Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt - Gunter Woelky - E-Book

Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt E-Book

Gunter Woelky

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Beschreibung

Die Impression (Beobachtungen der Außenwelt und inneren Prozesse; teilweise psychologisch erklärt, manchmal absurd) umfassen einen Zeitraum von 20 Jahren und nehmen wenig Notiz an der politischen Wirklichkeit.

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Gunter Woelky

Die Innenwelt der Außenweltder Innenwelt

Impressionen 1995 bis 2020

Gunter Woelky

Die Innenwelt der Außenweltder Innenwelt

Impressionen 1995 bis 2020

© 2020 Dr. Gunter Woelky

1. Auflage 2020

Umschlagbild, Fotografien und Zeichnungen vom Autor

Verlag und Druck: Tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. d-nb.de abrufbar.

978-3-347-01694-1 (Paperback)

978-3-347-01695-8 (Hardcover)

978-3-347-01696-5 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und Veröffentlichungen.

Anmerkung: Der Text zitiert im ersten Teil einige Impressionen der „Betrachtungen von Ebbe und Flut“, 1995 (vergriffen) des Autors.

I. Die Innenwelt der Außenwelt

 

Am Abend, bei der Betrachtung eines Tages mit seinen unendlich vielen Sekunden, komme ich nicht umhin, mir vorzuwerfen, wieviel ich unterlassen habe. Was zu leisten wäre ich doch in der Lage gewesen! Und was habe ich stattdessen tatsächlich getan?

Jeden Morgen weiß ich, es ist Zeit zum Aufstehen. Selten weiß ich wirklich, wozu.

Wie sollte jemand, der sich ein viertel Jahrhundert mühe – voll durch sich hindurchgearbeitet hatte, dahinterkommen, auf welche Weise sein Unbehagen in nichts Anderem begründet war als in einem tiefsitzenden Phlegma? So tiefsitzend, dass jegliche von der eigenen Überzeugung abweichende Meinung als Beunruhigung erlebt und damit abgelehnt wurde, weil am Ende, angenommen es kam zu einer Diskussion, nur klar wurde, dass er nichts wirklich überlegt hatte, und dass überhaupt keine wirklich durchdachte Meinung vorhanden war, die über die Akzeptanz der Grundbedürfnisse hinausging. So standen all seine Aktivitäten, seine ganze Arbeitswut, seine Konfliktvermeidungsbemühungen, die Sucht nach Betäubung durch Alkohol und Zigaretten, seine Karriere, die er nicht mittels Begabung machte, sondern trotz dieser, sein Hang zu leichten Erkrankungen, aufgrund derer er mit sich allein bleiben konnte, ohne die Anstrengung der Genesung auf sich nehmen zu müssen, so nun standen all seine Bemühungen einzig auf der Basis des tief verwurzelten Entschlusses, jegliche Anstrengung zu vermeiden. An dieser Stelle, gewissermaßen im Urschlamm seines Seins, lag der Grund für die dauernde Irritation seines Lebens, die ihn immer wieder zu zwingen schien, das Augenmerk auf sich selbst zu richten. Denn weil er auch den Gedanken, was denn wohl die Ursache seiner Verunsicherung sein könnte, aus Gründen des Phlegmas nicht konsequent zu Ende dachte, weil er nie entschlossen genug und mit wirklicher Anstrengung sich selbst anblickte, blieb er ein oberflächlicher Mensch, der letztlich nur spontan reagierte. Selbst wenn er für den erfolgreichen Abschluss bestimmter Aktivitäten planen musste, führte er diese Planung mit dem geringsten denkbaren Aufwand durch. Natürlich entstanden auf diese Weise mancherlei Unzulänglichkeiten. Um diese auszugleichen, entwickelte er eine tiefe Abneigung gegen jede Form des Perfektionismus. Er liebte die Improvisation, was ihm die kleineren Fehler bedeutungslos und die größeren erträglich machte. Lange Zeit war er mit seinem Phlegma recht erfolgreich gewesen. Aber, nach Jahrzehnten der Täuschung, vor allem der Selbsttäuschung, spielte ihm besonders das Berufsleben neue und andere Bedingungen zu, die sein Konzept auf die Probe stellten: Er traf immer häufiger auf Leute mit handfester Kompetenz. Vor allem auf solche, die ihre Kompetenz mit allen Mittel unter Beweis stellten und angemessene Reaktionen erwarteten. Menschen, die auf seine Ungenauigkeit aggressiv reagierten, was zu einer Bedrohung seines Phlegmas wurde. Schon dadurch wurde er extrem angreifbar und überempfindlich, er musste verteidigen, wovon er wenig hatte, nur um dieses Wenige zu erhalten. Gefühle ausgeprägten Ärgers oder gar des Hasses ließ er nicht zu. Solcherart Regungen hätten ihn zum Handeln gezwungen. Weil aber ein Teil seiner Seele das Spiel bemerkte, ihn jedoch nicht wissen ließ, dass es ein falsches Spiel war, ließ ihn ein anderer Teil der Seele sich schuldig fühlen. Das allein verhinderte jegliche Fähigkeit zum Gegenangriff. Jeder, der von ihm etwas haben wollte, konnte Schuldgefühle in ihm wecken, die er gegen nichterbrachte Leistung tauschte. Also befand er sich in fortwährender, aber unwirksamer Verteidigung. Seine Verteidigungsunfähigkeit dehnte sich auf der Grundlage seines Schuldgefühls im Verlauf seines Lebens immer weiter aus. Manchmal führte sie, bei besonders heftigen Angriffen, zur völligen Erstarrung. Das Phlegma wurde über die Unfähigkeit zu jedweder Tätigkeit ein Signum der Wertlosigkeit seines Besitzers. Und weil niemand auf Dauer nur mit Schuld leben kann, schuf er sich aus dem Gefühl der kontinuierlichen Niederlage ein wirksames Gegenmittel: Überheblichkeit. Ein wiederum anderer Teil seines Gemüts war tatsächlich davon überzeugt das Meiste besser zu wissen als andere Menschen.

Was kommt nach dem Kali Yuga, wie die Hinduisten das ausklingende Zeitalter nennen? Sie glauben, mit ihm geht jetzt ein dunkles Zeitalter zu Ende. Ich weiß es nicht, was dann kommt, aber es kann nur besser werden. Oder es wird nichts mehr.

Nichts existiert ohne seinen Gegensatz. Warum war er fleißig, engagiert, interessiert, bescheiden? Was machte er mit dem inneren Raum, der durch seine Leidenschaftslosigkeit entstanden war? Wie füllte er das Vakuum, ohne sein Phlegma zu verlassen? Womit beschäftigte er sich?

Die Vorstellung, dass alle jemals gemachten Erfahrungen im Unbewussten gespeichert sein sollen, versetzt ihm von Zeit zu Zeit einen größeren Schrecken als die Erkenntnis, etwas Wichtiges vergessen zu haben.

Woran mag es liegen, dass ein gestern noch mit voller Überzeugung geschriebener Satz am nächsten Tag mit einem einzigen Tastendruck nahezu gleichgültig aus dem Manuskript entfernt wird? Irgendwie scheinen wir nachts Belehrungen zu empfangen und stehen klüger auf als vor dem Schlafengehen. Ein tröstlicher Gedanke.

Jemand meinte, man müsse zu diesem oder jenem Thema den Gedankenprozess in Bewegung setzen, um eine Lösung zu finden. Wie denkt man? Ist es nicht ein Vergleichen von Möglichkeiten, die bestimmte Vorstellungen von Ergebnissen simulieren? Wie kommen diese Möglichkeiten zustande? Welcher Gestalt sind diese Möglichkeiten? Haben sie eine Form? Was ist hinter der Sprache? Etwas, was wir nicht kennen. Oder haben wir nur nicht genau genug hingesehen, um zu erkennen, dass es Bilder sind? Nein, dann wäre kein Geruch oder Geschmack zu erinnern ohne das Bild seines Ursprungs.

Ein Lob richtig genießen zu können, sich zu freuen, heißt, dafür empfänglich zu sein. Er sucht in sich die Instanz, die für diese Empfänglichkeit verantwortlich wäre. Stattdessen findet er den Teil, der für die Empfänglichkeit von Kritik zuständig ist. Dieser Teil ist über die Jahre gewachsen, leise und unbemerkt. Jetzt füllt er allen Raum.

Er hat gelernt, seine Träume zu erinnern. Es begann mit der Entscheidung, sie aufzuschreiben. Neben seinem Bett liegen Papier und Kugelschreiber bereit. Wenn er will, wacht er nachjedem Traum auf, weil er es sich vor dem Einschlafen vorgenommen hat. Nach dem Aufwachen rührt er sich nicht. Wie erstarrt liegt er im Bett und lässt den Traum rückwärtslaufen, zunächst ohne die Absicht, ihn zu verstehen. Er weiß, die Sprache der Seele, die sich der Bilder, der Töne, des Fühlens bedient, ist nicht auf Anhieb plausibel.

Er hat sich ein eigenes Traumwörterbuch zugelegt. Viele Träume versteht er Wochen später, manche enträtselt er erst nach Jahren. Oder nie. Er träumt oft von Ereignissen, die später eintreffen werden. Und von solchen, von denen er hofft, sie würden nie geschehen.

Er weiß die Behutsamkeit seiner Träume ebenso zu schätzen wie deren Heftigkeit. Beim Träumen ist es, als würde die Seele in Szenarien leben und ausprobieren, was sich der bewusste Verstand tagsüber nicht gestattet. Die Träume muten ihm nur das zu, was er aushalten kann.

Nicht selten träumte er von schrecklichen Dingen, die gut verpackt genießbar aufbereitet wurden. Seitdem er seinen Träumen Aufmerksamkeit schenkt, sind die Alpträume weniger geworden. Träume verhalten sich wie Menschen, denkt er. Bei Missachtung werden sie rebellisch. Oder sie bleiben weg.

Jahrelang bemühte er sich, den Klang seiner inneren Stimme zu beschreiben. Was er herausfand: Es ist nicht der Klang seiner eigenen Stimme, noch hat seine Stimme den Klang irgendeines Menschen, den er kennt. Schließlich entschied er sich, dieser Stimme keine ihm bekannte Herkunft zuzuordnen. So blieb sie fremd und verschaffte sich Gehör. Dem Vertrauten schenken wir selten Beachtung. Zu Unrecht langweilt es uns.

Noch nach Jahrzehnten kann ich mich an den Klang der Kirchenglocken erinnern, die mich in der Kindheit sonntags am frühen Morgen aus den bebilderten Träumen in die Wirklichkeit zurückholten, und es ist ausschließlich der erinnerte Ton, der mich wie mit eigener Stimme ermahnt, das gesprochene oder geschriebene Wort nicht als etwas zu nehmen, was allein als Ausdruck des Denkens bezeichnet werden darf.

Er dachte, er würde immer einen entspannten Gesichtsausdruck haben, bestenfalls einen fröhlichen. Und wunderte sich plötzlich darüber, dass mit dem Älterwerden sich von den Mundwinkeln aus abwärts feine Linien abzuzeichnen begannen.

Auf ihrem fünfundfünfzigsten Geburtstag überraschte ihn eine Freundin mit dem Vorsatz, nicht mehr zu lügen. Daraufhin fragte er sich, wie oft er von ihr getäuscht worden sei. Die Möglichkeit, dass es überhaupt so sein könne, war ihm bis dahin nie in den Sinn gekommen. Dann überprüfte er das Ausmaß seiner eigenen Unaufrichtigkeiten und verließ mit vollen Händen eigener Lügen das Haus.

Manchmal, wenn ich eine jahrzehntealte Idee endlich in die Tat umsetze, lege ich die Musik auf, die mir damals, als ich die Idee hatte, am liebsten war. Mein Sturz in die Vergangenheit vollzieht sich im Handumdrehen, die Musik scheint die verstrichene Zeit völlig zu absorbieren und ich fühle die Aufbruchsstimmung eines jüngeren Mannes.

Gemessen an den ungenutzten Möglichkeiten, eine Reihe von wirklich üblen Aktivitäten auf die Beine zu stellen, könnte er sein Leben als eine Kette von beachtlichen Erfolgen und guten Taten betrachten.

Sieht er die Notwendigkeit, ein paar vielleicht gute Ideen endlich zu realisieren, schleppt er sich, enttäuscht die eigene Gleichgültigkeit sehend, hin zu seinen Büchern.

Japanische Wände: Man kann durch sie hindurchhören, aber nicht hindurchsehen. Lächerlich, als ob man das Ohr leichter betrügen könnte als das Auge.

Früher hatte er einmal geglaubt, die Folgerichtigkeit der Welt sei so zwingend, dass ein einmal begonnener Text nur ein einziges Ende haben könne.

Gelegentlich weigert er sich, aus seinen Erfahrungen zu lernen und sie ins Leben zu integrieren. Er weiß nicht warum. Leider gilt das auch für die guten Erfahrungen.

Er hat es lieber, wenn seine Frau Besuch bekommt – nicht er. Dann kann er einfach nur dabeisitzen und hat keine Verantwortung.

Gedanken, die er nicht freiwillig denkt: Sie kommen ihm, ohne dass er sie abstellen kann. Hin und wider, beispielsweise beim Spazierengehen, treten zwei Stimmen gegeneinander an: seine und die eines anderen. Diese Debatten verliert er immer.

Er hat viele Ideen, was er machen könnte. Vermutlich interessiert ihn nichts wirklich.