Die Geschichte wird mich freisprechen - Fidel Castro - E-Book

Die Geschichte wird mich freisprechen E-Book

Fidel Castro

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Beschreibung

Unter dem Titel »La historia me absolverá«, in Anlehnung an den letzten Satz seines Plädoyers, wurde die ausführliche Verteidigungsrede bekannt, die Fidel Castro am 16.   Oktober 1953 hielt, bei der vorletzten Gerichtsverhandlung in Santiago de Cuba gegen die Beschuldigten des Angriffs auf die Moncada-Kaserne in ebendieser Stadt und auf die Kaserne Carlos Manuel des Céspedes in Bayamo, jeweils am 26.   Juli desselben Jahres. Sie ist ein programmatisches Manifest, Anklageschrift, rechtliche, moralische, philosophische und politische Verteidigungsschrift des revolutionären Kampfes gegen die Tyrannei. »Die Geschichte wird mich freisprechen« ist damit von selbst zu einem Grundsatzdokument der Kubanischen Revolution und einem der wichtigsten Texte über das politische Denken und die revolutionäre Aktion Kubas und Lateinamerikas geworden.

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Fidel Castro

Die Geschichte wird

mich freisprechen

Zu diesem Buch

Unter dem Titel »La historia me absolverá«, in Anlehnung an den letzten Satz seines Plädoyers, wurde die ausführliche Verteidigungsrede bekannt, die Fidel Castro am 16. Oktober 1953 hielt, bei der vorletzten Gerichtsverhandlung in Santiago de Cuba gegen die Beschuldigten des Angriffs auf die Moncada-Kaserne in ebendieser Stadt und auf die Kaserne Carlos Manuel des Céspedes in Bayamo, jeweils am 26. Juli desselben Jahres. Sie ist ein programmatisches Manifest, Anklageschrift, rechtliche, moralische, philosophische und politische Verteidigungsschrift des revolutionären Kampfes gegen die Tyrannei. »Die Geschichte wird mich freisprechen« ist damit von selbst zu einem Grundsatzdokument der Kubanischen Revolution und einem der wichtigsten Texte über das politische Denken und die revolutionäre Aktion Kubas und Lateinamerikas geworden.

Fidel Castro, 1926 geboren, studierte Jura, Sozialwissenschaften und Internationales Recht. Er gilt als der am längsten amtierende Staatsmann der Geschichte: Ein halbes Jahrhundert stand der »Máximo Líder« an der Spitze Kubas. Er überdauerte neun US-Präsidenten und pflegte persönliche Kontakte zu den wichtigsten Köpfen der Welt. Er rauchte Zigarren mit Nikita Chruschtschow und Willy Brandt, empfing Papst Johannes Paul II., pflegte Freundschaften mit Gérard Depardieu und Ernest Hemingway.

Im Februar 2008 legte der kubanische Staats- und Parteichef sämtliche politischen Ämter nieder und übergab sie an seinen Bruder Raúl.

Fidel Castro

Die Geschichte wird

mich freisprechen

Aus dem Spanischen von Barbara Köhler

Mit einem Nachwort von Volker Skierka

Rotbuch Verlag

Wir danken der Botschaft der Republik Kuba in Berlin für

die freundliche Genehmigung der Neuübersetzung.

ISBN 978-3-86789-605-4

1. Auflage

© 2009 by Rotbuch Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Rotbuch Verlag, Katharina Fuchs

Umschlagabbildung: Hulton Archive / Stringer / Getty Images

Rotbuch Verlag

Alexanderstraße 1

10178 Berlin

www.rotbuch.de

1

Meine Herren Richter:

Noch nie hat ein Verteidiger seinen Beruf unter derart schwierigen Bedingungen ausüben müssen. Noch nie hat ein Angeklagter sich einer derart erdrückenden Last von Unregelmäßigkeiten gegenübergesehen. Der eine und der andere sind in diesem Fall ein und dieselbe Person.

Als Verteidiger hat diese Person nicht einmal die Prozessakten einsehen dürfen, als Angeklagter war sie seit nunmehr sechsundsiebzig Tagen unter Umgehung sämtlicher Vorschriften der Rechtsordnung und Gebote der Menschlichkeit in einer isolierten Gefängniszelle ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt eingesperrt.

Der Mann, der hier zu Ihnen spricht, verabscheut Eitelkeiten aus tiefster Seele und ist von Natur aus weder von Demagogie noch von Sensationslust getrieben. Die Tatsache, dass ich mich vor diesem Gericht selbst verteidigen muss, hat zwei Gründe: zum einen den, dass mir die Verteidigung praktisch vollständig versagt wurde. Zum anderen den, dass nur jemand, der so sehr verletzt wurde und sein Vaterland so schutzlos und nach Gerechtigkeit schreiend erlebt hat, unter diesen Umständen mit Worten sprechen kann, die wahrhaft aus tiefstem Herzen kommen.

Unzählige Kameraden haben für meine Verteidigung großzügig ihre Hilfe angeboten. Die Rechtsanwaltskammer von Havanna hat mir einen kompetenten und mutigen Gelehrten zur Verfügung gestellt: Dr. Jorge Pagliery, Ehrenvorsitzender der Anwaltskammer dieser Stadt. Aber sie haben ihn seiner Aufgabe nicht nachkommen lassen: Wann immer er mich sehen wollte, waren ihm die Gefängnistüren verschlossen. Erst nach eineinhalb Monaten und der Intervention des Gerichts wurde ihm ein zehnminütiges Gespräch mit mir im Beisein eines Unteroffiziers des militärischen Geheimdienstes gewährt.

Für gewöhnlich darf ein Anwalt mit seinem Mandanten ungestört sprechen – es sei denn, bei dem Angeklagten handelt es sich um einen kubanischen Kriegsgefangenen in den Händen eines skrupellosen Despotismus, der das Recht und die Gebote der Menschlichkeit nicht kennt. Weder Dr. Pagliery noch ich waren bereit, diese hinterhältige Überwachung unserer Gespräche über unsere Verteidigungstaktik in der mündlichen Verhandlung zu dulden.

Wollte das Regime vielleicht schon vorher erfahren, wie seine ungeheuerlichen Lügen, die es um die Ereignisse in der Moncada-Kaserne 1 gestrickt hatte, sich in Luft auflösen würden, und vermeiden, dass die schrecklichen Wahrheiten ans Licht kommen würden, die es mit aller Macht zu verschleiern suchte? In diesem Augenblick entschied ich, dass ich in meiner Funktion als Rechtsanwalt meine eigene Verteidigung übernehmen würde.

Diese Entscheidung, die von dem Unteroffizier des SIM 2 mit angehört und weitergegeben wurde, rief ungewöhnliche Befürchtungen hervor; als hätte ein lustiger Kobold sich einen Spaß daraus gemacht, die Nachricht zu verbreiten, dass es meine Schuld sei, wenn ihre Pläne nicht aufgehen würden. Und Sie wissen sehr gut, meine Herren Richter, welcher Druck auf mich ausgeübt wurde, um mir dieses in Kuba übliche Recht zu verwehren. Das Gericht konnte sich allerdings meiner Forderung nicht widersetzen, denn das hätte bedeutet, einem Angeklagten jegliches Recht auf Verteidigung zu versagen. Und dieser Angeklagte, der hier und heute sein Recht behauptet, wird unter keinen Umständen verschweigen, was er zu sagen hat. In erster Linie werde ich erklären müssen, wie es zu der grausamen Isolierung kam, der ich ausgesetzt war, und warum man mich zum Schweigen bringen wollte; warum die dem Gericht bekannten Pläne für meine Ermordung geschmiedet wurden; welche entscheidenden Tatsachen der Bevölkerung verschwiegen werden sollen und welches Geheimnis hinter all den seltsamen Vorkommnissen, die diesen Prozess bestimmt haben, steckt. Ich habe mir vorgenommen, diese Dinge in aller Klarheit auszusprechen.

2

Sie haben diesen Prozess als den bedeutendsten in der Geschichte der Republik bezeichnet, und wenn Sie das ehrlich geglaubt haben, dann hätten Sie nicht zulassen dürfen, dass Ihre Autorität derart der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Die erste Sitzung im Rahmen dieser Verhandlung fand am 21. September statt. Unter Hunderten von Maschinengewehren und Bajonetten, die auf skandalöse Weise in den Gerichtssaal eingedrungen waren, setzten sich mehr als einhundert Menschen auf die Anklagebank. Die Mehrheit dieser Leute hatte mit den Vorfällen nicht das Geringste zu tun. Sie waren lediglich bereits vor Tagen präventiv in Haft genommen worden, wo sie unsäglichen Schikanen und Misshandlungen durch die repressiven Truppen ausgesetzt waren; der Rest der Angeklagten jedoch, die kleinere Anzahl, zeigte sich stolz und fest entschlossen, seine Beteiligung am Kampf für die Freiheit kundzutun. Mit beispielhafter Selbstlosigkeit versuchten sie, diejenigen aus den Gefängniszellen zu befreien, die in böser Absicht in den Prozess mit hineingezogen worden waren. Jene, die bereits gegeneinander gekämpft hatten, standen sich erneut gegenüber, und wieder standen wir auf der Seite der Gerechtigkeit, im Kampf der Wahrheit gegen die Niederträchtigkeit. Und offensichtlich war das Regime auf die moralische Katastrophe, die es heimsuchen würde, nicht gefasst!

Wie sollten sie ihre falschen Anschuldigungen aufrecht­erhalten? Wie wollten sie verhindern, dass die wahren Ereignisse bekannt würden, wenn diese jungen Menschen bereit waren, jedes Risiko auf sich zu nehmen – Gefängnis, Folter und im schlimmsten Fall auch den Tod –, um all jene Dinge vor Gericht anzuklagen?

In dieser ersten Sitzung sollte ich meine Aussage machen und wurde zwei Stunden lang befragt. Ich beantwortete die Fragen des Herrn Staatsanwalts und der zwanzig Anwälte der Verteidigung. Mit exakten Zahlen und Angaben konnte ich nachweisen, wie viel Geld wir aufgewendet hatten, wie wir dazu gekommen waren und welche Waffen wir wie beschafft hatten. Ich hatte nichts zu verbergen, denn wir hatten das alles mit einer für diese Republik beispiellosen Opferbereitschaft aller Beteiligten erreicht. Ich sprach über die Ziele unseres Kampfes und die menschliche, großmütige Haltung, die wir gegenüber unseren Gegnern eingenommen haben. Durch die mutige Unterstützung meiner Gefährten konnte ich beweisen, dass die hier falsch Beschuldigten weder direkt noch indirekt an den Aktionen beteiligt waren, denn ich sagte, dass sie sich für ihre revolutionäre und patriotische Haltung weder schämen müssten noch sie bereuen würden – auch dann nicht, wenn sie die Konsequenzen zu spüren bekämen. Obwohl es mir während der ganzen Zeit im Gefängnis zu keinem Zeitpunkt erlaubt war, mit ihnen zu sprechen, taten wir dennoch alle das Gleiche. Wenn die Menschen dasselbe Ideal haben, dann kann nichts und niemand die Kommunikation zwischen ihnen unterbinden – weder die Wände der Zellen noch die Erde auf den Friedhöfen, denn es ist dieselbe Erinnerung, dieselbe Seele und dieselbe Idee, dasselbe Bewusstsein und dieselbe Würde, die uns allen Hoffnung gibt.

Von diesem Augenblick an begann das Lügengebäude, das die Regierung um die Geschehnisse herum errichtet hatte, wie ein Kartenhaus einzustürzen, sodass selbst der Herr Staatsanwalt einsehen musste, wie absurd es war, all die Menschen in den Gefängnissen festzuhalten, die der intellektuellen Urheberschaft angeklagt waren, und umgehend ihre einstweilige Freilassung beantragte.

Am Ende meiner Aussage in dieser ersten Sitzung bat ich das Gericht um Erlaubnis, die Anklagebank verlassen und einen Platz zwischen den Anwälten der Verteidigung einnehmen zu dürfen, was mir gewährt wurde. Hier begann für mich die wichtigste Mission dieser Gerichtsverhandlung: die vollständige Demontage der schamlosen Lügen, die sie über unsere Kämpfer verbreitet hatten, und die Erbringung des unwiderlegbaren Beweises für die grauenhaften und abscheulichen Verbrechen, die sie gegen die Gefangenen begangen hatten. So zeigten wir der Nation und der Welt das wahre Gesicht dieses Regimes sowie das unendliche Leid, dem dieses Volk ausgesetzt ist, das die schrecklichste und unmenschlichste Unterdrückung seiner Geschichte erlebt.

Die zweite Sitzung fand am Dienstag, den 22. September, statt. Gerade einmal zehn Personen hatten ihre Aussage gemacht und dabei die Umstände der Morde, die in der Gegend von Manzanillo3 begangen worden waren, ans Tageslicht gebracht, wobei sie Beweise für die unmittelbare Verantwortung des befehlshabenden Hauptmanns des dortigen Militärstützpunktes erbrachten – und die Aussagen weiterer dreihundert Zeugen standen noch aus. Was wäre geschehen, wenn die erdrückende Beweislast dazu geführt hätte, dass die verantwortlichen Militärs vor diesem Gericht zu den Ereignissen hätten befragt werden müssen? Hätte die Regierung zulassen können, dass ich das vor so vielen Zuschauern im Gerichtssaal, den auf der Insel akkreditierten Journalisten und den Führern der Oppositionsparteien – die sie dummerweise auf die Anklagebank gesetzt hatten, damit sie aus nächster Nähe hören konnten, was hier erörtert wurde – durchführte? Eher würden sie diesen Gerichtssaal mit all seinen Richtern in die Luft jagen!

Also planten sie, mich aus dem Gerichtssaal zu entfernen, und bedienten sich dabei der Hilfe des Militärs. Am Freitagabend, den 25. September, kurz vor der dritten Anhörung vor Gericht, kamen zwei Ärzte der Strafvollzugsanstalt in meine Zelle. Ich spürte, wie leid es ihnen tat, als sie mir erklärten: »Wir sind gekommen, um dich zu untersuchen.« »Und wer sorgt sich so um meine Gesundheit?«, fragte ich sie. Mir war gleich auf den ersten Blick klar gewesen, was hier geschehen sollte. Sie verhielten sich wie Ehrenmänner und sagten mir die Wahrheit: Am Nachmittag sei Oberst Chaviano4 im Gefängnis gewesen, um ihnen mitzuteilen, dass ich »der Regierung einen schlimmen Schaden« zufügte und dass sie eine Bescheinigung ausstellen sollten, derzufolge ich krank sei und somit nicht in der Lage, an den Sitzungen weiterhin teilzunehmen. Die Ärzte sagten mir außerdem, dass sie bereit seien, ihre Arbeit niederzulegen und die Konsequenzen dafür zu tragen, und dass ich entscheiden solle, was nun zu tun sei. Es war schwer für mich, diese Männer zu bitten, sich bedingungslos zu opfern, aber ich durfte andererseits auf keinen Fall zulassen, dass der Plan des Regimes aufging. Um die Entscheidung ihrem eigenen Gewissen zu überlassen, sagte ich: »Ihr werdet wissen, was eure Pflicht ist. Meine kenne ich sehr gut.«

Sie zogen sich zurück und unterzeichneten die Bescheinigung. Ich weiß, dass sie das in dem Glauben taten, dass das die einzige Möglichkeit sei, mein Leben zu retten, welches sie in Gefahr sahen. Ich habe mich nicht dazu verpflichtet, dieses Gespräch geheim zu halten; mich interessiert einzig und allein die Wahrheit. Aber wenn die Tatsache, dass ich diese Wahrheit hier ausspreche, den beiden Männern schadet, dann möchte ich hier jeden Zweifel an ihrer Ehrbarkeit ausräumen.

In derselben Nacht schrieb ich einen Brief an dieses Gericht, in dem ich den Plan, der hier ausgeheckt worden war, zur Anzeige brachte und zwei Rechtsmediziner anforderte, die bescheinigen sollten, dass ich mich in einem ausgezeichneten gesundheitlichen Zustand befand. Ich machte klar, dass, wenn eine derartige List notwendig sei, um mein Leben zu schützen, ich es tausendmal vorzöge, es zu verlieren. Um zu unterstreichen, dass ich bereit war, auch ganz allein gegen eine derartige Niedertracht anzukämpfen, fügte ich meinem Brief einen Gedanken des Meisters5 bei: »Eine gerechte Sache vermag selbst aus den Tiefen einer Höhle mehr zu erreichen als eine ganze Armee.« Das ist der Brief, den – wie das Gericht weiß – Dr. Melba Hernández 6 in der dritten Anhörung der mündlichen Verhandlung, am 26. September, verlas. Trotz der strengen Bewachung, unter der ich stand, hatte ich ihr diesen Brief zukommen lassen können. Er führte zu sofortigen Repressalien: Dr. Hernández wurde in Einzelhaft genommen, und mich verlegten sie in einen noch entlegeneren Winkel des Gefängnisses. Von da an wurden alle Angeklagten von Kopf bis Fuß untersucht, bevor man sie den Gerichtssaal betreten ließ.

Die Rechtsmediziner kamen am 27. September und bestätigten, dass ich keinerlei gesundheitliche Probleme hätte. Trotzdem wurde ich auch nach mehrfacher Aufforderung durch das Gericht nicht mehr zu der Verhandlung zugelassen. Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass außerdem Unbekannte auf den Straßen Flugblätter verteilten, in denen dazu aufgerufen wurde, mich aus dem Gefängnis zu befreien. So wollte das Regime eine Gelegenheit konstruieren, mich unter dem Vorwand der Fluchtgefahr aus dem Verkehr zu ziehen. Dieser Plan jedoch schlug fehl, weil die Falschheit der Flugblätter von Freunden erkannt und angezeigt wurde und weil nach Bekanntwerden des gefälschten ärztlichen Attestes klar war, dass sie keine andere Möglichkeit sahen, meine weitere Teilnahme an der Gerichtsverhandlung zu verhindern, als eine solch infame Lüge zu verbreiten.

Ein befremdlicher Fall, meine Herren Richter: ein Regime, das Angst davor hat, einen Angeklagten vor Gericht zu stellen. Ein grausames Terrorregime fürchtet sich vor der moralischen Überzeugung eines wehrlosen Mannes, unbewaffnet, verleumdet und zum Schweigen gebracht. Und so nahmen sie mir, nachdem sie mir alles andere bereits genommen hatten, auch noch das Recht, mich als Hauptangeklagter vor Gericht selbst zu verteidigen. Bitte bedenken Sie, dass dies unter der Aushebelung der Gesetze und mithilfe einer Politik der »öffentlichen Ordnung« geschah, in der Radio und Presse der Zensur unterlagen. Welch schreckliche Verbrechen muss diese Regierung begangen haben, dass sie die Stimme eines Angeklagten so sehr fürchtet!

Ich muss auf die unverschämte und respektlose Haltung, die die militärischen Anführer hier Ihnen gegenüber an den Tag legen, etwas näher eingehen. Wie oft hat dieses Gericht angeordnet, dass die unmenschliche Isolierung, der ich ausgeliefert war, aufgehoben werden müsse? Wie oft hat es angewiesen, dass meine grundlegendsten Rechte garantiert werden müssen? Wie oft hat es dazu aufgefordert, dass ich vor Gericht erscheine? Keiner Ihrer Anordnungen wurde Folge geleistet. Eine nach der anderen wurden sie missachtet. Schlimmer noch: Sogar während der Sitzungen stellte man mir eine Wache zur Seite, die darauf achten sollte, dass ich mit niemandem ein Wort wechsle, nicht einmal in den Verhandlungspausen. Auf diese Weise gaben sie zu verstehen, dass sie nicht nur im Gefängnis, sondern selbst im Gerichtssaal und in Ihrem Beisein die Anordnungen nicht im Geringsten befolgen würden. Ich dachte darüber nach, dieses elementare Problem des Respekts gegenüber dem Hohen Gericht in einer der folgenden Sitzungen anzusprechen, aber … ich kehrte nicht wieder dorthin zurück. Und wenn das Regime uns bei all dieser Respektlosigkeit auch noch hierher vor Gericht stellt, damit Sie uns ins Gefängnis schicken, im Namen einer Rechtsordnung, die seit dem 10. März 7 einzig und allein von Ihnen immer wieder verletzt wird, dann ist das eine sehr traurige Rolle, die man Ihnen zugewiesen hat. Nicht ein einziges Mal ist in diesem Fall der lateinische Grundsatz eingehalten worden: Cedant arma togae8. Ich bitte Sie, diesen Umstand zu berücksichtigen.

All ihre Maßnahmen waren zudem unnütz, weil meine mutigen Kameraden ihre Pflicht selbstlos erfüllten. »Ja, wir sind gekommen, um für die Freiheit Kubas zu kämpfen, und wir bereuen nicht, es getan zu haben«, sagten sie hier einer nach dem anderen, als sie aufgerufen wurden, ihre Aussage zu machen. Sogleich klagten sie vor Gericht mit beeindruckendem Mut die schrecklichen Verbrechen an, die an unseren Brüdern begangen worden waren. Trotz meiner Abwesenheit konnte ich den Prozess in meiner Zelle in allen Details mitverfolgen, dank der Gefängnisinsassen von Boniato 9, die mich mit Zeitungsausschnitten und Informationen aller Art versorgten, ungeachtet der Androhung schlimmer Strafen, der sie ausgesetzt waren. So rächten sie sich an den Misshandlungen und Unmenschlichkeiten des Gefängnis­direktors Taboada und des Oberaufsehers Rozabal, die sie Tag für Tag unter der unbarmherzigen Sonne arbeiten lassen, wo sie Privathäuser bauen müssen und fast verhungern, weil das Geld für ihre Versorgung unterschlagen worden ist.

So kam es im Laufe der Verhandlung zu einem Rollentausch: Die Kläger wurden zu Angeklagten und die Angeklagten zu Klägern. Nicht mehr über die Revolutionäre wurde gerichtet, vielmehr wurde das endgültige Urteil über einen gewissen Herrn Batista gesprochen … monstrum horrendum10 … ! Es geht nicht darum, dass hier einige mutige und aufrichtige junge Leute verurteilt worden sind; entscheidend ist, dass das Volk ohnehin schon morgen den Diktator und seine grausamen Schergen verurteilen wird. Man hat sie auf die Isla de Pinos 11 geschickt, in deren Gefängnisgängen die Schreie so vieler Ermordeter noch nachhallen; dort müssen sie in bitterer Gefangenschaft für ihre Liebe zur Freiheit büßen, fern ihrer Familien und ihrer Heimat. Meinen Sie nicht, dass es unter solchen Voraussetzungen für mich als Anwalt eine schwierige und undankbare Aufgabe ist, meinen Auftrag zu erfüllen? In Anbetracht all dieser undurchsichtigen und illegalen Machenschaften stehe ich nach dem Willen der Herrschenden und aufgrund der Schwäche der Rechtsprechenden in diesem kleinen Raum des Krankenhauses, wo ich heimlich abgeurteilt werden soll, sodass mich niemand hören kann. Ich soll zum Schweigen gebracht werden, niemandem soll zu Ohren kommen, was ich zu sagen habe. Wozu haben wir eigentlich diesen imposanten Justizpalast, in dem die Herren Richter sicherlich bequemer sitzen würden? Es ist nicht sehr geschickt, will ich Ihnen sagen, vom schwer bewachten Zimmer eines Krankenhauses aus Recht zu sprechen, denn die Bevölkerung könnte daraus schließen, dass unsere Justiz krank … und gefangen ist.

Ich erinnere daran, dass Ihre Prozessordnung vorschreibt, die Verhandlung habe »mündlich und öffentlich« zu sein; man hat dem Publikum jedoch den Zutritt zu dieser Sitzung verwehrt. Lediglich zwei Rechtsgelehrte und sechs Journalisten, denen die Zensur nicht ein Wort zur Veröffentlichung freigeben wird, wurden zugelassen. Mein einziges Publikum sind, wie ich sehe, etwa einhundert Soldaten und Offiziere hier im Raum und in den Fluren davor. Ich danke ihnen für die ernsthafte und höfliche Aufmerksamkeit, die sie mir schenken! Hätte ich doch nur das ganze Heer vor mir! Ich weiß, dass es sich eines Tages danach sehnen wird, diesen Schandfleck reinzuwaschen, mit dem eine kleine Gruppe skrupelloser und ambitionierter Männer es beschmutzt hat. Dann wehe denen, die heute bequem in ihren noblen Waffen­röcken daherreiten, wenn das Volk sie nicht schon lange vorher von den Pferden geholt hat!

Abschließend muss ich noch hinzufügen, dass mir in meine Zelle nicht eine einzige juristische Abhandlung zum Strafrecht gebracht werden durfte. Ich verfüge nur über dieses winzige Strafgesetzbuch, das mir ein Anwalt geliehen hat, und zwar der mutige Verteidiger meiner Gefährten