Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino - Pietro Aretino - E-Book

Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino E-Book

Pietro Aretino

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Beschreibung

Zwischen 1533 und 1536 verfasste Aretino diese Gespräche. Sie gehören zur Gattung der Hetärengespräche. Die Prostituierten Nanna und Antonia unterhalten sich über die Zukunft und über die optimale Lebensweise von Nannas Tochter. Nanna, die in ihrem Leben Nonne, Ehefrau und Dirne gewesen ist, kommt während des Gesprächs zu dem Schluss, dass sich die Fähigkeiten und Begabungen einer Frau nur in einem Leben als Dirne ausreichend entfalten könnten, nur hier ergäbe sich für die Frau die optimale Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben sei es aber, sich nicht in die Männer zu verlieben, um nicht von diesen betrogen und ausgenutzt zu werden. (aus wikipedia.de)

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Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino

Pietro Aretino

Inhaltsverzeichnis:

Pietro Aretino – Biografie und Bibliografie

Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino

Erster Teil

Pietro Aretino seinem Äffchen

Der erste Tag

Der zweite Tag

Der dritte Tag

Zweiter Teil

Dem liebenswürdigen und hochgeehrten Herrn Bernardo Valdaura, königlichem Muster der Vornehmheit, Pietro Aretino

Der erste Tag

Der zweite Tag

Der dritte Tag

Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849604479

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Pietro Aretino – Biografie und Bibliografie

Ital. Dichter, geb. 20. April 1492 in Arezzo, gest. 21. Okt. 1556 in Venedig, war der Sohn eines armen Schusters, Namens Luca, genoß eine höchst mangelhafte Erziehung und ging bald nach Perugia, wo er zu dichten begann, sodann (1517) nach Rom. Hier wurde er dank seiner scharfen Satiren berühmt und gefürchtet und trat in den Dienst Leos X. und des Kardinals Giulio de' Medici. Unter Hadrian verließ er mit letzterm Rom und kehrte erst zurück, als dieser als Clemens VII. Papst geworden war. Nach einem Attentat auf sein Leben verließ er Rom abermals, begab sich zu Johann de' Medici und wandte sich nach dessen Tod (1527) nach Venedig, um hier, wo er alle Freiheit für seine Ausschweifungen wie für seine satirische Feder fand, nur von dem Ertrage der letztern zu leben. Sein Ziel war jetzt, Geld zu gewinnen, und bei der Leichtigkeit, mit der er arbeitete, und der Schlauheit, womit er die Großen durch unverschämte Droh- und Schmeichelbriefe auszubeuten verstand, gelangte er bald zu großem Wohlstand. Selbst Kaiser Karl V. und König Franz I. beschenkten ihn mit goldenen Ketten. Der erstere bot ihm sogar die Ritterwürde an, die A. aber ausschlug. Inzwischen hatten seine Schriften ihm eine große Anzahl von Bewunderern erworben, man nannte ihn »den Göttlichen« (il Divino), und nicht nur aus allen Teilen Italiens, sondern selbst aus dem Ausland empfing er Besuche. Stets darauf bedacht, sich auf gutem Fuße mit dem römischen Stuhl zu erhalten, verfaßte er abwechselnd mit den obszönsten Schriften auch Erbauungsbücher, wie: »Della umanità di Cristo« (1535), »La vita di Maria Virgine« (1540), eine Paraphrase der sieben Bußpsalmen u.a. Als Julius III. den päpstlichen Stuhl bestieg, beglückwünschte ihn A. mit einem Sonett, wofür er mit 1000 Goldkronen und dem Orden des heil. Petrus belohnt wurde. A. war unstreitig ein Mann von bedeutendem Talent, den nur sein Mangel an tieferer Bildung und seine Sittenlosigkeit hinderten, sich einen ehrenvollen Platz in der Literatur seines Vaterlandes zu erwerben. Von seinen zahlreichen Werken haben seine fünf Komödien in Prosa: »Il Marescalco« (1533), »La Cortigiana« (1534), »L'Ipocrito« (1542), »La Talanta« (1542), »Il Filosofo« (1546; Neuausg. der Komödien, Mail. 1876), die zu den besten der Zeit gehören, bedeutendes sittengeschichtliches Interesse, und ist die Tragödie »Orazia« in Versen (Vened. 1546) das beste. Die meisten übrigen sind von der krassesten Obszönität. Am bekanntesten darunter sind die berüchtigten, Franz I. gewidmeten »Ragionamenti« (1535–38, 3 Tle., u. ö.; ins Französische übersetzt u. d. T.: »Les dialogues du divin P. A.«, Par. 1879), ein drastisches Gemälde der sittlichen Verderbnis in den höhern Ständen Italiens und deshalb von unzweifelhaftem kulturgeschichtlichen Wert. Wichtig für die Zeitgeschichte sind auch seine »Lettere familiari« (Vened. 1537–57; Par. 1609, 6 Bde.) und die »Lettere scritte al sig. P. A.« (Vened. 1551, Bologna 1873–75). Nicht minder wichtig für die Kultur- und auch für die Kirchengeschichte sind Aretinos auf die Papstwahl Hadrians VI. bezüglichen »Pasquinate« (hrsg. von V. Rossi, Turin 1891) und seine satirischen Prophezeiungen. Vgl. dazu Luzio, Un pronostico satirico di Pietro A. (Bergamo 1900); ferner Mazzuchelli, La vita di P. A. (Padua 1741); Sinigaglia, Saggio di uno studio su P. A. (Rom 1882); Luzio, P. A. nei suoi primi anni etc. (Turin 1888); Graf, Attraverso il cinquecento (das. 1888); Bertani. Pietro A. e le sue opere secondo nuove indagini (Rom 1902).

Die Gespräche des göttlichen Pietro Aretino

Erster Teil

Pietro Aretino seinem Äffchen

Heil, mein Joko, Heil dir! Sieh, das Glück hält jetzt auch über Tiere seine Hand – denn es hat dich aus deiner Heimat fortgeführt und zu mir gebracht. Ich habe bemerkt, daß du unter deiner Affengestalt eigentlich ein großer Herr bist, wie Pythagoras in Gestalt eines Hahns ein Philosoph war; darum widme ich dir diese Arbeit oder vielmehr diese Belustigung von achtzehn Vormittagen, nicht als einem Affen, nicht als einem Makak, nicht als einem Pavian, sondern als einem großen Herrn. Und selbst wenn ich nicht vom Geheimnisbewahrer der Mutter Natur erfahren hätte, daß du ein solcher bist, und wärest du auch nur ein Tier, so hätte ich doch Nannas Gespräche mit der Antonia dir dediziert. Haben doch auch die alten Römer nicht nur den Mörder jenes Raben, dessen ganzes Verdienst sein Gruß an Cäsar war, mit dem Tode bestraft und seine Leiche von zwei Negern auf einer Bahre mit einem Flötenspieler voran zu Grabe tragen lassen, sondern sogar die Stätte, wo er liegt, Ridiculus benamset: Nun, wenn im Altertum so viele vernünftige Leute eine derartige Dummheit verübten, so darf wohl auch in unseren Tagen ein fröhlicher Narr sich mal eine leisten.

Ja, du bist ein großer Herr, das will ich dir beweisen. Zunächst: Du siehst aus wie ein Mensch und bist, was du bist; sie aber heißen große Herren und sind auch, was sie sind. Du schluckst in deiner Gefräßigkeit alles hinunter, was du bekommen kannst; sie sind ebenso gefräßig, und zwar in einem Grade, daß die Völlerei schon nicht mehr zu den Sieben Todsünden gerechnet wird. Du mausest, was du findest, und wär's nur 'ne armselige Nadel; sie stehlen so frech, daß es ihnen auch auf Menschenblut nicht ankommt, nur sehen sie sich den Ort an, wo sie ihre Räubereien begehen – aber auch dies machst du ja geradeso. Sie sind freigebig, davon wissen ihre Diener und ihre Untertanen ein Lied zu singen – man frage sie nur! Ebenso zuvorkommend und höflich bist auch du – das können die bezeugen, die mal versucht haben, etwas, was du hattest, dir aus den Tatzen zu nehmen oder zu reißen! Du bist so sinnlich, daß du mit dir selber Unzucht treibst; sie machen's ohne Scham mit demselben Stück Fleisch ebenso. An Frechheit nimmst du's mit dem schamlosesten und nehmen sie es mit dem hungrigsten Bettler auf. Du bist immer voll Unrat, sie sind immer mit Salben beschmiert; dein Wirbelkopf treibt dich immer im Kreise herum, nirgends kannst du stillsitzen, und ihr Gehirn ist geradeso bedächtig wie dein unruhiges Wesen. Deine Affenstreiche bilden das Ergötzen des Volkes, ihre Staatsangelegenheiten sind das Gelächter der Welt. Du hast Angst vor jedermann, und jedermann hat Angst vor dir; sie werden von allen gefürchtet und fürchten alle. Deine Laster sind unvergleichlich, die ihrigen sind unschätzbar. Du schneidest jedem eine Grimasse, der dir nichts zu essen mitbringt; sie sehen jeden scheel an, der nichts zu ihrem Amüsement anzugeben weiß. Sie kümmern sich nicht um den Tadel, den man gegen sie erhebt; du hörst nicht auf die Scheltreden, die man dir hält. Und um auch das nicht zu vergessen: Wenn die großen Herren Affen-Gesichter haben, so haben auch die Affen große Herren-Gesichter.

Doch wieder zu dir, mein Jokochen! Wenn du nicht geradeso geschmacklos wärest wie die Fürsten, so würde ich wohl einiges zur Entschuldigung des freien Stils sagen, worin dies Werk gehalten ist, das ich unter den Schutz deines Namens stelle. Gewiß wird dieser Name ihm geradeso nützlich sein wie die Namen der großen Herren jenen Machwerken, die man jeden Tag schändlicherweise ihnen dediziert unter Berufung auf Vergils ›Priapea‹ oder auf die unzüchtigen Stellen in den Schriften Ovids, Juvenals und Martials. Aber da du geradeso gebildet bist wie sie, so will ich darüber nichts weiter sagen, und zum Lohn dafür, daß ich dich unsterblich mache, erwarte ich nichts weiter als einen Biß, den du mir schon bei passender Gelegenheit versetzen wirst. In gleicher Münze zahlen ja auch die Großkotzen den Verfassern der ihnen gewidmeten Lobschriften, denn sie verstehen von den Wissenschaften geradesoviel wie du. Beinahe hätte ich gesagt, auch ihre Seelen gleichen der deinen, aber das wäre ja nicht höflich. Doch soviel darf ich sagen: Die großen Herren verbergen ihre Fehler hinter den Büchern, die für sie angefertigt werden, geradeso, wie du deine Häßlichkeiten unter den Kleidern versteckst, die ich dir habe machen lassen.

Und nun, mein durchlauchtigster Joko – den Titel Durchlaucht führen ja auch die großen Satrapen, und mit geradesoviel Recht wie du –, nimm mir mein Buch weg und reiß die Blätter heraus! Die großen Herren reißen ja nicht nur die Blätter heraus, sondern wischen sich sogar damit den – na, darüber brauch ich dir nichts weiter zu sagen: Ruhm und Ehre ist das für die Musen, die mit aufgehobenen Röcken hinter jenen herlaufen und dafür von ihnen geachtet werden, wie du mich achtest! Vielleicht hättest du's gern gesehen, wenn ich in Nannas Erzählungen von den Nonnen auch den äußeren Anschein deiner Schandmäuligkeit vermieden hätte. Nanna ist eine Schwätzerin und plappert heraus, was ihr auf die Zunge kommt, und es ist ganz recht, wenn man den Nonnen alles Böse nachsagt, denn so, wie sie sich der breiten Menge zeigen, sind sie schlimmer als die gemeinsten Dirnen. Schon haben sie die ganze Welt vollgemacht von Kindern des Antichrist, und mit dem Gestank ihrer Sittenverderbnis nehmen sie den reinen Blüten der Jungfräulichkeit die Lebensluft. Ich meine die Himmelsbräute und Mägde des Herrn, denn auch solche gibt es ja noch. Wenn ich nur daran denke, so fühle ich mich ganz erfrischt von dem wundersamen Hauch von Heiligkeit und Frömmigkeit, der einem in die Seele dringt, sobald man ihren Heimstätten sich naht, wie der liebliche Rosenduft uns in die Nase steigt, sobald wir an einem Ort vorbeigehen, wo Rosen blühen. Wir verlangen nicht mehr nach Engelsmusik, wenn wir sie die heiligen Gesänge anstimmen hören, mit denen sie Gottes Zorn besänftigen, indem sie ihn bewegen, uns unsere Schuld zu verzeihen. Von diesen also, die treu ihrem Gelübde der Keuschheit nachleben, von diesen spricht Nanna nicht, wie wir auch von ihr selber hören werden in ihrem Gespräch mit der Antonia, sondern sie spricht nur von denen, deren Sündengeruch des Teufels Riechbüchslein ist. Und gewiß! So, wie ich es niemals wagen würde, einen anderen Kaiser anzubeten und ehrfurchtsvoll zu preisen als nur Cäsar allein, einen anderen zu besingen als den großen Antonio da Leva, einen anderen Herzog zu erheben als den Herzog von Urbino, einen anderen Marchese zu dienen als dem Marchese del Vasto, einem anderen Fürsten aufzuwarten als dem Fürsten Salerno, von anderen Grafen zu sprechen als von Guido Rangone und Massimiano Stampa – so hätte ich das, was ich über die Nonnen zu Papier gebracht habe, weder zu denken noch zu schreiben gewagt, wäre ich nicht der Überzeugung gewesen, mit der Flamme meiner feurigen Feder die Schandmale ausbrennen zu müssen, mit denen ihre zuchtlose Brunft ihr Leben besudelt hat. Während sie in ihren Klöstern leben sollten, wie die Lilien im Garten wachsen, haben sie sich dermaßen mit dem Unflat der Welt beschmutzt, daß sogar die Hölle sich vor ihnen verschließt, geschweige denn der Himmel. So hoffe ich denn, mein Wort werde jenes grausame, aber barmherzige Messer sein, womit der Arzt ein krankes Glied abschneidet, damit die anderen gesund bleiben.

Der erste Tag

Wie Nanna in Rom unter einem Feigenbaum der Antonia von dem Leben der Nonnen erzählte

Antonia: Was hast du denn, Nanna? Du machst ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter! Paßt sich das für eine, die die Welt regiert?

Nanna: Die Welt? Ach herrje!

Antonia: Gewiß: die Welt! Ja, wenn ich Trübsal blasen wollte! Bei mir beißt ja gar niemand mehr an – als die Franzosen (denn die hab ich, leider!); ich bin ›arm, aber stolz‹, und wenn ich von mir sage, daß ich schleckerhaft bin, so begeh ich damit keine Sünde wider den Heiligen Geist.

Nanna: Meine gute Antonia. Jeder Mensch hat seine Trübsal, und Trübsal ist gar manches, wovon du denkst, es sei eitel Lust, und manche Trübsal gibt's, wovon du dir nicht träumen läßt – und glaube mir, glaube mir: unsere Erde ist nur ein Jammertal.

Antonia: Ja, ein Jammertal für mich, aber nicht für dich, die alle Tage Fettlebe macht. Auf Plätzen und Straßen, in allen Kneipen und allüberall hört man ja nur Nanna hier und Nanna da; dein Haus ist immer voll wie 'n Ei, und ganz Rom tanzt um dich herum den Mohrentanz, den wir im Jubeljahr von den Ungarn sehen.

Nanna: Ja, freilich, freilich! Aber trotzdem bin ich nicht zufrieden. Weißt du, ich komme mir vor wie 'ne junge Frau, die mit einem Riesenhunger am vollbesetzten Tische sitzt und aus einem gewissen Schamgefühl nicht zu essen wagt, obwohl sie weiß, daß Küche und Keller voll sind. Und gewiß, gewiß, Gevatterin: 's ist nicht alles so, wie's sein sollte – und damit holla!

Antonia: Du seufzest?

Nanna: Ach du lieber Gott, ja!

Antonia: Das solltest du lieber nicht: Nimm dich in acht, daß der liebe Gott dir nicht was schickt, worüber du Ursache hättest zu seufzen!

Nanna: Aber das ist doch ganz natürlich, daß ich seufze! Denk dir bloß: Meine Pippa wird doch nun sechzehn und muß doch was werden. Und da sagt mir nun der eine: »Laß sie Nonne werden; da sparst du Dreiviertel an der Mitgift, und obendrein kriegt der Kalender 'ne neue Heilige.« Der andre sagt: »Verheirate sie doch; du bist ja so reich – was kommt's denn dir darauf an, ob du ein bißchen abgibst?« Der dritte redet mir zu, ich solle sie lieber gleich Kurtisane werden lassen, »denn«, sagt er, »wenn 's Glück gut ist, so wird sie als Kurtisane sofort 'ne Dame, und mit dem, was du hast und was sie sich im Handumdrehen dazuverdienen wird, kann sie 'ne Königin werden.« Kurz und gut, ich bin außer mir! Du siehst, auch Nanna hat ihre Sorgen.

Antonia: Solche Sorgen können doch für eine Frau, wie du bist, bloß ein angenehmer Kitzel sein! Das ist gerade, wie wenn einer, der 'n bißchen Krätze hat, abends nach Hause kommt, sich die Strümpfe auszieht und sich dabei schon auf den Genuß des Kratzens freut. Sorgen nenn ich, wenn man mit ansehen muß, wie die Brotpreise fortwährend steigen, 'ne Qual ist's, wenn der Wein immer teurer wird, das Herz blutet einem, wenn man die Miete bezahlt, und es dreht sich einem im Leibe um, wenn man zwei- oder dreimal im Jahre Holz kaufen muß. Beulen und Schwären wird man nicht mehr los, und die Trübsal hört gar nimmer auf. Ich wundere mich, daß du dir wegen so 'ner Lappalie überhaupt Gedanken machst!

Nanna: Warum wundert dich denn das?

Antonia: Na, du bist doch in Rom geboren und aufgewachsen; du müßtest ja mit verbundenen Augen zum rechten Entschluß kommen, was du die Pippa willst werden lassen! ... Sag mal, bist du nicht Nonne gewesen?

Nanna: Ja.

Antonia: Hast du nicht 'nen Mann gehabt?

Nanna: Den hatt ich.

Antonia: Und warst du nicht Kurtisane?

Nanna: Ja, das war ich.

Antonia: Na! Hast du denn nicht soviel Verstand, aus diesen dreien das Beste herauszufinden?

Nanna: Jesus Maria, nein!

Antonia: Warum denn nicht?

Nanna: Weil's die Nonnen, die Ehefrauen und die Freudenmädchen heutzutage nicht mehr so gut haben wie früher.

Antonia: Hahaha! Das Leben geht immer nach der alten Leier! Von jeher haben die Leute gegessen und getrunken, immer haben sie geschlafen und die Nächte durchschwärmt, mit Gehen und Stehen war's immer dasselbe, und immer werden die Weiber durch ihre Ritze pischen. Weißt du, es wäre doch gar zu nett, wenn du mir erzähltest, wie zu deiner Zeit die Nonnen, die verheirateten Frauen und die Freudenmädchen es hatten, und ich schwöre dir bei den sieben Kirchen, die ich nächste Fastenzeit abklappern werde: Wenn du mir alles erzählt hast, so will ich dir in vier Worten sagen, was du deine Tochter sollst werden lassen ... du bist ja doch in deinem Fach eine Ausgelernte – nun sage mir, warum du nichts davon wissen willst, daß deine Tochter Nonne wird?

Nanna: Ich weiß wohl, warum!

Antonia: Na bitte, dann sag's mir doch! Sieh mal, heut ist ja Magdalenentag, der Tag unserer heiligen Schutzpatronin, da wird ja doch nicht gearbeitet, und selbst wenn ich eigentlich arbeiten sollte – ich habe Brot und Wein und Pökelfleisch für drei Tage!

Nanna: Wirklich?

Antonia: Ganz gewiß!

Nanna: Na, dann will ich dir heute vom Leben der Nonnen erzählen, morgen von dem der Ehefrauen und übermorgen von dem der Freudenmädchen. Bitte, setz dich hier neben mich und mach dir's recht bequem.

Antonia: So, da sitz ich ausgezeichnet; nun los!

Nanna: Die Pest möchte ich dem Monsignor – ich will seinen Namen nicht nennen – an den Hals wünschen, weil er mich auf den unglückseligen Gedanken brachte ...

Antonia: Rege dich nur nicht auf!

Nanna: Meine liebe Antonia. Wenn man sich zu entscheiden hat, ob man seine Tochter Nonne oder Freudenmädchen werden lassen oder ob man sie verheiraten soll, da steht man gleichsam vor einem Kreuzweg. Man überlegt sich 'ne gute Zeit, ob man den einen oder lieber den anderen einschlagen soll, und da kommt's denn manchmal vor, daß einen der Teufel gerade auf die verkehrte Straße bringt. So machte es der Böse auch mit meinem Vater selig, als dieser mich eines Tages zur Nonne bestimmte – sehr gegen den Willen meiner Mutter, heiligen Angedenkens, die du vielleicht noch gekannt hast. Oh, das war 'ne Frau!

Antonia: Ja, ich habe eine dunkle Ahnung, daß ich sie mal gesehen habe; jedenfalls kenne ich sie vom Hörensagen, und ich weiß, daß sie hinter den Bänken1 Mirakel wirkte, und habe gehört, daß dein Vater, ein wackerer Sbirre des Bargello, sie aus Liebe geheiratet hatte.

Nanna: Oh, erinnere mich nicht an das gebrannte Herzeleid jenes Tages, da Rom nicht mehr Rom war und das erlesene Paar mich als Waise zurückließ! ... Doch zur Sache: Also, es war an einem ersten Mai, da brachten mich Mona Marietta – das war der Name meiner Mutter, aber gewöhnlich nannte man sie ›die schöne Tina‹ – und Meister Barbieraccio, mein Vater, mit der ganzen Sippschaft, Onkeln und Tanten, Großvätern und Großmüttern, Basen und Vettern und Neffen und Brüdern und mit 'ner ganzen Schar von Freunden und Bekannten, nach der Kirche des Klosters. Ich war ganz und gar in Seide gekleidet, die von Ambra duftete, und trug ein goldenes Käppchen, darauf lag der Jungfernkranz aus Rosen und Veilchen, und meine Handschuhe waren parfümiert und die Pantoffeln von Samt, und die Perlen, die ich am Halse trug, und die Kleider, die ich auf dem Leibe hatte, die waren, wenn ich mich recht erinnere, von der Pagnina, die neulich ins Magdalenenstift eintrat.

Antonia: Anderswoher konnten sie gewiß nicht sein!

Nanna: Also fein geschmückt, sauber und wie aus dem Ei gepellt, betrat ich die Kirche. Da waren Tausende und aber Tausende von Menschen, die drehten sich alle nach mir um, sobald ich erschien, und die einen sagten: »Ach, da bekommt aber der liebe Herrgott 'ne schöne Braut!« Und andere: »Schade, daß so 'n hübsches Mädchen Nonne wird!« Und einige machten das Kreuz über mir, andere sahen mich an, wie wenn sie mich mit den Augen verschlingen wollten, und noch wieder andere sagten: »Die gibt mal 'n leckeren Happen für irgend 'nen Mönch!« Aber ich dachte mir nichts Böses bei solchen Worten, ich hörte nur immer ganz fürchterliche Seufzer, und an der Stimme erkannte ich, daß sie aus dem Herzen eines meiner Liebhaber kamen, der während des ganzen Gottesdienstes in einem fort heulte.

Antonia: Was? Du hattest schon Liebhaber, ehe du Nonne wurdest?

Nanna: Welches Mädel hätte die nicht gehabt! Aber das war in allen Züchten und Ehren. Ich mußte nun auf der Frauenseite ganz obenan Platz nehmen, und nach einer kleinen Weile begann die Messe, und ich kniete zwischen meiner Mutter und Tante Ciampolina, und der Kantor spielte auf der Orgel einen Lobgesang. Nach der Messe wurden meine Nonnenkleider eingesegnet; die lagen auf dem Altar, und der Priester, der die Epistel gelesen, und der andere Priester, der das Evangelium gelesen hatte, die führten mich hinauf, und nun mußte ich auf den Stufen des Hochaltars niederknien. Dann reichte der, der die Messe gelesen hatte, mir das Weihwasser und sang mit den anderen Priestern das Te deum laudamus und vielleicht noch hundert Psalmen, und dann zogen sie mir die weltlichen Kleider aus und legten mir das geistliche Gewand an, und die Leute drängten sich heran und machten einen Lärm wie ... wie man ihn in Sankt Peter und in Sankt Johannes hört, wenn da eine aus Verrücktheit oder aus Verzweiflung oder aus Ulk sich einmauern läßt – wie ich's auch mal durchgemacht habe.

Antonia: Ja, ja, ich sehe dich noch vor mir mit der Menschenmenge um dich herum.

Nanna: Als dann die Feierlichkeit vorbei war und sie mir den Weihrauch gereicht hatten und das Benedicamus und das Oremus und das Halleluja gesungen hatten, da öffnete sich eine Tür, die kreischte, wie wenn man den Deckel der Armenbüchse aufmacht. Ich mußte aufstehen und wurde nach draußen geführt, wo etwa zwanzig Schwestern mit der Äbtissin mich erwarteten. Sobald ich sie erblickte, machte ich ihr 'ne schöne Reverenz, und sie küßte mich auf die Stirn und sagte meinem Vater und meiner Mutter und den Verwandten ein paar Worte, die ich nicht behalten habe, und die vergossen alle Ströme von Tränen, und auf einmal wurde die Tür zugeworfen, und ich hörte ein Stöhnen, das allen Anwesenden durch Mark und Bein ging.

Antonia: Woher kam denn dies Stöhnen?

Nanna: Von meinem armen Liebsten, der den andern Tag Barfüßermönch oder Betteleremit wurde – ich weiß nicht mehr, was.

Antonia: Der arme Kerl!

Nanna: Als nun die Tür plötzlich zugeschmissen wurde, daß ich nicht mal meinen Angehörigen Lebewohl sagen konnte, da dachte ich, ich wäre bei lebendigem Leibe ins Grab gelegt und die Frauen um mich her wären halbtot von Geißelhieben und vom Fasten; und ich weinte nicht mehr um meine Eltern, sondern um mich selber. Und ich ging mit niedergeschlagenen Augen, und mein Herz dachte an das, was mir bevorstände. So kamen wir in den Speisesaal, wo eine Schar von Nonnen auf mich zulief, um mich zu umarmen. Sie nannten mich sofort ›Schwester‹ und sagten mir, ich sollte doch mal aufschauen. Das tat ich und siehe! Da waren eine Menge frische und helle Gesichter mit roten Wangen. Da wurde mein Herz fröhlich, und ich blickte mit größerer Zuversicht um mich und sagte zu mir selber: »Wirklich, der Teufel ist nicht so häßlich, wie man ihn malt!« Und auf einmal, da kam eine ganze Schar von Mönchen und Priestern und unter ihnen auch einige Weltgeistliche, lauter junge Leute, die schönsten und saubersten und fröhlichsten jungen Leute, die ich je gesehen, und jeder nahm seine Freundin bei der Hand, und sie sahen aus wie Engel, die auf einem Ball im Himmel zum Tanze antreten.

Antonia: Du, über den Himmel mach keine Witze!

Nanna: Sie sahen aus wie Verliebte, die mit ihren Nymphen scherzen.

Antonia: Der Vergleich ist schon eher zulässig. Nun, und weiter?

Nanna: Sie nahmen sie also bei der Hand und gaben ihnen die zärtlichsten Küsse, und einer wetteiferte mit dem andern, wer die süßesten gäbe.

Antonia: Und welche Küsse hatten, deiner Meinung nach, den größten Zuckergehalt?

Nanna: Natürlich die von den Mönchen!

Antonia: Warum?

Nanna: Den Grund ersiehst du aus der Legende von der ›Buhlerin von Venedig‹.

Antonia: Und dann?

Nanna: Dann setzten sich alle zu Tisch. Und es war die köstlichste Tafel, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Auf dem Ehrenplatz saß die fromme Mutter Äbtissin und zu ihrer Linken der Herr Abt; an der anderen Seite der Äbtissin saß die Schatzmeisterin und neben dieser der Bakkalaureus, ihr gegenüber die Sakristanin mit dem Novizenmeister, und dann kamen in bunter Reihe immer eine Nonne, ein Mönch und ein Weltgeistlicher, und untenan saßen, ich weiß nicht wie viele Pfäfflein und Mönchlein; ich selber aber saß zwischen dem Prediger und dem Beichtiger des Klosters. Und dann kam das Essen, und ein Essen war's, wie's der Papst selber nicht besser hat, so versicherte man mir. Da hörte sofort das Schwatzen auf, und es war, als ob die Inschrift ›Stille!‹, die man in den Refektorien der Klosterväter liest, sich auf Lippen und Zungen herabgesenkt hätte, und nur die Lippen machten beim Essen ein leise murmelndes Geräusch, wie wenn die Seidenwürmer, nachdem sie ausgewachsen sind, ihr lang entbehrtes Futter bekommen und an den Blättern knuspern. Ich meine die Blätter jenes Baumes, in dessen Schatten der arme Pyramus und die arme Thisbe Kurzweil zu treiben pflegten – möge Gott sie dort oben beschirmen, wie er sie hier unten in seine Hut nahm!

Antonia: Du meinst die Blätter vom weißen Maulbeerbaum.

Nanna: Hahaha!

Antonia: Warum lachst du so?

Nanna: Ich lache, weil ich eben an einen Schlingel von Mönch denke – Gott verzeih mir den Ausdruck –, der kaute mit allen zweiunddreißig Zähnen und hatte ein Paar Backen wie ein Posaunenengel, und auf einmal setzte er eine Flasche an den Mund und schlürfte sie in einem Zuge leer!

Antonia: Möchte er dran erstickt sein!

Nanna: Als sie nun den ersten Hunger gestillt hatten, da fingen sie an zu plappern, und es kam mir vor, als wäre ich nicht bei einem Klosterfrühstück, sondern mitten auf dem Navonaplatz, wo man rechts und links und hinten und vorne nichts als Juden mit den Leuten feilschen und schachern hört. Und als sie dann satt waren, da nahmen sie Hühnerflügel und Hahnenkämme und dergleichen, und damit futterten sie sich gegenseitig, wie Schwalben ihre Schwälblein atzen. Und was für ein Gelächter gab es da, wenn so ein Kapaunensterz präsentiert wurde, und was für Bemerkungen wurden bei solchen Gelegenheiten gemacht!

Antonia: So 'ne Bande!

Nanna: Mir wurde danz übel, als ich sah, wie eine Nonne einen schönen Bissen zerkaute und darauf mit ihrem eigenen Munde ihrem Freunde hinhielt.

Antonia: Brrr!

Nanna: Allmählich verwandelte sich die Lust am guten Essen in jenen Überdruß, der allzu reichlicher Sättigung entspringt; da fingen sie an, sich anzuprosten wie die Deutschen; und der Ordensgeneral stand auf und ergriff einen großen Pokal voll Korserwein, forderte die Äbtissin auf, ihm Bescheid zu tun, und schluckte das Ganze hinunter wie 'nen falschen Eid. Alle Augen glänzten bereits wie Spiegelglas vom vielen Trinken, bald aber liefen sie an wie Diamanten, die man anhaucht; sie wurden müde, und viele schwere Köpfe sanken auf das Tischtuch, wie wenn's ein Kopfkissen gewesen wäre. Auf einmal aber wurden alle munter, denn ein schöner Knabe betrat den Speisesaal; der trug in der Hand einen Korb, worauf das weißeste und feinste Tuch lag, das ich je gesehen habe. Schnee, Reif, Milch sind nichts gegen diese Weiße. Es war so weiß wie der Mond am fünfzehnten Tage. Ja, das war es!

Antonia: Was machte er denn mit dem Korb, und was war darinnen?

Nanna: Pst, pst! Nur sachte! Der Knabe machte eine schöne Verbeugung auf spanisch-neapolitanische Art und sagte: »Gesegnete Mahlzeit, meine Herrschaften!« Dann fuhr er fort: »Ein ergebener Diener dieser schönen Gesellschaft sendet euch einige Früchte aus dem irdischen Paradies.« Dann nahm er das Tuch ab und setzte das Geschenk auf den Tisch. Und ein rasendes Gelächter brach los wie rollender Donner; so unwiderstehlich wurde die Gesellschaft zum Lachen hingerissen, wie eine Familie sich den Tränen und Wehklagen überlassen muß, wenn sie den Hausvater seine Augen zum ewigen Schlummer hat schließen sehen.

Antonia: Du machst recht hübsche und naturgetreue Vergleiche!

Nanna: Die Hände von diesem und von jener hatten sich in den letzten Augenblicken gerade mit Schenkeln, Busen, Wangen, Flöten und Pfeifen der Nachbarin oder des Nachbarn beschäftigt, und sie waren so geschickt wie die Taschendiebe, die den Maulaffen ihre Börsen wegzupicken wissen; kaum aber wurden die paradiesischen Früchte sichtbar, so fuhren die Hände in den Korb hinein, und sie waren so hurtig wie die Leute, die sich am Lichtmeßabend auf die Kerzen stürzen, die vom Balkon herabgeworfen werden.

Antonia: Was waren's denn für Früchte? Sag's mir doch!

Nanna: Es waren gläserne Früchte, wie man sie in Murano bei Venedig verfertigt, von der Gestalt eines Kappa; nur waren an jedem Stengel zwei Schellen von einer Größe, daß eine Janitscharenmusik sich ihrer nicht hätte zu schämen brauchen.

Antonia: Hahaha! Ausgezeichnet! Ich verstehe vollkommen, was für Stengel du meinst!

Nanna: Und selig war die, die den größten und dicksten für sich erwischte; und keine von den Nonnen genierte sich, den ihrigen zu küssen, und sie sagten, diese Früchte hülfen ihnen, den Anfechtungen des Fleisches zu widerstehen ...

Antonia: ... die der Teufel holen möge!

Nanna: Ich spielte die Unschuld vom Lande und äugelte nur verstohlen nach den Früchten, wie eine schlaue Katze, die mit den Augen nach der Köchin sieht und die Pfote nach dem Stück Fleisch ausstreckt, das aus Versehen nicht eingeschlossen worden ist. Und wenn nicht meine Tischnachbarin, die sich zwei Früchte genommen hatte, mir eine davon abgegeben hätte, so hätte ich mir selber eine geholt, um nicht wie eine Zimperliese dazusitzen. Doch um es kurz zu machen: Inmitten des Gelächters und des Stimmengewirrs stand mit einem Mal die Äbtissin auf, und alle Anwesenden folgten ihrem Beispiel; und das Benedicite, das sie sprach, klang nicht wie Latein, sondern wie gutes Italienisch.

Antonia: Lassen wir nur das Benedicite! Was machtet ihr nach dem Essen?

Nanna: Warte doch nur; das kommt ja gleich! Nach Tisch gingen wir in ein Zimmer, dessen Wände über und über mit Malereien bedeckt waren.

Antonia: Was waren denn das für welche? Wohl die Bußwerke der Fastenzeit? Oder was sonst?

Nanna: Schöne Bußwerke! Die Malereien waren der Art, daß selbst ein Kastrat sich bei ihrem Anblick amüsiert hätte. Das Zimmer hatte vier Wände. Auf der ersten Wand sah man das Leben der heiligen Nafissa abgebildet. Da erblickte man das gute Mädchen, wie es mit zwölf Jahren, ganz von christlicher Liebe erfüllt, all sein Hab und Gut an Sbirren, Zöllner, Priester, Kuppler und andere derartige würdige Leute verschenkte. Und als sie gar nichts mehr hatte, da setzte sie sich demütig und fromm, mit Verlaub zu sagen, mitten auf die Sixtusbrücke. Und sie hatte nichts um und an sich, als 'n Stühlchen und 'n Fußmättchen und 'n Hündchen und ein Blatt Papier, das war an einem eingekerbten Stöckchen befestigt; damit fächerte sie sich und jagte die Fliegen weg.

Antonia: Warum saß sie denn da auf 'm Stühlchen?

Nanna: Sie stellte eben eins von den Guten Werken dar: die Kleidung der Nackenden. Und so saß denn das junge Ding da, wie ich's dir beschrieben habe, und das Gesicht hielt sie dem Himmel zugewandt, und den Mund hatte sie offen, wie wenn sie gerade das Liedchen sänge:

Wo bleibst du, mein Geliebter?

Was kommst du nicht zu mir?

Auf einem anderen Bilde sah man sie stehen und sich zu einem neigen, der aus übergroßer Bescheidenheit nicht gewagt hatte, sie um etwas von ihren Sachen zu bitten. Auf den ging sie ganz heiter in ihrer Nächstenliebe zu und führte ihn in die Höhle, wo sie die Betrübten tröstete. Da zog sie ihm zuerst den Rock aus und nestelte ihm dann die Hosen auf, und als sie das Hähnchen gefunden hatte, da streichelte sie's so zärtlich, bis es sich ganz stolz aufrichtete und wie ein Hengst, der sich von der Halfter losreißt, um zu der Stute zu gelangen, ihr plötzlich zwischen die Beine fuhr. Aber sie mochte sich wohl nicht für würdig halten, ihm ins Gesicht zu sehen, oder vielleicht, wie der Prediger sagte, der uns ihr Leben erläuterte, wurde ihr auch plötzlich bange, als sie ihn so rot, so glühend und so aufgeregt sah, und mit einer prachtvollen Bewegung drehte sie ihm den Rücken zu.

Antonia: Möge es ihrer Seele gelohnt werden!

Nanna: Ist es ihr denn nicht schon gelohnt? Sie ist doch 'ne Heilige geworden!

Antonia: Da hast du recht.

Nanna: Wer könnte dir alles erzählen? Da war auch das Volk Israel abgebildet, das sie ganz umsonst beherbergte und immer Amore dei befriedigte. Da sah man manchen gemalt, der gekostet hatte, was da war, und dann mit einer Handvoll Geld von ihr ging, das ihr ein freigebiger anderer notgedrungen hatte schenken müssen. Wer ihr Äckerlein bestellte, dem ging es manchmal wie einem, der im Hause eines Verschwenders Herberge findet: Dieser nimmt ihn nicht nur gastlich auf, gibt ihm Nahrung und Kleidung, sondern schenkt ihm noch obendrein das Reisegeld, um an seinen Bestimmungsort gelangen zu können.

Antonia: O gebenedeite und makellose heilige Nafissa, erleuchte du meinen Geist, daß ich deinen allerheiligsten Fußtapfen folge!

Nanna: Kurz, alles, was sie sonst noch machte, vor oder hinter Tür und Tor, das ist dort in voller Natürlichkeit abgebildet, und alles, was sie bis an ihr Lebensende tat, ist da gemalt. Und an ihrem Grabgewölbe sieht man die Abbildungen von all denen, die sie in dieser Welt zurückgelassen, um sie einst in jener Welt wiederzufinden: und das war ein buntes Gewimmel von Schlüsseln wie von Kräutern in einem Maisalat.

Antonia: Donnerwetter! Die Bilder will ich mir doch auf jeden Fall mal ansehen!

Nanna: Auf der zweiten Wand ist die Geschichte von Masetto aus Lamporecchio, und, meiner Seel!, man denkt, die beiden Nonnen, die ihn in die Scheune geführt haben, sind von Fleisch und Blut; der Kerl aber liegt da und tut, als ob er schlafe, während sein Hemd an dem hoch aufgerichteten Mast sich wie ein Segel bläht.

Antonia: Hahaha!

Nanna: Ja, da mußte wirklich jedermann lachen, der's sah, und besonders auch über die beiden anderen Nonnen, die von den losen Scherzen ihrer Mitschwestern Wind gekriegt hatten und sich dies sofort zunutze machten, aber nicht etwa, indem sie's der Äbtissin petzten, sondern indem sie mit an dem Vergnügen teilnahmen, und geradezu verblüffend war Masetto gemalt, der ihnen durch Zeichen zu verstehen gab, daß er nichts von ihnen wissen wollte. Und zuletzt sah man die Oberin der Nonnen; die fing es vernünftig an, indem sie den braven Mann einlud, mit ihr zu speisen und zu schlafen. Eines Nachts aber kriegte er Angst, die Sache möchte ihn zu sehr anstrengen, und sprach ein bißchen laut; da lief das ganze Dorf zusammen, um das Wunder zu sehen; das Kloster aber wurde als heilig kanonisiert.

Antonia: Hahaha!

Nanna: Auf der dritten Wand waren – wenn ich mich recht erinnere – die Porträts aller Schwestern, die überhaupt dem Orden angehört hatten, und neben jeder sah man das Bild ihres Liebsten und auch ihrer Kinder, und die Namen eines jeden und einer jeden waren daruntergeschrieben.

Antonia: 'ne schöne Ehrentafel!

Nanna: Auf der vierten Wand endlich waren alle die verschiedenen Arten, wie man stöpseln und sich stöpseln lassen kann, dargestellt. Die Nonnen sind nämlich verpflichtet, ehe sie mit ihren Freunden ans Werk gehen, erst alle Akte, die man da abgebildet sieht, in lebenden Bildern darzustellen. Und das müssen sie, damit sie sich im Bette nicht so tölpelig anstellen, wie gewisse Frauenzimmer, die alle viere von sich strecken und daliegen wie die Klötze. Solche Liebe hat natürlich weder Saft noch Kraft, und wer's mit so 'nem Mädel zu tun kriegt, der hat nicht mehr Vergnügen dran, als wenn er 'ne Bohnensuppe ohne Salz ißt.

Antonia: Da brauchen sie wohl gar 'ne Lehrerin, so 'ne Art Fechtmeisterin der Liebe?

Nanna: Nun freilich; und diese Lehrmeisterin zeigt den Ungeübten, wie sie's machen müssen, wenn der Mann den Stachel der Fleischeslust spürt und wenn er etwa auf einer Kiste oder auf 'ner Treppe oder auf einem Stuhl oder Tisch oder auf dem Fußboden seine Reiterei zu veranstalten wünscht. Und die Lehrerin, die den guten Nonnen die verschiedenen Stellungen beibringt, tut das mit einer Geduld, wie wenn sie einen Hund oder Papagei oder Starmatz oder 'ne Elster abrichtete. Und die Kunststückchen der Taschenspieler sind leichter zu lernen als die Behandlung des Hähnchens, so daß es steht, auch wenn es keine Lust hat.

Antonia: Wirklich?

Nanna: Verlaß dich drauf. Schließlich wurden wir dann des Bilderbeguckens und Plauderns und Scherzens überdrüssig. Und wie plötzlich die Straße leer wird, wenn die Barberi im Wettlauf heranrasen, oder, um ein besseres Bild zu gebrauchen, wie sich die Schüssel mit Kuhfleisch leert, wenn die Dienstboten, die sonst kein Fleisch bekommen, darüber herfallen, oder wie die Feigen vor dem hungrigen Bauern verschwinden: so verschwanden Nonnen, Mönche, Pfarrer und Weltpriester, auch die jungen Pfäfflein drückten sich, und der Junge, der die Glasdinger gebracht hatte, ging ebenfalls seines Weges. Nur der Bakkalaureus blieb bei mir; ich war nämlich ganz alleine, beinahe zitternd, dageblieben und konnte kein Wort hervorbringen. Und er sagte zu mir: »Schwester Christiana« – diesen Namen hatten sie mir gegeben, als ich das geistliche Gewand anlegte –, »Schwester Christiana, meines Amtes ist es, Euch in die Zelle zu geleiten, wo die Seele über den Körper triumphiert und zur Seligkeit gelangt.« Ich wollte einige Umstände machen, aber all mein Sträuben half mir nichts; er ergriff meine Hand, in der ich die gläserne Wurst hielt, so daß diese beinahe zu Boden gefallen wäre. Da stieß ich unwillkürlich einen Seufzer aus, und der fromme Padre faßte sich ein Herz und gab mir 'nen Kuß, und da ich von meiner Mutter her ein mitleidiges Herz habe und nicht von Stein bin, so hielt ich ganz mäuschenstill und sah ihn durch halbgeschlossene Augenlider an.

Antonia: Das war sehr richtig von dir.

Nanna: Und so ließ ich mich von ihm führen wie der Blinde vom Hündchen. Na, schön und gut! Er führte mich also in ein Kämmerchen, das gerade in der Mitte aller Zellen gelegen war. Diese Zellen aber waren nur durch dünne Ziegelwände getrennt, und die Fugen waren so schlecht verstrichen, daß überall große Ritzen waren; und man brauchte nur das Auge an eine dieser Spalten zu legen, um sofort zu sehen, was in allen Nebenkammern vorging. Kaum waren wir in der Zelle angekommen, und kaum hatte der Bakkalaur den Mund aufgetan, um mir zu sagen, meine Schönheiten – ich glaube, so drückte er sich aus – stächen die Reize der Feen aus, und dann hieß es ›meine Seele‹, ›mein Herz‹, ›mein teures Blut‹, ›mein süßes Leben‹ – und so die ganze Litanei zu Ende, und gerade hatte er mich aufs Bett gelegt, wogegen ich mich nicht im geringsten sträubte, da auf einmal ging es: Tick! Tack! Tack! Der Bakkalaur und alle andern im Kloster, die's hörten, kriegten einen fürchterlichen Schreck. Stell dir vor, es kommt einer plötzlich in 'ne Scheune hinein, wo eine Menge Mäuse sich in einem Nußhaufen gütlich tun – natürlich bekommen die Tierchen es mit der Angst, daß sie kaum noch wissen, wo ihre Löcher sind –, so liefen auch die Klosterleutchen herum, um in ein Versteck zu schlüpfen, und dabei stießen und pufften und drängten sie sich und waren vor Angst vor dem Safrugan ganz außer Rand und Band; es war nämlich der Safrugan des Bischofs, dem das Kloster unterstand, der machte uns mit dem Tick! tack! tack! solche Angst, wie wenn wir Frösche gewesen wären, die wohlgemut am Grabenrand im Grase sitzen; du hast gewiß schon gesehen, wie sie, wenn jemand ruft oder ein Stein ins Wasser plumpst, plötzlich alle miteinander auf einmal kopfüber in den Graben hopsen. Und wie er nun durch den Schlafsaal ging, da fehlte nicht viel, so wäre er in die Zelle der Äbtissin eingetreten, die gerade mit dem Ordensgeneral darüber verhandelte, ob nicht ihre Nonnen anstatt der Vesper eine Morgenandacht halten könnten. Und die Schwester Kellermeisterin erzählte uns, er hätte bereits seine Hand erhoben, um ihr 'nen Puff zu geben oder wer weiß was sonst noch; zum Glück aber besann er sich noch und ging nicht weiter, weil nämlich ein Nönnlein vor ihm auf die Knie fiel, das sich auf den figurierten Gesang verstand wie die Drusiana des Buovo d'Antona.2

Antonia: Oh, das hätte ein Hallo gegeben, wenn er hineingegangen wäre, hahaha!

Nanna: Aber wir kamen nur gerade eben noch mit einem blauen Auge davon, das kannst du mir glauben, denn kaum hatte der Suffragan sich hingesetzt ...

Antonia: Jetzt hast du das Wort richtig ausgesprochen.

Nanna: ... da kommt auf einmal ein Kanonikus, ein Primuzer3, und bringt ihm die Nachricht, der Bischof sei ganz in der Nähe. Sofort steht er auf und begibt sich eiligst nach dem Bischofspalast, um sich zurechtzumachen, denn er mußte dem Bischof entgegengehen. Vorher aber hatte er noch befohlen, das Kloster solle zum Zeichen der Freude mit den Glocken bimmeln. Kaum war er zur Tür hinaus, so kehrte ein jedes wieder zu seiner Bequemlichkeit zurück. Nur der Bakkalaur mußte fortgehen, um im Namen der Äbtissin Seiner Ehrwürdigsten Gnaden die Hand zu küssen. Die anderen aber begaben sich wieder zu ihren Herzallerliebsten, wie Stare sich wieder auf den Ölbaum niederlassen, von dem sie mit seinem Hohoho! der Bauer vertrieben hat, der Knicker, dem es das Herz abfrißt, wenn ein Star ihm eine Olive frißt.

Antonia: Wenn du doch zur Sache kämst! Ich habe ein Ungeduld in mir, wie 's Kindchen, das darauf wartet, daß die Amme ihm die Brust ins Mündchen schiebe. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen wie am Osterabend beim Eierschälen, wenn man das lange Fasten hinter sich hat.

Nanna: Es kommt ja schon! Ich war also allein geblieben; in den Bakkalaur hatte ich mich schon verliebt, denn es schien mir nicht recht, es anders zu machen, als es im Kloster Brauch war. Da dachte ich denn dran, was ich in den fünf oder sechs Stunden seit meinem Eintritt ins Kloster gesehen und gehört hatte; und in der Hand hielt ich die Glasstange. Ich äugelte mit ihr wie jemand, der zum erstenmal die greuliche Eidechse erblickt, die in der Chiesa del Popolo aufgehängt ist, und ich war über das Ding verblüffter als über die ungeheuerlichen Gräten jenes Riesenfisches, der bei Corneto auf den Sand geworfen war. Ich konnte mir nicht erklären, warum die Schwestern so große Stücke darauf hielten. Während ich mich nun mit solchen Gedanken beschäftigte, hörte ich auf einmal ein schallendes Gelächter, das einen Toten hätte aufwecken können. Das Lachen wurde immer lauter, und ich beschloß daher nachzusehen, woher es wohl käme. Ich stand also auf und legte erst ein Ohr an eine Ritze; dann, da man im Dunkeln mit einem Auge besser sieht als mit zweien, machte ich das linke zu und guckte mit dem rechten durch ein Loch zwischen zwei Ziegeln, und da sah ich – hahaha!

Antonia: Was denn? Was sahst du denn? Bitte, sag's mir doch!

Nanna: Ich sah in der Nebenzelle vier Nonnen, den Ordensgeneral und drei Mönchlein wie Milch und Blut, die zogen dem ehrwürdigen Vater den Priesterrock aus und bekleideten ihn dafür mit einem Atlaswams. Auf die Tonsur setzten sie ihm eine goldgewirkte Haube und darüber ein Samtbarett, das über und über mit Glasperlen besetzt und mit einem weißen Federbusch geschmückt war. Dann gürteten sie ihm ein Schwert um, und der selige General lallte trunkene Worte und ging breitbeinig wie Held Bartolomeo Coglioni in der Kammer auf und ab. Unterdessen hatten die Nonnen ihre Röcke und die Mönche ihre Kutten ausgezogen, und drei von den Nonnen zogen die Mönchskutten, die Mönche aber zogen die Nonnenkleider an. Die vierte aber legte den Talar des Generals an und setzte sich mit feierlicher Würde hin und spielte den Kirchenfürsten, der den Klöstern ihre Gesetze gibt.

Antonia: Eine schöne Orgie!

Nanna: Wart nur – jetzt fängt es ja erst an, schön zu werden.

Antonia: Wieso denn?

Nanna: Nun, der ehrwürdige Vater rief die drei Mönchlein heran und lehnte sich auf die Schulter des einen, der ein schlank aufgeschossener, zartgebauter Jüngling war. Von den beiden anderen ließ er sich das Hähnchen aus dem Nest holen – das ließ aber gar traurig das Köpfchen hängen. Doch der gewandteste und hübscheste von den beiden Brüderchen legte es auf seine flache Hand und streichelte es mit der anderen Hand, wie man einer Katze den Schwanz streichelt, bis sie vom Schnurren ins Fauchen gerät und sich schließlich nicht mehr halten läßt. Da richtete denn auch das Hähnchen sich stolz empor. Der wackere General aber kriegte die hübscheste und jüngste von den Nonnen zu packen, schlug ihr die Röcke über den Kopf zurück und ließ sie sich mit der Stirn auf die Bettstelle aufstützen. Dann hielt er mit seinen Händen sanft ihre Hinterbacken auseinander – es sah aus, wie wenn er die weißen Blätter seines Meßbuches aufschlüge – und betrachtete ganz hingerissen ihren Popo. Der war aber auch weder ein spitzes Knochengerüst noch ein schwabbeliger Fettklumpen, sondern gerade die richtige Mitte: ein bißchen zitterig und schön rund und schimmernd wie beseeltes Elfenbein; die Grübchen, die man mit solchem Vergnügen an Kinn und Wangen schöner Frauen sieht, sie zierten auch diese beiden Backen, die so zart waren wie eine Mühlenmaus, die in lauter Mehl geboren und aufgewachsen ist. Und so glatt waren alle Glieder des Nönnchens, daß die Hand, die man ihr auf die Lende legte, sofort bis an die Waden herunterfuhr, wie der Fuß auf dem Eise ausrutscht, und Haare sah man auf ihren Beinen sowenig wie auf einem Ei.

Antonia: Da verbrachte wohl der Vater General den ganzen Tag mit seiner andächtigen Bewunderung, he?

Nanna: I, Gott bewahre! Er tunkte seinen Pinsel in den Farbtopf – nachdem er ihn vorher mit Spucke gesalbt hatte – und ließ sie sich drehen und winden, wie die Weiber in den Geburtswehen sich winden oder wenn sie das Mutterweh haben. Und damit der Nagel recht fest stäke, gab er seinem Spinatfreund, der hinter ihm stand, einen Wink; der löste ihm die Hosen, daß sie ihm auf die Hacken fielen, und setzte Seiner Ehrwürden visibilium das Klistier an. Der General aber verschlang mit seinen Augen die beiden anderen Knaben, die sich die beiden Nonnen recht bequem übers Bett gelegt hatten und ihnen die Sauce im Mörser verrieben. Das war ein großer Kummer für die vierte Schwester, die ein bißchen triefäugig und etwas schwärzlich von Haut war, weshalb keiner etwas von ihr hatte wissen wollen. Sie wußte sich aber zu helfen. Sie füllte den gläsernen Tröster mit Wasser – man hatte dem hohen Herrn etwas zum Händewaschen warm gemacht –, setzte sich auf ein Kissen, das sie auf die Erde legte, und stemmte die Fußsohlen gegen die Wand. Dann setzte sie die Riesenschalmei an und stieß sie sich in den Leib – es war, wie wenn ein Degen in die Scheide fährt! Ich war von all der Wonne des Zuschauens ganz aufgelöst und streichelte mein Mäuschen mit der Hand, wie im Januar die Katzen auf den Dächern den Steiß aneinander reiben.

Antonia: Hahaha! Und wie endete der Spaß?

Nanna: Nachdem er nun 'ne halbe Stunde lang raus- und reingerutscht war, sagte der Prälat: »Wir wollen's jetzt alle zusammen machen. Komm her, mein Junge, und küsse mich, und auch du, meine Taube!« Die eine Hand hielt er nun an die Dose der Engelsnonne, mit der anderen liebkoste er die Hinterbacken des hübschen Jungen, und dabei küßte er bald ihn, bald sie und machte dazu ein so schmerzverzogenes Gesicht wie auf Belvedere die Marmorfigur von dem Mann, der inmitten seiner beiden Söhne von den Schlangen getötet wird. Schließlich fingen sie alle zusammen an zu schreien: die Nonnen und die Mönchlein auf dem Bett und der General nebst Unterlage und Rückendeckung und auch die Überzählige mit der venezianischen Glasrübe. Taktmäßig wie Kurrendesänger oder wie Schmiede, die auf das Eisen hämmern, schrien sie los: »Ach! Ach!« Und: »Küsse mich!« Und: »Dreh dich besser zu mir her!« »Die süße Zunge!« »Gib mir sie doch!« »Da hast du sie!« »Stoß feste!« »Wart, es kommt schon!« »Oh, da ist's!« »Drücke mich!« »Hilf mir doch!« – und das alles bald halblaut, bald in den höchsten Tönen und in allen Klängen der Tonleiter. Und das war ein Augenverdrehen, ein Stöhnen, ein Schieben und ein Strampeln, daß Bänke und Schränke und Bett und Tisch und Stühle hin und her schwankten wie Häuser bei einem Erdbeben.

Antonia: Fein!

Nanna: Und auf einmal, da gab's gleichzeitig acht Seufzer tief aus Leber, Lunge, Herz und Seele des Ehrwürdigsten Undsoweiter, der Nonnen und der Mönche. Und diese Seufzer machten einen so starken Wind, daß sie acht Fackeln würden ausgeblasen haben. Und mit diesem Seufzer sanken sie alle erschöpft zu Boden wie Betrunkene, die der Wein niederwirft. Ich war von all dem Zugucken ganz kreuzlahm; vorsichtig zog ich mich von der Spalte zurück, setzte mich aufs Bett und sah mein Glasding an.

Antonia: Halt mal 'n bißchen! Das mit den acht Seufzern ist doch kaum glaublich!

Nanna: Du klaubst zu sehr am Wort herum; höre doch nur weiter!

Antonia: Na, dann bitte.

Nanna: Als ich nun das Glasding ansah, fühlte ich mich ganz aufgeregt – und das war wohl auch kein Wunder, denn beim Anblick solcher Sachen, wie ich sie gesehen, hätte sich wohl selbst bei den Eremiten von Camaldoli was geregt. Und von dem Betrachten des Glasdings fiel ich in tentatione, et libera nos a malo. Ich konnte dem Stachel des Fleisches, der mich aufs Blut peinigte, nicht länger widerstehen. Leider hatte ich kein warmes Wasser wie die Nonne, der ich die richtige Anwendung des kristallenen Stengels abgesehen hatte; aber Not macht erfinderisch: Ich pinkelte ganz einfach in das Ding hinein.

Antonia: Wie machtest du denn das?

Nanna: Es war ein Löchelchen drin, um das warme Wasser hineingießen zu können. Na, um die Sache nicht allzulang zu machen: Fix hob ich mir die Röcke hoch, stemmte das dicke Ende der Stange gegen den Bettrand und setzte mir die Spitze an; dann ließ ich sachte, sachte den Stachel eindringen. Es juckte mächtig, denn das Ding hatte einen dicken Kopf; ich fühlte daher zugleich Schmerz und süße Wonne. Aber die Wonne überwog, und nach und nach belebte sich der gläserne Stachel. Und ganz von Schweiß überströmt, faßte ich mir einen Löwenmut und stieß ihn mir so tief hinein, daß er aufs Haar gänzlich in meinen Tiefen verschwunden wäre. Und wie er so hineindrang, da glaubte ich Todes zu sterben, aber dieser Tod war süßer als das ewige Leben. Nachdem ich nun 'ne gute Weile den Schnabel dringelassen hatte, fühlte ich mich ganz überströmt; da riß ich ihn raus, und beim Rausreißen fühlte ich ein Brennen wie 'n Krätziger, wenn er die Nägel von den Schenkeln wegnimmt. Ich seh mir das Ding an, und ach herrje! Da war's ganz voll Blut. Da fing ich an zu schreien: »Oh, erbarme dich mein!«

Antonia: Warum denn, Nanna?

Nanna: Warum? Na, ich dachte, ich hätte mich auf den Tod verwundet! Ich greife mit der Hand an meine Mimi, und wie ich sie zurückziehe, ist sie ganz naß und rot wie 'n Handschuh von 'nem Bischof im Ornat. Da fang ich an zu schreien und fahr mir mit den Händen in die kurzen Haare, die am Vormittag der Priester, der mich einkleidete, mir gelassen hatte, und stimme den Klagegesang von Rhodos an.

Antonia: Von Rom, Nanna! Denn wir sind doch in Rom.

Nanna: Meinetwegen, von Rom, wenn du das lieber willst. Und ich hatte nicht bloß Angst, ich müßte sterben, als ich das Blut sah, sondern ich hatte auch noch Furcht vor der Äbtissin.

Antonia: Warum denn?

Nanna: Wenn sie was gemerkt hätte und hätte wissen wollen, woher das Blut kam, und wenn sie dann die Wahrheit herausgekriegt hätte, so konnte sie mich ja in Ketten und Banden wie 'nen rüdigen Nickel ins Gefängnis werfen lassen, und wenn sie mir auch keine andere Buße auferlegt hätte, als die Geschichte von dem Blut zu erzählen, wäre das nicht Grund genug gewesen zu weinen?

Antonia: Nein. Warum denn?

Nanna: Warum denn nicht?

Antonia: Du brauchtest ja nur die andere Nonne anzuzeigen, du hättest sie mit dem Glasding spielen sehen. Dann wärst du selber sofort los und ledig gesprochen.

Nanna: Ja, da hätte aber die Nonne sich ebenso voll Blut machen müssen wie ich. Soviel ist gewiß, Nanna fühlte sich sehr ungemütlich! Auf einmal hörte ich an meiner Tür klopfen; schnell trocknete ich mir recht schön die Augen ab, stand auf und antwortete: »Gratia plena«. Dann öffnete ich, und siehe da, man rief mich zum Abendessen. Aber ich hatte ja am Morgen nicht wie 'ne frischgeweihte Nonne, sondern wie 'n Soldatenmädel feste gepräpelt, außerdem war mir vor Angst wegen des Blutes der Appetit vergangen, und so sagte ich, ich wollte den Abend lieber nüchtern bleiben. Dann schob ich wieder den Riegel vor die Tür und setzte mich ganz nachdenklich hin, immer mit der Hand auf meiner Kleinen. Da merkte ich, Gott sei Dank, daß sie nicht mehr tropfte; das machte mir wieder ein bißchen Mut, und, um mir die Zeit zu vertreiben, ging ich wieder an die Wandritze, denn ich sah aus der Nebenzelle einen hellen Schein hindurchfallen. Die Mönche hatten nämlich inzwischen Licht angezündet. Ich sah also hindurch, und da waren sie alle nackt; und gewiß, wenn der General und die Nonnen und die Klosterbrüder alt gewesen wären, so würde ich sie mit Adam und Eva vergleichen oder mit anderen aus dem Seelchengewimmel der Vorhölle. Aber überlassen wir lieber solche Vergleiche den Sibyllen! Der Prälat ließ nun seinen Spinatfreund, ich meine jenen hübschen schlanken Milchbart, auf einen viereckigen Tisch steigen – es war der Eßtisch der vier Christinnen des Antichrist –, und das Bürschchen nahm statt 'ner Trompete einen Stock und setzte ihn an den Mund wie ein Trompeter sein Instrument und ließ eine Fanfare erschallen. Nach dem Taratantara aber rief er aus: »Der Großsultan von Babylon tut allen wackeren Kämpen kund und zu wissen, daß sie allsogleich mit eingelegter Lanze hier auf der Stechbahn zu erscheinen haben. Und wer die meisten Lanzen bricht, der erhält als Preis einen ganz glatten Runden ohne Härchen, woran er die ganze Nacht seine Freude haben kann. Amen!«

Antonia: Ein schöner Heroldsruf! Den hatte ihm gewiß sein Herr und Meister gedichtet. Nu weiter, weiter, Hannchen!

Nanna: Da stellten sie sich nun in Reih und Glied zum Turnier auf. Der Hintere jener schieläugigen Schwarzen, die vorhin soviel Vergnügen von ihrem gläsernen Stengel gehabt, wurde als Stechziel bestimmt, und dann losten sie die Reihenfolge aus. Der Vorritt fiel dem Trompeter zu; er gab einem Kameraden den Stock, um für ihn zu blasen, während er selber ritt, dann spornte er sich mit den eigenen Fingern und bohrte seine Lanze bis ans Heft ins Zentrum der Freundin; und weil der Stoß so gut war wie drei, wurde er mit lautem Beifall belohnt.

Antonia: Hahaha!

Nanna: Nach ihm traf das Los den Prälaten, der legte die Lanze ein und ritt und traf den Freund in dieselbe Stelle, wo dieser die Nonne getroffen hatte. So standen sie fest wie Grenzsteine zwischen zwei Äckern. Das dritte Los traf dann ein Nönnlein, und da sie keine Lanze von Kernholz hatte, nahm sie eine von Glas und jagte sie im ersten Anlauf dem General von hinten hinein, während sie, um auch selber nicht zu kurz zu kommen, die Schellen in ihrem Venustempel unterbrachte.

Antonia: Wohl bekomm's!

Nanna: Gleich darauf kam der zweite Mönch dran, weil er das nächste Los zog; der zielte gut und traf mit dem Pfeil sofort ins Schwarze, die zweite Nonne aber machte es wie ihre Kameradin und stieß die Lanze mit den beiden Kugeln in das Utriusque des Jünglings, der sich von dem Stoß krümmte wie ein Aal. Endlich kamen der letzte und die letzte dran, und da gab's viel zu lachen, denn sie begrub den gläsernen Zuckerstengel, den sie am Morgen beim Frühstück erwischt hatte, tief in den hinteren Schlund ihrer Schwester im Herrn; das Klosterbrüderchen aber, das ganz zuletzt übrigblieb, pflanzte ihr seinen Lanzenschaft zwischen die Hinterbacken. Und das Ganze sah aus wie ein Bratspieß voll verdammter Seelen, die Satanas zu Meister Luzifers Karneval sich fürs Höllenfeuer herrichten wollte.

Antonia: Hahaha! Das muß famos gewesen sein.

Nanna: Die Schieläugige war ein äußerst spaßhaftes Nönnchen und machte, während alle drückten und schoben, die reizendsten Witze von der Welt. Darüber mußte ich so fürchterlich lachen, daß man mich hörte, worauf ich es für geratener hielt, mich zurückzuziehen. Nach einiger Zeit hörte ich in der Nebenzelle jemanden schimpfen und ging wieder an meinen Beobachtungsposten, um zu sehen, wer es gewesen wäre. Aber da fand ich die Spalte mit einem Bettuch verhängt, und so konnte ich das Ende des Ringelstechens nicht mit ansehen und erfuhr auch nicht, wer den Preis davontrug.

Antonia: Du läßt mir ja das Beste weg!

Nanna: Ja freilich – aber nur, weil's mir selber weggelassen wurde. Es ärgerte mich ganz abscheulich, daß ich das Eichel- und Eierspiel nicht weiter mit ansehen konnte. Aber während ich mich noch selber ausschalt, daß ich mich mit meinem Gelächter um die erbauliche Predigt gebracht, hörte ich plötzlich etwas Neues.

Antonia: Was denn? Sag's doch schnell!

Nanna: Durch die Spalten in meiner Wand konnte ich drei Zellen überblicken.

Antonia: Da bestanden wohl die Mauern aus lauter Löchern. Ein Sieb ist ja gar nichts dagegen!

Nanna: Ich denke mir, sie haben sich mit dem Zustopfen der Löcher keine große Mühe gemacht, weil sie auf diese Weise gegenseitig ihr Vergnügen aneinander hatten. Genug – ich höre ein Stöhnen und Seufzen, ein Pusten und Schnaufen, wie wenn da zehn Personen wären, die im Traum der Alp drückte; ich spitze die Ohren und höre – es war an der Wand, die der anderen, hinter der das Lanzenbrechen stattfand, gegenüberlag – und höre in ganz gedämpftem Tone sprechen. Schnell hab ich das Auge an der Ritze, und da sehe ich dir, die Beine hoch in der Luft, zwei Nönnchen, fett und frisch, mit vier Schenkeln weiß und rund und hübsch quabbelig wie Schlickermilch. Jede hielt in der Hand ihre Glasrübe, und die eine hub an und sprach zur anderen: »Was für ein Blödsinn, sich einzubilden, für unseren Appetit genügten solche Schmutzdinger, die nicht küssen können, die keine Zunge haben und keine Finger, um unsere Klaviatur damit zu bearbeiten! Und selbst, wenn sie das alles hätten – ich bitte dich, da die Nachbildungen uns schon solche Wonnen bereiten, wieviel würden wir erst von den lebendigen haben! Ja, wir können wohl mit Recht von uns sagen ›Arme Dinger!‹, wenn wir unsere ganze Jugend hindurch auf diese gläsernen Notbehelfe angewiesen sind!« – »Weißt du was, Schwesterchen?« antwortete die andere, »ich will dir einen Rat geben: komm mit mir!« – »Und wohin gehst du?« fragte jene. »Ich? Sobald es Nacht ist, brenn ich durch und geh mit einem jungen Mann nach Neapel; sein bester Freund reist auch mit, und der wäre gerade dein Fall! Ja, heraus aus dieser Spelunke, aus diesem Grab, und genießen wir unsere Jugend, wie es allen Frauen zukommt!« – Sie hätte gar nicht soviel Worte zu machen brauchen, denn die andere war von leichtem Kaliber und erklärte sich sofort bereit. Sowie sie sich darüber einig waren, warfen sie beide gleichzeitig ihre Glasstengel gegen die Wand; um aber den Lärm zu verdecken, den das machte, schrien sie aus Leibeskräften: Katz! Katz! Katz!, als ob die Katzen ihre Nachttöpfe und was sonst noch an Geschirr da war, zerbrochen hätten. Dann sprangen sie aus dem Bett, packten ihre besten Sachen zusammen und verließen die Kammer. Ich war nun wieder allein, da hörte ich plötzlich ein Klatschen, wie wenn einer mit den flachen Händen auf ein paar nackte Schenkel schlüge, und ein ›Ach!‹ und ›O weh, ich Arme!‹ und ein Geräusch, wie wenn jemand sich mit den Nägeln das Gesicht zerkratzte, sich die Haare raufte und die Kleider zerrisse. Und so wahr ich hoffte, selig zu werden, ich glaubte, unser Glockenturm stände in Flammen! Schnell lege ich das Auge an eine Mauerritze, und da sehe ich, daß es unsere Ehrwürdige Mutter, die Frau Äbtissin, ist, die die Wehklagen des Apostels Jeremias anstimmt.

Antonia: Wie? Die Äbtissin?

Nanna: Die fromme Nonnenmutter, die Beschützerin unseres Klosters.

Antonia: Was fehlte ihr denn?

Nanna: Soweit ich das beurteilen kann, war sie von ihrem Beichtvater ermordet worden.

Antonia: Wieso denn?