Die Herren der Unterwelt 7: Schwarzes Geheimnis - Gena Showalter - E-Book

Die Herren der Unterwelt 7: Schwarzes Geheimnis E-Book

Gena Showalter

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Beschreibung

Dunkelste Gedanken, böseste Absichten - es gibt nichts, was der unsterbliche Krieger Amun als Hüter des Dämons der Geheimnisse nicht lesen und damit auch manipulieren könnte. Diese Fähigkeit ist auch bei anderen unsterblichen Gestalten sehr begehrt. Selbstauferlegte Isolation scheint Amuns einziger Ausweg zu sein, um sich vor den Qualen der fremden Geheimnisse zu schützen.

Doch die Versuchung, sich wider alle Vernunft der Welt zu öffnen, wird immer größer, als er die betörende Haidee kennenlernt - eine Dämonen-Jägerin, die geschickt wurde, um Amun zu töten...

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Seitenzahl: 632

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der

New York Times und USA Today Bestseller-Autorin Gena Showalter gilt als neuer Shooting Star am romantischen Bücherhimmel des Übersinnlichen. Ihre Romane erobern nach Erscheinen die Herzen von Kritikern und Lesern gleichermaßen im Sturm. Die „Die Herren der Unterwelt“-Romane gelten als ihre bislang stärkste Serie.

Gena Showalter

Die Herren der Unterwelt 7: Schwarzes Geheimnis

Roman

Aus dem Amerikanischen von

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Darkest Secret

Copyright © 2011 by Gena Showalter

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-413-4 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-412-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Widmung

Während ich dieses Buch schrieb, verstarb meine geliebte Freundin Donnell Epperson. Sie war eine Frau, die einen unerschütterlichen Glauben hatte und viel Liebe in sich trug. Und sie träumte davon, ein Buch zu veröffentlichen. Doch das Schicksal wollte es, dass sie starb, bevor sich ihr Traum erfüllen konnte.

Und das ist eine Schande (oder ein glorreiches Unglück, wie sie es mit einem hübschen, leicht verschmitzten Lächeln formuliert hätte). Sie war wirklich begabt und mit großer Leidenschaft bei der Sache, und ich stelle mir gerne vor, dass sie bei mir war, während ich diese Geschichte schrieb.

Deshalb ist das hier für dich, meine Freundin. Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass wir uns darum streiten werden, wer in welche Villa zieht, wenn Jill, Sheila und ich erst in den Himmel kommen. Die in der Mitte ist hiermit für mich reserviert. Wollte ich nur gesagt haben. Bis dahin werde ich dich mit ganzem Herzen vermissen. Heb eine Umarmung für mich auf und sag dem Großen Mann vielleicht schon mal, dass ich gar nicht so übel bin. Manchmal jedenfalls.

Ich werde dich immer lieben.

1. KAPITEL

Strider, Hüter des Dämons Niederlage, stürmte durch breite Tore in die Budapester Burg, die er mit einer stetig wachsenden Zahl von Freunden bewohnte – Brüder und Schwestern durch das gemeinsam Erlebte statt durch Herkunft, weshalb sie einander nur umso näherstanden –, und kämpfte gegen einen wahren Glücksrausch an.

Er hatte es verdammt noch mal getan. Es. Getan. Nachdem er seinen Feind quer über den Kontinent gejagt hatte; bei Verhandlungen eine von vier göttlichen Reliquien verloren hatte, die unentbehrlich waren, um die Büchse der Pandora zu finden und zu zerstören (dafür würde man ihm ordentlich den Hintern versohlen); nachdem er bei lebendigem Leib von Insekten aufgefressen worden und schließlich (hüstel) einer Frau ins Messer gerannt war (hüstel), hatte er endlich gewonnen. Und er war verdammt noch mal in Feierlaune.

„Ich bin der König der Welt, Leute. Kommt her und sonnt euch in meinem Ruhm.“ Erwartungsfroh und voller Eifer hallte seine Stimme im Foyer wider.

Doch niemand reagierte auf seine Begrüßung.

Egal. Grinsend brachte er die bewusstlose Frau, die über seiner Schulter hing, in eine bequemere Position. Bequemer für ihn. Sie war der Feind, den er gejagt hatte, und die Frau, die seine Bauchspeicheldrüse auf äußerst uncharmante Art mit ihrem Messer bekannt gemacht hatte. Er konnte es kaum erwarten, allen zu erzählen, dass er geschafft hatte, was sie nicht auf die Reihe gekriegt hatten. Er hatte sie eingesackt, Baby!

„Daddy ist zu Hause. Ist jemand da?“

Wieder keine Antwort. Sein Grinsen flaute leicht ab.

Verflucht. Bei der kleinsten Niederlage krümmte er sich tagelang vor Schmerzen. Aber wenn er gewann … Götter, das war wie ein Orgasmus. In seinen Adern pulsierte die Energie, machte ihn heiß, setzte ihn unter Hochspannung. Dieser Enthusiasmus verlangte danach, geteilt zu werden. Zum Teufel! In dieser Burg lebten zwölf Krieger samt ihren Gefährtinnen, und dennoch erwartete ihn niemand? Obwohl das Gelände inzwischen mit einem mörderischen Zaun abgeriegelt war und von Kameras überwacht wurde – und irgendwer vor nicht mal fünf Minuten den Summer für ihn hatte drücken müssen?

Das passte doch nicht zusammen.

Wahrscheinlich habe ich das verdient, dachte er. Sieben Tage waren vergangen, seit er zuletzt eine SMS geschickt oder angerufen hatte. Auch wenn das theoretisch nicht seine Schuld war. Er war einfach zu beschäftigt damit gewesen, sein kleines Mitbringsel unter Kontrolle zu kriegen. Und als sie ihm beim letzten Update mitgeteilt hatten, die Gefahr sei vorüber und alle könnten zur Burg zurückkehren, hatte er seine panischen Muss-wissen-ob-es-allen-gut-geht-Anrufe eingestellt.

Also: alles keine große Sache. Dass niemand mit ihm feiern wollte, kam ihm sogar ganz gelegen. Denn so konnte er ungestört eine kleine Aufgabe erledigen.

„Danke, Leute. Ihr seid die Besten. Wirklich.“ Und ihr könnt mich alle mal kreuzweise!

Strider marschierte weiter. Um sich aufzuheitern, stellte er sich das Gesicht seiner Gefangenen vor, wenn sie aufwachte und sich in einer winzigen Zelle wiederfände. Das wird ein Spaß. Dann blieb sein Blick an der Umgebung hängen, die ihm gänzlich unvertraut vorkam, und auch die letzten Überreste seines Lächelns erstarben. Abrupt blieb er stehen.

Er war nur ein paar Wochen weg gewesen, genau wie die anderen – jedenfalls hatte er das gedacht. Doch in dieser Zeit hatte irgendjemand das heruntergekommene Monstrum von Burg, das sie ihr Zuhause nannten, in eine wahre Villa verwandelt. Der Boden, der einst aus bröckelndem Gestein und Mörtel bestanden hatte, glänzte jetzt in weißem Marmor, durch den sich bernsteinfarbene Adern zogen. Und die ehemals genauso verwitterten Wände zeigten sich nun in einem Gewand aus sorgfältig poliertem Rosenholz.

Zuvor war die breit geschwungene Treppe an vielen Stellen abgenutzt und brüchig gewesen; jetzt erstrahlte sie förmlich in makelloser Schönheit, und ein goldener Handlauf wand sich von unten nach oben. In einer Ecke der Eingangshalle stand ein weißer, mit Samt bezogener Sessel vor einer verspiegelten Wand, und darüber thronten in Glaskästen diverse kostbare Antiquitäten: bunte Vasen, mit Juwelen besetzte Schmuckschatullen sowie alte Pfeilspitzen.

Nichts davon war vor seiner Abreise da gewesen.

So viele Veränderungen in weniger als einem Monat? Das schien unmöglich, selbst wenn andauernd irgendwelche Titanengötter unangekündigt bei ihnen hereinplatzten. Denn diese Götter beschäftigten sich eher mit Mord und Chaos als mit Innenarchitektur. Aber vielleicht … Vielleicht war Strider bei all der Selbstbeweihräucherung auch ins falsche Haus marschiert. War alles schon vorgekommen.

Wie um alles in der Welt sollte er erklären, warum er dieses zerschundene, rußverschmierte Bündel über der Schulter trug? Das würde er wohl kaum schaffen, ohne eine Weile ins Gefängnis zu wandern. Und auch die Blutspritzer auf seinen Klamotten glaubhaft zu erklären wäre eine echte Herausforderung.

Nein, dachte er im nächsten Moment. Hier bin ich auf jeden Fall richtig. Neben der Treppe hing ein Bild von Sabin, dem Hüter des Dämons Zweifel. Ein Aktbild. Es gab nur eine Person, die den Mumm hatte, einen knallharten Kerl wie Sabin derart durch den Kakao zu ziehen. Anya, Göttin der Anarchie und Quelle aller Unordnung, die zufälligerweise mit Lucien verlobt war, dem Hüter von Tod. Ein seltsames Paar, fand Strider. Doch solange ihn niemand nach seiner Meinung fragte, behielt er sie lieber für sich. Er wollte ja nicht riskieren, sein bestes Stück zu verlieren. Anya ging nämlich nicht gerade zimperlich mit denen um, die an ihr zweifelten.

„Jo, Tor-Tor“, rief er jetzt.

Torin, Hüter des Dämons Krankheit. Der Kerl verließ niemals die Burg. Er war immer hier, überwachte die Monitore und sorgte dafür, dass ihr Zuhause frei von Eindringlingen blieb. Nebenbei spielte er immerzu an seinen Computern herum und brachte ihrer Miniatur-Armee auf diese Weise haufenweise Zaster ein.

Zuerst kam auch diesmal keine Antwort, und abermals vernahm Strider nur das Echo seiner eigenen Stimme. Allmählich begann er, sich Sorgen zu machen. War irgendeine Katastrophe geschehen? Die Auslöschung aller Dämonen? Und wenn ja: Warum lebte er dann noch? Oder hatte Kane, Hüter Aller Möglichen Lästigkeiten, eine schlechte Woche gehabt und …

Endlich hörte er Schritte, die sich näherten. Erleichterung machte sich in ihm breit. Er schaute die Stufen hinauf und sah Torin, der auf einem Treppenläufer mit Zebramuster stand, an den Strider sich ebenfalls nicht erinnern konnte. Das weiße Haar fiel locker um das teuflisch gut aussehende Gesicht des Kriegers und ließ seine smaragdgrünen Augen leuchten.

„Willkommen zu Hause“, brummte Torin und fügte hinzu: „Du Arschloch.“

„Nette Begrüßung.“

„Du rufst nicht an, schreibst nicht mal eine SMS und erwartest hier großen Bahnhof, Gedichte und Blumen?“

„Genau.“

„Typisch.“

Torin war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Sogar seine Hände waren in weiche schwarze Lederhandschuhe gehüllt. Vom modischen Standpunkt aus betrachtet waren die Handschuhe etwas zu viel des Guten. Aber um die Menschheit zu schützen, waren sie unumgänglich. Torin brauchte nur ein einziges Mal jemanden mit bloßer Haut zu berühren, und die Seuche nahm ihren Lauf. Sein Dämon pumpte irgendeine widerliche Krankheit durch seine Adern, mit der man sich schon durch die winzigste Berührung anstecken konnte. Auch Strider. Als Unsterblicher würde er zwar nicht an einem kleinen Husten/Fieber/blutigem Erbrechen sterben. Im Gegensatz zu den Menschen, die davon womöglich auf der ganzen Welt dahingerafft würden. Allerdings würde er die Krankheit wiederum auf jeden übertragen, den er berührte, und da er hin und wieder gerne mal eine Frau verführte, konnte er auf Körperkontakt nicht verzichten.

„Und, alles okay hier?“, erkundigte sich Strider. „Alle wohlauf?“

„Auf einmal interessiert dich das, ja?“

„Ja.“

„Auch typisch. Aber gut: Im Grunde ist alles in Ordnung. Viele sind unterwegs, verstecken die Artefakte oder sind auf der Suche nach dem letzten. Und der Rest jagt Galen.“ Torin kam herunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und blieb am Fuß der Treppe stehen – außerhalb von Striders Reichweite. Wie immer. Er warf einen kurzen Blick auf die Frau, und in seinen Augen blitzte Belustigung auf. „Dann bist du wohl der Nächste, der sich verknallt, hm? Idiot! Ich dachte, du wärst klüger.“

„Vergiss es. Mit diesem Miststück will ich nichts zu tun haben.“ Eine Lüge. Während ihrer scheinbar endlosen Reise war sein Begehren immer größer geworden. Dafür hatte er sich gehasst. Sie mochte der Sex in Person sein – aber auch der Tod in Wartestellung.

Torin verzog seinen Mund, der für einen Mann außergewöhnlich sinnlich war, zu einem breiten Grinsen. „Dasselbe hat Maddox über Ashlyn gesagt, Lucien über Anya, Reyes über Danika, Sabin …“

„Schon gut. Ich hab’s kapiert.“ Strider verdrehte die Augen. „Du kannst jetzt die Klappe halten.“ Auch wenn er zugeben musste, dass der punkige Style dieser Frau ihn anmachte, wäre er niemals so dumm, etwas mit ihr anzufangen.

Er bevorzugte fügsame Frauen. Und zurechnungsfähige.

Lügner. Du stehst auf die hier. Und zwar genau so, wie sie ist. Er wünschte, er hätte diese Äußerung seinem Dämon in die Schuhe schieben können, aber … Selbst jetzt, beim bloßen Gedanken an sie, machte sich sein Körper bereit.

Torin verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist sie denn eigentlich? Ein Mensch mit übernatürlichen Fähigkeiten? Eine Göttin? Eine Harpyie?“

Die Männer, die hier lebten, neigten tatsächlich dazu, sich Frauen aus Mythen und Legenden auszusuchen. Frauen, die weitaus mächtiger waren als ihre Dämonen. Ashlyn hörte Stimmen aus der Vergangenheit, Anya konnte (unter anderem) mit der Kraft ihrer Gedanken Brände entfachen, Danika hatte Visionen aus dem Himmel und der Hölle, und Sabins Frau Gwen … Tja, sie besaß eine dunkle Seite, die man erst kennenlernte, kurz bevor man starb. Qualvoll.

„Mein lieber Freund, was ich hier habe, ist eine waschechte Jägerin.“ Strider schlug ihr fest auf den Hintern – als hätte dort eine Fliege gesessen, die er unbedingt hatte töten müssen. Das sollte demonstrieren, wie egal sie ihm war. Nur warum er seinem Freund nicht sagte, um welche Jägerin es sich handelte – wo er doch kurz zuvor noch so aufgeregt gewesen war –, wusste er nicht. Nein, eigentlich wusste er es genau. Die Müdigkeit. Ja, er war hundemüde, das war alles, und er wollte jetzt nicht mit Lob überhäuft werden. Morgen, nach einem ausgedehnten Schläfchen, würde er alles ausführlich erzählen.

Die Frau reagierte nicht auf seinen festen Klaps, aber das hatte er auch nicht erwartet. Schließlich hatte er sie wiederholt unter Drogen gesetzt, während er sie vom einen Ende der Welt ans andere geschleppt hatte. Von Rom über Griechenland nach New York, weiter nach L.A. und schließlich nach Budapest. Und alles nur, um ihre Gefolgschaft gehörig in die Irre zu führen. Die würden sie niemals retten.

Wir haben gewonnen!, jubelte sein Dämon lachend.

Allerdings. Er bebte vor Freude.

„Eine Jägerin?“ Jegliche Belustigung verschwand aus dem Gesicht seines Freundes. Das Leuchten in seinen Augen erstarb, und aus Smaragden wurde messerscharfer Stahl.

„Ich fürchte ja.“ Die Jäger. Ihre größten Feinde. Diese Fanatiker, die ihn und seine Freunde ein für alle Mal vernichten wollten. Die Bastarde, die in ihnen die Verkörperung des Bösen sahen. Die Arschlöcher, die sie für alles Übel der Welt verantwortlich machten. Das Beste an diesen Irren war, dass Strider sie in die heißesten Tiefen der Hölle schicken würde, einen Soldaten nach dem anderen. Oder, wenn gerade Granaten zur Hand waren, ein paar Hundert auf einmal. Je nach Laune.

„Du hättest sie einfach kaltmachen sollen“, tadelte Torin ihn. „Jetzt will Sabin bestimmt mit ihr reden.“

„Reden“ war in Sabins Vokabular gleichbedeutend mit Folter.

„Ich weiß. Deshalb ist sie ja noch am Leben.“ Sie hatte Informationen über die Götter, die die Herren der Unterwelt wie Marionetten benutzten. Und sie konnte Dinge tun, unmögliche Dinge. Wie zum Beispiel aus bloßer Luft Waffen hervorzaubern. Das konnten eigentlich nur Kriegerengel. Jedenfalls hatte er das angenommen. Das Ding war bloß: Sie war kein Engel. Und nicht nur, weil sie keine Flügel besaß. Das Weib hatte Feuer.

Strider wollte wissen, wie viel sie wusste und wie sie tat, was sie tat.

Aber von alldem mal abgesehen war er dummerweise einfach nicht in der Lage gewesen, seinen Job – auch bekannt als: Jägermüll entsorgen – zu erledigen. Jedes Mal, wenn er es versucht hatte, war sein Blick an ihrem hübschen Gesicht hängen geblieben, und er hatte gezögert. Das Zögern war nach kurzer Zeit einem brennenden Verlangen gewichen, und er hatte den Drang niederkämpfen müssen, sie zu küssen. Daran, sie „kaltzumachen“, hatte er keine Sekunde mehr gedacht.

Sabin würde ihm diesen Blödsinn nicht durchgehen lassen. Er würde Strider so lange triezen, bis er endlich handelte. Dann bliebe ihm nichts anderes übrig, als Anlauf zu nehmen und den Ball ins Tor zu zimmern. Denn … Er ballte die Fäuste. Denn diese Frau, diese wandelnde Abscheulichkeit …

Er biss so fest die Zähne zusammen, dass ihm der Schmerz bis in die Schläfen und weiter direkt ins Gehirn fuhr. Das geschah jedes Mal, wenn er daran dachte, was sie getan hatte.

Diese Frau hatte dabei geholfen, seinen Freund Baden zu enthaupten, den einstigen Hüter von Misstrauen.

Das würde Strider niemals vergessen, geschweige denn vergeben.

Die Enthauptung lag schon viele Tausend Jahre zurück, doch es tat noch immer so weh, als wäre es erst an diesem Morgen geschehen. An jenem Tag war zusammen mit seinem Freund auch ein Teil seiner Seele gestorben. Und wie die Frau auf dem Weg zur Burg hatte erfahren müssen, war auch ein großer Teil seines Herzens verkümmert.

Gnade war nicht gerade etwas, das ihn auszeichnete. Nicht mehr. Und schon gar nicht ihr gegenüber.

Er hatte gedacht, er hätte sie bereits vor Jahrhunderten aus Rache getötet. Er erinnerte sich an den Schlag seiner Klinge, an den tiefroten Strom ihres Blutes und an den metallischen Gestank des Todes in der Luft. An das Geräusch, mit dem ihr Körper auf den Steinboden gesackt war, an ihren letzten röchelnden Atemzug. Und dennoch war sie hier – quicklebendig und auf dem besten Weg, ihn um den Verstand zu bringen.

Vielleicht hatte er sie getötet. Vielleicht war sie wiedergeboren worden. Oder vielleicht hatte man ihre Seele in einen anderen Körper gesteckt. Womöglich war dieses Miststück aber auch noch viel unsterblicher als er und hatte sich nach der Enthauptung irgendwie wieder erholt. Er wusste es nicht, und es war ihm auch egal.

Es zählte nur eins: Sie war Hadiee aus dem antiken Griechenland. Okay, sie nannte sich inzwischen Haidee. Aus Hadiay war Haydi geworden. Offenbar hatte sie sich einen moderneren Namen verpasst. Aber das war ihm schnurz. Er nannte sie Ex – kurz für Dämonenexekutorin, und genau das war sie.

Der Beweis für ihre Verbrechen glimmte noch immer in ihren Augen. In diesen wintergrauen, kalten Augen. Er war in dem Stolz zu hören, der in ihrer Stimme lag, wenn sie von jener verhängnisvollen Nacht sprach – seinen Kopf rollen zu sehen war ein herrlicher Anblick, findest du nicht auch? –, und er sprach aus den Tätowierungen auf ihrem Rücken. Täto-wierungen, die den aktuellen Punktestand zeigten: Haidee I. Herren IIII.

Sie hatte alles verdient, was er und Sabin ihr antun würden.

„Ich bringe sie jetzt in den Kerker“, verkündete er. Noch nie zuvor hatte er diese Mischung aus Genuss und Bedauern in seiner eigenen Stimme vernommen. Erneut setzte er sich in Bewegung und rief über die Schulter: „Wenn du so lieb wärst und Zweifi-Popeifiinformierst, dass …“

„Geht nicht, Strideylein. Es gibt da nämlich etwas, das du dir unbedingt ansehen musst.“ Angst und düstere Erwartung klangen aus seinen Worten.

Den linken Fuß noch in der Luft blieb Strider abrupt stehen. Um ein Haar wäre ihm das immer noch bewusstlose Bündel Frau von der Schulter gerutscht. Langsam drehte er sich um, rückte Ex wieder zurecht und sah Torin ins Gesicht. Als er registrierte, wie blass sein Freund plötzlich war – unter der blassen Haut waren feine blaue Venen zu erkennen –, keimte auch in ihm Angst auf. „Du hast doch gesagt, es wäre alles in Ordnung. Was ist denn los?“

Torin schüttelte den Kopf. „Dafür gibt es keine Worte, das musst du sehen. Und außerdem habe ich gesagt, dass im Grunde alles in Ordnung ist. Aber jetzt komm.“

„Die Frau …“

„Nimm sie mit. Man wird sich schon um sie kümmern, du wirst sehen.“ Im nächsten Moment eilte er auch schon die Treppe hinauf, und wieder nahm er zwei Stufen auf einmal.

Mit wachsender Furcht folgte Strider ihm, wobei Ex im Rhythmus seiner Schritte auf seiner Schulter auf und ab hüpfte. Wäre sie bei Bewusstsein gewesen, hätte sie nur mühsam Luft bekommen und vor Schmerzen gestöhnt, so heftig rammten seine Knochen mit jeder Stufe in ihren Magen. Und sie hätte sich mit einer Kampferfahrenheit gewehrt, die ihresgleichen suchte.

Schade, dass die Medikamente so gut wirkten. Ein kleiner Kampf hätte jetzt sicher seine Nerven beruhigt.

Was war nur so wichtig, dass Torin ihm nicht mal die wenigen Minuten gewährte, die es brauchte, um eine beschissene Jägerin einzusperren?

Seine Gedanken zerfaserten in dem Moment, als er den oberen Treppenabsatz erreichte.

Ihm blieb die Luft weg. Engel. So viele Engel. Kein Wunder, dass die Burg neu dekoriert war. Von wegen göttliche Einmischung. Die Engel waren dafür verantwortlich. Die mochten schöne Dinge.

Sie standen an der Wand, Flügel an Flügel. Weiße, mit goldenen Federn durchwirkte Flügel. Die Flügel von Kriegerengeln. Sie sättigten die Luft mit einer Duftkomposition aus Orchideen, frischem Morgentau, Schokolade und Champagner. Bei unterschiedlichen Größen unterschritten sie doch nie die Einsneunzig-Marke, und die Muskeln unter den weißen, ziemlich mädchenhaften Roben machten denen von Strider Konkurrenz.

Die meisten waren Männer, aber sie alle waren Dämonenmörder. Dafür ausgebildet, zu jagen, zu zerstören und – sofern sie dazu bemächtigt waren – zu beschützen. Da sie nicht auf ihn zugestürmt kamen und Feuerschwerter aus der Luft hervorzauberten, ging er davon aus, dass Letzteres der Grund für ihren Besuch war.

Auf der Suche nach Antworten musterte er sie eindringlich. Insgesamt dreiundzwanzig, aber nicht einer sah in seine Richtung. Sie hielten den Blick stur geradeaus gerichtet, die Körperhaltung aufrecht und die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Kein Geräusch war zu hören. Nicht einmal ihr Atem.

Körperlich … bezauberten sie ihn. Und ja, es war ihm höllisch peinlich, sich das einzugestehen. Aber die Anziehung, die von ihnen ausging, war einfach faszinierend. Hypnotisierend. Sie waren eine Droge für seine Augen.

Ihre Haare hatten alle möglichen Schattierungen – von der schwärzesten Nacht bis zum weißesten Schnee. Am liebsten aber mochte er das Gold. So rein und so fließend wie ein Schatz, der eingeschmolzen und mit den Strahlen der Sommersonne vermischt worden war. Voll und dynamisch. Beinahe … lebendig. Aber natürlich würde er es niemals wagen, sie wegen ihrer weibischen Züge aufzuziehen.

Auch wenn sie ihn weder angriffen noch in seine Richtung sahen, strahlten sie etwas Tödliches aus.

Irgendjemand räusperte sich.

Strider blinzelte, und Torin rückte wieder in sein Sichtfeld. Sein Freund stand mitten im Flur. Wahrscheinlich stand er schon die ganze Zeit da, nur hatte Strider nichts anderes mehr wahrgenommen als die Engel. Jep. Peinlich.

„Warum?“, war alles, was er hervorbrachte.

Torin verstand ihn trotzdem. „Aeron und William haben Amun für eine Rettungsaktion in die Hölle mitgenommen. Sie konnten Legion auch tatsächlich befreien, und es geht ihr so weit gut. Aber Amun …“

Strider konnte sich den Rest denken und hätte am liebsten mit bloßer Faust ein Loch in die Wand geschlagen. Der Hüter von Geheimnisse hatte neue Stimmen in seinem Kopf.

Er kannte Amun schon seit Abertausenden von Jahren. Seit Ewigkeiten. Er wusste, dass der Dämon des Kriegers die dunkelsten Gedanken und die tiefsten Geheimnisse all derer aufsaugte, die in seiner Nähe waren. Längst vergrabene, entsetzliche Dinge. Grauenhafte Dinge, die die Seele veränderten. Und wenn Amun in der Hölle gewesen war, wo die Dämonen in ihrer reinsten Form umherstreiften, tobte nun ein Sturm des Bösen in seinem Kopf. Vermutlich ertränkten Unheil bringendes Geflüster und grausame Bilder sein eigentliches Ich.

„Die Engel?“, knurrte Strider. Ja, er wusste, wie unhöflich es war, über die Wesen zu sprechen, als wären sie nicht anwesend. Aber das interessierte ihn einen Scheißdreck. Es gab nicht viele, die er liebte, aber die anderen von Dämonen besessenen Bewohner dieser Burg gehörten dazu. Sie liebte er sogar mehr als sich selbst, und das bedeutete schon einiges.

„Sie wollten ihn töten, aber …“

„Scheiße, nein!“, brüllte er. Sobald sie seinen Freund auch nur berührten, würden sie ihre Hände verlieren – gefolgt von ihren Armen und Beinen, ihren inneren Organen und, wenn das Foltern ihm zu langweilig würde, ihrem Leben.

Er hob Ex von seiner Schulter, legte sie mehr oder weniger sanft auf dem Boden ab und ging auf Aerons Tür zu, wobei er mit einer Hand nach seinem Messer griff.

Niederlage spürte seinen Zerstörungsdrang und lachte glücklich auf. Gewinnen!

„Halt.“ Torin hob den Arm, um ihn abzuwehren. Gleichzeitig machte er ein paar Schritte zurück, um den Abstand zu wahren. „Lass mich ausreden, verdammt! Sie wollten und sollten ihn töten, aber sie haben es nicht getan. Und das werden sie auch nicht.“

Das Wort noch hing in der Luft wie eine Schlinge, die sich unaufhaltsam um seine Kehle legte. Strider beschloss, die Schlinge – für den Augenblick – zu ignorieren, und blieb stehen. Sein Atem ging schwer, und sein Gesicht war ganz heiß, so heftig war die Wut in seinem Inneren.

Gewinnen?, jammerte sein Dämon.

Das war keine Herausforderung. Und deshalb konnte er auch ohne Konsequenzen einen Rückzieher machen.

Ach so, hörte er eine enttäuschte Stimme in seinem Kopf. „Warum sind sie dann hier?“, fragte er fordernd.

Torins grüne Augen wurden dunkler, während er das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß verlagerte. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Anscheinend fiel es ihm schwer, die Erklärung zu formulieren.

„Amun hat nicht nur neue Erinnerungen aufgenommen … sondern auch Dämonenlakaien. Und zwar Hunderte.“

„Wie das? Wie ist das möglich, verdammt? Ich lebe seit Jahrhunderten mit ihm zusammen, und meinen Dämon hat er nie in sich aufgenommen.“

„Meinen auch nicht. Allerdings sind unsere Dämonen auch keine Lakaien, sondern Hohe Herren, die sich an Menschen binden können. In der Hölle aber wimmelt es von diesen Maden, und wie du weißt, können die sich nur an wen binden? Genau, an Hohe Herren. Und genau das haben sie getan: Sie haben sich an Geheimnisse gebunden. Er ist jetzt … verseucht. Er stellt eine Gefahr dar, die weitaus schlimmer ist als der flüchtige Kontakt mit meiner Haut. Die Engel bewachen ihn, um sicherzugehen, dass er nicht abhaut und … Leid verbreitet. Damit er niemandem etwas antut – weder sich noch den Menschen.“

Strider blickte finster drein. Amun sprach nur selten. Die Geheimnisse, die er ungewollt stahl, behielt er für sich, damit sich kein anderer damit herumplagen oder davor Angst haben musste. Das war eine entsetzliche Bürde, die nur wenige zu tragen vermocht hätten. Dennoch tat Amun es, weil es niemanden gab, dem das Wohlergehen seiner Mitbewohner mehr am Herzen lag als ihm. Und dieser selbstlose Mann sollte auf einmal eine Gefahr darstellen? Nein. Das konnte Strider einfach nicht glauben.

„Erklär es mir besser“, befahl er Torin und gab ihm eine zweite Chance, ihn zu überzeugen.

Nach jahrhundertelanger Trennung hatten die Krieger erst vor wenigen Monaten wieder zusammengefunden, und so war Torin von Strider eigentlich nur Witze und dumme Sprüche gewohnt. Trotzdem erschrak Krankheit nicht, als sein Freund ihm nun so harsch entgegentrat.

„Das Böse sickert förmlich aus ihm heraus. Man braucht nur in sein Zimmer zu gehen, und schon spürt man diese klebrige Finsternis. Man fängt an, sich nach Dingen zu sehnen.“ Ihm schauderte. „Nach schrecklichen Dingen. Und man wird diese widerlichen Sehnsüchte auch nicht so einfach los. Das schwärt tagelang in einem.“ 

Auch das kümmerte Strider nicht, und er weigerte sich noch immer, es zu glauben.

„Ich will ihn sehen.“

Nach kurzem Zögern, als hätte er genau diese Reaktion erwartet, nickte Torin.

„Aber die Jägerin …“ Er brach mitten im Satz ab.

Hinter sich hörte Strider das Rascheln von Kleidung und das Stöhnen einer Frau. Er wirbelte herum und sah gerade noch, wie einer der Engel Ex auf die Arme nahm und sie zu dem leer stehenden Zimmer neben dem von Amun trug.

Beinahe wäre er auf sie zugestürzt und hätte sie dem himmlischen Wesen entrissen. Aber er hatte früher schon Bekanntschaft mit einem Engel gemacht – mit Lysander, dem Anführer dieser Krieger und dem schlimmsten aller Weltverbesserer – und wusste daher, dass sie den tiefen Hass, den er für diese Frau empfand, nicht nachvollziehen könnten. Sie betrachteten Haidee als unschuldigen Menschen, der Liebe und Fürsorge brauchte. Und da Amun bei Weitem wichtiger war als die – möglichst schlechte – Behandlung eines Jägers, hielt Strider sich zurück.

„Nur damit du es weißt: Sie ist schlimmer als ein Dämon“, warnte er den Engel mit einem scharfen Unterton in der Stimme. „Ihr wärt also gut beraten, sie genauso zu bewachen wie Amun. Aber tötet sie nicht“, fügte er hinzu, bevor er sich daran hindern konnte. Das hätten die Kriegerengel zwar ohnehin nicht getan, aber trotzdem. Ein Mann musste klare Ansagen machen, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden. „Sie hat … Informationen, die wichtig für uns sind.“

Der Engel hielt inne und wandte seinen Kopf mit einer präzisen Bewegung zu Strider. Wie Torin hatte auch er grüne Augen. Doch anders als bei Torin waren seine Augen nicht durch Schatten getrübt. Nur klare, helle Flammen waren zu sehen, die bereit schienen, wie Blitze zuzuschlagen.

„Ich spüre ihre Infektion.“ Seine Stimme hatte ein tiefes und leicht rauchiges Timbre. „Ich werde dafür sorgen, dass sie die Burg nicht verlässt. Vorerst.“

Infektion? Strider wusste nichts von einer Infektion, aber auch das war ihm gerade egal.

„Danke.“ Zum Teufel noch mal – er hätte sich nie träumen lassen, dass er jemals einem Dämonenmörder für irgendetwas danken würde. Abgesehen von Aerons Olivia natürlich.

Mit einem Kopfschütteln fegte er Ex und alles andere aus seinen Gedanken und ging hinter Torin her.

Am Ende des Flurs blieb Torin vor der letzten Tür auf der rechten Seite stehen, atmete tief ein und drehte den Türknauf.

„Sei vorsichtig da drin.“ Dann trat er beiseite und machte Strider Platz.

Was Strider zuerst auffiel, war die Luft. Dick und dunkel war sie. Fast konnte er den Schwefel riechen … und die zu Asche verbrannten Körper. Und diese Geräusche, oh Götter … Schreie, die an seinen Trommelfellen kratzten, erstickt und dennoch unauslöschlich. Abertausende Dämonen tanzten umeinander und schufen einen schwindelerregenden Chor der Qual.

Am Fußende des Bettes blieb er stehen und sah nach unten. Amun krümmte sich auf der Matratze, hielt sich die Ohren zu und stöhnte. Nein, begriff Strider im nächsten Moment. Das Stöhnen kam nicht von seinem Freund, sondern von ihm selbst. Amun war vollkommen still, den Mund geöffnet zu einem endlosen Schrei, den er nicht auszustoßen vermochte.

Seine dunkle Haut hing in Fetzen, und was davon übrig war, lag bedeckt von verkrustetem und frischem Blut. Als unsterblicher Krieger heilte er schnell. Aber diese Wunden … Sie sahen aus, als würden sie nur verschorfen, um immer und immer wieder aufgerissen zu werden. Und sein Schmetterlingstattoo, das Zeichen seines Dämons, das sich einst um seine rechte Wade geschlungen hatte – es bewegte sich. Es wanderte sein Bein hinauf, flatterte über seinen Bauch, zersplitterte in Hunderte winzige Schmetterlinge, verschmolz wieder zu einem und verschwand dann hinter seinem Rücken.

Wie? Warum?

Zitternd musterte Strider das Gesicht seines Freundes. Amuns Wimpern lagen wie zusammengenäht aufeinander, und die Lider waren so geschwollen, als würde er Golfbälle in den Augenhöhlen schmuggeln. Oh Götter. Striders Magen brannte vor Übelkeit, und die Galle stieg ihm in die Kehle. Er wusste, woher diese Schwellung kam. Er erkannte die Ab-drücke von Fingernägeln.

Amun hatte versucht, sich die Augen auszureißen.

Damit sich nicht immer neue Bilder dahinter formten?

Das war der letzte zusammenhängende Gedanke, den Strider hatte. Der letzte Gedanke, den er kontrollieren konnte.

Die Finsternis hüllte ihn vollständig ein, grub sich in seinen Körper, füllte seinen Kopf, verzehrte ihn. Ihm fiel ein, dass er unzählige Messer an den Körper gebunden trug. Er sollte sie in die Hände nehmen, sie benutzen. Schneiden, oh ja, er würde etwas damit zerschneiden. Sich selbst. Amun. Die Engel vor dem Zimmer. Dann die ganze Welt. Blut würde fließen, ein reißender Strom von Blut. Haut würde verwittern, springen und sich abschälen wie getrocknete Farbe, und Knochen würden entzweibrechen und in winzigen Splittern zu Boden fallen – wie Staub, der einfach weggekehrt würde.

Er würde das Blut trinken und die Knochen verschlingen, doch das wäre es nicht, was ihm Kraft gäbe. Nein, er würde von den gequälten Schreien zehren, die durch seine Taten ausgelöst würden. Er würde in der Angst der anderen baden, und ihr Leid brächte ihn zum Jubeln. Und er würde lachen, aus vollem Halse lachen.

Auch jetzt lachte er, und das grausam kalte Geräusch war Musik in seinen Ohren.

Niederlage wusste nicht genau, wie er reagieren sollte. Der Dämon gackerte und wimmerte, bevor er sich in den hintersten Winkel von Striders Kopf zurückzog. Angst? Richtig so.

Irgendetwas Starkes und Hartes legte sich um seine Oberarme und riss ihn zurück, zog ihn, während er wild um sich trat und schrie, aus der Dunkelheit ins Licht. Helles Licht. Seine Augen tränten und brannten. Aber mit den Tränen und dem Brennen lichteten sich die Bilder in seinem Kopf und verbrannten zu Asche. Jedenfalls die meisten.

Strider blinzelte mehrmals. Er zitterte heftig und war schweißgebadet, und seine Handflächen bluteten, weil er tatsächlich nach seinen Messern gegriffen hatte. Er hielt sie noch immer in den Händen. Allerdings falsch herum, sodass sich die Klingen durch Haut und Sehnen bis auf seine Knochen bohrten. Der Schmerz war heftig, aber erträglich, als er die Finger öffnete und die Waffen klappernd zu Boden fielen.

Einer der Engel stand hinter ihm, ein anderer vor ihm. Sie leuchteten von innen heraus wie Zwillingssonnen, die soeben aus einer zu langen Finsternis befreit worden waren. Er zwang sich zu atmen und schaffte es irgendwie, Sauerstoff in seine Lungen zu saugen. Einmal, zweimal. Den Göttern sei Dank. Kein Schwefel, keine Asche. Nur der geliebte – und verhasste – Duft von Morgentau. Verhasst deshalb, weil der frische, reine Duft die Realität in all ihren Nuancen in sein Bewusstsein rückte.

Das war es also, was Amun durchlitt?

Strider hatte nur einen Vorgeschmack davon bekommen, sein Freund aber musste die Finsternis und die seelenzerstörenden Sehnsüchte den ganzen Tag und die ganze Nacht ertragen. Niemand konnte permanent einen solch grauenvollen Wahnsinn erleben, ohne schließlich den Verstand zu verlieren. Nicht einmal Amun.

„Krieger?“, fragte der Engel vor ihm eindringlich.

„Ich bin wieder ich selbst“, presste er atemlos hervor. Eine Lüge. Er würde vielleicht nie wieder der Alte sein.

Über die Schulter des Engels hinweg sah er Torin. Sie warfen einander einen kurzen Blick zu, in dem sich ihr Verständnis für die entsetzliche Lage ihres Freundes zeigte, ehe Strider seine Aufmerksamkeit wieder dem Engel und der augenblicklichen Situation widmete.

„Warum zur Hölle steht ihr einfach nur hier rum? Irgendjemand muss ihn festketten. Er zerfleischt sich ja selbst.“ Striders Kehle war so trocken, dass sich seine Worte darin anfühlten wie Glassplitter. „Und legt ihm eine Infusion, verdammt noch mal. Er braucht Flüssigkeit. Und Medikamente.“

Jetzt waren es die Engel, die sich einen vielsagenden Blick zuwarfen. Nur dass der ihre voller Wissen war. Wissen, wie man es nur durch unzählige Kämpfe und viel Herzschmerz erlangt. Erst dann kehrte der eine zu seinem Posten an der Wand zurück, und der andere betrat Amuns Zimmer.

Der Engel an der Wand sagte: „Wir haben ihm schon mehrfach Infusionen gelegt, aber sie halten nicht. Die Nadeln lockern sich immer wieder, ob er nachhilft oder nicht. Ketten können wir ihm natürlich anlegen. Und bevor du verlangst, dass wir ihn waschen und pflegen, lass dir gesagt sein, dass wir das bereits tun. Wir putzen ihm die Zähne. Wir baden ihn. Wir reinigen seine Wunden. Wir zwangsernähren ihn. Wir kümmern uns in jeder erdenklichen Art und Weise um ihn.“

„Was ihr tut, reicht nicht“, erwiderte Strider.

„Wir sind für jeden Vorschlag offen. Wenn du also eine bessere Idee hast …“

Natürlich hatte er das nicht. Er mochte seine Gedanken zwar wieder im Griff haben, aber wie Torin prophezeit hatte, war das Verlangen zu töten und unschuldige Wesen zu verletzen noch nicht vollständig abgeflaut. Es überzog ihn noch immer wie eine schleimige Hülle.

Und er hatte das ungute Gefühl, dass er sich nie wieder davon reinwaschen könnte, selbst wenn er sich jede Hautschicht einzeln abzöge.

Wie sollte Amun das nur überleben?

2. KAPITEL

In den kurzen lichten Momenten wusste Amun, wer er war, was er früher gewesen war und in welches Monstrum er sich verwandelt hatte. Dann wollte er sterben, wollte endlich das gesegnete Nichts. Aber niemand zeigte Gnade und gab ihm den Todesstoß. Und sosehr er sich auch bemühte – und er bemühte sich redlich –, er schaffte es einfach nicht, sich so stark zu verletzen, dass er sich selbst ins Jenseits beförderte.

Also kämpfte er. Er versuchte, die schwarzen Bilder und widerwärtigen Impulse, die unaufhörlich auf ihn einprasselten, auszumerzen – und sie gleichzeitig in seinem Innern gefangen zu halten. Eine unmögliche Herausforderung, die er bald verlieren würde. Das wusste er. Es waren zu viele, sie waren zu stark, und sie hatten bereits seine unsterbliche Seele weggeätzt. Hatten die letzte Fessel vernichtet, die sie an seinen Willen gebunden hatte. Auch wenn er nie wirklich die Kontrolle gehabt hatte.

Und trotzdem würde er mit jeder Faser seines Körpers kämpfen. Bis zum bitteren Ende. Wenn nämlich diese Bilder und Impulse, diese Dämonen, auf eine ahnungslose Menschheit losgelassen würden …

Ihn durchlief ein Schaudern. Er wusste, was dann geschähe. Er sah die Zerstörung vor seinem geistigen Auge. Schmeckte schon den süßen Geschmack der Verwüstung.

Süß … ja …

Und im Bruchteil einer Sekunde löste sich der jüngste Augenblick der Klarheit wie Nebel auf. Zahllose Bilder rauschten durch seinen Kopf, eine Flut von Erinnerungen, und er wusste nicht mehr, welche die seinen waren und welche von den Dämonen kamen – oder von deren Opfern. Schlägereien. Vergewaltigungen. Morde. Verzückung auf den Gesichtern. Schmerz. Schock. Tod. Lähmende Angst, die auffraß und zerstörte.

In diesem Moment wusste er nur noch, dass rings um ihn Flammen loderten, die seine Haut verbrannten und seine Kehle Blasen werfen ließen. Dass sich Tausende winziger, stechender Insekten in seine Adern gebohrt hatten und sich immer weiter in seine Eingeweide fraßen. Dass Verwesungsgeruch seine Nase verstopfte und bis in jede einzelne Zelle gedrungen war. Dass …

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