Die Geschichte der Frauenbewegung - Michaela Karl - E-Book

Die Geschichte der Frauenbewegung E-Book

Michaela Karl

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Beschreibung

Über Feminismus, Genderthemen und Gleichberechtigung wird derzeit wieder heftig gestritten. Die Geschichte des Kampfes um Frauenrechte begann bereits im Umfeld der Französischen Revolution 1789, im 19. Jahrhundert bildeten sich in mehreren Ländern organisierte Gruppen. Heute ist die feministische Szene global vernetzt und so divers wie nie – was auch zu Konflikten innerhalb der Bewegung führt. »Die Frauenbewegung ist unzweifelhaft die erfolgreichste soziale Bewegung der Moderne. Der Kampf, den Frauen seit Jahrhunderten für ihre Rechte führen, hat die Welt verändert und verändert sie täglich ein klein wenig mehr. Er war und ist immer im Zusammenhang mit entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen aufgetreten, und zwar stets parallel zu der Entwicklung hin zur modernen Demokratie.«

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Michaela Karl

Die Geschichte der Frauenbewegung

Reclam

6., aktual. u. erw. Auflage

 

2011, 2020 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961549-3

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019657-1

www.reclam.de

Inhalt

Vorwort Ein paar Sätze über die bessere HälfteFrauenrechteZwei getrennte SphärenWir fordern die Hälfte der WeltDem Morgenrot entgegenFrauen und SklavenDas Recht auf Schafott und TribüneVotes for WomenGetrennt marschieren, vereint schlagenVon der Neuen Frau zur Deutschen MutterFeminismusTrümmerfrauen und HausmütterchenSisterhood is powerfulMein Bauch gehört mirSisterhood is globalWeiblichkeitswahn und Vagina-MythosDas andere GeschlechtOb Kinder oder keine, entscheiden wir alleineDas Land des NebenwiderspruchsGenderAlphamännchen und QuotenfrauenFrauenbeauftragte und GleichstellungsstellenVom Trouble mit GenderQueer as FolkRevolution is about going to the playground with your best girlfriendsAm Beginn einer vierten WelleWe should all be feministsFeminism now!Die Gesellschaft kriegt unsere Brüste, aber nur mit BotschaftBlame the system, not the victimWe don’t want your tiny hands anywhere near our underpantsNachwort: Totgesagte leben längerLiteraturhinweiseZur Autorin

In memoriam meiner geliebten Mutter Christl Karl (1946–2007)

 

Für Annette

Gebt uns Brot Doch gebt die Rosen auch

Vorwort Ein paar Sätze über die bessere Hälfte

Im Schulunterricht ist die Frauenbewegung bis heute kein Thema und das, obwohl sie unzweifelhaft die erfolgreichste soziale Bewegung der Moderne ist. Der Kampf, den Frauen seit Jahrhunderten für ihre Rechte führen, hat die Welt verändert und verändert sie täglich ein klein wenig mehr. Er war und ist immer im Zusammenhang mit entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen aufgetreten, stets parallel zu der Entwicklung hin zur modernen Demokratie und lässt sich in drei Phasen unterteilen. Die Geburtsstunde des organisierten Einsatzes für Frauenrechte schlug 1789 mit der Französischen Revolution, als Frauen ihre Rechte als konsequente Weiterentwicklung der Menschenrechte eingeforderten. Nach ersten Ansätzen während des Unabhängigkeitskrieges formierte sich mit dem Entstehen der Sklavenbefreiungsbewegung in den USA die Frauenbewegung, die eine nicht von der Hand zu weisende Parallelität in der Unterdrückung von Sklaven und Frauen ausmachte. Die Engländerinnen formierten sich nach der ersten Wahlrechtsreform 1832, als klar wurde, dass die Ausweitung von Bürgerrechten Frauen nicht miteinschloss. In Deutschland trug vor allem die Revolution von 1848 zum Emanzipationsstreben der Frauen bei. In allen vier Ländern wurde die Aufklärung zum geistigen Fundament einer Frauenbefreiungsbewegung, die im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft durch Industrialisierung und Emanzipation des Bürgertums das Licht der Welt erblickte. Dieses Buch beschäftigt sich überblicksartig mit der Geschichte der organisierten Frauenbewegung in den USA und Westeuropa am Beispiel von Deutschland, Frankreich und England. Diese Beschränkung ist notwendig, da die Darstellung des internationalen Zusammenhangs der Frauenbewegung vorliegende Arbeit sprengen würde. Sie ist aber auch möglich, da die Frauenbewegung gerade in diesen Ländern entscheidenden Einfluss auf die Frauenbewegung der westlichen Welt, von der dieses Buch handelt, hatte. Theorien und philosophische Hintergründe werden dabei nur insoweit in die Darstellung miteinbezogen, als sie unmittelbare Auswirkungen auf die Aktivitäten der organisierten Frauenbewegung hatten. Der Schwerpunkt liegt auf den deutschen Verhältnissen, welche für die Leserin in Bezug auf ihre eigenen Lebensverhältnisse besonders interessant sein dürften. Dabei werden thematische Gemeinsamkeiten ebenso deutlich wie die Unmöglichkeit, eine einheitliche Geschichte dieser äußerst heterogenen Bewegung zu erzählen. Denn auch wenn sich die Bedingungen, denen die Aktivistinnen unterworfen waren und immer noch sind, oftmals ähneln, so waren und sind sie doch immer auch von regionalen, nationalen, gesellschaftlichen und ökonomischen Unterschieden geprägt. Die Frauenbewegung ist so vielfältig wie die Widerstände, auf die sie trifft, und so bunt wie die Akteurinnen, die sie prägen. Ein Ländervergleich der organisierten Frauenbewegung zwischen den USA, Frankreich, England und Deutschland ist jedoch möglich, da es frappierende Ähnlichkeiten zwischen ihren Entstehungsbedingungen, ihren Zielsetzungen und ihren Entwicklungen gibt.

Die erste Welle der Frauenbewegung begann mit der Französischen Revolution und endete mit dem Ersten Weltkrieg, als die meisten Frauen in Europa und den USA eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht hatten: das Wahlrecht. Sie war geprägt vom Kampf um Staatsbürgerinnenrechte, die juristische Gleichstellung, das Recht auf Bildung und das Recht auf Erwerbsarbeit und freie Berufswahl. Es handelte sich um eine Mittel- und Oberschichtbewegung, in der differenzfeministische Ansätze überwogen, nach denen sich die Geschlechter ergänzen sollten und Frauen die Kulturaufgabe zufiel.

Die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg stellt eine Art Übergangsphase der Bewegung dar, die während der NS-Zeit in Deutschland vollkommen zum Erliegen kam. Nach dem Zweiten Weltkrieg restaurierte sich zunächst sowohl in den USA als auch in Westeuropa ein konservatives Frauenbild, dennoch wurde sukzessive Rechtsgleichheit für die Geschlechter geschaffen. Ausgehend von der in den USA entstandenen Bürgerrechts-, Studenten- und Anti-Vietnamkriegs-Bewegung kam die darniederliegende Frauenbewegung erneut in Fahrt und formierte sich zu einer zweiten Welle, die von den USA ausgehend ganz Westeuropa erfasste. Während im ersten Teil des Buches auch die Entwicklung der Suffragettenbewegung in England geschildert wird, beschränkt sich der zweite Teil auf die USA, Frankreich und Deutschland und widmet ein Kapitel der institutionalisierten Frauenbewegung in der DDR. Denn während eine Schilderung der Frauenbewegung Anfang des Jahrhunderts ohne die militanten Suffragetten als erste tatsächlich autonome Frauenbewegung unvollständig wäre, war der Einfluss der englischen Frauenbewegung der 1970er Jahre auf die internationale Diskussion gering. Frankreich und die USA beeinflussten theoretisch, programmatisch und strategisch die zweite Welle der Frauenbewegung entscheidend.

Diese neue Frauenbewegung war geprägt von der Forderung nach Selbstbestimmung: über den eigenen Körper, die eigene Sexualität, das eigene Leben, die eigene Sprache. Es folgten die psychologische Befreiung vom Mann, die Konzentration auf weibliche Vorbilder und die Bildung einer weiblichen Gegenkultur. Die zweite Welle der Frauenbewegung wurde getragen von autonomen Organisationen von Frauen für Frauen. Selbsterfahrungsgruppen lösten die großen Organisationen ab. Im Zusammenhang mit der Selbstbestimmung der Frau ist auch das große Thema dieser Jahre zu sehen, das länderübergreifend zu spektakulären Kampagnen führte: die Streichung des Abtreibungsparagraphen und die Straffreiheit der Abtreibung. Die aktivistische Phase dieser neuen Frauenbewegung Mitte der 1970er Jahre war geprägt durch die Einrichtung unabhängiger Frauenprojekte wie Frauenhäuser, Frauennotrufe, Verlage, Zeitschriften, Kulturprojekte. Die Entwicklung einer autonomen weiblichen Gegenkultur trug viel zum neuen Selbstbewusstsein der Frauen bei und charakterisiert diese Zeitspanne. Zunächst durch den Gleichheitsgedanken geprägt, setzte sich nach und nach nicht nur bei Radikalfeministinnen der Differenzfeminismus erneut durch, der die Abgrenzung zwischen den Geschlechtern forcierte.

Ab den 90er Jahren erlebten wir eine dritte Welle der Frauenbewegung, die sich einerseits durch eine stark institutionalisierte Frauenpolitik und andererseits durch zahlreiche unabhängige Frauenprojekte auszeichnete, die sich vor allem mit der Teilhabe von Frauen in den neuen Technologien beschäftigten. Die sie begleitende wissenschaftliche Diskussion war gekennzeichnet von der Unterscheidung in sex und gender. Das soziale Geschlecht hat dem biologischen Geschlecht den Rang abgelaufen. Aus Frauenbeauftragten wurden Gleichstellungsbeauftragte, das Kollektivsubjekt Frau wurde ausdifferenziert, neben dem Geschlecht neue Diskriminierungsmerkmale ausgemacht. War es in den ersten beiden Phasen, als sich die Frauenbewegung anhand bestimmter Organisationen und Programme festmachen ließ, noch möglich, einen Überblick über Verlauf, Ideen und Ziele zu geben, so wurde dies in der dritten Welle des Feminismus unmöglich. Nie war die thematische Vielfalt größer, nie die Anzahl an Aktionen, Projekten, Texten und Protagonistinnen vielfältiger und differenzierter. Es gab keine repräsentativen Organisationen mehr, keine herausragende Gruppierung.

Kein Programm, keine Vertreterin und kein Text kann heute als repräsentativ für die Frauenbewegung gelten, die einem steten Wandel unterzogen ist. Dies macht eine umfassende Darstellung schwierig, ermöglichte der Frauenbewegung aber das Überleben in einer Zeit, in der sich Werte und politische Positionen bisweilen rasant verändern.

Im Augenblick erleben wir – nach einer Phase, in der sich eine Töchtergeneration überhaupt nicht mehr benachteiligt fühlte – den Beginn einer vierten Welle der Frauenbewegung. Der befürchtete backlash scheint überwunden, die Frauenbewegung ist lebendig wie eh und je. Ob slutwalks, #aufschrei oder #MeToo-Debatte, Frauen aller Altersgruppen fordern ein Ende von standardisiertem Schönheitswahn, Sexismus und sexualisierter Gewalt und sie tun dies lautstark und mit viel Phantasie. Es bleibt spannend.

Dieses Buch ist eine Überblicksdarstellung, die vieles anspricht und vieles vernachlässigen muss. Sein Zweck besteht darin zu zeigen, wie steinig der Weg der Frauenbewegung bis hierher war und mit welch großem Einsatz unsere Vormütter ihn beschritten. Wir haben ihn unermüdlich weiterzugehen, bis in ferner Zukunft einmal überall auf der Welt gilt, was im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zumindest formal verankert ist: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« (Artikel 3 Abs. 2 GG).

Frauenrechte

Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht besitzen, die Rednertribüne zu besteigen.

Olympe de Gouges

Zwei getrennte Sphären

Die Situation am Vorabend der Frauenbewegung

Die erste Frauenbewegung steht als europäische und US-amerikanische Bewegung in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung der westlichen Welt. Ihre Anfänge reichen bis in die Zeit der Französischen Revolution zurück, als Frauen sowohl in Europa als auch in den USA Menschen zweiter Klasse waren: rechtlos und wehrlos.

Die herrschende Gesetzgebung spiegelte und bekräftigte die Unterdrückung der Frau, vor allem der verheirateten, deren rechtliche Stellung der eines unmündigen Kindes glich. Der Mann war Rechtsvertreter einer juristisch nicht existenten Frau, der sogenannten femme couverte. Die Geschlechtsvormundschaft sah die klare Unterordnung der Frau vor und übergab sie aus der Obhut des Vaters direkt in die des Ehemannes oder eines männlichen Verwandten. Ehefrauen waren zum Gehorsam verpflichtet, besaßen weder über ihr Vermögen noch über ihre Kinder Verfügungsgewalt. Sie hatten kein Recht auf Eigentum, konnten weder über ererbtes noch über selbstverdientes Geld bestimmen. Im unwahrscheinlichen Falle einer Scheidung blieb selbst die eigentlich vermögende Frau mittellos zurück. Auch in ihrer persönlichen Freiheit waren Frauen eingeschränkt. Gesellschaft und Ehemänner verwehrten ihnen eigenständige Berufstätigkeit. Frauen durften nicht selbst vor Gericht auftreten, sondern mussten in Begleitung eines männlichen Vormunds erscheinen. In einigen europäischen Ländern war es Ehemännern bis ins späte 19. Jahrhundert hinein erlaubt, ihre Frauen einzusperren, wenn diese sich sexuell verweigerten. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Gesetze zur Ehescheidung erlassen wurden, bevorzugten diese ganz konkret die männliche Partei. Die wenigen Frauen, die sich trotz der für sie unweigerlich ergebenden existenziellen Nöte scheiden ließen, erhielten nur in Ausnahmefällen das Sorgerecht über ihre Kinder. Dies war nicht zuletzt eine unmittelbare Folge der Tatsache, dass Väter bereits innerhalb der Ehe die alleinigen gesetzlichen Vertreter ihrer Kinder waren. Die Rechtsstellung von ledigen Müttern und unehelichen Kindern war indiskutabel und ließ beide in ihrem Elend vollkommen allein.

Mit der Industrialisierung hatte sich die Gesellschaft grundlegend verändert. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war Europa vorwiegend agrarisch strukturiert gewesen. Dies prägte das Zusammenleben der Menschen, ihre Einstellung zu Ehe und Familie sowie zum anderen Geschlecht. Die Ehe wurde als Zweckgemeinschaft verstanden und die Familie als Produktionseinheit, an der alle Mitglieder beteiligt waren. Sozialer Aufstieg und oft auch nur das nackte Überleben waren daran geknüpft, dass Frauen ihren Teil zum Erwerb beitrugen. Handwerker und Bauern waren auf die Mithilfe ihrer Ehefrauen, denen zugleich die gesamte Haushaltsführung unterstand, angewiesen. Eine vorwiegend agrarische Subsistenzwirtschaft, in der Produktions- und Konsumgemeinschaften noch zusammengingen und die gesellschaftliche Arbeitsteilung nur wenig ausgebildet war, war das Kennzeichen dieser vorindustriellen Gesellschaft. Und auch wenn diese relative ökonomische Gleichberechtigung die politisch-religiöse Ungleichheit zwischen Frau und Mann nicht aufhob, so war das Zusammenleben der Geschlechter noch nicht in demselben Maße hierarchisch geprägt, wie dies nach der Industrialisierung der Fall sein sollte.

Denn erst mit der zunehmenden Industrialisierung veränderten sich Produktionsbedingungen und Produzenten. Neben dem Industrieproletariat entstand als neue Klasse die bürgerliche Mittelschicht, in der Männer die alleinigen Ernährer ihrer Familien waren und Frauen aus dem Arbeitsprozess sukzessive zurückgedrängt wurden. Die Zuständigkeitsbereiche der Geschlechter wurden getrennt. Zum einen intellektuell: als Sphäre der Frau galt nun Gemüt und Emotion, als Sphäre des Mannes Vernunft und Verstand, und zum andern territorial: der Platz der Frau war im Haus, der Platz des Mannes außer Haus. Privater und öffentlicher Raum wurden separiert und zugleich einem bestimmten Geschlecht zugewiesen.

Die bürgerliche Gesellschaft übertrug der Frau die Aufgabe, zu Hause für das Wohl der Familie zu sorgen, die in jener Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs als stabiler Faktor eine geradezu überragende Bedeutung erlangte. Die Überhöhung der Familie ging einher mit einer Überhöhung der Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter. Mutterschaft wurde zum Wesen der Weiblichkeit erkoren, Ehe und Kindeserziehung wurden zum einzigen Lebensziel verklärt. Der Zugang zur Erwerbstätigkeit hingegen war Frauen der Mittelschicht verwehrt.

Die mit der Industrialisierung eintretende Entwicklung des kapitalistischen Gesellschaftssystems verstärkte in der Mittelschicht die ökonomische Abhängigkeit der Frau. Dies wurde zum Problem für die zahlreichen unverheirateten Frauen dieser Schicht, deren Lebensunterhalt nicht durch die Apanage eines männlichen Verwandten gesichert war. Viele fristeten als Gouvernanten oder Gesellschafterinnen ein karges Dasein. Zudem waren sie gesellschaftliche Außenseiterinnen in einer Welt, die in ihren bürgerlichen Komplementärvorstellungen davon ausging, dass Mann und Frau einander bedingen und ergänzen müssten. Selbstgewählte Ehelosigkeit war verpönt, die »alte Jungfer« Ziel von Spott und Hohn. Die einzig gesellschaftlich akzeptierte außerhäusliche Tätigkeit für Frauen aus der Mittel- und Oberschicht war unentgeltliches karitatives Engagement.

Dies war ein Luxus, den sich die Frauen der unteren Schichten nicht leisten konnten. Auch dort weichte die industrielle Revolution traditionelle Familienstrukturen auf. Hier erlebten Frauen am eigenen Leib, was Doppelbelastung hieß – außerhäusliche Erwerbsarbeit und Hausarbeit zugleich. Gewann in der Frühphase der Industrialisierung zunächst die Heimarbeit an Bedeutung, wurde sie zunehmend von der Fabrikarbeit abgelöst. Die Wirtschaft benötigte für ihren Aufschwung billige Arbeitskräfte und griff dabei gerne auf Kinder und Frauen zurück. In der Textil- und Bekleidungsindustrie, der Papier-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie dominierte bald die Arbeiterin.

Nach dem Niedergang der Landwirtschaft wanderten viele junge Frauen vom Land in die Städte ab, um dort zu arbeiten. Auf diese Weise entzogen sie sich der bisher ihr Leben bestimmenden männlichen Obhut. Eine Entscheidung, die gesellschaftlich nicht toleriert wurde. Das Ansehen von Fabrikarbeiterinnen war denkbar schlecht. Nach Meinung der Gegner von Frauenarbeit untergrub diese Art von Beschäftigung Sitte und Moral, da unverheiratete Frauen nicht nur auf engstem Raum mit Männern zusammenarbeiteten, sondern durch ein eigenes Einkommen auch selbstbewusst und selbständig werden würden – mit schädlichen Konsequenzen für Gesellschaft und Staat.

Das Gehalt der Frauen, die unter widrigsten Bedingungen 10 bis 14 Stunden täglich schufteten, blieb weit hinter dem ihrer männlichen Arbeitskollegen zurück. Im Schnitt verdiente eine Arbeiterin nur etwa 65 Prozent von dem, was ein männlicher Arbeiter für exakt dieselbe Tätigkeit erhielt. Frauen waren schlecht bezahlt und schlecht organisiert. Die neu entstandenen Interessenvertretungen der Arbeiter kümmerten sich nicht um die Belange der Frauen, sahen in ihnen vor allem eine ärgerliche ›Schmutzkonkurrenz‹, die als billige Arbeitskräfte Männern die Arbeit wegnahm und für das sinkende Lohnniveau verantwortlich zeichnete. Für die Arbeiterinnen wurde ihre unbefriedigende Situation im Produktionsprozess zum Ansatzpunkt ihrer Emanzipation und zum Ausgangspunkt einer proletarischen Frauenbewegung.

Neben der Tätigkeit als Fabrikarbeiterin war die als Dienstmädchen die am häufigsten anzutreffende Form der Frauenarbeit. Vor allem unverheiratete Frauen ergriffen diesen Beruf, der mit dem Aufstieg des Bürgertums entstand. Viel später erst eröffnete die industrielle Entwicklung neue Berufsfelder für Frauen – in der Telekommunikation, bei der Post oder auch der Eisenbahn. Mit dem Banken- und Handelswesen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts neue Berufe wie Schreibkraft, Telefonistin oder Bürofräulein. Doch bis zum Ersten Weltkrieg wurden nur wenige dieser Berufe ergriffen. Erst danach verdrängte der Beruf der Büroangestellten nach und nach den Beruf der Hausangestellten und wurde zum Symbol für die neu gewonnene Unabhängigkeit der Frau.

Auch das älteste Gewerbe der Welt erlebte im Zuge der Industrialisierung einen regen Aufschwung: die Prostitution. Die vorherrschende Doppelmoral, wonach Frauen als Jungfrauen in die Ehe gehen und Männer sich vorher austoben sollten, unterstützte diese Entwicklung. Das Verbot von gezielter Familienplanung und Verhütung tat ein übriges, um die Prostitution zu befördern. Verwerflich in diesem System weiblicher Ausbeutung war die Prostituierte, nicht der Freier. Prostituierte galten als die Verursacherinnen des moralischen Niedergangs der Nation, Freier hingegen als Opfer ihrer Triebe und anständige Familienväter, die ihre Ehefrauen vor weiterem Kindersegen bewahren wollten. Die sexuelle Passivität der Frau vorausgesetzt, wurde die sexuelle Aggressivität des Mannes als natürlich und unvermeidlich bewertet. Selbst Frauenrechtlerinnen brauchten lange, ehe sie begriffen, dass Prostituierte nicht verwerfliche Frauenzimmer waren, sondern Opfer männlicher Übergriffe und sozialer Ungerechtigkeit. Erst spät entstanden innerhalb der Frauenbewegung Gruppen, die sich den Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung und Erniedrigung der Frau auf die Fahnen schrieben.

Wie bereits erwähnt, hatte die industrielle Revolution gravierende Auswirkungen auf das Leben der Mittelklassefrauen. Sie konnten sich nun Dienstboten für die Hausarbeit leisten, ihre Mitarbeit im Haus beschränkte sich auf das Delegieren. Durch den Einzug neuer Techniken wurde vieles im Haushalt simplifiziert, was eine zusätzliche Zeitersparnis bedeutete. Beschäftigungslos ans Haus gefesselt, sehnten sich die Frauen nach neuen Betätigungsfeldern, jenseits von Klavierspielen, Nähen und Sticken. Doch außerhalb der eigenen vier Wände waren ihrer Entfaltung enge Grenzen gesteckt.

Einer der wenigen Berufe, die Frauen ab Mitte des 19. Jahrhunderts offenstanden, war der Beruf der Lehrerin. Dabei musste eine Frau sich jedoch verpflichten, unverheiratet zu bleiben. Die Verehelichung war mit der sofortigen Kündigung verbunden. Ein Verfahren, das in den meisten Ländern Europas bis nach dem Ersten Weltkrieg beibehalten wurde.

Abgesehen von diesem skandalösen Eingriff in das Privatleben wollten ohnehin nicht alle Frauen Lehrerin werden, sondern sahen sich als Ärztinnen, Rechtsanwältinnen oder Polizistinnen. Doch bis zum Ersten Weltkrieg, als man aus der Not eine Tugend machen und Frauen Zugang zu vielen Berufen gewähren musste, blieb ihnen die freie Berufswahl versagt. Berufe wie der einer Rechtsanwältin oder einer ordentlichen Professorin blieben Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein verschlossen.

In engem Zusammenhang mit der Forderung nach der freien Berufswahl für Frauen stand die Forderung nach der Verbesserung der Mädchenbildung. Die Frauenfrage des 19. Jahrhunderts war vor allem eine Bildungsfrage, denn nur durch verbesserte Bildung und Ausbildung konnten sich Frauen neue Arbeitsfelder erschließen. Die Ausbildung von Frauen war zu jener Zeit so rudimentär, dass es sich kaum lohnt, darüber zu berichten. Dass die bürgerliche Welt von der Polarität der Geschlechter ausging, zeigte sich nirgendwo so deutlich wie in der Bildungspolitik. Frauenbildung orientierte sich in erster Linie daran, vor welche Aufgabe die Frau zukünftig gestellt war: als Hausfrau und Mutter, zur Unterhaltung des Mannes und zur Erziehung der Kinder. Mädchen der Mittel- und Oberschicht wurden in Privatinstituten von ältlichen Fräuleins auf ein Leben im Kokon vorbereitet oder von Privatlehrern abgeschottet zu Hause unterrichtet. Viele besuchten Konfessionsschulen, in denen ihnen kein kritisches Denken, sondern die ergebene Hinnahme ihres Schicksals als Frau vermittelt wurde. Mädchen aus der Unterschicht konnten gegenüber den Jungen dort kaum mehr benachteiligt werden, so schlecht war die Ausbildung der Arbeiterkinder.

Noch größere Defizite herrschten hinsichtlich der höheren Bildung. Der Zugang zu akademischen Weihen war allein Männern vorbehalten. Die wissenschaftliche Welt wehrte sich vehement gegen die Aufnahme von Frauen. Manche Universitäten änderten ihre Zulassungsbeschränkungen so weit ab, dass Frauen nicht einmal als Gasthörerinnen an Vorlesungen teilnehmen konnten. Gelang es ihnen doch, einen Gasthörerinnenstatus zu erlangen, kam es nicht selten zu Übergriffen vonseiten männlicher Kommilitonen. Jahrelang kämpften Frauen darum, einen ordentlichen Zugang zur Universität zu bekommen. Aber das traditionelle Rollenverständnis an den Universitäten wurde nur sehr langsam aufgebrochen und veränderte sich letztlich vor allem dadurch, dass viele Frauenrechtlerinnen aus der Mittel- und Oberschicht stammten.

Theoretisch untermauert wurde diese Auseinandersetzung durch die querelle des femmes, eine bereits im 15. Jahrhundert begonnene Debatte um das Wesen der Frau und die Ordnung der Geschlechter, an der sich auch zahlreiche Frauen beteiligten. Dabei ging es unter anderem darum zu klären, ob Frauen grundsätzlich das Recht und die Fähigkeit besäßen, wissenschaftliche Bildung zu erwerben. Die französische Schriftstellerin Christine de Pizan gilt als erste Frau, die sich öffentlich an diesem Diskurs beteiligte. Bereits um 1400 verfasste sie mehrere Schriften zur Verteidigung der Frau, darunter ihr berühmtestes Werk Le Livre de la Cité des Dames (Das Buch von der Stadt der Frauen), in dem sie an Frauen erinnerte, die als Herrscherinnen, Künstlerinnen oder Gelehrte herausragende Leistungen vollbracht hatten. Die französische Philosophin Marie Le Jars de Gournay stellte in ihrer Schrift über die Gleichheit von Mann und Frau Egalité des hommes et des femmes (Die Gleichheit von Männern und Frauen) schon 1622 ein egalitäres Geschlechterkonzept vor. In den französischen Salons des 17. Jahrhunderts waren diese emanzipatorischen Erörterungen zunächst weitergeführt worden, doch mit der Entstehung der ersten Akademien begann der offizielle Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft. Trotzdem ging die Diskussion weiter. 1673 lieferte der Gelehrte François Poullain de la Barre mit De l’Égalité des deux sexes. Discours physique et moral où l’on voit l’importance de se défaire des préjugés (Über die Gleichheit der Geschlechter. Physischer und moralischer Diskurs, worin die Bedeutung der Abschaffung der Vorurteile betrachtet wird) eine philosophische Untermauerung für die Theorie der Geschlechtergleichheit. Demnach ist die männliche Herrschaft nicht naturbedingt, sondern anerzogen, und eine verbesserte Frauenbildung wichtig und richtig. Doch über Jahrhunderte vermochten viele dieser Argumentation nicht zu folgen. Wissenschaftler und selbsternannte Experten hielten daran fest, dass Frauen von Natur aus über weniger Verstand verfügen würden als Männer, haben sie doch kleinere Gehirne. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte hätten Frauen jemals bedeutende wissenschaftliche und künstlerische Leistungen vollbracht. Aufgrund ihrer mangelhaften physischen und psychischen Voraussetzungen seien sie weder zu intellektuellen noch zu politischen Leistungen fähig. Die Natur habe ihnen eindeutig die Rolle der Ehefrau und Mutter zugewiesen, und dafür sei Bildung unnötig. Frauen würden ihre Weiblichkeit verlieren und vermännlichen, sollten sie sich ernsthaft mit Bildungsinhalten auseinandersetzen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein stellten gelehrte Frauen deshalb die bewunderte, aber auch verachtete Ausnahme dar.

Die vorgeblich geistige Unterlegenheit der Frau diente jedoch nicht nur als Argument, um sie von diversen Bildungseinrichtungen fernzuhalten, sondern auch, um sie von Wahlurnen und aus Kabinetten zu verbannen. Obwohl zahlreiche europäische Länder immer wieder von mächtigen Königinnen regiert worden waren, galten Frauen als heillos überfordert, wenn es um Politik ging. Sie hatten weder das passive noch das aktive Wahlrecht, waren der Willkür männlicher Gesetzgebung hilflos ausgeliefert. Zwar verweigerte der Zensus auch Millionen Männern das Wahlrecht – noch, für Frauen dagegen erschien die Situation auf lange Zeit völlig unabänderlich. Die meisten Männer fanden alleine schon die Vorstellung, dass Frauen am politischen Prozess teilhaben könnten, ausgesprochen lächerlich. Schließlich habe die Natur dafür gesorgt, dass Frauen und Männer verschieden seien, und ihnen dadurch auch verschiedene Aufgaben zugeteilt. Einzig die Frau sei in der Lage, Kinder zu gebären und zu ernähren, folglich sei ihr Platz zu Hause, während der Mann ihre Interessen in der Öffentlichkeit, sprich in der Politik, vertreten würde. Denn während Männer mit Logos und Ratio gesegnet seien, seien Frauen emotional und hysterisch und nicht in der Lage, politisch vernünftige Entscheidungen zu treffen. Angesehene Ärzte behaupteten, Frauen würden statt von ihrem Gehirn von ihrer Gebärmutter bestimmt und dieser Umstand würde besonders während der Pubertät, der Menstruation, bei Schwangerschaften und in der Menopause zu gefährlichen Instabilitäten hinsichtlich ihrer Entscheidungsfähigkeit führen. Hysterie galt als typische Frauenkrankheit, wie schon das aus dem Griechischen stammende Wort »Hysteria« für Gebärmutter zeigt.

Frauen galten als kindisch, aufbrausend, unvernünftig und kapriziös, schlicht als nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen – weder für sich noch für ihre Kinder, noch für ihr Land. Sie würden politische Entscheidungen mit persönlichen Dingen vermischen und nicht begreifen, um was es in der Politik überhaupt gehe.

Die Kirche erwies sich dabei als eine der stärksten Bastionen beim Versuch, die untergeordnete Stellung der Frau auszuhebeln. Sie warnte eindringlich davor, dass Mädchenbildung und das Wahlrecht für Frauen die sukzessive Gleichstellung der Geschlechter einleiten und die bereits in der Bibel festgelegte Überlegenheit des männlichen Geschlechts aufweichen würde. Damit würden die Strukturen der Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert, die patriarchale Gesellschaft würde langsam aber sicher zu Grunde gehen.

Wir fordern die Hälfte der Welt

Die Forderungen der Frauenrechtlerinnen

Die erste Welle der Frauenbewegung erscheint in der Nachbetrachtung als relativ homogen. Der Großteil der von ihr formulierten Forderungen war der persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Gleichstellung der Frau mit dem Mann geschuldet und sollte in erster Linie zur Verbesserung der sozialen Situation der Frauen beitragen. Ziel war die rechtliche, politische, soziale, gesellschaftliche, ökonomische und private Gleichstellung, bei gleichzeitiger Bewahrung der Differenz zwischen den Geschlechtern. Dabei unterschieden sich die Forderungen im einzelnen je nach Herkunft, politischer Verortung oder Radikalität der Akteurinnen, die zum Großteil aus der Mittel- und Oberschicht stammten.

Die Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde gingen in ihrer überwiegenden Mehrheit von der natürlichen Ungleichheit der Geschlechter aus, wobei die natürliche Überlegenheit des Mannes keinerlei Herrschaftsanspruch begründete. Die Natur hatte ihrer Ansicht nach die Menschen zwar individuell unterschiedlich geformt, sie aber dennoch mit denselben natürlichen und unveräußerlichen Geburtsrechten ausgestattet, wodurch alle Menschen gleich und frei waren. Die Individuen waren nicht gleichartig, sehr wohl aber gleichwertig.

Einige Frauen nahmen jedoch eine andere differenzfeministische Position ein. Sie glaubten zwar auch an die natürliche Ungleichheit und die gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter, leiteten daraus jedoch die natürliche Überlegenheit der Frau ab, aus der sich allerdings kein Herrschaftsanspruch ergab. Auch sie begründeten die gesellschaftliche Gleichheit mit den natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechten. Während die meisten Frauenrechtlerinnen, die so dachten, die natürliche Überlegenheit der Frau an ihren reproduktiven Fähigkeiten und »typisch weiblichen« Charaktermerkmalen wie Wärme oder Hingabe festmachten, gab es vereinzelt auch offenen Männerhass. Weitverbreitet war hingegen die Idee der Rettung der Welt durch die Frau. Diese korrespondierte mit Überlegungen, wonach die besonderen weiblichen Fähigkeiten und Tugenden die männlichen Fähigkeiten ergänzen müssten, um die Gesellschaft auf die nächsthöhere Stufe zu heben. Der Kultureinfluss der Frau fördere das Wohl der Allgemeinheit, weshalb es eine unabdingbare Notwendigkeit sei, sie an der Gestaltung von Staat und Gesellschaft teilhaben zu lassen. Die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit stand noch nicht im Vordergrund und unterblieb mit Blick auf das Wohl der Allgemeinheit.

In der bürgerlichen Frauenbewegung, welche die erste Welle der Frauenbewegung hauptsächlich trug, kristallisierten sich bald vier Hauptforderungen heraus. Zum einen das Recht der Frau auf Erwerbsarbeit und freie Berufswahl: Hier gab es Differenzen zwischen den Frauen, die damit die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern verwirklichen wollten, und denjenigen, die darin in erster Linie eine Maßnahme gegen das wirtschaftliche Elend alleinstehender vermögensloser Frauen sahen. Es gab Strömungen, die typisch weibliche Berufe ins Auge fassten, während andere grundsätzlich alle Berufsfelder für Frauen öffnen wollten.

Grundbedingung für den freien Zugang zur Erwerbstätigkeit war die zweite Forderung der Frauenrechtlerinnen: gleiche Bildungschancen für beide Geschlechter. Die Verbesserung der Mädchenbildung, der Zugang zu höheren Schulen und Universitäten sowie die Verbesserung der Lehrerinnenausbildung standen ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Galt bis dahin als höchstes Bildungsziel für Mädchen, dem Mann eine angenehme Gefährtin zu sein, wurde Bildung nun zum Hebel für die Emanzipation, der allerdings erst wirksam werden konnte, nachdem der Staat die Bildungshoheit an sich gezogen hatte und die Mädchenbildung einer strukturellen Neuregelung unterzog. Die Frauen verlangten, dass höhere Bildung wie Abitur und Studium auch ihnen offenstehen musste. Dabei gab es durchaus verhaltene Stimmen, die das Studium auf bestimmte Fächer wie Medizin beschränken wollten, da sie hier den geringsten Widerstand erwarteten. Um den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde unter anderem damit argumentiert, dass es für Frauen unangenehm sei, sich vor einem fremden Mann, selbst vor einem Arzt, zu entblößen und sich untersuchen zu lassen.

Als wichtige Voraussetzung für die Reform der Mädchenbildung galt die Verbesserung der Lehrerinnenausbildung. Weibliche Lehrkräfte wurden auf niedrigstem Niveau ausgebildet und unterrichteten mit ihrem rudimentären Wissen vorwiegend an Privatschulen oder in den Unterstufen öffentlicher Mädchenschulen. Höhere Klassen oblagen der Verantwortung männlicher Lehrkräfte. Die Frauenrechtlerinnen forderten die Verbesserung der Lehrerinnenausbildung, um als Frauen Mädchenbildung bis in die Abschlussklassen hinein mitgestalten zu können.

Die dritte heiß diskutierte Forderung der alten Frauenbewegung war die aktive Teilhabe der Frau am öffentlichen Leben. Dies umfasste sowohl das aktive und passive Wahlrecht als auch die Mitgliedschaft in Parteien und Vereinen, die Frauen in vielen Ländern Europas erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlaubt wurde. Allerdings maßen nicht alle Frauen dem Wahlrecht dieselbe Bedeutung zu. Manchen galt es als ein Ziel unter vielen, als Fernziel, das über den Umweg verschiedener Nahziele zu erreichen war. Für andere stand es im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Sie sahen in der Mitwirkung der Frau an der Gesetzgebung den eigentlichen Schlüssel zur Verbesserung ihrer Lebensumstände. Das von ihnen geforderte Stimmrecht war jedoch nicht eindeutig bestimmbar. So wollten einige das Stimmrecht nur für unverheiratete Frauen, Ehefrauen sollten davon ausgeschlossen bleiben. Zu sehr fürchteten sie den Einfluss der Ehemänner, denen damit zwei Stimmen in die Hände fallen würden. Auch bei der Frage, welches Stimmrecht eingeführt werden sollte, konnte keine Einigkeit erzielt werden. Sollten Frauen gleich den Männern nach dem Zensus wählen dürfen, oder sollte das Wahlrecht alle Frauen miteinschließen und somit ein allgemeines Wahlrecht für Frauen und Männer propagiert werden?

Die Frage nach dem Frauenstimmrecht war eng verbunden mit der Frage nach der Rechtsstellung der Frau. Ein bedeutsames Ziel der ersten Frauenbewegung war die Gleichstellung von Frauen und Männern vor dem Gesetz, die privatrechtliche Mündigkeit beim Gewerberecht, bei Prozess- und Vereinsgesetzen sowie bei Zivilgesetzen. Die Forderungen der Frauenrechtlerinnen gingen hierbei von der Reform des ehelichen Güterrechts über die Reform des Scheidungsrechts bis hin zur Verbesserung der Rechtsstellung unehelicher Kinder und lediger Mütter. Während sich die meisten juristischen Forderungen zunächst auf die Stellung der verheirateten Frau bezogen, wurde mit dem Aufkommen der Arbeiterinnenbewegung auch die Forderung nach Arbeitsschutzgesetzen für Frauen laut. Dazu gehörten vor allem besondere Schutzgesetze für Schwangere und Mütter. Doch auch diese Forderungen waren nicht unumstritten. Ein Teil der Frauenrechtlerinnen lehnte derartige Schutzgesetze strikt ab, weil sie zur Verbannung von Frauen aus bestimmten Berufen missbraucht werden konnten. Keinerlei Diskussionen ließ die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit zu. Das Lohnniveau von Frauen war gleichbleibend niedrig – selbst als Frauen begannen, sich zu organisieren und ihre Interessen zu vertreten. Arbeitszeitverkürzung, verbesserte Arbeitsbedingungen und die Entlastung von häuslicher Arbeit waren weitere Punkte, welche die proletarischen Frauen in die Bewegung einbrachten und die von den bürgerlichen Frauen durchaus unterstützt wurden. Ihr politisches Anliegen, die Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse, der Klassenkampf, fand jedoch verständlicherweise in der bürgerlichen Frauenbewegung keinen Anklang.

Die großen Themenkomplexe der ersten Frauenrechtlerinnen ergriffen die Bewegung in den USA und Westeuropa zeitversetzt und in unterschiedlicher Intensität. Geschuldet war dies in erster Linie dem jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsstand der Länder. Trotzdem zeigt sich, dass bei allen länderspezifischen Unterschieden diese Forderungen in allen Ländern auftraten und kennzeichnend wurden für die erste Welle der Frauenbewegung. Dabei waren Forderungen nach verbesserter Erziehung und Bildung, einer Reform der Sozialpolitik, freiem Zugang zur Erwerbsarbeit, Verbesserung der Rechtsstellung und Einführung staatsbürgerlicher Rechte für die Frauen niemals nur Ziele allein, sondern vor allem Mittel zur Verbesserung der Situation der Frau im allgemeinen.

Dem Morgenrot entgegen

Die alte Frauenbewegung in den USA und Westeuropa

Frauen und Sklaven

USA: Abolitionistinnen und Frauenstimmrechtlerinnen

Obwohl die Frauen in Amerika rechtlich ebenso unmündig waren wie ihre europäischen Schwestern, waren sie – bedingt durch die Widrigkeiten der Kolonisation – den Männern zunächst gleichgestellter als im alten Europa. Die hohen Anforderungen, die bei der Eroberung des Landes an die Pioniere gestellt wurden, brachten es mit sich, dass Frauen nicht nur einen Haushalt führen, auf der Farm mitarbeiten oder einen Planwagen kutschieren mussten, sondern auch für Krankenpflege, Jagd und Verteidigung zuständig waren. In dem gefährlichen Leben der ersten Siedler standen zahlreiche Witwen im fremden Land ihren ›Mann‹, ohne auf gesellschaftliche Konventionen Rücksicht zu nehmen. Erst mit zunehmender Komplexität der kolonialen Gesellschaft rückte dieser zumindest im Alltag nahezu ebenbürtige Status in den Hintergrund. Bevor diese Situation jedoch Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen wurde, vergingen viele Jahre.

Anne Hutchinson war 1634 die erste Frau auf amerikanischem Boden, die mit emanzipatorischen Forderungen an die Öffentlichkeit trat und darauf beharrte, dass es ihr als Frau erlaubt sein müsse, sich eigene Gedanken über Gott zu machen. Sie übte scharfe Kritik an der Bostoner Geistlichkeit und rief andere Frauen auf, es ihr gleichzutun und sich direkt an Gott zu wenden. Damit erklärte sie faktisch die geistliche Obrigkeit für überflüssig und rüttelte in einer puritanischen Gesellschaft, in der es keine Trennung von Kirche und Staat gab, an den Grundfesten des Systems. Zur Abschreckung wurde sie wegen Ketzerei vor Gericht gestellt und nach wochenlanger Inquisition exkommuniziert und verbannt.

Am Vorabend des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges traten Frauen erneut ins Licht der Öffentlichkeit. Aus Empörung über die erzwungene Einfuhr von britischem Tee gründeten Frauen Anti-Tee-Ligen und propagierten die Verwendung von Ersatztees aus Beeren, Salbei und Birkenbräu. Einige schlossen sich – analog zu den »Söhnen der Freiheit« um Samuel Adams – zu den »Töchtern der Freiheit« zusammen und unterstützten nach Kräften den Boykott britischer Waren. Im Unabhängigkeitskrieg kämpften einzelne Frauen aktiv an vorderster Front, wie Molly Pitcher oder Deborah Sampson, die ein Jahr lang als Soldat verkleidet in der Kontinentalarmee diente, bis sie enttarnt wurde. Frauen stürmten Depots und verteilten Waren an Bedürftige und die Armee der Rebellen.

Nachdem sich die Kolonien ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, gründeten die dreizehn Staaten die Vereinigten Staaten von Amerika. Am 4. Juli 1776 gaben sie sich mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung eine Verfassung. Diese basiert, inspiriert durch den englischen Philosophen John Locke, auf der naturrechtlichen Doktrin, dass das Individuum unveräußerliche Menschenrechte besitzt. In der US-amerikanischen Wirklichkeit stand dieses Recht jedoch nur frei geborenen weißen Männern zu – Frauen, Sklaven und freie Schwarze waren davon ausgeschlossen. Abigail Adams, Frau des zweiten Präsidenten und Mutter eines weiteren Präsidenten, erklärte deshalb in aller Öffentlichkeit, dass sie sich nicht an Gesetze gebunden fühle, die sie nicht mitverantwortet hätte. Doch nur vereinzelt regte sich Widerstand. Die gesetzmäßig festgelegte Ungleichheit der Geschlechter führte noch nicht zu einer politischen Bewegung.

Der Kampf für Gleichberechtigung begann erst mit der Auseinandersetzung um die Frauenbildung. In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde ein von Judith Sargent Murray bereits während des Unabhängigkeitskrieges verfasster Aufsatz veröffentlicht, in dem sie sich mit der Chancenungleichheit von Frauen und Männern beschäftigte. Sie zweifelte darin die natürliche geistige Überlegenheit der Männer an und forderte für Frauen das Recht auf Bildung ein. Als im Zuge der Eroberung des Westens Frauen vor neue Aufgaben gestellt wurden, erschienen weitere Traktate zur Frauenbildung. Eines stammte aus der Feder von Emma Willard, die zu einer Pionierin der Mädchenbildung wurde. 1821 eröffnete sie mit dem Troy Female Seminary die erste staatlich geförderte höhere Schule für Mädchen, an der auch Naturwissenschaften unterrichtet wurden. Acht Jahre später sorgte Frances Wright als erste weibliche Vortragsreisende mit ihren öffentlichen Auftritten zur Frauenbildung für einen solchen Skandal, dass amerikanische Frauenrechtlerinnen über Jahrzehnte als »Fanny Wrightists« beschimpft wurden. Es galt für Frauen als absolut unschicklich, in der Öffentlichkeit zu sprechen.

Nachdem die meisten Staaten der USA weißen Männern über einundzwanzig Jahren das Wahlrecht zugestanden hatten, setzte sich die Erkenntnis durch, dass wahlberechtigte Bürger zur Ausübung dieses Rechts eine gewisse Bildung benötigten. Die Ausgaben für Knabenbildung stiegen, Frauen, die ja ohnehin nicht wählen durften, blieben erneut außen vor. Auch wenn 1824 in Worcester (Massachusetts) die erste staatliche Mädchenschule eröffnet wurde, dauerte es bis weit nach dem Bürgerkrieg, ehe sich die staatlich geförderte Mädchenbildung durchsetzte. Mädchenbildung blieb lange an den Vorstellungen Rousseaus orientiert, wonach sie in erster Linie den Bedürfnissen der Männer entsprechen sollte. 1833 öffnete in Oberlin (Ohio) das erste Seminar auf College-Niveau, an dem von 1835 an Menschen unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht lernen konnten. Vier Jahre später entstand Mount Holyoke, das als ältestes Frauencollege der USA gilt. Seiner Gründerin Mary Lyon gelang es, auf unzähligen Reisen durch Neuengland die Schule mit dem nötigen finanziellen Grundstock auszustatten. Bewaffnet mit ihrer im ganzen Land berühmten grünen Samthandtasche lief sie bei Wind und Wetter von Ort zu Ort, um öffentlich der Frauenbildung eine Lanze zu brechen. Dass sie dabei nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihren Ruf ruinierte, kümmerte sie herzlich wenig. Ihr aufopfernder Einsatz machte den Weg frei für die zahlreichen Frauencolleges, die nach dem Bürgerkrieg entstanden.

Lange Zeit unterlag die Gründung von Mädchenschulen der Initiative von Privatleuten. Colleges finanzierten sich durch Spenden, Stiftungen oder mussten horrende Gebühren verlangen, um den Lehrbetrieb aufrechterhalten zu können. Die Universität Iowa war 1858 die erste staatliche Universität, die Frauen aufnahm. Wenngleich sich von da an die Koedukation immer mehr durchsetzte, blieben Frauen wie die erste promovierte Ärztin der USA, Elisabeth Blackwell, oder die Astronomin Maria Mitchell, die 1848 in die Amerikanische Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, Einzelfälle. Auch nachdem es Frauen möglich geworden war, höhere Bildung zu erlangen, hinderten die zahlreichen Berufsverbote sie noch lange Jahre daran, alle Berufe auszuüben.

War es für weiße Frauen schon schwer, Zugang zu höherer Bildung zu erhalten, so war es für schwarze Frauen ein nahezu unmögliches Unterfangen, überhaupt zur Schule zu gehen. Da im System der Sklaverei am Mythos vom dummen Sklaven festgehalten werden musste, wurde Sklaven jegliche Bildung verweigert. Im Süden war es bei Strafe verboten, einem Sklaven Lesen beizubringen. Dennoch gründete die Quäkerin Prudence Crandall 1833 in Canterbury (Connecticut) die erste schwarze Mädchenschule des Landes. Sie und ihre Schülerinnen wurden daraufhin von den braven Bürgern der Stadt so lange schikaniert und bedroht, bis sie sich nach achtzehn Monaten zum Schutz ihrer Schülerinnen gezwungen sah, die Schule zu schließen. Höhere Bildung blieb für schwarze Frauen fast unerreichbar. Eine Situation, an der auch das Ende der Sklaverei nur wenig änderte. Schwarze Frauen mit College-Abschluss blieben eine Seltenheit. Bis 1899 verzeichnete die Pionierschule Mount Holyoke nur eine einzige schwarze Absolventin.

Frauen und Sklaven waren offensichtlich Benachteiligte in dieser von weißen Männern dominierten Gesellschaft. Dies führte in den Anfängen der Frauenbewegung zu einer engen Verbindung mit der Abolitionismus-Bewegung. 1831 hatte der Sklave Nat Turner einen Aufstand angeführt, der zum Startschuss für die Anti-Sklaverei-Bewegung wurde, der sich auch Frauen anschlossen. Diese Jahre wurden zu Lehrjahren der späteren Frauenbewegung. In der Auseinandersetzung um die Sklaverei lernten Frauen, Versammlungen einzuberufen, Reden zu halten, Petitionen einzureichen und Unterschriften zu sammeln. Da sie sich den männlichen Anti-Sklaverei-Gesellschaften vielfach nicht anschließen durften, gründeten die Abolitionistinnen 1833 die Philadelphia Female-Anti-Slavery Society, deren Beispiel andere Städte folgten. 1837 kam es zum ersten Bundeskongress der National Female Anti-Slavery Society. Bei all ihren Aktionen waren Frauen Zielscheibe des Mobs. Übergriffe auf ihre Versammlungen durch Befürworter der Sklaverei waren an der Tagesordnung. Zu den berühmtesten Abolitionistinnen gehörten die Schwestern Sarah und Angelina Grimké, Töchter einer reichen Sklavenhalterfamilie aus dem Süden. Mit ihrem besonderen Redetalent erreichten die beiden Tausende von Frauen, die meilenweite Fußmärsche auf sich nahmen, um die Schwestern zu hören. Weit mehr als durch Bücher und Schriften wurden Frauen durch Rednerinnen wie die Schwestern Grimké politisiert. Mit ihrem Auftritt vor dem Parlament von Massachusetts 1838