Die Katze, die von Büchern träumte - Sosuke Natsukawa - E-Book

Die Katze, die von Büchern träumte E-Book

Sosuke Natsukawa

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Großvater sagte immer: »Bücher besitzen eine besondere Macht. Wenn du sie liest, wirst du immer einen Freund zur Seite haben.«

Ein kleiner Buchladen in Japan, hohe Holzregale mit seltenen Erstausgaben, eine Tasse Tee, zubereitet nach traditioneller Zeremonie: Das ist das Reich von Rintaro und seinem Großvater. Als der alte Herr stirbt, ist der stille Schüler auf sich allein gestellt. Was soll er mit dem Laden anfangen, der schon lange keinen Gewinn mehr abwirft? Was mit sich selbst, mit seinem Leben ohne den Großvater und dessen Ruhe und Lebensweisheit? Rintaro versteckt sich vor der Welt, verkriecht sich zwischen den fast vergessenen Buchschätzen. Auch seine Klassenkameradin Sayo, die sich Sorgen macht, vermag es nicht, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken. Bis eines Tages eine Katze im Buchladen auftaucht – eine sprechende Katze, die Rintaro eindringlich um Hilfe bittet: Die Bücher sind in Gefahr – und nur ein wahrer Buchliebhaber wie er, der die Liebe zum gedruckten Wort von seinem Großvater verinnerlicht hat, kann sie retten …

Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie – für alle, die Der kleine Prinz und Momo geliebt haben und für die Bücher einfach das Schönste auf der Welt sind.

»Dieses charmante Juwel aus Japan wird das Herz jedes Buchliebhabers erobern.« Library Journal

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 235

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Großvater sagte immer: »Bücher besitzen eine besondere Macht. Wenn du sie liest, wirst du immer einen Freund zur Seite haben.«

Ein kleiner Buchladen in Japan, hohe Holzregale mit seltenen Erstausgaben, eine Tasse Tee, zubereitet nach traditioneller Zeremonie: Das ist das Reich von Rintarō und seinem Großvater. Als der alte Herr stirbt, ist der stille Schüler auf sich allein gestellt. Was soll er mit dem Laden anfangen, der schon lange keinen Gewinn mehr abwirft? Was mit sich selbst, mit seinem Leben ohne den Großvater und dessen Ruhe und Lebensweisheit? Rintarō versteckt sich vor der Welt, verkriecht sich zwischen den fast vergessenen Buchschätzen. Auch seine Klassenkameradin Sayo, die sich Sorgen macht, vermag es nicht, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken. Bis eines Tages eine Katze im Buchladen auftaucht – eine sprechende Katze, die Rintarō eindringlich um Hilfe bittet: Die Bücher sind in Gefahr – und nur ein wahrer Buchliebhaber wie er, der die Liebe zum gedruckten Wort von seinem Großvater verinnerlicht hat, kann sie retten …

Eine zauberhafte Hommage an die Macht der Literatur und der Fantasie – für alle, die Der kleine Prinz und Momo geliebt haben und für die Bücher einfach das Schönste auf der Welt sind.

»Dieses charmante Juwel aus Japan wird das Herz jedes Buchliebhabers erobern.« Library Journal

SOSUKENATSUKAWA ist Arzt und lebt und arbeitet in Nagano. Bereits sein erstes Buch wurde in Japan zu einem Bestseller, der sich über 1,5 Millionen Mal verkaufte. Mit Die Katze, die von Büchern träumte gelang ihm der internationale Durchbruch. Das Buch wurde in 34 Länder verkauft, gilt damit als eines der erfolgreichsten Bücher aus Asien in den letzten Jahren und eroberte weltweit die Bestsellerlisten.

»Bücher sind meine besten Freunde. Ich habe so viel durch sie gelernt: Anstand, Selbstachtung, Urteilsvermögen und das Wesentliche im Leben zu erkennen. Ich wünsche mir, dass die Leser auch in meinem Buch einen guten Freund finden.« Sosuke Natsukawa

www.cbertelsmann.de

SOSUKE NATSUKAWA

Die

KATZE,

die von

BÜCHERN

TRÄUMTE

Roman

Aus dem Japanischen

von Sabine Mangold

Die Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel HON O MAMOROUTOSURUNEKONOHANASHI

bei Shōgakukan, Tokio.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe

by Sosuke Natsukawa 2017. All rights

reserved. Original Japanese edition published by SHOGAKUKAN.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022 by

C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

German edition arranged with SHOGAKUKAN, through

EMILYPUBLISHINGCOMPANY, LTD. and CASANOVAS

& LYNCHLITERARYAGENCY S.L

Covergestaltung und -motiv: Sabine Kwauka

unter Verwendung von Motiven von © shutterstock

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN 978-3-641-27400-9V002

www.cbertelsmann.de

PROLOG

WIE ALLES BEGANN

Damit fing es an: Großvater war nicht mehr da.

Auch wenn dies ein ziemlich misslicher Ausgangspunkt für eine Geschichte sein mag, handelte es sich doch um eine unstrittige Tatsache. Etwa so, wie morgens die Sonne aufgeht oder man mittags Hunger verspürt – eine Tatsache also, an der nicht zu rütteln war.

Da half es weder, die Augen zuzukneifen, noch sich die Ohren zuzustopfen, um auf ahnungslos zu machen. Sein Opa würde nicht zurückkehren.

Angesichts dieser traurigen Gewissheit verfiel Rintarō Natsuki in stumme Apathie.

Für einen Außenstehenden muss er wie ein äußerst gefasster Junge gewirkt haben. Einige der Trauergäste fanden seinen Anblick wahrscheinlich sogar ein wenig befremdlich. Rintarōs Benehmen erschien ihnen einfach zu ruhig für einen Schüler der Oberstufe, der so plötzlich und unerwartet einen Angehörigen verloren hatte.

Eine unergründliche Aura umgab ihn, als er wie angewurzelt in der Ecke der Trauerhalle stand und zum Bild des Verstorbenen hochblickte.

Das bedeutete jedoch keineswegs, dass Rintarō auch sonst ein besonnener und gelassener Junge war. Er konnte einfach nur den abstrakten Begriff Tod nicht mit seinem etwas weltfremden Großvater, der stets über alle Dinge erhaben zu sein schien, in Verbindung bringen.

Rintarō war immer davon ausgegangen, dass der Tod nicht so ohne Weiteres in das geruhsame Leben des Großvaters, das jener geduldig, ohne zu murren geführt hatte, eingreifen könne. Deshalb erschien ihm nun der Anblick des aufgebahrten alten Mannes, der plötzlich aufgehört hatte zu atmen, wie eine schlechte Aufführung, wie ein Schmierentheater.

Tatsächlich sah der Großvater im weißen Sarg aus wie immer, als wäre ihm nichts widerfahren.

Sein Enkel konnte sich sogar lebhaft ausmalen, wie er sich brummelnd vom Stuhl erhob, Wasser auf dem Ölofen zum Kochen brachte und dann mit geübten Bewegungen Tee aufbrühte.

Aber die Wirklichkeit strafte seine Vorstellung Lügen.

Sein Opa würde nie mehr die Augen öffnen und auch nie mehr seinen geliebten Teebecher in die Hand nehmen. Stattdessen lag er still da, in feierlicher Würde aufgebahrt.

In der Halle war das einschläfernde Gemurmel der monotonen Sutrenrezitation hörbar, während die an Rintarō vorübergehenden Trauergäste ab und zu etwas zu ihm sagten.

Damit fing also alles an: Großvater war nicht mehr da.

Diese Tatsache verankerte sich allmählich in Rintarōs Herz.

»Warum tust du mir das an, Opa?«, gelangte schließlich ein Raunen über seine Lippen, aber es kam keine Antwort zurück.

Rintarō Natsuki war ein durchschnittlicher Schüler der Oberstufe.

Klein von Statur, trug er eine Brille mit starken Gläsern, hatte eine blasse Gesichtsfarbe, war nicht sehr gesellig und ziemlich unsportlich. Weder hatte er ein Lieblingsfach noch eine Lieblingssportart. Kurzum: Er war ein unscheinbarer Teenager.

Die Eltern hatten sich früh scheiden lassen, und kurz darauf starb seine Mutter. Seit dem Grundschulalter hatte sein Großvater sich dann um ihn gekümmert.

Für einen Pubertierenden sicherlich eine ungewöhnliche Situation, aber Rintarō selbst empfand seinen Alltag als ganz normal.

Mit dem Tod des Großvaters wurde die Angelegenheit jedoch etwas komplizierter.

Immerhin starb er plötzlich und unerwartet.

An einem außergewöhnlich kalten Wintermorgen traf er den Großvater, der eigentlich ein Frühaufsteher war, nicht wie üblich in der Küche an.

Als Rintarō verwundert im schummrigen Tatami-Zimmer nach ihm schaute, lag sein Opa reglos auf dem Futon. Sein Atem hatte bereits ausgesetzt. Er zeigte keine Spur eines qualvollen Todes, sondern lag da wie eine Statue, und der aus der Nachbarschaft herbeigeeilte Arzt vermutete, dass er, ohne Schmerzen zu erleiden, an einem plötzlichen Herzinfarkt gestorben sei.

»Er ist friedlich aus dem Leben geschieden«, fügte er hinzu.

Bei dieser ambivalenten Umschreibung für den Tod, die noch auf das Leben anspielte, empfand Rintarō ein leises Befremden, das ihn in seiner Schockstarre doch ein wenig aufwühlte.

Offenbar hatte der Arzt sogleich die Problematik von Rintarōs Situation erfasst, denn schon bald darauf eilte eine Verwandte, die sich als seine Tante vorstellte, aus der Ferne herbei.

Die gutmütig aussehende Dame organisierte dann alles – über Formalitäten wie die Sterbeurkunde bis hin zur Bestattung und anderen Feierlichkeiten – flott und routiniert.

Rintarō, nun offiziell unter ihrer Obhut, dachte durchaus daran, bei der Beerdigung einen Anflug von Trauer zeigen zu müssen, auch wenn er tatsächlich nichts dergleichen verspürte.

Andererseits erschien es ihm unnatürlich, wenn er vor dem Porträt des Verstorbenen nun bitterlich zu weinen anfinge. Es wäre lächerlich und verlogen. Vielmehr konnte er sich gut vorstellen, wie sein Opa im Sarg ihn mit einem gequälten Lächeln zurechtweisen würde: »Ach, lass das doch!«

Deshalb verabschiedete Rintarō den Großvater am Schluss auf seine eigene diskrete Art.

Nach diesem letzten Geleit erwarteten ihn seine Tante, die ihn mit besorgter Miene betrachtete, und ein Laden.

Der Laden besaß zwar nicht den Wert einer lohnenden Erbschaft, aber war auch nicht als finanzielle Bürde einzustufen. Es handelte sich um ein kleines Antiquariat namens ›Buchhandlung Natsuki‹, versteckt gelegen in einem Winkel der Stadt.

*

»Natsuki, hier steht aber eine ganze Reihe guter Bücher im Regal«, hörte er eine männliche Stimme hinter sich sagen.

Ohne sich umzuwenden, blickte Rintarō am großen Regal hoch und erwiderte lakonisch: »Findest du?«

Vor ihm ragte vom Boden bis zur Decke eine riesige Bücherwand empor, vollgestopft mit Unmengen an Bänden.

Shakespeare, Wordsworth, Dumas, Stendhal, Faulkner, Hemingway, Golding und so weiter, um nur einige namhafte zu nennen. Unzählige Meisterwerke von Weltrang blickten in ihrer majestätischen Würde auf Rintarō herab. Es waren alles antiquarische Exemplare, die ein beachtliches Alter auf dem Buckel hatten, aber dennoch wirkten sie nicht schäbig, was der unermüdlichen täglichen Pflege seines Großvaters zu verdanken war.

Der ebenfalls in die Jahre gekommene Ölofen zu seinen Füßen glühte rot, und obwohl er einwandfrei funktionierte, ließ die Wirkung leider zu wünschen übrig: Im Laden war es ziemlich kühl. Rintarō wusste jedoch, dass diese spürbare Kälte nicht allein von der Zimmertemperatur herrührte.

»Ich nehme die beiden. Was macht das zusammen?«

Auf die Frage hin wandte Rintarō leicht den Kopf und kniff die Augen zusammen.

»3200 Yen«, erwiderte er leise.

»Phänomenal, dein Gedächtnis!«

Das trockene Lachen kam von Ryota Akiba, der eine Klasse über ihm war. Der große und schlanke Junge hatte einen klaren Blick und verfügte über eine gute Dosis gelassenen Selbstbewusstseins, ohne dabei arrogant oder gehässig zu wirken. Jahrgangsbester und Kapitän des Basketballteams in einer Person. Außerdem war er der Sohn eines in der Stadt niedergelassenen Arztes und engagierte sich auch außerhalb der Schule mit großem Erfolg, sodass er so ziemlich das genaue Gegenteil von Rintarō darstellte.

»So, hier noch ein paar besondere Fundstücke«, sagte Ryota, während er etwa ein halbes Dutzend Bücher auf die Verkaufstheke stapelte.

Neben seinen intellektuellen und sportlichen Fähigkeiten war der ältere Mitschüler auch erstaunlich belesen und gehörte zu den wenigen Stammkunden im Antiquariat Natsuki.

»Wirklich eine tolle Buchhandlung.«

»Danke. Du kannst dir Zeit lassen beim Stöbern. Es ist Räumungsverkauf, da wir den Laden bald schließen.« Rintarōs monotone Sprechweise machte es schwer herauszuhören, ob er es ernst meinte oder sich einen Scherz erlaubte.

Ryota, einen Moment lang sprachlos, erwiderte in zurückhaltendem Ton: »Das ist ein harter Brocken, die Sache mit deinem Opa.«

Sein Blick wanderte zum Regal zurück, als würde er beiläufig die Buchrücken studieren.

»Bis vor Kurzem hat er noch hier gesessen und seelenruhig in den Büchern geblättert, und dann so plötzlich …«

»Ja, das stimmt.«

Rintarōs Beipflichten war weder freundlich gemeint, noch bedankte er sich für die Anteilnahme, es war eine reine Höflichkeitsfloskel. Ryota scherte sich jedoch nicht weiter darum, sondern blickte den jüngeren Mitschüler an, der zum Regal hochschaute.

»Nicht so gut ist allerdings, dass du seit dem Tod deines Großvaters unentschuldigt die Schule schwänzt. Wir machen uns alle Sorgen um dich.«

»Alle? Wen meinst du? Ich wüsste nicht, dass ich Freunde habe, die sich Sorgen um mich machen.«

»Stimmt, du hast ja kaum Freunde. Dann kannst du ja frei schalten und walten, so ganz ohne Verpflichtungen«, schien der Ältere sich selbst zu bestätigen. »Aber dein Großvater grämt sich bestimmt deswegen. Und vor lauter Sorgen findet er nicht seinen himmlischen Frieden, sondern geistert ziellos im Haus herum. Glaubst du nicht? Ich würde den alten Herrn nicht allzu sehr damit belasten.«

Es waren zwar schroffe, unmissverständliche Worte, aber in Ryotas Stimme schwang auch leise Anteilnahme und Fürsorge mit.

Vielleicht lag es an seiner persönlichen Verbindung zum Antiquariat Natsuki, dass er als älterer Mitschüler sich unerwartet um den Jüngeren, der sich allzu sehr einzuigeln begann, derartig Sorgen machte. Auch in der Schule sprach er ihn für gewöhnlich ganz offenherzig an, und nun, da Ryota in dieser schwierigen Zeit dem Buchladen einen Besuch abstattete, war seine Fürsorge noch deutlicher herauszuhören.

Nachdem er den schweigenden Rintarō eine Weile gemustert hatte, fuhr er schließlich fort: »Du, sag mal, stimmt das? … Ziehst du tatsächlich weg?«

Rintarō starrte weiterhin die Bücherwand an und wiegte den Kopf.

»Es wurde vereinbart, dass ich zu meiner Tante ziehe.«

»Und wo ist das?«

»Keine Ahnung. Ich habe meine Tante erst jetzt kennengelernt. Daher weiß ich noch gar nicht, wo sie wohnt.«

Die ausdruckslose Sprechweise machte es dem Mitschüler schwer, Rintarōs wahre Gefühle herauszuhören.

Ryota zuckte kurz mit den Achseln und schaute auf das Buch, das er in der Hand hielt. »Deshalb der Ausverkauf.«

»So ist es.«

»Es gibt keine vergleichbare Buchhandlung, die so gut sortiert ist wie diese. Heutzutage ist es eine Seltenheit, wenn ein Antiquariat eine Hardcover-Gesamtausgabe von Prousts Werken im Bestand hat. Oder Die verzauberte Seele von Romain Rolland, was ich lange gesucht und schließlich hier gefunden habe.«

»Darüber hätte sich mein Großvater sicherlich gefreut.«

»Wenn er noch am Leben wäre, könnte ich ihm noch mehr Freude bereiten. Für mich war es doch immer sehr nützlich, dich aus der Schule zu kennen, denn so bin ich leicht an kostbare Bücher herangekommen. Und nun das …«

Ryotas unverblümte Worte warfen ein neues Licht auf seine vorgebliche Einfühlsamkeit, doch Rintarō war nicht schlagfertig genug für ein geistreiches Kontra. Er fixierte bloß weiterhin die Bücher in den oberen Fächern.

Auch wenn es sich um ein Antiquariat handelte, war es doch erstaunlich, heutzutage mit einer solchen Sammlung überhaupt Geschäfte gemacht zu haben. Es war ein Bücherschatz, der nichts mit aktuellen Trends zu tun hatte, und nicht wenige Titel wurden gar nicht mehr aufgelegt. Viele galten bereits als vergriffen. Insofern zeugten Ryotas gut gemeinte Worte davon, dass er sich tatsächlich mit Büchern und antiquarischen Ausgaben gut auskannte.

»Wann soll denn der Umzug sein?«, fragte er nun.

»Vielleicht schon nächste Woche.«

»Vielleicht …? Typisch! Du tust ja so, als ginge dich das alles gar nichts an.«

»Was bleibt mir anderes übrig? Schließlich habe ich ja keine Wahl.«

»Hm, mag sein …« Mit einem erneuten Schulterzucken ließ Ryota seinen Blick über den kleinen Wandkalender gleiten, der neben der Theke hing. »Ach, nächste Woche ist schon Weihnachten! Das wird ja dann auch für dich ein ziemlicher Stress werden.«

»Das macht mir nichts aus. Im Unterschied zu dir habe ich ja keine Verpflichtungen.«

»Da hast du recht! Ja, es wird ziemlich anstrengend für mich, da ich alle möglichen Verabredungen unter einen Hut bringen muss. Ich wünschte, ich könnte auch mal am Heiligabend allein in aller Ruhe auf den Weihnachtsmann warten.« Ryota lachte kurz auf, was Rintarō lediglich ein trockenes »Ach ja?« entlockte.

Der Ältere wirkte leicht enttäuscht über die dürftige Reaktion und seufzte.

»Für dich gibt es derzeit vermutlich keinen Grund, dich in der Schule abzurackern, aber wie es so schön heißt: Ein Vogel sollte sein Nest säubern, bevor er es verlässt. Außerdem gibt es doch jemanden in deiner Klasse, der sich deinetwegen erhebliche Sorgen macht.« Ryota blickte flüchtig zur Theke, wo ein paar Kopien vom Lernstoff sowie eine dicke Kladde lagen. Letztere war die Anwesenheitsliste.

Er spielte darauf an, dass nicht er die Unterlagen aus der Schule mitgebracht hatte. Sie waren vor ein paar Minuten von der Klassensprecherin bei Rintarō abgeliefert worden.

Sie hieß Sayo Yuzuki, wohnte in der Nachbarschaft, und sie kannten sich bereits seit der Grundschule. Allerdings fühlte sich das burschikose, unkomplizierte Mädchen dem wortkargen Stubenhocker nicht sonderlich verbunden.

Auch als sie ihm die Unterlagen gebracht hatte und Rintarō nur geistesabwesend die Bücherwand angestarrt hatte, war ihr ein resignierter Seufzer entfahren.

»Wieso lungerst du hier rum, wo du doch … Ist alles okay?«, hatte sie mit missbilligendem Stirnrunzeln, das sie gar nicht erst zu verbergen versuchte, zu Rintarō gesagt. Als der bloß leicht verwirrt den Kopf geneigt hatte, bemerkte sie Ryota, der im Hinteren des Antiquariats nach Büchern suchte.

»Findest du es in Ordnung, hier mit ihm die Zeit zu vertrödeln? Die Basketballmannschaft vermisst dich schon!«, hatte sie den älteren Mitschüler angefahren und war nach dieser ungenierten Ansprache aus dem Laden gerauscht.

Typisch Sayo! Rintarō schätzte ihre ungezwungene Art, die ihm natürlicher erschien als überschwängliche Besorgnis oder übertriebene Mitleidsbekundungen, obwohl sie ihnen beiden gegenüber so ruppig aufgetreten war.

»Die resolute Klassensprecherin, durch und durch«, hatte Ryota gelacht.

»Sie hat ein großes Verantwortungsbewusstsein«, hatte Rintarō geantwortet. »Aber sie hätte den Umweg nicht extra machen müssen, um mir die Anwesenheitsliste persönlich vorbeizubringen.«

Wahrscheinlich tat sie es, weil sie in der Nähe wohnte, dachte er. Aber in dieser ungemütlich kalten Jahreszeit, wo einem draußen weiße Atemwölkchen aus dem Munde pufften, musste es doch selbst ihr lästig sein. Er wusste ihre Bemühung zu schätzen.

»Das macht dann insgesamt 6000 Yen«, verkündete Rintarō nun und erhob sich, worauf Ryota eine Augenbraue hob.

»Nicht besonders preiswert für einen Ausverkauf.«

»Das sind zehn Prozent Rabatt. Mehr gibt es nicht. Es sind schließlich alles Meisterwerke.«

»Der unbeugsame Natsuki«, rief Ryota amüsiert, während er die Scheine aus dem Portemonnaie zog. Dann nahm er Schal und Handschuhe, die er auf die Theke geworfen hatte, und schwang die Tragetasche über die Schulter.

»Und lass dich gefälligst morgen in der Schule blicken!«

Mit einem Augenzwinkern drohte er mit dem Zeigefinger und verließ den Laden.

Plötzlich herrschte Stille im Raum.

Jenseits des Holzgitters der Eingangstür schimmerte bereits rötliches Abendlicht. In der Ecke röchelte leise mahnend der Ölofen, dem der Brennstoff auszugehen drohte.

Es war Zeit, in der über dem Laden gelegenen Wohnung das Abendessen zuzubereiten. Vor dem Tod seines Großvaters war es ebenfalls seine Aufgabe gewesen, dafür zu sorgen. Insofern war es für ihn keine außergewöhnliche Tätigkeit.

Aber Rintarō machte keinerlei Anstalten, sich zu regen, und starrte weiterhin auf die Eingangstür.

Selbst als die Sonne untergegangen war und der Ölofen keine Wärme mehr spendete, blieb er im ausgekühlten Laden wie angewurzelt sitzen.

1

DAS ERSTE LABYRINTH

Die Eingesperrten

Versteckt in einer Seitenstraße der Altstadt lag die winzige Buchhandlung Natsuki.

Der Laden wirkte irgendwie eigenartig. Ein langer Schlauch vom Eingang bis nach hinten war beidseitig mit hohen, wuchtigen Regalen ausgestattet, die mit Büchern vollgestopft waren. An der Decke hingen eine Reihe Retro-Lampen, ihr Licht wurde vom polierten Holzboden sanft reflektiert. Die weitere Einrichtung des Geschäfts beschränkte sich auf einen einfachen Schreibtisch mit Stuhl für den Verkauf und die Buchhaltung. Die hintere Wand bestand aus einer rohen Bretterverschalung.

Trotz dieser tatsächlichen Sackgasse schien der Laden sich viel weiter nach hinten zu erstrecken, wenn man ihn vom hellen Eingang aus betrat, sodass die Illusion entstand, der von Büchern flankierte Gang würde wie ein endloser Tunnel in die Dunkelheit führen.

Der Anblick des Großvaters mitten im Raum, wie er still unter einem Lämpchen in einem Buch blätterte, war in Rintarōs Gedächtnis eingebrannt; fein schattiert, wie die sorgfältig gezeichneten, noblen Züge in den kunstvoll gemalten Porträts alter Meister.

»Bücher besitzen Macht.«

Das war ein typischer Ausspruch des Großvaters. Normalerweise war er einsilbig und redete kaum mit seinem Enkel, aber sobald er auf Bücher zu sprechen kam, wurden seine ohnehin schmalen Augen zu engen Schlitzen, wenn er voller Begeisterung ausrief: »Es steckt eine ungeheure Kraft in diesen alten Schriften, die Jahrhunderte überdauert haben. Wenn du diese machtvollen Bücher liest, werden dir etliche Freunde ermutigend zur Seite stehen.«

Rintarō überblickte noch einmal die hoch aufragenden Bücherwände.

Es gab weder aktuelle Bestseller noch populäre Mangas oder Zeitschriften. In einer Zeit, wo sich Bücher generell nicht mehr so gut verkauften, äußerten sich Stammkunden hin und wieder besorgt über das Fortbestehen des Antiquariats, doch der gebrechliche alte Inhaber nickte nur kurz zum Dank, machte jedoch keine Anstalten, die Werkausgabe von Nietzsche oder den abgegriffenen Gedichtband von Eliot aus dem Fach in der Nähe des Eingangs zu verbannen.

Dieser vom Großvater geschaffene Platz war eine ideale Zufluchtsstätte für den eigenbrötlerischen Jungen, dem die Schule keinen geeigneten Aufenthaltsort bot, denn hier konnte er sich nach Herzenslust in die Lektüre der Bücher vertiefen. Mit anderen Worten, in diesem Refugium fühlte er sich geschützt vor der Außenwelt. Und nun sollte er in wenigen Tagen die Buchhandlung Natsuki verlassen.

»Opa, was hast du mir nur angetan!«

In dem Moment brachte ihn ein helles Klingeln in die Wirklichkeit zurück.

Es war das silberne Glöckchen, das über dem Eingang hing. Normalerweise war dies ein Zeichen, dass ein Kunde den Laden betreten hatte, aber das konnte unmöglich sein, da das Schild ›Geschlossen‹ nach außen zeigte.

Die Sonne war bereits untergegangen, und die Nacht brach herein.

Sein älterer Mitschüler Ryota hatte doch eben erst das Antiquariat verlassen? Doch sein Gefühl trog ihn offensichtlich, denn tatsächlich musste inzwischen eine längere Zeit verstrichen sein.

Rintarō dachte, er habe sich das Klingeln der Glocke wohl eingebildet, aber als er den Blick erneut zum Regal wandern ließ, hörte er plötzlich eine Stimme sagen: »Ziemlich düster hier drinnen.«

Rintarō erschrak. Abrupt drehte er sich zum Eingang, aber da war niemand.

»Ein Jammer! Bei dieser trübseligen Beleuchtung kommt die stolze Büchersammlung gar nicht zur Geltung.«

Die Stimme schien eher aus dem Inneren des Ladens zu kommen.

Rintarō drehte hastig den Kopf, aber es war kein Mensch zu sehen.

Doch zu seiner Überraschung saß mitten im Laden eine große Katze mit aufgeplustertem Fell, dessen orange-gelb getigertes Muster vom Kopf über den Rücken bis zum Schwanz verlief. Bauch und Pfoten schimmerten dagegen schneeweiß.

Vor dem dämmrigen Hintergrund leuchteten allein die Augen in einem intensiven Jadegrün und blickten den Jungen direkt an.

Das Tier war durch und durch eine stattliche Erscheinung und wirkte auf Rintarō wie ein stolzer Kater. Als es seinen Schwanz geschmeidig spielen ließ, murmelte er: »Ein Kater?«

»Hast du was gegen Katzen?«, erwiderte das Tier mit sonorer Stimme.

Es gab keinen Zweifel, der Kater hatte soeben gesprochen.

Rintarō war verblüfft, aber es gelang ihm, seine für ihn typische Ruhe wiederzugewinnen. Er schloss die Augen und zählte bis drei, bevor er sie erneut öffnete.

Dreifarbiges Fell, ein buschiger Schwanz, scharf leuchtende Augen und zwei symmetrische dreieckige Ohren – ein Kater wie im Bilderbuch.

Seine Schnurrhaare zuckten.

»He, Kleiner, ist was mit deinen Augen?«, sagte er in frechem Ton.

»Äh … aber …«, stammelte Rintarō. »Es stimmt, ich bin zwar kurzsichtig, aber mir ist durchaus klar, dass vor mir ein Kater hockt, der sprechen kann.«

»Prima.« Der Kater nickte jovial, bevor er fortfuhr: »Ich bin eine Tabby-Katze, und mein Name ist Tora, wie ›der Tiger‹.«

Dass ein Kater sich selbst vorstellte, war mehr als absurd. Trotzdem gelang es Rintarō zu antworten: »Ich heiße Rintarō.«

»Das weiß ich. Und du bist der Junior, der nun die Buchhandlung Natsuki führt.«

»Junior?« Rintarō war perplex. Diesen Ausdruck hörte er zum ersten Mal.

»Tut mir leid, aber ich verbringe hier nur oft meine Zeit nach der Schule. Mein Großvater war der Literaturexperte, aber leider ist er tot.«

»Kein Problem. Ich bin für den Nachfolger zuständig«, erklärte der getigerte Kater mit ziemlich blasierter Miene und nahm Rintarō mit seinen leicht zusammengekniffenen Jadeaugen ins Visier.

»Ich brauche deine Hilfe«, schoss es aus ihm heraus.

»Hilfe?«

»Ja, deine Hilfe.«

»Für was denn?«

»Hier gibt es eine Menge Bücher, die eingesperrt sind.«

»Eingesperrt?«

»Bist du ein Papagei? Du plapperst mir ja alles nach wie ein Schwachsinniger.«

Die Worte trafen Rintarō wie eine Ohrfeige. Trotz seiner Verwirrung fuhr der Kater unbeirrt fort: »Man muss die Bücher befreien. Und du musst mir dabei behilflich sein.«

Die Jadeaugen blitzten.

Rintarō betrachtete einen Moment lang reglos den Kater, bevor er gemächlich die rechte Hand hob und sein Brillengestell zurechtschob. Dies tat er immer, wenn er über etwas nachdachte.

Ich bin wohl ziemlich erschöpft …

Rintarō schloss die Augen und überlegte, die Hand immer noch an der Brille.

Der Tod seines Großvaters und die Strapazen der Trauerfeier hatten ihm mächtig zugesetzt. Er musste unbemerkt eingeschlafen sein, und jetzt träumte er höchstwahrscheinlich.

Überzeugt von seiner Argumentation, öffnete er vorsichtig die Augen. Aber da hockte er immer noch, der getigerte Kater, und blickte ihn ungerührt an.

Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu … Eigentlich habe ich die letzten Tage bloß damit verbracht, die Bücherwände anzustarren. Ich habe es nicht mal mehr geschafft, selbst ein paar Zeilen zu lesen. Wo habe ich nur Voltaires Candide hingelegt, das ich gerade erst begonnen habe?

Diese und andere unwesentliche Gedanken schossen ihm durch den Kopf.

»Hörst du, Junior?«

Abermals riss der scharfe Ton des Katers Rintarō gewaltsam aus seiner Grübelei.

»Ich sage es dir noch einmal. Du musst mir dabei helfen, die Bücher zu befreien.«

»Du redest von helfen, aber …« Rintarō bemühte sich, die richtigen Worte zu finden. »Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass ich dir von Nutzen sein kann. Wie gesagt, ich bin eher ein Stubenhocker und …«

Rintarō, der immer noch hinter dem Schreibtisch saß, wollte dem Kater so aufrichtig wie möglich antworten, denn ehrlich gesagt flößte ihm dessen majestätische Ausstrahlung durchaus einen gewissen Respekt ein.

»Kein Problem. Ich habe schon begriffen, dass du nichts weiter als ein nichtsnutziger, depressiver Bengel bist. Und trotzdem bitte ich dich um den Gefallen.«

Der Kater konnte es offenbar nicht lassen, immer wieder neue Unverschämtheiten auszuteilen.

»Wenn du so gut Bescheid weißt, brauchst du mich doch nicht extra um Hilfe zu bitten. Es gibt bestimmt Millionen von Menschen, die sich besser dafür eignen würden.«

»Das versteht sich wohl von selbst.«

»Und ich habe gerade meinen Großvater verloren, was mich sehr bedrückt.«

»Auch das ist mir klar.«

»Also dann …«

»Magst du denn keine Bücher?«

Die tiefe Stimme des Katers wischte Rintarōs Einwände mit einem Schlag fort. Sie klang zwar großmütig, besaß jedoch zugleich die unbestreitbare Kraft, sich gegen jeden Einspruch durchzusetzen.

Rintarō war sich noch völlig im Unklaren, worauf der Kater eigentlich hinauswollte, aber dessen Beharrlichkeit und imposantes Gehabe blockierten seinen logischen Verstand.

Die Jadeaugen starrten direkt in seine.

»Natürlich mag ich Bücher«, antwortete er schließlich.

»Also, was hält dich dann noch davon ab?«

Das selbstherrliche Auftreten des Katers überwältigte Rintarō geradezu. Der Junge umfasste erneut sein Brillengestell und versuchte verzweifelt herauszufinden, was da gerade geschah.

»Bedeutsame Dinge sind meistens schwer zu begreifen, Junior«, sprach der Kater, als könnte er Rintarōs Gedanken lesen.

»Die meisten Menschen gehen durchs Leben, ohne sich solcher offensichtlichen Wahrheiten bewusst zu sein. ›Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar‹.«

»Wow …« Verblüfft riss Rintarō die Augenbrauen hoch. »Ich hätte nie gedacht, aus dem Munde einer Katze ein Zitat aus dem Kleinen Prinzen zu hören.«

»Trifft Saint-Exupéry denn nicht deinen Geschmack?«

»Er ist einer meiner Lieblingsautoren!«, sagte Rintarō und wies zum Regalfach gleich neben sich.

»Aber Nachtflug von ihm ist mein absoluter Favorit. Auch Südkurier ist nicht zu verachten.«

»Na bitte«, bestätigte der Kater, und Rintarō glaubte in seiner Mimik eine Art Grinsen zu erkennen.

Auf unerklärliche Weise erinnerte ihn der Kater in seiner Gelassenheit an seinen geliebten Opa. Nur, dass sein Großvater nicht so geschwätzig gewesen war.

»Also wirst du mir helfen?«

Erneut mit der Bitte konfrontiert, neigte Rintarō den Kopf. »Darf ich denn auch ablehnen?«

»Das ist erlaubt«, erwiderte der Kater prompt, schmollte jedoch gleich anschließend in beleidigtem Tonfall: »Aber dann wäre ich zutiefst enttäuscht.«

Rintarō gluckste. Sieh mal einer an: Der Kater taucht aus heiterem Himmel hier auf und bittet mich um Hilfe, ist dann aber enttäuscht, wenn ich ablehne.

Es widersprach zwar jeglicher Vernunft, aber der Kater war ihm auch nicht unsympathisch, was an seiner unverblümten Art liegen mochte.

In gewisser Weise ähnelte er doch dem Großvater …

Rintarō schaute den Kater an und sprach: »Also, was soll ich tun?«

»Folge mir einfach.«

»Wohin denn?«

Der Kater drehte sich abrupt um und lief auf seinen weichen Pfoten lautlos nicht etwa durch die Tür nach draußen, wo es nun stockdunkel war, sondern steuerte unbeirrt auf das schummrige Ende des Raums zu.

Überrascht folgte ihm Rintarō, doch nach ein paar Schritten verspürte er ein seltsames Schwindelgefühl. Das Antiquariat Natsuki war zwar ein langer Schlauch, aber dennoch bloß ein kleiner Laden inmitten der Stadt, in dem man nach ein paar Schritten gegen eine Bretterwand stieß.

Doch heute war es keine Sackgasse.

Der Gang mit den majestätisch aufragenden Bücherregalen zu beiden Seiten erstreckte sich weiter und weiter. Auch die Reihe der Retro-Lampen setzte sich fort, ohne dass ein Ende in Sicht kam. Unterwegs fiel Rintarō auf, dass in den Fächern Bücher standen, die er offensichtlich allesamt nicht kannte. Etliche Exemplare hatten keinen richtigen Einband, wie es heutzutage üblich ist. Eine imposante Schriftensammlung, die von zerfledderten japanischen Bänden bis hin zu prächtigen, in Leder gebundenen Werken mit Goldprägung reichte, füllte die Galerie.

»Das kann doch … nicht …«, stammelte Rintarō, so überwältigt war er von diesem Anblick.

Der Kater wandte ihm nur den Kopf zu. »Verlässt dich etwa der Mut, Junior? Falls du kneifen willst, ist das jetzt die letzte Gelegenheit.«

»Ich wundere mich nur darüber, wann das Geschäft diesen Zuwachs an Büchern bekommen haben soll«, murmelte Rintarō, den Blick in die Ferne gerichtet, bevor er zur Katze herabschaute. »Bei der Unmenge an Büchern könnte ich noch eine ganze Weile unbehelligt hier mit Lesen zubringen. Ich muss meine Tante unbedingt bitten, den Umzug hinauszuschieben.«