Die Herren der Unterwelt 6: Schwarze Lügen - Gena Showalter - E-Book

Die Herren der Unterwelt 6: Schwarze Lügen E-Book

Gena Showalter

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Beschreibung

Sie wollen Gutes und sind doch zum Bösen verdammt: die Herren der Unterwelt. Sechster Teil der preisgekrönten Lords of the Underworld-Serie von New York Times Bestseller-Autorin Gena Showalter.

Er darf alles, nur eins ist ihm bei Todesqualen verboten: die Wahrheit zu sagen. Gideon ist der fünfte Herr der Unterwelt, und in ihm haust der Dämon der Lüge.
Und so wie er selbst Wahres nicht benennen darf, so erkennt er bei anderen sofort die Lüge. Bis er auf Scarlet trifft, eine ebenfalls unsterbliche Seele. Sie behauptet, seine Frau zu sein: der Mensch, den er einst geheiratet und leidenschaftlich geliebt hat. Doch so wenig Gideon sich erinnern kann, so wenig deutet darauf hin, dass Scarlet lügt.
Im Gegenteil: In ihrer Gegenwart flammt in Gideon ein längst vergessenes Verlangen neu auf. Doch er darf ihm nicht nachgeben, denn damit würde er Scarlet in tödliche Gefahr bringen …

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Seitenzahl: 618

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

New York Times- und USA Today-Bestseller-Autorin Gena Showalter gilt als neuer Shooting Star am romantischen Bücherhimmel des Übersinnlichen. Ihre Romane erobern nach Erscheinen die Herzen von Kritikern und Lesern gleichermaßen im Sturm. Die Serie um „Die Herren der Unterwelt“ ist ihre bislang stärkste.

Gena Showalter

Die Herren der Unterwelt 6

Schwarze Lügen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Maike Müller

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2011 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Darkest Lie – Lords of the Underworld 6

Copyright © 2010 by Gena Showalter

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz; Thinkstock/Getty Images, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-123-2 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-122-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

LIEBE LESERINNEN,

ich freue mich, Ihnen Schwarze Lügen präsentieren zu dürfen, den sechsten Teil meiner Serie „Die Herren der Unterwelt“. In einer abgelegenen Festung in Budapest leben zwölf unsterbliche Krieger – einer gefährlicher und verführerischer als der andere. Auf jedem einzelnen lastet ein uralter Fluch, den bislang niemand brechen konnte. Als ein mächtiger Feind zurückkehrt, machen sie sich auf die Suche nach einer heiligen Reliquie – einer Reliquie, die sie alle zu vernichten droht.

In dieser Geschichte kämpft Gideon, der Hüter der Lüge, gegen Scarlet, die Hüterin der Albträume. Und mit „kämpft“ meine ich natürlich verführt, verärgert, verblüfft und verzaubert. Sie behauptet, seine lang verlorene Ehefrau zu sein – das Problem ist nur, dass er sich nicht an sie erinnern kann. Aber er will sie trotzdem. Und wie! Und er wird alles tun, um sie zu bekommen …

Begleiten Sie mich auf einer Reise durch diese düstere und sinnliche Welt, in der die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt und die wahre Liebe auf eine harte Probe gestellt wird! Und seien Sie bereit für weitere Abenteuer der Herren der Unterwelt, in denen die Risiken noch größer, die Suche noch gefährlicher und die Liebesgeschichten noch heißer werden!

Mit den besten Grüßen

Gena Showalter

Zu Ehren des Hüters der Lüge möchte ich diese Widmung in Gideons Sprache schreiben.

Für jemanden, der mich auf dem Weg nicht bei jedem Schritt unterstützt hat (und auch jetzt nicht unterstützt): Margo Lipschultz.

Für die fünf Männer, die ich von ganzem Herzen verachte:

Jill Monroe, Kresley Cole und P. C. Cast.

Für meine verhasste Ehefrau: Max.

Und zuallererst für den lieben Gideon selbst. Zu meiner unbändigen Freude hast Du mir meinen Job so leicht gemacht. Die Worte sind geflossen wie weicher, vollmundiger Wein. Du warst kein einziges Mal störrisch, hast mich nie an den Rand des Wahnsinns getrieben und Dich in keinerlei unmögliche Situationen gebracht, aus denen ich dann irgendwie einen Ausweg für Dich finden musste.

Ich danke Dir.

PROLOG

Tief in Gedanken blickte Gideon hinab auf die Frau, die da vor ihm auf einem Bett aus wolkenweicher, himmelblauer Baumwolle schlief.

Seine Frau.

Möglicherweise.

Tintenschwarzes Haar fiel in glatten Strähnen um ihr sinnliches Gesicht, und ihre langen Wimpern warfen Schatten auf die anmutig geschwungenen Wangenknochen. Eine ihrer Hände ruhte mit locker gekrümmten Fingern an ihrer Schläfe, und die azurblau lackierten Fingernägel glänzten im goldenen Schein der Lampe. Ihre Nase hatte die perfekte Größe und Form, ihr Kinn wirkte kämpferisch, und ihre Lippen waren so voll – und so rot –, wie er es noch nie gesehen hatte.

Und ihr Körper … Götter! Vielleicht waren diese sündhaften Kurven der Grund dafür, dass sie den Namen Scarlet trug. Ihre aufreizend gerundeten Brüste … die zarte Kurve ihrer Taille … die Form ihrer Hüften … die langen, schlanken Beine … Jeder Zentimeter ihres Körpers war wie dafür gemacht, zu locken und zu verführen.

Ohne Zweifel war sie die auf quälende Art schönste Frau, die ihm je begegnet war. Eine wahre schlafende Schönheit. Nur dass ihm diese Schönheit verdammt gefährlich werden würde, wenn er versuchte, sie wach zu küssen.

Bei dem Gedanken musste er voller Genugtuung grinsen.

Ein Blick, und jeder Mann erkannte, dass sie unter dieser schneeweißen Haut vor Leidenschaft und Feuer brannte. Was die meisten Männer jedoch nicht wussten, war, dass sie – wie Gideon – von einem Dämon besessen war.

Der Unterschied ist nur, dass ich meinen verdient habe. Und sie ihren nicht.

Vor einer unfassbaren Ewigkeit hatte er seinen Freunden dabei geholfen, die Büchse der Pandora zu stehlen und zu öffnen – und dadurch sämtliches Übel zu befreien, das darin gefangen gewesen war. Ja, ja. Ein großer Fehler. Das war ihm ziemlich schnell klar gewesen. Und hätte man ihn gefragt, hätte er es auch zugegeben. Doch die Götter hatten nicht gefragt, sondern gleich bestraft. Jeden beteiligten Krieger hatten sie dazu verdammt, einen der freigelassenen Dämonen für immer in sich zu tragen. Darunter befanden sich so böse Jungs wie Tod, Katastrophe, Gewalt, Krankheit, bla, bla, bla.

Doch es waren mehr Dämonen befreit worden, als es Krieger gegeben hatte. Deshalb waren die übrigen an die unsterblichen Gefangenen im Tartarus gebunden worden – wo Scarlet ihr gesamtes Leben verbracht hatte.

Gideon war von Lügen besessen und Scarlet von Albträumen.

Ganz offensichtlich hatte er beim Dämonenroulette den Kürzeren gezogen. Sie schlief bloß wie eine Tote und drang in die Träume anderer ein. Er hingegen konnte kein wahres Wort sprechen, ohne unsägliche Qualen zu erleiden. Wenn er einer hübschen Frau sagte, dass sie hübsch war, brach er gleich darauf zusammen und wurde von einem unvorstellbaren Schmerz übermannt, der ihm die Organe zu zerfetzen und Säure durch seine Adern zu jagen schien. Dieser Schmerz raubte ihm jegliche Kraft und auch den letzten Funken Lebenswillen.

Um nicht so leiden zu müssen, konnte er nur sagen: „Du bist hässlich.“ Die meisten Frauen brachen bei diesen Worten in Tränen aus und rannten fluchtartig davon. Deshalb war er im Grunde auch immun gegen Tränen.

Wie es wohl bei Scarlet wäre, fragte er sich. Ob ihre Tränen mich berühren würden?

Er streckte den Arm aus und zog mit dem Finger die Linie ihres Unterkiefers nach. Diese seidige, warme Haut. Ob sie ihm unbeeindruckt ins Gesicht lachen würde? Versuchen würde, ihm die Kehle durchzuschneiden? Oder ihm glauben würde? Würde sie ihn einen Lügner nennen?

Oder würde sie wie die anderen die Beine in die Hand nehmen und weglaufen?

Der Gedanke daran, sie zu verletzen, zu verärgern und schlussendlich zu verlieren, fühlte sich nicht besonders gut an.

Er ließ den Arm fallen und ballte die Hand zur Faust. Vielleicht werde ich ihr die Wahrheit sagen. Vielleicht werde ich ihre Schönheit beschreiben. Doch er wusste, er würde es nicht tun. Diesen Fehler einmal machen, okay. Das war eben dumm. Aber ihn zweimal zu machen würde allen Ernstes Darwins Evolutionstheorie bestätigen.

Und einmal war es ihm bereits passiert.

Gideons Erzfeinde, die Jäger, hatten ihn entführt und ihm gesagt, sie hätten Sabin, den Hüter des Dämons Zweifel, getötet. Da Gideon den Mann wie einen Bruder liebte – der Kerl konnte Ohrfeigen verteilen wie kein Zweiter –, war er vollkommen ausgerastet und hatte die Jäger angebrüllt und gesagt, wie sehr er sie hasste und dass er sie alle umbringen würde. Er hatte jedes einzelne Wort so gemeint. Auch wenn er Jahre und Jahrhunderte brauchen würde, um sein Versprechen zu erfüllen, aber das spielte keine Rolle. Er hatte die Wahrheit gesagt und war mit unerträglichen Schmerzen dafür bestraft worden.

Er hatte sich am Boden gekrümmt und unkontrollierbar gezuckt, was ihn zu einem leichten Opfer für ihre Folter gemacht hatte. Und die Jäger hatten ihn gefoltert. Immer und immer wieder.

Nachdem sie ihn so hart geschlagen hatten, dass seine Augen zugeschwollen und ihm mehrere Zähne in hohem Bogen aus dem Mund geflogen waren, nachdem sie ihm rostige Metalldorne unter die Fingernägel geschoben, Stromschläge durch seinen Körper gejagt und ihm die liegende Acht – ihr Erkennungszeichen, das Symbol für eine Unendlichkeit ohne ihn und seinesgleichen – in den Rücken geritzt hatten, hatten sie ihm die Hände abgehackt. Er hatte wirklich geglaubt, am Ende zu sein. Bis ein quicklebendiger Sabin ihn gefunden, gerettet und nach Hause gebracht hatte (nachdem er einige seiner bereits erwähnten Ohrfeigen verteilt hatte).

Zum Glück waren seine Hände endlich nachgewachsen. Darauf hatte er lange gewartet. Und zwar sehr … geduldig. Jetzt könnte er sich endlich rächen, ja. Jedenfalls hatte er das zunächst gewollt. Aber dann hatten seine Freunde diese Frau, diese Scarlet, eingekerkert. Und sie hatte behauptet, seine Ehefrau zu sein.

An dem Punkt hatten sich seine Prioritäten irgendwie verschoben.

Er erinnerte sich nicht an sie, geschweige denn daran, sie geheiratet zu haben. Und dennoch hatte er all die Jahrtausende immer wieder ihr Gesicht vor seinem geistigen Auge aufblitzen sehen. Fast jedes Mal, wenn er auf einer Frau zusammengesunken war – verschwitzt, aber nicht befriedigt, weil er sich zu sehr nach etwas oder jemandem gesehnt hatte, ohne es näher beschreiben zu können. Deshalb konnte er ihre Behauptung nicht sofort abtun. Doch genau das musste er tun. Er musste ihr beweisen, dass sie unrecht hatte.

Sonst müsste er mit dem Wissen leben, eine Frau verlassen zu haben, die zu beschützen er einst versprochen hatte. Er müsste mit dem Wissen leben, dass er mit anderen geschlafen hatte, während seine Ehefrau Qualen gelitten hatte.

Er müsste mit dem Wissen leben, dass irgendwer sein Gedächtnis manipuliert hatte.

Natürlich hatte er von Scarlet eine Erklärung verlangt, aber da sie stur war wie ein Esel, hatte sie sich geweigert, ihm noch mehr zu verraten. Etwa, wie sie einander begegnet waren, wann sie einander begegnet waren, ob sie einander geliebt hatten, ob sie glücklich gewesen waren. Wie sie sich getrennt hatten.

Wenn er ehrlich war, konnte er ihr nicht übel nehmen, dass sie diese Details für sich behielt. Immerhin war sie genau so eine Gefangene der Herren, wie er vor Kurzem ein Gefangener der Jäger gewesen war. Er hatte auch nicht mit seinen Entführern gesprochen. Nicht einmal während dieser entzückenden Handamputation.

Also hatte er einen Plan geschmiedet. Damit Scarlet sich ihm öffnete, musste er sie irgendwo anders hinbringen. Nur eine Zeit lang. Nur bis er Antworten hatte. Dann, an diesem Morgen, hatte er es getan. Während seine angebliche Frau geschlafen und die Welt um sich herum nicht wahrgenommen hatte, hatte er sie aus der Burg entführt, sie sich auf die Schulter geworfen und zu diesem Hotel im Zentrum von Budapest gebracht.

Bald würde er alles haben, was er wollte.

Sie brauchte bloß noch aufzuwachen …

1. KAPITEL

Wenige Stunden zuvor …

Dann will ich die Party mal steigen lassen, dachte Gideon fest entschlossen, während er durch die renovierten Flure der Budapester Burg stapfte.

Der Dämon summte in innigem Einverständnis in seinem Geist. Sie beide mochten Scarlet, ihre angebliche Ehefrau, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Gideon mochte ihr Aussehen und ihre frechen, spitzzüngigen Bemerkungen. Lügen mochte … Gideon war sich nicht sicher. Er wusste nur, dass die Bestie jedes Mal, wenn Scarlet ihren Ich-kann-Dinge-tun-von-denen-du-bisher-nur-geträumt-hast-Mund öffnete, zustimmend schnurrte.

Diese Reaktion war eigentlich krankhaften Lügnern vorbehalten.

Doch der Dämon wusste nicht, ob sie schwindelte. Was bedeutete, dass Lügen hinter aller Zuneigung zu Scarlet frustriert war und auf jedes Wort, das Gideons Mund verließ, hochempfindlich reagierte. Und das wiederum war für Gideon verdammt frustrierend. Mittlerweile konnte er seine Freunde nicht einmal mehr mit ihren richtigen Namen ansprechen.

War sie nun eine verfluchte Lügnerin oder nicht? Natürlich war er sich der Ironie bewusst, die in seinem Zweifel steckte. Er, ein Mann, der nicht ein wahres Wort sprechen konnte, beschwerte sich über jemanden, der ihm womöglich einen ganzen stinkenden Berg von Lügen auftischte. Aber waren sie, oder waren sie nicht? Hatten sie, oder hatten sie nicht? Er musste es wissen, ehe er sich mit der ständigen Grübelei über alles, was sie je gesagt hatte, und alles, was er je getan oder gedacht hatte, noch in den Wahnsinn trieb.

Diese Frau hatte seine Aufforderung, die Fakten auf den Tisch zu legen, zum letzten Mal ignoriert.

Endlich unternahm er etwas.

Hoffentlich weckte er mit der vermeintlichen Rettung aus dem Kerker Vertrauen in ihr. Hoffentlich würde dieses Vertrauen sie dazu bewegen, sich verdammt noch mal zu öffnen und seine götterverdammten Fragen zu beantworten.

Ups. Sein Frust blitzte wieder durch.

„Das kannst du nicht machen, Gid“, sagte Strider, Hüter der Niederlage, der plötzlich neben ihn getreten war.

Mist. Ausgerechnet er.

Strider konnte keine – keine – Herausforderung verlieren, ohne genauso zu leiden wie Gideon litt, wenn er die Wahrheit sagte. Spiele an der Xbox eingeschlossen, und das war überhaupt nicht gut für Gideons Statistiken bei „Assassin’s Creed“, denn ja, Gideon hatte ihn herausgefordert, um sich abzulenken und seine neuen Finger beweglicher zu machen.

Aber egal. Er und Strider gaben einander immer und ohne Zögern Rückendeckung (von den Videospielen mal abgesehen). Deshalb hätte er eigentlich nicht überrascht sein dürfen, dass sein Freund hier war und ihn vor sich selbst schützen wollte. Was jedoch nicht hieß, dass er umfallen und sich tot stellen würde.

„Sie ist gefährlich“, fügte Strider hinzu. „Eine wandelnde Klinge, die sich bei der ersten Gelegenheit gnadenlos durch dein Herz bohren wird, Alter.“

Ja, das war sie. Sie drang in Träume ein, konfrontierte die Schlafenden mit ihren schlimmsten Ängsten und labte sich an ihrem Entsetzen. Hölle, vor wenigen Wochen noch hatte sie ihm dasselbe angetan. Mit Spinnen. Er schauderte. Und als er an die haarigen kleinen Viecher dachte, die über seinen Körper gekrabbelt waren, verspürte er kurzzeitig eine mittelschwere Übelkeit.

Weichei! Reiß dich zusammen! Er hatte schon unzähligen auf ihn zurauschenden Schwertern entgegengesehen, ohne auch nur zu zucken – genauso wie ihn die Ungeheuer, die diese Schwerter in den Händen gehalten hatten, nicht erschreckt hatten. Was waren da schon ein paar Spinnen? Noch ein Schaudern. Abscheulich, das waren sie. Jedes Mal, wenn sie ihn mit ihren schwarzen Stecknadelkopfaugen ansahen, wusste er, was sie dachten: Lecker.

Aber warum war Scarlet nicht in die Träume der anderen eingedrungen? Über diese Frage hatte er fast genauso viel nachgedacht wie über ihre „Ehe“. Die anderen Krieger und ihre Frauen hatte Scarlet in Ruhe gelassen, obwohl sie gedroht hatte, jeden Einzelnen von ihnen umzubringen – wozu sie auch durchaus in der Lage gewesen wäre.

„Verdammt. Hör auf, mich zu ignorieren“, knurrte Strider und schlug wenige Sekunden, nachdem sie eine geschlossene Zimmertür passiert hatten, ein Loch in die Steinwand. „Du weißt doch, dass mein Dämon das nicht ausstehen kann.“

Ein lautes Krachen ertönte, Staub und Putz wirbelten durch die Luft. Na super. Nicht mehr lange, und weitere Krieger würden auftauchen, um zu sehen, was gerade passiert war. Oder auch nicht. Bei dem Temperament, das die Bewohner dieser Burg an den Tag legten (hüstel, zu viel Testosteron, hüstel), mussten sie unerwartete laute Geräusche eigentlich gewohnt sein.

„Hör nicht zu. Es tut mir nicht leid.“ Gideon warf seinem Freund einen kurzen Blick zu, und nahm das blonde Haar, die blauen Augen und die trügerisch unschuldigen Gesichtszüge wahr, die perfekt zu seiner He-Man-Statur passten. Mehr als eine Frau hatte ihn schon einen „gut aussehenden Mr Amerika“ genannt – was auch immer das bedeuten mochte. Dieselben Frauen vermieden es für gewöhnlich, Gideon anzusehen. Als würde es ihre Seelen beschmutzen, wenn sie ihren Blick über seine Tätowierungen und Piercings gleiten ließen. Soweit er wusste, mochten sie damit sogar richtig liegen. „Aber du hast recht. Ich kann das nicht machen.“

Was bedeutete, dass Strider unrecht hatte und Gideon das sehr wohl machen konnte. Also drauf geschissen!

Jeder, der hier in der Burg lebte – und das waren verdammt noch mal eine Menge Leute, deren Anzahl täglich zu wachsen schien, da sich seine Freunde nacheinander in ihre persönliche Mrs Right verliebten –, sprach perfekt „Gideonisch“ und wusste, dass man immer das Gegenteil von dem glauben musste, was der Krieger sagte.

„Also gut“, erwiderte Strider ernst. „Du kannst. Aber du wirst nicht. Weil du weißt, dass ich vor lauter Sorge grau werde, wenn du die Frau von hier fortbringst. Und du magst meine Haare doch so, wie sie sind.“

„Stridey-Man. Machst du dich etwa an mich ran? Willst du mich provozieren, damit ich meine Hände in deinen zotteligen Strähnen vergrabe?“

„Blödmann“, murmelte Strider, doch seine Wut war offensichtlich zerstreut.

Gideon lachte in sich hinein. „Schnuckiputz.“

Strider verzog den Mund zu einem Grinsen. „Du weißt doch, dass ich es hasse, wenn du so schnulzig wirst.“

Der Kerl liebte es. Keine Frage.

Sie bogen um eine Ecke und gingen an einem der vielen Wohnzimmer vorbei, die es in der Burg gab. Es war leer. Um diese Zeit lagen die meisten noch mit ihren Frauen im Bett. Vorausgesetzt natürlich, sie legten nicht in genau diesem Augenblick ihre Waffen an.

Aus Gewohnheit suchte er die Umgebung mit Blicken ab und betrachtete flüchtig die Bilder an den Wänden, die allesamt nackte Männer zeigten. Diese Schmuckstücke hatten sie der Göttin der Anarchie zu verdanken, deren Humor nicht weniger eigenartig war als Gideons. Im Raum standen rote Ledersessel (Reyes, Hüter von Schmerz, musste sich manchmal selbst verletzen, um seinen Dämon zum Schweigen zu bringen, weshalb Rot ziemlich praktisch war), Bücherregale aus warm schimmerndem Holz (Paris, Hüter von Promiskuität, las gern Liebesromane) und eigenwillige silberne Lampen, die sich über den Sesseln krümmten und drehten – er hatte keine Ahnung, für wen die sein sollten. In den Vasen blühten frische Blumen, die einen süßen Duft verströmten. Auch hier: keine Ahnung für wen. Na gut, zugegeben: Er hatte sie bestellt. Das Zeug roch nämlich tierisch gut.

Gideon atmete die köstliche Luft tief ein. Doch letzten Endes war seine Nase nur wieder verstopft mit dem Gestank von Schuld. Leider geschah das in letzter Zeit ständig. Während er sich an Dingen wie diesen labte, musste seine angebliche Ehefrau unten im Kerker dahinsiechen. Da sie zuvor Abertausende Jahre im Tartarus verbracht hatte, war es doppelt grausam von ihm, sie dort unten zu lassen.

Mal ehrlich: Was für ein Mann musste man sein, um so etwas zuzulassen? Ein Arschloch, kein Zweifel, und er war definitiv der König der Arschlöcher. Schließlich würde er Scarlet zurück in den Kerker werfen, sobald sie ihm seine Fragen beantwortet hatte. Und zwar für immer. Selbst wenn sie seine Frau war – oder besser: gewesen war.

Ja. Er war ein durch und durch schlechter Mann.

Sie war einfach zu gefährlich. Und ihre Angewohnheit, in Träume einzudringen, war zu zerstörerisch, als dass man Scarlet dauerhaft hätte freilassen können. Wer nämlich in einem von Scarlets Albträumen starb, starb auch in Wirklichkeit. Der Traumtod bedeutete das Ende. Und falls sie sich je entschließen sollte, sich auf die Seite der Jäger zu schlagen – was gut möglich war, einer verschmähten Frau war alles zuzutrauen –, würden die Herren nie wieder ruhig schlafen können. Dabei brauchten gerade sie ihren Schönheitsschlaf besonders, weil sie sonst zu knurrenden Bestien würden.

Ein Paradebeispiel: Gideon. Seit Wochen hatte er nicht geschlafen.

Langsamer, befahl sein Dämon plötzlich. Du gehst zu schnell.

Normalerweise war Lügen in den Tiefen seiner Gedanken kaum zu spüren. Er war zwar da, aber er schwieg. Nur wenn seine Not groß war, meldete er sich zu Wort. Doch selbst dann musste er das Gegenteil von dem sagen, was er wollte. Und jetzt wollte er, dass Gideon sich beeilte, zu Scarlet zu kommen.

Gib mir Flügel, und ich erfülle dir deinen Wunsch sofort, erwiderte Gideon trocken, und dennoch beschleunigte er seine Schritte. Wenigstens in Gedanken konnte er sagen, was er wollte, und tat es auch immer. Sich selbst oder den Dämon belog er niemals. Vielleicht, weil er für solche intimen Momente der Wahrheit hart und gnadenlos hatte kämpfen müssen.

Nachdem der Dämon von ihm Besitz ergriffen hatte, war Gideon in Dunkelheit und Chaos verloren gewesen, nicht mehr als ein Sklave seines Seelengefährten und dessen boshafter Gelüste. Er hatte Menschen gefoltert, nur um sie schreien zu hören. Er hatte Häuser niedergebrannt, samt der Familien, die darin gelebt hatten. Er hatte willkürlich getötet und seine Opfer noch verhöhnt.

Erst nach einigen Hundert Jahren hatte Gideon endlich den Weg ans Licht gefunden. Jetzt hatte er die Kontrolle, und ihm war sogar gelungen, die Bestie zu zähmen. Zumindest größtenteils.

Strider seufzte und riss Gideon aus den Gedanken. „Gideon, Mann, hör mir zu. Auch auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole: Du kannst die Frau nicht aus der Burg schaffen. Sie wird fliehen, und das weißt du genau. Die Jäger sind in der Stadt, auch das wissen wir, und sie könnten sie sich schnappen. Sie rekrutieren. Sie benutzen. Oder, wenn sie sich weigert, sie womöglich genauso verletzen wie dich.“

Erstens redete Strider, als wäre Gideon nicht in der Lage, die gerissene Verführerin für ein paar Tage irgendwo festzuhalten. Aber das konnte er. Im Austeilen und Einstecken war er unschlagbar. Zweitens redete Strider, als wäre Gideon unfähig, sie wiederzufinden, falls er sie tatsächlich verlöre. Und drittens hatte Strider vermutlich mit beidem recht. Doch das konnte die Wut, die Gideon auf einmal packte, auch nicht mildern. Er war vielleicht nicht so raffiniert wie Strider, aber auch er konnte mit Frauen umgehen, verdammt noch mal.

Außerdem war Scarlet selbst eine Kriegerin. Eine Unsterbliche. Sie konnte sich in Dunkelheit hüllen. Eine Dunkelheit, die so dicht war, dass kein menschengemachtes Licht und keine unsterblichen Augen sie durchdringen konnten. Wenn sie entkam, wäre es bei Weitem nicht so peinlich wie in dem Fall, dass ein, nun ja, nicht ausgebildeter Mensch entwischte.

Nicht dass sie mir entkommen wird, sagte er sich wieder, und nicht dass sie weglaufen wollte. Er würde sie verführen. Würde ihr so viel Vergnügen bereiten, dass es ihr jegliche Energie raubte und dass sie unbedingt bei ihm bleiben wollte. Das sollte nicht allzu schwierig sein. Immerhin hatte sie ihn genügend gemocht, um ihn zu heiraten, oder? Möglicherweise …

Verflucht!

„Ich weiß, was du denkst“, sagte Strider und seufzte erneut. „Soll sie mir doch entwischen. Ich finde sie ja doch.“

„Falsch.“ Zugegeben, das hatte er gedacht, aber dann hatte er den Gedanken verworfen. Also echt. Was bist du? Ein Mädchen?

„Was würde mit ihr geschehen, während du nach ihr suchst? Tagsüber braucht sie Schutz, aber wer soll sie beschützen, wenn du nicht bei ihr bist?“

Mist. Guter Einwand. Bei Tageslicht war Scarlet angreifbar. Wegen ihres Dämons schlief sie tief und fest. So tief, dass nichts und niemand sie aufwecken konnte, bevor die Sonne unterging. Das hatte er selbst erlebt – und ihr dabei fast eine Gehirnerschütterung zugefügt, so heftig hatte er sie geschüttelt, damit sie endlich aufwachte.

Es hatte ihn regelrecht schockiert, als sie Stunden später einfach die Augen geöffnet und sich aufgesetzt hatte, als wäre es nur ein zehnminütiger Power-Nap gewesen.

Was verschiedene Fragen aufgeworfen hatte: Warum schlief ihr Dämon tagsüber, wenn die Menschen um sie herum wach waren? Machte das sein Ziel, Albträume zu verursachen, nicht zunichte? Und was geschah, wenn sie auf Reisen in eine andere Zeitzone wechselte?

„Wir haben sie genau zum richtigen Zeitpunkt gefunden“, fuhr Strider fort. „Hätten wir Aerons Engel nicht an unserer Seite gehabt, wären wir bei dem Versuch, sie in Sicherheit zu bringen, gestorben. Sie freizulassen, aus welchem Grund auch immer, ist dumm und gefähr…“

„Du wiederholst dich nicht.“ Immer und immer wieder. „Außerdem gehört Olivia nicht mehr zu unserem Team.“ Was hieß, dass sie sehr wohl dazugehörte. „Sie kann uns nicht helfen, falls es nötig ist.“ Was hieß, dass sie es konnte. „Also, ich hasse dich zwar, aber sprich bitte weiter.“ Ich hab dich echt gern, aber halt endlich die Klappe! Im Ernst.

Strider grummelte wütend, als sie die Stufen zum Kerker hinab an blutverschmierten Wänden und zerbrochenen Buntglasfenstern vorbeistapften. Die Luft wurde muffig. Es roch nach Schweiß, Urin und Blut. Keine dieser Ausdünstungen kam von Scarlet, den Göttern sei Dank. Damit wäre er nicht zurechtgekommen, die Schuldgefühle hätten ihn umgebracht. Zum Glück – oder, je nachdem, wen man fragte, zum Unglück – war sie nicht die einzige Gefangene. Diverse Jäger warteten darauf, dass man sich an ihnen rächte, beziehungsweise sie verhörte, beziehungsweise sie folterte.

„Was, wenn sie dich angelogen hat?“, fragte sein Freund. Der Mann wusste einfach nicht, wann es besser war, aufzuhören. Und ja, Gideon wusste, dass Strider nicht aufhören konnte. Allein diese Tatsache hielt ihn davon ab, seinem Freund eine zu verpassen und sich aus dem Staub zu machen. „Was, wenn sie gar nicht deine Frau ist?“

Gideon seufzte schwer. „Hab ganz vergessen, es dir zu sagen: Zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden ist echt schwer für mich.“ Außer bei ihr, bei Scarlet, aber das würde er Strider natürlich nicht auf die Nase binden.

„Ja, aber du hast mir auch gesagt, dass du dir bei ihr nicht sicher bist.“

Einer von ihnen hatte also ein perfektes Gedächtnis. Na toll. „Sie kann auf keinen Fall meine Frau sein.“ Die Chance war zwar klein, aber sie bestand. „Ich muss das nicht tun.“

Als Scarlet in seine Träume eingedrungen war und ihn aufgefordert hatte, sie im Kerker aufzusuchen, war er unfähig gewesen, ihr zu widerstehen. Er hatte das unbändige Verlangen verspürt, sie zu sehen, da er sie auf gewisse Weise wiedererkannt hatte, ohne dass er es hätte in Worte fassen können. Dieses Gefühl war ihm völlig unbegreiflich. Als Scarlet ihm gestanden hatte, dass sie sich geküsst, miteinander geschlafen und sogar geheiratet hatten, hatte er auf dieselbe Weise reagiert: zustimmend.

Obwohl er sich kein bisschen an sie erinnerte.

Warum kann ich mich nicht an sie erinnern, fragte er sich wohl zum tausendsten Mal.

Er hatte schon mehrere Theorien durchgespielt. Nummer eins: Die Götter hatten sein Gedächtnis gelöscht. Aber das hatte die Frage nach einem weiteren Warum aufgeworfen. Warum sollten sie nicht wollen, dass er sich an seine Ehefrau erinnerte? Und warum hatten sie nicht auch Scarlets Gedächtnis gelöscht?

Theorie Nummer zwei: Er hatte die Erinnerung selbst verdrängt. Aber auch hier stellte sich die Frage, warum er das hätte tun sollen. Und wie er es hätte tun sollen. Es gab eine Million andere Dinge, die er nur zu gern vergessen hätte.

Nummer drei: Sein Dämon hatte die Erinnerung irgendwie gelöscht, als er in seinen Körper gefahren war. Aber wenn das stimmte – warum erinnerte er sich dann an sein Leben im Himmel, in dem ihm als Diener Zeus’ die Aufgabe zuteilgeworden war, den damaligen Götterkönig rund um die Uhr zu beschützen?

Strider und er blieben vor der ersten Zelle stehen, in der Scarlet die letzten Wochen verbracht hatte. Wie erwartet lag sie schlafend auf ihrer Liege. Wie jedes Mal, wenn er sie sah, atmete Gideon scharf ein. Bezaubernd. Aber …

Meins? Wollte er, dass sie sein war?

Nein, natürlich nicht. Das würde alles unerträglich kompliziert machen. Außerdem spielte es auch gar keine Rolle. Seine Freunde kamen an erster Stelle. So war es schon immer gewesen, und so würde es immer sein.

Wenigstens war sie sauber; er hatte dafür gesorgt, dass sie genügend Wasser zum Trinken und Waschen hatte. Und sie war satt; er hatte dafür gesorgt, dass ihr dreimal pro Nacht etwas zu essen gebracht wurde. Dasselbe würde er tun, wenn er sie letztlich zurückbrachte. Das würde reichen müssen.

Beeil dich nicht, schrie Lügen und sprang dabei förmlich in seinem Schädel herum. Beeil dich nicht!

Entspann dich, Kumpel. Ich krieg das schon hin. Aber er konnte sich zu keiner Bewegung aufraffen. Ihm war, als hätte er seit einer Ewigkeit auf diesen Moment gewartet, und nun wollte er ihn auskosten.

Auskosten? Allmählich wurde er wirklich weibisch.

Guck weg, bevor du noch einen Ständer kriegst, befahl er sich. Okay, das klang schon männlicher. Entschlossen wandte er den Blick ab. Die Wände, die sie umgaben, waren aus massivem, undurchdringlichem Stein. Deshalb hatte sie die Jäger nicht sehen können, die neben ihr eingesperrt waren. Aber das war Gideon im Grunde egal. Er wollte nur nicht, dass die Jäger sie sahen.

Ja. Er wollte, dass sie sein war. Vorerst jedenfalls.

Apropos Jäger: Als sie die Krieger durch die Gitterstäbe ihrer Zellen erspäht hatten, hatten sie sich zusammengekauert, und ihr Gemurmel war verstummt. Vielleicht hatten sie sogar aufgehört zu atmen, so groß war ihre Angst, als Nächster ausgewählt zu werden. Gut. Dass seine Feinde ihn fürchteten, gefiel Gideon.

Sie hatten auch allen Grund dazu.

Diese Männer hatten unschuldige unsterbliche Frauen eingesperrt und vergewaltigt, um Halblingkinder zu zeugen. Den Kindern hatten sie einimpfen wollen, Gideon und seine Freunde zu hassen und zu bekämpfen. Diese Halblinge wären in der Lage gewesen, die Jäger bei der Suche nach der Büchse der Pandora zu unterstützen, und dann hätten sie sie geöffnet und die Krieger von ihren Dämonen getrennt. Nur dass die Herren das nicht überleben würden, da mittlerweile jeder von ihnen unwiderruflich an seine Bestie gebunden war.

Auch das gehörte zur Strafe für das Öffnen der dämlichen Schatulle.

Gideon zog den Schlüssel zu Scarlets Zelle hervor, seine neuen, noch nicht häufig gebrauchten Finger fühlten sich steif an und zitterten. Er streckte die Hand aus.

„Warte.“ Strider packte ihn unsanft an der Schulter und versuchte, ihn zurückzuhalten. Zwar hätte Gideon sich losreißen können, aber er gönnte seinem Freund die Illusion, diesen kleinen Willenskampf gewonnen zu haben. „Du kannst doch auch hier mit ihr sprechen. Dir deine Antworten hier holen.“

Aber hier hätten sie Publikum, was bedeutete, dass sie sich nicht entspannen könnte. Und wenn sie sich nicht entspannen konnte, würde sie ihm nicht erlauben, sie zu berühren. Und verdorben wie er war, wollte er sie berühren. Außerdem – wie sollte er ihr sonst Informationen entlocken? Indem er ihr sagte, wie hässlich sie sei? Indem er ihr sagte, dass er sie nicht wollte?

„Reg dich auf, Mann. Wie ich dir noch nie gesagt habe, habe ich nicht vor, sie zurückzubringen, wenn ich herausgefunden habe, was ich wissen will. Okay?“

„Falls du sie zurückbringen kannst. Über dieses kleine Problem haben wir ja auch schon gesprochen. Erinnerst du dich?“

War ja irgendwie schwer zu vergessen. Leider. „Ich werde nicht vorsichtig sein. Darauf gebe ich dir mein Wort nicht. Aber ich muss das hier nicht tun. Es ist nicht wichtig für mich.“

Der feste Griff lockerte sich nicht. „Es ist nicht gerade der beste Zeitpunkt, uns allein zu lassen. Wir haben drei Artefakte, und Galen ist stinksauer. Er wird sich dafür rächen wollen, dass wir ihm erst vor Kurzem ein Artefakt gestohlen haben.“

Galen war der Anführer der Jäger und ebenfalls ein dämonenbesessener Krieger. Nur dass er wie ein Engel aussah und mit dem Dämon Hoffnung gepaart war, sodass all seine menschlichen Anhänger glaubten, er wäre wirklich ein Engel. Seinetwegen lasteten sie den Herren alles Übel der Welt an. Seinetwegen hofften sie auf die Befreiung von diesem Übel und kämpften bis zum Tod, um ihr Ziel zu erreichen.

Aerons Frau Olivia, die tatsächlich ein waschechter Engel war, hatte dem Bastard das dritte Artefakt gestohlen: den Tarnumhang. Da es vierer Artefakte bedurfte, um den Weg zur Büchse der Pandora zu erfahren – das Allsehende Auge (gesichert), den Zwangskäfig (gesichert), den Tarnumhang (wie gesagt: gesichert) und die Rute (schon bald gesichert) –, wollte Galen sich mit Sicherheit nicht nur um jeden Preis den Umhang zurückholen, sondern auch die anderen Artefakte.

Was bedeutete, dass die Situation spürbar angespannter wurde.

Doch das war egal. Nichts würde Gideon von seinem Vorhaben abhalten. Und zwar hauptsächlich, weil es ihm irgendwie so vorkam, als hinge sein Leben davon ab.

„Gid. Junge.“

Er sah seinen Freund mit zusammengekniffenen Augen an und biss die Zähne zusammen, bevor er sagte: „Du bettelst geradezu darum, geküsst zu werden.“ Windelweich geprügelt zu werden.

Ein Moment verstrich in bleischwerer Stille.

„Na schön“, murmelte Strider schließlich und hob ergeben die Hände. „Nimm sie.“

Oh wow. „Das hatte ich gar nicht vor, trotzdem vielen Dank für dein Einverständnis.“ Aber warum krümmte Strider sich nicht wehrlos am Boden? Er hatte doch gerade eine Herausforderung verloren, oder?

„Wann kommst du zurück?“

Gideon zuckte die Schultern. „Ich dachte mir … vor Ablauf einer Woche?“ Sieben Tage sollten reichen, um Scarlets Herz zu erweichen und sie dazu zu bringen, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Im Augenblick schien sie ihn abgrundtief zu hassen. Er wusste zwar nicht warum, aber das würde er schon noch herausfinden. Das schwor er sich. Trotzdem – offensichtlich hatte sie eine Schwäche für gefährliche Männer. Warum sonst hätte sie ihn heiraten sollen? Er passte offenbar in ihr Beuteschema.

„In drei Tagen“, erwiderte Strider.

Aha. Jetzt wurde verhandelt. Deshalb war Strider seinem Dämon nicht erlegen. Er war noch nicht besiegt, sondern hatte sich nur auf eine neue Strategie verlegt. Gideon fühlte sich genauso schuldig, seine Freunde zurückzulassen, wie er sich schuldig fühlte, wenn er Scarlet in ihrer Zelle ließ. Sie brauchten ihn. Wenn ihnen während seiner Abwesenheit etwas zustieß, würde er durchdrehen.

„Ich sage nicht fünf“, versuchte er einen Kompromiss.

„Vier.“

„Nicht abgemacht.“

Grinsend nickte Strider. „Gut.“

Okay. Ihm blieben also vier Tage, um Scarlet weich zu klopfen. Er hatte mit Sicherheit schon in kürzerer Zeit härtere Kämpfe ausgefochten. Lustig war nur, dass er sich im Moment an keinen einzigen erinnerte.

Zur Hölle, vielleicht litt er an selektiver Amnesie. Vielleicht waren seine Kämpfe und Scarlet – mit der er offenbar viel gekämpft hatte, eigensinnig, rechthaberisch und kaltschnäuzig, wie sie war – dieser Amnesie zum Opfer gefallen.

Aber an den Sex mit ihr hätte er sich schon gern erinnert. Der Wahnsinn. Das wusste er einfach.

„Ich werde die anderen informieren“, meinte Strider. „Aber vorher werde ich dich fahren, wohin auch immer du sie bringen willst.“

„Na klar.“ Endlich schob Gideon den Schlüssel ins Schloss und entriegelte Scarlets Zelle. Die Tür schwang quietschend auf. „Ich werde nicht selbst fahren. Ich will, dass jeder weiß, wo wir uns aufhalten.“

Strider machte abermals einen frustrierten Laut. Diesmal mischte sich Wut unter den Frust. „Du stures Arschloch. Ich muss wissen, dass du dein Ziel sicher erreicht hast, sonst kann ich mich nicht genug konzentrieren, um keinen umzubringen. Und du weißt doch, dass ich gerade auf einer strengen Nur-einen-Jäger-am-Tag-Diät bin.“

„Deshalb werde ich dich ja auch nicht anrufen.“ Gideon näherte sich Scarlet, die immer noch schlief. Sie hüllte sich beim Schlafen nicht mehr in diese undurchdringliche Finsternis. Es war, als wollte sie, dass Gideon sie immer sehen konnte. Als ob sie darauf vertraute, dass er ihr nichts tat.

Zumindest redete er sich das ein.

„Götter. Ich kann nicht glauben, dass du mich dazu überredet hast. Habe ich dir schon gesagt, dass du ein echter Scheißkerl bist?“

„Nö.“ Ganz sanft hob er Scarlet auf die Arme.

Seufzend schmiegte sie die Wange an ihn. An die Stelle, wo sein Herz war. Ein Herz, das jetzt wie ein Vorschlaghammer gegen seinen Brustkorb schlug. Anscheinend gefiel ihr der unregelmäßige Takt, denn sie kuschelte sich noch enger an ihn. Nett.

Sie war gut eins fünfundsiebzig groß, und ihr schlanker, durchtrainierter Körper passte gut zu seiner Statur. Die Klamotten, die er ihr angeboten hatte, hatte sie abgelehnt. Deshalb trug sie immer noch das T-Shirt und die Jeans, in denen Aeron sie gefunden hatte.

Tief atmete Gideon ihren Duft ein, und diesmal verspürte er keinerlei Schuldgefühle. Sie roch nach Blumenseife, und dieser Geruch überwältigte ihn regelrecht. Wie mochte sie vor all den Jahren gerochen haben, als sie angeblich verheiratet gewesen waren? Nach Blumen, wie jetzt? Oder nach etwas anderem? Etwas Exotischerem? Etwas, das genauso dunkel und sinnlich war wie sie? Nach etwas, das er mit großem Genuss eingesogen hatte, während er sie von Kopf bis Fuß mit der Zunge liebkost hatte?

Schwanzsteuerung aus, Verstand an, bitte. Jetzt war wirklich nicht der richtige Moment für solche Gedanken.

Fest hielt er sie an die Brust gepresst, als er sich umdrehte. Sie war ein Schatz, den er auf jeden Fall schützen würde, solange sie sich außerhalb der Burg aufhielten. Sogar vor seinen Freunden. Er wusste, dass er sich widersprach, wenn er so romantische und lustvolle Gedanken an sie hegte, während seine Absichten nun wirklich weder rein noch ehrenhaft waren. Aber er konnte nicht anders. Dämliche Wollust.

Striders Gesichtsausdruck verriet Wachsamkeit, aber zugleich Akzeptanz, und Gideon wusste, dass keinerlei Verteidigung mehr nötig war. „Geh, und sei vorsichtig!“

Götter, er liebte seine Freunde. Sie unterstützten ihn in allem. So war es schon immer gewesen.

„Übrigens: Du siehst aus wie eine Katze, die gerade den Sahnetopf gefunden hat“, sagte Strider und schüttelte den Kopf. „Das ist nicht besonders beruhigend. Du hast keine Ahnung, wo du dich da reinreitest, oder?“

Vielleicht nicht. Weil er sich nämlich schon seit Langem nicht mehr so sehr auf etwas gefreut hatte und vermutlich vorsichtig hätte sein sollen. Aber diesen Leichtsinn so vorgehalten zu bekommen … „Ich zeige dir in Gedanken keinen Finger. Weißt du welchen?“

„Ja, sicher. Es ist dein Daumen, und du sagst mir, dass ich der Größte bin.“

Er lachte. So ähnlich.

„Vier Tage“, wiederholte Strider. „Sonst komm ich dich suchen.“

Gideon warf ihm einen Kuss zu.

Strider verdrehte die Augen. „Das hättest du wohl gern. Aber hör zu: Ich werde dafür beten, dass du lebendig zu uns zurückkehrst. Und zwar mit der Frau. Und dass sie ebenfalls am Leben ist. Ach ja, und dafür, dass du zufrieden bist mit dem, was du in Erfahrung bringst. Und dass sie dich auch in anderer Hinsicht überzeugt, damit du sie genauso schnell vergisst wie all die anderen Frauen in deinem Leben.“

Okay. Das waren ziemlich viele Gebete. „Danke. Vielmals. Das meine ich wirklich so. Wann bist du eigentlich nicht zum Prediger geworden? Und wann haben die Götter beschlossen, dass sie uns gern erhören?“ Strider hatte seine Zeit noch nie mit Gebeten verschwendet, und die Götter liebten es, ihr Flehen nach Kräften zu ignorieren.

Nein, stimmt nicht, korrigierte sich Gideon. Cronus, der kürzlich gekrönte Titanenkönig, betrat die Burg jetzt vorzugsweise ohne Einladung und gab unzählige beschissene Befehle, die er und die anderen Herren befolgen mussten.

Wie zum Beispiel unschuldige Menschen zu töten. Wie zum Beispiel sich zu entscheiden, ob man seine Frau oder seinen Freund retten will. Wie zum Beispiel auf Knien zu flehen, um zu erfahren, wohin der Geist eines Freundes geschickt worden war, nachdem eben diesem Freund der Kopf vom Körper geschlagen worden war.

Das war tatsächlich passiert. Aeron hatte seinen Kopf an einen Kriegerengel verloren, und auf Cronus’ Geheiß hatte Gideon (auf seine ganz persönliche Art) mit tränenüberströmtem Gesicht darum gebettelt, zu erfahren, wo der Geist des Mannes war. Eigentlich hatten alle Krieger gebettelt und geschluchzt wie Babys.

Doch am Ende hatte Cronus sich trotzdem geweigert, es ihnen zu verraten. Weil sie eine Lektion in Sachen Demut brauchten, wie der Mistkerl es formuliert hatte.

Dann allerdings war Aeron von allein zurückgekehrt. Oder vielmehr: mithilfe seiner süßen Olivia. Sein Körper war ihm zurückgegeben worden, ohne Dämon, und seitdem lebte er wieder in der Burg.

Gideon hatte Cronus seinen vollkommenen Mangel an Hilfsbereitschaft noch nicht vergeben. Beten gehörte also nicht gerade zu den Dingen, die er in nächster Zeit tun wollte.

„Prediger.“ Nachdenklich legte Strider den Kopf schief. Natürlich hatte er die Fragen ignoriert. Ihm vergab Gideon jedoch, ohne zu zögern. „Das gefällt mir. Ich meine, es stimmt sogar in gewisser Weise. Ich habe tatsächlich die eine oder andere Frau durch die Himmelspforten geschickt.“

Hatten sie das nicht alle?

Und Scarlet würde dabei keine Ausnahme bilden, versicherte er sich.

Grinsend trug Gideon seine Frau davon.

2. KAPITEL

Scarlet erwachte mit einem Ruck. Aber das tat sie eigentlich immer. In der Sekunde, wenn die für ihren Dämon notwendige Zeit im Traumland abgelaufen war, schoss unbarmherzig das Bewusstsein in ihr Hirn, als wäre sie an einen Generator angeschlossen, den irgendjemand ohne Vorwarnung eingeschaltet hatte.

Keuchend und verschwitzt setzte sie sich auf und sah sich wild um, ohne jedoch etwas erkennen zu können. Noch nicht. Die Schreie, die sie und ihr Dämon von ihren Opfern geerntet hatten, verhallten bereits, doch die Bilder, die sie in diese schlafenden Köpfe projiziert hatten, verweilten noch in ihrem. Knisternde Flammen, Blasen werfendes Fleisch, schwarze Asche, die in der Brise umherwaberte und tanzte.

Auf dem Albtraummenü dieser Nacht hatte das grausame Gericht „Feuer“ gestanden.

Im Schlaf konnte sie den Dämon nicht kontrollieren, während er so viele Opfer wie möglich aufspürte und den größtmöglichen Schaden anrichtete. Aber sie konnte Vorschläge machen und ihn anfeuern, bestimmte Leute auf bestimmte Art und Weise anzugreifen. Und für gewöhnlich ließ er sich gern anfeuern. Auch wenn sie in letzter Zeit keine Vorschläge mehr gemacht hatte.

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