Die Geschichte des Judentums - Martin Goodman - E-Book
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Die Geschichte des Judentums E-Book

Martin Goodman

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Beschreibung

Souverän und lebendig erzählt Martin Goodman die 4000 Jahre umfassende Geschichte des Judentums. Anschaulich und klar schildert er die religiösen Vorstellungen und Praktiken einer der großen Weltreligionen. Die einzigartige und packende Globalgeschichte einer vibrierenden und vielseitigen religiösen Tradition, die – wie kaum eine andere – das geistig-spirituelle Erbe der ganzen Menschheit geprägt hat. Das Judentum ist eine der ältesten Religionen der Welt. Trotz außergewöhnlich diverser Ausprägungen und vielfältiger Glaubensvorstellungen hat es eine besondere Identität im Laufe von mehr als 4000 Jahren bewahrt. Goodman erklärt, wie diese Religion entstand, wie sie sich entwickelte und veränderte, und wie sich die unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums zueinander verhalten. In diesem elegant geschriebenen Standardwerk nimmt der Autor den Leser mit auf eine Reise durch die Jahrtausende: von den Anfängen des Judentums in einer Umwelt, die an viele Götter glaubte, über den Tempelkult zur Zeit Christi bis in die Moderne. Er erzählt die Geschichte der Rabbis, der Mystiker und der Messiasse des Mittelalters und der frühen Neuzeit und schildert die vielfältigen Formen und Ausprägungen des Judentums. Seine faszinierende und anregend geschriebene Gesamtdarstellung umspannt den ganzen Globus vom Mittleren Osten, Europa und Amerika nach Nordafrika, China und Indien. Anschaulich und zugänglich erklärt er die Institutionen und die Vorstellungswelt des Judentums von den Anfängen bis in die Gegenwart.

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Seitenzahl: 1425

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Martin Goodman

Die Geschichtedes Judentums

Glaube, Kult, Gesellschaft

Aus dem Englischen übersetztvon Susanne Held

Klett-Cotta

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»A History of Judaism« bei Allen Lane,

Penguin Books, Random House London

© Martin Goodman, 2017

Für die deutsche Ausgabe

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg,

unter Verwendung eines Fotos von © akg-images/Werner Forman

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96469-1

E-Book: ISBN 978-3-608-11627-4

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Glossar

Einleitung: Annäherung an die Geschichte des Judentums

Teil 

I

Ursprünge (2000 v. d. Z.–70 n. d. Z.)

1

 Wüsten, Stämme und Imperien

2

 Die Entstehung der Bibel

3

 Verehrung und Anbetung Gottes

Der Tempel

Die Synagoge

4

 Die Tora des Mose: Judentum in der Bibel

Teil II

Die Interpretation der Tora (200 v. D. Z.–70 n. D. Z.)

5

 Juden in einer griechisch-römischen Welt

6

 »Es treiben nämlich bei den Juden drei Gruppen Philosophie«

Pharisäer

Sadduzäer

Essener und Therapeuten

Die »Vierte Philosophie«

Zeloten

Der Jachad in den Schriftrollen vom Toten Meer

7

 Die Grenzen der Vielfalt

Die Weisen

Nasiräer und Chaverim

Allegoristen

Jesus und Paulus

8

 Allgemeine Fragen und Erwartungen

Reinheit, Schabbat, Kalender

Gelübde, Eide, Asketentum

Magie, Dämonen und Engel

Visionen und Propheten

Eschatologie und Messianismus

Leben nach dem Tod, Martyrium

Teil III

Die Herausbildung des rabbinischen Judentums (70–1500 n. d. Z.)

9

 Vom heidnischen Rom zu Islam und mittelalterlichem Christentum

10

 Ein Judentum ohne Tempel

11

 Rabbinen im Osten (70 bis 1000 n. d. Z.)

12

 Judentum ohne Rabbinen

Griechisches Judentum

Karäer

13

 Im Westen: Rabbinisches Denken, Philosophie, Mystik(1000–1500 n. d. Z.)

Raschi und die Entwicklung der Halacha

Maimonides: Glaube und Philosophie

Sohar und Kabbala

Teil IV

Autorität und Reaktion (1500–1800 N. d. Z.)

14

 Die europäische Renaissance und die Neue Welt

15

 Neue Gewissheiten und neue Mystik

Kodifizierer

Die Anhänger Lurias

Sabbatai Zwi

Chassidismus

Teil V

Die Herausforderung der Moderne (1750 bis heute)

16

 Von der Aufklärung bis zum Staat Israel

17

 Reform

18

 Gegenreform

Moderne Orthodoxie

Konservatives Judentum

19

 Zurückweisung

20

 Erneuerung

Teil VI

Epilog

21

 Warten auf den Messias?

Anhang

Bemerkung

Dank

Abkürzungen, allgemeine Quellen und Transliteration

Anmerkungen

Zur weiteren Lektüre

Verzeichnis der Karten

Verzeichnis der Abbildungen

Personen-, Orts- und Sachregister

Tafelteil 1

Tafelteil 2

Tafelteil 3

Glossar

Für (1)die deutsche Ausgabe wurde das Glossar in einigen Punkten modifiziert und erweitert.

Abkürzungen im Glossar:

A: Aramäisch(1)

Arab: Arabisch

G: Griechisch

H: Hebräisch

J: Jiddisch

Amida(1)(1) [H]: Wörtl. »stehend«, auch Tefilla (»Gebet«). Auch Schemone Esre oder Achtzehngebet, Hauptgebet bei den täglichen Gebeten morgens, mittags und abends.

Amora, Amoräer(1) (Pl. Amoraim, Amoräer): Wörtl. »Interpreten«. Der Begriff bezieht sich auf die rabbinischen Weisen, die in den Talmuden seit der Beendigung der Mischna(1) um 200 n. d. Z. und bis zum Ende des 5. Jahrhunderts zitiert werden.

Chabad(1) [H]: Akronym für eine von den Lubawitscher Chassidim(1) praktizierte Form der Mystik. »Chabad« steht für »Chochma Bina Da’at«: »Weisheit, Verstand, Wissen«.

Chacham(1) [H]: Wörtl. »Weiser«. Rabbinischer Titel.

Challa(1) [H]: Wörtl. »Teighebe«. Nach der hebr. Bibel, Opfergabe: ein bestimmter Teil des Teigs, der an die Priester zu zahlen war, später verbrannt wurde. Auch Brotlaib in Zopfform für den Schabbat und für Festtage.

Chanukka(1) [H]: Wörtl. »Einweihung«. Fest, das der Wiedereinweihung des Tempels nach dem Makkabäeraufstand(1) gedenkt.

Charedi(1) (Pl. Charedim) [H]: Wörtl. »Gottesfürchtiger«. Bezieht sich auf die modernen Anhänger des ultraorthodoxen Judentums.

Chassid (Pl. Chassidim(1)) [H]: Wörtl. »Fromme(r)«. Bezeichnung, die Anhänger des Chassidismus seit dem 18. Jahrhundert für sich selbst verwenden.

Chassidej Aschkenas(1) [H]: Wörtl. »Die Frommen von Aschkenas«. Jüdische Pietisten im Rheinland(1) und in Nordfrankreich(1) im 12. und 13. Jahrhundert.(2)

Chaver(1) (Pl. Chaverim) [H]: »Kamerad«. 1. In (1)tannaitischen Quellen eine Person, die es mit Abgaben und ritueller Reinheit sehr genau nimmt; 2. zur Zeit der Amoräer(2) und später: ein rabbinischer Weiser.

Chawurah(1) (Pl. Chawurot) [H]: Vereinigung von Juden, die zu religiösen Treffen, gemeinsamem Lernen und Feiern zusammenkommen. (3)

Cherem(1) [H]: Wörtl. »Bann«. Der offizielle Ausschluss einer Person aus der Gemeinschaft.

Chiddusch (Pl. Chidduschim(1)) [H]: »Neuheiten«. Neue, aus Talmud(1)- oder Bibelkommentaren abgeleitete Rechtslehren.

Etrog(1) [H]: Cedrat, eine Art Zitrone, die in der Liturgie des Laubhüttenfestes verwendet wird.

Gaon (Pl. Geonim) (1)[H]: Wörtl. »Exzellenz«, »Majestät«. Titel des Oberhaupts der wichtigsten Akademien im Irak(1) vom 6. bis zum 11. Jahrhundert.

Geniza(1) [H]: Wörtl. »Versteck«, »Aufbewahrung«. Ort zur Deponierung unbrauchbar gewordener heiliger Bücher und anderer Kultgegenstände.

Geonische Periode(1): 6. bis 11. Jahrhundert (vgl. Gaon(2)).(4)

Gesetz: Auf die Tora bezogen zielt der Begriff »Gesetz« auf die Vorschriften zur jüdischen Lebensweise, hebräisch Halacha genannt. »Gesetz« ist ein Begriff aus der griechischen Übersetzung der Tora, der Septuaginta. Dort heißt Gesetz »Nomos«. Die hellenistischen Juden sahen in der Bezeichnung ihrer wichtigsten Schrift als »Gesetz« (Nomos) eine Ehrung, hatten doch die sie umgebenden Völker, polytheistisch geprägt, kein solches Regelwerk. Gleichwohl reden Juden bis heute von den Vorschriften zu ihrer Lebensweise als Mizwot, Geboten Gottes, nicht als Gesetz in einem juristischen Sinn. (5)

Gesetzgeber: vgl. Mose als Gesetzgeber.

Glaube: Bedeutet im Judentum etwas anderes als in unserem heutigen Sprachgebrauch. Es geht im Judentum weder um eine Form von Überzeugung noch um ein Führwahrhalten von Aussagen, welcher Art auch immer. Der hebräische Begriff für »Glaube« lautet – schon in der Tora – »Emunah«. Das bedeutet: »Treue, Festigkeit, Zuverlässigkeit«. »Glaube« bezeichnet mithin die Beziehung der Juden zu Gott. Das gilt aber auch in Wechselrichtung. Die Juden fordern selbiges immer wieder von Gott ein. (6)

Golem(1) [H]: In der kabbalistischen Tradition ein aus Lehm hergestellter, künstlicher, durch Magie erschaffener Mensch.

Haftara(1) (Pl. Haftarot) [H]: In der Synagogenliturgie sowie beim Morgengebet eine Lesung aus den Propheten nach dem Abschluss der Tora(1)-Lesung. (7)

Haggada(1) schel Pessach [H]: Erzählung vom Auszug der Israeliten aus Ägypten(1), dem »Haus der Knechtschaft«. Diese Erzählung wird an Pessach(1), dem jüdischen Freiheitsfest, das außerhalb Israels acht Tage lange gefeiert wird, an den ersten beiden Sederabenden(1) vorgetragen, und zwar begleitet von Gebeten und Gesängen. Auch: Aggada / Haggada als Bezeichnung für erzählende, nicht-halachische Teile der mündlichen Tora(2).

Hairesis(1) (Pl. Haireseis) [G]: Wörtl. »Wahl«. Eine Philosophenschule.(8)

Halacha(1) (Pl. Halachot) [H]: Wörtl. »gehen«, »wandeln«. Vorschriften in der rabbinischen Lehre zur jüdischen Lebensweise.

Hallel(1) [H]: »Lobet den Namen des Herrn«. Psalmenfolge (Ps 113–118), die an Festen und anderen besonderen Tagen in der Synagoge gesungen wird.

Hawdala(1) [H]: Wörtl. »Unterscheidung«. Zeremonie, die am Ende des Schabbats bzw. eines Festtags vollzogen wird.

Hechalot(1) [H]: Wörtl. »Hallen«. Die himmlischen Reiche, durch welche der Visionär in der Merkaba-Mystik zum Thron Gottes emporsteigt.

Jachad(1) [H]: Wörtl. »Gemeinschaft«. Die Selbstbezeichnung der jüdischen Gruppe, von welcher die unter den Schriftrollen vom Toten Meer gefundenen Sektenregeln stammen.(9)

Jahrzeit(1): Wörtl. »Jahrestag«. Bezeichnet den Todestag eines nahen Verwandten.(10)

Jeschiwa(1) (Pl. Jeschiwot) [H]: Akademie, an der die Tora(3) (mit besonderem Schwerpunkt auf dem Babylonischen Talmud(2)) studiert wird.

Jiskor(1) [H]: Wörtl. »Möge Er gedenken«. Synagogenliturgie mit Gebeten im Andenken an die Toten.

Jom Kippur(1) [H]: Versöhnungstag.

Kabbala(1) [H]: Wörtl. »Tradition«. Mystische, von Spanien(1) und der Provence(1) ausgehende Bewegung.

Kaddisch(1) [A]: »heilig«; Gebet der Heiligung und des Lobpreises Gottes, aramäisch mit hebräischen Einschüben. Es gibt fünf Typen des Kaddisch; in der Form des Halbkaddisch zwischen bestimmten Abschnitten der Synagogenliturgie gesprochen; eine der weiteren Formen ist das Waisenkaddisch, das Gebet der Trauernden als Erinnerungsgebet für die Toten.

Kalam(1) [Arab]: Islamische scholastische Theologie.

Keduscha(1) [H]: Wörtl. »Heiligkeit«. Teil der Synagogenliturgie, bezogen auf den Lobpreis Gottes durch die Engel.

Kiddusch(1) [H]: Wörtl. »Heiligung«. Segen, der am Schabbat und an Festtagen über dem Wein gesprochen wird.

Kol Nidre(1) [H]: Gebet zur Befreiung von selbstauferlegten Gelübden, gesprochen zu Beginn von Jom Kippur(2).

Koscher,(1)hebräisch: kascher: Wörtl. »passend« oder »tauglich«. Rituell rein; ganz überwiegend bezogen auf Essen und Trinken.

Maggid(1) (Pl. Maggidim) [H]: Wörtl. »Sprecher«, »Erzähler«. 1. populärer Prediger; 2. himmlische Stimme, die durch einen Mystiker spricht.(11)

Maskil(1) (Pl. Maskilim) [H]: Wörtl. »intelligent«, »Verständiger«, »Unterweiser«. Im 19. Jahrhundert Anhänger der jüdischen Aufklärung (Haskala).

Mas(s)ora(1) [H]: Wörtl. »Überlieferung«. (Sprachliche) Überlieferung des Bibeltextes durch die Mas(s)oreten, Gelehrte in Babylonien(1) und Palästina(1), vom 7. bis zum 10. Jahrhundert, inklusive Angaben zur Vokalisation und Akzentuierung.

Masorti(1) [H]: Wörtl. »traditionell«. Manchmal für das konservative Judentum verwendete Bezeichnung.

Mazza(1) (Pl. Mazzot), auch: Mazze, Mazzes [H]: Ungesäuertes Brot, das an Pessach(2) als einziges Brot verzehrt wird.

Mechilta(1) [A]: Kommentar zum Buch Exodus.

Menora(1) (Pl. Menorot) [H]: Siebenarmiger Leuchter.(12)

Midrasch(1) (Pl. Midraschim(2)), von »darosch«: »suchen«, »forschen« [H]: Auslegung der Schrift (hebr. Bibel).

Mikwe(1) (Pl. Mikwaot [H]: Wörtl. »Sammlung des Wassers«. Ein Ritualbad.(13)

Min(1) (Pl. Minim) [H]: Wörtl. »Art« oder »Spezies«. Häretiker.

Mischna(2) [H]: Im frühen 3. Jahrhundert n. d. Z. zusammengestellte Sammlung rabbinischer Lehrsätze.

Mitnagdim(1) [H]: Wörtl. »Gegner«. Gegner des Chassidismus(2) im 18. und 19. Jahrhundert.

Mizwa (Pl. Mizwot(1)) [H]: Wörtl. »Gebot«. Eine Pflicht, die als religiös gefordert verstanden wird.

Mose als Gesetzgeber: Mose hat dem Volk Israel selber keine »Gesetze« gegeben, er war Mittler des Wortes Gottes. Was Mose tat, war, von den Geboten (hebr. Mizwot) zu künden, die der Ewige ihm nannte und die dieser für das Bundesvolk der Israeliten anordnete. Sofern Mose also ein »Künder« war, kann er »Prophet« genannt werden, denn das Künden vom Wort Gottes war die wichtigste Aufgabe der Propheten. Vgl. auch Gesetz.

Mussar(1) [H]: Von »mussaru«: »Ethik«, »Moral«. Ethische Erneuerungsbewegung, ausgehend vom Osteuropa des 19. Jahrhunderts.

Nasi(1) [H]; Wörtl. »Fürst«. Titel für Autoritätspersonen, vor allem den jüdischen Patriarchen in Palästina(2) im 3. und 4. Jahrhundert n. d. Z.

Omer(1) [H]: Wörtl. »Garbe«. 1. Eine Weizengarbe, die vom Priester im Tempel geschwungen wird; 2. die Periode des Tagezählens zwischen Pessach(3) und Schawuot(1).(14)

Peruschim(1) [H]: Wörtl. »Abgesonderte«. In rabbinischen Texten wird der Begriff als Bezeichnung für die Pharisäer(1) verwendet.

Pessach(4) [H]: 1. Freiheitsfest, das an den Auszug Israels aus Ägypten(2) erinnert, auch Frühlingsfest; 2. das Lamm(1), das in Tempelzeiten am Vorabend des Fests geopfert wurde.

Pilpul(1) [H]: Kasuistische Argumentation beim Talmudstudium.

Pijut(1) (Pl. Pijutim) [H]: Für die Synagogenliturgie bestimmte religiöse Dichtung.

Purim(1) [H]: Fest zu Beginn des Frühjahrs, das die im biblischen Buch Ester(1) beschriebenen Rettung der persischen(1) Juden feiert.(15)

Rabbi(1) (Pl. Rabbinen(2)) [H]: »Mein Meister«. Titel ordinierter Tannaiten(2) und Amoräer(3) in Palästina(3); die babylonischen(2) Amoräer werden als Raw oder Mar bezeichnet. Die Rabbinen(3) lehrten an Akademien und hatten meist zudem einen davon unabhängigen Beruf zum Lebenserwerb. Die Bezeichnung »Rabbi« sollte auf die Rabbinen der jüdischen Antike begrenzt bleiben und nicht auf »Rabbiner« ausgeweitet werden. Ehrentitel waren Rabbenu und Rabban.

Rabbiner(1): Gemeindeangestellter, der die Aufgaben des Lehrers, Richters, Predigers, Fachmanns in der Halacha(2) und des geistlichen Leiters einer Gemeinde wahrnimmt.(16)

Rosch ha-Schana(1) [H]: Neujahrsfest.

Schawuot(2) [H]: Wochenfest, Fest der Erstlingsfrüchte.

Schechina(1) [H]: Göttliche Anwesenheit, Einwohnung.

Schemone Esre(2) [H]: Wörtl. »Achtzehn«. Eine Reihe von neunzehn (früher achtzehn) Segenssprüchen, die regelmäßig im stillen Gebet gesprochen werden. Vgl. Amida(2).

Schma (Schema) Jisrael(1) [H]: »Höre, Israel(1)«. Bekundung der Einheit und Einzigkeit Gottes, die drei biblische Abschnitte einleitet, welche zweimal täglich gesprochen werden.(17)

Schofar(1) [H]: Widderhorn, wird an Neujahr und Jom Kippur geblasen.

Schtetl(1) [J]: Wörtl. »kleine Stadt«. Bezeichnung für jüdische Siedlungen bzw. Kleinstadtgemeinden in Osteuropa.

Seder(2) [H]: Wörtl. »Ordnung«. Liturgie und Festessen am ersten – außerhalb von Israel auch am zweiten – Abend von Pessach(5) in Erinnerung an den Auszug Israels aus Ägypten(3).

Sefira(1) (Pl. Sefirot) [H]: Wörtl. »Ziffern«, »Zahlen«. In der Kabbala(2) eine Emanation des Göttlichen.

Sifra(1) [A]: Kommentar (Midrasch(3)) zum Buch Levitikus.(18)

Sohar(1) [H]: Von den Kabbalisten seit dem 14. Jahrhundert verehrtes mystisches Werk.

Sukkot(1) [H]: Laubhüttenfest.(19)

Tallit(1) [H]: Gebetsschal bzw. -mantel mit Quasten (Schaufäden: Zizit(1)) an den vier Ecken.

Talmud(3) [H]: Kommentar zur Mischna(3), kompiliert zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert.

Tenach(1) [H]: Akronym für die Bibel (Tora(4), Neviim [Propheten] und Ketuvim [Schriften]).(20)

Tanna(3), Tannait (Pl. Tannaim, Tannaiten) [H]: Wörtl. »Wiederholer«. Rabbinischer Lehrer aus der Zeit vor ungefähr 200 n. d. Z.

Targum(1) (Pl. Targumim) [H]: Aramäische Bibelübersetzung.

Tefillin(1) [H]: Phylakterien, Gebetsriemen. Würfelförmige Lederkapseln, die Texte aus dem Pentateuch(1) enthalten und während des Gebetes (mittels Riemen befestigt) an Kopf und Arm getragen werden.

Tora(5) [H]: Wörtl. »Lehre«, »Weisung«. 1. Der Pentateuch(2) (die ersten fünf Bücher der hebräischen Bibel); 2. das gesamte Corpus von rabbinischen Vorschriften (oder Regeln) zu Lebensführung und rabbinischer Praxis. (21)

Tos(s)afot(1) [H]: Wörtl. »Hinzufügungen«. Kommentare zu bestehenden Talmudkommentaren, speziell zu Raschis Talmudkommentar.

Tos(s)efta(1) [A]: Wörtl. »Hinzufügung«. Zusammenstellung rabbinischer Stellungnahmen ähnlich der Mischna(4) und im Allgemeinen als Ergänzung der Mischna verwendet.

Zaddik(1) [H]: Wörtl. »Gerechter«. Im Chassidismus(3) wird der Begriff speziell zur Bezeichnung eines geistlichen Oberhaupts oder eines Rebben (jidd.) benutzt.(22)

Zizit [H]: Quasten an den vier Ecken eines kleinen (unter der Kleidung getragenen) Tallit(2) oder eines großen (als Gebetsschal benutzten) Tallit.(23)

Bemerkung: Erklärende Zusätze stehen im Haupttext zwischen runden Klammern und in Zitaten zwischen eckigen Klammern, außer in Zitaten aus den Schriftrollen vom Toten Meer, die sich nach den Gepflogenheiten in G. Vermes, The Complete Dead Sea Scrolls in English (London, 1997) (vgl. unten S. 705) richten.

Die Abkürzung »b.« wird für das hebräische »ben« (»Sohn von«) benutzt, und die Abkürzung »R.« steht für den hebräischen Titel »Rabbi«.

Einleitung: Annäherung an die Geschichte des Judentums

Am dritten Neumondstag nach dem Auszug der Israeliten(1) aus Ägypten(4), genau am heutigen Tag, gelangten sie in die Wüste Sinai … Als Mose(1) zu Gott hinaufstieg, rief ihm der Herr vom Berg herab zu: So rede zum Haus (1)Jakob und verkünde den Söhnen Israels: Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir hierhergebracht habe. Wenn ihr nun auf mein Wort hört und meinen Bund(1) haltet, dann werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein, denn mir gehört die ganze Erde. Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten verkünden sollst … Am dritten Tag, als es Morgen wurde, brachen Donner und Blitze los, eine schwere Wolke lagerte sich über dem Berg, und es ertönte mächtiger Hörnerschall. Das ganze Volk, das im Lager war, erbebte vor Furcht. Mose führte das Volk aus dem Lager heraus Gott entgegen, und es stellte sich am Fuß des Berges auf. Der Berg Sinai war ganz in Rauch gehüllt, weil der Herr im Feuer auf ihn herabgekommen war. Der Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens. Der ganze Berg erbebte heftig. Der Hörnerschall wurde immer stärker. Mose(2) redete und Gott antwortete ihm im Donner.

Diese dramatische Darstellung der Offenbarung Gottes vor Mose(3) am Berg Sinai gehört zum biblischen Buch Exodus. Die Geschichte des Judentums besteht aus der fortgesetzten, mannigfaltigen Geschichte der Interpretation des Bundes(2) dieses »heiligen Volks« über rund drei Jahrtausende.[1]

Mehr als tausend Jahre, nachdem der Überlieferung zufolge dem Mose(4) diese Offenbarung gewährt wurde, fügte der in Jerusalem(1) wirkende Priester und Historiker Flavius Josephus(1) die früheste erhaltene Theologie des Judentums für eine nicht-jüdische Leserschaft in sein Werk Gegen Apion ein, eine Verteidigung jüdischer Traditionen gegen die Verleumdungen heidnischer Autoren. Josephus schrieb dem Mose(5) die Schaffung einer neuen, vollkommenen Verfassung für die Menschheit zu, einer Verfassung, die sich von allen anderen damals bekannten Verfassungen – der Monarchie, der Demokratie und der Oligarchie – so signifikant unterschied, dass sie begrifflich nur durch die Erfindung eines neuen griechischen(1) Wortes gefasst werden konnte: theokratia, »Theokratie«, denn Mose hatte betont, dass Gott alles in der Hand hatte: »Mose machte Frömmigkeit nicht zu einem Bestandteil von Tugend, sondern erkannte und erläuterte die übrigen guten Eigenschaften … als Teil der Frömmigkeit … Denn alle Handlungen, Beschäftigungen und Reden haben bei uns Beziehung zur Frömmigkeit gegen Gott.«[2]

Mose(6) war bereits zur Zeit des Josephus(2), in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. d. Z., eine in Mythen gehüllte heroische Gestalt. Josephus sagte, Mose habe zweitausend Jahre vor seiner Zeit gelebt, und er versicherte nachdrücklich: »Ich stelle nun die Behauptung auf, dass unser Gesetzgeber alle irgend sonst in der Geschichte erwähnten Gesetzgeber an hohem Alter übertrifft.« Nicht-Juden, für die Josephus seine Theologie verfasste, nahmen Mose deutlich weniger enthusiastisch wahr. Dass die Juden Mose als ihren Gesetzgeber – beziehungsweise den Propheten, der von den Geboten (Mizwot) (2)kündete – ansahen, war Römern(1) wie Griechen(2) bekannt. Im späten 4. Jahrhundert v. d. Z. bezeichnete ihn Hekataios(1) von Abdera als »hervorragend sowohl hinsichtlich seiner Weisheit als auch seines Mutes«. Andere hingegen griffen Mose als Scharlatan und Betrüger an – Quintilian(1), ein Zeitgenosse des Josephus und bedeutender römischer Rhetoriklehrer, ging so weit, Mose(7) als Beispiel dafür anzuführen, dass es »für die Gründer von Städten eine Schmach [ist], ein Volk gesammelt zu haben, das anderen Verderben bringt«, wobei er nicht einmal den Namen des Besagten nennen musste – er bezeichnete ihn lediglich als den »Stifter des jüdischen Aberglaubens«. Je mehr Außenstehende das Judentum angriffen, desto nachdrücklicher beharrte ein frommer Jude wie Josephus auf der Vortrefflichkeit seiner Verfassung, welche »Gott, den Lenker des Weltalls, an die Spitze stellt«. Und rhetorisch fragt Josephus: »Wo wäre eine gleich ehrwürdige Staatsverwaltung zu finden? Wo eine, die mit der Ehrfurcht gegen Gott in schönerem Einklang stünde? Wenn alle Schichten des Volkes zur Frömmigkeit erzogen werden, … sieht das nicht aus, als ob das gesamte öffentliche Leben eine einzige heilige Festfeier wäre?«[3]

Der Unterschied zu anderen Völkern veranlasste Josephus(3) auch, zu versichern, dass sämtliche Juden in allem übereinstimmen, was ihre Religion betrifft, weil sie nämlich in den Gesetzen, die ihr Leben bestimmen, unterwiesen werden, so dass diese Gesetze »in unsere Seelen sozusagen eingegraben sind«:

Dies vor allem hat die wunderbare Eintracht unter uns geschaffen. Denn eine und dieselbe Überzeugung von Gott haben, im Leben und in den Sitten sich nicht voneinander unterscheiden – das bringt die schönste sittliche Übereinstimmung unter den Menschen zustande. Wir sind die einzigen, bei denen man keine sich widersprechenden Ansichten von Gott hört, wie solches vielfach bei anderen Völkern der Fall ist, wo oft nicht nur der gemeine Mann seine unsinnigen Einfälle über die Gottheit verlauten lässt, sondern auch manche Philosophen das gleiche tun, indem die einen das Dasein Gottes überhaupt zu leugnen sich erkühnen, andere wenigstens seine Fürsorge für die Menschen in Abrede stellen. Auch in Bezug auf die Lebensweise sieht man bei uns keine Verschiedenheiten; vielmehr ist unser aller Tun ein gemeinsames, getragen von dem einheitlichen, dem Gesetz entsprechenden Bekenntnis, dass Gottes Auge alles sieht.[4]

Im weiteren Verlauf dieses Buches kristallisiert sich heraus, dass die »Einheit« und »Einförmigkeit« hinsichtlich der Glaubenspraxis und der Glaubensinhalte, durch die sich die Juden von den Griechen(3) und anderen Polytheisten in der antiken Welt – mit deren Vielzahl an Gottheiten, Kulten, Mythen und Gepflogenheiten – unterschieden, nicht nur damals, sondern im Verlauf seiner gesamten Geschichte immer noch viel Raum ließ für Vielfalt und Diversität innerhalb des Judentums.

Eine Geschichte des Judentums ist keine Geschichte der Juden – und doch ist das Judentum die Religion des jüdischen Volkes. Dieses Buch wird daher die politische und kulturelle Geschichte der Juden nachzeichnen, sofern sie von ihren religiösen Vorstellungen und Praktiken beeinflusst ist. Zugleich ist das Judentum eine Weltreligion – nicht nur in dem Sinn, dass das jüdische Volk durch die Umstände gezwungen war, sich im Lauf der Jahrtausende weit zu zerstreuen, so dass seine religiösen Vorstellungen häufig, sei es durch Übernahme oder Ablehnung, die weitere nicht-jüdische Welt reflektierten, in der es sich vorfand. Das Judentum ist nicht so markant von der ethnischen Zugehörigkeit losgelöst wie einige andere Weltreligionen, etwa das Christentum(1), der Islam(1) oder der Buddhismus(1) (obwohl auch innerhalb dieser Religionen religiöse Identität manchmal ein ethnisches oder kulturelles Kennzeichen sein kann). Jüdische Identität wurde aber – lange bevor sich Josephus(4) über die Vortrefflichkeit der Verfassung äußerte, die Mose(8) zugeschrieben wurde – ebenso sehr durch Religion wie durch Geburt definiert. Spätestens im 2. Jahrhundert v. d. Z. akzeptierten fast alle Juden diejenigen Proselyten – also zum Judentum übergetretenen Ungläubigen – als Juden, die jüdische Bräuche übernehmen und sich selbst als Juden bestimmen wollten. Während der längsten Zeiträume der Geschichte, die Gegenstand dieses Buchs ist, hatte das Judentum das Potential, eine universelle Religion zu sein. Juden waren überzeugt, dass ihre Religion allgemein bedeutsam ist, obgleich Juden es (im Unterschied zu den Christen) nie als ihre universelle Mission ansahen, andere zu ihrer Religion zu bekehren.[5]

Der Versuch, die religiösen Aspekte der jüdischen Kultur über rund drei Jahrtausende hinweg herauszustellen, zu beschreiben und zu erklären, ist eine Aufgabe, die einen einzuschüchtern vermag – nicht nur aufgrund der Überfülle an Material und des Ausmaßes der damit einhergehenden Gelehrsamkeit. In den letzten 2000 Jahren gab es eine große Vielfalt von Ausprägungen des Judentums. Einfach wäre es, das Wesen des Judentums im Licht jener Charakteristika zu bestimmen, die von dem einen oder anderen seiner gegenwärtigen Zweige als zentral angesehen werden, und die Entwicklung dieser Charakteristika im Verlauf der Jahrhunderte nachzuverfolgen.

Dergleichen historische Darstellungen wurden in vergangenen Jahrhunderten tatsächlich verfasst. Allerdings ist es offenkundig unbefriedigend, anzunehmen, das, was heute wesentlich zu sein scheint, habe schon immer als wesentlich gegolten. Jedenfalls darf man nicht davon ausgehen, es habe innerhalb des Judentums schon immer eine Hauptströmung gegeben und andere Auffassungen der Religion halte man für »Nebenflüsse«. Das Bild eines großen Traditionsstroms oder auch eines Baums mit zahlreichen Ästen ist zwar verführerisch, aber gefährlich, denn die wichtigsten Aspekte des heutigen Judentums haben unter Umständen kaum eine Verbindung zur Antike. So versteht es sich beispielsweise von selbst, dass die zentrale liturgische Handlung vor 2000 Jahren – die Durchführung des Opferkultes im Tempel von Jerusalem(2) – wenig mit den meisten Formen des Judentums heute zu tun hat.[6]

Um zu vermeiden, der Geschichte des Judentums ein erfundenes Narrativ überzustülpen und daraus die Prioritäten der Jetztzeit abzuleiten, könnte man nun versuchen, so objektiv wie möglich die unterschiedlichen Formen von Judentum zu beschreiben, die jeweils zu ihrer Zeit in Blüte standen. Man könnte dann der Familienähnlichkeit zwischen diesen unterschiedlichen Formen die Rechtfertigung dafür überlassen, dass man sie alle im Rahmen einer einzigen historischen Darstellung behandelt. Für diese pluralistische Herangehensweise spricht vieles, allerdings muss sie für sich genommen doch eher unbefriedigend wirken, da Außenstehende schon immer dazu neigten, das Judentum als eine einheitliche Religion wahrzunehmen, so vielfältig es, von innen betrachtet, auch sein mochte. Der Gemeinplatz von der Tugend der Einheit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft kommt im religiösen jüdischen Schrifttum bereits seit der Bibel vor. Brächte der Historiker nichts weiter zustande, als eine Unmenge an befremdlichen Ausprägungen des Judentums in den vergangenen Jahrhunderten zu beschreiben, ohne Verbindungen zwischen ihnen herzustellen, hätte man am Ende ein Kuriositätenkabinett, das den Leser einerseits amüsiert, andererseits verwirrt. Allerdings gäbe es keine Geschichte, die erklären könnte, warum das Judentum sich auf eine bestimmte Weise entwickelt hat und noch heute eine Religion ist, die das Leben von Millionen von Menschen bestimmt.

Die Vorgehensweise dieses Buchs ergibt sich daher aus einer Verknüpfung der nicht apologetischen, zeitlich zusammenhängend erzählten Geschichten früherer Generationen und der »polythetischen« Beschreibungen durch zeitgenössische Gelehrte, denen es darauf ankommt, für die Ansprüche sämtlicher Traditionen offen zu bleiben. Das Buch verfolgt die unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums, von denen man weiß, dass sie zu einer bestimmten Zeit jeweils nebeneinander existierten, und untersucht dann – soweit die Zeugnisse es zulassen – die Beziehungen zwischen diesen. Dieses Buch versucht zu ermitteln, wann und wo unterschiedliche Zweige des Judentums miteinander um Legitimität und Anhänger konkurrierten und wann und wo eine Richtung die andere tolerierte, sei es in einem Geist offener Zustimmung oder widerstreitender Animositäten.[7]

Das Judentum hat eine reiche Geschichte an Zerwürfnissen: Teilweise stritt man sich wegen Angelegenheiten, die dem Außenstehenden unbedeutend erscheinen dürften. Trotz der Rhetorik, die von religiösen Enthusiasten gegen ihre Gegner zum Einsatz gebracht wurde, kam es zwischen Juden kaum zu religiös motivierter Gewalt. Die biblische Geschichte von Pinhas(1), der das Gesetz selbst in die Hand nahm, um der Unmoral ein Ende zu bereiten, indem er mit einem einzigen Speerstich einen lasterhaften Israeliten(2) und die Götzendienerin durchbohrte, die dieser in seine Familie gebracht hatte, lieferte ein Vorbild für Zelotismus, worauf allerdings nur selten Bezug genommen wurde. Es gibt im Judentum nichts, was sich mit den Religionskriegen der Christen(2) im Europa der Frühmoderne vergleichen ließe oder mit der tiefen Feindseligkeit, die zeitweise die Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten(1) im Islam(2) gestört hat. Dieses Buch erkundet unter anderem das Ausmaß an Toleranz innerhalb des Judentums.[8]

Gleichzeitig muss eine historische Darstellung versuchen, die Entwicklungen innerhalb des Judentums von einer geschichtlichen Phase zur nächsten nachzuzeichnen. Wenn irgend möglich versuche ich zu zeigen, wie jede Form des Judentums beanspruchte, auf einer Form vorangegangener Generationen zu beruhen. Zudem werden einzelne Elemente früherer Traditionen identifiziert, auf die aktuell abgehoben werden sollte. Da die Anhänger der meisten Ausprägungen des Judentums ihre Treue zur Vergangenheit betonten, dürfte es befremden, dass sich so viele unterschiedliche Varianten ausbildeten. Hinter konservativen Verlautbarungen verbargen sich offensichtlich häufig Wandel und Erneuerung. Diese Geschichte des Judentums wird zwischen Erneuerungsbemühungen, die das religiöse Leben der Juden in späteren Epochen beeinflusst haben, und jenen, die sich als Sackgassen erwiesen, unterscheiden.

Eindeutig zu bestimmen, wer ein Jude ist, fällt grundsätzlich schwer. Die Vorstellung, jüdische Identität sei vor dem Anbruch der Moderne mit ihren Komplexitäten eine sichere, unproblematische Angelegenheit gewesen, ist falsch. In allen historischen Phasen kam es vor, dass diejenigen, die sich selbst als Juden verstanden, nach der Auffassung anderer gar keine Juden waren. Bereits zur Zeit des Josephus(5) gab es Unsicherheiten im Hinblick auf den Status eines Kindes mit nur einem jüdischen Elternteil – ungefähr im 1. Jahrhundert n. d. Z. begannen Juden, den Status der Mutter, nicht den des Vaters, als ausschlaggebend anzusehen. Damals wie heute konnte es vorkommen, dass die Konversion eines Heiden zum Judentum von der einen jüdischen Gruppierung anerkannt wurde, von einer anderen hingegen nicht.

In diesem Buch soll nach dem praktikablen Gesichtspunkt vorgegangen werden, dass alle Individuen oder Gruppen einbeschlossen sind, die sich mit allen dreien der wichtigsten Namen identifizieren, mit denen Juden sich in ihrer Geschichte selbst bezeichnet haben: »Israel(2)«, »Hebräer« und »Jude« haben jeweils spezifische Ursprünge, wurden allerdings später von Juden fast synonym verwendet. Die Entscheidung einiger Gruppen, die sich vom Judentum abspalteten, wie die Samaritaner(1) und einige frühe Christen(3), sich im bewussten Unterschied zu »Jude« als »Israel« zu bezeichnen, markierte dagegen einen klaren Bruch.

Auch für die Juden, die im »Schoß der Familie« blieben, konnten die Konnotationen dieser unterschiedlichen Benennungen stark voneinander abweichen. Im Englischen klang das Wort »Hebräer« für einen Juden im 19. Jahrhundert eher höflich, mittlerweile könnte es etwas anstößig wirken. Französische(2) Juden im 19. Jahrhundert bezeichneten sich als »israélites«, und erst kürzlich hat »juif« seinen abwertenden Beigeschmack verloren. Die terminologischen Verschiebungen, die bei Hebräisch und Griechisch sprechenden Juden im Hinblick auf ihre Selbstbezeichnungen zu Zeiten politischer Unsicherheiten im 1. Jahrhundert n. d. Z. auftraten, lassen vermuten, dass dies kein neuzeitliches Phänomen ist. Alles hängt vom Kontext ab, und der Kontext hilft seinerseits, viele Entwicklungen innerhalb des Judentums zu erörtern. Dieses Buch befasst sich mit der allgemeinen Geschichte großer Teile des Nahen und Mittleren Ostens und Europas sowie (für spätere Perioden) mit Amerika und noch weiter entfernten Regionen, um jene religiösen Veränderungen zu erklären, die sein Hauptanliegen darstellen.

Der Einfluss, den Weltereignisse auf Juden haben, hat also die Perioden geprägt, in welche die Geschichte des Judentums in diesem Buch aufgeteilt ist: von den Imperien des Nahen Ostens, Griechenlands(4) und Roms(2) zur Christianisierung Europas, dem gewaltigen Einfluss des Islam(3) und der Schaffung der modernen Welt seit der Renaissance über die Aufklärung bis hin zur komplexen jüdischen Welt der Gegenwart, in welcher die Schicksale vieler Juden, die in der Diaspora leben, eng mit dem Nationalstaat Israel(3) verknüpft sind.

Lediglich eine einzige Periode ist durch ein Ereignis definiert, das eigens zur jüdischen Geschichte gehört. Mit der Zerstörung des Zweiten Tempels von Jerusalem(3) im Jahr 70 n. d. Z. begann eine neue Ära in der Entwicklung des Judentums, die sich tiefgreifend auf seine sämtlichen Formen, die bis heute überlebt haben, auswirkte. Wahrscheinlich konnte damals kein Jude auch nur ahnen, wie tiefgreifend sich seine Religion infolge der Tempelzerstörung verändern sollte. Nichtsdestoweniger ist es angemessen, das Jahr 70 als Wasserscheide in der Geschichte des Judentums zu verstehen – nicht zuletzt um die christlichen(4) theologischen Auffassungen vom Judentum zu korrigieren. Diese begreifen das Judentum als Religion des »Alten Testaments«, das durch das aufkommende Christentum verdrängt und überflüssig gemacht worden sei. Das Judentum der Rabbinen(4), das die Religion sämtlicher Juden in der modernen Welt geprägt hat, entwickelte sich faktisch während des ersten Jahrtausends parallel zur christlichen Kirche. Das rabbinische Judentum basiert auf der Textsammlung, die von den Christen als Altes Testament bezeichnet wird, von den Juden als Tenach, die Hebräische Bibel. Die Rabbinen(5) bezeichneten insbesondere den Pentateuch(3), die ersten fünf Bücher der Hebräischen Bibel, als Tora(6) (»Lehre«, »Weisung«). Denselben Begriff Tora(7) verwendeten sie außerdem für sämtliche Weisungen, die dem jüdischen Volk durch göttliche Offenbarung zuteil wurden. Die Rabbinen(6) lasen die Bibel jedoch nicht nur wortwörtlich. Durch die Entwicklung von Techniken des Midrasch(4) (»Auslegung«) fügten sie in die Halacha(3) (das »Gesetz«) ihre Interpretationen der biblischen Texte in Verbindung mit Rechtsregelungen ein, die durch Gewohnheit und mündliche Überlieferung weitergegeben worden waren. Faktisch ist die Halacha(4), vor allem in der Form, in der sie im Babylonischen(3) Talmud(4) erhalten ist, ebenso fundamental für das rabbinische Judentum wie die Bibel.

Im Lauf der Jahrhunderte wurde das Judentum in einer großen Bandbreite von Sprachen formuliert, die diese umgebenden Kulturen reflektierten. Die Nationalsprache der Juden ist das Hebräische. Doch es findet sich in der Bibel außerdem Aramäisch(2) (die Volkssprache des Nahen Ostens im 1. Jahrtausend v. d. Z.). Die meisten jüdischen Schriften, die aus dem 1. Jahrhundert n. d. Z. erhalten sind, wurden in Griechisch, grundlegende Werke der jüdischen Philosophie seit dem Mittelalter auf Arabisch verfasst.

In einem in englischer(1) Sprache geschriebenen Buch ist es heikel, Nuancen angemessen zu vermitteln, die zu den unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Welten gehören, aus denen diese Texte hervorgingen. Ebenso prekär ist es, das Ausmaß zu verdeutlichen, wie Juden immer wieder begreifen mussten, dass sich Fachausdrücke oder Benennungen völlig unterschiedlichen Ursprungs auf ein und dieselbe Sache bezogen. Der Landstreifen an der Ostküste des Mittelmeers, der, wie es in der Bibel heißt, dem jüdischen Volk versprochen worden war, wird in den frühesten biblischen Texten als Kanaan bezeichnet, in anderen Bibelstellen aber auch als das Land Israel(4). Im persischen(2) Reich war dieser Landstreifen als Provinz Jehud bekannt, unter griechischer(5) Herrschaft als Judäa(1); vom römischen(3) Staat wurde die Region im Jahr 135 n. d. Z. zur Provinz Syro-Palästina(4) erklärt. Auf den heutigen Leser mag das manchmal verwirrend wirken, doch die Entscheidung für einen bestimmten Namen war häufig bedeutsam, und ich habe, so weit irgend möglich, die Quellen für sich selbst sprechen lassen.

Mein Versuch, eine objektive Geschichte des Judentums zu präsentieren, mutet manchen Lesern höchstwahrscheinlich naiv an. Viele von den großen Gelehrten der »Wissenschaft des Judentums«, mit welcher die wissenschaftliche Beschäftigung mit der jüdischen Geschichte im Europa des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, verfassten ihre Abhandlungen in der Hoffnung, ihre Versuche, die alten jüdischen Quellen kritisch – das heißt unbeeinträchtigt von traditionellen rabbinischen Interpretationen – auszuwerten, könnten dazu benutzt werden, Authentizitätsansprüche vonseiten der einen oder anderen Strömung des Judentums ihrer jeweiligen Gegenwart zu untermauern. Mit der Einführung der Judaistik (Jüdische Studien) als anerkannte wissenschaftliche Disziplin an den Universitäten des Westens, besonders seit den 1960er Jahren, sind dergleichen Beziehungen zu aktuellen religiösen Polemiken selten geworden. In Europa sind viele Professoren der Judaistik keine Juden und können mit einer gewissen Glaubwürdigkeit behaupten, dass sie sich ihrem Thema leidenschaftslos annähern, obwohl christliche(5) oder atheistische Vorannahmen natürlich bei ihnen ebenfalls Einseitigkeiten zur Folge haben.

Meine Ausgangssituation ist eine andere: Ich bin in einer Familie englischer(2) Juden geboren, die ihre jüdische Identität ernst nahm. Das Arbeitszimmer meines Vaters war angefüllt mit Büchern über das Judentum, die er von seinem Vater geerbt hatte, der über viele Jahre hinweg Sekretär der Londoner(1) Gemeinde der spanischen(2) und portugiesischen(1) Juden gewesen war und selbst auch Bücher – unter anderem auch eine Geschichte der Juden – geschrieben hatte. Die Familie beschränkte ihre religiöse Praxis überwiegend auf das Schabbat-Essen am Freitagabend, den jährlichen Familienseder(3) – eine zeremonielle Mahlzeit zum Auftakt des Pessach(6)festes – und gelegentliche Besuche der Gottesdienste in der Bevis-Marks-Synagoge. Meine persönliche Entscheidung als Teenager für eine mehr observante Lebensweise war eine Art harmlose Rebellion (die meine Familie mit bewundernswerter Geduld ertrug). Wahrscheinlich spielt es eine Rolle, dass ich in der Oxford Jewish Congregation (der jüdischen Gemeinde in Oxford) eine Heimat gefunden habe; diese jüdische Gemeinde ist für England insofern ungewöhnlich und einzigartig, als sie nicht nur orthodoxe Gottesdienste feiert, sondern auch Progressive und Masorti(2) bei sich aufnimmt. Wieweit dieser Hintergrund meine Wahrnehmung dessen beeinflusste, was in der Entwicklung des Judentums zentral und was eher randständig war – das zu beurteilen überlasse ich den Lesern.

Nicht immer war es möglich, ohne Weiteres zwischen einer Geschichte der jüdischen Religion und der jüdischen Geschichte im weiteren Sinn zu unterscheiden. Die Vorstellung von »Religion« als einem separaten Lebensbereich war ein Produkt der westlichen christlichen(6) Kultur seit der Aufklärung, und sie hatte keine Entsprechung in der antiken Welt, da die Beziehung der Menschen zum Göttlichen vollständig in ihr übriges Leben integriert war. Die nächste Entsprechung zu »Religion« in der alten hebräischen Sprache war Tora(8)(»Weisung«): die Führung, die Israel(5) von der göttlichen Offenbarung zuteil geworden war und die auch Lebensbereiche umfasste, welche in anderen Gesellschaften als säkular eingestuft wurden, so etwa das bürgerliche und das Eherecht. Daher stellt dieses Buch neben den theologischen Inhalten auch Sitten und Gebräuche umfassend dar. Systematische Theologie hat im Judentum – zumeist unter dem Einfluss äußerer Anregungen wie der griechischen(6) Philosophie, dem Islam(4) oder der europäischen Aufklärung – nur eine marginale Rolle gespielt; das heißt aber keineswegs, dass das Judentum sich eher als Orthopraxie denn als Orthodoxie definieren ließe. Eines der Ziele dieses Buchs ist es, die Bedeutung von Ideen an vielen Schnittpunkten in der Geschichte der Juden und ihrer Religion herauszustellen. Im Grunde bleiben bestimmte religiöse Ideen für die gesamte Geschichte des Judentums bedeutsam und lassen moderne Vorstellungen wie ein säkulares Judentum, also eine Richtung, die sich von jeglichem Glauben an Gott verabschiedet hat, als problematisch erscheinen.

Die wichtigste Idee ist die Vorstellung eines Bundes(3), der Gott in besonderer Weise an das jüdische Volk bindet und diesem dafür besondere Pflichten auferlegt. In seiner gesamten Geschichte besteht der zentrale Anspruch des Judentums darin, dass seine universelle Bedeutung in der Beziehung Gottes zu einer von Gott auserwählten Gruppe besteht.

In diesem Buch geht es also ebenso sehr um Glaubensinhalte und Ideen wie um Gebräuche, Institutionen und Strukturen von Gemeinschaften. Ich habe mich nach Kräften bemüht, die gelebte Religion der Masse gewöhnlicher Juden im Lauf der Jahrhunderte zu beschreiben, neben Darstellungen von Innovationen und den exotischen Werdegängen von Querdenkern, die sich in historischen Aufzeichnungen häufig finden. Ich habe mich auch bemüht, für die Möglichkeit offen zu bleiben, dass Bewegungen und Ideen, die in den erhaltenen Quellen nur schemenhaft erkennbar sind, zu ihrer Zeit viel wichtiger waren, als es in der Tradition später zum Ausdruck kam. Die zufällige Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer im Jahr 1947 in Höhlen bei Qumran(1) zeigte eine Strömung des Judentums, die zwei Jahrtausende lang in Vergessenheit geraten war. Als die frühen Rabbinen(7) der ersten beiden Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, deren Rechtslehren in der Mischna(5) und Tosefta(2) des 3. Jahrhunderts überliefert sind, oder ihre Nachfolger, deren Kommentare um 600 n. d. Z. in den Babylonischen(4) Talmud(5) Eingang fanden, als diese Männer auf die biblische Periode der Entwicklung des Judentums zurückblickten, da unterschieden sich die Lehren, die ihnen als die wichtigsten erschienen, bereits stark von den zentralen Anliegen ihrer Vorfahren.

Wann beginnt die Geschichte des Judentums? Beim Patriarchen Abraham, der als Erster erkannte, dass es nur einen Gott gibt? Bei (9)Mose, der am Berg Sinai von seinem Gott das Gesetz empfing? Vielleicht auch Jahrhunderte später, mit Esra(1), der die Verehrung von JHWH durch die Israeliten spirituell und liturgisch erneuert und gefestigt hat und als einer der Begründer des eigentlichen Judentums gilt? Oder mit der Fertigstellung der meisten biblischen Bücher im 2. Jahrhundert v. d. Z.? Jede dieser Optionen lässt sich begründen, doch ich habe beschlossen, noch später zu beginnen, im 1. Jahrhundert n. d. Z. Damals wurde das Judentum als eine ausgeprägte Form religiösen Lebens beschrieben, und Josephus(6) blickte in das zurück, was er als die Nebel der Vergangenheit wahrnahm, um die Theologie, die kodifizierten Texte, die Gebräuche und Einrichtungen der voll ausgebildeten Religion zu erklären, zu der er sich selbst stolz bekannte.

Wir werden sehen, dass der lange Prozess, durch den sich diese Religion in den Jahrhunderten zuvor ausgeprägt hatte, manchmal zum Stocken kam, und unser Wissen um diesen Prozess bleibt auf unbefriedigende Weise Stückwerk. Im Herzen der Bibel findet sich die Geschichte der Herausbildung der unverwechselbaren Religion der Juden, doch die Ungewissheit, was Datierung und Entstehungsumstände zentraler biblischer Texte sowie die Bedeutung archäologischer Befunde aus biblischer Zeit angeht, hat zu bemerkenswert unterschiedlichen Interpretationen der Geschichtlichkeit dieser Berichte geführt. Die Rabbinen(8) erbten die biblische Tradition, gingen mit ihr jedoch überwiegend ahistorisch um.

Wir sind in der glücklichen Lage, über eine ausführliche Darstellung aus dem 1. Jahrhundert n. d. Z. zu verfügen, kurz nachdem man anfing, die Bibel als heilige Schrift anzusehen. In seiner Abhandlung erklärte ein kundiger »Insider« die Geschichte der Juden und die Entwicklung ihrer Religion. Mit den Traditionen der Juden kannte er sich aus und war mit den seinerzeit fortschrittlichsten Techniken vertraut, wissenschaftlich die Vergangenheit zu erforschen. Der Verfasser dieses Berichts war Josephus(7), und mit seinen Altertümern beginnen wir.

Teil I

Ursprünge (2000 v. d. Z.–70 n. d. Z.)

1  Wüsten, Stämme und Imperien

Gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. d. Z. blickte Josephus(8) stolz auf die Altehrwürdigkeit seines Volkes zurück und auf die bemerkenswert genauen hebräischen Aufzeichnungen, in welchen die Geschichte seines Volkes aufgehoben war. Ein Großteil dieser Geschichte hatte die nicht-jüdische Welt gar nicht wahrgenommen, und griechische(7) Autoren hatten den Juden bedauerlich wenig Aufmerksamkeit gezollt, aber diese Unkenntnis konnte behoben werden. Bevor er in seiner Schrift Gegen Apion jüdische Theologie darstellte, erstellte Josephus für Heiden eine fortlaufende Erzählung der jüdischen Geschichte von ihrem Beginn bis zu seiner eigenen Gegenwart. Es kann durchaus sein, dass seine 20 Bücher über Jüdische Altertümer überhaupt die erste derartige Erzählung waren.[1]

Josephus(9) schrieb im Schatten eines nationalen Traumas: Im Jahr 37 n. d. Z. war er als Sohn einer aristokratischen Familie auf die Welt gekommen und hatte in seinen frühen Jahren als Priester im Tempel gedient, bevor er 66 n. d. Z. als Anführer einer Gruppe von Aufständischen in den politischen Kampf gegen die imperiale Macht Roms(4) verwickelt wurde. Der Aufstand endete im Jahr 70 n. d. Z. mit der Zerstörung des Tempels. 67 n. d. Z. nahmen ihn die Römer gefangen. Weil er jedoch dem römischen General Vespasian(1), wie es hieß, prophezeit hatte, dieser würde später Kaiser werden, ließ man ihn frei, als sich die Weissagung erfüllte. Er verfasste seine sämtlichen Schriften im Umkreis des römischen Kaiserhofs und hatte es sich offensichtlich zur Lebensaufgabe gemacht, eine skeptische römische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Juden – soeben vom mächtigen Rom besiegt – in Wahrheit ein bedeutendes Volk mit einer weit zurückreichenden Geschichte waren, das durchaus die Aufmerksamkeit seiner Eroberer und der weiteren nicht-jüdischen Welt verdiente.[2]

Für Leser dieses Buchs, die die hebräische Bibel – für Christen(7) das Alte Testament – kennen, dürfte die erste Hälfte der Jüdischen Altertümer des Josephus(10) vertraut, aber auch gelegentlich irritierend sein. Die Bibel ist voller Geschichten über die jüdische Vergangenheit, allerdings sind diese nicht immer ohne Weiteres mit außerbiblischen Befunden in Einklang zu bringen. Es war im 1. Jahrhundert n. d. Z. ebenso schwierig wie heute, die Geschichte Israels zu biblischer Zeit zu rekonstruieren. Josephus folgte der biblischen Darstellung für die ersten zehn Bücher seiner Geschichte, allerdings mit Hinzufügungen und Auslassungen, die Rückschlüsse darauf erlauben, wie die Bibel zu seiner Zeit gelesen wurde. Sein Bericht ist eindrucksvoll, schlüssig und häufig lebhaft, und immer wieder werde ich Josephus selbst zu Wort kommen lassen. Er war ungeheuer stolz auf die Authentizität seiner Geschichte, für uns ist seine Ausführung nicht aufgrund ihrer Genauigkeit bedeutsam (an der häufig Zweifel angebracht sind), sondern aufgrund ihres Anspruchs, genau zu sein. Wir werden sehen, dass das Verständnis der Juden von ihrer Geschichte als Volk eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung ihrer Vorstellungen und Gebräuche spielte. Josephus bietet uns das früheste vollständige Zeugnis dieses historischen Verständnisses.

Es werden sich Gründe ergeben, die Verlässlichkeit einiger Überlieferungen anzuzweifeln, auf die er sich berief. Am Schluss dieses ersten Kapitels werde ich einige Vorschläge dazu machen, was vermutlich wirklich geschah, und zu dem Zeitpunkt, an dem es geschah. In sämtlichen Religionen gibt es Geschichten über die eigenen Ursprünge, und für die Schaffung der historischen Mythen, auf denen das Judentum sich gründete, spielt das, was tatsächlich geschah, eine viel geringere Rolle als das, wovon die Juden glaubten, dass es geschehen wäre. Und für Letzteres ist der beste Zeuge Josephus(11), der sein Werk kurz nach der Fertigstellung der Bibel abfasste.

Josephus(12) begann seinen Bericht damit, seinen Lesern von »unserem (10)Gesetzgeber Mose« zu erzählen, von dessen Weisheit (wie sie im biblischen Text aufgehoben ist) fast alles in dieser Geschichte abhängt – so jedenfalls die Behauptung des Josephus. Die jüdische Geschichte beginnt für diesen also am selben Punkt wie die Bibel: mit dem, was (11)Mose über die Erschaffung der Welt und der Menschheit gesagt hatte und wie sich getrennte Völker nach der Sintflut zur Zeit Noahs(1) herausbildeten. Josephus hatte bereits die Hälfte des ersten Buchs der Jüdischen Altertümer mit Weltgeschichte gefüllt, bevor er begann, von den »Hebräern« und der Genealogie Abrahams zu sprechen; allerdings wurde der Leser hinsichtlich der überragenden Bedeutung Abrahams durchaus nicht im Unklaren gelassen, welcher »als Erster kühn erklärte, dass Gott, der Schöpfer des Alls, einer ist«; und ebenso wenig hinsichtlich seiner Bedeutung für die Geschichte der Juden, die sich daran anschloss.

Abraham, so Josephus(13), lebte ursprünglich in der chaldäischen(1) Stadt Ur; allerdings erregten seine religiösen Ideen unter den Chaldäern und den anderen Menschen Mesopotamiens(1) Unwillen, und er emigrierte in das Land Kanaan. Dort blieb er – abgesehen von einer kurzen Phase in Ägypten(5), als er eine Hungersnot in Kanaan umging – bis zu seinem Tod im Alter von 175 Jahren. Er wurde neben seiner Ehefrau Sarah in Hebron begraben, wo dann auch sein Sohn Isaak(1) in der Grabstätte seiner Vorfahren beigesetzt werden sollte.[3]

Josephus(14) fährt fort, ausführlich das Schicksal der Nachkommen Abrahams in Ägypten(6) zu beschreiben, nachdem Joseph(1), der Enkel des (2)Isaak, dorthin als Sklave verkauft, dann jedoch vom Pharao aufgrund seiner Fähigkeit als Traumdeuter auf eine überaus einflussreiche Position erhoben worden war. Joseph(2) konnte seinem Vater Jakob(2) und seinen vielen Brüdern eine Zuflucht bieten, als sie und ihre Herden von einer Hungersnot gezwungen wurden, Kanaan in südlicher Richtung zu verlassen. Zufrieden ließ die Familie sich in Ägypten nieder, allerdings weist Josephus nachdrücklich darauf hin, dass Jakob (3)auf seinem Sterbebett prophezeite, seine Nachkommen würden zu gegebener Zeit wieder in Kanaan siedeln können. Außerdem sollten die Gebeine Jakobs(4) und aller seiner Söhne, wie auch später diejenigen Josephs, dereinst in das Familiengrab in Hebron umgebettet werden.[4]

Die zweite Hälfte von Buch 2 der Altertümer des Josephus(15) thematisiert die Geschichte der Massenauswanderung von Jakobs Nachkommen aus Ägypten(7), nachdem die Ägypter neidisch auf den Wohlstand der Hebräer geworden waren – dieser Name für die Vorfahren der Juden wird hier im Bericht des Josephus zum ersten Mal erwähnt und gleich im nächsten Satz von einer Bezeichnung desselben Volks als »Israeliten«(3) abgelöst. Die Aufteilung des Volks in Stämme (benannt nach den Söhnen Jakobs(5) und im Fall der Halbstämme Ephraim(1) und Manasse(1) nach seinen Enkeln(1)(2)) wird von Josephus mit einer Verfügung (6)Jakobs erklärt, die dieser kurz vor seinem Tod artikulierte: Er befahl seinen Söhnen, »sie sollten die Söhne Josephs, Ephraim(3) und Manasse(2), in ihre Zahl aufnehmen und das Land Chananaea mit ihnen teilen.« Damit sollte Josephs außerordentliche Großzügigkeit gegenüber seinen Brüdern vergolten werden.

Die Hebräer, so Josephus(16), waren vierhundert Jahre lang harter Knechtschaft unterworfen, bevor sie unter der Führung von (12)Mose, dem Sohn Amrams(1), »einem Hebräer vornehmer Geburt«, befreit wurden. Mose(13) führte zusammen mit seinem Bruder Aaron(1) das Volk aus Ägypten(8) heraus und durch die Wildnis in Richtung Kanaan. Ihm selbst war es nicht vergönnt, das Ziel der Hebräer zu erreichen, obwohl er vierzig Jahre in der Wüste verbracht hatte, zu denen die dramatische Offenbarung am Berg Sinai gehörte, als er von Gott die Gebote erhielt und seinem Volk übergab. Seine letzten Tage waren in Geheimnis gehüllt: »Plötzlich ließ sich eine Wolke auf ihn herab, und er entschwand in ein Tal. In den heiligen Büchern aber hat er geschrieben, er sei gestorben, aus Furcht, man möchte sagen, er sei wegen seiner hervorragenden Tugenden zu Gott hinübergegangen.« Der nicht-jüdische Leser dieser Historie, der mittlerweile bereits am Ende des vierten Buchs in diesem langen Werk angelangt ist (und der damit ein Fünftel des Weges durch den gesamten Bericht hinter sich hat), könnte durchaus Grund gehabt haben, sich von einigen Aspekten der bis dato erzählten Geschichte irritiert zu fühlen, nicht zuletzt, weil Josephus nicht einen einzigen seiner Protagonisten als Juden bezeichnet hat, obwohl er doch in seiner Einleitung versichert hatte, er werde zeigen, »wer die Juden von ihren Anfängen an sind«. Nicht einmal die in Buch 1 wiedergegebene Geschichte über (7)Jakob, der von einem Engel den Namen »Israel(6)« erhält, erklärt seine Verwendung desselben Namens – eben Israel – für Juden generell.[5]

Der Teil der Nationalgeschichte, der sich daran anschloss, bot ein Muster, mit dem die Leser von Geschichtsdarstellungen eher vertraut waren: Es ging nun um Kriege und Politik. Die Hebräer, so Josephus(17), hatten unter dem Oberbefehl von Josua(1) eine Reihe von Feldzügen gegen die Kanaaniter unternommen, unter denen sich auch einige fürchterliche Riesen befanden, »die auf keine Weise anderen Menschen glichen« und deren »Knochen bis auf den heutigen Tag gezeigt werden, sie haben keinerlei Ähnlichkeiten mit solchen aus der Gattung der Menschen«. Das eroberte Land wurde unter dem Volk der Hebräer aufgeteilt, der landwirtschaftliche Erfolg hatte allerdings Wohlstand zur Folge, was wiederum zu eitlem Wohlleben und zur Vernachlässigung der Gebote führte, die Mose(14) dem Volk übergeben hatte. Die Strafe Gottes für dieses Nachlassen des Glaubenseifers kam in Form von verheerenden Bürgerkriegen, gefolgt von der Unterwerfung unter Fremde (Assyrer(1), Moabiter(1), Amalekiter(1), Philister(1)) und den heroischen Bemühungen mehrerer Richter, denen das Volk die Macht übertragen hatte, damit diese sie sowohl regieren als auch die Männer in der Schlacht gegen ihre Feinde anführen sollten. Einige Zeit später verlangte das Volk nach Königen als militärischen Führern: Der Richter Samuel(1), der bei seiner Geburt aufgrund göttlicher Erwählung zum Führer des Volkes bestimmt und bereits als elfjähriger Knabe ein unmittelbar von Gott geführter Prophet gewesen war, setzte – wenn auch widerwillig – in fortgeschrittenem Alter Saul(1) als ersten König der Juden ein, mit dem (in der Folge mehr als zur Genüge erfüllten) Auftrag, die benachbarten Völker zu bekämpfen.[6]

In diesem Teil seines Berichts beschreibt Josephus(18) das Schicksal des Volks – es wird, offensichtlich beliebig, wechselweise als Juden, Israeliten(4) und Hebräer bezeichnet – in einer Reihe lokaler Kriege. Die Amalekiter(2), ein Erbfeind, dessen Vernichtung Gott befohlen hatte, hörten nicht auf, Israel(7) zu schikanieren. Saul(2) griff nicht radikal genug durch; er wollte Agag(1) schonen, den König der Amalekiter, »weil er seine Schönheit und Gestalt bewunderte«. Ein permanent gefährlicherer Gegner waren die Philister(2), gegen die die Hebräer wiederholt ausrückten. Im Zuge dieser Aktionen errang sich ein neuer König – David(1) – einen Namen als Krieger. David(2) erhielt von Gott das Königtum nicht als Preis »für seine körperliche Wohlgestalt, sondern für die Tugend seiner Seele … Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Standhaftigkeit und Gehorsam«. Er war von Samuel(2) bereits im Geheimen gesalbt worden, als er noch ein Hirtenjunge war.[7]

Als Saul(3) im Kampf gegen die Amalekiter(3) fiel, komponierte David(3) Klagelieder für den toten König und seinen Sohn Jonathan(1): Diese Gesänge »haben bis in meine Gegenwart überlebt«, so Josephus(19). David(4) wurde von Gott durch einen Propheten unterrichtet, in welcher Stadt er über »den Juda(1) genannten Stamm« herrschen sollte: In Hebron sollte er sich niederlassen, während das übrige Land von einem überlebenden Sohn Sauls(4) regiert wurde. Das führte allerdings zu einem Bürgerkrieg, der sich über viele Jahre hinzog. Die Söhne seiner Gefolgsleute ermordeten schließlich Sauls(5) Sohn. »Sämtliche wichtigen Männer des Volks der Hebräer, die Feldherren von Tausenden und ihre Führer« kamen nach Hebron und gelobten David(5) Treue. Gott hatte David(6) als König auserwählt, um das Land der Hebräer zu befreien, indem er die Philister(3) besiegte.

Mit einer gewaltigen Streitmacht aus allen Stämmen und Halbstämmen (Juda(2), Simeon(1), Levi(1), Benjamin(1), Ephraim(4), Manasse(2), Issachar(1), Zebulon(1), Naphtali(1), Dan(1) und Ascher(1) sowie Ruben(1) und Gad(1) von der anderen Seite des Jordan) richtete David(7) in Hebron ein Fest aus, um seine Bestätigung als König zu feiern, und setzte sich dann in Richtung Jerusalem(4) in Marsch. Jerusalem war damals von Jebusitern »aus der kanaanitischen Rasse« bewohnt. Josephus(20) nennt keinen Grund für den Angriff. Als David(8) dann die Zitadelle erobert und Jerusalem wieder aufgebaut hatte, gab er dem Ort den Namen »Stadt Davids« und erwählte ihn zu seiner königlichen Residenz. Zwischen der ersten Eroberung Kanaans durch Josua(2) und der Einnahme Jerusalems durch David(9) waren 515 Jahre vergangen.[8]

Josephus(21) beschreibt ausführlich die großen Siege, die David(10) gegen die Philister(4) errang, und die Unterwerfung der Völker der Umgebung unter seine Herrschaft. Diese mussten ihm Tribut entrichten, und er häufte »solchen Reichtum an, wie es kein anderer König, weder ein König der Hebräer noch von anderen Völkern, je getan hat«. Nach seinem Tod wurde er in Jerusalem(5) mit so viel Geld beigesetzt, dass 1300 Jahre später ein jüdischer Hoher Priester eine der Kammern von Davids(11) Grab plünderte, um die Stadt von einem Belagerungsheer freizukaufen. Noch einmal viele Jahre später (lediglich ein Jahrhundert vor Josephus) öffnete König Herodes(1) eine weitere Kammer und entnahm ihr erneut eine große Summe.[9]

Obwohl er zuvor von dem nie übertroffenen Reichtum Davids(12) gesprochen hatte, beteuerte Josephus(22), allerdings völlig unlogisch, der Reichtum seines Sohnes und Nachfolgers Salomo(1) sei noch einmal größer gewesen und dessen Weisheit habe sogar noch jene der Ägypter bei Weitem überstiegen. Unbeeinträchtigt von ständigen Kriegen, die seinen Vater ganz in Anspruch genommen hatten, baute Salomo in Jerusalem(6) den gewaltigen Tempel für Gott, den David(13) zwar geplant, aber nie zu bauen begonnen hatte. Abschriften der von Salomo an Hiram(1), den König von Tyros, geschriebenen Briefe, in denen Salomo – im Austausch gegen Getreide – um Hilfe bei der Beschaffung von Zedern des Libanon für den Tempelbau bat, könnten, so Josephus, noch immer in den öffentlichen Archiven in Tyros eingesehen werden; dies könne jeder herausfinden, der bei den betreffenden Beamten nachfrage.

Salomo(2), der im Alter von 14 Jahren den Thron bestiegen hatte, regierte achtzig Jahre lang. Der Glanz seiner Herrschaft sollte allerdings nach seinem Tod, als sein Reich zweigeteilt wurde, nicht von Dauer sein. Rehabeam(1), der Sohn Salomos, herrschte lediglich über die Stämme Juda(3) und Benjamin(2) im Süden, in der Region Jerusalem(7). Hingegen richteten die Israeliten(5) des Nordens mit ihrer Hauptstadt Sichem(1) ihre eigenen Zentren für Opfergottesdienste in Bethel(1) und Dan(1) ein, mit anderen religiösen Gebräuchen. Damit wollten sie vermeiden, zur Anbetung nach Jerusalem zu gehen, in »die Stadt unserer Feinde«. In dieser Neuerung sah Josephus(23) »den Anfang der Missgeschicke der Hebräer, die dazu führten, dass sie von anderen Stämmen im Krieg besiegt wurden, und zu ihrer Gefangenschaft« – obwohl er zugesteht, dass die Verkommenheit von Rehabeam und seinen Untertanen in Jerusalem ihrerseits göttliche Bestrafung provozierte.[10]

Der Protagonist, mit dem die göttliche Rache begann, war der Ägypterkönig Schischak(1). Die Geschichte der folgenden Generationen hebräischer Könige wird in der Darstellung des Josephus(24) von den Einmischungen mächtiger Reiche (Ägpyten, Assyrien(1)(2) und Babylon) begleitet. Dazu gehörten auch Übergriffe weniger bedeutender regionaler Mächte, vor allem der Könige von Syrien(1) und Damaskus; ferner darf der Bürgerkrieg zwischen den Königen in Jerusalem(8) und den Königen der Israeliten(6) mit ihrer neuen Hauptstadt in Samaria(2) im Norden nicht unerwähnt bleiben. Das Schicksal des Königreichs (8)der Israeliten war besiegelt, als der König des assyrischen Reichs erfuhr, dass der König von Israel(9) versucht hatte, mit Ägypten(9) ein Bündnis zu schließen, um sich den assyrischen Expansionsbestrebungen zu widersetzen. Nach einer drei Jahre dauernden Belagerung wurde die Stadt Samaria im Sturm erobert, und alle zehn Stämme, die dort lebten, wurden nach Medien(1) und Persien(3) verschleppt. Man holte Menschen aus der Fremde, die das Land in Besitz nehmen sollten, aus dem die Israeliten vertrieben worden waren. Josephus, seines Zeichens Priester in Jerusalem, zeigte kein Mitgefühl: Das war die gerechte Strafe für ihre Übertretung der Gebote und ihren Aufstand gegen die Dynastie Davids(14). Die ins Land gebrachten Ausländer – die »Kutäer(1)« im Hebräischen, im Griechischen »Samaritaner« – übernahmen die Religion des von den Juden verehrten höchsten Gottes.[11]

Im Unterschied zu Samaria(3) blieb Jerusalem(9) damals aufgrund der Frömmigkeit seines Königs Hiskija(1) vom Angriff der Assyrer(3) verschont. Allerdings sollte auch Jerusalem später Opfer der überwältigenden Militärmacht eines großen Reiches werden. Es war eingeschlossen zwischen den Expansionsbemühungen der Babylonier(5), des Nachfolgereichs der Assyrer, und der Macht Ägyptens im Süden. Mehrere Könige von Jerusalem versuchten, eine Seite gegen die andere auszuspielen, doch gelang es ihnen letztlich nicht, die Verhältnisse zu stabilisieren. Nach einer entsetzlichen Belagerung von Jerusalem wurde König Sacchias(1) (biblischer Name: Zedekia(1)) gefangen genommen, geblendet und vom babylonischen König Nebukadnezar(1) nach Babylon hinweggeführt. Tempel und Palast in Jerusalem wurden bis auf die Grundmauern zerstört, und das Volk wurde nach Babylonien verschleppt. Juda(1) und Jerusalem blieben siebzig Jahre lang verlassen.[12]

Josephus(25) hatte nicht viel aufzubieten, um seine Leser über das Schicksal der Juden in Babylonien(6) zu informieren, abgesehen nur von der genauen Prophezeiung des Daniel(1), zuerst am Hof des Nebukadnezar(2) und dann am Hof von Belsazar – Letztere viele Jahre später, als Babylon von Kyros(1), dem König von Persien(4), und von Darius(1), dem König von Medien(2), belagert wurde. Daniel(2) legte geheimnisvolle Worte zutreffend aus, die während eines Festmahls an der Wand des Saales erschienen. Die Worte besagten, Gott werde das Königreich Babylon zwischen den Medern und den Persern aufteilen. Daniel(3) wurde zu einer bedeutenden Gestalt am Hof des Darius und baute in Ekbatana(1) eine Festung, »prachtvoll und wunderbar anzuschauen, die noch heute steht … In dieser Festung wurden die Könige der Meder, Perser und Parther(1) bestattet, und die Obhut über sie ist noch heute einem jüdischen Priester anvertraut.«[13]

Im ersten Jahr der Herrschaft des Kyros(2), so Josephus(26), ließ der König sich von einer alten Prophezeiung inspirieren, die er im Buch Jesaja gelesen hatte (das 210 Jahre zuvor entstanden war), der zufolge die jüdischen Vertriebenen in ihr Land zurückzuführen waren:

Also spricht der König Kyros(3): Da mich der allmächtige Gott zum König des Erdkreises gemacht hat, glaube ich, dass er es ist, den das Volk der Israeliten(7) anbetet. Er hat durch die Propheten meinen Namen vorhersagen und verkündigen lassen, dass ich seinen Tempel zu Jerusalem(10) in Lande Judäa(2) wieder aufbauen würde.

Der König ließ die vornehmsten Juden in Babylon vor sich kommen und erteilte ihnen die Erlaubnis, nach Jerusalem(11) zurückzukehren, um den Tempel wieder aufzubauen. Er stellte ihnen finanzielle Unterstützung von seinen Statthaltern in der Region Judäa(3) in Aussicht. Viele Juden zogen es vor, in Babylon zu bleiben, um ihre Besitztümer nicht zu verlieren. Einige aber kehrten nach Judäa zurück. Allerdings mussten sie feststellen, dass der Prozess des Wiederaufbaus von den benachbarten Völkern behindert wurde, vor allem von den Kutäern, welche die Assyrer(4) in Samaria(4) angesiedelt hatten, als die Stämme viele Jahre zuvor deportiert worden waren. Die Kutäer(2) bestachen die Satrapen vor Ort, die Juden am Wiederaufbau ihrer Stadt und ihres Tempels zu hindern. Der Widerstand war so erfolgreich, dass der Sohn des Kyros(4), Kambyses(1) – ein »schlechter Charakter« –, ausdrückliche Anweisungen erließ, es solle den Juden verboten werden, ihre Stadt wieder aufzubauen. Dann brachte jedoch eine Revolution in Persien(5) eine neue Dynastie an die Macht, deren erster Herrscher, Darius(2), ein langjähriger Freund Serubbabels(1) war, des Statthalters der jüdischen Gefangenen in Persien(6) und einer der Leibwächter des Königs. Serubbabel nutzte seinen Einfluss, um Darius daran zu erinnern, dass dieser einst, bevor er König geworden war, gelobt hatte, wenn es ihm gelänge, den Thron zu besteigen, dann würde er den Tempel Gottes in Jerusalem wieder aufbauen und die Tempelgefäße, die Nebukadnezar(3) als Kriegsbeute nach Babylon mitgenommen hatte, zurückgeben.[14]

Der Tempel wurde also tatsächlich wieder aufgebaut, und er wurde das Zentrum der Regierung für jene Juden, die nach Jerusalem(12) zurückgekehrt waren. Der letzte König von Jerusalem in der Zeit vor dem Exil war am babylonischen(7) Hof nach dem Tod Nebukadnezars(4) gut behandelt worden, doch die Königsherrschaft wurde nicht wieder eingeführt. Stattdessen hatten die Juden »eine Regierungsform, die sowohl aristokratisch als auch oligarchisch war«, mit Hohen Priestern an der Spitze der Staatsangelegenheiten. Sie hatten die sichere Unterstützung der Perser, abgesehen nur von der Zeit des Artaxerxes(1), als Machenschaften am persischen(7) Königshof, ausgelöst durch den Groll von Haman(1), dem Lieblingsminister des Königs, sämtliche Juden des Reichs in tödliche Gefahr brachten. Aus dieser Gefahr wurden sie nur durch das heroische Eingreifen Esters(2), der schönen jüdischen Ehefrau des Königs, errettet.[15]

Der Untergang des persischen(8) Reichs infolge der Eroberungszüge Alexanders(1) von Makedonien(1) hatte gravierende Folgen für die Juden, die anfangs dem persischen(9) König Darius(3) die Treue hielten. Als jedoch Alexander(2) persönlich Jerusalem(13) einen Besuch abstattete, plünderte er die Stadt nicht, wie seine Männer es von ihm erwarteten, sondern warf sich vor dem Hohen Priester nieder und brachte im Tempel Opfer dar. Josephus(27) kommentiert, der große Eroberer habe die Macht des jüdischen Gottes anerkannt. Die Samaritaner(5) beschlossen, sich als Juden zu bekennen, um Alexanders(3) Wohlwollen auch für ihre Stadt Sichem(2) zu erhalten, doch vergeblich: Als Alexander(4)