz eines so kleinen Staates keine militairischen Prätensionen haben könne und überdies war der Zeitgeist nicht mehr für den Krieg.

Im lieblichen Nichtsthun seine Tage unter Frauen und im raffinirten Luxus zu verbringen, von dem Rausche der sinnlichen Freuden an herrlichen Schöpfungen der Künste sich zu erholen, bisweilen in der Jagd, nicht wie ein wilder Nimrod, sondern als kluger Epikuräer, jene flüchtigen Anstrengungen zu suchen, welche den Reiz des Nichtsthuns erhöhen, — das war, der Meinung des Abbé nach, die einzig mögliche Lebensweise für einen Fürsten, der (als Gipfel des Glückes) einen ersten Minister fände, welcher mutig die schwere Last der Staatsgeschäfte auf sich nähme.

Rudolph hörte diese Einflüsterungen an, die ihm nichts Verbrecherisches zu haben schienen, weil sie über den Kreis der Wahrscheinlichkeit nicht hinausgingen, und nahm sich vor, sobald Gott den Großherzog zu sich berufen würde, ganz sich dem Leben zu widmen, welches ihm der Abbé Polidori mit so warmen heitern Farben schilderte, und den Priester zum ersten Minister zu machen.

Wir wiederholen es, Rudolph liebte seinen Vater zärtlich und würde dessen Tod schmerzlich betrauert haben, obgleich derselbe ihm erlaubt hätte, den kleinen Sardanapal zu spielen. Daß der Prinz die unseligen Hoffnungen, die in ihm gohren, streng geheim hielt, brauchen wir wohl kaum zu erwähnen.

Rudolph, der wohl wußte, daß die Lieblingshelden seines Vaters, des Großherzogs, Gustav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große waren, glaubte mit Recht, sein Vater, welcher die immer gestiefelten und gespornten, reitenden und kriegführenden Könige vor Allen bewunderte, würde seinen Sohn für verloren halten, wenn er in demselben die Absicht oder Neigung erkenne, an seinem Hofe den herkömmlichen Ernst durch die leichtfertigen und ausschweifenden Sitten der Regentschaftszeit zu ersetzen. Es verging so ein ganzes und noch ein halbes Jahr; Murph war noch nicht zurückgekehrt, ob er gleich seine Ankunft als nahe bevorstehend angekündigt hatte.

Nachdem Rudolph seinen ersten Widerwillen gegen den Abbé überwunden hatte, benutzte er auch den wissenschaftlichen Unterricht desselben und erwarb sich, wenn auch nicht gerade eine sehr umfassende Gelehrsamkeit, so doch mannichfaltige Kenntnisse, die ihn, verbunden mit seinem lebhaften Geiste, in den Stand setzten, unterrichteter zu erscheinen als er es wirklich war und so dem Unterrichte des Abbé die größte Ehre zu machen.

Murph kam endlich mit seiner Familie aus England an und weinte vor Freuden, als er seinen Zögling wieder in seine Arme schloß.

Nach einigen Tagen fand der würdige Mann, ohne die Ursache der Veränderung ergründen zu können, die ihn tief betrübte, Rudolph kalt und gezwungen gegen ihn, fast ironisch, wenn er denselben an ihre frühere Lebensweise erinnerte.

Er kannte die natürliche Herzensgüte des jungen Prinzen, konnte eine gewisse Ahnung nicht von sich weisen und meinte in manchen Augenblicken, der Einfluß des Abbé Polidori, den er instinktmäßig haßte und den er aufmerksam zu beobachten sich vornahm, habe Rudolph verdorben.

Der Priester seinerseits, dem die Rückkunft Murph's sehr ungelegen war, dessen Offenheit, Geradheit und Scharfblick er fürchtete, hatte nur einen einzigen Gedanken, wie er nämlich denselben aus dem Herzen Rudolph's verdränge.

Um diese Zeit erschienen Tom und Sarah an dem Hofe von Gerolstein und wurden da mit der größten Auszeichnung aufgenommen.

Einige Zeit vor ihrer Ankunft war Rudolph mit einem Adjutanten und Murph abgereiset, um die Truppen in einigen Garnisonen zu inspiziren. Da dieser Ausflug einen rein militairischen Zweck hatte, hielt es der Großherzog nicht für passend, daß der Abbé den Prinzen begleite und der Priester sah deshalb mit großem Bedauern Murph für einige Tage in die ehemaligen Functionen bei dem jungen Prinzen wieder eintreten.

Der Squire rechnete viel auf diese Gelegenheit, über die Ursache der Kälte Rudolph's ins Klare zu kommen. Leider aber war dieser in der Verstellungskunst schon erfahren, hielt es für gefährlich, seine Pläne für die Zukunft von seinem ehemaligen Mentor errathen zu lassen, war deshalb sehr freundlich gegen denselben, stellte sich, als denke er mit Freuden an seine erste Jugend und seine damaligen Vergnügungen zurück und beruhigte so Murph fast gänzlich.

Wir sagen »fast«, denn manche Freundschaft besitzt einen bewundernswürdigen Instinkt. Trotz den Beweisen von Liebe, die ihm der junge Prinz gab, ahnte Murph unklar, daß zwischen ihnen ein Geheimniß liege, aber er versuchte vergebens, sich darüber klarer zu werden; seine Versuche scheiterten an der frühzeitigen Verstellungskunst Rudolph's.

Der Abbé war während der Dauer dieser Reise nicht müßig gewesen.

Die Intriganten errathen einander gegenseitig oder erkennen einander an gewissen geheimnißvollen Zeichen, die ihnen eine Beobachtung gestatten, bis ihr Interesse sie zu einem erklärten Bündnisse oder einer ausgesprochenen Feindschaft bestimmt.

Einige Tage nach der Anstellung Tom's und Sarah's an dem Hofe des Großherzogs war Tom mit dem Abbé Polidori eng befreundet.

Der Priester gestand es sich mit einem widerwärtigen Cynismus, daß ihn eine natürliche Wahlverwandtschaft zu den Schlechten und Schurken hinziehe; deshalb sagte er, ohne genau den Zweck zu errathen, den Tom und Sarah zu erreichen suchten, es habe ihn eine so starke Sympathie zu Ihnen hingezogen, daß er bei ihnen einen teuflischen Plan voraussetzen müsse.

Einige Fragen Tom Seyton's über den Charakter und das frühere Leben Rudolph's, welche jeder Andere, als der Abbé, für höchst unbedeutend gehalten haben würde, enthüllten diesem plötzlich die Absichten der Geschwister; nur mutmaßte er bei der jungen Schottin keine so ernste und ehrgeizige Pläne.

Die Ankunft des reizenden Mädchens hielt der Abbé für einen Fingerzeig. Rudolph's Phantasie war von Liebesträumen entflammt; Sarah mußte die herrliche Wirklichkeit sein, die alle jene reizenden Träume ersetze, denn ehe man zur Wahl in dem Vergnügen und zum Wechsel in den Genüssen gelangt, dachte der Abbé, beginnt man fast immer mit einer wirklichen und romanhaften Liebschaft. Ludwig XIV. und Ludwig XV. waren vielleicht nur der Marie Mancini und der Rosette von Arey treu.

Ebenso mußte es der Ansicht des Abbé nach mit Rudolph und der jungen Schottin werden. Diese mußte offenbar einen unermeßlichen Einfluß auf ein Herz erlangen, das zum ersten Male liebte. Diesen Einfluß sollte der Abbé leiten und benutzen und durch denselben Murph für immer verderben.

Als kluger Mann gab er dem ehrgeizigen Geschwisterpaar deutlich zu verstehen, daß sie auf ihn zählen müßten, da er allein dem Großherzoge über das Privatleben des jungen Prinzen verantwortlich sei.

Das sei, sagte er, noch nicht Alles: man müßte auch auf der Hut sein vor einem ehemaligen Lehrer des Prinzen, der ihn auf der Inspectionsreise begleite. Dieser rohe, etwas ungeschlachte Mann voll törichter Vorurtheile hätte früher großen Einfluß auf Rudolph gehabt, könnte ein gefährlicher Wächter werden und, weit entfernt, die angenehmen jugendlichen Verirrungen zu entschuldigen und zu dulden, sich für verpflichtet halten, dem strengmoralischen Großherzoge Anzeige davon zu machen.

Tom und Sarah wußten sogleich, was er meinte, ob sie gleich den Abbé nicht im mindesten von ihren geheimen Plänen unterrichtet hatten. Bei der Rückkehr Rudolph's und Murph's waren sie alle drei, da ihr gemeinsames Interesse sie zusammenführte, stillschweigend gegen Murph, ihren am meisten zu fürchtenden Feind, verbündet.

 

III. Eine erste Liebe.

Was geschehen mußte, geschah.

Rudolph, der nach seiner Rückkehr Sarah jeden Tag sah, verliebte sich leidenschaftlich in dieselbe. Bald gestand sie ihm auch, daß sie seine Liebe theile, obgleich dieselbe, wie sie voraussehe, ihnen vielen Kummer verursachen müßte. Sie würden nie glücklich sein können, denn sie wären durch den Rang zu weit auseinander gehalten. Sie empfahl deshalb dem Prinzen die tiefste Verschwiegenheit, damit nicht der Argwohn des Großherzogs geweckt würde, der gewiß unerbittlich wäre und sie ihres einzigen Glückes beraube, einander jeden Tag zu sehen.

Rudolph versprach auf sich zu achten und seine Liebe zu verbergen. Die Schottin war zu ehrgeizig und verstand zu gut sich zu beherrschen, als daß sie sich compromittirt und vor den Augen des Hofes verrathen hätte. Auch der junge Prinz fühlte das Bedürfniß der Verstellung. Er ahmte deshalb die Klugheit Sarah's nach und das Geheimniß ihrer Liebe blieb eine lange Zeit hindurch verschwiegen.

Als die Geschwister sahen, daß die zügellose Leidenschaft des Prinzen den höchsten Grad erreicht hatte, seine Aufregung täglich schwerer im Zaume zu halten und ein Eclat zu fürchten war, der alles verderben konnte, nahmen sie sich vor, den großen Streich zu führen.

Da der Charakter des Abbé eine vertrauliche Mittheilung gestattete, die ja überdies ganz moralisch war, machte ihm Tom die ersten Eröffnungen über die Notwendigkeit einer Heirath zwischen Rudolph und Sarah, wenn er und seine Schwester, setzte er aufrichtig hinzu, Gerolstein nicht augenblicklich verlassen sollten. Sarah theile die Liebe des Prinzen, würde aber den Tod der Schande vorziehen und könnte nur die Gattin Sr. Hoheit sein.

Dieser hochstrebende Plan setzte den Priester in Erstaunen; für so kühn ehrgeizig hatte er Sarah nicht gehalten. Eine solche von Schwierigkeiten ohne Zahl und von Gefahren aller Art umringte eheliche Verbindung kam dem Abbé unmöglich vor und er sagte Tom offen die Gründe, aus welchen der Großherzog niemals in eine solche Verbindung willigen würde.

Tom ließ diese Gründe gelten und erkannte die Triftigkeit derselben an, schlug aber als mezzo termine, der alles vereinige, eine geheime Vermählung vor, die erst nach dem Tode des regierenden Großherzogs bekannt gemacht werden sollte.

Sarah stammte aus einer alten adeligen Familie; eine solche Verbindung war nicht beispiellos und Tom bewilligte dem Priester, folglich dem Prinzen, acht Tage Zeit zur Ueberlegung; länger, sagte er, würde seine Schwester die peinigende Angst der Ungewißheit nicht ertragen; müßte sie der Liebe Rudolph's entsagen, so wünschte sie diesen schmerzlichen Entschluß so schnell als möglich zu fassen.

Um die schnelle Abreise zu rechtfertigen, welche die Folge davon sein mußte, hatte Tom, wie er sagte, für jeden Fall an einen seiner Freunde in England einen Brief geschrieben, der in London auf die Post gegeben und nach Deutschland geschickt werden sollte; dieser Brief enthielte so wichtige Gründe für die Rückkehr, daß Tom und Sarah sagen könnten, sie müßten durchaus den Hof des Großherzogs auf einige Zeit verlassen.

Der Abbé errieth diesmal durch die schlechte Meinung, welche er von den Menschen hatte, die Wahrheit.

Da er auch bei den besten Gesinnungen immer einen Nebengedanken suchte, so sah er, als er erfuhr, Sarah wollte ihre Liebe durch eine Heirath legitimiren lassen, darin nicht sowohl einen Beweis von Tugend als von Ehrgeiz. Er würde kaum an die Uneigennützigkeit der Liebe des jungen Mädchens geglaubt haben, wenn sie ihre Ehre Rudolph geopfert hätte, was er ihr anfangs zugetrauet hatte, da er glaubte, sie wünsche nur die Maitresse seines Zöglings zu werden. Nach den Grundsätzen des Abbé hieß mit sich selbst Handel treiben und die Rolle der Pflicht spielen keineswegs lieben; die Liebe, sagte er, welche sich um den Himmel und um die Erde kümmert, ist schwach und kalt.

Nachdem er überzeugt war, daß er sich über den Plan Sarah's nicht täusche, befand sich der Abbé in großer Verlegenheit. Der Wunsch, welchen Tom im Namen seiner Schwester aussprach, war höchst achtbar, denn er verlangte ja nichts weiter als eine Trennung oder eine rechtmäßige Verbindung.

Trotz seinem Cynismus würde der Priester nicht gewagt haben, vor den Augen Tom's sich über die ehrenwerthen Gründe zu verwundern, welche das Benehmen des letztern zu leiten schienen, oder demselben geradezu zu sagen, er und seine Schwester hätten geschickt manövrirt, um den Prinzen zu einer unverhältnißmäßigen Heirath zu bringen.

Der Abbé hatte nun drei Wege einzuschlagen: Er konnte dem Großherzoge dieses Heirathscomplott entdecken;

dem Prinzen die Augen über die Intriguen Tom's und Sarah's öffnen, oder

die Hände zu dieser Verbindung bieten.

Wenn er dem Großherzoge Anzeige machte, so entfremdete er sich den mutmaßlichen Thronerben für immer; wenn er Rudolph über die eigennützigen Absichten Sarah's aufklärte, so setzte er sich der Gefahr aus, von demselben aufgenommen zu werden, wie man von Verliebten aufgenommen wird, wenn man den geliebten Gegenstand in ihren Augen herunterzusetzen sucht, und dann welcher schreckliche Schlag für die Eitelkeit oder für das Herz des jungen Prinzen: — wenn man ihm entdeckte, daß man ihn häuptsachlich wegen seiner souveränetät heirathen wollte! Zuletzt endlich hätte er, der Priester, das Benehmen eines Mädchens tadeln müssen, die rein bleiben und die Rechte eines Geliebten nur ihrem Gatten zugestehen wollte. Wenn er dagegen die Hand zu dieser Heirath bot, fesselte der Abbé den Prinzen und die Gemahlin desselben durch ein Band hoher Dankbarkeit oder wenigstens durch die solidarische Verantwortlichkeit einer gefährlichen Handlung an sich.

Ohne Zweifel konnte Alles entdeckt werden und er setzte sich in diesem Falle dem Zorne des Großherzogs aus; war aber die Heirath giltig geschlossen, so mußte der Sturm vorüberziehen und der künftige Fürst von Gerolstein um so größere Verpflichtungen gegen den Abbé haben, je bedeutendern Gefahren dieser sich im Dienste desselben ausgesetzt hatte.

Nach reiflicher Ueberlegung entschloß sich also der Abbé, Sarah behilflich zu sein, mit einem gewissen Vorbehalte jedoch, von dem wir später sprechen werden.

Die Liebe Rudolph's hatte die letzte Periode erreicht; er war im höchsten Grad durch den Zwang und durch die gewandte Verführung Sarah's aufgeregt und sie selbst schien sogar noch mehr als er von den unübersteiglichen Hindernissen zu leiden, welche die Ehre und Pflicht ihrem Glücke entgegenstellten. Noch einige Tage in diesem Zustande und der Prinz mußte sich verrathen.

Man bedenke es wohl ... Es war eine erste Liebe, eine eben so aufrichtige als glühende, eine eben so hingebende als leidenschaftliche Liebe. Sarah hatte, um ihn aufzuregen, alle Hilfsmittel der raffinirtesten Koketterie aufgeboten. Niemals waren die jungfräulichen Gefühle eines jungen kräftigen, phantasiereichen uns feurigen Mannes länger und auf klüger berechnete Weise angeregt worden; niemals war ein Weib gefährlicher reizend gewesen als Sarah. Abwechselnd war sie ausgelassen und traurig, keusch und leidenschaftlich, züchtig und herausfordernd, und ihre großen schwarzen Augen, bald schmachtend, bald glühend, entzündeten in der heißen Seele Rudolph's ein unverlöschliches Feuer.

Als der Abbé ihm die Wahl vorlegte, das reizende Mädchen entweder nie wiederzusehen oder den Besitz derselben sich durch eine geheime Vermählung mit ihr zu sichern, fiel Rudolph dem Geistlichen um den Hals und nannte ihn seinen Retter, seinen Freund, seinen Vater. Wäre eine Kirche und ein Geistlicher dagewesen, der junge Prinz würde sich auf der Stelle mit Sarah haben trauen lassen.

Der Abbé wollte, aus Gründen, Alles übernehmen.

Er fand einen Geistlichen und Zeugen, und die Trauung (deren Formalitäten von Tom sorgsam beobachtet und beglaubigt wurden) wurde insgeheim während einer kurzen Abwesenheit des Großherzogs vollzogen.

Die Prophezeiung der schottischen Hochländerin war erfüllt; Sarah vermählte sich mit dem Erben einer Krone.

Der Besitz machte Rudolph vorsichtiger, ohne das Feuer seiner Liebe zu schwächen, und beruhigte den Ungestüm, welcher das Geheimnis der Liebe zu Sarah hätte gefährden müssen. Das junge Paar, das Tom und der Abbé beschützten, verstand sich so gut und ging so zurückhaltend zu Werke, daß das Verhältniß, in welchem der Prinz und die Fremde standen, allen Augen entging.

In den drei ersten Monaten seiner Ehe war Rudolph der glücklichste Mensch; auch als an die Stelle der Leidenschaft die ruhige Ueberlegung trat und er seine Lage mit kaltem Blute überschaute, bereuete er es nicht, sich durch ein unauflösliches Band an Sarah gefesselt zu haben; er entsagte gern für die Zukunft jenem galanten wollüstigen Leben, das er anfangs ersehnt hatte, und entwarf mit Sarah die schönsten Pläne von der Welt über ihre zukünftige Regierung.

Bei diesen fernen Hypothesen verlor die Rolle des ersten Ministers, welche der Abbé für sich bestimmt hatte, viel an Wichtigkeit, denn Sarah selbst behielt sich diese Function vor; sie war zu herrschsüchtig, als daß sie nicht nach der Gewalt und Regierung hätte streben sollen und so hoffte sie an der Stelle Rudolph's das Regiment zu führen.

Ein von Sarah mit Ungeduld erwartetes Ereignis wandelte bald die Ruhe in Sturm um.

Sie wurde schwanger und es gaben sich nun bei ihr ganz neue und für Rudolph schreckliche Forderungen kund; sie erklärte ihm unter erheuchelten Thränen, daß sie den Zwang, in welchem sie lebe und der ihre Schwangerschaft noch peinlicher mache, nicht länger ertragen könnte.

In dieser Not schlug sie Rudolph entschlossen vor, dem Großherzoge alles zu gestehen, der, wie die verwitwete Großherzogin, Sarah immer lieber gewonnen hatte. Ohne Zweifel, setzte sie hinzu, würde er anfangs unwillig werden, poltern und toben, aber er liebe ja seinen Sohn so zärtlich und sei ihr, Sarah, so zugethan, daß der väterliche Zorn sich bald besänftigen und sie endlich an dem Hofe von Gerolstein den Rang einnehmen würde, der ihr, wenn man so sagen könne, doppelt gebühre, da sie dem mutmaßlichen Erben des Großherzogs bald ein Kind geben würde.

Dieses Verlangen erschreckte Rudolph; er wußte, wie sehr sein Vater ihn liebte, kannte aber auch die Unbeugsamkeit der Grundsätze des Großherzogs in Bezug auf die Pflichten der Fürsten.

Auf alle diese Einwendungen antwortete Sarah unbarmherzig:

»Ich bin Deine Frau vor Gott und vor den Menschen. Bald werde ich meine Schwangerschaft nicht mehr verbergen können und ich will nicht mehr über einen Zustand erröthen, auf den ich vielmehr so stolz bin und dessen ich mich laut zu rühmen gedenke.«

Die Aussicht, Vater zu werden, hatte die Liebe Rudolph's zu Sarah verdoppelt und er fühlte die peinigendsten Schmerzen, als er so zwischen dem Wunsche, ihren Bitten zu willfahren, und der Furcht vor dem Zorne seines Vaters stand. Tom nahm die Partei seiner Schwester.

»Die Ehe ist unauflöslich«, sagte er zu seinem durchlauchtigen Schwager. »Der Großherzog kann Sie und Ihre Gemahlin von dem Hofe verbannen, mehr nicht. Er liebt Sie aber viel zu sehr, als daß er sich zu einer solchen Maßregel entschließen sollte; er wird lieber vorziehen das zu dulden, was er nicht hindern kann.«

Diese an sich ganz richtigen Gründe beruhigten die Aengstlichkeit Rudolph's nicht. Unterdeß erhielt Tom von dem Großherzoge den Auftrag, mehrere Gestüte zu besuchen. Diese Sendung, die er nicht ablehnen konnte, sollte ihn höchstens auf vierzehn Tage entfernen, und er reisete zu seinem großen Bedauern in einem für seine Schwester so entscheidenden Augenblicke ab.

Diese fühlte über die Abwesenheit ihres Bruders zu gleicher Zeit Trauer und Freude; sie verlor allerdings die Stütze seines Rathes, er war aber auch, wenn das Geheimniß an den Tag kommen sollte, dem Zorne des Großherzogs nicht erreichbar.

Sarah hatte versprochen, ihrem Bruder täglich Nachricht von den verschiedenen Veränderungen und dem Gange einer für Beide so wichtigen Sache zu geben. Damit die Korrespondenz sicherer und geheimer sei, kamen sie über eine Chiffre überein.

Schon diese Vorsicht beweiset, daß Sarah ihrem Bruder von andern Dingen als von ihrer Liebe zu Rudolph zu schreiben hatte. Und wirklich, das Eis im Herzen dieses selbstsüchtigen, tollen, ehrgeizigen Weibes war selbst an der Flamme der leidenschaftlichen Liebe nicht geschmolzen, welche sie entzündet hatte.

Ihre Schwangerschaft war für sie nur ein Mittel mehr, auf Rudolph einzuwirken und erweichte diese eherne Seele nicht. Die Jugend, die grenzenlose Liebe, die Unerfahrenheit des Prinzen, der so hinterlistig in eine so gefährliche Lage verlockt worden war, flößten ihr keine Theilnahme ein; sie beklagte sich vielmehr in ihren traulichen Besprechungen mit Tom mit bitterem Spott über die Schwachheit dieses knabenhaften Jünglings, der vor dem väterlichsten Fürsten zittere, welcher sehr lange lebe.

Mit einem Worte, der Briefwechsel zwischen dem Bruder und der Schwester enthüllte vollkommen ihre eigennützige Selbstsucht, ihre ehrgeizige Berechnung, ihre fast mörderische Ungeduld, und legte offen die Fäden des Complottes dar, welches durch die Heirath Rudolph's gekrönt worden war.

Wenige Tage nach der Abreise Tom's befand sich Sarah in einer Gesellschaft bei der verwitweten Erzherzogin.

Mehrere Damen sahen sie verwundert an und zischelten unter einander.

Die Großherzogin Judith hatte trotz ihrem hohen Alter ein scharfes Ohr und ein gutes Auge und jenes Zischeln entging ihr nicht. Sie winkte einer ihrer Damen und erfuhr von derselben, daß man Miß Sara Seyton von Halesbury minder schlank finde als gewöhnlich.

Die alte Großherzogin liebte das schottische Mädchen sehr und würde sich bei Gott für die Tugend Sarah's verbürgt haben. Sie zuckte deshalb, unwillig über das böswillige Geschwätz, mit den Achseln und sagte ganz laut von der Ecke des Zimmers aus, wo sie sich befand:

»Meine liebe Sarah!«

Sarah stand auf.

Sie mußte durch den Kreis der Damen hindurchgehen, um zu der Großherzogin zu gelangen, die aus wohlwollender Absicht und bloß durch dieses Gehen Sarah's die Lästerzungen beschämen und siegreich darthun wollte, daß die Taille ihres Schützlings nichts von ihrer schlanken Grazie verloren habe.

Ach, die schlimmste Feindin hätte nichts besseres erdenken können, als das, was die treffliche Fürstin in dem Wunsche erdachte, ihren Schützling zu vertheidigen.

Diese kam zu ihr und es gehörte die hohe Achtung dazu, welche man der Großherzogin schuldig war, um ein Gemurmel der Ueberraschung und des Unwillens zu unterdrücken, als das Mädchen durch den Kreis schritt.

Auch die unerfahrensten bemerkten, was Sarah nicht länger verbergen wollte, denn ihre Schwangerschaft wäre recht wohl noch zu verheimlichen gewesen; aber das ehrgeizige Weib hatte absichtlich diesen Eclat herbeigeführt, um Rudolph zu zwingen, seine Verheirathung einzugestehen.

Die Großherzogin, die ihren Augen nicht glauben wollte, sagte leise zu Sarah:

»Liebes Kind, Sie haben sich heute gar nicht gut gekleidet. — Ihre Taille ist sonst mit den Fingem zu umspannen und heute erkennt man Sie nicht wieder.«

*

Später werden wir die Folgen dieser Entdeckung erzählen, die große und schreckliche Ereignisse herbeiführte. Nur das sagen wir schon jetzt, was der Leser ohne Zweifel schon errathen hat, daß nämlich Marien-Blume, die Schallerin, die Tochter Rudolph's und Sarah's war und daß beide sie für todt hielten.

*

Man hat nicht vergessen, daß Rudolph, nachdem er das Haus in der Rue du Temple besucht hatte, in seine Wohnung zurückgekehrt war und daß er am Abende dieses Tages einen Ball besuchen sollte, den die Gemahlin des ***schen Gesandten gab.

Zu diesem Ballfeste folgen wir nun Sr. Durchlaucht, dem regierenden Großherzoge von Gerolstein, Gustav Rudolph, der unter dem Namen eines Grafen von Düren in Frankreich reisete.

IV. Der Ball.

Um elf Uhr Abends öffnete ein Türsteher in Staatslivrée die Türe eines Palastes in der Straße Plumet, um eine prächtige blaue Berline mit zwei herrlichen großen Grauschimmeln hinaus zu lassen. Auf dem Sitze, der mit gefranseter Decke überzogen war, saß ein ungeheurer Kutscher, der ein noch gewaltigeres Aussehen durch einen blauen Pelzrock mit großem Marderkragen, silbernen Tressen und Schnuren erhielt; hintenauf stand ein riesenhafter gepuderter Lakai in blauer Livrée, die gelb aufgeschlagen und mit Silbertressen besetzt war, neben einem Jäger mit ungeheurem Schnauzbarte, dessen breit bordirter Hut zur Hälfte von einem gelb und blauen Federbusche verdeckt wurde.

Die Laternen warfen ein helles Licht in das Innere dieses mit Atlas ausgeschlagenen Wagens; man konnte Rudolph erkennen, an dessen linker Seite der Baron von Graun und dem gegenüber der treue Murph saß.

Aus Achtung für den souverän, den der Gesandte vertrat, dessen Ball er besuchte, trug Rudolph auf seinem Fracke den Diamant-Stern des —Ordens.

Das Band und Emailkreuz des goldnen Adlerordens von Gerolstein hingen am Halse Sir Walter Murph's; der Baron von Graun trug dieselbe Decoration. Der zahllosen Kreuze aller Länder, welche an einer goldenen Kette zwischen den ersten Knopflöchern seines Fracks hingen, erwähnen wir nicht weiter.

»Ich freue mich sehr«, sagte Rudolph, »über die günstigen Nachrichten, welche mir Madame Georges über meinen armen kleinen Schützling in Bouqueval gibt. Die Behandlung David's hat Wunder gethan. Bis auf die Trauer, welche die Unglückliche niederdrückt, geht es besser. Gestehen Sie, Sir Walter Murph«, setzte Rudolph lächelnd hinzu, »daß wenn Einer von Ihren schlechten Bekanntschaften in der Cité Sie in Ihrer jetzigen Verkleidung sähe, er sich ungemein wundern würde.«

— »Ich glaube, daß Ew. Durchlaucht dieselbe Verwunderung erregen würde, wenn Sie heute Abend der Frau Pipelet in der Rue du Temple einen freundschaftlichen Besuch machen wollten in der Absicht, den alten Alfred in seiner Melancholie etwas aufzuheitern, der Sie gern lieben möchte, wie die achtbare Portiersfrau zu Ew. k. Hoheit sagte.«

»Ew. Durchlaucht haben uns diesen Alfred mit dem majestätischen grünen Fracke und dem unabsetzbaren Hute so vollkommen geschildert«, setzte der Baron hinzu, »daß ich ihn in seiner dunkeln und verräucherten Stube vor mir sitzen sehe. Übrigens sind Ew. Durchlaucht, wie ich zu hoffen wage, mit den Mittheilungen meines geheimen Agenten zufrieden. Das Haus in der Rue du Temple hat Ihrer Erwartung vollkommen entsprochen?«

»Ja«, sagte Rudolph, »ich fand dort sogar mehr als ich erwartete —« Nach einem Augenblicke traurigen Schweigens, und um den peinlichen Gedanken zu verscheuchen, den ihm die Besorgnis in Bezug auf die Marquise von Harville verursachte, setzte er in heiterem Tone hinzu: »ich wage die Kinderei kaum zu gestehen, aber ich finde etwas Pikantes in diesen Contrasten: eines Tages Fächermaler in einer gemeinen Kneipe in der Bohnenstraße: diesen Morgen Commis, der der Frau Pipelet ein Glas Liqueur anbietet, und heute Abend einer der Bevorzugten, die von Gottes Gnaden über die Welt hienieden herrschen (der Mann mit vierzig Thalern sagt »meine Renten« so gut wie der Millionair)«, setzte Rudolph in Parenthese hinzu als Anspielung auf den geringen Umfang seiner Staaten.

»Aber viele Millionaire haben nicht den bewunderungswürdigen seltenen gesunden Verstand des Mannes mit vierzig Thalern«, sagte der Baron.

»O, mein lieber Herr von Graun, Sie sind zu gütig, viel zu gütig; Sie beschämen mich«, entgegnete Rudolph, der sich erfreut und verlegen stellte, während der Baron Murph ihn mit der Miene eines Mannes ansah, welcher zu spät bemerkt, daß er eine Dummheit gesagt hat.

»Wirklich«, fuhr Rudolph immer ernst fort, »ich weiß nicht, mein lieber Herr von Graun, wie ich für die gute Meinung danken soll, die Sie von mir haben, besonders aber, wie ich Gleiches mit Gleichem vergelten kann.«

»Bemühen Sie sich nicht, Durchlaucht, ich bitte darum«, sagte der Baron, der einen Augenblick vergessen hatte, daß Rudolph sich für Schmeicheleien, die er haßte, stets durch unbarmherzigen Spott rächte.

»Wie so, Baron? Ich darf Ihnen nichts schuldig bleiben; ich kann Ihnen leider für den Augenblick nichts bieten als die Versicherung, daß Sie höchstens zwanzig Jahre alt zu sein scheinen und daß Antinous kein reizenderer Mann gewesen sein kann als Sie.«

»Ach, Durchlaucht, Gnade —!«

»Sehen Sie nur, Murph, besitzt der Apoll von Belvedere schlankere, zierlichere, jugendlichere Formen?«

»Es ist mir dies seit so langer Zeit nicht widerfahren, Durchlaucht —«

»Und dieser Purpurmantel! Wie gut er ihm steht!«

»Ew. Durchlaucht, ich werde mich bessern —«

»Und dieser goldene Reif, der die schönen schwarzen Locken, welche auf den göttlichen Hals fallen, hält, ohne sie zu verbergen —«

»Ueben Sie Barmherzigkeit, Durchlaucht! Ich bereue«, sagte der unglückliche Diplomat mit einem Ausdrucke komisches Verzweiflung. (Man hat nicht vergessen, daß er funfzig Jahre zählte, graues gepudertes Haar, eine hohe weiße Cravatte, ein hageres Gesicht und eine goldene Brille hatte.)