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Fritz Vahrenholt

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Beschreibung

Noch nie in der Geschichte des Industriezeitalters war Energie so knapp und teuer wie heute. Dabei wirkt der russische Einmarsch in der Ukraine nur als Katalysator, denn schon zuvor ließen Preisexplosionen an den Gas- und Strommärkten das Scheitern der Energiewende und des europäischen "Green Deals" erkennen. Eine falsche Energiepolitik gefährdet nicht nur unseren Wohlstand, sondern führt auch weltweit zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und in der Folge zu Hungersnöten und neuen Migrationswellen. Die Antwort auf die drängenden Energiefragen unserer Zeit muss eine technologische Energie-Offensive in Deutschland sein, die alle Alternativen einbezieht, von der Schiefergas-Förderung über die CO2-freie Nutzung heimischer Braunkohle bis zur Entwicklung einer neuen Generation sichererer Kernkraftwerke.

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Inhalt

Einführung: Die Große Transformation zur Großen Energiekrise

1. Die Zukunft von Gas, Öl und Kohle

2. Der Pyrrhus-Sieg über das Kohlendioxid

3. Ohne Fracking hat Erdgas keine Zukunft

4. Den Krieg gegen die Kohle beenden

5. Atomkraft – ja bitte

6. Helfen uns die Erneuerbaren aus der Energiekrise?

7. Sonne, Wind – und Wasserstoff

Ausblick: Was ist zu tun?

20 notwendige Schritte auf dem Weg aus der Großen Energiekrise

Quellenverzeichnis

Impressum

Einführung: Die Große Transformation zur Großen Energiekrise

Wir stehen weltweit am Anfang einer Energiekrise, die die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand der Nationen auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte prägen wird.

Die Krise wird die Wirtschaftsräume USA, Europa, China und die Entwicklungsländer in unterschiedlicher Weise treffen. Knappe Angebote an Öl, Gas und Kohle unterstützen die fossilen Champions Russland, Australien, Kanada und den Nahen Osten. Bis Erneuerbare Energien und ein Ausbau der Kernenergie einen entscheidenden Teil der Energieversorgung bewerkstelligen können, werden Jahrzehnte vergehen.

Die Energiekrise begann schon vor dem Ukraine-Krieg. Sie deutete sich seit Jahren an. Dass das weltweite Angebot mit dem steigenden Bedarf an Energieträgern nicht mehr Schritt halten konnte, wurde in den Jahren 2020 bis 2021 durch den ökonomischen Rückgang in der Pandemie kaschiert. Nach deren Ende wurden die Knappheiten offenbar. Der Ukraine-Krieg verschärfte und beschleunigte die Verwerfungen auf den Energiemärkten. Die Preise vervielfachten sich bereits vor dem Ukraine-Krieg, da das Angebot an Öl, Gas und Kohle und die Nachfrage auseinanderklafften und der Ausbau anderer Energieträger wie Wind, Sonne und Wasserkraft die Lücke nicht schließen konnte.

Die Investitionen in Öl, Gas und Kohle wurden seit Jahren zurückgeschraubt. Dies erfolgte auf Grund der politischen Rahmenbedingungen in den OECD-Ländern, in denen einerseits der Einsatz fossiler Energien mit hohen CO2-Steuern und Zertifikatspreisen belastet wurde, andererseits Genehmigungen zur Erschließung neuer fossiler Quellen erschwert, wenn nicht sogar, wie in Großbritannien und Deutschland, verboten wurden. Selbst in den USA wurden neue Fracking-Förderungen nicht mehr erlaubt.

Der fossile Kraftwerkspark wurde in den letzten Jahren vor allen Dingen in Europa massiv zurückgeschnitten. Hinzu trat der massive Kapitalabzug aus den Branchen der fossilen Industrie durch die ESG-Regeln (Environmental, Social, Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) aller Investmentfonds und Kapitalsammelstellen, die zu einer Ausgrenzung aller CO2-belasteter Investitionen führte. Denn ESG wurde verkürzt auf Klimapolitik. Nur noch grüne Investments wurden auf den Kapitalmärkten propagiert.

Das einzige Wachstum der Öl- und Gasindustrie in den letzten 20 Jahren war der phänomenale Ausbau der Förderung des Schiefergases in den USA, der einen seit der Entdeckung des größten arabischen Erdölfeldes in Ghawar in den 1950er-Jahren nicht gekannten Schub in der Energieversorgung verursachte. 1

Die Fokussierung der westlichen Staaten und der Kapitalmärkte auf Solar- und Windenergie brachte diese nach langer Zeit der außerordentlich hohen Subventionierung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau dort, wo die meteorologischen Bedingungen hohe Solareinstrahlungen oder ein hohes Windaufkommen garantierten. Erneuerbare Energien sind zwar in der Lage, einen immer größeren Teil am Zuwachs des weltweiten Energiebedarfs zu decken, doch noch wächst der fossile Sockel und wird sein Maximum nicht vor 2030 erreicht haben. Die Erzeugung von Wind- und Sonnenenergie hat sich von 2010 auf 2020 verzehnfacht, liegt aber 2020 immer noch nicht höher als bei 2,8 % der weltweiten Primärenergie.2

Und es ist noch nicht ausgemacht, ob die Energiestrategie der westlichen Staaten aufgeht, die allesamt bis auf Japan auf einen Energiemix von Erneuerbaren mit Speichern und (bis auf Deutschland) Kernenergie zur Erreichung von Netto-Null CO2 im Jahre 2050 setzen. Hingegen glauben die fossilen Champions des Fernen und Nahen Ostens einschließlich China, dass eine weitere Förderung von fossilen Energieträgern möglich sei, wenn durch CO2-Abtrennung die CO2-Ziele erreicht werden können.

Auf dem Weg zum Öko-Staat

Noch niemals in der Geschichte des Industriezeitalters hat es eine solche Lage gegeben, in der sich die Menschheit befindet: Energie ist knapp und teuer geworden. Und im Unterschied zu den Befürchtungen Ende des letzten Jahrhunderts ist diese Große Energiekrise nicht durch zur Neige gehende Reserven von Kohle, Öl und Gas bedingt, sondern durch politisches Handeln.

Aufgrund der Besorgnis, dass Kohlendioxid, das durch die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl freigesetzt wird, in zunehmendem Maße die Erde erwärmt, wurde im Pariser Abkommen vereinbart, die CO2-Emission in den Industrieländern bis auf 2050 auf Netto-Null zu bringen. Vor diesem Hintergrund wurden – allerdings nur in den Industrieländern – die Energieträger Kohle, Öl und Gas durch Steuern, Abgaben und CO2-Zertifikate massiv verteuert und die erneuerbaren Energieerzeugungen auf Basis von Windkraft, Solar- und Biomasse subventioniert. Die Explorationen nach neuen fossilen Vorkommen wurden seitens der Staaten, aber auch der großen westlichen Energiekonzerne heruntergefahren.

Das Ergebnis ist eine Knappheit an fossilen Energieträgern, die die Preise nach oben treibt und zu weltweiten wirtschaftlichen Verwerfungen, nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Entwicklungsländern, führt. Da die Nahrungsmittelpreise an die Kosten der Energieerzeugung gekoppelt sind, können weltweite Hungersnöte die Folge sein.

Preiswerte und ausreichende Energie war für uns alle immer selbstverständlich. Wir vergessen, dass dieser Zustand erst seit der Ablösung der natürlichen Energieträger Holz, Wasserkraft und ein bisschen Wind im 18. Jahrhundert einsetzte – durch den rasanten Aufstieg der fossilen und später der Kernenergie. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Entwicklung der Menschheit durch die knappen Energieressourcen begrenzt. Die zivilisatorischen Errungenschaften zur Bekämpfung von Hunger, Krankheit, Geburtensterblichkeit und zur Erreichung von langer Lebenserwartung und erheblich höherem Wohlstand sind weltweit der Nutzung der fossilen Energien seit 150 Jahren zuzuschreiben.

Der oft übersehene Grund hierfür ist der Erntefaktor der fossilen und der Kernenergie. Dieser Erntefaktor beschreibt, wieviel Energie aufgewendet werden muss, um Energie zu erzeugen. Während man für Holz und Holzkohle bis ins 18. Jahrhundert etwa das Fünffache der Energie erwirtschaftete, die man in die Erzeugung investierte, haben heutige Gas- und Kohlekraftwerke einen Erntefaktor von 30, Kernkraftwerke einen Erntefaktor von 100. Wind und Fotovoltaik erreichen zwar nicht die hohen Erntefaktoren der konventionellen Energien, liegen aber (je nach Standort) über dem Wert von 5, einem Wert, der die gesellschaftliche Entwicklung vor der industriellen Revolution über Jahrhunderte begrenzt hatte.3, 4

Diese Entwicklung wurde erkauft mit einer Zunahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre von 280 (0,028 %) im Jahre 1860 auf 420 ppm (0,042 %) heute.

Im April 2011 erschien eine wirkmächtige Schrift des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), dem einflussreichen Beratergremium der Bundeskanzlerin Merkel, mit dem Titel »Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation«.5 Darin beschreibt der Rat unter seinem Vorsitzenden Hans Joachim Schellnhuber die dringende Notwendigkeit des Umbaus der Weltwirtschaft mit dem Ziel der Beendigung der Nutzung von fossilen Brennstoffen und Kernenergie, also denjenigen Energieträgern, mit den mit Abstand größten Erntefaktoren.

Da auf diesem Weg Menschen weltweit auf ihre Ansprüche an materielle Wohlfahrt und soziale Sicherheit verzichten müssten, stellt der WGBU offen heraus, dass die Dekarbonisierung der Gesellschaft nur durch die Beschränkung der Demokratie erreicht werden kann – international wie national. International fordert der WGBU einen »Weltsicherheitsrat für Nachhaltigkeit«. Die für Deutschland vorgeschlagene »Zukunftskammer« soll ausdrücklich nicht demokratisch, sondern durch ein Losverfahren bestimmt werden und ein Vetorecht bei politischen Entscheidungen bekommen.

Auf dem Weg zum starken Öko-Staat sind wir auf allen Ebenen gut vorangekommen. Der Weltklimarat IPCC hat mit seiner turnusmäßigen »Summary for policymakers« 6 den Rang eines Weltsicherheitsrates für Nachhaltigkeit mit bestimmendem Einfluss für die Industrieländer eingenommen. Die Europäische Union hat mit der Politik des »Green Deals« die Transformation des europäischen Industrieraums begonnen und erste Erfolge mit der Niederschlagung der Verbrennungstechnologie der heimischen Automobilindustrie verbuchen können. Durch die Belastung von CO2 im Alleingang durch die massive Verknappung von CO2-Zertifikaten ist die Deindustrialisierung der Grundstoffindustrie eingeleitet worden.

Und in Deutschland sind mit der Ausrufung des Netto-Null-Ziels für das Jahr 2045 durch das Klimaschutzgesetz7 mit breiter Unterstützung des Deutschen Bundestages im Juni 2021 die Forderungen des WGBU nach zehn Jahren eingelöst worden. Dieses Gesetz wurde allerdings erst ermöglicht durch einen verheerenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, der auf zahlreichen fehlerhaften Tatsachenbeurteilungen der Klimarelevanz von CO2-Emissionen aus Deutschland beruht.8

Entmutigende Fehler

Die Prämissen klimapolitischen Handelns beruhen auf zahlreichen Modellrechnungen von Klimaforschern, die im vierjährigen Turnus in den IPCC-Berichten dokumentiert werden. Oft wird vergessen, dass die Zusammenfassung der einige tausend Seiten starken Langfassung in die wenige Seiten starke »Summary for policymakers« von den Delegierten der Staaten vorgenommen wird und somit einem politischen Auswahl- und Zusammenfassungsprozess unterworfen ist.

Unbestritten ist die Tatsache, dass durch die Industrialisierung seit 1860 zunehmend Abgase von Verbrennungsprozessen von Kohle, Öl und Gas, vornehmlich CO2, in die Atmosphäre emittierten. Unbestritten ist auch, dass durch die Zunahme des CO2 die Strahlungsbilanz der Atmosphäre verändert worden ist. Kohlendioxid ist in der Lage, die von der Erde ins Weltall gehende Wärmestrahlung aufzunehmen und zum Teil auf die Erde zurückzustrahlen.

Es ist relativ einfach, im Labor zu bestimmen, wie groß die Temperaturerhöhung etwa bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration ausfällt. Es sind 1,2 Grad Celsius. 9 Da die Wissenschaft von einer Konzentration von etwa 280 ppm CO2 in der Atmosphäre in vorindustrieller Zeit bis zum Jahre 1860 ausgeht, wäre eine solche Erwärmung bei einer Verdoppelung der Konzentration auf 560 ppm (heute 417 ppm) zu erwarten. Die Erde ist aber kein Labor. In der realen Welt gibt es Rückkopplungseffekte positiver wie negativer Art.

All diese gekoppelten Effekte versuchen Klimamodelle in Computersimulationen zu berechnen Dabei besteht die größte Unsicherheit der Klimaprognosen in den Wolken.10 Tatsächlich hat sich in den letzten 20 Jahren die Wolkenbedeckung reduziert und damit einen größeren Anteil der Sonnenstrahlung auf die Erde einstrahlen lassen.11,12 Die Sonnenstundenzahl in Europa hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, was einen großen Teil der Erwärmung erklären kann.13 Wir wissen noch nicht, ob diese Veränderung der Wolken natürlichen Ursprungs ist oder von anthropogenen Emissionen hervorgerufen wird. Es gibt zudem eine Reihe von Hinweisen, dass die natürliche Variabilität bis 2050 eher zu einer Temperaturdämpfung beitragen wird (siehe auch Kapitel 2).14

Schon die Modellrechnungen des letzten Klimaberichtes kamen in der Rückberechnung der vergangenen 30 Jahre zu einem doppelt so hohen Anstieg der Temperaturen, wie sie in der Realität wirklich stattfanden.15 Im letzten Klimabericht von 2021 sollte nun alles besser werden. Aber die neuen Modelle (der Klasse CMIP6) versagten völlig. Der letzte Klimabericht von 2021 gibt eine Bandbreite von 2,5 bis vier Grad Celsius für eine Verdoppelung der CO2-Konzentration auf 560 ppm an. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg kommt in seiner Einschätzung der neuesten Modelle zu einem vernichtenden Urteil: »Die Fehler sind entmutigend«.16 Das sind aber die Modelle, auf die sich die Politik in ihren weitreichenden Schlussfolgerungen in der Energie- und Industriepolitik stützt.

Wohlstand sichern

Kann man in dieser Ausgangslage das gesellschaftspolitische Tempo mit einem Netto-Null-Ziel von CO2 innerhalb von 20 Jahren verantworten, wenn man einräumen muss, dass es Wind und Sonne in diesem Zeitraum niemals schaffen werden, ausreichende und preiswerte Energie zur Verfügung zu stellen? Müssen wir uns nicht ernsthaft mit der CO2-Emissionssenkung von Kohle, Öl und Gas befassen, und zur Befriedigung des Energiebedarfs der immer noch rapide wachsenden Menschheit die fossilen Energien dann auch stärker nutzen?

Schon der Blick auf Deutschland zeigt, dass diebereits eingeleiteten Schritte zur Stilllegung der Kernkraftwerke bis April 2023, der Aufgabe der Kohlenutzung bis 2030, der Gas- und Ölnutzung bis 2045 zum höchsten Strompreisniveau weltweit geführt haben. Die dadurch bedingte Deindustrialisierung Deutschlands und Europas wird zu massiven Wohlstandsverlusten führen, ohne dass die angestrebten Klimaziele auch nur annähernd erreicht werden können.

Knappheiten an Energien werden den Lebensstandard der entwickelten Industrienation gefährden, am meisten wird eine zukünftige Energiearmut aber die Menschen in den sich entwickelnden Länder treffen. Während ich diese Zeilen schreibe, hat die Erdbevölkerung die Acht-Milliarden-Zahl überschritten. Wenn Sie diese Zeilen lesen, etwa am 1. Dezember 2023, sind es 66 Millionen Menschen mehr geworden. 95 % des Wachstums finden in den armen Regionen der Welt statt.17

Natürlich müssen wir die CO2-Emissionen senken. Aber wir sollten auch alle verfügbaren und verantwortbaren Energiequellen nutzen, um Wohlstand zu sichern und zivilisatorische Entwicklung möglich zu machen, von den Erneuerbaren über die Kernenergie bis hin zum blauen Wasserstoff aus Kohle, Öl und Gas. Wir müssen den ideologischen Feldzug gegen Kernenergie und fossile Energien einstellen und diese Quellen verantwortbar nutzen. Und wir sollten offen sein für neue Technologien wie etwa die Fusionstechnologie. Und wir müssen Energiepolitik aus der Eindimensionalität des Klimaschutzes befreien und Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit wieder den notwendigen Stellenwert geben.

Die Unsicherheit über die möglichen Auswirkungen des CO2 auf unser Klima ist nach wie vor vorhanden. Doch das Vorsorgeprinzip gebietet bei nicht endgültig gesichertem Wissensstand, alle Maßnahmen zu ergreifen, die in Abwägung mit anderen politischen Zielen vertretbar sind. Insofern geht es in diesem Buch nicht darum, ob wir CO2 reduzieren sollen oder nicht. Es geht um die Art und Weise, wie wir es tun, wie schnell wir dies tun, und ob die staatlich gesetzten Ziele und Wege andere ermutigen können, unserem Beispiel zu folgen.

Da sind, nicht zuletzt seit dem Ukraine-Krieg, erhebliche Zweifel entstanden, ob Deutschland den richtigen Weg eingeschlagen hat, sich hierzulande allein auf Wind- und Sonnenenergie zu verlassen. Die großen Tabus – die eigene Erdgasförderung, die CO2-Abscheidung bei Nutzung heimischer Braunkohle und die Weiterentwicklung der Kernenergie – stehen auf dem Prüfstand. Und je länger an diesen Tabus festgehalten wird, desto offensichtlicher wird, dass der bisherige Weg der Energiewende gescheitert ist.

1. Die Zukunft von Gas, Öl und Kohle

Im Jahre 2000 taufte sich »BP-British Petroleum«, einer der größten Ölkonzerne der Welt, um in »BP-Beyond Petroleum«. Das war zunächst ein reiner Marketinggag1, um die in den ehemaligen britischen Kolonien nicht beliebte Marke »British« und das weltweit schlechte Image von Petroleum loszuwerden. Das neue Logo mit der gelbgrünen Sonne sollte die neue, umweltbewusste grüne Wachstumsstrategie symbolisieren.

Ich hatte damals auf der Shell-Seite als Vorstand der Deutschen Shell AG die Aufgabe, Investitionen in Solarzellen und die Platzierung von Solardächern auf den gelb-roten Shell-Tankstellen umzusetzen. Beide Marketing-Kampagnen waren einigermaßen erfolgreich. Shell wurde das schlechte Image aus der Brent-Spar-Affäre2 los und sah es demzufolge nicht mehr als erforderlich an, weiter in das Solargeschäft zu investieren. Auch BP konnte sich aus den Erneuerbaren zurückziehen, hatte allerdings das Pech, mit einem Ölunfall in Alaska 20063 und 2010 im Golf von Mexiko (Deep Water Horizon)4, 5 negative Schlagzeilen zu machen.

Shell verkaufte 2006 seine Solarsparte (nach meinem Ausscheiden) an Solarworld6 (die zehn Jahre später Pleite gingen) und BP, immerhin 2002 noch der zweitgrößte Solarzellenhersteller der Welt, schloss seine Solartochter BP Solar 2011.7 Beide Ölkonzerne investierten allerdings unverdrossen bis 2012 immer größere Summen in neue Öl- und Gasvorkommen.8,9,10 Doch nach 2012 hatte sich der Appetit von Investoren, Finanzinstituten und Analysten auf CO2-trächtige Öl- und Gasexplorationen verflüchtigt.

Vor dem Hintergrund der immer stärker werdenden Forderungen von Klimaaktivisten, dem Weltklimarat IPCC, Medien und Politik nach einer Transformation in grüne, CO2-freie Investments gingen auch die Investitionen aller westlichen Ölgesellschaften drastisch zurück, bei den europäischen wie Shell, BP, Total oder Repsol stärker als bei den US-amerikanischen wie Exxon, Chevron oder Conoco-Philips. Während Shell 2013 noch 40 Mrd. Dollar in Exploration neuer Öl- und Gasfelder investierte, waren es 2020 noch gerade zehn Mrd. Dollar. 9 Ein wachsender Anteil wurde in Elektrizität und erneut in Erneuerbare Energien investiert.

Das hatte Folgen.

Gestrandete Aktiva

Energie, vor allen Dingen aus Öl, Gas und Kohle, ist ein zyklisches Geschäft. Knappheiten im Angebot lassen die Preise steigen, Energiekonzerne machen steigende Profite und veranlassen Energiekonzerne zu neuen Investitionen in Gas, Öl und Kohle, um den steigenden Bedarf zu befriedigen. Übersteigt das Angebot die Nachfrage, etwa auf Grund eines konjunkturellen Abschwungs, so fallen die Preise, Investitionen gehen zurück. Nach einiger Zeit beginnt der Zyklus erneut.

Dieser Zyklus ist durch die bereits erwähnte ESG-Politik, die von Investoren und Nationen gefordert wurde, außer Kraft gesetzt worden.11

Die Forderung nach ESG-konformem Verhalten von Unternehmen hat sich immer mehr auf die alles bestimmende, zentrale Frage nach der Klimarelevanz verengt. Die herausragende Bedeutung der Klimabelange hat die Finanzmärkte dazu gebracht, dass immer weniger Kapital in CO2-lastige Investitionen zur Aufsuchung von Öl, Gas und Kohle gesteckt wurde.

Mark Charney, bis 2020 Chef der Bank of England und Mitbegründer des Welt-Economic-Forums in Davos, steht mit seiner Aussage für viele Führer in der Finanz- und politischen Welt: »Fossile Brennstoffe – die mehr als 80 % der weltweiten Primärenergieversorgung ausmachen – sind ›gestrandete Aktiva‹, die auf dem Weg zum Nullwert sind, während die Welt bis zum Jahr 2050 ›netto null (Kohlenstoffemissionen)‹ erreicht«.12

Bei der Kohle führte das sogar zum Abspalten und Verkauf der Kohleaktivität großer Rohstoffkonzerne wie Anglo-American13 oder BHP14. Shell ist nach einem Urteil eines niederländischen Gerichts gezwungen, fast die Hälfte seiner Ölsparte aufzugeben. Obwohl der Konzern jahrelang großzügig Klimaaktivisten unterstützte, wurde er von sieben Umweltschutzverbänden verklagt und durch das Gericht in Den Haag verurteilt, bis 2030 den CO2-Ausstoß nicht nur in derProduktion, sondern auch bei den Öl- und Gaskunden um 45 % zu verringern.

Exxon Mobil wurde durch eine Initiative des Hedgefonds Engine Nr. 1 gezwungen, drei Sitze im Aufsichtsrat des Unternehmens mit Klimaaktivisten zu besetzen, um eine Wende in Richtung Erneuerbare Energien zu bewirken. Bisher war Exxon strikt dagegen, in Wind und Solarenergie zu investieren.12,15 Exxon hatte statt in neues Öl- und Gasgeschäft oder in Erneuerbare zu investieren, hohe Gewinne ausgeschüttet oder eigene Aktien zurückgekauft (siehe Abbildung 1).

Am Anschlag

Zunächst aber merkte niemand etwas von den fehlenden Investitionen in Öl, Gas und Kohle. Denn die Covid-Pandemie von 2020 verursachte einen Nachfrageeinbruch, wie ihn die Welt bislang nicht erlebt hatte. Ölpreise brachen ein. Im April 2020 notierte Öl bei negativen – 37,63 US-Dollar. Man bekam also Geld für den Kauf von Öl, weil die Lager überquollen. Eineinhalb Jahre später war der Ölpreis bei über 100 bis 120 Dollar, doppelt so hoch wie vor der Pandemie, und der Gaspreis auf einem Allzeithoch von 100 Dollar pro MWh fünfmal so hoch,16, 17 und dies geraume Zeit vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die seit 2014 heruntergefahrenen Investitionen machten sich nach der Pandemie bemerkbar. 2020 wurden von den vier größten Ölkonzernen Exxon, Chevron, Royal Dutch Shell und BP nur noch 50 Mrd. US Dollar investiert, im Vergleich zu 160 Mrd. 2013. 10

1 Rückgang der Investitionen der vier größten Ölkonzerne Trotz des wachsenden weltweiten Bedarfs an Öl und Gas sinken die Investitionen für neue Vorkommen bei den westlichen börsennotierten Energiekonzernen.10

Dazu beigetragen haben neben den ESG-Regeln der Finanzmärkte auch die Staaten selbst. Großbritannien hat unter der Regierung Boris Johnson lange Zeit neue Gas- und Ölexplorationsgenehmigungen in der Nordsee verzögert. Noch im Januar 2022 untersagte die Umweltbehörde die Genehmigung für das Jackdaw-Gasfeld in der Nordsee18. Erst unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges wurden neue Felder wieder genehmigt.19 In Deutschland ist das Verbot von Schiefergas-Fracking seit 2017 in Kraft.20 Schon am ersten Tag seiner Amtszeit unterschrieb US-Präsident Joe Biden eine »executive order«, indem er die meisten Entscheidungen seines Vorgängers Donald Trump zur Erleichterung der Öl- und Gasförderung in den USA aufhob. Unter anderem widerrief er die Genehmigung der Keystone Pipeline, die Öl aus Kanada in die USA transportieren sollte. Im Februar 2022 stoppte er die Verpachtung von öffentlichem Grund für neue Öl- und Gasfelder. Insgesamt ergriff er über 80 Maßnahmen, die gegen die Öl- und Gasindustrie gerichtet waren.21

Der ökologische Feldzug gegen die Öl- und Gasindustrie wird die Förderung auf Jahre zurückgehen lassen. »Falls nicht wesentlich mehr Kapital in Öl- und Gasexploration fließen wird, wird die Produktion über 30 % bis 2030 fallen«, schrieb Mitte 2021 die Internationale Energieagentur IEA. 11 Der Investitionsstau gilt nicht für die Staatlichen Ölgesellschaften Russlands, Chinas, Brasiliens oder der arabischen Staaten.

Amin Nasser, der CEO des größten Ölkonzerns der Welt, Saudi Aramco, sagte im Mai 2022, dass wir zurzeit weltweit lediglich mit einem Puffer von 2 % Ölförderkapazität ausgestattet seien: »Der russisch-ukrainische Krieg verdeckt, was ohnehin passiert wäre« – nämlich steigende Ölpreise. Nasser weiter: »Wir befanden uns in einer Energiekrise, weil es an Investitionen mangelte. Und nach der Pandemie begann sie sich auszuwirken.«22

Aber auch die Staatsgesellschaften der OPEC sind am Anschlag. Von den 100 Mio. Barrel, die jedes Jahr mit immer noch steigender Tendenz weltweit verbraucht werden, stammt ein Drittel von OPEC-Staaten. Die freie, zusätzlich lieferbare Kapazität beträgt den Rohstoffexperten Goehring und Rozencwajg zufolge gerade mal 2,8 Mio. Barrel 11, was bei einer wirtschaftlichen Erholung nicht mehr ausreichen würde, selbst wenn es Russland gelingen würde, seine boykottierte Ölmenge auf dem Weltmarkt, etwa in China und Indien unterzubringen.

Russland fällt für eine Erweiterung der Kapazität für den Westen vorerst aus, die Boykotte an Maschinen und Kapital werden es zudem dem Land sehr schwer machen, neue Ölförderungen zu erschließen. Dabei wäre Russland in der Lage, die Knappheit an Öl zu beenden. Bislang beruhte das Wachstum an russischer Ölförderung im Wesentlichen in der besseren Ausnutzung der schon seit der Sowjetzeit bestehenden Ölquellen.

Aber der größte Anteil der auf 100 Mrd. Barrel Öl geschätzten Reserven liegt in den westlichen sibirischen Feldern und dem Vostok-Ölfeld einige Hundert km nördlich des Polarkreises auf der Taymir-Halbinsel. Die Investition würde 170 Mrd. Dollar verschlingen, aber die Produktion für mehr als die nächsten 25 Jahre absichern.23,24 Nach Goehring und Rozenzwajg soll das Kapital aufgrund der US-Sanktionen durch China und Indien bereitgestellt werden, nachdem westliche Beteiligungsgesellschaften im Mai 2022 ausgeschieden waren.25 Der Ölterminal Bukta Sever in der Jenissei-Bucht ist bereits im Bau und soll 2024 die ersten Barrel Öl in die Welt liefern.

Die Sanktionen gegenüber russischen Öl- und Kohleexporten hat die Lage auf den Energiemärkten seit Februar 2022 verschärft, doch die Preisrallye der Energie begann schon nach dem Ende der Pandemie Mitte 2021. Bis Ende 2021, also noch vor dem Beginn des Ukraine-Krieges, war der Ölpreis auf 100 Dollar gestiegen, der Erdgaspreis hatte sich in Europa vervierfacht, nur der Gaspreis in den USA machte eine Ausnahme wegen des Überangebots an preiswertem Fracking-Gas und der damit verbundenen Vollversorgung der USA mit eigenem Gas.

Der amerikanische Präsident Joe Biden, ohnehin in Meinungsumfragen angeschlagen, gab im März 2022 180 Mio. Barrel Öl aus der strategischen Ölreserve frei, um die Knappheiten zu dämpfen und den Ausfall importierten russischen Öls zu kompensieren.26 Der öffentliche Druck wurde zu groß. Noch im Wahlkampf im Jahr 2020 hatte er erklärt, die Ölindustrie dichtmachen zu wollen.27

In Saudi-Arabien bettelte der amerikanische Präsident um eine höhere Ölförderung der Saudis.28 Sogar Venezuela und Iran werden Avancen gemacht, um den Preisschock an den US-Tankstellen zu dämpfen. Doch der saudi-arabische Aramco-Ölkonzern ist am Anschlag. Rohstoffanalysten schätzen, dass Saudi-Arabien allenfalls 400 000 Barrel pro Tag (Förderung 2022: 10,1 Mio. Barrel pro Tag) zusätzlich zu fördern in der Lage ist, so dass der ansteigende Bedarf nicht gedeckt werden kann.29

Aus diesen Gründen und als Retourkutsche auf Ankündigung von US-Präsident Biden im amerikanischen Wahlkampf, Saudi-Arabien zum »Paria-Staat« zu machen, unterstützte Saudi-Arabien im Oktober 2022 den OPEC-Beschluss, die Ölförderung um zwei Mio. Barrel zu senken.30 Nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi durch Saudi-Arabien hatte nämlich Joe Biden im Wahlkampf verlangt, dass das Land für den Mord »einen Preis zu zahlen« hätte und geächtet werden sollte.31 Im Ergebnis stiegen die Ölpreise im Oktober 2022 wieder, was Russland im ukrainischen Krieg nutzte und Biden bei den Midterm-Wahlen im November schadete. Denn eines mögen US-amerikanische Wähler nicht: steigende Benzinpreise an der Tankstelle.

Netto-Null

Der Markt verlangt nach mehr Öl und Gas. Doch kaum nachvollziehbar ist, dass so wenige Politiker, Analysten und Ökonomen darauf vorbereitet waren. Jahrelang machte die Internationale Energieagentur (IEA) in ihren Jahresberichten Schlagzeilen mit der Aussage, dass der Nachfragepeak kurz bevorstehe und dass erneuerbare Energien und elektrische Fahrzeuge die Nachfrage nach Öl drosseln würden. Auch der angesehene Energieausblick der BP (Energy Outlook 2020) erweckte noch 2019 den Eindruck, dass die Spitze der Ölnachfrage (Peak-Oil) bereits erreicht sei.32, 33

Wohlgemerkt geht es in den mittlerweile als überholt geltenden Prognosen von BP, aber auch von Shell und der internationalen Energieagentur IEA um den Rückgang der Nachfrage, nicht um den Rückgang der Produktion wie zu Anfang des Jahrhunderts, als die von vielen Ölanalysten verbreitete These des Peak-Oil das baldige Ende der Förderung voraussagte. Der nunmehr postulierte Nachfragerückgang ist in allen Energiestudien abgeleitet aus dem Klimazielen des Weltklimarates, wonach 2050 eine Netto-Null-CO2-Emission erreicht werden müsse.

2 Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauchs in Terawattstunden (TWh). Andere Erneuerbare enthalten Geothermie, Biomasse und Müllverbrennung.39 Quelle: BP Statistical Review of World Energie

Demzufolge forderte die Energieagentur IEA in ihrem Bericht vom Mai 2021 »Netto-Null in 2050« 34 ein Verbot von Öl- und Gasheizungen weltweit ab 2025, das Aus für den Verbrennungsmotor ab 2035 und den sofortigen Stopp des Neubaus von Kohlekraftwerken. Man wundert sich, wie die einstmals sehr anerkannte Energieagentur der Industrieländer OECD sich in das Land der Wünsche und Träume verstiegen hat und die Interessen der nach Energie begehrenden Entwicklungsländer vernachlässigt. Der Schwenk der IEA zu grünen Zielen erfolgte auf massiven Druck von 60 Klimaaktivisten, die 2020 die IEA aufforderten, ein Referenzszenario zu entwerfen, das kompatibel mit einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius wäre. Zu den Unterzeichnern gehörte die frühere Klimabeauftragte der Vereinten Nationen, Christina Figueres, und der Vorstandschef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte.35

IEA-Chef Fatih Birol kam mit seinem Netto-Null-Bericht aber nicht nur Aktivisten entgegen, sondern den 31 Mitgliedsländern, die alle zwei Jahre durch ein Treffen der Regierungsvertreter die politische Richtung vorgeben.36 Bis 2017 war der deutsche Vertreter der grüne Staatsekretär Rainer Baake37