Die Katzen von Shinjuku - Durian Sukegawa - E-Book
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Die Katzen von Shinjuku E-Book

Durian Sukegawa

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Beschreibung

Ein poetischer Roman über zwei Außenseiter und die Liebe zu Katzen Shinjuku, ein Viertel in Tokio: Hier treffen sie aufeinander – Yama, ein gescheiterter Fernsehautor Mitte zwanzig, und Yume, eine wortkarge Kellnerin. Beide sind sie Außenseiter, beide haben sie die Hoffnung, ihren Platz im Leben zu finden, fast aufgegeben. Yume arbeitet in einer Bar namens Karinka, die schrägen Vögeln ebenso eine Heimat bietet wie streunenden Katzen. Als Yama diesen Ort das erste Mal betritt, ist er völlig fasziniert: von den Menschen, der Stimmung und der besonderen Rolle, die die Vierbeiner im Karinka spielen. Er fasst Vertrauen zu Yume, mit der er sich bald gemeinsam um die Straßenkatzen kümmert. Aus der Freundschaft der beiden scheint mehr zu werden, doch dann holt Yume ihre Vergangenheit ein … ›Die Katzen von Shinjuku‹ handelt von zwei Menschen, die mit sich selbst hadern und einander zu retten versuchen: ein bittersüßer Roman mit Blick für die kleinen Dinge, einfühlsam und mit viel Wärme erzählt.

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Shinjuku, ein Viertel in Tokio: Hier treffen sie aufeinander – Yama, ein gescheiterter Fernsehautor Mitte zwanzig, und Yume, eine wortkarge Kellnerin. Beide sind sie Außenseiter, beide haben sie die Hoffnung, ihren Platz im Leben zu finden, fast aufgegeben. Yume arbeitet in einer Bar namens Karinka, die schrägen Vögeln ebenso eine Heimat bietet wie streunenden Katzen. Als Yama diesen Ort das erste Mal betritt, ist er völlig fasziniert: von den Menschen, der Stimmung und der besonderen Rolle, die die Vierbeiner im Karinka spielen. Er fasst Vertrauen zu Yume, mit der er sich bald gemeinsam um die Straßenkatzen kümmert. Aus der Freundschaft der beiden scheint mehr zu werden, doch dann holt Yume ihre Vergangenheit ein …

›Die Katzen von Shinjuku‹ erzählt die Geschichte zweier Menschen, die mit sich selbst hadern und einander zu retten versuchen: ein bittersüßer Roman mit Blick für die kleinen Dinge, einfühlsam und mit viel Wärme erzählt.

© privat

Durian Sukegawa, geboren 1962, studierte an der Waseda-Universität in Tokio Philosophie. Er schreibt Romane und Gedichte, außerdem ist er in Japan als Schauspieler, Punkmusiker und Fernseh- sowie Radiomoderator bekannt. ›Kirschblüten und rote Bohnen‹ (DuMont 2016) war in Japan ein Bestseller und lief als Beitrag von Naomi Kawase bei den Filmfestspielen von Cannes. Zuletzt erschien ›Die Insel der Freundschaft‹ (DuMont 2017).

Sabine Mangold, geboren 1957, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Japanologie. Sie hat zahlreiche japanische Autor*innen – darunter Haruki Murakami, Yoko Ogawa und Kazuaki Takano – ins Deutsche übertragen. Für ihre langjährige Arbeit wurde sie 2019 mit dem Übersetzerpreis der Japan Foundation ausgezeichnet.

Durian Sukegawa

Die Katzen von Shinjuku

Roman

Aus dem Japanischen von Sabine Mangold

Von Durian Sukegawa sind bei DuMont außerdem erschienen:

Kirschblüten und rote Bohnen

Die Insel der Freundschaft

Die japanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel ›Shinjuku no neko‹ bei Poplar Publishing Co., Ltd., Tokio.

SHINJUKU NO NEKOCopyright © Durian Sukegawa 2019 All rights reserved. First published in Japan in 2019 by POPLAR PUBLISHING CO., LTD. German translation rights arranged with POPLAR PUBLISHING CO., LTD. through JAPAN UNI AGENCY, Inc. and The Agency SRL.

eBook 2021 © 2021 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Übersetzung: Sabine Mangold Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln Umschlagabbildung: Muster © Sylverarts/istock images, Katze © Desins/Depositphotos Satz: Angelika Kudella, Köln eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck ISBN eBook 978-3-8321-7084-4

www.dumont-buchverlag.de

1

Wie soll ich anfangen, davon zu erzählen, was sich in jenen Tagen zugetragen hat?

Ich habe nur noch lose Erinnerungsfetzen in meinem Kopf. Das große Schlagwort »Wirtschaftsboom«, das jene Epoche umschreibt, war damals in aller Munde, aber streng genommen profitierte nur die reiche Allgemeinheit. Für jemanden wie mich, der ohnehin nicht genug Geld zur Verfügung hatte und es gewohnt war, sich nach der Decke zu strecken, war das kein passender Begriff, um eine Lebensphase zu charakterisieren.

Ich denke, es war eine Zeit, in der sich die Gesellschaft insgesamt in einem leichtfertigen Taumel befand. Die Grundstücke wurden teurer, je mehr ihr Wiederverkauf ins Rollen kam, und die Preise für Wohnungen in der City kletterten auf Millionensummen. Natürlich hielten auch in Shinjuku die Immobilienhaie alle Fäden in der Hand.

Wenn man durch dieses Viertel von Tokio spazierte, sprang einem die Vielzahl an geschlossenen Bars ins Auge. An den Türen verkündeten Schilder zwielichtiger Firmen, dass die Straßenzüge einer baldigen Sanierung entgegensahen. Es muss damals viele Leute gegeben haben, die durch den Erwerb von Immobilien und gewagte Spekulationen einen Reibach gemacht haben.

Für mich persönlich allerdings war es eine Zeit des Strauchelns. Mir war, als prallte ich ständig gegen Mauern in einem steinernen Labyrinth. Allein schon deshalb, weil alle an eine rosige Zukunft glaubten, fühlte ich mich als Einzelkämpfer und umso elender.

Aber in diesen tristen, chaotischen Tagen lag bereits der Keim einer Entwicklung verborgen, die mein späteres Leben beeinflussen sollte. Ein Spiel hatte damit zu tun, das ich zufällig in einer Kneipe beobachtete, in die ich ebenso zufällig geraten war. Lassen wir hier diese Geschichte ihren Anfang nehmen, die wahrscheinlich ziemlich lang werden wird.

Eine Katzenwette.

Als ich begriff, was die Männer am Tresen neben mir da veranstalteten, überkam mich ein längst vergessenes Gefühl. Es war das Ankämpfen gegen einen Lachanfall, als hüpften warme Bällchen in meinem Inneren.

Die Kneipe war eine abgeranzte Spelunke, lang und so schmal, dass man nicht einmal seine Tasche dort abstellen konnte. Es gab nur eine einzige Reihe von Barhockern, auf denen die Kunden wie Erbsen in einer Schote eng nebeneinanderhockten.

Hinter der Sitzreihe ragte gleich die Wand auf. Man konnte sich bequem anlehnen, aber sobald ein etwas beleibterer Besucher auf einem der Hocker saß, war nicht mehr genug Platz, um sich an ihm vorbeizuschieben. Wenn jemand aufstand, um zur Toilette zu gehen, mussten alle anderen aufspringen. Dann begann eine Turnerei, bei der man sich möglichst rücksichtsvoll erhob und verrenkte.

Doch gerade weil die Bar ein solch absurd enger Schlauch war, kam man mit den Sitznachbarn leicht ins Gespräch. Was ich ebenso genoss wie die Gesellschaft der Katzen an diesem Ort. Hier fanden für mich entscheidende Begegnungen statt, infolge derer ich mit Lebensgeschichten konfrontiert wurde, denen ich mich nicht mehr entziehen konnte.

In Shinjuku trieb ich mich seit meiner Studentenzeit herum. Es gab hier immer etwas zum Stöbern, Läden mit CDs und Antiquariate. Manchmal schlenderte ich auch einfach neugierig durch die Straßen mit den Love-Hotels. Natürlich kannte ich längst nicht alles in diesem Bezirk. Was zum Beispiel das Ausgehen betraf, so hielt ich mich an den Rat meines Japanischlehrers an der Oberschule, der uns empfohlen hatte, nur in einem ganz bestimmten Teil des Viertels trinken zu gehen. (Für gewöhnlich beschäftigte er sich mit philosophischen Fragen wie der, was der Mensch überhaupt ist. Aber er hatte auch den ein oder anderen praktischen Ratschlag für uns. »Wer auf eine Tokioter Uni geht, sollte die Bars hier aufsuchen«, empfahl er uns im Unterricht und schrieb mit weißer Kreide »Shinjuku Golden Gai« an die Tafel.)

Es ging zwar das Gerücht um, dass das Viertel bald den Grundstücksspekulationen zum Opfer fallen und ausgelöscht werden würde, aber dennoch herrschte in Golden Gai mit seinen über zweihundert kleinen Kneipen zu dieser Zeit noch ein recht lebhaftes Treiben.

Dieses Viertel besteht seit der Nachkriegszeit. Wenn ein Betrunkener von einer Kneipe genug hat, braucht er nur in die Bar nebenan und danach noch ein Haus weiterzutorkeln. Wie die Motte wird er vom Licht angezogen und geleitet. Ein ganzes Besäufnis lässt sich so auf ein kleines Areal beschränken.

Obwohl ich nicht viel Geld besaß, hielt ich es genauso, wenn ich in Golden Gai unterwegs war. Die Kneipenwirte und -wirtinnen in den Spelunken hier machten sich nie lustig über einen jungen Bengel wie mich, sondern redeten mit mir auf Augenhöhe. Erfreut darüber schweifte ich in einer Mini-Galaxie von etwa fünfzig Metern Radius zwischen roten, blauen und weißen Sternen umher. Insofern trieb ich mich so gut wie nie in den populären Vergnügungsvierteln Block zwei und drei rund um das Koma-Kabuki-Theater herum.

An diesem einen Tag aber wollte ich mich unbedingt betrinken. Ich war nämlich total niedergeschlagen. Vom Scheitel bis zur Sohle fühlte ich mich als Versager, verfluchte mich selbst. Für einen Selbstständigen wie mich, dessen zahlreiche Schüsse jedes Mal das Ziel verfehlten, gab es noch weniger Verwendung als für einen Becher ohne Boden.

Der Grund für meine Depression lag in einer Produktionssitzung des Fernsehsenders TV Akasaka, bei der ich von dem Direktor und dem Produzenten zusammengestaucht wurde, bis ich fast ganz vom Stuhl verschwand. Obwohl ich die ganze Nacht hindurch einen Katalog von fünfzig Quizfragen mit Antwortmöglichkeiten ausgetüftelt hatte, wurde am Ende bloß eine einzige Frage davon ausgewählt: Auf welche Art Tier beziehen sich die Bezeichnungen Hachiware, Sabatora und Kijitora?

»Aber der Rest … Das ist doch alles Unsinn«, sagte der Direktor mit einem Stirnrunzeln und warf die übrigen neunundvierzig Bögen in den Papierkorb.

»Was wäre eine passende Beschreibung für eine unglückselige Lebensphase? Erstens: eine Phase, in der man für etwas nicht ausgewählt wird, aber auch nicht auserwählt ist. Zweitens: eine Phase, in der man für etwas ausgewählt wird, obwohl man nicht auserwählt ist. Drittens: eine Phase, in der man nur noch trinkt und schläft, weil man für etwas nicht auserwählt worden ist. Was soll das bedeuten? Hältst du das etwa für eine geeignete Quizfrage? Du hast da wohl etwas grundsätzlich missverstanden.«

Der Direktor verzog angewidert das Gesicht, als hätte er an Rost geleckt.

»Tut mir leid«, sagte ich und schaute betreten zur Seite.

Die Tatsache, dass so gut wie keine Quizfrage aus dem Katalog brauchbar war, würde garantiert an meinen Mentor weitergetragen. Diese Aussicht deprimierte mich noch mehr.

Ohne Aufmunterung zu finden, trottete ich bald wie eine leere Hülle unter dem trüben Aprilhimmel dahin. Als ich in den Toilettenspiegel der Station Akasa-Mitsuke schaute, blickte mir eine Wachspuppe aus Madame Tussauds Kabinett entgegen. Offenbar hatte ich nicht nur meine Energie, sondern sogar jegliche Fähigkeit zur Mimik in dem Besprechungszimmer eingebüßt. Da war keine Freundin, die mich hätte trösten können. Schließlich blieb mir nur der letzte Strohhalm: Alkohol. Ich hätte genauso gut in mein Apartment in Takadanobaba zurückkehren und schlafen können, aber stattdessen zog es mich magisch nach Shinjuku.

Wie betäubt stieg ich in die Marunouchi-Linie, die mich zur Station Shinjuku-Sanchôme brachte. Ausgespuckt ins Gewimmel, überquerte ich, noch immer Wachspuppe, den Yasukuni-Boulevard. Bis zum stockdunklen Abend war es jedoch noch ein Weilchen hin. In der Dämmerung, die den Himmel über Shinjuku lachsrot färbte, war Golden Gai noch nicht aus dem Nachmittagsschläfchen erwacht, um sich für den Abend bereit zu machen.

Eine Reihe matter Schilder ohne Beleuchtung. In unregelmäßigen Abständen geschlossene Bars, auffällig wie Mottenlöcher. Eine finstere Passage, menschenleer. Ich wusste nicht mehr weiter. Wahrscheinlich bin ich deshalb in Richtung des Kabuki-Viertels mit den Love-Hotels abgebogen: Ich wollte wohl dieser tristen Szenerie entkommen, die meine eigene düstere Gemütslage widerspiegelte.

Gegenüber eines verwaisten Love-Hotels entdeckte ich eine Kneipe mit einer roten Hängelaterne am Eingang. Die Laterne hatte ein Loch, und die dadurch sichtbare Birne glühte wie ein Leuchtfeuer im Reich der Dämonen. Als ich durch die Glastür ins Innere lugte, sah ich ein paar Gäste an einem lang gestreckten Tresen sitzen.

Auf der Laterne standen dicht gedrängt Zeichen, die das Wort »Karinka« zu ergeben schienen. Ich wusste nicht so recht, ob ich die Zeichen richtig las, dachte zunächst an das Wort für Quittenblüten, »Karinbana«. Aber dann kam mir der Gedanke, dass der Name wohl nach »Kalinka« klingen sollte. Es gab doch ein russisches Volkslied mit so einem Titel. Ob man da drinnen wohl auch russische Speisen servierte? Vielleicht spielten sie sogar Lieder des Alexandrow-Chors?

Mir kam die Idee, dass ein Besuch der Kaschemme verwertbares Material für das Nachrichtenmagazin, für das ich arbeitete, ergeben könnte, und so schob ich die gläserne Eingangstür auf.

Damit war eine schicksalhafte Wendung in meinem Leben quasi schon besiegelt. Was daran so schicksalhaft war, werde ich nun nach und nach erzählen.

Als ich den Laden betrat, hörte ich nicht den Chor der Roten Armee, sondern einen Blues, gesungen von einer heiser krächzenden Reibeisenstimme, die an einen gestrandeten Pottwal erinnerte. Tom Waits’ »Downtown Train«.

Aber davon wollte ich nicht erzählen.

Sondern von dem Katzen-Glücksspiel.

Da ich zum ersten Mal hier war, war ich ein wenig nervös, als ich durch die Glastür schlüpfte. Nachdem die junge Frau aus der Küche mich mit einem genickten »Bitte« auf einen Platz ganz hinten verwies, bahnte ich mir schüchtern einen Weg am langen Tresen vorbei zu einem freien Hocker am Ende der Bar. Drei Gäste mussten sich gymnastisch verrenken, um mich durchzulassen. Ich bestellte einen Shōchū-Highball und richtete mich auf, als ich den ersten Schluck nahm.

»Ich setze auf die Braut.«

»Ich auf Boss.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon die beiden redeten, die da neben mir saßen.

Der Typ mit der Braut war um die fünfzig und hatte eine Dauerwelle, die wie ein Vogelnest aussah. Er trug eine Sonnenbrille, und wenn er den Mund öffnete, blitzte links eine Reihe Goldzähne hervor. Er sprach mit Akzent, aber den genauen Dialekt konnte ich nicht ausmachen.

Der andere, der den Boss erwähnt hatte, war ein magerer Typ und schien nur wenig älter als ich selbst, damals siebenundzwanzig. Er hatte langes, rötlich gebleichtes Haar und trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer Gibson-Les-Paul-Gitarre.

Ob Profi oder nicht, auf jeden Fall machte er den Eindruck, als würde er sich als Musiker versuchen. Er trug Jeans, und seine nackten Füße stecken in Getas. Sein Gesicht hatte etwas Klobiges, genau wie seine Holzsandalen. Insgeheim verlieh ich ihm den Spitznamen »Geta-Rocker«.

Vogelnest holte einen Stift aus seinem schwarzen Handtäschchen, das einem Geldeintreiber hervorragend gestanden hätte, und schrieb die beiden Begriffe – Braut und Boss – jeweils auf die Papierhüllen ihrer Einweg-Stäbchen.

Die zwei nahmen einen Schluck Bier-Mix aus ihren Hoppy-Krügen und fingen an, über jemanden zu tratschen.

»Sein Sohn ist ein kluges Bürschchen. Der geht jetzt auf eine Uni in Aserbaidschan«, sagte Vogelnest, worauf Geta-Rocker die Stimme senkte.

»Aserbaidschan?«

»Ja. Bei der Auflösung der Sowjetunion sind doch einige Zwergstaaten entstanden. Aserbaidschan ist einer davon. Wegen seiner Ölproduktion wird das Land immer mehr an Bedeutung gewinnen.«

»Hm … Aber weiß das kluge Bürschchen auch, dass sein Vater aufgetakelt, geschminkt und in Netzstrümpfen hier durch Shinjuku zuckelt?«

Obwohl ich zum ersten Mal hier war und die Geschichte spannend klang, konnte das Interesse darüber die Leere in meinem Inneren nicht verdrängen. Ich hatte meine erbärmliche Rolle satt, wollte keine Quizfragen mehr für den Papierkorb fabrizieren. Lustlos nippte ich an meinem Drink. Unauffällig, wie es in Kneipen üblich ist, hörte ich den beiden Männern zu, ohne mich zu ihnen umzudrehen.

Trotz ihres eifrigen Dialogs über den Dragqueen-Daddy schauten sich Vogelnest und Geta-Rocker nicht direkt an. Mit leicht erhobenen Köpfen blickten sie auf einen Punkt schräg über ihnen. Anscheinend beschäftigte sie das in der Mitte der Küchenwand eingelassene Fenster. Es war eigentlich bloß eine kleine Öffnung, in die, der Größe nach zu urteilen, früher vermutlich eine Klimaanlage eingebaut gewesen war. Nur durch dieses Fenster und die Glastür konnte man erkennen, ob es draußen hell oder dunkel war.

Durch die Öffnung blickte man auf die Betonumfriedung und die Ziegelwand des Nachbargebäudes. Mehr war nicht zu sehen – keine Ahnung, wonach die beiden da Ausschau hielten.

Vogelnest rief: »Oh!«, und erhob sich kurz, als ein Essen aus der Küche kam, ein Eintopf, den er offenbar bestellt hatte. Genau in dem Moment, in dem er die dampfende Schüssel in Empfang nahm, entfuhr auch mir im Stillen ein »Oh!«.

Draußen am Fenster saß eine Katze.

Eine getigerte Katze mit schwarz-braun gestreiftem Fell. Sie hockte auf der Grundstücksmauer und schaute zu uns hinunter.

»Yippie! Boss!«

Geta-Rocker warf sich in Siegerpose. Die Katze duckte sich erschrocken, vermutlich wegen des lauten Geschreis in der Bar. Sie hatte eine frische Wunde am Kopf. Ihre großen bernsteinfarbenen Augen leuchteten.

»Ich hab’s doch gesagt: Boss!«

»Hey, wart mal! Bist du dir sicher?«

Die Katze blickte direkt auf uns hinab. Ihre Augen zuckten hin und her, als würde sie jemanden suchen, bis sie merkwürdigerweise mich anstarrte. Ihr Ausdruck änderte sich nach einem kurzen Moment abrupt. Sie schien gelangweilt und verschwand schließlich aus unserem Sichtfeld.

»Mann! Reiß dich mal zusammen!«

Vogelnest schnalzte mit der Zunge und stieß dem triumphierenden Geta-Rocker mit dem Ellbogen in die Seite.

Dann setzte er die Sonnenbrille ab und drehte sich mit einem betrübten Lächeln zu mir, als würde er um Mitleid heischen. Die Goldzähne blitzten. Seine Augen waren so klein wie die Kerne einer Kakipflaume.

Die beiden wetteten also darum, welche Katze als Nächstes am Fenster erscheinen würde. Das war ein Ding! Ein echter Knaller.

Die schmale Kneipe hatte sich mit einem Mal in ein Katzentheater verwandelt. Mein Raum-Zeit-Gefüge wurde durch die beiden Typen neben mir und die im Fenster erschienene Kulleraugen-Katze komplett ausgehebelt. Vogelnests Gesicht, entblößt und ohne Sonnenbrille, war der Hammer. Ich spürte ein Glucksen im Bauch und versuchte, mich zu beherrschen, indem ich wiederholt mit aller Kraft die Zehen krümmte.

»War das echt Boss?«

»Na klar! Das war Boss! Man erkennt ihn doch an den Augen!«

»Jedenfalls gibt es hier nur zwei Katzen mit diesem Fell. Die andere …«

»Direktor hat ein zerfleddertes Ohr, von einem Gerangel. Bei dem hier waren aber beide Ohren spitz aufgestellt. Also war es Boss.«

Direktor? Wie diese Katze wohl aussah? In meinem Kopf tauchten mehr und mehr Fragen auf. Beteiligten sich alle Gäste an der Katzenwette? War dieser Laden hier etwa ein geheimes Katzenkasino? Wie hoch war der Wetteinsatz? Mischte Dragqueen-Daddy da auch mit?

Mein niedergeschmettertes Ich, das vorhin mit hängendem Kopf vor dem Gebäude von Akasaka TV gestanden hatte, löste sich im Dampf des Eintopfs auf.

Einige der warmen, hüpfenden Bällchen in meinem Bauch zerplatzten, und das überzeugte mich davon, dass es die allerbeste Entscheidung gewesen war, sich hierhin treiben zu lassen.

Ich schaute mich nun genauer im Laden um. Am Kücheneingang hing eine kleine schwarze Tafel mit der angepinnten Speisekarte. Die junge Frau um die zwanzig, die mir vorhin meinen Platz zugewiesen hatte, war dort allein zugange und lief geschäftig zwischen Grill und Spüle hin und her.

»Yume-chan, ich hab verloren. Ich gebe einen aus. Noch einen Hoppy für den da. Sonst noch was?«

»Eine Yakitori-Platte wär nicht schlecht.«

»Meinetwegen. Hast du gehört? Schreib alles bei mir an.«

Yume-chan. So hieß also die Frau in der Küche. Meine Ohren registrierten eifrig ihren Spitznamen.

»Habt ihr’s wieder getan?«

Die junge Frau namens Yume-chan näherte sich mit einem neuen Glas Shōchū auf Eis. Auf ihrer Stirn perlte der Schweiß.

»Ja. Diesmal ist Boss aufgekreuzt. Ich hab’s vermasselt.«

»Hm, das war ja auch nicht gerade leicht zu erraten.«

Yume-chan beugte sich vor, stellte das Glas auf den Tresen und goss den Hopfentrunk nach. Der Cocktail leuchtete bernsteinfarben. Alle Gäste tranken das Gleiche. Hier in diesem Laden war offenbar generell Hoppy angesagt.

»Endlich mal wieder gewonnen«, rief Geta-Rocker und führte das volle Glas zum Mund. »Boss sei Dank, dass ich in den Genuss eines Drinks komme.«

»Ach ja?«

Geta-Rocker lächelte ihr zu, aber Yume-chan blieb überraschend ungerührt.

Sie wischte sich mit einem feuchten Lappen die verschwitzte Stirn ab.

»Wollt ihr Salz oder Soße zum Fleisch?«, fragte sie die beiden, bevor sie wieder zum Grill zurückkehrte. Sie war offenbar nicht der Typ Mensch, der leicht zum Lachen zu bringen war.

Das war mein erster Eindruck von Yume-chan: Zwar räumte sie ein, dass der Ausgang der Katzenwette nicht leicht zu erraten gewesen war, aber sie schenkte Geta-Rocker zu seinem Erfolg nicht einmal ein kleines Lächeln. Vielleicht hatte sie dafür auch einfach keinen Kopf. Vor dem Grill mit der glühenden Holzkohle musste es verdammt heiß sein. Yume-chan schwitzte sicher. Und es kam eine Bestellung nach der anderen. Wahrscheinlich war es ihr völlig egal, wer bei der Wette gewann oder verlor.

Plötzlich verspürte ich ein brennendes Interesse an der Kneipe und den Menschen hier. Ich tat es meinen beiden Nachbarn gleich, indem ich auch einen Hoppy bestellte. Mit verschwitzter Stirn reichte Yume-chan mir den Hopfentrunk und ein Glas Shōchū, damit ich mir daraus den Drink mischen konnte.

»Hallo, verzeihen Sie …«

Ich kam mir zwar etwas blöd vor, fragte aber trotzdem: »Wie spricht man den Namen der Kneipe eigentlich aus? ›Karinka‹?«

»Ja, richtig, aber …«

»Aber?«

»Sie können die Kneipe nennen, wie Sie wollen.«

»Wie ich will?«

»Alles recht.«

Nicht mal ein falsches Lächeln hatte sie für mich übrig.

Auch ihre Stimme klang sonderbar. Sie lallte ein wenig, als wäre alle Luft aus ihr gewichen. Ihre Miene, die ausdruckslos schien, war ebenfalls speziell. Ihr linkes, mandelförmig geschnittenes Auge nahm mich wahr, aber in ihrem etwas runder geformten rechten Auge kam ich nicht vor.

Und wenn ihr auch alles recht war, ich war irritiert.

Ich warf ihr einen verstohlenen Blick hinterher, als sie wieder in die Küche verschwand. Obwohl sie nicht lächelte, wirkte sie nicht zickig oder arrogant. Wollte man es metaphorisch beschreiben, dann war ihr Gesicht von der transparenten Membran der Nacht, die sich über den Abend senkte, bereits umflort.

Energisch straffte ich meinen Rücken und bestellte eine Yakitori-Platte wie meine Nachbarn.

»Mit Salz oder mit Soße?«, rief Yume-chan, ohne sich vom Grill abzuwenden.

Warum zögerte ich? Einfache Fragen wie diese stürzen mich oft in Verwirrung, sodass ich nie direkt reagieren kann. Und an jenem Abend brauchte ich besonders lange für die Antwort: »Mit Salz, bitte!«

Ein Weilchen später servierte Yume-chan mir und meinen beiden Nachbarn jeweils eine Grillplatte. Auch diesmal musste sie sich über den Tresen strecken, um die Teller abzustellen.

Yume-chan war von eher kleiner Statur. Wie sie da vor mir stand, während ich saß, befanden sich unsere Gesichter ziemlich auf Augenhöhe. Deshalb irritierte mich ihr schiefer Ausdruck wohl noch mehr.

»So, als Nächstes tippe ich auf Toto.«

»Ach, die Hachiware-Katze? Dann nehme ich Pop.«

»Aha, die schwarze, ja?«

Die beiden neben mir starteten offenbar eine neue Wette, während sie das gebratene Huhn mampften. »Hachiware«, um diese Bezeichnung war es auch in meiner bereits erwähnten Quizfrage gegangen. Das war der Fachausdruck für eine Katzenart mit schwarz-weißem Fell, bei der ein charakteristisches Mal in Form des Zeichens für die Ziffer acht die Stirn überzog.

Bei mir zu Hause in Takadanobaba ließen sich diese Katzen auch hin und wieder blicken. Ich mochte diese Tiere schon immer, hatte den Begriff »Hachiware« aber für meine Quizfrage recherchieren müssen. Daher wunderte ich mich, dass die beiden so gut Bescheid wussten.

»Yume-chan, dein Yakitori schmeckt super!«, rief Vogelnest in die Küche, während er den Spieß abknabberte.

»Aha«, lautete die lapidare Antwort.

Das Yakitori war wirklich gut. Fürs Huhn tat es mir leid, aber das Filet, der Lauch, die Innereien, die Haut und die Fleischbällchen hatten wirklich eine Auszeichnung verdient. Die Spieße waren alle gut durchgebraten, die prallen Fleischbrocken saftig und schmackhaft. Auch der Grad der Würze war exzellent. Es war das reinste Sinnesvergnügen: als würden die Geschmacksnerven gestreichelt, ohne dass der Reiz allzu stark wurde. Die Spieße passten vorzüglich zum Hoppy.

»Ha! Mensch!«

Vogelnest erhob sich, und ich blickte ebenfalls auf, noch mit vollem Mund.

Es war bereits dunkel, aber das Licht, das aus dem kleinen Fenster der Kneipe fiel, beleuchtete die Betonmauer dahinter. Da saß eine Katze. Eine weiße. Ihr angestrahltes Fell schimmerte wie eine zarte Blüte. Die leuchtend blauen Augen aufgerissen, starrte sie in den Laden.

»Mist!«

Meine beiden Sitznachbarn blickten genervt zur Decke, aber Geta-Rocker zeigte sich – vermutlich wegen seines Treffers vorhin – großmütig und begrüßte die Katze mit ihrem Spitznamen: »Queen, du hübsches Ding!«

»Das ist doch nicht Queen. Das ist Slip.«

»Nein, Slip läuft immer die Nase. Außerdem lässt der sich hier gar nicht mehr blicken.«

»Echt? Meinst du? Yume-chan, sag mal, ist das Queen oder Slip?«, rief Vogelnest in die Küche, wobei er auf die weiße Katze zeigte.

Yume-chan war gerade am Grill damit beschäftigt, die von den anderen Gästen bestellten Spieße zu braten, und reagierte nicht sofort. Indessen war die weiße Katze vor dem Fenster verschwunden. Vogelnest zeigte auf den Kühlschrank und rief in einem Ton, der sowohl schmollend als auch schmeichelnd klang: »Yume-chan, es hängt heute gar nicht da. Ich meine das Katzenplakat.«

»Ich pinne es an, wenn du schauen willst.«

Yume-chan hockte sich neben den Kühlschrank. Dort befand sich ein Regal, vollgestopft mit Zeichenpapier und Notizheften.

»Ich weiß eben nur fast alle Namen auswendig«, meinte Vogelnest zu Yume-chan, die mit dem Rücken zu ihm nach etwas kramte. Sie holte einen Bogen im Zeichenblock-Format, größer als DIN A4, hervor. Als mir die außergewöhnlichen Zeichnungen ins Auge sprangen, war ich direkt Feuer und Flamme. Ich glaube, ich werde wohl niemals mehr das Gefühl vergessen, das ich daraufhin verspürte. Auch jetzt noch kann ich mich an meine Überraschung damals deutlicher erinnern als an das, was ich gestern zu Abend gegessen habe.

Aber die Geschichte geht weiter. Die Welt erneuert sich beständig.

Auf dem Blatt Papier befanden sich Zeichnungen von allen möglichen Katzen. Karikaturen wie in einem Comic-Heft. Verschiedene Spitznamen und Symbole für die Geschlechtszugehörigkeit sowie Zahlen, die offenbar das Alter der Tiere betrafen. Außerdem gab es anscheinend eine Kurzbeschreibung jeder Katze in Mikroschrift.

»Ja, ja. Den brauchen wir, den Katzenplan«, rief Vogelnest erfreut.

Ein Katzenplan?

Yume-chan holte einen roten Magneten aus ihrer Schürzentasche und pinnte das Blatt an die weiße Kühlschranktür. Ich starrte so fasziniert auf die fein gearbeiteten Illustrationen, dass sie sich mir genau einprägten. Es waren insgesamt siebzehn Zeichnungen.

Ich sah drei Tabby-Katzen namens Mametarō, Daijirō und Hanayo abgebildet, außerdem zwei Kijitora-Katzen: Boss und der bereits genannte Direktor. Und ich erkannte drei schwarz-weiße Hachiware, die offenbar Toto, Coco und Shōta hießen. Dann gab es drei schwarze Exemplare – Drumstick, Pop und Sting – und zwei weiße, Queen und Slip. Zu ihnen gesellten sich noch zwei Schildpatt-Katzen – Braut und Rūko – , eine silbrig schimmernde Sabatora namens Muku und eine dreifarbige Mike-Katze, die den Namen Eri trug.

(Für alle, die Schwierigkeiten haben, die Katzenarten voneinander zu unterschieden, sei hier eine kurze Erläuterung gegeben: Tabby-Katzen haben ein helles, rotbraunes Fell und sind sehr anhänglich. Kijitora-Katzen sind schwarz-braun gestreift wie das Gefieder von Fasanenhennen. Sabatora sind silber-schwarz gestreift wie Makrelen. Schildpattkatzen sind genetisch bedingt meistens weiblich, was übrigens auch für die dreifarbigen Mike-Katzen gilt. Das Fell der Schildpattkatzen ist braun-schwarz gefleckt, und die Augen leuchten bernsteingelb wie Hoppy.)

»Ha, das war eben tatsächlich Queen.«

Geta-Rocker verschränkte seine Arme hinterm Kopf und schenkte Yume-chan ein munteres Lächeln.

»Da wir beide falschlagen, wird wohl die Platzgebühr fällig. Ich übernehme. Was möchtest du haben?«

Yume-chan wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn und lächelte. Zum ersten Mal. Mit diesem kleinen Lächeln erschien sie mir wie eine ganz andere Person. Ihre Augen leuchteten, wenn sie lächelte. Sie blitzten. Wie die der Katzen auf der Mauer.

»Danke. Ich nehme einen Lemon Sour«, antwortete sie.

Yume-chan holte ein neues Glas, um sich ihren Drink zu mixen, bevor sie wieder zum Grill zurückkehrte.

Ich fasste mir ein Herz und sprach meine Nachbarn an: »Äh, sagt mal, ist man bei der Katzenwette zu einer Platzgebühr verpflichtet?«

Geta-Rocker gab bloß ein trockenes Lachen von sich, während Vogelnest mit zugleich nachsichtiger und strenger Miene – beides gut ins Gesicht geknetet – seine Goldzähne blitzen ließ: »He, junger Mann, pass auf, was du sagst. Hier sitzen auch schon mal Zivilpolizisten an der Bar. Wenn wir hier Katzenwetten veranstalten würden, wären wir längst verhaftet.«

»Aaah so?«, erwiderte ich gedehnt, als würde der runde Teil des Fragezeichens aus meiner Brust hervortreten.

»Das ist keine Wette, wir amüsieren uns bloß. Stell es dir vor wie so eine Art Miau-jongg. Wenn wir eins der Viecher im Fenster entdecken, rufen wir halt: ›Ha, ’ne Katze‹!«

»Tatsächlich?«

Geta-Rocker nickte von der Seite.

»Genau, das ist nur so ein kleines Spielchen zwischen uns.«

»Aber wieso müsst ihr dann dieser Yume-chan eine Platzgebühr zahlen, wenn keiner von euch bei dem Katzenspiel gewinnt?«

Geta-Rocker widersprach, so sei das ja gar nicht, und schüttelte heftig den Kopf, wobei seine Mähne umherflog.

»Yume-chan muss ganz allein in der Küche schuften. ›Platzgebühr‹ habe ich doch bloß aus Spaß gesagt, damit sie sich auch mal einen Drink gönnt. Das war nicht ernst gemeint.«

»Aha, verstehe«, murmelte ich und trank einen Schluck Hoppy, um die plötzlich entstehende Pause zu überbrücken.

»He, Kleiner, bis du zum ersten Mal hier?«

Vogelnest ließ seine Goldzähne blitzen, während er sich mit den Fingern durch die Haarkrause harkte.

»Ja.«

»Du bist wohl ziemlich fertig, was?«

»Wie meinst du das?«

»Sieht zumindest so aus.«

Kein Wunder. Ich war schließlich schon seit dem Nachmittag im Zustand einer Wachspuppe. Aber meine Verbitterung hatte sich inzwischen verflüchtigt.

»Dieser Plan der Katzen, hat sie … Ich meine, hat Yume-chan das gezeichnet?«

»Ja, hat sie.«

Vogelnest nickte ausgiebig und rief mit extralauter Stimme: »Yume-chan kann nämlich auch exzellent malen.«

Wir schauten alle in der Reihe in Richtung Grill, aber Yume-chan drehte sich nicht um.

»Sind die Katzen miteinander verwandt?«

»Tja, wie soll ich sagen …«

Geta-Rocker legte, den Humpen in der Hand, seinen Kopf zur Seite.

»Wenn man die Katzen aus dieser Gegend zeichnet, dann fertigt man wohl zwangsläufig eine Art Übersicht der verschiedenen Straßenkatzenfamilien an. Alle sind irgendwie miteinander verwandt. Das hat Yume-chan selbst mal so ausgedrückt.«

»Das Plakat zeigt aber keinen Stammbaum, oder?«

»Nein. Selbst Yume-chan würde es nicht gelingen, die Ahnenreihen dieser Katzen zurückzuverfolgen. Außerdem sind einige von den üblichen Kandidaten in letzter Zeit gar nicht mehr hier aufgekreuzt, keine Ahnung, warum.«

»Junge, mal was anderes: Schmeckt dir denn das Yakitori?«

»O ja. Es ist total lecker.«

»Und? Hat unser Kleiner auch einen Namen?«

»Ja, Yamazaki.«

»Yamazaki. Und dein Vorname?«

»Seita Yamazaki. ›Sei‹ wie aufheitern und ›ta‹ wie massig.«

»Wir nennen dich Yama-chan, okay?«

»Was soll denn das?«, mischte Yume-chan sich aus der Küche ein. »Wenn du ihn sowieso einfach Yama-chan nennst, brauchst du ihn gar nicht erst nach seinem Vornamen zu fragen.«

Die anderen Gäste schauten genauso verwundert wie wir zu Yume-chan und fragten sich wohl ebenfalls, was genau sie daran so empörte.

»Na ja … Ich dachte dabei an einen heiteren und massigen Yama-chan. So in etwa …«

Vogelnest machte eine spaßhafte Geste, indem er mit den Händen einen Berg beschrieb, aber Yume-chan ignorierte ihn.

»Yama, wie der Berg?«

Die Stimme, die von ganz hinten aus der Küche kam, klang abermals so, als hätte man die Luft aus der Sprecherin herausgelassen.

»Ja, Yama, wie der Berg.«

Ob »Yama« denn überhaupt noch etwas anderes bedeute, hörte ich Vogelnest leise spötteln.

Yume-chan war seine Bemerkung nicht entgangen.

»Na klar. Yama, wie in ›Yamatai‹, du weißt schon, das alte japanische Reich.«

»Aber davon leitet sich doch kein Familienname ab.«

Vogelnest stieß sein Glas gegen meins, als er ihr widersprach. Yume-chan wandte sich erneut dem Grill zu. Ich hingegen trank mit meinen beiden Sitznachbarn auf die neue Bekanntschaft mit alten Seelenverwandten noch weitere fünf Hoppys. Dabei verkniff ich mir jedoch weitere Fragen zum Katzenspiel und zu dem Plan.

Ich wollte mich bei Yume-chan bei der nächsten Gelegenheit persönlich danach erkundigen, herausfinden, wieso sie über all die Katzen so gut Bescheid wusste. Ich hatte zwar keine Ahnung, in welcher Sendung ich ihre Geschichte unterbringen konnte, aber auf jeden Fall war sie brauchbarer Stoff. So oder so war an diesem Abend etwas in mir entstanden. Etwas hatte in mir beim Anblick des Katzenschaubilds zu keimen begonnen. In diesem Augenblick beschloss ich, demnächst öfter mal im Karinka vorbeizuschauen.

2

Zu jener Zeit war ich Berufsanfänger und bei einem berühmten TV- und Rundfunkautor in die Lehre gegangen. Oft fühlte ich mich wie ein drittklassiger Schreiberling, der nur Müll produzierte. Ich war ein kleines Licht und verbrachte Tag um Tag mit Subsub-Zulieferarbeiten für Radio- und Fernsehsendungen. Nebenbei war ich Trinker in Shinjuku und manchmal auch nur das heulende Elend, das auf einem Parkplatz in Golden Gai kauerte.