Die Glerien Saga III - Angélique Knieps - E-Book
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Die Glerien Saga III E-Book

Angélique Knieps

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Beschreibung

»Ihr habt Alistor bekämpft, der seit Jahren versucht Glerien vor mir zu retten und habt mich, denjenigen, der den Thron mehr begehrt als jeder andere, bei euch speisen lassen.« Ein Jahr nach dem Krieg sollen die ersten Friedenswettkämpfe eine neue Ära auf Glerien einleiten. Doch schon ziehen erneut dunkle Wolken über der verfluchten Insel herauf. Gerüchten zur Folge versuchen Alistors Anhänger eine Armee aus Toten zu erwecken, um erneut in den Krieg zu ziehen, während Dalarion Babaran IV. im Hintergrund alles für seine Machtübernahme in die Wege leitet. Obwohl Neils Herz vor Trauer zu zerreißen droht, begibt er sich mit seinen Freunden auf eine gefährliche Suche nach der Wahrheit, unwissend, dass am Ende alles von seiner Entscheidung abhängen wird …

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Angélique Knieps

Die Glerien Saga III

Der Pfad der Toten

© 2023 Angélique Knieps

Lektorat: Mareen-Soraya Imort

Coverdesign von: Jennifer Schattmaier (https://schattmaier-design.com)

ISBN Softcover: 978-3-384-02908-9 ISBN E-Book: 978-3-384-02909-6

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Triggerwarnung!

Andeutung eines sexuellen Übergriffs, nicht explizit dargestellt.

Im Kapitel ›Veränderungen‹ (S. 435 – 455)

Für Kenny,Danke für alles!

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Alistors Vermächtnis

Der gebrochene Held

Der Fluch der Alysier

Hochzeitsglocken

Der Thron der Drachenreiter

Die Audienz der Könige

Asgard

Feierlichkeiten

Gerüchte

Zweifel

May Gahlsee

König Dalarion Barbaran IV.

Claria und der Prinz

Das Ende der Friedenswettkämpfe

Aufbruch

Die Macht der Toten

Kristelika

Wo ist Keikai?

In die Enge getrieben

Zekras Geschichte

Neils Hass

Der Dämon Nesil

Grabräuber

Veränderung

Überfahrt

Die Bibliothek der Kirche

In den alten Schriften

Flucht

Tod und Befreiung

Helio

Kampf der Meria

Die Macht des Colinax

Das Dorf der Kobolde

Vereinigung

Ilay und Himer

Endlich die ganze Wahrheit?

Befehlsgewalt

Der Pfad der Toten

Dalarions Einfluss

Dalarions Gefährten

Der neue Darkonianerkönig

Im Labyrinth

Irrwege

Unsichtbarer Tod

Ankunft bei Vassago

Azrael

Verluste

Der Pakt

Epilog

Charaktere

Orte

Autor

Die Glerien Saga III

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Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Alistors Vermächtnis

Autor

Die Glerien Saga III

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Alistors Vermächtnis

Aus der Wunde an Zekras Arm lief dickflüssig das Blut bis zu den Fingerspitzen hinab und benetzte den feuchten Waldboden. Wütend riss er ein Stück seines linken Ärmels ab, um seine Verletzung abzubinden. Es ärgerte ihn, dass er im Kampf mit dem Naritzen nachsichtig geworden war und sich von seinem Horn hatte treffen lassen. Doch das alles hatte jetzt keine Bedeutung. Er stand vor den Ruinen, die vor einiger Zeit noch den Rückzugsort Alistors dargestellt hatten. Die Magie, die das Versteck vor den Augen der Welt verborgen hielt, war mit dem Tod des Schwarzmagiers ebenfalls verschwunden. Der Eingang, der in den Untergrund führte, war eingestürzt und mit großen Felsbrocken blockiert.

Seit einer gefühlten Ewigkeit war er bereits durch Glerien gewandert. In dieser Zeit hatte er sich die Grundtechniken der Magie angeeignet und stand nun am Ende seiner Reise an dem Ort, an dem alles begann.

Kurz nachdem Yilan nach dem Krieg in seinen Gemächern aufgetaucht war, hatte Zekra mit Josil, Nate und Diyo gesprochen und auch ihnen ihre Erinnerungen mit Hilfe des Pendels zurückgegeben. Erinnerungen, die Alistor mit seiner schwarzen Magie vor Xars Augen verborgen gehalten hatte. Er hatte alles getan, um Noin nicht wissen zu lassen, was er plante. Doch jetzt hatten sie ihr Gedächtnis zurückerlangt. Sie waren die einzigen, die Noin noch aufhalten konnten. Er würde nicht zulassen, dass dieser Mann sich Glerien unterwarf. Nicht so lange er lebte. Dazu hatte er Diyo zu seiner persönlichen Leibgarde ernannt und war mit ihm und Yilan auf eine Reise gegangen. Seinem Bruder hatte Zekra erzählt, dass er Glerien in all seinen Facetten kennenlernen wollte, damit er ein würdiger Prinz sein konnte. Doch sein Ziel war ein anderes. Mit Josil und Nate hatte Zekra abgesprochen, dass er Alistors Tagebuch auftreiben wird. Es beinhaltete die tiefsten Gedanken und Forschungen ihres Meisters und war nur mit dessen Magie zugänglich.

Es hatte Zekra viel Mühen und Zeit gekostet, unbemerkt die Lehren der Magie zu studieren. Der letzte Krieg lag beinahe ein Jahr zurück und der Herbst machte erneut in Glerien halt.

Der Prinz ballte eine Hand um das Pendel und ließ Alistors Verhüllungszauber wieder aufleben. Wie von Geisterhand verrückten die Felsbrocken und gaben den Weg hinab in die Tiefe frei.

Nachdem er das Pendel sicher verstaut hatte, wagte er es zusammen mit Diyo und Yilan, welche das ganze Spektakel ruhig beobachteten, die Treppen hinabzusteigen. Mit jeder neuen Stufe, die er betrat, flackerte an der Wand eine Fackel auf. Das Licht war gerade mal hell genug, um die nächste Stufe zu erblicken. Unendlich fraß sich die Treppe in den Untergrund Gleriens.

Nach einer gefühlten Ewigkeit endete die Treppe in einem dunklen Gang. Es handelte sich nicht um einen Ort, den Zekra freiwillig aufsuchte. Das fahle Licht und auch die nasse Kälte drangen in seinen Körper und ließen ihn erschaudern. Obwohl er wusste, dass kein Unbefugter Zutritt hatte, waren seine Sinne geschärft und er bereit bei jedem Geräusch in Kampfstellung zu gehen. Bisher hatte er nur ein einziges Mal Alistors Versteck betreten. Und das war vor fast elf Jahren, als ihr Meister ihnen von seinem Vorhaben berichtete.

Zekra war es unmöglich zu sagen, wie lange sie durch das Gewirr von Gängen wanderten, bevor sie Alistors Thronsaal fanden. Der Prinz wehrte sich gegen die Versuchung sich auf den Thron zu setzen. Seitdem er seine Erinnerungen zurückerlangt hatte, durchbrach immer wieder sein altes Ich seine Sinne. Lechzend nach Macht und Ruhm glich es einem Flüstern, das ihm süße Versuchungen ins Ohr säuselte. Er biss sich auf die Lippen und begab sich zum hinteren Teil des Saales, von dem aus eine Tür in eine Art Bibliothek führte. Mehrere hunderte von Büchern stapelten sich in maroden Holzregalen, die ihr Gewicht mit Sicherheit nicht mehr lange halten würden.

Zekra schaute sich die Buchrücken im ersten Regal an. Sie alle handelten von der Magie und derer Nutzung. Die meisten befassten sich mit der dunklen und verbotenen Materie in diesem Bereich. Doch wie sollte Zekra unter so vielen Büchern das richtige finden?

Erschöpft ließ er sich auf den unangenehm kalten Boden fallen und blickte an den Regalen entlang.

»Bereut ihr unseren Beschluss von vor elf Jahren?«, fragte der Prinz in die Stille hinein.

An Diyos Blick konnte er ablesen, dass er ihn mit der Frage auf dem falschen Fuß erwischt hatte. »Bereuen wäre nicht das richtige Wort. Ich bedaure unsere Handlungsweise nicht und sehe sie weder als falsch noch als unrecht an«, begann Diyo, dessen Blick ziellos durch den Raum wanderte, in der Hoffnung etwas zu finden, an dem er sich festhalten könnte. »Alistor hat diesen Plan als den einzig sicheren ausgemacht und ich vertraue bis jetzt auf seine Einschätzungen. Er hatte uns immer gesagt, dass wir bereit sein müssen den Preis für unseren Sieg zu zahlen.« Der Elitekrieger gab die Hoffnung Halt zu finden auf und blickte den Prinzen erneut an. »Wir haben zehn Jahre als eine andere Version von uns selbst gelebt, während wir Dinge getan haben, die unmenschlich und brutal waren. Mit dieser Bürde müssen wir leben und sie als eben jenen Preis sehen, den Alistor uns immer predigte.«

Zekra nickte. »Ich war gerade einmal dreizehn Jahre alt, als ich zustimmte, dass Alistor meine Gedanken manipuliert und ich zu einem arroganten, selbstgefälligen Prinzen heranwuchs, der sich nichts sehnlicher wünschte als den Thron an sich zu reißen.« Zekra machte eine kurze Pause. »Dieses Ich hielt zehn Jahre an. Ich war also fast mein halbes Leben jemand anderes. Manchmal, wenn ich zurückdenke, verwirrt es mich und ich weiß nicht, wer ich wirklich bin.«

»Du warst der Einzige von königlichem Blut, der erkannte, welcher Gefahr Glerien bald gegenüberstehen würde. Es war deine Entscheidung zu handeln. Wir alle sind nicht mehr diejenigen, die wir mal waren. Damit müssen wir leben«, bestätigte Diyo die Entscheidung seines Prinzen. »Ich selbst schwor Glerien meine Treue als ich den Eid ablegte. Bedeutet diese Treue nun als Verräter behandelt zu werden, werde ich die Konsequenzen daraus tragen.«

Zekras Gedanken verfingen sich immer weiter in den Fragen, die seine Identität und Moral ins Wanken zu bringen vermochten. Er wusste, dass das Ich, welches ihm durch die dunkle Magie eingepflanzt wurde, immer wieder sein Bewusstsein vernebelte. Er raufte sich die Haare. »Ich weiß nicht, was ein wahrer König sein soll. Ich weiß, dass der Krieg unumgänglich war, aber es forderte unendlich viele Opfer. Und gescheitert sind wir dennoch«, resignierte er.

Diyo schüttelte den Kopf. »Wir sind nicht gescheitert. Das wichtigste war, dass Noin nicht erfährt, dass wir ihm auf der Spur sind. Nun wissen wir wieder, was unser Ziel ist. Sobald wir Alistors Buch in den Händen halten, wird unser Weg klar sein.«

Zekra nahm sich Zeit, um über Diyos Worte nachzudenken. Er zermarterte sich das Hirn über das, was richtig oder falsch überhaupt bedeutete. Doch dann nahm er aus dem Augenwinkel ein schwaches Schimmern wahr. Als Zekra sich in die Richtung wandte, sah er, dass es von einem Buch ausging, welches auf der anderen Seite des Raumes in einem der Regale stand. Das musste es sein! Sofort erhob er sich wieder vom Boden und eilte zu dem Buch hinüber. Es war ein dickes, welches durch einen schwarzen Ledereinband geziert wurde. Als Zekra es aus dem Regal zog, fiel ihm ein Schloss an dem Buch auf, in dessen Form das Pendel sich augenscheinlich wunderbar einfügen würde. So war es. Das Buch klappte wie von Zauberhand auf und gab den Blick in die Forschungen und Gedanken des Schwarzmagiers frei. Zum ersten Mal nach dem Fall ihres Meisters keimte in dem Prinzen die Hoffnung auf Glerien schützen zu können.

Auch Diyo, der einen flüchtigen Blick über die Schulter des Prinzen warf, war äußerst erleichtert, dass ihr Meister wirklich alles bis ins kleinste Detail geplant zu haben schien.

Yilan, der sich bisher nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte, sah die beiden ernst an. »Wir müssen uns Alistors Plan genau einprägen. Das Buch lassen wir hier, sodass es nicht in die falschen Hände fallen kann.«

»Und wir müssen Xar aus dem Weg gehen, damit er unsere Gedanken nicht lesen kann«, ergänzte Zekra.

Der Krieger aus Aberin nickte entschlossen, bevor er sich mit einem besorgten Blick an Yilan richtete. »Meinst du Lloyd weiß von Noins Plänen?«

Der ehemalige Elitekrieger starrte in die Dunkelheit. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte er sich an den Befehl seines Königs. »Beschütze Lloyd mit deinem Leben«, hatte er zu ihm gesagt. Damals war er gerade erst zum Elitekrieger ernannt worden, jedoch erkannte der König sein Potenzial. So wurde er Leibgardist des erstgeborenen Thronerben und lernte ebenfalls seinen zwei Jahre jüngeren Bruder kennen. Durch Zufall war er damals auf den berüchtigten Schwarzmagier getroffen, der im Gebiet Helix den dort ansässigen Jeruden half. Yilan war in Schwierigkeiten geraten und Alistor rettete ihm das Leben. Ein halbes Jahr hatte er bei dem Dämon verbracht, dessen wahre Identität er nicht geahnt hatte. Im Schloss hatte zu diesem Zeitpunkt niemand mehr an seine Rückkehr geglaubt.

Yilan wusste bis heute nicht warum, aber irgendwann hatte Alistor ihm die Wahrheit über die Situation Gleriens geschildert. Aus irgendeinem Grund musste der Dämon ihm vertraut oder zumindest einen Nutzen in ihm gesehen haben. Yilan erinnerte sich genau an diesen Tag. An den Tag, der sein Leben für immer verändert hatte.

Hätte Alistor ihm damals keine Beweise geliefert, hätte er ihn wahrscheinlich für vollkommen verrückt gehalten. Aber das, was er ihm gezeigt hatte, konnte nicht geleugnet werden. Ihm war bewusst geworden, dass er handeln musste und Alistor der Einzige war, der die Macht besaß Glerien zu retten. Er hatte einen Pakt mit dem Dämon geschlossen.

Doch als die Situation rund um Noin sich zugespitzt hatte, forderte Alistor einen großen Tribut seiner treusten Anhänger.

Yilan schluckte bei den Gedanken an jenen Tag. Alistor hatte einen mächtigen Zauber, zu dem nur ein Magier seines Formats in der Lage war, gewirkt. Er hatte ihre Gedanken manipuliert und pflanzte jedem von ihnen neue Erinnerungen und Gefühle ein. Gefühle begründet auf Hass. Noin hatte denken müssen, dass Alistors Ziel der Thron und die Unterwerfung Gleriens war. Niemals dufte er erfahren, dass Noin selbst das Ziel war. Dass der Schwarzmagier und seine treusten Gefolgsleute Noins dunkles Geheimnis kannten. Zudem musste der Kontakt zu den Alysiern Asgards sowie zu Nesil, der auf Amarenda lebte, streng geheim bleiben.

Diyo wedelte mit der Hand vor Yilans Gesicht rum und brachte ihn so in die Realität zurück. Der ehemalige Elitekrieger schloss kurz die Augen. »Ja, ich denke, dass Lloyd etwas wissen könnte«, antwortete er auf die anfangs gestellte Frage.

Er war sich sicher, dass er Lloyd damals, nachdem seine Gefühle von Hass beherrscht wurden, das Leben genommen hatte. Und Tote wieder ins Leben zurückholen, konnten nur das Volk der Alysier und zwei Individuen: Noin und Xar.

Der gebrochene Held

Mitten in der Nacht schreckte Neil schweißgebadet aus dem Schlaf auf. Mit zittrigen Händen griff er sich an die Brust, um sich ein wenig zu beruhigen. Dies blieb jedoch erfolglos. Er schaffte es nicht seine schwere Atmung unter Kontrolle zu bringen. Schweißperlen rannen ihm über die Stirn und tropften auf seine Bettdecke. Mit der Hand fuhr er sich durch sein nasses schwarzes Haar. Es war immer derselbe Traum, der ihn aus dem Schlaf riss und ihn in einen Zustand der Angst versetzte. Er träumte von der Ermordung Keylims und von Alistors Grinsen, als er Cora die Kehle durchschnitt. Neil hielt seine Hand vor den Mund, da er befürchtete sich bei den Erinnerungen übergeben zu müssen. Immer noch zittrig schob er die Decke beiseite und zog sich einen Mantel über. Bedacht darauf keinen Lärm zu machen, schlich er über den Holzboden zur Haustür hinüber. Sachte öffnete er diese und betete innerlich, dass sie nicht zu sehr quietschte. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, richtete er seinen Blick gen Himmel. Die Sterne funkelten hell in dieser kühlen Herbstnacht über Darkonia. Neil schlenderte hinüber zum Fluss und setzte sich an eine große Buche. Dies war der Ort, an dem er Cora fast geküsst hatte. Ihr Tod war beinahe ein Jahr her, doch Neil hatte nicht das Gefühl, dass die Zeit das Loch schloss, welches beim Tod seiner Liebsten gerissen worden war. Stattdessen vermisste er sie mit jedem Tag mehr. Jedes Mal, wenn er ein glückliches Paar sah, konnte er spüren, wie die Trauer ihn zu übermannen drohte. Er hatte ihr nie zeigen können, wie sehr er sie liebte. Ebenso schnell wie sie in sein Leben getreten war, war sie auch wieder herausgerissen worden. Neil fragte sich, ob dieser Schmerz, den der Krieg fest in die Herzen aller Betroffenen gebrannt hatte, jemals wieder erlöschen würde.

Plötzlich sprang Kiko auf seinen Schoß und stupste ihn liebevoll mit der Nase an. Neil strich dem Morsil über sein glänzendes Fell. Dies brachte den Kleinen sogleich zum Schnurren. Doch Kiko war nicht allein. Shiro war ihm gefolgt und ließ sich neben dem Darkonianer ins taufeuchte Gras fallen. Wenn Neil Shiro so betrachtete, war er im Gegensatz zu ihrer ersten Begegnung richtig groß geworden.

»Hast du wieder schlecht geträumt?«, wollte der Drache wissen.

Neil strich Shiro durch sein wuscheliges Haar. Das Jahr, das er mit ihm in Darkonia verbracht hatte, hatte dazu geführt, dass Shiro die Sprache der Menschen nun beherrschte, da Neil selbst nicht im Stande war, sich die Sprache der Drachen anzueignen. Er hatte sich wirklich angestrengt, aber er vertauschte Wörter und betonte die Silben falsch, sodass Shiro ihn entweder gar nicht verstand oder aber etwas vollkommen anderes. Eines Tages stand der kleine Drache dann vor ihm und berichtete ihm stolz auf der menschlichen Sprache, dass Neil sich nicht mehr abmühen müsse, da sie sich jetzt verständigen können. Natürlich war er froh darum, aber vor allem hatte es ihn gerührt, dass Shiro heimlich seine Sprache erlernt hatte.

»Es ist immer derselbe Traum«, antwortete Neil, der sehr bemüht darum war seine Stimme hell und lebhaft klingen zu lassen. Doch war seine Schauspielkunst im Gegensatz zu seinen Kampffähigkeiten erbärmlich geblieben.

»Ich vermisse sie auch«, flüsterte Shiro, während er sich eng an seinen Drachenreiter schmiegte.

Neil konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sein Körper verkrampfte sich und er schluchzte in die Dunkelheit.

Es dauerte einige Zeit, bevor sich sein Körper beruhigt hatte. Immer, wenn er an den Krieg zurückdachte, konnte er seine Gefühle nicht zurückhalten. Um nicht wieder in der Trauer zu versinken, drückte er Shiro, dem bereits wieder die Augen zugefallen waren, an sich und richtete seine Erinnerungen auf den Beginn seiner Reise. Damals als der Elementarstein ihn auserwählt hatte und er am Königshof auf seine Gefährten getroffen war. Seither hatte er ein neues Leben geschenkt bekommen. Er lebte in Darkonia und hatte viele Freunde gefunden. Sogar als Held wurde er verehrt. So wie sein Vater hatte er es zu einem anerkannten Krieger gebracht. Doch die Erfüllung dieses Traums hatte ihn eines gelehrt. Es war nicht wirklich das, was er sich immer gewünscht hatte. Er wollte nur Freunde finden und in Frieden leben. Der Weg seines Vaters, war nicht der, den er gehen wollte. Keikai meinte diesbezüglich zu ihm, dass er nie mit ganzem Herzen dabei war und deswegen auch der Erfolg ausblieb. Wie immer hatte er recht. Jetzt trainierte er mit seinen Freunden zusammen. Nicht um anerkannt zu werden, sondern einfach um Zeit mit ihnen zu verbringen. Und der Erfolg kam von allein. Neil hatte der Welt, in der er lebte, keine Beachtung geschenkt, weil sie ihm ebenfalls keine schenkte. Rückblickend musste er zugeben, dass er nahezu fahrlässig gehandelt hatte. Sein Unwissen und Unüberlegtheit hatten seine Freunde mehr als einmal in Gefahr gebracht. Als er damals in den Wald der verloren Seelen aufgebrochen war, um Shax zu retten, hatte er das Schicksal Gleriens aufs Spiel gesetzt. Wäre er nicht rechtzeitig zurückgekommen oder gar gestorben, hätte es keine Möglichkeit zur Bannung des Siegels gegeben. Er wollte nicht behaupten, dass er alle Wissenslücken geschlossen hatte, doch er sah sein Ziel nun deutlicher. Er wollte Glerien, die Heimat seiner Freunde unter allen Umständen beschützen.

Dann fiel sein Blick auf den Armreif seiner Mutter. Seit dem Ende des Krieges hatte Rero keinen Kontakt mehr zu ihm aufgenommen. Zeigte er sich nur bei Gefahr oder war seine Macht aufgebraucht? Dieses Geheimnis, wie der verstorbene Held zu ihm sprach, konnte Neil bis heute nicht lösen und auch die Darkonianer aus dem Dorf hatten von diesem Phänomen noch nie etwas gehört. Doch es musste mit dem Kitziokra zusammenhängen. Dessen war Neil sich bewusst.

»Hey Neil! Mach die Augen auf!«, hörte er eine ihm bekannte weibliche Stimme. Doch hörte sie sich etwas stumpf und weit weg an. Als er verschlafen die Augen öffnete, blickte er in die strahlend blauen Augen seiner besten Freundin.

»Du bist draußen eingeschlafen. Was machst du immer für Sachen? So wirst du noch krank«, sagte sie mit besorgter Miene.

Neil streckte seine Arme in die Luft, wodurch auch Shiro sich verschlafen die Augen rieb. Neils Nacken war hart wie Stein. Tatsächlich war er gestern Nacht zusammen mit Shiro und Kiko an der Buche eingeschlafen. Doch erst jetzt bemerkte er die Kälte, die sich über die Nacht hinweg in ihn hineingefressen hatte. Er beäugte Claria mit einer Mischung aus Verschlafenheit und Verwirrtheit. »Warum bist du schon wieder in Darkonia?«

Claria schlug Neil freundschaftlich vor die Schulter. »Sag mal! Heute ist doch das Fest! Genau heute vor einem Jahr haben wir Alistor bezwungen und das will gefeiert werden. Wir hatten abgesprochen, dass ich hierherkomme und wir die Feierlichkeiten heute genießen. Morgen müssen wir dann zu der Hochzeit der Prinzessin nach Aberin und anschließend zum Königshof, damit du der Audienz, die aufgrund der Hochzeit verschoben wurde, beiwohnen kannst.« Als Claria Neils Gesicht so musterte, fing sie laut an zu lachen und wedelte mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum. »Als Botschafter der Völker ist es deine Pflicht an allen wichtigen Veranstaltungen teilzunehmen.«

Allmählich lichtete sich der schläfrige Nebel in Neils Kopf. Er hatte in der Zeit, die er in Darkonia verbracht hatte, jegliches Zeitgefühl verloren oder vielmehr hatte er versucht zu verdrängen, dass der heutige Tag immer näher kam: Der erste Todestag von Keylim und Cora. Keikai hatte ihm gesagt, dass das Fest eine Erinnerung an die Gefallenen sein sollte. Am Abend würde die ganze Stadt ein Lichtermeer sein, damit die Toten, die im Himmel weilten, ihre Liebsten auf Erden sehen konnten. Neil gefiel der Gedanke daran, dass die Verstorbenen auf diese wunderschöne Weise geehrt wurden. Doch konnte er nicht leugnen, dass die Jährung dieses Tages in ihm eine Flut an Gefühlen auslöste. Trauer und Verzweiflung aufgrund der Gräueltaten und Erleichterung und Hoffnung, da der Krieg beendet und der Frieden zurückgekehrt war.

Zusammen mit Claria, Kiko und Shiro schlenderte Neil durch das Dorf, das die Darkonianer neu errichtet hatten. Diejenigen, die Alistor bereits früh auf seine Seite gezogen hatte, waren zusammen mit ihren Familien begnadigt worden, solange sie dem neuen König der Darkonianer, Keikai Hagane, die Treue schworen. Da durch Shax՚ Handeln das Volk erheblich dezimiert wurde, waren sie darauf angewiesen alle Überlebenden in das Dorf zu integrieren. Naziam konnte damals zwar Kinder und Frauen noch rechtzeitig fortbringen, doch Shax eliminierte einen Großteil der Darkonianer.

Überall, wo er hinblickte, trafen fröhlich gestimmte Menschen Vorbereitungen für das Fest.

Sein Blick wanderte zu dem Vulkan. Der Darkanes ragte so weit in die Höhe, dass er von allen Teilen des Dorfes gesehen werden konnte. Immer wenn er ihn betrachtete, schossen ihm die Erinnerungen an vergangene Tage nur so durch den Kopf.

»Hey!«, rief Lexi, die mit breitem Grinsen auf die beiden zulief. »Freut ihr euch auch schon auf das Fest?«

»Aber klar doch. Die Lichter sehen bestimmt wunderschön aus«, stimmte Claria ihrer Freundin bei.

»Es ist auch Brauch, dass die Männer eine Frau zum Tanzen auffordern. Also halt dich ran, Neil«, stichelte Lexi, die ihm den Ellenbogen in die Seite rammte. Neil, der wusste, dass sie sich das eben ausgedacht hatte, rollte genervt mit den Augen. »Es gibt keinen Brauch, wenn ein Fest zum ersten Mal stattfindet. Außerdem, wen soll ich denn bitte fragen?«

»Mir würde da auf die Schnelle Charlize einfallen«, neckte Lexi weiter.

»Liz?«, wiederholte Neil fragend. »Sie benimmt sich wie ein Kind.«

»Sie ist volljährig«, erwiderte sie achselzuckend. »Außerdem ist sie genau genommen, sogar älter als du.«

Neil stampfte wütend an ihr vorbei. »Ich habe einfach kein Interesse!«

Claria und Lexi blickten ihrem Freund noch eine Zeit hinterher, wie er wütend ins Dorf hineinstiefelte.

»Er vermisst Cora«, erklärte Claria seine Reaktion.

»Wir vermissen sie alle. Aber es ist langsam an der Zeit wieder richtig zu leben, oder findest du nicht?«

»Einfach neu anfangen, ist nicht leicht, wenn man die eine große Liebe verloren hat«, mischte Shiros sich ein, der bei den Frauen geblieben war. Er wollte Neil den Raum geben, den er brauchte. Obwohl er deutlich reifer geworden war, brachte ihn die Erwähnung von Coras Namen immer wieder aus der Fassung und ließ ihn in alte Muster verfallen.

»Wir sollten uns mit Nila treffen und Kleider für heute Abend anprobieren«, lenkte Claria ab. Dann schnappte sie Shiros Handgelenk. »Wir könnten die Meinung eines Mannes brauchen, ob uns die Kleider stehen.«

»Das ist eine gute Idee!«, stimmte Lexi zu und hakte sich bei Shiro ein. Mittlerweile war der Drache ein gutes Stück gewachsen und ein paar Zentimeter größer als sie.

Während sie Shiro mit sich zogen, zwinkerte Lexi ihrer Freundin gekonnt zu. »Du tanzt doch sicher heute Abend mit Himer, oder?«

Claria zuckte die Schultern. »Er hat noch Prüfungen am Königshof und ist deswegen vor mir aufgebrochen. Ich hoffe, er schafft es pünktlich.« Dann setzte Claria ein schiefes Grinsen auf. »Mit wem gehst du?«

Lexi atmete tief durch. »Ich bin bereits von ein paar Männern gefragt worden, habe ihnen aber bisher nicht geantwortet.«

»Du wartest darauf, dass Damen dich fragt, oder?«

Lexi nickte deprimiert. »Und da er kein Interesse am Tanzen hat, wird er mich wohl niemals fragen.«

Neil konnte nicht verstehen, warum jeder wollte, dass er sich anderen Mädchen zuwandte. Claria hatte so etwas auch schon mal erwähnt. Aber wieso konnte niemand verstehen, dass Cora die Liebe seines Lebens gewesen war. Er konnte sich nicht auf wen anders einlassen.

»Hey Neil! Wie geht es dir?«, fragte eine Stimme, die er gut kannte, jetzt jedoch nicht ertragen konnte.

Liz stand vor ihm und schaute ihn aus ihren tiefgrünen Augen an. Sie war ohne Zweifel eine wunderschöne Frau. Ihre pechschwarzen Haare hatte sie stets zu einem Zopf zusammengebunden. Meist war sie in ihrer Kampfmontur unterwegs. Er konnte sich an keinen Moment erinnern, indem er sie nicht so gesehen hatte.

»Verschwinde!«, raunzte er sie jedoch an und ließ sie prompt links liegen, um seinen Weg durch die Stadt fortzusetzen. Er wollte sich nur noch in seinem Zimmer verkriechen. Als er die Tür öffnete, sah er wie sich Keikai über staubige Bücher beugte. Kaum hatte er Neil bemerkt, schenkte er ihm ein freundliches Lächeln. »Was ist los, mein Junge? Du siehst so niedergeschlagen aus.«

»Ach, nichts«, versuchte Neil das Gespräch abzuwenden.

Doch Keikai konnte man nicht so leicht täuschen und so zog der Darkonianerkönig einen Stuhl vom Tisch weg, um Neil dazu zu bringen sich zu ihm zu setzen. Kaum hatte er sich gesetzt, wiederholte Keikai seine Frage.

»Lexi und Claria nerven mich einfach ein bisschen«, lautete Neils mürrische Antwort.

»Was haben sie denn getan?«, wollte Keikai wissen.

»Sie wollen, dass ich mir eine Freundin suche.«

Der König legte seine Hand sanft auf Neils Schulter. »Sie wollen doch nur das Beste für dich. Sie sehen, dass du immer noch um Cora trauerst und haben einfach die Hoffnung, dass dein Schmerz durch die Liebe zu wem anders gelindert werden kann. Dieser Gedankengang ist gar nicht so verkehrt.«

Neil verschränkte die Arme vor der Brust. »Du jetzt nicht auch noch?«

Keikai fing laut an zu lachen. »Neil, du solltest einfach das machen, was dich glücklich macht.«

Glücklich? Wie sollte sich Glück überhaupt anfühlen? Er dürfte gar nicht unzufrieden mit der jetzigen Situation sein. Er hatte Freunde und es gab niemanden mehr, der ihn schikanierte. Doch die Dunkelheit, die mit Coras und Keylims Tod hereingebrochen war, ließ kein vollkommendes Glück zu. Dennoch würde es nichts bringen, wenn er sich wieder in seinem Zimmer verschanzte. Wie damals über die Festtage in Norken. Er wollte sein Leben nicht mehr von äußeren Umständen steuern lassen. Auch wenn er die Trauer wahrscheinlich niemals ganz überwinden können würde. Neil erhob sich wieder und begab sich auf die Suche nach seinem Bruder und seinen Freunden. Zu seinem Glück musste er nicht lange suchen und fand Lavah, Sandron, Cale und Damen an einem Steg, der auf einem etwas außerhalb gelegenen See führte.

Neil setzte sich zu seinen Freunden und ließ die Beine vom Steg hinabbaumeln. »Habt ihr Lust auf das Fest heute Abend?«

»Es ist ein Fest der Toten«, entgegnete Cale. »Ich finde es sehr wichtig, dass wir es feiern.«

»Da hast du recht«, gab Neil zu. »Ich freue mich auch darauf die Toten zu ehren, aber das Tanzen liegt mir nicht.«

Damen, der zum blauen Himmel hinaufblickte, stöhnte genervt auf. »Ja, das nervt mich auch. Die Frauen rennen schon seit Tagen hysterisch durch das Dorf. Ganz in der Hoffnung, dass sie jemand zum Tanz auffordert.«

»Dann denkt doch einfach an den Alkohol.«

Neil drehte seinen Kopf zum Anfang des Steges, an dem Cloude gemütlich auf sie zu schlenderte. Neil war wirklich überrascht gewesen, dass der Magier nach dem Krieg nicht zur Gilde zurückgekehrt war. Sicherlich unternahm er des Öfteren Ausflüge zur Gilde, jedoch lebte er zusammen mit Neil und Keikai in einer Hütte in Darkonia. Neben den Studien der alltäglichen Magie widmete Cloude sich auch immer mal wieder den Büchern, die Alistor ihm gegeben hatte. Bisher jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse. Die Magie Amarendas, wie es in Alistors Büchern stand, gehörte nicht zur schwarzen Magie, so viel hatte Cloude herausgefunden. Aber sie schien ebenso mächtig und gefährlich zu sein. Er hoffte inständig, dass Cloude wusste, was er tat.

»Meinst du, wenn man sich betrinkt, wird es erträglicher?«, fragte Neil seinen Magierfreund und wischte die unangenehmen Gedanken beiseite.

Cloude zuckte mit den Achseln. »Ich habe im Gegensatz zu euch auch kein Problem damit eine Frau um einen Tanz zu bitten.«

Cale stieß dem Magier, der sich zu ihnen gesetzt hatte, einen Ellenbogen in die Seite. »Schon klar, Cloude. Und dir geht es natürlich nur um einen Tanz.«

»Wofür hältst du mich?«, empörte er sich gespielt gekränkt. »Aber wer würde schon zu etwas mehr ›nein‹ sagen?«

»Was ist mit dir?«, wollte Neil schließlich von seinem Bruder wissen.

Lavah zuckte die Schultern. »Ich habe auch kein Interesse zu tanzen.«

Eine ganze Weile verbrachten sie ihre Zeit am See, bevor Cale, Damen, Cloude und Neil beschlossen nach Hause zurückzugehen und sich für das Fest fertigzumachen.

Dass keiner seiner Freunde eine Begleitung für das Fest hatte, erleichterte Neil ungemein. Er hatte schon befürchtet, dass er allein am Rand stehen würde, während alle anderen sich amüsierten.

Lavah blieb mit Sandron am Steg zurück. Er betrachtete das kristallklare Wasser, in dem er sein eigenes Spiegelbild anstarrte. Er war seinem Vater, dem Oberhaupt der Familie Myronel, wie aus dem Gesicht geschnitten. Sein Vater lehrte ihm früh, dass er auch in Zeiten des Friedens stets wachsam sein sollte. So ging ihm das Verschwinden von Shax, Ace und dem Adligen nicht mehr aus dem Kopf. Niemals würde Shax aufgeben und sein Ziel, die Elemente zu bekämpfen, aus den Augen verlieren. Aber wann hatte sein Hass ein solches Ausmaß angenommen? Da Lavah nie viel Umgang mit ihm gepflegt hatte, konnte er nicht behaupten seinen Halbbruder gut zu kennen. Doch so verbittert, hatte er ihn nie wahrgenommen.

Plötzlich merkte er wie er von hinten umarmt wurde. Sandron hatte sich an ihn herangeschlichen und seine Arme um ihn geschlungen.

»Was machst du da?«, gab Lavah mürrisch zurück, der es nicht haben konnte, wenn man ihn aus seinen Gedanken riss.

Sanft biss Sandron Lavah ins Ohr und flüsterte: »Das war noch leichter, als wir allein im Wald der verlorenen Seelen waren.«

»Du weißt, dass sowas laut den Gesetzen Gleriens verboten ist.«

»Sicher doch«, hauchte er ihm ins Ohr. »Wir werden gemeinsam in der Hölle schmoren.« Sandron drehte Lavahs Kopf in seine Richtung, sodass ihre Gesichter nur eine Handbreit voneinander entfernt waren.

Lavah strich seinem Liebhaber sanft über die Wange. »Hast du dich in letzter Zeit vernachlässigt gefühlt?«, fragte er ruhig. Ohne eine Antwort abzuwarten, küsste Lavah ihn für einen flüchtigen Moment.

»Ich werde heute Abend mit Anila tanzen«, erklärte Lavah, der seinem Freund, bevor er protestieren konnte, einen Finger auf die Lippen drückte. »Es ist nur ein Tanz, damit man den Erben der Myronel Familie gesehen hat.« Dann legte er seine Stirn an die seines Liebsten. »Heute Abend nach dem Fest bin ich dein.«

Sandron zuckte unwillkürlich ein Lächeln über das Gesicht. »Dann werde ich das Ende der Feierlichkeiten sehnsüchtig erwarten.«

»Du bist ganz schön spät, Liz«, bemerkte Liam mürrisch, der am liebsten seit morgens trainiert hätte.

»Ich bin einfach nur etwas aufgehalten worden. Wir können gerne mit dem Training beginnen«, gab sie zurück.

Liz wusste, dass Liam ehrgeizig war und keine Sekunde verstreichen ließ, die er zum Trainieren hätte nutzen können. Da sie beide Partner waren, war es meistens Liz die nachgab und mehr trainierte als sie sich vorgenommen hatte.

So übten sie bis Einbruch der Dämmerung, ehe Liz das Training beendete, da ihr Meister, Cale Zerko, ihnen dies befohlen hatte. Es geziemte sich nicht, während eines Festes, das den Toten gewidmet war, Lärm zu machen. Liz war recht froh darüber, da ihr ganzer Körper schmerzte.

»Lass uns zum Fest gehen«, sagte sie keuchend.

»Was soll ich denn da? Dieses Fest hält einen nur auf«, gab Liam genervt zurück.

»Es ist ein Fest zu Ehren der Toten. Zu Ehren der Krieger, die uns im Krieg geschützt haben und der Opfer, die er forderte«, versuchte Liz die Wichtigkeit dieses Festes hervorzuheben. »Dafür kann man sein Training unterbrechen, oder?«

»Wenn man aus einer anerkannten Familie kommt, kann man sich eh alles erlauben!«, fauchte Liam sie an, ließ sich aber dennoch überreden zum Haus ihres Meisters zu gehen. Cale war in einen traditionell schwarzen Umhang gehüllt und trug eine große, noch nicht entzündete, Kerze bei sich. Skeptisch musterte er seine beiden Schüler. »Wo sind eure Umhänge und Kerzen?«

»Wir sind gerade erst vom Training gekommen«, erklärte Liz.

»Können wir nicht einfach weiter trainieren? Ich habe niemanden für den ich eine Kerze aufstellen will«, versuchte Liam seinen Meister zu überzeugen.

Doch Cale blickte den Darkonianer streng an. »Du hast niemanden für den du eine Kerze anzünden würdest? Wie wäre es, wenn du Kerzen für die anzündest, die du im Krieg getötet hast?«

Liam schluckte bei den Erinnerungen daran, dass er auf Alistors Seite gekämpft hatte.

»Niemand kann dich zwingen an dem Fest teilzunehmen«, durchbrach Cale die Stille. »Aber trainieren wirst du nicht.«

»Warum nicht?«, bohrte Liam weiter nach.

»Schluss jetzt!«, erhob Cale seine Stimme. »Viele haben vor einem Jahr Menschen verloren, die sie liebten. Sie haben ein Recht in Ruhe zu trauern. An einem solchen Abend zu kämpfen, ist respektlos und kindisch. Wenn du dich meinem Befehl widersetzt, werde ich dich nicht mit zu den Friedenswettkämpfen nehmen. Hast du mich verstanden?«

Liam senkte sein Haupt und gab ein kleinlautes Ja von sich. Kurze Zeit später trabten sie in Umhänge gehüllt und mit Kerzen in der Hand zum Marktplatz, an dem sich bereits alle Darkonianer tummelte. Liam wollte sich unbedingt vor diesem Moment drücken. Es erinnerte ihn zu sehr an seine schlimmste Entscheidung. Wie konnte er jetzt das Recht haben, an diesem Fest teilzunehmen?

Durch den großen Andrang kamen sie nur sehr langsam und mühevoll voran. Dann erblickte Liz Neil. Er stand in der Menge und blickte nach vorne auf das Podest, auf dem soeben Keikai erschienen war. Ihr König blickte sanftmütig auf das Volk hinab. »Es freut mich zu sehen, dass ihr so zahlreich erschienen seid. Wir sind hier, um unserer Toten zu gedenken. Unserer Eltern, Geschwistern, Freunden und Liebsten, die jetzt voller Stolz auf uns hinabblicken. Sie leben in unseren Erinnerungen und Herzen fort. Nun entzünden wir das Licht der Hoffnung. Möge es bis ins Reich der Toten strahlen und die Dunkelheit vertreiben.«

Neils Körper zitterte und er hatte große Mühe seine Tränen zurückzuhalten, als einer der Fackelträger seine Kerze entzündete. Er dachte an seinen Vater und seine Mutter, an Keylim, Morax, Miren und Shane, an alle Soldaten, deren Leben durch Alistors Werk ausgelöscht wurden und an die Liebe seines Lebens. Mit festem Griff umklammerte er die Kerze, so als wenn er Cora festhalten würde. Claria wischte Neil eine Träne aus dem Gesicht und blickte ihn besorgt an. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er weinte. Doch jetzt war es ihm so peinlich, dass er das Gesicht von seinen Freunden abwandte.

Einen Moment später legte Cloude seinen Ellenbogen bei ihm auf die Schulter und nickte zu einer jungen Frau hinüber. »Was hältst du von der?«

Entrüstet blickte Neil den Magier an. »Du nicht auch noch. Ich habe kein Interesse.«

Der Magier setzte eine gespielt beleidigte Miene auf. »Wer redet denn von dir. Die gehört mir.«

Neil huschte sofort ein Lächeln über das Gesicht. Cloude war hier in Darkonia sein bester Freund. Er verstand sich blind mit dem jungen Magier, der immer für einen Spaß zu haben war. Oft hatte er Neil aufgemuntert, wenn seine Gedanken ihn runtergezogen hatten.

Nachdem sie der Toten gedacht hatten, stellte jeder seine Kerze am Rande des Marktplatzes auf, sodass sich eine hellerleuchtete Fläche unter dem Sternenhimmel bildete. Die Musik lockte viele Paare auf die Fläche, die sich rhythmisch zur Musik bewegten. Darunter waren zu Neils Überraschung auch Anila und Lavah.

Neil hatte sich unterdessen mit Cloude, Damen und Sandron an eine draußen gelegene Bierschenke auf Stühle gesetzt. Immer noch irritiert davon, dass Lavah mit Anila tanzte, richtete er seinen Blick zu seinen Freunden. »Warum tanzen die beiden miteinander?« er deutete mit einer Kopfbewegung in die Richtung seines Bruders.

Sandron nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier. »Ist vermutlich die einzige Frau in ganz Glerien, die kleiner ist als er.«

Neil musste zwar über diesen Kommentar leicht schmunzeln, dennoch entging ihm nicht, dass Sandron nicht gerade erfreut über diesen Anblick war. Er nahm ebenfalls einen Schluck seines kalten Bieres. »Wollt ihr nicht tanzen?«, fragte Neil ironisch in die Runde.

Damen schüttelte energischer den Kopf als er sich vermutlich jemals zuvor bewegt hatte. »Bist du jetzt völlig irre geworden?!«

Cloude lachte sofort los. »Also wenn ich die Süße von vorhin noch einmal sehe, werde ich mit ihr tanzen.«

Es war nicht zu übersehen, dass der Magier schon am frühen Abend einen über den Durst getrunken hatte. Seine Wangen färbten sich rosa und seine Sprache hatte gelitten. Neil war froh eine Gruppe von guten Freunden gewonnen zu haben. Sie machten das Fest für ihn zu einem freudigen Ereignis. Als er an die Zeit in Norken zurückdachte, so fand er die Feste damals nur deswegen so angenehm, weil die Akademie geschlossen blieb und er sich zu Hause einschließen konnte.

Doch hier hatte er zum ersten Mal Freunde gefunden, eine ganze Gruppe mit unterschiedlichen Charakteren.

Nachdem das erste Lied des Abends geendet hatte, begab sich Lavah zu der Männerrunde. Er zog sich einen Stuhl vom Nachbartisch herbei und setzte sich zwischen Neil und Sandron. Bei dem Wirt bestellte er sich ein Bier und wandte sich anschließend den neugierigen Blicken von Neil und Cloude zu. »Es hätte sich nicht geziemt, wenn jemand aus der Familie der Myronel keine Frau zum Tanz aufgefordert hätte«, begründete er sein Handeln.

Ohne dass die anderen am Tisch etwas bemerkten, strich Lavah Sandron besänftigend über den Oberschenkel, bevor er seine Hände auf dem Tisch platzierte. Er wusste, dass sein Freund ein sehr sensibler und gefühlsgeleiteter Mensch war. Er selbst hingegen war eher das Gegenteil, sodass er Sandron oft unbewusst verletzte. Doch er gab sich wirklich alle Mühe ihm durch kleine Zeichen zu versichern, dass er ihn liebte. Denn das tat er. Von tiefstem Herzen. Auch wenn er es nicht immer zeigen konnte, war Sandron für ihn alles.

Neil betrachtete seinen Bruder aus dem Augenwinkel. Er war so plötzlich in seinem Leben aufgetaucht. An dem Abend der Schlacht. Und seit jeher stand Lavah an seiner Seite. Neil hatte oft mit ihm trainiert, doch sein Bruder war so geschickt, dass er ihn nicht ein einziges Mal hatte besiegen können. Deswegen war es auch Lavah, der zusammen mit Sandron bei den Friedenswettkämpfen Darkonia vertrat. Neil war sich zwar sicher, dass Damen Darkonia auch hervorragend vertreten könnte, jedoch hatte dieser von vornherein gesagt, dass er keine Lust habe. Neil hatte es tatsächlich geschafft. Er hatte jemanden gefunden, der noch fauler war als er selbst.

»Hey, Jungs!«, rief Lexi, die in Begleitung von Claria und Nila zu ihnen hinüberschlenderte.

»Hey, Mädels!«, rief Cloude ihnen zurück, während er ihnen mit seinem Bier zuprostete.

»Du hast aber schon mehr als eins getrunken, oder Cloude?«, erwiderte Claria.

»Ach was! Ich habe vorhin eine süße Darkonianerin gesehen. Ich wollte eigentlich mit ihr tanzen, aber wenn du mit mir tanzen würdest, wäre mir das noch viel lieber.«

»Ich muss dich leider enttäuschen«, mischte sich Himer ein, der gerade erst im Dorf angekommen war. Seine Kleidung, die das Emblem der königlichen Garde zierte, verriet Neil, dass er die Prüfung bestanden hatte und nun zum Kreis der Elitekrieger gehörte.

Claria fiel ihm sofort in die Arme und hauchte ihm ein leises »Herzlichen Glückwunsch« ins Ohr.

Im nächsten Moment führte Himer sie bereits auf die Tanzfläche, auf der Claria sich fest an seinen muskulösen Körper schmiegte.

Neil atmete schwer aus. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum Claria so an Himer hing.

Lexi und Nila hatten sich unterdessen zu den Männern gesetzt. Doch Neil wurde das Gefühl nicht los, dass Lexi zutiefst beleidigt war. Er wusste, dass er es bereuen würde, fragte aber dennoch, ob es ihr gut ginge, woraufhin er sich einen finsteren Blick einfing, der ihn, wenn es möglich gewesen wäre, direkt in die Hölle befördert hätte. Anschließend versetzte sie Damen noch einen heftigen Schlag vor den Oberarm und zog anschließend Nila wieder mit sich. Kurze Zeit später waren sie auch schon wieder in der Menschenmasse verschwunden.

»Das war jetzt aber ein kurzer Besuch aus der Frauenwelt«, gab Cloude grinsend in die Runde, während Damen sich seinen schmerzenden Arm hielt. »Ich habe doch gar nichts gesagt.«

Die Frauen sahen sie den ganzen Abend nicht mehr. Allerdings musste Neil zugeben, dass er es auch nicht vermisste. So musste er zumindest nicht darüber diskutieren, welche Frau er als nächstes näher kennenlernen sollte. Mit den Männern empfand er die Gespräche einfach angenehmer und ungezwungener. Ein Lächeln huschte ihm auch über das Gesicht als er Shiro erblickte, der mit Kiko über die Tanzfläche hüpfte.

So saßen sie bis spät in der Nacht da, tranken und genossen das Leben.

Neil war überglücklich über solche Tage, an denen er die kommenden Aufgaben und den vergangenen Schmerz einfach vergessen konnte. Auch wenn die Trauer niemals ganz versiegen würde, hatte er einen Platz gefunden, an den er gehörte. Den er seine Heimat nennen konnte. Dank seiner Freunde und den Menschen in Darkonia fühlte er sich akzeptiert und geliebt. Er würde niemals mehr zulassen, dass ihm jemand dieses Gefühl nahm. Es gab ihn die Kraft seine Vergangenheit zu akzeptieren, in der Gegenwart zu leben und mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen.

Als sich ihre Wege trennten, stützte Neil den betrunkenen Magier bis zu Keikais Haus, in dem er ihn mit all seinen Klamotten ins Bett warf und sich anschließend zu Shiro und Kiko kuschelte, die bereits tief und fest schliefen.

Lavah und Sandron nutzten die Zeit und schlenderten noch gemütlich durch die Gassen, bevor sie sich beide zu Lavahs Haus begaben. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, drückte Sandron Lavah vor die Wand und schob ihm seine Zunge gierig in den Hals. Lavah ließ es ohne Gegenwehr geschehen. Er wusste, dass er seinen Freund in den letzten Tagen, aus Angst, dass irgendwer von ihrer Beziehung erfahren könnte, auf Abstand hielt. Kein Wunder, dass er sich so nach seiner Nähe sehnte. Und wenn Lavah ehrlich zu sich selbst war, erging es ihm nicht anders.

Er spürte den Körper Sandros, wie er sich eng an ihn schmiegte. Reflexartig griff er Sandron in die Haare und zog ihn ein wenig weg.

»Ich gehöre dir«, flüsterte Lavah ihm ins Ohr.

Dieser Satz war für Sandron Musik in seinen Ohren. Den ganzen Abend hatte er sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet.

Im nächsten Moment fand Lavah sich schon halb entkleidet auf seinem weichen Bett wieder.

In dieser Nacht war er einfach nur glücklich. Glücklich darüber sich seiner Lust wieder hingeben zu können und glücklich darüber, dass Sandron an seiner Seite war.

Keuchend kuschelte sich Lavah an seinen Liebhaber und legte seinen Kopf auf seine Brust. »Es ist schön an deiner Seite zu sein«, flüsterte er leise. Sandron tätschelte ihn sanft, sodass es nicht lange dauerte, bis Lavah erschöpft von diesem Akt der Liebe einschlief.

Als die meisten Darkonianer das Fest verlassen hatten, schlenderte Keikai, die Hände in die Taschen gestopft, zu einem umgefallenen Baumstamm hinüber. Mit einem tiefen Seufzen setzte er sich zu Naziam, der ein Bier in der Hand hielt und gedankenverloren auf einem Grashalm herumkaute.

»Die Feste machten ohne den Titel des Darkonianerkönig mehr Spaß«, begann Keikai das Gespräch. »Das Fest ist beinahe um und ich habe nicht ein Bier trinken können.«

Ohne ein Wort reichte Naziam seinem Freund das Bier, der dieses dankend entgegennahm. Keikai nahm einen großen Schluck. Obwohl der Gerstensaft nicht mehr kalt war, genoss er den Geschmack. Sein Blick richtete sich erst in den sternenklaren Himmel, bevor er auf seinem alten Freund haften blieb. Der König konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass Naziam, seitdem Darkonia wieder aufgebaut war, niedergeschlagen wirkte. Ihm war durchaus bewusst, dass Naziam ein Mensch war, der das Leben in Darkonia nie sonderlich gemocht hatte. Doch schien er nach dem Wiederaufbau mehr Trübsal als üblich zu blasen. Aufmunternd stieß der König seinen Kameraden an. »Was ist los mit dir?«

Naziam stemmte seine Hände seitlich von ihm auf dem Baumstamm ab. »Nichts Besonderes.«

Solche Antworten war Keikai bereits von früher gewohnt. Und Naziam wusste, dass er nicht lockerlassen würde. Der Darkonianerkrieger atmete tief ein, bevor er resigniert entgegnete: »Warum hast du mich vor einem Jahr mit dem Wiederaufbau beauftragt?«

Keikai zuckte die Achseln. »Warum hätte ich das nicht machen sollen? Du bist ein anerkannter Krieger und ich wusste, dass du der Verantwortung gewachsen warst.«

»Lügner«, entgegnete Naziam. Er war weder sauer noch erhob er seine Stimme. Er sagte es mit einer ungewöhnlichen Ruhe.

Keikais Augenbraue schnellte in die Höhe, doch er wartete auf eine Ausführung seines Freundes.

Naziam kaute weiter auf dem Grashalm herum. »Du wolltest, dass ich den Wiederaufbau leite, damit die Darkonianer mich als einen von ihnen anerkennen.«

Verlegen kratzte Keikai sich am Hinterkopf. »Ertappt«, sagte er mit einem Lächeln. »Aber so wie du schaust, scheint es keine Wirkung gehabt zu haben.«

»Versteh mich nicht falsch«, entgegnete Naziam. »Ich schätze deine Bemühungen und es gab auch keinerlei Probleme, während ich den Wiederaufbau geleitet habe.«

»Aber?«, fragte der König.

»Aber das bedeutete nicht, dass irgendjemand hier mit mir befreundet sein möchte oder Interesse daran hätte mich kennenzulernen. Ich bin das, wovor sie Angst haben, gehalten zu werden. Nach den Geschehnissen des letzten Jahres umso mehr als vorher.«

Keikai verschränkte die Arme vor der Brust. »Es wird nicht immer so sein. Die kommende Generation ist toleranter.«

»Du warst schon immer ein Weltverbesserer«, entgegnete Naziam mit einem Lächeln. »Doch das Recht des Blutes ist immer noch stark in Glerien. Auch wenn ein Mischblut wie du momentan König ist, wird es sicher nicht ewig anhalten.«

»Du hast recht«, stimmte der König ihm zu. »Die Herrscherfamilien werden über kurz oder lang ihren Anspruch geltend machen. Entweder Alec, Cale oder Lavah werden irgendwann an dem Punkt sein, da sie ihr Recht einfordern.«

»Ich glaube kaum, dass Lavah daran Interesse hat und Alec ist sehr jung und hat, soweit ich das beurteilen kann, keinerlei Vorurteile gegen dich«, schlussfolgerte Naziam. »Du machst dir also Gedanken um Cale.«

Keikai nickte und Besorgnis breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Er wirkt wie immer und ich weiß, dass er mich respektiert. Aber ich weiß auch, dass er nicht damit einverstanden ist, welche Rolle die Darkonianer in dem Bündnis einnehmen. Er versteht nicht, dass der Frieden vorerst die größte Errungenschaft ist.«

»Und dass die Gleichberechtigung der Völker über Jahre hinweg aufgebaut werden muss«, ergänzte Naziam.

Keikai schlug ihm aufmunternd auf den Rücken. »Wir sind ganz schön vom Thema abgekommen.« Dann wurde seine Stimme ernster. »Ich wünschte, dass ich irgendetwas tun könnte, damit sie dich akzeptieren. Aber komm doch mit zu dem Friedensfest. Kratos ist genau wie du ein Halbdämon. Vielleicht kannst du dich mit ihm austauschen.«

»Ich werde darüber nachdenken«, entgegnete Naziam und erhob sich langsam. »Kann ich dich allein lassen?«

Keikai nickte stumm und blickte seinem Kameraden hinterher, der sich auf den Weg nach Hause machte. Naziam war ebenso wie Shane einer seiner besten Freunde. Bei dem Gedanken an den ältesten Sohn der Familie Juz kamen in ihm viele Erinnerungen hoch. Shax tötete den König und niemand hatte das Handeln in Frage gestellt. Shane war krank und jeder Tag war für ihn eine Qual gewesen. Allein die Hoffnung seinen Bruder wiederzusehen, hielt ihn am Leben. Das hatte Naziam ihm später erzählt. Da ihm dieser Wunsch mit Shax՚ Eintreffen erfüllt wurde, hatten alle angenommen, dass Shax ihm die Euthanasie gewährt hatte. In Darkonia war es üblich, dass Angehörige einem Familienmitglied das Sterben erleichtern durften, wenn diese Person es wünscht und der Tod unausweichlich und qualvoll war. Keikai verurteilte sich dafür, dass er Shanes Ermordung nicht sofort hinterfragt und Shax՚ Verrat nicht geahnt hatte. Shane hätte niemals diesen Weg gewählt, sondern wäre bis zum letzten Atemzug an ihrer Seite geblieben. Doch die Tatsache, dass Shax die Wünsche seines Bruders an ihn herangetragen hatte, hatten ihn glauben lassen, dass Shane die Euthanasie gewünscht hatte. Keikai biss sich auf die Zähne. Wieso hatte Shax sie verraten?

Am nächsten Morgen wurde Sandron unsanft durch etwas Schweres geweckt, dass auf seinem Bauch landete. Müde öffnete er die Augen und blickte auf Lavah, der mit verschränkten Armen in seiner Kampfkleidung vor ihm stand. Auf seinem Bauch lag sein Schwert, welches er für die Kämpfe nutzte.

Lavah, der die Verwirrung seines Freundes genoss, fuhr sich elegant durch die Haare. »Wer saufen und vögeln kann, der kann auch für die Friedenswettkämpfe trainieren.«

Sandron verdrehte die Augen. »Dein Ernst?«, dann klopfte er mit einer Hand auf die leere Bettseite. »Leg dich doch lieber noch etwas zu mir.«

Lavah zog eine Augenbraue hoch. »Wir vertreten Darkonia bei den Wettkämpfen. Wir sollten vorbereitet sein.«

»Es ist doch absolut egal. Wenn ich dafür mehr Zeit mit dir allein hätte, würde ich sogar absichtlich verlieren.«

Lavah versetzte Sandron einen Hieb. »Wehe dir!«

Sandron rieb sich den Arm. »War doch nur ein Spaß.« Dann zog er Lavah auf das Bett. »Ich weiß, dass es dir wichtig ist. Deswegen werde ich nicht verlieren.«

»Gut«, gab Lavah kühl zurück und erhob sich sogleich wieder vom Bett. »Dann beeil dich. Zieh dich an und komme zum Trainingsplatz. Ich warte dort auf dich.«

Im nächsten Moment war Lavah bereits aus dem Haus verschwunden und ließ Sandron allein im Bett liegen. Er streckte sich gemütlich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er konnte nicht verstehen, wie ein so albernes Turnier für Lavah wichtig sein konnte. Wer veranstaltet schon Wettkämpfe für den Frieden?! Sandron verstand den Gedanken dahinter, trotzdem blieb es für ihn weiterhin etwas paradox.

Neil wurde durch ein Klopfen an der Tür geweckt. In der Hoffnung, dass Keikai die Tür öffnen würde, blieb er liegen und zog sich die Decke über den Kopf. Erst als einige Sekunden verstrichen waren, erhob er sich träge aus seinem Bett und schlenderte zu der Tür hinüber. Als er sie öffnete, lächelte ihn Claria vergnügt an. »Ausgeschlafen?«

Neil rieb sich die Augen »Seh ich so aus?«

»Lavah und Sandron trainieren für die Wettkämpfe«, begann Claria ihr Anliegen darzulegen. »Ich dachte, das würdest du dir gerne ansehen, bevor wir nach Aberin aufbrechen.«

Immer noch müde nickte Neil. Er verschwand kurz im Haus, zog sich seine Kleidung über und machte sich dann zusammen mit Claria, Shiro und Kiko auf den Weg zum Trainingsplatz. Neil hatte beschlossen Cloude schlafen zu lassen. Nach dem, was er am letzten Abend getrunken hatte, wäre er vermutlich eh noch nicht zurechnungsfähig gewesen.

Als sie am Trainingsplatz eintrafen, waren Lavah, Damen, Cale und Himer bereits anwesend. Irritiert blickte Neil sich um. »Wo ist Sandron?«

Lavah verschränkte genervt die Arme. »Er sollte eigentlich gleich hier sein.«

»Hast du Lexi heute schon gesehen?«, wollte Damen von Claria wissen, doch diese schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, dass sie gestern ganz schön sauer auf dich war. Dann ist sie zusammen mit Nila von der Feier verschwunden.«

Damen zuckte stumm die Achseln. Er hatte nie ein besonders gutes Gespür dafür, was die Frauenwelt dachte und was sie von ihm verlangte. Und vor Lexi, so musste er zugeben, hatte er sogar ein bisschen Angst.

Als Sandron gemütlich den Weg zum Trainingsgelände runterschlenderte, fing er sich schon den ersten bösen Blick seines Partners ein. Verlegen kratzte er sich am Kopf. »Nach einer solchen Feier so früh zu trainieren, ist wirklich etwas übertrieben.«

Doch Sandron war klar, dass sein Gejammer den Darkonianer aus der Familie Myronel nicht daran hindern würde dieses Training zu absolvieren. Dementsprechend positionierte er sich gegenüber von Lavah und der Kampf begann.

Neil war beeindruckt darüber, wie gut Sandron mit Lavah mithielt. Sie waren sich vollkommen ebenbürtig was den Kampf mit dem Schwert anging. Sandron war in Neils Augen deutlich kräftiger, während Lavah dafür etwas flinker auf den Beinen war. Aber insgesamt konnte man sagen, dass dieser Schwertkampf ein Kampf auf Augenhöhe war.

»Sandron ist wirklich ein guter Kämpfer«, warf Neil in die Runde.