Die Hütte des Schäfers - Tim Winton - E-Book

Die Hütte des Schäfers E-Book

Tim Winton

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Beschreibung

Ein aufwühlender, so brutaler wie zärtlicher Roman über einen jungen Mann auf der Suche nach seinem Leben. Jaxie Clackton hat Angst, nach Hause zu gehen, seit seine Mutter gestorben ist. Sein Vater bedeutet für ihn nur Ärger und Gewalt, und am liebsten wäre es ihm, wenn er auch tot wäre – dummerweise hat dem Jungen noch keiner gesagt, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein soll. Mit 15 Jahren ist Jaxie nun allein auf der Welt, in einem öden Kaff in Westaustralien, und wahrscheinlich glaubt ihm keiner, dass er seinen Vater nicht selbst umgebracht hat. Also läuft er davon, weg von den Menschen, immer Richtung Norden, direkt hinein in die heiße, wasserlose Salzwüste, eine tödliche Gefahr für jeden, der sich dort nicht auskennt. Eine Tour, die nur Träumer und Gejagte wagen. Mitten im Nirgendwo, am Ende seiner Kräfte stößt Jaxie auf einen einsamen alten Mann in einer verlassenen Schäferhütte, und obwohl sein Leben von ihm abhängt, weiß er nicht, ob er ihm trauen kann …

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Seitenzahl: 399

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Zum Buch

Zum ersten Mal im meinem Leben weiß ich, was ich will, und ich habe alles, was ich dafür brauche. Wenn ihr so was noch nie erlebt habt, tut ihr mir leid. Aber es war nicht immer so. Ich bin durchs Feuer gegangen, um so weit zu kommen. Ich habe Sachen gesehen und getan und Scheiße erlebt, wie ihr es euch kaum vorstellen könnt. Also freut euch für mich. Und kommt mir verdammt noch mal nicht in die Quere.

Jaxie Clackton hat Angst, nach Hause zu gehen, seit seine Mutter gestorben ist. Sein Vater bedeutet für ihn nur Ärger und Gewalt, und am liebsten wäre es ihm, wenn er auch tot wäre – dummerweise hat dem Jungen noch keiner gesagt, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein soll.

Mit 15 Jahren ist Jaxie nun allein auf der Welt, in einem öden Kaff in Westaustralien, und wahrscheinlich glaubt ihm keiner, dass er seinen Vater nicht selbst umgebracht hat. Also läuft er davon, immer Richtung Norden, zu dem einzigen Menschen, der ihn versteht und ihn liebt: seiner Cousine Lee. Sein Weg führt ihn direkt hinein in den australischen Busch und die heiße, wasserlose Salzwüste, eine tödliche Gefahr für jeden, der sich dort nicht auskennt. Eine Tour, die nur Träumer und Gejagte wagen. Mitten im Nirgendwo, am Ende seiner Kräfte stößt Jaxie auf einen einsamen alten Mann in einer verlassenen Schäferhütte, und obwohl sein Leben von ihm abhängt, weiß er nicht, ob er ihm trauen kann …

»Der Turbolader dieses Romans ist sein jugendlicher Erzähler und seine unverwechselbare rotzig lakonische Stimme – ›Die Hütte des Schäfers‹ ist so spannend wie herzzerreißend.« Emma Donoghue

Zum Autor

TIM WINTON wurde 1960 in der Nähe von Perth, Westaustralien, geboren und lebt auch heute mit seiner Familie dort. Er hat zahlreiche Romane, Sach- und Kinderbücher sowie ein Theaterstück veröffentlicht, wurde vielfach ausgezeichnet und ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Australiens. Zweimal kam er auf die Shortlist des Man Booker Prize, und viermal erhielt er den Miles Franklin Award, den wichtigsten Literaturpreis Australiens. Seine Werke sind in zwölf Sprachen übersetzt, fast alle wurden für Bühne, Radio oder Film adaptiert.

Zum Übersetzer

KLAUS BERR, geb. 1957 in Schongau, Studium der Germanistik und Anglistik in München und Wales, ist der Übersetzer von u. a. Charles Chadwick, Michael Crichton, Lawrence Ferlinghetti, Noah Gordon, Darren McGarvey und Will Self.

Tim Winton

Die Hütte des Schäfers

Aus dem australischen Englischvon Klaus Berr

Luchterhand

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel The Shepherd’s Hut bei Hamish Hamilton, einem Imprint von Penguin Random House Australia, Melbourne/Sydney.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2018 Tim Winton

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 Luchterhand Literaturverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign | München

Covermotiv: © Shutterstock/nexus 7

Umsetzung e-Book: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-22324-3V001

www.luchterhand-literaturverlag.de

facebook.com/luchterhandverlag

Im Gedenken an Gill Dennis

Wandel ist schwer und Hoffnung ist brutal

Liam Rector, »Song Years«

eins

Als ich auf Asphalt stoße und unter mir das sanfte, graue Dröhnen spüre, ist alles so verdammt anders. Als wäre ich in einer frischen neuen Welt, in der alles glatt und flach und einfach ist. Auch wenn der Motor heult und der Wind ins Fenster peitscht, sind die Geräusche echt weich und flauschig. Zivilisiert, meine ich. Als wäre man noch auf der Erde, aber man merkt es kaum mehr. Und das ist absolut irre. Man könnte meinen, ich wäre noch nie in einem Auto gesessen. Aber wenn man all diese Wochen und Monate herumgestolpert ist wie eine dreckige Ziege, wenn man das steinige, langsame, stachelige, harte Land so lange direkt vorm Gesicht hatte, ist das verdammt unvermittelt. Verrückte Scheiße, kann ich euch sagen. Man kommt sich vor wie ein Engel. Als wäre man nur ein Pfeil aus Licht.

Und leck mich, ich bin schon bei hundert und noch nicht einmal im höchsten Gang. Auf knautschiger Polsterung, mit so einem Duftbäumchen am Rückspiegel. Ich fliege. Und muss dafür nur auf meinem Arsch sitzen. Abheben. Raus aus dem Dreck. Jetzt bin ich auch kein wildes Tier mehr.

Und was macht das aus mir? Jemand, den ihr nicht kommen seht, genau. Etwas, das ihr euch kaum vorstellen könnt.

Sagen wir, ich wähle eure Nummer, rufe euch an. Ihr würdet euch fragen, was die Scheiße soll, jeder Einzelne von euch, und der Mund würde euch austrocknen. Vielleicht bist du nur irgendein Fremder, dessen Nummer ich aus Versehen in der Hosentasche getippt habe. Oder einer von diesen Scheißkerlen aus der Schule, auf den ich es abgesehen habe. Jedenfalls, wenn irgendwer jetzt meine Stimme hören könnte, der würde glauben, das Wetter ist dran. Oder ein schreiender Vogel. Er würde Sand schwitzen. Als wäre ich das Ende der Welt.

Na ja, keine Angst. Ich vergebe euch nicht, keinem von euch, aber darüber bin ich jetzt hinweg. Ihr seid alle in der Vergangenheit.

Mein Handy ist sowieso leer. Steckt im Zigarettenanzünder, lädt sich auf oder bleibt tot, keine Ahnung, was. Also entspannt euch, ich rufe nicht an. Alles hat sich geändert. Ich bin nicht mehr, wer ich war. Jetzt bin ich nichts anderes als eine frische Idee, die über den Highway in den Norden rast, wo es heiß und sicher und geheim ist. Ich muss jemanden abholen. In Magnet. Sie ist bereit und wartet. Hoffe ich wenigstens.

Fünfter Gang. Ich brauchte ein paar Anläufe, aber jetzt ist er drin. Rote Erde zuckt vorbei. Mulgagestrüpp. Glitzernde Steine. Krähen auf totgefahrenen Tieren. Der Jeep stinkt nach den schwappenden Benzinkanistern im Laderaum. Aber die Fenster sind offen, und der Wind ist warm, und der Gestank von Benzin ist immer besser als Blutgeruch.

Plötzlich bekomme ich Hunger. Ich packe die Schrotflinte am Lauf und werfe sie auf den Rücksitz. Ich schiebe die Schachtel mit Patronen zur Seite, um an das Essen auf dem Blechteller zu kommen, und es ist noch warm. Es ist gut und fettig und schmeckt nach Rauch. Schon nach dem ersten Bissen schießt mir Hitze in den Körper.

Und so fahre ich weiter, knapp unterm Limit, mit einem Kotelett in der einen Hand und dem Lenkrad in der anderen. Ich lache so heftig, dass ich husten muss. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich, was ich will, und ich habe alles, was ich dafür brauche. Wenn ihr so was noch nie erlebt habt, tut ihr mir leid.

Aber es war nicht immer so. Ich bin durchs Feuer gegangen, um so weit zu kommen. Ich habe Sachen gesehen und getan und Scheiße erlebt, wie ihr es euch kaum vorstellen könnt. Also freut euch für mich. Und kommt mir verdammt noch mal nicht in die Quere.

An dem Tag, an dem mein altes Leben endete, saß ich unter der Tribüne im Stadion, pflegte mein zugeschwollenes Auge und hasste den alten Drecksack, bis die Sonne unterging. Mum wurde immer sauer, wenn ich ihn hinter seinem Rücken so nannte. Captain Drecksack. Der Captain. Oder einfach nur Cap. Meinte, das wäre keine Art, über seinen Vater zu sprechen, aber mir war es egal. Dieser Eimer Hundekotze war uns beiden gegenüber ein Arschloch, und ich wünschte ihm den Tod. Und in dem Augenblick betete ich darum.

Meine Hände stanken nach Fleisch. Ich ballte sie zu Fäusten, hart und flach wie abgesägte Rinderwaden. Ich starrte sie an, bis kein Licht mehr da war, um sie zu sehen, aber das machte nichts, weil ich in meinem pochenden Schädel ein Hackbeil in der einen und ein Ausbeinmesser in der anderen sehen konnte, sie spüren konnte, als wären sie wirklich da. So saß ich unter der Tribüne und hielt diese eingebildeten Sachen umklammert, bis meine Arme sich verkrampften und ich hinaus musste in die Nacht, bevor ich noch einmal umkippte.

Im Freien war es kühler. Konnte nichts sehen außer den Lichtern der Stadt. In der Dunkelheit irgendwo am anderen Ende kickten ein paar Jungs einen Ball, nur Stimmen und harte Stöße, die mir Bammel machten. Ich wusste nicht, was ich tun, wohin ich gehen sollte. Hatte kein Geld. Ein bisschen Eis wäre gut. Gefrorenes Wasser, meine ich. Für das Auge, das schon halb zu war. Verdammte Scheiße, es war wie etwas, das mir seitlich aus dem Kopf herauswuchs.

Der Himmel war leer, ich hatte mehr Sterne gesehen, als er auf mich einprügelte, und ich versuchte, die Uhrzeit zu schätzen.

Davor, im Laden, kam ich in der Knochenkiste wieder zu mir. Mit dem Gesicht nach unten und belämmert, wachte ich in diesem schleimigen Haufen aus Schienbeinen und Knöcheln und Hühnergerippen auf, und im ersten Augenblick wusste ich nicht, wo ich war und wie ich hierhergekommen war. Aber ich kapierte es dann ziemlich schnell. Wo ich war? Natürlich in der Arbeit. Und wie ich ausgeknockt in der Kiste gelandet bin? Wie immer natürlich. Er gönnte einem nicht die Butter aufs Brot, der alte Captain, aber wenn’s darum ging, ein paar Schläge auszuteilen, wenn man nicht hinschaute, na, da war er wie der verdammte Weihnachtsmann.

Vorn im Laden hörte ich das Radio laufen. Und dieser zitronige Reinigungsgestank hing in der Luft. Es musste also nach Ladenschluss sein. Und jetzt muss er ganz allein die Schalen auswischen und den Boden abspritzen, der blöde Wichser. Keift den ganzen Nachmittag, was für ein fauler Schmarotzer ich bin, und sorgt dann dafür, dass er von mir keine Hilfe bekommen kann, wenn am meisten zu tun ist. Kein Wunder, dass er im Geschäft so riesigen Erfolg hat.

Ich schaute durch meine Knie hinaus und versuchte, auf die Füße zu kommen, aber Mann, das war eine ziemliche Aktion. Muss ein toller Anblick gewesen sein. Jaxie Clackton, der knallharte Draufgänger, dem die Jungs im ganzen Bezirk aus dem Weg gehen. Und jetzt müht er sich ab, aus diesem schmierigen Knochenhaufen rauszukrabbeln wie eine vergiftete Fliege. Was für eine Lachnummer. Doch am Ende schaffte ich es. Hielt mich an der Schlachtbank fest. Stieß mich von der schmuddeligen Wand ab. Stand dann einen Augenblick nur da, weil sich in meinem Kopf alles drehte. Wahrscheinlich japsend und glotzend wie ein Goldfisch. Und die ganze Zeit, gleich auf der anderen Seite der Trennwand, hinter der Tür und den versifften Fliegenfängern, schlabbert der Mopp und wird der Kübel über den Boden getreten, und der Cap keucht und schnaubt und brummelt vor sich hin, wie nutzlos ich bin und dass er mir schon Moral einprügeln wird. In Gedanken war ich da schon längst weg. Die Straße hoch und auf und davon. Aber es war, als würde ich alles mit halber Geschwindigkeit machen, in Zeitlupe abhauen. Und jeden Augenblick wird er jetzt durch die Tür kommen und mich am Ohr packen und mir noch ein paar mitgeben. Also habe ich mir gesagt, reiß dich zusammen und leg einen Zahn zu, nimm die Schürze ab und steig aus den blöden Metzgerstiefeln. Nicht ganz so einfach, nichts davon, nicht mit benebeltem Kopf und Wurstfingern. Aber ich schaffte es und schnappte mir meine Vans-Treter und mein Skateboard an der Hintertür und machte mich still und leise davon.

Draußen war die Luft warm und der Tag fast schon vorüber. Ich stierte durch die Schatten die Straße hinunter, und schon wenn ich die Augen nur ganz wenig zusammenkniff, tat es weh wie die Seuche. Als ich mein Gesicht berührte, fühlte es sich an wie ein Kürbis voller Rasierklingen. Und ich sollte erleichtert sein, dass ich davongekommen und draußen war, aber ich wusste nicht, wo ich hinsollte. Eigentlich wollte ich nur eine Tüte gefrorener Erbsen und ein Bett. Aber heimzugehen war zu gefährlich, bevor der Drecksack komplett abgefüllt war. Was einige Zeit dauern konnte. In der Arbeit war er den ganzen Tag besoffen, das war sein Normalzustand. Aber die volle Dröhnung, das erforderte ein paar Stunden harte Entspannung. Nach einem Schiss und vielleicht einer Dusche. Die Augenklappe abnehmen und in Unterhose einfach nur dasitzen. Die leere Augenhöhle zusammengezogen wie ein Katzenarsch. Sich eine Zweiliterflasche Cola aus dem Kühlschrank holen, die Hälfte ins Spülbecken kippen und sie mit Bundaberg Rum auffüllen.

Bringt also nichts, nach Hause zu gehen, bevor er seine Medizin genommen hat. Dann torkelt er durch die Gegend. Ist mal hier, mal dort. Im Schuppen. Oder auf der Terrasse, wo er zu den Weiden und den Eisenbahngleisen hinüberschaut. Meistens landet er in diesem großen Fernsehschaukelstuhl, völlig weggetreten, das Licht an, die Vorhänge offen. Und schnarcht so laut, dass die Fensterscheiben klappern. Was es einfach macht, sich auszurechnen, wann man in Aktion treten kann. Auf der dunklen Straße stehen bleiben. Durchs Fenster die Lage peilen. Beobachten, ob er wirklich hinüber ist. Dann durch die Hintertür rein. Einen Abstecher in die Küche riskieren. Und schnell ins Schlafzimmer. Die Tür zusperren. Den Schreibtisch davorschieben. Und ihn seinen Rausch ausschlafen lassen. Morgen ist ein neuer Tag. Was eigentlich nur derselbe elende Tag immer und immer wieder ist. Bis es so weit ist, kann ich nirgendwohin außer ins Football-Stadion. Deshalb war ich da oben und versteckte mich wie ein Mädchen. Die Raststätte war unsicher, der Pub versprach nur Probleme, deshalb musste ich mich unter der Tribüne verkriechen. So war’s. Und das habe ich getan. Ich atmete einmal tief durch und kroch wieder unter die Balken, wo alles voller Pappschachteln und Parisern und Jim-Beam-Cola-Dosen war.

Ich wartete bis nach Einbruch der Dunkelheit und dann noch ein paar Stunden. Ich traute mich nicht, mein Handy einzuschalten, um auf die Uhr zu schauen oder nachzusehen, ob ich Nachrichten hatte, das Licht verrät einen sofort, und diesen Fehler macht man nicht zweimal. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf dem Arsch zu hocken und abzuwarten.

Ich stellte mir vor, wie er mit sich selber Glas um Glas kippte, als wäre er in einem Wettbewerb, wer in der Stadt sich am schnellsten ins Koma säuft. Sid Clackton, Bundy-Rum-Weltmeister. Captain Drecksack, Meistermetzger, Spezialist für totgefahrene Tiere, besoffener als jeder andere Mensch. Monktons Bester, was für ein mächtiger Held! Ich stellte mir vor, wie der schmierige Wichser sich eine Pfanne Würstchen brät und den Fernseher anschreit. Schau dir diesen Volltrottel an, halt dein Maul, wer ist diese hässliche Schlampe, das ist doch Blödsinn. Und so weiter und so fort. Man muss gar nicht dabei sein, um es zu hören. Und ich dachte mir, wenn das nur alles Gift sein könnte. Der Rum, das Bier, das Fleisch, die verdammte Luft, die er schnauft. Wenn er nur verrecken und mich in Frieden lassen könnte. Wenn’s einen Gott gibt, warum kann er nicht einmal was Richtiges tun und dieses Arschloch umbringen? Weil man doch nichts anderes will, als sich sicher zu fühlen. Frieden, mehr will ich gar nicht.

Na ja, das habe ich mir wenigstens eingeredet. Aber dieser Gedanke wurde alt. Ziemlich bald wollte ich selber ein paar Würstchen. Ich war hungrig wie ein Hai. Und eigentlich wollte ich zur Sperrstunde auch nicht mehr hier draußen sein, wenn die halbe Bar aufs Spielfeld ausschwärmte, um weiterzutrinken. Auf keinen Fall wollte ich es mit Fusel saufenden Schwarzen oder den Lehrlingen von John Deere zu tun bekommen. Ich hatte keine Kraft mehr zu kämpfen, also dachte ich mir, genug ist genug.

Ich kletterte unter der alten Holztribüne hervor und horchte, ob auf dem Oval irgendjemand war. Aber alles blieb still. Also klemmte ich mir das Skateboard unter den Arm und schlich mich bis zu den Bäumen am Spielfeldrand und wartete dort, bis die Straßenbeleuchtung anging und man Asphalt sah. Dann rollte ich auf Nebenstraßen nach Hause.

In unserer Straße war alles ziemlich ruhig. Ein paar Fenster, in denen Fernseher blitzten, aber draußen war niemand zu sehen, keine Paxtons, die auf der Veranda rauchten, keine Mrs Mahood, die mit dem Gartenschlauch dastand, wie sie es den ganzen Tag tut.

Unser Haus war dunkel, aber aus den offenen Türen des Schuppens drang Licht, und ich hörte das Radio. Einen Augenblick stand ich auf der Einfahrt, wo das Licht mich noch nicht erreichte, und versuchte, mich zu wappnen, weil ich dachte, lieber gehe ich jetzt rein, als dass er kommt und mich vor dem Kühlschrank findet. Bereit zu sein ist immer das Beste.

Ich ging zum Schuppen und blieb dann stehen. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum. Ich schaute nur hinein. Sah zuerst nur seinen Pick-up. Dieses Regal an der Rückwand mit Campingausrüstung. Die große Kugellampe, die vom Dachbalken hing, mit ein paar Motten, die um sie herumflatterten. Ich dachte mir, vielleicht ist er da drin und zapft ein Fass Selbstgebrautes an. Aber es war mitten unter der Woche. Und wenn er den Stöpsel von einem Behälter zog, stank die ganze Straße säuerlich nach Bier, und er war plötzlich sehr beliebt. So still wäre es auf keinen Fall. Auch wenn nur er und der Bulle tranken, wäre die Hütte voll von ihrem Kumpelgelaber, ja, Mann, ja, leck mich doch, und auch dieser fleischige Geruch wäre nicht da, der mir jetzt in die Nase stieg. Ich wusste, dass er immer noch Rindfleisch unter der Hand von Durchreisenden bezog, und er hatte seitlich am Schuppen einen Kühlraum, damit das Geschäft nicht über den Laden lief, aber die Türen standen weit offen, und er wäre nicht so blöd, sie so zu lassen, nicht mal, wenn er jemanden erwartete. Und irgendwas war komisch an der Art, wie der Pick-up im Schuppen stand. Von der Einfahrt aus sah ich, dass das Heck des Hilux viel zu hoch war, als wäre die Ladefläche nach oben gekippt.

Ich drehte das Skateboard ein paarmal und ließ es dann auf den Beton fallen, um ihm zu zeigen, dass ich da war. Schätze, ich hätte was rufen oder husten können, wie die Leute es tun, aber er hatte mich sicher bereits gehört. Ganz bestimmt. Wenn er überhaupt da drin war. Konnte auch sein, dass er mir auflauerte, mich reinlegen, mir blöd kommen wollte. Als wäre das sein verdammtes Hobby, einen Kerl in den Nervenzusammenbruch zu treiben.

Also ging ich vorsichtig hinein, das Board wie ein Schutzschild vor der Brust.

Und ich dachte, ich sehe nicht richtig. Wegen des zugeschwollenen Auges.

Vielleicht habe ich es deshalb nicht gleich kapiert. Weil die Vorderräder des Hilux ab waren. Sie lagen beide flach auf dem Boden, eins neben dem anderen. Und die Bolzen in einem Häufchen neben dem Kreuzschlüssel.

Und die Naben. Verdammt, sie standen nackt auf dem Beton. Und die Karre warf einen Schatten, wie Licht es nie schaffen würde. Ein Schatten sucht sich auch keinen Abfluss. Schatten haben auch keine Schmeißfliegen, die in ihnen ertrinken. Aber ich schätze, zwei Sekunden lang redete ich mir ein, dass das nur Öl war. Als hätte er den Verschluss von der Ölwanne geschraubt, zu besoffen, um dran zu denken, einen Auffangbehälter drunterzustellen. Aus dem Winkel meines guten Auges sah ich die halbleere Flasche auf der Werkbank. Keine Bläschen mehr im Cola. Etwas, das am offenen Hals saugte, eine Wespe vielleicht.

Aber ich wusste noch immer nicht, was ich da vor mir hatte. Bis ich mich an der Fahrertür vorbeidrückte und über die Motorhaube schaute und seine haarigen, nackten Füße sah, die unter dem Frontschutzbügel hervorragten.

Ich ließ das Board fallen, es schlitterte davon und krachte mit einem Knall irgendwo dagegen, und ich sah den Wagenheber, der vom Fahrzeug weggekippt war. Er lag auf Lumpen und in einer dunklen Pfütze. Ich sah Spuren, wo eine Eidechse auf ihrem Weg zur Tür durch die Sauerei gelaufen war. Und dann war es klar wie Hühnerkacke. Ich kniete mich gar nicht hin, um nachzuschauen. Vielleicht hätte ich es tun sollen, vielleicht hätte es mir eine gewisse Befriedigung gebracht, aber ich wusste auch so, dass der alte Scheißhaufen mausetot war. Und es war nicht so, dass ich Tränen vergossen hätte, aber geschockt hat es mich schon. Ich musste mich an den Hilux lehnen, um nicht umzukippen.

Mein Kopf war überall und nirgends. Ich meine, o Gott. Aber nach einer Weile fing ich an, richtig zu denken. Zum Beispiel, die Türen stehen weit offen. Und morgen früh um acht wird der Cap nicht im Laden sein, und um neun wird irgendjemand wissen wollen, warum er seine bestellten Porterhouse-Steaks und die Tüte Würstchen nicht bekommen kann. Ich hatte absolut nicht vor hierzubleiben, damit die halbe Stadt mit dem Finger auf mich zeigt und behauptet, ich hätte ihn fertiggemacht, als sich mir endlich mal die Gelegenheit bot. Die Leute wussten, dass ich allen Grund dazu hatte, es war in Monkton kein Geheimnis, wie er war und was er uns angetan hatte. Sie werden behaupten, ich hätte den Wagenheber weggetreten und seinen Kopf zerquetscht wie eine Wassermelone. Alles deutet auf mich.

Also machte ich kehrt und ging ganz vorsichtig hinaus, um nirgendwo reinzutreten. Ließ alles so, wie es war. Das Radio lief, irgendein wütender, alter Wichser bellte irgendwas, das mir nichts bedeutete. Alle Lichter waren an.

Auf dem Seitenweg ging ich direkt zum Haus. Aber dann musste ich einen Augenblick stehen bleiben. Bei den Gasflaschen. Reiherte mir die Vans voll. Die Kotze hatte die Farbe von Senf. Ich trat mir die Schuhe von den Füßen und ging weiter.

Im Haus war’s dunkel. Ich tastete nach dem Lichtschalter in der Küche, und als der Kühlschrank ansprang, erschrak ich. O Mann, war ich fertig.

Ging in mein Zimmer, holte den Rucksack aus dem Schrank. Schaute kurz die Schlafrolle an, wusste aber, dass sie zum Mitnehmen zu groß war. Zog die Jagdklamotten aus dem Schrank, Hose und Jacke in Tarnfarben. Beim Anziehen wäre ich beinahe gestolpert, so eilig hatte ich es. Ging mit dem Rucksack in die Küche und füllte ihn mit Dosen und Päckchen und Sachen aus dem Kühlschrank. Nahm den Herdanzünder. Drei Päckchen Streichhölzer. Wickelte alles in Geschirrtücher, damit nichts klapperte.

Das große Schlafzimmer stank nach ihm, aber Moms Geruch hatte es auch noch nicht ganz aufgegeben. Einen Augenblick stand ich nur da und schaute mich um. Dann holte ich den Schlüssel, der hinter dem Türrahmen versteckt war. Schloss damit den Waffenschrank auf, holte die 243er und zwei Schachteln Patronen heraus, Winchester 80 Grain Soft Point. Das Fernglas nahm ich ebenfalls mit.

Auf halbem Weg durch die Diele drehte ich um und ging ins Bad. Schnappte mir eine Klorolle und vergaß die Zahnbürste.

Draußen in der Waschküche fand ich meine Stahlkappenstiefel und zog sie an. Am Waschtrog hing sein blaues Unterhemd mit V-Ausschnitt und eine von Blut und Fett steife, gestreifte Schürze. Starrte sie dauernd an, während ich mir die Schuhe zuband. Als könnten mich diese stinkenden Fetzen auch jetzt noch anspringen.

Dann sah ich auf der Waschmaschine die Wasserflasche, die er jeden Tag mit in die Arbeit nahm. Eine Fünf-Liter-Igloo. Dachte, die könnte ich brauchen. Füllte sie draußen am Tank und versuchte, nicht an seinen dreckigen Mund am Ausgießer zu denken. Ich wusste, im Schuppen waren noch ein paar Wasserrucksäcke. Einer von denen wäre zehnmal besser als diese Riesenflasche, aber dorthin ging ich nicht für Geld und gute Worte zurück. Was ein verdammter Fehler war, das kann ich euch sagen, viel schlimmer als die Zahnbürste, und er sollte mich in den nächsten fünf Wochen teuer zu stehen kommen. Aber ich machte die Igloo voll, und der Verschluss japste beim Zudrehen, und als ich mit allem fertig war, ging ich hinaus und stellte mich kurz unter den großen, alten Feuerbaum neben dem Haus, um wieder zu Atem und zur Besinnung zu kommen, und ein Lastzug fuhr vorbei, auf Nebenstraßen unterwegs zur Raststätte, er zischte und ruckte, um die Geschwindigkeit gering zu halten, hell erleuchtet wie ein Schiff und nach Wolle auf Hufen stinkend, und als er vorbei war, schaute ich mich noch einmal in Ruhe um, trat dann auf die leere Straße und ging davon, so schnell ich konnte.

Auf dem Spielfeld war noch immer niemand. Zumindest sah ich niemanden. Ich ging an den Umkleidekabinen vorbei und war in weniger als zwei Minuten auf freiem Feld. Inzwischen ein wenig Mondlicht. Genug, um die Schatten der Bäume zu sehen und nackte Erde von Busch unterscheiden zu können.

Ich schätze, es dauerte eine halbe Stunde, bis ich die Lichter der Stadt nicht mehr sah. Ich dachte mir, das könnte ein gutes Gefühl sein, aber es war einsam. Ich hätte am liebsten geweint. Ich meine, ich war doch glücklich, oder? Es war so unvermittelt.

Ich sagte mir, das ist der beste Tag meines Lebens. Und dachte, dass ich es bis morgen früh vielleicht sogar glauben würde.

Umgebracht hat ihn, dass er so ein Geizkragen war.

Die ganzen Bremsprobleme, die er mit dem Hilux hatte, aber die Straße hoch zu Cec Barton bringen wollte er ihn partout nicht. Denkt, er macht das selber. Nur dass ihm sein Rangierwagenheber im März zusammen mit dem Kompressor und der alten Armbrust geklaut wurde. Nigger, sagte er, aber es hätte jeder sein können.

Also bockt er die Karre mit diesem mickrigen Wagenheber auf, noch dazu unter dem Bullenfänger. Jeder Trottel kann einem sagen, dass das nicht schlau ist. Unter ein Fahrzeug, das an so einem Witwenmacher hängt, legt man sich einfach nicht.

Na ja, Witwe gibt’s keine. Und niemand vergießt eine Träne um ihn. Nicht in Monkton, und auch nirgends sonst auf der weiten Welt.

Zu der Zeit habe ich an nichts von alldem gedacht. Ich ging einfach. Setzte mich in Bewegung und blieb in Bewegung. Tagelang war ich nichts anderes, nur dieses verrückte, sich bewegende Ding. Das vorwärtsdrängte, sich schleppte, ging.

Die ersten beiden Tage hielt ich mich vom Highway fern, war so weit weg davon, dass ich ihn weder sehen noch hören konnte. Tag und Nacht marschierte ich. Orientierte mich nach Norden, wo immer es ging. Versuchte, außer Sicht zu bleiben, aber im Weizengürtel ist das eine richtige Aufgabe, weil fast keine Bäume mehr übrig sind. Nichts als Stoppelfelder, so weit das Auge reicht. Alles flach und nackt. Wenn man über dieses Land latscht, sticht man heraus wie eine Ratte auf einer Geburtstagstorte. Einmal schlief ich für ein oder zwei Stunden unter einer Gruppe Wandoo-Eukalypten in der Ecke eines Grenzmäuerchens. Klemmte mich einfach zwischen ein paar Granitbrocken. Das war tagsüber, und als ich aufwachte, glotzte ein Vogel auf mich herunter, ein schwarzer Kakadu, der mich böse anstarrte. Nach dem Motto, was zur Hölle machst du denn hier?

An diesen beiden Tagen hatte ich Glück. Vor allem mit dem Wetter. Weil es jetzt mitten im Herbst war und ich wusste, dass die Leute weiter im Süden die Felder schon bestellt hatten. Aber hier oben war der Regen noch nicht angekommen, und niemand säte, deshalb war außer mir so gut wie keiner unterwegs. Keine ratternden Landmaschinen, keine Fahrzeuge auf den Seitenstraßen. Die Farmer waren vermutlich in der Stadt und fluchten oder saßen vor ihren Fernsehern und schauten Football. Vielleicht machten sie zu der Zeit ihre Kinder, diese Leute, keine Ahnung. Wie auch immer, ich überquerte einfach Grenzlinien, hielt mich vom Kies fern und machte einen weiten Bogen um Einfahrten und Häuser. Was im Weizenland gar nicht so schwer ist, hier draußen sind Häuser so selten wie Schaukelpferdscheiße.

Ich ging schnell, lief halb, wenn es sicher war, aber das Vorankommen war mühsam. Ich schleppte zu viel mit mir herum. Es wurde leichter, je leerer die Wasserflasche wurde, aber dass sich das wieder ändern würde, war ja wohl klar.

Am zweiten Nachmittag klaute ich Wasser aus einem Haus, das aussah, als wäre es seit Jahren nicht mehr bewohnt. An der Fliegengittertür klebte Papier, und auf dem toten Rasen lag Spielzeug herum. Es war die letzte Behausung und die letzte Farm, die ich vor dem Salzland sah.

Vielleicht war ich zu vorsichtig. Konnte gut sein, dass nie irgendjemand nach mir suchte. Vielleicht hatte keiner genug Interesse daran. Es ging ja nur um Captain Drecksack. Jeder wusste, was für ein Wichser er war. Aber wenn jemand so den Löffel abgibt, flachgequetscht unter seinem Auto im eigenen Schuppen, dann wollen die Leute wissen, wie und warum und wer. Und da waren auch noch mein Skateboard, irgendwo in dieser Lache aus Blut, und meine vollgekotzten Schuhe auf dem Pfad und der offene Waffenschrank. Und wer ist der Busenfreund des Captain? Bulle mit dem Goldzahn. Ja, dieser fette Rotschopf mit dem hysterischen Lachen. Die waren ziemlich dicke, die beiden, und das war mein Pech. Hörte sie oft draußen im Schuppen lachen wie Schwuchteln über Sachen, die ich nie kapierte. Das war’s wohl, warum er die ganzen Jahre nichts zu befürchten hatte, nicht nur wegen dem Fleisch, ich meine, da prügelt er Mum Woche um Woche grün und blau und stolziert durch die Stadt, als würde Butter in seinem dreckigen Kackloch nicht schmelzen. Sein Bullenkumpel, der war der Grund, warum sie ihn nie angezeigt hatte, warum sie nie irgendwas sagte.

Früher habe ich mir gewünscht, dass Mum einfach in den Corolla steigt und runter nach Perth fährt, wo die Bullen uns nicht kennen und der Rotschopf keine Strippen ziehen kann. Auf dem Highway sind das nicht mal vier Stunden. Aber ich wusste, dass die Metropole sie nervös macht, und das kann ich verstehen. Würde es dort auch keine Minute aushalten. Trotzdem, sie hätte auch nach Geraldton ausbüchsen können. Eigentlich die gleiche Entfernung. Das ist eine große Stadt, und in Gero kennt uns kein Mensch. Einfach hinfahren und ihm ein für alle Mal die Suppe versalzen. Dort gibt’s ein richtiges Polizeirevier und ein Gerichtsgebäude und alles. Sie hätte sich ein Haus am Meer besorgen und Krabben essen und ein freier Mensch sein können. Aber sie hätte mich mit ihm allein lassen müssen. Mich ganz allein. Und sie wusste, was das bedeutete. Jeden Tag, den sie weg war, jeden Tag, den sie in Sicherheit war, würde ihr das durch den Kopf gehen. Auch wenn sie nicht zur Polizei ging, wenn sie ganz einfach nur verschwand, würde sie wissen, was ihre Sicherheit kostete und wer dafür bezahlen musste. Einstecken musste ich sowieso, aber vielleicht wäre es einfacher zu ertragen gewesen, wenn sie durchgebrannt wäre. Mir die Scheiße aus dem Leib prügeln zu lassen wäre dann wenigstens was wert gewesen. Schätze, ich hätte es ihr nicht verübelt, auch damals nicht, als ich noch nicht wusste, was ein Opfer bedeutet, was ein Märtyrer ist. Ich hätte es über mich ergehen lassen. Das rede ich mir ein. Ich wollte, dass sie abhaut, habe sie angefleht, und das ist die Wahrheit, aber ich war froh, als sie sagte, sie kann nicht, und auch das ist die Wahrheit. Ich weiß, ich war damals nur ein kleiner Junge, aber damit muss ich leben. Ich konnte sie nicht befreien. Ich hatte nicht das Hirn dazu. Oder den Mumm.

Ich wusste, was die Leute dachten, aber. Jaxie Clackton, dieser dreckige Versager. Er bekam, was er verdiente. Und seine Mum war auch nur ein Weibchen mit Spatzenhirn, zu blöd, um sich selbst zu retten. Der Captain, zu dem mussten sie nett sein, zumindest so tun als ob, vor allem, seit der IGA-Supermarkt zugemacht hatte. Aber sie wussten Bescheid. Die Clacktons, wir waren Abschaum. Ein Ort wie Monkton, ein Pub, Raststätte, Getreidesilo an den Gleisen und zwölf Straßen, die Hälfte davon leer, so ein Ort war so klein, dass jeder etwas hörte, und sie alle hatten eine verdammte Meinung. Aber kein Nachbar kam je gerannt, wenn Mum Hilfe brauchte. Niemand rief die Bullen. Nicht bei diesem fetten, einäugigen Scheißhaufen, der Amok lief. Jede Menge großer Meinungen in unserer Stadt, aber wenn’s darum ging, Shirley Clackton zu retten, gab’s im ganzen Bezirk keinen mit Eiern in der Hose.

Sie war diejenige mit Mumm. Hat gesagt, sie bleibt für mich. Und ihr wisst ja gar nicht, wie das ist, wie sich etwas so Gutes und Reines so dreckig anfühlen kann.

Als ich vor den ersten kleinen Salzseen stand, wusste ich, wo ich war. Plötzlich hatte ich den Drang, mich in all diesen weichen, lila-rosa Meerfenchel zu legen. Ich habe Leute sagen hören, dass man ihn essen kann. Vielleicht haben’s früher die Aborigines getan. Heutzutage essen die Leute doch nur noch Hähnchen und Chips.

Ich stakste um die Pfannen herum und hetzte weiter nach Norden. Die Sonne stieg über einer Schulter in die Höhe und ging über der anderen unter.

Im Gehen versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Aber es waren einfach zu viele. Dann hatte ich lange Zeit, es waren Stunden, überhaupt keine Gedanken. Und als sie zurückkamen, war es wie Rauschen aus dem Radio.

Schätze, es ist falsch, darum zu beten, dass jemand stirbt. Aber wir Clacktons sind keine Frömmler, und ich habe überhaupt nie gebetet, bis mir nichts anderes mehr übrig blieb. In der Kirche war ich nur ein- oder zweimal, und das war ziemlich beschissen. Also ehrlich, diese Leute sind so leicht zu durchschauen. Oben in Magnet war das, als ich noch jünger war, mit Tante Marg und den anderen. Sie ist auch nicht frömmer als wir, aber hin und wieder geht sie zu einer Babysprenklung, um sich beim Wirt und den Snobs der Stadt einzuschleimen. Wir gingen zu den Katholiken, nicht zu den Freikirchlern. Sie würde nirgendwo hingehen, wo solche Leute waren, die örtlichen Aborigines. Wie auch immer, Kirche war völlig durchgeknallt. Kauderwelsch und Damen mit großen Hüten. Alle machten brav mit wie trainierte Affen. Richtig gruselig fand ich, wie sie zuließen, dass der Priester seine weichen, rosigen Pfaffenhände auf das Baby legte. Wissen diese Vollpfosten denn gar nichts?

Nein, diese ganze magische Scheiße kann ich nicht gebrauchen. An einem Wochenende kamen ein paar Witzfiguren in einem kleinen, gelben Bus in die Stadt und latschten herum und bequatschten uns auf den Straßen und in den Läden und sogar im Stadion. Mindestens fünf hintereinander fragten mich, ob ich schon errettet sei. Und ich lachte ihnen in ihre dämlichen Gesichter. Verdammt, die hatten doch von nichts ’ne Ahnung. Wenn sie mit ihrem Jesus-Gequassel aufgehört hätten und mich in diesen Bus hätten einsteigen lassen, dann hätten sie mich womöglich auf der Stelle retten können. Nicht, dass ich mitgefahren wäre, ich musste schließlich an meine Mum denken, aber wenn sie gewusst hätten, welche Art von Errettung ich brauchte, hätten sie vielleicht das Maul gehalten und was gelernt.

Nein, ich bin kein Kirchgänger, aber über die ganzen Gebete habe ich viel nachgedacht. Ob ich nicht genau das all die Jahre getan habe. Wenn so heftig Wünschen und Wollen und Hoffen, dass man Kugeln schwitzt und einem die Eier in den Bauch steigen, Beten ist, dann habe ich viel gebetet. Und dafür bekommen habe ich rein gar nichts. All das Winseln und Flehen in der Dunkelheit. Es ist würdelos. Irgendetwas oder irgendjemanden darum bitten, dass ein großer, schwarzer Amboss vom Himmel fällt wie im Comic. Krawumms! Auf den Kopf des Drecksacks. Weil nichts anderes uns gerettet hätte. Außer ich hätte mich umgebracht und Mum so befreit. Und ein paarmal habe ich sogar daran gedacht. Natürlich wusste ich, wo die Waffen waren, wo der Schlüssel zum Schrank war. Genau das hätte ich tun können. Wenn ich nur nicht so ein Weichei gewesen wäre. Ich betete um Mut, und ich blieb ängstlich. Und als Mum dann krank wurde, betete ich um Gnade, dass das Sterben schnell und schmerzlos für sie würde. Aber für Shirley Clackton gab es keine Errettung und keine Gnade. Und die einzige Erleichterung, die ich bekam, war, dass mir der Cap jedes Gefühl aus dem Leib prügelte.

Als Mum nicht mehr da war und es nur noch um ihn und mich ging, gab ich das Beten größtenteils auf. Ich dachte, das Einzige, was mir jetzt noch bleibt, ist, ihn umzubringen oder ihn zu überleben. Und den Mumm, ihn abzuknallen, hatte ich einfach nicht. Ich dachte, so was könnte ich nie tun. Da siehste mal. Also musste ich ihn überleben. Und dann, leck mich, fällt ihm doch tatsächlich so ein großes Gewicht auf den Kopf. Wie wahrscheinlich ist denn das? Ich weiß nicht, ob es meine Schuld ist oder nicht. Vielleicht hat’s der Cap ja auch mit Absicht getan. Könnte sein, dass er sich schämte oder einsam war oder so fertig, dass er nicht mehr wusste, was er tat.

Oder was, wenn es ein anderer getan hat? Ich war nicht der Einzige, der ihn hasste wie die Pest. Was auch immer, wer auch immer. Dieser pfriemelige Wagenheber, der war meine Rettung und meine Gnade.

Ich weiß nicht, ob ich den ganzen Mist wirklich dachte, als ich nach Norden marschierte. Ein bisschen was davon vielleicht. Erinnere mich nur schwer daran. Da sind Lücken. Meistens war ich zu verängstigt und benommen, um mir über irgendwas klar zu werden. In diesen paar Tagen dürften Hunde mehr gedacht haben als ich. Aber danach habe ich mir den Kopf zerbrochen. Hab daran immer noch zu kauen, um ehrlich zu sein. Und tue ich das nicht heute auch – beten, sie anflehen, dass sie da oben am Ende des Highways ist, hoffen, dass sie bereit ist, wenn ich anrufe? Wenn man was braucht, auch wenn es nicht zu bekommen ist, vor allem, wenn es nicht zu bekommen ist, bittet man trotzdem darum. Also denke ich mir, selbst wenn man an die ganze Scheiße gar nicht glaubt, betet man doch immer zu etwas oder zu jemand. Sogar wenn man den Fernseher anbrüllt, wenn man mit Katzen redet oder Autos nachschreit. Scheiße, ich hatte Pfützen und Sterne und Steinhaufen angerufen. Und eigentlich schäme ich mich nicht, das zu sagen.

Aber darum beten, dass jemand getötet wird? Ist nicht sehr philosophisch.

In diesen ersten Tagen meiner Wanderschaft wusste ich eins. Das war es, was mich vorwärtstrieb, nachdem die erste Panik verklungen war. Ich hatte es geschafft. Ich hatte überlebt. Lebe immer noch. Nennt es Glück, ein erhörtes Gebet. Nach einem Wunder müsst ihr euch mit mir herumschlagen. Mit mir, ihr Arschlöcher!

Das Auge war nicht so toll. Immer wieder wollte ich mir Wasser daraufspritzen, um es ein bisschen zu kühlen, aber ich konnte es mir nicht leisten, auch nur einen Schluck zu verschwenden, und so marschierte ich einfach mit Schmerzen und schwerem Kopf weiter und schaute nur mit meinem guten Auge. Marschierte in Richtung Norden, so gut ich konnte. Ich hatte keinen richtigen Plan, wollte einfach nur nach Magnet. Von Monkton sind das dreihundert Kilometer. Mich dorthin durchzuschlagen würde einige Zeit dauern, und ich wusste noch nicht, wie ich es anstellen sollte. Aber im Augenblick war Deckung das Wichtigste. Ich musste mir ein paar Bäume suchen. Und zwar schnell. Im Busch könnte ich mich bewegen, ohne gesehen zu werden. Und so beeilen müsste ich mich dann auch nicht mehr. Ich hätte Zeit zum Nachdenken.

Ich wäre immer nach Norden gegangen. Auch wenn ich dort niemanden hätte. Südlich von hier ist alles nur Farmland. Wo sie Schafe und Rinder halten, gibt’s zwar noch ein paar Bäume, aber auch mehr Menschen. Dahinter ist die große Stadt, und die geht gar nicht.

Kein Mensch hat mich je einen Glückspilz genannt, aber vielleicht bin ich einer. Zum einen ist Monkton nicht so weit weg von den Goldfeldern, mit dem Auto eine knappe Stunde, und das klingt vielleicht nach Wüste, wenn man es nicht besser weiß, das stimmt, aber dort ist es grüner, als man denkt. Ich kenne mich da ein bisschen aus, was ebenfalls ein Glück ist, etwas, wofür ich dem Captain sogar dankbar sein muss. Weil er mir ein paar Dinge mitgegeben hat. Mir eine gewisse Härte eingeprügelt hat. Und ich kann jagen und schlachten. Ich kenne ein paar ruhige Plätze, wo man kampieren kann. Im Goldland. Etwas abseits. Wo niemand nach mir suchen würde.

Als ich schließlich an diese fette blaue Linie kam, hätte ich mir beinahe in die Hose gemacht. Es war, als würde eine ganze Armee aus Bullen auf mich warten. Ich kreischte kurz auf wie ein Mädchen, hechtete mit dem Gesicht voran in einen Graben. Kriegte Erde in den Mund und einen Schlag ins Gesicht von der Wasserflasche. Dann lag ich keuchend einfach nur da, drehte mich hin und her und schaute, wohin ich fliehen konnte. Hinter mir nichts als nackte Erde. Als ich wieder bei Atem war, schaute ich mal genauer hin. Und merkte, was für ein verdammter Trottel ich war. Das da vorn waren keine Männer, es waren Bäume. Ich war stinksauer auf mich selber. Aber erleichtert. Und am Ende musste man einfach lachen.

Ich trank einen Schluck aus der Igloo und legte mich kurz auf den Rücken. Heilfroh und vor Freude ganz weich und schnulzig. Und dann bin ich, denke ich, ein bisschen eingedöst. Denn als ich wieder aufwachte, hockten da am Rand des Grabens ein paar Spinifextauben. Die mich anstarrten. Der Himmel dahinter war blass, die Sonne ging bald unter. Als ich mich rührte, flogen die Vögel mit diesem knirschenden Geräusch, das ihre Flügel machen, davon. Ich stand auf, gab mir einen Ruck und ging auf den Schutz der Bäume zu.

Es waren vorwiegend Himbeerakazien und Salubris-Eukalypten. Und Flammenbäume. Nichts Großes. Aber gut zum Verstecken. Sie reichten, so weit ich sehen konnte. Ich war schnell mittendrin und ging, bis es dunkel war, und war dann so müde, dass ich Angst hatte, zu stolpern und mir etwas zu brechen. Aber es war gut, umringt, eingeschlossen zu sein. In dieser Nacht machte ich ein Feuer. Ihr wisst ja gar nicht, was für einen Unterschied so ein Feuer macht. Es war, als hätte ich ein Haus zum Wohnen und einen Schuppen für mein Auto gefunden, so froh war ich.

Ich aß zwei kalte Koteletts und drei gebackene Kartoffeln, und ihren Geruch hatte ich die ganze Nacht an den Händen, wie wenn man mit einem Mädchen zusammen ist. Und als ich das dachte, musste ich mein Handy einschalten. Was blöd war, aber ich war ziemlich durcheinander. Ich bekam kaum einen Signalbalken, aber das Licht vom Display war nett. Es gab keine Nachrichten oder verpasste Anrufe. Nichts auf meiner Seite, keine Benachrichtigungen. Und alle Texte von ihr waren alt. Ich schaute ein paar Fotos an, aber das machte mich fertig. Ich musste mich zusammenreißen und den Akku schonen. Vor allem musste ich schlau bleiben. Keine Anrufe zu machen und die Finger vom GPS zu lassen ist eine Sache. Aber sobald man das Handy anschaltet, gibt’s an irgendeinem Mast ein Signal, und man hinterlässt einen Fußabdruck. Wie ein Vollidiot. Und die Bullen können wahrscheinlich per Fernsteuerung an deinem Handy rummachen und die Tracking-App anschalten, ohne dass man es merkt. Ich musste es jetzt auslassen und stark bleiben. Aber als ich es wegsteckte, war auch meine gute Laune weg.

Ich schaute einfach ins Feuer und versuchte, nicht in Selbstmitleid zu versinken. Es war nicht kalt, und es gab keine Mücken. Ich war zwar fix und fertig, aber ich hatte einen vollen Bauch, und ich hatte bereits ein gutes Stück hinter mir. Noch ein oder zwei Tage, dann wäre ich in Sicherheit.

Ich schlief ganz okay, aber ich träumte viel und wachte oft auf. Wind ging keiner, aber die Bäume ächzten und knackten trotzdem. Ab und zu gab es irgendwo einen Schlag. Vielleicht ein Känguru. Hoffte ich zumindest. Jedes Mal schrak ich mit klopfendem Herzen hoch.

Scheiße, sagte ich mir, reiß dich zusammen, verdammt.

Einmal hat sie mich das sagen hören, meine Mum. Zu meinem kleinen Cousin draußen vor der Waschküche, wo er flennte, weil sein Knie ein bisschen blutete. Sie hatte diesen angewiderten Blick im Gesicht. Was? fragte ich. Ich hab doch nichts getan.

Du bist nicht besser als dein Vater, sagte sie. Du musst dich nur mal hören, Jaxie, du klingst wie er.

Drei Tage lang redete ich nicht mit ihr. So sauer war ich.

Sie täuschte sich in mir. Aber ich täuschte mich in mir auch.

Du sagst dir, du bist nicht der Betbruder, keiner, der mit sich selber redet oder nach seiner Mum flennt oder sich wegen einer Tussi in die Hose macht. So ein Weichei bist du nicht. Aber auch kein Brutalo. Du kämpfst nur gern, und das war schon immer so. Aber du bist kein Psycho, egal, was die anderen sagen. Auch wenn du jemand abgrundtief hasst, bringst du ihn nicht um, da bist du dir ganz sicher. Und nicht einmal in deinen wüstesten Träumen siehst du dich als Werkzeug Gottes. Du weißt nicht einmal, was das heißt. Du bist doch nur ein Junge, du weißt rein gar nichts.

Das erste Licht war schon da, als ich aufwachte. Die Erde war lila. Ich machte noch einmal Feuer, um eine Dose Bohnen mit Speck zu erhitzen, merkte aber dann, dass ich keinen Öffner und kein Messer hatte. Der Öffner war nicht so schlimm, ich hatte ja kaum Dosen, aber ohne Messer steckte ich wirklich in der Scheiße. Es war wie ein Arschtritt. Ich konnte nicht glauben, dass ich so blöd war. Keinen Wasserrucksack und kein Messer, was für ein Flachwichser.

Ich aß ein paar Nudeln trocken, aber die machten mich so durstig, dass ich schockierend viel aus meiner Wasserflasche soff. Wäre ich doch bloß tags zuvor in dieses verlassene Farmhaus gegangen und hätte mir eine Klinge besorgt. In der Küche war sicher noch was rumgelegen, oder auch in den Schuppen. Und jetzt kam zwischen mir und dem verdammten Bali bestimmt kein Farmhaus mehr.

Als die Sonne aufging, sah ich, dass auf dem Boden und dem Totholz überall Millionen von Spinnennetzen glitzerten. Wie der Silberstreif, von dem die Leute reden. Und ich hatte das Gefühl, dass ich es vielleicht doch schaffe. Also machte ich mich auf.

Nach ungefähr einer Stunde kam ich zu einer kleinen, kiesigen Lichtung mit ein paar Platten verrosteten Wellblechs und ein paar Drahtrollen. Sah aus wie die Überreste eines Goldsucherlagers. Gruben und Löcher und kleine Haufen aus Steinen und Erde und ein halb eingefallener Schacht. Sah nicht so aus, als wäre da jemand durchs Buddeln reich geworden. Sah auch nicht so aus, als hätte man sich richtig Mühe gegeben. Aber in dem ganzen Schrott fand ich einen verbogenen, metallenen Zaunpfosten, und er war an einem Ende schartig, weil ihn anscheinend irgendein Trottel mit einem Vorschlaghammer krumm geschlagen hatte, und deshalb benutzte ich ihn, um meine Dosen aufzumachen. Aß die Bohnen mit Speck kalt. Saß dabei in einem Graben voller Flaschen. Und es schmeckte ganz anständig. Ich öffnete die Ananasstücke und das Corned Beef und stellte sie so in meinen Rucksack, dass nichts herauslaufen konnte. Ich hatte nicht vor, einen Zaunpfosten als Dosenöffner mitzuschleppen.

Aber dann holte ich die Dosen wieder heraus und leerte den Rucksack ganz aus und schaute mir an, was ich alles hatte. Neben dem Corned Beef und den Ananasstückchen hatte ich vier Orangen, eine Zwiebel, ein zweites Paket Nudeln, ein Feuerzeug, zwei Streichholzschachteln, zwei Geschirrtücher, eine Rolle Klopapier und die Munition. Ich hatte das Fernglas um den Hals, die Wasserflasche in der Hand und das Gewehr am Riemen über der Schulter. Es war zu viel zum Tragen, aber bei weitem nicht genug, um mich am Leben zu erhalten. Ich hatte vielleicht noch zwei Liter Wasser übrig. Und keinen Hut und kein Messer, was für ein Idiot.

Wegen der Stiefel mit den Stahlkappen war ich mir auch nicht mehr so sicher. Das Gelände hier draußen war zwar schwierig, aber in den Vans wäre das Gehen sicher leichter gewesen. Meine Füße taten weh und meine Schultern ebenfalls, aber hierzubleiben brachte nichts. Mit dem Essen, das ich hatte, schaffte ich noch gut zwei Tage, vielleicht noch ein paar mehr, doch wenn ich morgen nichts zu trinken fand, steckte ich im tiefsten Scheißloch, das je gegraben wurde. Ich kam nicht drum herum, ich brauchte ein Bohrloch oder einen Tank, sonst war ich im Arsch. Die Chancen dafür standen nicht so toll, aber wenn ich kein Wasser fand, musste ich einpacken, zum Highway gehen und ein Auto anhalten. Und dann würde eins zum anderen führen. Wie man es auch drehte und wendete, ab diesem Punkt war es vorbei.

Ich machte mich auf den Weg. Ich war stinksauer auf mich selber, vor allem wegen des Messers. Aber die Wut trieb mich vorwärts, und zwar heftig.

Am Nachmittag hörte ich weit links von mir die Lastzüge über die Straße donnern, und ich schätzte, dass ich an der Stelle, wo der Highway zum Goldland abbiegt, auf ihn stoße. Seit eineinhalb Tagen hatte ich keinen Zaun mehr gesehen. Ich war genau richtig gegangen. Und es brachte nichts, mir zu überlegen, wie schnell ich in einem Auto hierhergekommen wäre.