9,99 €
Ein neuer Fall für die Geisterhelfer
Weil Leos Eltern unbedingt auf irgendwelche Berge in Amerika klettern wollen, müssen Leo und sein Bruder zusammen mit Antonia und zwei Freunden die Herbstferien bei Antonias Tante verbringen. Deren Gutshof entpuppt sich als gruseliges Schlösschen voller Geheimnisse, Spinnen und seltsamer Mitbewohner. Sogar eine alte Familiengruft gibt es, was Leo große Sorgen bereitet. Zu Recht. Es dauert nicht lange, bis Leo bei einem Fackelumzug auf einen Geist trifft. Der Geist ist genauso erschrocken wie Leo und ziemlich verwirrt. Er erinnert sich überhaupt nicht daran, gestorben zu sein! Und er ist nicht der einzige Geist, der hier sein Unwesen treibt und dringend Hilfe benötigt …
»Blut ist dicker als Friedhofsnebel« ist der dritte Band der gruselig-lustigen Geisterhelfer-Reihe für Kinder ab 8 Jahren.
Alle Bände der Geisterhelfer-Reihe:
Die Geisterhelfer – Traue sich, wer kann! (Band 1)
Die Geisterhelfer – Ein knochen kommt selten allein (Band 2)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2025
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
© 2025 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 Mü[email protected]
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Almut Schmidt
Illustrationen: Monika Parciak
Umschlaggestaltung: Christian Keller unter Verwendung einer Illustration von Monika Parciak
aw · Herstellung: UK
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-33017-0V001
www.cbj-verlag.de
LEOHELSINGKRÜGER
fürchtet sich im Dunkeln, kam in einem Sarg zur Welt und hat unfreiwillig einen siebten Sinn für Geister.
Motto: »Wenn ich nicht hinsehe, verschwindet der Spuk vielleicht einfach wieder.«
ANTONIAMURKWITZ
liebt die Nacht, trägt gerne Schwarz und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
Motto: „Geister haben Probleme wie alle anderen Menschen auch – höchste Zeit, sich darum zu kümmern!“
BAUHAUS
(ehemals REX)
liebt Antonia, Schinken und Schnürsenkel (und ein bisschen auch Leo). Hat ebenfalls eine Spürnase für Geister – trotz oder gerade wegen seines Silberblicks.
Motto: Lieber ausruhen als ausrasten.
1. Gut Krähenstein
2. Im Schatten der Gruft
3. Fetter Hase vermisst
4. Ramsch und Staub
5. Herbstzauber in Rummelsberg
6. Fackelumzug auf dem Friedhofshügel
7. Archies Fall
8. Geisterbeschwörung im Hexenzirkel
9. Der Fall Archie
10. Nächtliche Besucher
11. Monster überall
12. Hang loose
13. Halloween
14. Valentin
15. Tote brauchen keine Türklinken
16. Handel mit einem Geist
17. Im Sarg
18. Auftritt der Gruftbraut
19. Gut’s Nächtle
20. Lustige Lasagne
Epilog
Das Küchenfenster beschlägt vor meiner Nase. Ich rücke ein Stück zur Seite, wo die Sicht noch klar ist, und beobachte weiter die Straße. Ein glänzender schwarzer Kleinbus kommt auf unser Haus zu. Er fährt verdächtig langsam. Sind sie das? Ein paar Mal hat mein Herz schon umsonst geklopft. Doch jetzt entdecke ich Antonia hinter einer der Scheiben!
»Sie sind da! Es geht los!«, schreie ich und laufe in den Flur, wo meine Reisetasche bereitsteht.
Mama und Papa gehen mit mir nach draußen, während Valentin sich mit seiner Tasche hinter uns herschleppt, als müsse er durch tiefes Wasser waten.
»Wirklich nett von Antonias Mutter, extra ein Auto zu leihen, in das ihr alle reinpasst!«, sagt Mama nach einem Blick auf den Bus. Sie wuschelt Valentin über den Kopf und zieht mich an sich. Plötzlich blinzelt sie wie verrückt. Weint sie jetzt etwa? Also wirklich, dabei war das alles doch ihre und Papas Idee!
Meine Eltern sind einfach nicht normal. Normale Eltern verbringen am liebsten alle Zeit mit ihren Kindern. Aber meine wollen in den Herbstferien unbedingt nach Amerika, um dort auf irgendeinen Berg zu klettern. Allein. Kinder stören dabei nur, weshalb sie Valentin und mich auch nicht mitnehmen. Da kam das Angebot von Antonias Großtante Lila wie gerufen. Sie ist Künstlerin und lebt auf einem Gutshof mit genug Platz für uns und auch für Hunde, denn ohne Bauhaus fährt Antonia natürlich nirgendwohin.
Trotzdem klingt auch Papas Stimme jetzt verdächtig heiser. »Hier, das hab ich für euch zusammengestellt«, krächzt er und reicht Valentin einen Hefter. »Da sind Kochrezepte drin, einfach, aber lecker.«
Valentin verdreht die Augen. »Was soll ich damit? Spiele ich jetzt den Babysitter für Leo und seine Freunde, oder was? Boah, ey, lasst mich doch einfach hierbleiben!«
»Ja, bleib hier!«, sage ich. »Wir brauchen keinen Babysitter, und dich erst recht nicht!«
Papa runzelt die Stirn. »Du kannst nicht zehn Tage allein zu Hause sein, Valentin. Das haben wir doch schon besprochen.«
Ohne ein weiteres Wort stopft Valentin den Hefter in seine Tasche und springt in den Bus, wo er sich ganz hinten in eine Ecke wirft. Papa seufzt und drückt mich dafür doppelt fest. Plötzlich habe ich auch einen Kloß im Hals. Noch nie war ich länger als eine Klassenfahrt lang von meinen Eltern getrennt. Ich rutsche schnell auf den Sitz neben Antonia. Sie strahlt mich an, als wären wir auf dem Weg in die schönsten Ferien unseres Lebens.
Kurz darauf steigen auch Dennis und Ziggy zu, beide mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Dennis fand die Idee cool, mal Urlaub ohne Eltern zu machen. Freiwillig ist das ja auch wirklich ganz cool, nur unter Zwang, wie bei mir, ist es erst mal blöd. Und dann noch mit Valentin. Ziggy und ich sind auch nicht die besten Freunde, aber er macht eben alles, was Dennis macht. Dennis ist einer dieser Jungs, mit denen in der Schule alle befreundet sein wollen. Und aus irgendeinem Grund hat er sich mich ausgesucht. Und Ziggy. Antonia hat sich niemand so richtig ausgesucht, sie geht auch nicht auf unsere Schule, sondern ist einfach meine Nachbarin. Und inzwischen auch meine Freundin, obwohl sie so alt ist. Na ja, zwei Jahre älter als ich, was ja immer noch zwei Jahre jünger ist als Valentin.
Aufgekratzt schmieden wir vier Pläne für unsere Ferien. Wer weiß, was für Abenteuer uns erwarten! Alles ist möglich ohne Eltern! Nicht einmal Valentins Saure-Gurken-Miene kann uns die Laune verderben.
Zwei Stunden später ist die Abenteuerstimmung in gähnende Langeweile umgeschlagen. Antonia, Dennis, Ziggy und ich haben eine Weile Monstertruck-Quartett gespielt, es dann aber aufgegeben, weil Dennis schlecht geworden ist. Jetzt sitzt er mit geschlossenen Augen da und hält seine Mütze umklammert, in die er zur Not spucken will. Antonia liest und Ziggy popelt mit erstaunlicher Ausdauer. Valentin, der ganz hinten sitzt, klebt mit der Wange an der Fensterscheibe, aus seinem offenen Mund dringen gurgelnde Schnarchgeräusche. Von Bauhaus, der im Kofferraum reisen muss, ist nichts zu sehen oder hören.
Ich schaue aus dem Fenster. Antonias Großtante wohnt anscheinend am Ende der Welt. Wir fahren nun schon ewig über Landstraßen, vorbei an kleinen, grauen Dörfern, Äckern und waldigen Hügeln. »Gleich sind wir da«, sagt Antonias Mutter zum ungefähr zehnten Mal. Niemand glaubt ihr mehr, doch dann sagt sie plötzlich: »Hier ist es.«
Alle außer Valentin – und Bauhaus – schauen aus dem Fenster. Draußen zieht ein Ortsschild vorbei. »Rummelsberg« lese ich darauf. Es folgt noch mehr Landstraße mit ein paar vereinzelten Häusern links und rechts, doch dann rücken die Häuser dichter zusammen und scheinen immer älter und hutzeliger zu werden, bis wir an einem Marktplatz vorbeikommen. Hier wechselt auch der Straßenbelag zu Kopfsteinpflaster, über das der Bus geräuschvoll boppelt. Ich entdecke einige Plakate, die für einen »Herbstzauber-Markt« Werbung machen, »mit Fackelumzug über den Kirchhügel«. Und tatsächlich, ein Stückchen hinter dem Marktplatz, vor einem großen Hügel, ragt ein Kirchturm empor. Ich kneife die Augen zusammen. »Sind das Gräber da auf dem Hügel?«, frage ich Antonia.
»Ja, da liegt der Friedhof, gleich bei der Kirche.«
Ich schlucke. Hoffentlich schlafen die Toten von Rummelsberg tief und fest. Und hoffentlich wohnt Antonias Großtante nicht direkt neben dem Friedhof.
»Hast du eigentlich mal wieder einen Geist gesehen?«, flüstert Dennis mir zu, als hätte er meine Gedanken erraten. »Ihr hattet lange keinen ›Notfall‹, oder?«
Mit »ihr« meint er Antonia, Bauhaus und mich. Wir drei haben schon einigen herumspukenden Geistern zur ewigen Ruhe verholfen. Dabei bin ich der Einzige, der die Geister sehen und hören kann. Das heißt, Bauhaus sieht sie ziemlich sicher auch, er friert dann immer für ein paar Sekunden ein, nur Antonia sieht nichts. Leider, denn sie liebt solches Zeug, Friedhöfe und so weiter. Ich dagegen würde gerne darauf verzichten. Das Leben ist einfach ungerecht.
»Sommer scheint nicht so Geistersaison zu sein«, murmle ich. »In den kurzen Nächten wachen sie wohl gar nicht erst auf.«
»Ah«, macht Dennis. »Irgendwie fast schade, oder? Aber jetzt ist ja Herbst, da wird’s wieder früher dunkel.«
»Ja, ich kann’s auch kaum erwarten, dass wieder was passiert«, lüge ich. Denn obwohl ich Leo Helsing Krüger heiße, was ein passender Name für einen furchtlosen Superhelden wäre, grusle ich mich schrecklich vor der Dunkelheit und allem darin.
Antonias Großtante wohnt anscheinend doch nicht in Rummelsberg, denn wir fahren ohne anzuhalten aus dem Ort wieder raus und in einen Wald. Ich seufze. »Wie lange dauert …«
Doch in dem Moment verlässt der Bus die Straße und knirscht einen Forstweg entlang. Zehn Minuten später öffnet sich der Wald und mehrere Gebäude sowie ein Ententeich tauchen vor uns auf.
»Da ist es, Gut Krähenstein von Rummelsberg!«, ruft Antonia. Ihre Augen leuchten. Sobald der Wagen steht, reißt sie die Schiebetür auf und springt raus.
Ich folge ihr etwas langsamer. Gut Krähenstein von Rummelsberg – das klingt ziemlich gruselig, finde ich. Ich bin mir ganz sicher, dass den Namen vorher niemand erwähnt hat. Sonst hätte ich vielleicht doch für den Ponyhof gestimmt, den Dennis vorgeschlagen hat.
Ich schaue mich um und schlucke. Das Gutshaus sieht aus wie aus einem Gruselfilm: ein alter Kasten aus dunklen Steinen mit spitzen Türmchen auf den Ecken. Ein Türmchen hat kaputte Fenster, darunter hebt sich deutlich helle Vogelkacke von der dunklen Mauer ab. Klar, dass Antonia mit ihrer Vorliebe für alles Schwarze, Unheimliche sich hier wohlfühlt.
Links von dem Haus steht ein zweites, niedrigeres Gebäude, das aussieht, als sei es mal ein Stall gewesen. Eine große, dunkle Statue steht davor. Was ist das, ein Wildschwein? Aber eins auf den Hinterbeinen, mit wütend ausschlagenden Vorderbeinen und viel zu langen Eckzähnen, die ihm weit aus dem Maul ragen. Ich schaudere. Vielleicht soll das Ding Einbrecher abschrecken?
Der Hof zwischen dem Haupthaus und dem Stall ist mit Kopfsteinen gepflastert. Blumenkübel und mehrere Holzmöbel verteilen sich darauf. Nach rechts fällt das Gelände etwas ab bis zu dem Teich, der zur Hälfte von Entengrütze bedeckt ist.
Jetzt öffnet sich die oben spitz zulaufende Eingangstür von dem Haus und eine Frau stürmt heraus.
»Tante Lila!«, ruft Antonia und läuft auf sie zu.
»Das Bienchen!«, ruft Lila und breitet die Arme aus. »Wie lange ist es her, dass du hier warst?«
Ich stutze. Nicht wegen des Kosenamens, denn den benutzen in Antonias Familie anscheinend alle für sie, sondern wegen Tante Lilas Aussehen. Bei dem Haus hätte ich jetzt wallende Kleider und vielleicht sogar einen spitzen Hut erwartet, aber Tante Lila trägt einen schwarzen Trainingsanzug und dazu Holzclogs. Wie Antonia und ihre Mutter hat auch sie glänzend schwarze Haare, allerdings mit zwei dicken grauen Strähnen darin, ein bisschen wie bei einem Stinktier. Obwohl sie zum Glück nicht stinkt.
Nachdem Lila Antonia umarmt und abgeküsst hat, macht sie das Gleiche mit Antonias lächelnder Mutter, bevor sie sich uns zuwendet. Inzwischen sind alle ausgestiegen, auch Valentin, der sich mit einem Ausdruck ungläubigen Staunens umsieht.
»Willkommen auf Gut Krähenstein«, sagt Lila und gibt einem nach dem anderen die Hand. »Ich bin Lanakila Behrens-Schulze, aber bitte nennt mich einfach Lila.«
Sie hat einen Händedruck wie ein Schraubstock. Ich schaue auf meine zusammengequetschte Hand runter und bemerke dunkle Ränder unter Lilas Fingernägeln.
»Muss jemand pinkeln?«, fragt Lila. »Nein? Na, dann zeig ich euch mal alles.«
Wir gehen los in Richtung Spukhaus, als eine Art wütender Husten aus dem Bus tönt. Antonia antwortet mit einem Quietschen, rennt zurück und reißt den Kofferraum auf. »Oh, Bauhaus, entschuldige!«
Bauhaus springt heraus und schüttelt sich. Er ist immer noch der hässlichste Hund, den ich kenne, mit seinen Schielaugen und dem Putzlappenfell. Trotzdem habe ich ihn inzwischen richtig gern und Antonia liebt ihn über alles. Als Bauhaus niest und eine Ladung Schleim auf ihrer Hand verteilt, zuckt sie nicht einmal mit der Wimper.
Lila legt den Kopf schief bei seinem Anblick. »Ein starker Charakter, das sehe ich sofort«, sagt sie zu Antonia. »Passt zu dir, Bienchen.«
Antonia lächelt stolz.
Hinter der spitzen Eingangstür erwartet uns ein großer Raum mit Steinfußboden, eigentlich mehr eine Halle, wie ich mit einem Blick nach oben feststelle. Man kann bis ganz oben zum Dach sehen, in das ein kreisrundes Milchglasfenster eingelassen ist. Mehrere Türen und eine breite Treppe gehen von der Halle ab. Lila deutet auf eine offene Tür auf der linken Seite. »Dort sind meine Räume«, sagt sie. Bevor ich fragen kann, was auf der anderen Seite ist, läuft sie schon die Stufen hoch. »Eure Räume sind oben«, ruft sie uns über die Schulter zu.
Wir folgen Lila zu einem Absatz, an dem eine Treppe nach links und eine nach rechts abgeht. Ab hier ist alles aus Holz. Lila klappert mit ihren Clogs geräuschvoll die rechte Seite hinauf. »Links würde ich nicht gehen«, erklärt sie uns fröhlich. »Da sind ein paar Stufen morsch. Aber es führen ja beide Arme rauf zur Galerie.«
Ich habe keine Ahnung, was eine Galerie ist, aber die Treppe endet oben auf einer Art Rundgang. Vorsichtshalber halte ich mich dicht an der Wand. Es gibt zwar ein Geländer am Rand, aber wer weiß, ob das nicht auch morsch ist. Immerhin sind wir ziemlich weit oben, bei einem Sturz ins Erdgeschoss wäre auf jeden Fall Krankenhaus angesagt. Oder direkt Friedhof.
Das Oberlicht ist jetzt viel dichter dran und man erkennt den Schmutz obendrauf. Ich zucke zusammen, als ein besonders dicker Schmutzfleck sich plötzlich bewegt und wegflattert. Ein heiseres Krächzen ist von draußen zu hören. Es klingt, als würde der Vogel sich beschweren. In einem Gruselfilm wäre das ein ganz schlechtes Zeichen. Schnell husche ich den anderen hinterher.
Von der Galerie gehen wieder mehrere Türen ab.
»Wie ihr seht, haben wir wirklich mehr als genug Platz für euch«, sagt Lila und öffnet scheinbar wahllos eine der Türen. Wir gelangen in einen riesigen Raum, in dem nichts steht, außer ein paar staubigen Sofas und Sesseln. An der einen Wand ist ein Kamin, in dem schwarz verkohlte Holzscheite liegen. Danach riecht es hier auch: nach altem, kaltem Rauch. Aber der Blick aus den Fenstern ist hübsch. Er geht nach hinten raus, man sieht den Teich und einen wild wuchernden Garten. Dahinter kommen nur noch Felder und Wald.
Von dem Raum geht eine zweite Tür ab, durch die wir in ein Schlafzimmer mit einem richtigen Himmelbett gelangen, mit Vorhängen aus blutrotem Samt. Antonia lächelt verzückt, aber ich muss an Rotkäppchen denken. Genau so habe ich mir immer das Bett vorgestellt, in dem die Großmutter von dem Wolf aufgefressen wurde.
Es gibt noch zwei Türen, eine davon öffnet Lila und zeigt uns ein Badezimmer. Die Wanne hat Füße in Form von Löwenpranken. Auch das Bad hat eine zweite Tür, hinter der wieder ein Schlafzimmer liegt.
So langsam komme ich mir vor wie in einem Labyrinth. Oder einem Museum. Wobei da eher kein Strauß vertrockneter Blumen auf dem Kamin stehen würde. Im Museum würde auch kein Föhn an der Steckdose hängen oder eine Packung Taschentücher unter dem Bett liegen. Es wirkt, als sei jemand eilig in den Urlaub gefahren, ohne vorher aufzuräumen.
Immerhin sehen die Betten frisch bezogen aus. In diesem Zimmer stehen zwei Einzelbetten. Sie sind aus dunklem Holz, mit geschnitzten Kopf- und Fußteilen. Von hier gehen wir zurück auf die Galerie, lassen eine verschlossene Tür aus und gehen in die nächste wieder rein. Ich bin froh, dass die Küche dahinter aussieht wie eine ganz normale Küche mit allem Drum und Dran und einem gemütlichen Esstisch am Fenster. Lila öffnet die Schränke und zeigt uns Geschirr und ein paar Dosen, Flaschen und andere Lebensmittelvorräte.
»Bienchen hat euch bestimmt gesagt, dass ich nicht gern koche«, sagt Lila. »Deswegen nehmt euch einfach alles, was ihr braucht. Frische Sachen findet ihr hinten im Gemüsegarten und Eier bei den Hühnern.« Sie zeigt aus dem Fenster und ich entdecke ein paar Hochbeete und einen Hühnerstall am Rand des Gartens.
»Machen wir!«, sagt Antonia mit einem glücklichen Strahlen. Dennis, Ziggy und ich tauschen einen Blick. Antonia hat so etwas erwähnt, aber nie hätte ich gedacht, dass wir uns wirklich selbst versorgen müssen! Papas Rezepte fallen mir ein. Er wusste es offensichtlich. Das passt zu meinen Rabeneltern!
»Sind wir hier oben ganz alleine? Oder wohnt hier noch jemand?«, fragt Dennis.
Lila lächelt, doch es sieht ein wenig verkrampft aus. »Nein, ihr habt das Obergeschoss für euch. Diese Wohnung war bis vor Kurzem vermietet, aber jetzt ist sie gerade frei.«
»Ach. Aber wieso hat der Mieter all diese Sachen hiergelassen?«, frage ich erstaunt.
»Oder die Mieterin«, ergänzt Antonia.
Lila wendet sich ab und marschiert schwungvoll zurück zur Treppe. »Die meisten Möbel gehören sowieso zum Haus«, erklärt sie über die Schulter. »Jetzt kommt, wir holen erst mal eure Taschen.«
»Was ist in den anderen Räumen hier oben?«, ruft Valentin ihr nach. »Es gibt ja noch mehr Türen.«
Lila blinzelt überrascht, als hätte sie Valentin gerade erst bemerkt. »Herrje, ihr seid ja zu fünft!«, ruft sie aus. »Hat man dich unterschlagen, Junge, oder kann ich nicht mehr richtig zählen? Haha! Aber hmmm … Die anderen Zimmer sind leider nicht sehr einladend, voller Ramsch und Staub.« Sie schürzt die Lippen, rümpft die Nase und lacht im nächsten Moment schon wieder. »Aber einer mehr oder weniger … Wir finden schon ein Bett für dich.«
Valentin lacht nicht. »Nicht nötig, ich hab sowieso ein Zelt dabei. Ich such mir draußen einen Platz«, sagt er nur und läuft an uns vorbei die Treppe runter. Antonia schaut ihm mit betroffener Miene nach und auch Lila sieht zerknirscht aus.
»Möchte einer von euch vielleicht mit ihm im Zelt schlafen?«, fragt sie uns. »Ich könnte euch eine Luftmatratze besorgen.«
»Keine Sorge«, sage ich schnell. »Valentin hat gerne einen Platz für sich allein.«
Antonia runzelt die Brauen, doch bevor sie etwas sagen kann, schreit Lila auf.
»Der Kuchen! Ich habe doch extra für euch gebacken …« Tatsächlich riecht es unten in der Halle etwas angebrannt. Lilas Clogs hämmern über den Steinfußboden davon. Kurz stehen wir unschlüssig da, dann folgen wir Valentin nach draußen, um unser Gepäck zu holen.
Zwanzig Minuten später haben wir uns von Antonias Mutter verabschiedet und unsere Taschen und Vorräte nach oben geschleppt – bis auf Valentin, der nicht wieder mit reingekommen ist. Nach einigem Hin und Her entscheiden wir, dass Antonia und Bauhaus das Zimmer mit dem Himmelbett bekommen. Dennis, Ziggy und ich losen aus, wer in den Einzelbetten schlafen darf. Ich verliere, aber wir holen einfach eine der beiden Matratzen aus dem Doppelbett und legen sie im Jungszimmer auf den Boden. Aus dem Fenster sehe ich, wie Valentin sein Zelt am hinteren Ende des Grundstücks aufbaut, kurz vor dem Wald. Ich blinzle. Dort steht ein weiteres Steingebäude, das ziemlich zugewuchert ist und halb in dem Hügel dahinter verschwindet. Es ist zu weit weg, um Einzelheiten zu erkennen, aber etwas daran gefällt mir nicht. Ein kalter Schauer kriecht mir über den Rücken. Schnell drehe ich mich vom Fenster weg.
»Es ist so schön, dass ihr da seid!«, sagt Lila mit einem strahlenden Lächeln. »Endlich kommt mal ein bisschen Leben in die Bude.« Sie trägt ein Tablett mit einem sehr kleinen Kuchen darauf. »Er ist etwas eingeschrumpelt, aber ich hab alles Schwarze abgeschnitten«, erklärt sie. »Kommt, wir gehen damit raus zu …«
