Die Geisterhelfer – Traue sich, wer kann! - Tina Blase - E-Book

Die Geisterhelfer – Traue sich, wer kann! E-Book

Tina Blase

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Beschreibung

Auch Geister brauchen Hilfe

Leo Helsing Krüger hat eine außergewöhnliche Fähigkeit: Er kann Geister sehen und mit ihnen sprechen. Von alldem ahnt der Zehnjährige allerdings nichts, bis er eines Nachts den Geisterfreunden Ferdinand, Agathe und Harry begegnet. Die drei brauchen dringend seine Hilfe. Zwar geht es bei ihnen nicht mehr um Leben und Tod, dafür aber um ihren Seelenfrieden. Und genau der ist in Gefahr, seitdem ein besonders übellauniger Quälgeist ihre Ruhe stört. Doch Leo hat vor allem eins: große Angst! Zum Glück findet er in der unerschrockenen Antonia eine Freundin, die ihm mit Rat und Tat zur Seite steht. Mit ihrer Hilfe geht Leo einen Deal mit den Geistern ein. Ist ihnen wirklich zu trauen?

»Traue sich, wer kann« ist der spannende Auftakt der lustigen Geisterhelfer-Reihe rund um die ungleichen Geisterhelfer Leo und Antonia. Mit Glow-in-the-Dark-Effekt auf dem Cover in limitierter Auflage.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2024

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© 2024 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Gefördert durch ein Hamburger Zukunftsstipendium der Behörde für Kultur und Medien in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Kulturstiftung.

Lektorat: Christiane Rittershausen

Illustrationen: Monika Parciak

Umschlaggestaltung: Christian Keller unter Verwendung einer Illustration von Monika Parciak

aw · Herstellung: UK

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-31014-1V002

www.cbj-verlag.de

LEOHELSINGKRÜGER

fürchtet sich im Dunkeln, kam in einem Sarg zur Welt und hat unfreiwillig einen siebten Sinn für Geister.

Motto: »Wenn ich nicht hinsehe, verschwindet der Spuk vielleicht einfach wieder.«

ANTONIAMURKWITZ

liebt die Nacht, trägt gerne Schwarz und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.

Motto: „Geister haben Probleme wie alle anderen Menschen auch – höchste Zeit, sich darum zu kümmern!“

Inhalt

1. Der Keller des Grauens

2. Eine haarsträubende Einladung

3. Duell im Dunkeln

4. Friedhofsgeflüster

5. Helsing Hasenfuß

6. Mission Häkelschlange

7. Ein verrücktes Angebot

8. Scheppernde Spaten

9. Der Unruhegeist

10. Auf Grabsuche

11. Die Spur ist heiß

12. Das Geheimversteck

13. Dennis und der Fußballschlitzer

14. Grabraub mit Pümpel

15. Ausgetrickst

16. Geisterstunde

17. Antonia

18. Die Villa

19. Schatten und Spinnen

20. Einbrecher in Spitzenschals

21. Kleine Sprotte im Glück

22. Schlafe in Frieden

23. Bye-bye, adios amigos, hasta la vista, baby!

24. Geisterhelfer

Frstr, this one is for you

1. Der Keller des Grauens

Mein Name ist Leo Helsing Krüger, und ich wurde an einem 29. Februar auf dem Friedhof geboren, weil meine Mutter unbedingt zu Fuß ins Krankenhaus gehen wollte. Es ist ja ganz schön, wenn man fitte Eltern hat, aber meine übertreiben einfach immer. Jedenfalls waren sie gerade erst am Friedhof, als ich nicht länger warten wollte. Da war das einzige trockene Plätzchen weit und breit ein leerer Sarg in der Kapelle. Zumindest haben sie immer behauptet, dass der Sarg leer war, aber irgendwie glaube ich das nicht. Bestimmt lag da eine Leiche drin, und meine Eltern haben sie einfach so lange zur Seite geräumt.

Der Sache mit dem Sarg verdanke ich meinen zweiten Vornamen: Helsing. So heißt ein berühmter Monsterjäger, der zum Beispiel diesen Vampir namens Dracula besiegt hat. Das haben meine Eltern dann mit Leo kombiniert, was »Löwe« oder »der Mutige« heißt. Nur Krüger bedeutet nichts weiter und ist einfach mein Nachname.

Ich halte inne und stecke mir den Stift zwischen die Zähne. Soll ich noch erklären, warum sie mich so genannt haben? Meine Eltern fanden wohl, dass das nach etwas klingt, Leo Helsing Krüger. So heißen Männer, die nachts durch die Straßen ziehen und dafür sorgen, dass die anderen ruhig schlafen können. Männer, die weder Tod noch Teufel fürchten und erst recht nicht die Dunkelheit unter ihrem Bett.

Deswegen passt mein Name nur leider nicht besonders gut zu mir. Erstens bin ich kein Mann, sondern ein zehnjähriger Junge. Und zweitens fürchte ich mich im Dunkeln. Aber nicht nur ein bisschen, das wäre ja normal, nein, es graust mich wirklich aufs Schrecklichste. Warum weiß ich auch nicht. Im Zweifel sind meine Eltern und diese Sargnummer schuld. Aber das schreibe ich lieber nicht auf. Besser noch meine Hobbys.

Ich nage an dem Stift. Leider fällt mir kein einziges Hobby ein. Jedenfalls kein gutes. Das geht natürlich nicht, was sollen die anderen dann von mir denken? Wenn ich morgen vor meinen neuen Mitschülern stehe und ihnen erzähle, wer ich bin, können ihre Gesichter entweder interessiert aussehen oder total gelangweilt. Es hängt von mir ab.

Ich ziehe den Stift aus dem Mund und wische entschlossen einen kleinen Spuckefaden weg, bevor ich weiterschreibe:

Meine Hobbys sind Fußball und Sternenbeobachtung und ich

»Leeeeoooo! Hiiiilfeeee!«

Ich springe so schnell auf, dass mein Schreibtischstuhl nach hinten umkippt. Das war doch Valentin! Und er klang echt verzweifelt. Ich stürze auf den Flur, wo zum Glück das Licht brennt.

»Was ist passiert? Wo bist du?«, schreie ich.

»Hier!«

Valentins Stimme kommt aus dem Bad. Mit drei Sätzen bin ich da und reiße die Tür auf. Ich mache mich darauf gefasst, meinen Bruder auf dem Boden vorzufinden. Vielleicht ist er beim Duschen ausgerutscht und hat sich den Kopf angeschlagen. Vermutlich wird er stark bluten, sich vor Schmerzen winden oder sogar … stinken?

Valentin sitzt auf dem Klo und grinst.

»Du musst mich retten. Das Klopapier ist alle.«

Ich stöhne. »Was schreist du denn so? Du hast mich erschreckt!«

»Zu Recht, meine Lage ist ja auch verzweifelt«, gibt Valentin zurück. »Mama und Papa rennen draußen durch irgendeinen Park, du bist meine letzte Hoffnung. Geh in den Keller und hol mir eine Rolle Klopapier, ja?«

»In den Keller, jetzt?« Entsetzt mache ich einen Schritt rückwärts. Ich hasse den Keller. Sogar tagsüber beschleicht mich stets das Gefühl, dass ich dort nicht allein bin. Aber nach Sonnenuntergang bringen mich keine zehn Pferde dazu, die enge Treppe hinabzusteigen. Denn dann lauert da unten etwas Kaltes, Furchtbares, Grauenvolles auf mich und wartet nur darauf, dass ich ihm den Rücken zukehre, um …

»Lass mich nicht hängen, kleiner Bruder, bitte! Es fängt schon an zu jucken.«

Ich schlucke. Wenn Valentin »Bitte« sagt, kann ich nicht widerstehen. Es kommt einfach zu selten vor. »Also gut, bin gleich wieder da.«

Wie in Zeitlupe schleiche ich die Treppe ins Erdgeschoss runter und ziehe die Kellertür auf. Ein kalter Hauch schlägt mir entgegen, zusammen mit dem Geruch nach feuchter Erde, käsigen Turnschuhen und vor sich hin modernden, vergessenen Dingen.

Ich bekomme eine Gänsehaut. Warum eigentlich schaut Valentin nie nach, ob noch genug Klopapier da ist, bevor er sich hinsetzt?

Mit zitternder Hand knipse ich das Kellerlicht an. Oder besser gesagt, die Keller-Funzel. Es handelt sich um eine einzelne, von der Decke baumelnde Glühbirne. Ihr Licht ist so schwach, dass sie kaum die ganze Treppe beleuchtet, vom eigentlichen Keller ganz zu schweigen. Okay, unten um die Ecke gibt es noch einen weiteren Lichtschalter, aber bis zu dem muss ich es erst mal schaffen!

Ich packe das Geländer und setze behutsam einen Fuß auf die erste Stufe. KNAAARRRZ!, ächzt die alte Holztreppe. Mir läuft schon wieder ein Schauer über den Rücken, so gruselig klingt es.

In Gedanken verfluche ich den Tag, an dem wir in dieses schreckliche alte Haus gezogen sind. Als »charmanten Altbau« haben Mama und Papa es uns verkauft. Pah! Sind bröselnde Decken, stümperhaft verlegte Stromleitungen, schiefe Fußböden und eine dämonische Kellergruft etwa charmant? Lebensgefährlich nenne ich das!

KNAAARRRZ, KNAAARRRZ, KNAAARRRZ. Pause. Hechel, hechel, hechel.

Jetzt kommt der schlimmste Teil: vier Stufen in die komplette Dunkelheit, bevor ich nach dem zweiten Lichtschalter tasten kann. Ich hole mehrmals tief Luft, bevor ich abtauche. KNARZ-KNARZ-KNARZ-KNARZ … Flip!

Als die zweite Glühbirne aufleuchtet, atme ich erleichtert aus. Schnell scanne ich den Raum. Auf der linken Seite stehen mehrere Reihen Regale, rechts ist Platz für Gartengeräte, Schlitten und andere sperrige Sachen. Und ganz hinten in den Ecken stapeln sich Kisten voller Gerümpel, vermutlich nicht nur von uns, sondern von Generationen vorheriger Mieter. Doch das werde ich nie herausfinden, ich bin ja nicht lebensmüde. Denn in der ewigen Dunkelheit hinter den Kisten lauert wie gesagt das Grauen.

Die Küchen- und Haushaltsvorräte lagern Mama und Papa zum Glück gleich vorne. Ich entdecke das Klopapier, schnappe mir eine Rolle und drehe um. Fast geschafft!

In dem Moment macht es PING und das Licht geht aus. Ich keuche, als die Dunkelheit mich anspringt. Sofort kommt das Grauen aus den hintersten Ecken gekrochen, um seine bleichen Finger nach mir auszustrecken. Nicht lange und ich werde seinen eisigen Atem im Nacken spüren. Dann bin ich gefangen in dieser Gruft, verloren für die Welt der Lebenden da oben … Mit einem Aufschrei werfe ich mich nach vorne auf die Treppe zu. Die zweite Birne leuchtet darüber wie ein Feuer im rettenden Hafen. Ich nehme immer drei Stufen auf einmal, verfolgt von den grausamen Schatten, doch ich entwische ihnen in den Lichtkreis. Da bleibe ich gar nicht erst stehen, schaue mich nicht um, sondern stürme weiter die Treppe hinauf bis in den Hausflur, wo ich mit einem zweiten Schrei die Tür hinter mir zuschlage. Schwer atmend lehne ich mich dagegen, das Klopapier an die Brust gepresst.

Natürlich muss die Lampe genau dann durchbrennen, wenn ich dort unten bin. Nicht bei Mama, Papa oder Valentin, nein, denen passiert so etwas nicht. Auf sie lauert ja auch nichts in den Ecken. Aber auf mich. Was will das Grauen von mir?

»Hast du das Klopapier jetzt?«, ruft Valentin ungeduldig.

Ich gebe mir einen Ruck und stapfe ins Bad zurück.

Valentin, der noch immer auf dem Klo sitzt – wo auch sonst? –, schneidet eine Grimasse. »Ich hab dich schreien gehört. Bist du wieder Geisterbahn gefahren?«

Ich ignoriere ihn und werfe ihm die Rolle zu. Näher rangehen kann ich nicht, ohne schon wieder mein Leben zu riskieren. Tod durch Ersticken diesmal. Oder besser gesagt durch Erstinken. Dann lasse ich meinen Bruder sitzen – im wahrsten Sinne des Wortes – und tapse in mein Zimmer zurück.

Es ist sinnlos, Valentin zu erklären, dass in der Dunkelheit wirklich etwas auf mich lauert. Er wird mir nie glauben, genauso wenig wie Mama und Papa. Früher haben sie wenigstens noch so getan, als würden sie unter meinem Bett nachsehen. Aber in letzter Zeit finden sie mich dafür »langsam zu alt«.

Ich lasse meinen Schreibtisch links liegen und falle ins Bett, wo ich mich unter die Decke kuschle. Wenigstens auf die ist Verlass. Sie hat mich bisher zuverlässig vor allen Monstern beschützt.

2. Eine haarsträubende Einladung

Valentin hatte einen guten ersten Tag. Ich höre es an der Art, wie er die Haustür hinter sich zuschmeißt. Mit zu viel Schwung und ohne Rücksicht auf die bunten kleinen Glasscheiben oben in der Tür. KRAWUMM-klirrrrrr.

Seit ihm ein paar Muskeln gewachsen sind, ist Valentin wie eine Schlenkerpuppe mit zu dicken Armen. Er muss anscheinend völlig neu lernen, seinen Körper zu beherrschen.

»Was gibt’s zu essen?«, schreit er in Richtung Küche.

»Hände waschen!«, schreit Mama zurück.

Sie ist ausnahmsweise schon früher von der Arbeit gekommen, um uns Mittagessen zu kochen. Weil doch heute unser erster Tag in der neuen Schule war. Deswegen gibt es auch was Gutes: Fischstäbchen und Pommes mit Ketchup.

Ich stehe vor dem Backofen und teste alle paar Minuten die Qualität. Außerdem ist das der wärmste Platz in der Küche. Draußen sind über Nacht die Pfützen gefroren und bisher nicht wieder aufgetaut. Vielleicht gibt es sogar bald Schnee. Dumm nur, dass es in unserer Küche aus irgendeinem Altes-historisches-Gebäude-Grund keine Heizung gibt. Aber hey, dafür haben wir jetzt einen Garten! Mama freut sich schon auf die Kräuter, die sie da anpflanzen will. Dabei ist ihr in unserer Wohnung immer alles eingegangen.

»Ist dir immer noch so kalt?«, fragt Mama und wuschelt mir durch die Haare.

»Nein, geht schon«, lüge ich, damit sie mir nicht wieder mit der kratzigen Woll-Unterwäsche droht.

Valentin kommt herein und schaut mir über die Schulter. Er trägt nur ein T-Shirt und stinkt trotzdem unter den Armen. »Mmh, riecht gut!«, sagt er und schlenkert dann zu seinem Platz auf der Eckbank.

»Erzählt mal, wie war’s?«, fragt Mama. »Nette Kinder in euren Klassen?«

Valentin verdreht die Augen » Mama, ich bin vierzehn!«

»Entschuldige, ich korrigiere«, sagt Mama. »Nette Mitschüler und Mitschülerinnen?«

»Och, ganz okay«, grunzt Valentin und zuckt mit den Schultern, aber sein Grinsen sagt alles. Es ist sein Ich-bin-sowieso-der-tollste-Hecht-Grinsen, und ich weiß nicht, wie er es macht, aber dadurch, dass er das von sich selbst denkt, wird es irgendwie wahr. Mein Bruder hatte schon immer haufenweise Freunde, er wird mindestens alle zwei Jahre zum Klassensprecher gewählt und hat eine Eins in Sport. Immer!

Und keinen interessiert, dass er in Wahrheit ein Hohlkopf ist, der über Furz-Witze lacht und im Schach gegen seinen kleinen Bruder verliert. Weshalb er Schach jetzt natürlich »langweilig« findet.

Valentin schaut mich an. »Und wie war es heute so bei dir, Leo Helsing?«

»Genauso«, gebe ich zurück. »Doch, echt, war gut.«

Ich denke daran, wie ich heute Morgen vor der Tafel stand und meinen vorbereiteten Text aufgesagt habe. Leider hat meine Stimme ein ganz klein wenig gezittert dabei und leider,leider haben es die Kinder in der ersten Reihe garantiert gehört. So spöttisch, wie die geguckt haben. Und dann hat Frau Minnemann, die Klassenlehrerin, mich aufgefordert, mir einen Platz zu suchen. Was Quatsch war, denn auszusuchen gab’s da gar nichts. Alle Plätze waren belegt, außer einem freien Zweiertisch. Einem komplett freien Zweiertisch, an dem ich jetzt alleine sitze.

Mama und Valentin schauen mich an, als würden sie mir nicht glauben. Valentin spöttisch, Mama eher besorgt. Und wirklich, jetzt kommt Mama auf mich zu, streckt die Arme aus – und öffnet den Ofen.

»Ich glaube, die sind fertig«, sagt sie und lächelt mich an. »Hunger?«

In dem Moment klingelt das Telefon.

»Ich geh schon!«, schreit Valentin, wobei seine Stimme plötzlich eine Oktave höher und wieder zurück rutscht. Allmählich graut mir vor der Pubertät. Ob alle Menschen dann zu stinkenden Schlenkerpuppen mit Gummiband-Stimme werden? Ich seufze. Alle männlichen Menschen zumindest. Das ist doch nicht gerecht.

»Krüger!«, schreit Valentin draußen im Flur. »Was? Wen?«

Er kommt in die Küche zurück und drückt mir das Telefon in die Hand. »Ist für dich. Jemand aus deiner neuen Klasse.«

»Ja?«, sage ich halb zu Valentin und halb in den Hörer.

»Hey Leo, hier ist Dennis. Ich sitze ganz hinten in der Mitte. Der mit den Locken und …«

»Hi Dennis«, unterbreche ich ihn und halte den Hörer ein Stück von mir weg. Valentin hat offensichtlich den Lautsprecher eingeschaltet, und ich suche fieberhaft nach einer Möglichkeit, ihn wieder auszustellen. »Ich weiß, wer du bist.«

Wie könnte ich das auch nicht wissen. Dass Dennis einer der beliebtesten Jungen in der Klasse ist, merkt man spätestens in der ersten Pause. So, wie die anderen ständig um seine Aufmerksamkeit heischen. Dennis, willst du auch eine Mandarine? Ich schaff die nicht alle. Dennis, was machst du am Wochenende? Dennis, guck mal! Dennis, Dennis, Dennis! Dennis?

Solche Jungs sind mir ehrlich gesagt suspekt. Niemand ist in echt so cool. Ich sehe es ja an meinem Bruder.

»Ach so? Gut, umso besser«, sagt Dennis, noch immer auf Lautsprecher. »Hör mal, wir treffen uns mit ein paar Leuten zum Kicken auf dem Bolzplatz am Friedhof. Du spielst doch auch. Je mehr, desto besser. Kommst du vorbei? Heute Abend um acht.«

Ich sehe, wie Mama und Valentin einen ungläubigen Blick wechseln. Dann hebt Valentin den Daumen und nickt wie wild. Mama strahlt mich an, als hätte ich ihr gerade das schönste Geschenk ihres Lebens gemacht.

Ich kehre ihnen den Rücken zu und bemühe mich, wenigstens etwas begeistert zu klingen.

»Zum Kicken, aha, super. Aber warum denn erst um acht?«

»Haben wir während Corona so angefangen«, erklärt Dennis. »Weil wir den Platz im Dunkeln für uns haben. In der Ecke ist sonst todsicher niemand mehr unterwegs. Haha, todsicher wegen dem Friedhof, verstehst du?«

»Ja, klar, verstehe«, sage ich und schlucke den Kloß runter, der mir plötzlich im Hals steckt. »Äh, okay, ich frag meine Eltern mal.«

»Gut. Dann bis nachher«, sagt Dennis und legt auf.

»Schon genehmigt!«, sagt Mama sofort. Sie drückt mich auf einen Stuhl und stellt einen randvollen Teller vor mich hin. »Ich freu mich ja so für dich. Ehrlich gesagt, hätte ich nie gedacht, dass du so schnell Freunde findest!«

»Oder überhaupt Freunde«, flüstert Valentin mit vollem Pommes-Mund in mein Ohr.

»Äh, aber findest du acht Uhr nicht etwas zu spät?«, frage ich Mama. »Immerhin ist es da schon lange dunkel! Und außerdem eiskalt. Du sagst doch immer, bei Kälte ist die Verletzungsgefahr deutlich höher …«

Valentin verdreht die Augen und stöhnt, was ihn aber nicht davon abhält, weiter Pommes und Fischstäbchen in sich reinzuschaufeln.

»Ach, Quatsch!«, sagt Mama fröhlich. »Was soll passieren? Du wirst es schon überleben.«

Eben das bezweifle ich ernsthaft. Meine Chancen stehen denkbar schlecht. Im Dunkeln und dann noch direkt neben dem Friedhof! Und von Fußball hab ich auch keine Ahnung. Warum hab ich mir nicht ein Hobby ausgedacht, das schlechter umzusetzen ist? Eisklettern an gefrorenen Wasserfällen zum Beispiel. Mann, davon hängt bei uns sogar ein Kalender auf dem Klo!

Ich kippe mir lustlos Ketchup über die Pommes. Sieht aus wie ein Haufen Blut und Knochen. Sehr passend für eine Henkersmahlzeit.

3. Duell im Dunkeln

»Viel Spaß dann! Bleib ruhig lange weg. Komm einfach nach Hause, wenn die anderen auch gehen«, sagt Mama und schiebt mich aus der Haustür.

»Äh, ja, aber wenn mir doch zu kalt wird, komme ich vielleicht schon etwas frü...«

»Hier, nimm den Schal noch mit. Der hält dich warm.« Mama legt mir schnell das selbst gehäkelte Ungetüm von Oma Trudi um den Hals. Der Schal ist so lang, dass man ihn sich mindestens sechs Mal um den Hals schlingen muss, um nicht über die Enden zu stolpern. Falls ich draußen übernachten müsste, könnte ich mich darin einwickeln wie eine Mumie. Zum Fußballspielen ist er allerdings eher unpraktisch.

Aber bevor ich noch was sagen kann, hat Mama schon die Tür zugemacht.

Ich stehe in der eisigen Dunkelheit vor unserem Haus und wäge ein letztes Mal meine Optionen ab. Als Schachspieler bin ich gut darin, verschiedene Möglichkeiten zu durchdenken.

Ich gehe ein paar Mal um den Block, immer im Licht der Straßenlaternen, mache meine Turnschuhe möglichst dreckig und kehre nach Hause zurück.

Vorteil: Ist relativ sicher.

Nachteil: Dennis wird dadurch nicht mein Freund, und ich bleibe weiter unbeliebt und alleine.

Ich ziehe es durch und gehe zum Bolzplatz.

Vorteil: Ich freunde mich mit Dennis und seinen Kumpels an. Vielleicht, falls ich mich beim Kicken nicht zu doof anstelle.

Nachteil: Es kann gut sein, dass das in der Dunkelheit des Friedhofs lauernde Grauen über mich herfällt und mir die Seele aus dem Körper saugt. Oder so was Ähnliches.

Es ist eine schwierige Entscheidung, die ich nicht vorschnell treffen will. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich die Küchengardinen im Nachbarhaus bewegen. Das Gesicht der alten Frau Murkwitz taucht im Fenster auf. Sie kneift die Augen hinter ihrer dicken Brille zusammen und sieht zu mir herüber, dann macht sie sich am Fenstergriff zu schaffen.

Ich drehe mich um und beeile mich wegzukommen.

»Leo, bist du das?«, ruft sie mir aus dem nun geöffneten Fenster nach.