»Sie können neun, na, vielleicht auch nur noch acht Millionen
Dollar gewinnen«, sagte Mr. John D. McKee.
»Ihr Leben«, antwortete er.
Ich schaute ihn an und verspürte plötzlich Appetit auf eine
Zigarette. Mr. McKee wich meinem Blick nicht aus. Ich kannte den
Chef lange genug, um zu fühlen, was in ihm vorging.
Er haßte es, mir diesen Vorschlag machen zu müssen. Im Grunde
war er dafür, das Ganze zu vergessen, zu den Akten zu legen — aber
er wußte, daß er damit weder dem FBI noch mir einen Dienst erwies.
Es gab Herausforderungen, denen man nicht ausweichen konnte, egal,
welche Risiken sie enthielten. »Darf ich rauchen?« fragte
ich.
Er nickte. Worte zwischen uns hatten ihr eigenes Gewicht, ihre
Sachlichkeit wurde selten von Dramatik oder Emotionen
verfremdet.
»Das ist er«, sagte Mr. McKee und überreichte mir ein
postkartengroßes Foto. Es zeigte einen Mann an der Schwelle der
Dreißig mit schmalem, entschlossen wirkendem Gesicht und klaren,
intelligenten Augen.
»Wer ist das?« fragte ich.
»Erkennen Sie ihn nicht wieder? Dieses Foto beherrschte vor
vier Jahren die Frontseiten vieler Zeitungen.«
»Nicht nur in New York.«
»Er kommt mir bekannt vor — aber es klickt noch nicht.«
»Das sind Sie«, meinte Mr. McKee. »Das heißt, das sollen Sie
ab heute sein. Die Aufnahme ist fünf Jahre alt. Sie zeigt James
Carpenter.«
»Carpenter«, murmelte ich.
Meine Erinnerung setzte ein. Der sogenannte Mulligan-Job in
Des Moines. Ein Banküberfall, bei dem es drei Tote und einen
Schwerverletzten gegeben hatte und bei dem etwa neun Millionen
Dollar .erbeutet worden waren. Der Schwerverletzte war James
Carpenter gewesen — einer der drei Bankräuber.
Seinen beiden Komplicen war es gelungen, mit der Beute zu
entkommen. James Carpenter hatte eisern dichtgehalten. Weil
feststand, daß er während des Überfalls nicht geschossen hatte, war
er mit einem Strafmaß von zehn Jahren Gefängnis
davongekommen.
»Unsere Kollegen in Des Moines haben sich die Fotos aller
verfügbaren FBI-Agente'n vorgeknöpft«, sagte Mr. McKee. »Sie sind
der Ansicht, daß Sie, Jesse, diesem Carpenter sehr ähnlich
sehen.«
»Das kann ich nicht finden.«
»Er trägt jetzt ein Bärtchen auf der Oberlippe und hat einen
kahlrasierten Schädel.«
»Glatze?«
»Nein, kurzes Stoppelhaar.«
»Sehr einladend kann er damit nicht aussehen«, stellte ich
fest.
»In unserer Zeit wilder Bärte und extravaganter Haartrachten
geht Auffälligkeit vor Schönheit«, meinte Mr. McKee. »James
Carpenter liegt im Sterben. Die Ärzte geben ihm bestenfalls noch
eine Woche. Wenn publik wird, daß er tot ist, haben wir die Chance,
an die Mörder und ihre Beute heranzukommen, verspielt.«
Es war klar, worum es ging.
Ich sollte als James Carpenter auftreten, als der Mann, der
die Mörder kannte. Ich sollte meinen Anteil kassieren. Carpenters
Anteil, um genau zu sein. Drei Millionen. Und dabei herausfinden
und beweisen, wer Carpenters Komplicen gewesen waren.
Die Sache hatte nur einen Haken. Niemand wußte, wie sie hießen
und wo sie wohnten.
Natürlich hatte man nach Carpenters Verhaftung seinen großen
Freundeskreis überwacht und beschattet — aber keiner dieser
Burschen war so unklug gewesen, sich durch eine besonders
aufwendige Lebensführung zu verraten.
»Was erwartet man von mir?« fragte ich.
»Das, was von Carpenter bei seiner vorzeitigen Entlassung zu
erwarten wäre«, sagte Mr. McKee. »Totale Zurückhaltung in der
Kontaktaufnahme mit seinen Komplicen. Carpenter und die beiden
Bankräuber würden sich nicht sofort treffen oder sprechen — denn
ihnen wäre klar, daß Carpenter beschattet würde. Aber irgendwann
und irgendwo würde dieser Kontakt zustande kommen. Das erleichtert
Ihre Position. Sie können es sich leisten, diesen entscheidenden
Moment abzuwarten, denn Ihre Inaktivität nach der Entlassung deckt
sich mit dem, was James Carpenter in einem solchen Fall tun
würde.«
»Wie und wo soll ich diesen Moment abwarten«, erkundigte ich
mich.
»Bei seiner Freundin. Nein, bei seiner Verlobten«, antwortete
Mr. McKee.
Ich runzelte die Augenbrauen und fragte mich, ob Mr. McKee
scherzte, begriff aber im nächsten Moment, daß er meinte, was er
sagte.
»Wer ist es?«
»Bitte«, antwortete er und überreichte mir ein ziemlich großes
Farbfoto. Mein Herz beschleunigte seinen Rhythmus. Was ich sah,
besaß genügend Ausstrahlung, um als Titelbild jedem Magazin zu
höheren Auflageziffern zu verhelfen. Das Mädchen konnte nicht älter
als zwanzig sein. Sie war hellblond und schlank. Die Aufnahme
zeigte sie in einem Bikini. Ich gab das Bild zurück, nachdem ich
einen Blick auf seine Rückseite geworfen hatte.
In Liebe — Deine Joyce stand darauf.
»Joyce und wie noch?« fragte ich.
»Amfield.«
»Wie alt ist sie jetzt?«
»Fünfundzwanzig«, erwiderte Mr. McKee. »Sie ist
hochintelligent und arbeitet als Texterin in der Werbeabteilung
einer Kosmetikfirma in Los Angeles.«
Richtig. Das hatte ich vergessen. Der Banküberfall hatte zwar
in Des Moines stattgefunden, aber James Carpenter stammte aus Los
Angeles.
Er war sogar mal eine Zeitlang in der Filmbranche tätig
gewesen. Er hatte dort als Cutter, Komparse und Beleuchter
gearbeitet — je nachdem, was gerade gefragt gewesen war.
»Wie lange kannte das Mädchen Carpenter, ehe man ihn
einlochte?« fragte ich.
»Ein Jahr.«
»Lebten sie zusammen?«
»Ja, ein paar Monate.«
Ich blickte ihn an. »Dann muß Joyce Amfield meine Maskerade
auf Anhieb durchschauen — selbst wenn ich Carpenter wie ein
Zwillingsbruder ähneln sollte.«
»Sie hat Carpenter vor drei Jahren das letztemal im Gefängnis
besucht«, sagte Mr. McKee. »Er wollte sie nicht in dieser Umgebung
sehen. Drei Jahre verändern und formen einen Menschen — nicht nur
äußerlich. Das wird sich auch Joyce Amfield sagen, wenn sie den
Eindruck haben sollte, daß ihr Verlobter anders spricht oder
reagiert, als wie sie es von ihm gewohnt war.«
»Es muß schiefgehen«, sagte ich. »Eine Frau beobachtet scharf.
Es ist so vieles, was wir nicht kopieren können — die Augenfarbe,
die Stimme…«
»Ich habe mir eine Bandaufnahme Vorspielen lassen«, sagte Mr.
McKee, »eine von denen, die damals bei Carpenters Vernehmung
gemacht wurden. Er hat Ihren Stimmfall, Jesse. Er spricht ohne
Akzent. Allerdings hat er die Gewohnheit, nebensächliche Worte zu
wiederholen. Das können Sie nachahmen. Wenn Sie sich die Bänder
genau anhören, wieder und wieder, werden Sie rasch lernen, seine
Sprechweise zu imitieren.«
»Das genügt doch nicht!«
Mr. McKee zog einen dicken Schnellhefter heran. »Hier steht
mehr über James Carpenter drin, als er selbst noch von sich wissen
wird. Die Namen seiner Lehrer und Mitschüler, Art und Schwere
seiner Masernerkrankung, die Eigenheiten seiner Freunde, seine
Vorliebe für bestimmte Speisen und Getränke, seine Technik beim
Billardspiel — spielen Sie übrigens Billard?«
»Mäßig.«
»James Carpenter war darin ein Meister. Versuchen Sie also
abzuwinken, wenn man Sie an den Billardtisch zu holen
versucht.-«
»Geht in Ordnung. Ich denke immer noch an dieses Mädchen«,
sagte ich. »Ist sie ihm treu geblieben?«
»Ja — falls die Angaben unserer Gewährsleute stimmen«, sagte
er.
»Sie hatte einen guten Grund, ihm treu zu bleiben«, sagte ich.
»Sie weiß, daß er eines Tages entlassen werden wird und Anspruch
auf drei Millionen Dollar hat — seinen Beuteanteil.«
»Ich bin nicht sicher, ob sie nur an das Geld denkt«, meinte
Mr. McKee. »Sie ist nicht vorbestraft. In ihrer Firma ist sie
außerordentlich beliebt. Sie gilt als kollegial und hilfsbereit. Es
wäre unfair, Joyce Dinge anzudichten, die ihrem Wesen
widersprechen. Warum soll sie Carpenter nicht lieben — noch immer
lieben? Wir wissen von ihm, daß er eine Reihe durchaus positiver
Eigenschaften besitzt. Er ist intelligent, loyal und männlich. Ein
Jammer, daß er diese Pluspunkte in den Dienst einer miserablen
Sache stellte.«
»Wann muß ich reisen?«
»Sie haben genau vierundzwanzig Stunden Zeit, sich auf die
Aufgabe vorzubereiten.«
»Das ist nicht genug.«
»Ich weiß«, sagte Mr. McKee, »aber mehr Zeit steht uns nach
Lage der Dinge nicht zur Verfügung. Wir befinden uns in einem
Wettlauf mit Carpenters nahem Tod.«
»Wissen seine Freunde, daß er schwer erkrankt ist?« fragte
ich.
»Denen ist bekannt, daß James Carpenter eine sehr labile
Gesundheit hat«, erwiderte Mr. McKee. »Unsere Leute in Los Angeles
haben das Gerücht ausgestreut, daß James Carpenter wegen guter
Führung und einer ernsthaften Erkrankung vorzeitig entlassen
wird.«
»Glauben Sie, daß diese Burschen das schlucken?« fragte ich
skeptisch.
»Es liegt an Ihnen, das herauszufinden«, meinte Mr. McKee.
»Das Wissen dieser Leute um Carpenters Krankheit kommt Ihrer
Aufgabe entgegen. Ein schwerkranker Mann ist ein gezeichneter Mann
— man wird also nicht überrascht sein, wenn Ihr Gesicht in diesem
oder jenem Punkt von der Erinnerung abweicht.«
»Wie steht es mit Carpenters Briefwechsel?«
»Er hatte keinen. Er hat weder Briefe geschrieben noch
empfangen.«
»Leben seine Eltern noch?«
»Nein, es gibt auch keine Geschwister.«
»Nur seine Braut und die beiden Mörder — ganz zu schweigen von
den anderen Männern, die ihn kannten.«
»Es ist zu erwarten, daß diese Leute auf Sie zukommen, Ihnen
auf die Schultern klopfen und Ihnen zu Ihrer Entlassung gratulieren
werden.«
»Sicher«, sagte ich. »Ich werde sie ansehen und nicht einmal
ihre Vornamen nennen können. Dieser Auftrag ist zum Scheitern
verurteilt.«
»Sie können ihn ablehnen«, sagte Mr. McKee.
»Wo sind die Bänder mit der Wiedergabe von Carpenters Stimme?«
fragte ich.
»In dieser Schachtel«, meinte Mr. McKee und legte eine grüne
Metallbox auf seinen Schreibtisch.
»Okay«, sagte ich und drückte meine Zigarette in einem Ascher
aus. »Ich fliege morgen.«
***
Es war heiß, viel zu heiß. Ich blieb stehen, die Hände in die
Taschen meines kurzen, dünnen Mantels geschoben, und starrte in
eine Schaufensterscheibe. Das spiegelnde Glas reflektierte einen
Fremden, einen Mann mit Bärtchen und Stoppelhaar. Jesse Trevellian
alias James Carpenter.
Der Mantel, den ich überflüssigerweise trug, hatte einen
Schnitt, der inzwischen aus der Mode gekommen war, und meine Schuhe
zeigten eine spitze Form, die mir lächerlich vorkam- Ich trug
Carpenters Sachen auf dem Leib und hatte seinen Entlassungschein in
der Tasche. Ich hatte, aus Sicherheitsgründen, exakt den Weg
zurückgelegt, den James Carpenter genommen hätte.
Jetzt war ich nur noch einen Häuserblock von dem Apartmenthaus
entfernt, in dem Joyce Amfield wohnte. Meine Verlobte.
Ich versuchte zu grinsen, aber es gelang mir nicht. Ich hatte
einen scheußlichen Geschmack im Mund. Es war durchaus legal, die
Mörder von drei Bankbeamten mit einem Trick überlisten zu wollen,
aber es war eine andere Sache, wenn man dabei die Gefühle eines
jungen Mädchens strapazieren und verschaukeln sollte.
Ich ging weiter, ohne Eile, seltsam unentschlossen und
zerstreut. Irgend etwas in mir wehrte sich weiterhin dagegen,
dieses Mädchen auf so gemeine Art zu bluffen. Andererseits war
nicht auszuschließen, daß sie die Mörder kannte und mit ihrem
Verlobten unter einer Decke steckte.
Schon deshalb war es notwendig, daß ich bei meinen
vorgezeichneten Plan blieb. Auch wenn es mir schwer fiel.
Ich stoppte vor dem Haus, in dem Joyce Amfield wohnte, und
betrachtete mir die imponierende, mit Kunststeinen beschichtete
Fassade. Die quadratischen Fenster waren mit Leichtmetallrahmen
eingefaßt. Die Drehtür aus dickem Kristallglas bildete ein weiteres
Indiz dafür, daß es sich um ein Apartmenthaus der gehobenen Klasse
handelte.
Der Lift brachte mich in die fünfte Etage. Ich klingelte an
der cremefarbig lackierten Tür, die Joyce Amfields Namensschild
trug. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich Schritte in der
Diele hörte. Sie kamen rasch näher.
Verdammt, ich bin kein Schauspieler, wie sollte ich diese
Rolle nur meistern? Wie benimmt sich ein Mann, der nach
langjähriger Gefängnisstrafe plötzlich seiner schönen,
begehrenswerten Verlobten gegenübertritt — ohne Voranmeldung, ohne
den leisesten Versuch, sie auf dieses Ereignis gebührend
vorzubereiten?
Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen erschien ein Mann in
schwarzen Feinkordhosen und hellblauem Rollkragenpullover. Er hatte
schon stark gelichtetes Haar, konnte aber nicht viel älter als
fünfunddreißig sein.
»Wer sind Sie?« fragte ich ihn.
Er starrte mich an, Feindseligkeit in den Augen. »Darauf habe
ich gewartet«, sagte er. »Kommen Sie ’rein.«
Ich folgte ihm durch eine kleine, hübsch tapezierte Diele in
das mittelgroße, mit zwei Fenstern zur Straße weisende Wohnzimmer.
Ein paar gute Antiksachen gaben dem ansonsten modern möblierten
Zimmer eine eigenwillige, betont weibliche Note.
»Wo ist Joyce?« fragte ich und blieb dicht hinter der Schwelle
stehen.
Die Sachen sind neu, schoß es mir gleichzeitig durch den Kopf.
Du brauchst nichts davon zu kennen — ausgenommen den Barockengel
und den venezianischen Spiegel. Beide waren auf einem der Fotos zu
sehen gewesen, die Carpenter vor seiner Verhaftung von der früheren
Wohnung seiner Verlobten gemacht hatte. Diese Bilder befanden sich
— als Kopien — in den Händen des FBI.
»Weg«, sagte er.
»Wann kommt sie wieder?«
»Ich weiß es nicht.«
Ich hielt die Hände in den Taschen, wie ich es auf einigen der
kopierten Fotos bei Carpenter gesehen hatte. Obwohl keineswegs
sicher war, daß der Bursche im Rollkragenpulli Carpenter gekannt
hatte, mußte ich meiner Rolle so treu bleiben, wie es nur möglich
war.
Ich hätte ihn gern nach seinem Namen gefragt, aber das mußte
ich mir verkneifen, weil es ja immerhin möglich sein konnte, daß er
mich kannte.
»Sie sind Carpenter, nicht wahr?« fragte er in diesem Moment
und entschärfte die Situation damit ein wenig.
Ich setzte mich. »Was dagegen?«
»Ja«, sagte er. »Ja, das habe ich. Nicht gegen Sie,
wohlverstanden. Aber gegen Ihre Rückkehr. Lassen Sie Joyce
zufrieden. Sie paßt nicht zu Ihnen. Ich bin gerade dabei, ihr den
Weg in ein neues Leben zu weisen.«
»Wie rührend«, höhnte ich.
Seine Backenknochen traten deutlich hervor. Er verschränkte
die Arme vor der Brust.
»Ich bin bereit, um sie zu kämpfen.«
»Wie denn?«
»Mit allen Mitteln«, sagte er.
»Und Joyce billigt das?«
»Wahrscheinlich nicht. Sie hängt noch an Ihnen. Sie ist loyal.
Sie glaubt, daß es ihre Pflicht sei, Ihnen die Treue zu bewahren —
aber ich bringe ihr allmählich bei, wie dumm das ist, wie
lebensfremd. Es mag stimmen, daß Sie bei dem Überfall niemand
töteten, aber trotzdem sind Sie mitschuldig an dem Geschehen. In
meinen Augen sind Sie ein Mörder.«
»Seit wann kennen Sie Joyce?«
»Seit drei Monaten. Wir arbeiten in der gleichen Firma«, sagte
er und stellte sich endlich vor. »Mein Name ist Mark
Trenton.«
Ich erhob mich, trat ans Fenster und blickte hinaus, die Hände
immer noch in den Taschen.
»Ich habe diesem Tag entgegengeträumt«, sagte ich. »Ich habe
für diesen Tag gelebt, für nichts anderes. Glauben Sie im Ernst,
daß ich jetzt bescheiden zur Seite treten und einem Missionar der
Moral Platz machen werde?«
»Nein«, sagte er ruhig. »Mir ist klar, daß es unsinnig wäre,
mit Ihrer Einsicht und Ihrem Verständnis rechnen zu wollen. Ich muß
Sie dazu zwingen, auf Joyce zu verzichten.«
Ich wandte den Kopf und blickte ihn an. »Wie wollen Sie das
anstellen?«
Er lächelte dünn und spöttisch. Seine Augen blieben hart und
feindselig. »Mit Gewalt«, sagte. »Leute Ihres Kalibers lassen sich
nur mit den eigenen Waffen schlagen.«
»Interessant, wirklich interessant«, sagte ich und hielt
seinen Blick fest. »Aber nicht ausführlich, nicht detailliert
genug.«
»Ich habe auf eigene Faust ein paar Nachforschungen
angestellt«, sagte er. »Wenn ich will, bringe ich Sie schon morgen
ins Gefängnis zurück.«
»Wollen Sie?«
»Ja — wenn Sie Joyce nicht freigeben.«
»Sie sind ein hübscher Bluffer«, sagte ich, »aber Sie
vergessen, wen Sie vor sich haben. Mein Köpfchen hatte schon immer
das Talent, schwierige Probleme zu lösen. Es wird auch dieses
meistern.«
»Lieben Sie Joyce?« fragte er.
»Ich denke schon.«
»Wenn Sie sie wirklich lieben, geben Sie sie auf«, meinte er.
»Sie können ihr nichts geben — nur eine Flucht vor den FBI-Männern,
die fortfahren werden, Sie und Ihren Anteil zu jagen, ein Leben
voll Hetze, Hektik und Angst, ein Leben ohne Zukunft.«
»Sie brechen mir das Herz«, sagte ich.
Es tat mir leid, ihn verhöhnen zu müssen. Er schien ein netter
Kerl zu sein, ein Bursche mit guten Absichten. Wenn er Glück hatte,
würde er auch ohne Schwierigkeiten zu seinem Ziel kommen — aber das
durfte ich ihm leider nicht sagen. Ich mußte ihn als meinen Feind
behandeln, als einen Mann, dessen Willen und Absichten es zu
brechen galt.
»Ich fürchte mich nicht vor Ihnen«, sagte er.
»Ich bin nicht mehr der, der ich einmal war«, sagte ich und
hüstelte leicht, »aber meine Freunde haben gewiß nichts von dem
verlernt, was sie groß gemacht hat.«
»Drohen Sie mir nicht mit Ihren Freunden«, sagte er. »Das
beeindruckt mich nicht.«
»Das zeigt mir, daß Sie sie nicht kennen.«
»Ich will, daß Sie verschwinden«, sagte er.
Ich schaute ihn an. Er hatte die Fäuste geballt und sah sehr
entschlossen aus.
»Ich werde Joyce erklären, daß Sie hier waren«, fuhr er fort.
»Sie kann dann selbst entscheiden, wie es weitergehen soll.«
»Ich bleibe«, sagte ich ruhig.
Er trat dicht vor mich hin. »Ich habe Sie ’reingelassen, um
Ihnen meinen Standpunkt klarzumachen«, erklärte er. »Ich habe Ihnen
gesagt, daß ich um Joyce kämpfen werde. Ich fürchte mich nicht vor
Ihnen. Im Gegenteil. Ich brenne darauf, Ihnen zu zeigen, was ich
von einem Mann Ihres Kalibers halte. Sie haben Joyce verdorben. Sie
haben es fertiggebracht, sie für das Leben untauglich zu machen.
Ich will und werde dafür sorgen, daß sich das ändert, daß sie
wieder lachen und sich freuen kann. Hauen Sie ab, oder ich werde
ungemütlich — und lassen Sie sich nie wieder hier blicken.«
»Sie vergessen, daß ich den Spieß umkehren kann«, sagte ich.
»Sie haben hier nichts verloren. Sie haben versucht, sich an meine
Verlobte ’ranzumachen. Wenn Sie mir nicht so verdammt gleichgültig
wären, würde ich Sie mit ein paar Griffen auseinandernehmen.«
»Sie Angeber!« höhnte er. »Sie sind schwach und krank. Joyce
hat es mir erzählt. Eigentlich sollte ich Mitleid für Sie
empfinden, aber das wäre dumm. Sie gehören zu den Leuten, die das
skrupellos ausnutzen würden. Mit Ihnen muß man Fraktur
reden.«
Er schoß plötzlich seine Linke ab, ziemlich schnell und hart,
aber nicht geschickt genug, um mich damit treffen zu können. Ich
praktizierte einen Sidestep und fing Trenton mit der Schulter ab,
als er, von der eigenen Schlagwirkung mitgerissen, ins Leere zu
stolpern drohte.
»Lassen Sie das«, sagte ich scharf.
Er war nicht zu bremsen. Diesmal legte er eine Dublette vor.
Ich blockte ihn ab. Als ich merkte, daß es sinnlos war, in der
Defensive zu bleiben, setzte ich ihm einen rechten Schwinger aufs
Kinn. Der brachte ihn zur Vernunft. Er fiel über einen Stuhl, kam
aber sofort wieder auf die Beine, blinzelnd.
Ich begriff, daß ich einen Fehler gemacht hatte. In meinem
Schlag hatte zuviel Mumm gelegen. So schlug kein Mann, dessen
Entlassung aus dem Gefängnis unter anderem mit einer schweren
Erkrankung motiviert worden war. Außerdem wußte ich, daß Carpenter
niemals Boxunterricht gehabt hatte. Er war kein Schläger gewesen.
Seine Qualitäten hatten eher auf intellektueller Ebene
gelegen.
Trenton massierte sich das Kinn, verbittert und ziemlich
erstaunt. Ich grinste matt. »Das lernt man im Bau«, behauptete
ich.
»Wann kommt Joyce zurück?« fragte ich dann.
»Keine Ahnung«, murmelte er.
»Haben Sie einen Schlüssel für die Wohnung?«
»Nein. Sie sagte, es würde nur eine halbe Stunde dauern.« Er
schaute auf die Uhr. »Seltsam«, meinte er. »Sie hat die Zeit
bereits um zehn Minuten überzogen. Das ist sonst nicht ihre
Art.«
Ich trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinab, dann
wandte ich mich wieder um. »Hat sie oft von mir gesprochen?« wollte
ich wissen.
Sein Mund zuckte. »Ja. Viel zu oft, wenn Sie meine Ansicht
hören wollen.«
Das Telefon klingelte. Trenton sprang auf, aber ich war vor
ihm am Apparat. Ich nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Hallo, Mark«, ertönte eine weibliche Stimme am anderen
Leitungsende. »Ich bin’s, Joyce. Geh nach Hause. Ich komme nicht
zurück. Nie wieder. Ich verschwinde mit dem Geld, ich tauche
unter…«
Dann ertönte ein seltsames Geräusch. Es hörte sich an, als
versuchte das Mädchen, weiterzureden, obwohl es in diesem Moment
von einer Hand oder einem Lappen, vielleicht auch von einem
würgenden Griff daran gehindert wurde.
Es klickte in der Leitung. Der Teilnehmer hatte
aufgelegt.
Ich blickte über meine Schulter. Trenton stand dicht hinter
mir. Seinen weit aufgerissenen Augen war zu entnehmen, daß er die
Worte der Anruferin mitbekommen hatte. Trotzdem wiederholte ich
sie.
Er schluckte und setzte sich — leichenblaß.
»Da ist was faul«, sagte er.
»Sicher ist da was faul«, bestätigte ich. »Sie ist mit dem
Geld abgehauen.« Er starrte mich an, Empörung in den Augen. »So
etwas würde Joyce nie tun! Wie können sie ihr das nur Zutrauen? Da
sieht man mal, was mit Ihnen los ist! Der Anruf war
fingiert…«
»Es war doch Joyces Stimme, oder?«
»Das müssen Sie doch wissen!«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist so lange her, daß ich
mit ihr gesprochen habe.«
»Ich hörte nur ein Quäken aus dem Hörer — das reichte nicht
aus, um beurteilen zu können, ob sie es wirklich war«, sagte er
nervös. Er knackte mit den Fingergelenken. »Was nun?« fragte
er.
»Warum fragen Sie mich?«
»Schließlich ist es Ihr Geld, Ihre Zukunft«, meinte er.
»Vorhin schien es mir so, als sähen Sie in Joyce auch Ihre
Zukunft«, spottete ich.
»Das tue ich noch immer«, erklärte er. »Ich glaube nicht, daß
sie mit dem Geld getürmt ist. Sie wußte nicht mal, wo es
ist.«
»Haben Sie sie danach gefragt?«
»Nein. Sie hat es mir einmal erzählt. Freiwillig. Wenn es
stimmt, was sie sagte, haben Sie Joyce bewußt uninformiert
gelassen. Sie sollte wegen des Geldes keine Schwierigkeiten
haben.«
»So ist es«, sagte ich.
Er hörte gar nicht auf das, was ich sagte. Aus schmalen Augen
starrte er auf den Fußboden.
»Irgend jemand benutzt Joyce, um den Diebstahl Ihres Anteils
zu kaschieren«, sagte er.
Helles Köpfchen, dachte ich.
Was Trenton sagte, war mir bereits durch den Kopf gegangen.
Joyces Anruf war zu hektisch gewesen, und sein Ende war zu abrupt
gekommen. Irgend etwas daran wirkte forciert und gekünstelt,
ungefähr so, als habe das Mädchen unter Bedrohung und in Todesangst
die Worte geäußert, die man ihr eingetrichtert hatte.
»Wann ist sie weggegangen?« fragte ich.
Er schaute mich an, ziemlich verwundert. »Sie setzen mich in
Erstaunen«, sagte er. »Der Verlust von einigen Millionen Dollar
läßt Sie offenbar völlig kalt.«
»Ich kriege mein Geld schon, verlassen Sie sich darauf«, sagte
ich.
»Joyce ist keine Diebin«, erklärte er. »Ich kenne sie. Sie
wäre außerstande, jemand einen Penny zu klauen.«
»Bei drei Millionen ist die Versuchung erheblich größer«,
sagte ich und war bemüht, mich in die Psyche des Mädchens zu
versetzen.
Vielleicht hatte sie gewußt, wo das Geld versteckt war, und
plötzlich den Entschluß gefaßt, mit den Millionen
unterzutauchen.
Die Auslösung für diesen Entschluß konnte das Gerücht von
meiner bevorstehenden Entlassung gewesen sein. Möglicherweise war
dem Mädchen der Gedanke, mit Carpenter erneut zusammen leben und'
mit ihm auf die Flucht gehen zu müssen, unerträglich gewesen. Sie
hatte es statt dessen vorgezogen, mit den Millionen zu
verschwinden. Vielleicht hatte sie vor, mit dem Geld und
gefälschten Papieren ins Ausland zu verschwinden. Es war nicht
auszuschließen, daß sie dieses Projekt langfristig geplant und erst
jetzt ausgeführt hatte.
»Woran denken Sie?« fragte ich. »Ich habe seit Stunden kein,
Auge schließen können, auch nicht in der letzten Nacht. Es ist
ziemlich anstrengend und strapaziös, nach Jahren der Haft vor der
Entlassung zu stehen und — na ja, Sie wissen schon«, schloß
ich.
»Ja, ja, ich weiß«, murmelte er, mit den Gedanken spürbar bei
anderen Dingen.
Er stand plötzlich auf.
»Ich muß etwas unternehmen«, sagte er und schaute mich an.
»Kommen Sie mit?«
»Wohin?«
»Joyce wollte zum Friseur«, erinnerte er sich. »Ich will
versuchen, ihren Weg zu rekonstruieren.«
»Was hat sie mitgenommen, und was hatte sie an?« wollte ich
wissen.
»Ein Leinenkostüm. Mitgenommen hat sie nur ihre Handtasche. So
geht man nicht auf eine Reise. So kleidet sich niemand, der
untertauchen will.«
»Warum eigentlich nicht?« fragte ich, wie zu mir selber
gewandt. »Vielleicht kam es ihr darauf an, das Verschwinden
glaubhaft als Entführung zu tarnen. Deshalb der Anruf. Deshalb der
Umstand, daß sie kein Gepäck mitnahm. Warum auch? Für drei
Millionen kann man alles kaufen. Alles.«
»Sie sind ja verrückt!« stieß er hervor. »Ich sollte Sie
ohrfeigen. Sie verdienen Joyces Liebe nicht.«
Ich schaute ihn an, ein bitteres Lacheln auf den Lippen. »Sie
und ich — wir wären nicht die ersten Männer, die von einer Frau
aufs Kreuz gelegt wurden. Ich würde es Joyce nicht einmal
übelnehmen können. Drei Millionen sind eine Versuchung, der nur
wenige widerstehen können.«
»Joyce gehört zu diesen wenigen«, versicherte er grimmig,
offenbar entschlossen, das Mädchen nicht von dem Podest stoßen zu
lassen, auf das er sie gestellt hatte.
»Wie heißt ihr Friseur?«
»Hugo. Salon Hugo. Er ist nur drei Häuserblocks von hier
entfernt. Warten Sie, ich rufe ihn an. Sie hat die Nummer auf ihrem
Merkblock stehen.«
Ich beobachtete, wie er ans Telefon trat und die Nummer
wählte, die er dem Block entnahm.
»Geben Sie mir Miß Amfield, bitte. — Oh! —'Ja, ich verstehe.
Sind Sie sicher? Fragen Sie lieber noch einmal nach…« Er bedeckte
die Sprechmuschel mit einer Hand und schaute mich an. »Sie war gar
nicht dort.« Er wartete eine Minute, sagte dann: »Vielen Dank.« Er
legte auf, setzte sich und sah aus wie ein geschlagener Mann. »Was
nun? Sie war nicht beim Friseur. Sie hat mich angelogen.«
»Wenn man Sie anschaut, könnte man meinen, daß Ihnen die drei
Millionen geklaut wurden«, spottete ich.
»Sie haben nur Ihr Geld verloren, ich meine Liebe«, sagte er.
»Das wiegt viel schwerer.«
***
Steve Batty räkelte sich auf dem Bett. Er war angezogen, nur
die Schuhe und das Jackett hatte er vorher abgestreift. Das
Sonnenlicht wurde durch die halb geschlossene Jalousie ins Zimmer
gefiltert. Das kontrastreiche Streifenmuster von Licht und Schatten
lief quer über das Bett und seinen Körper. Er rauchte eine
Zigarette. Neben ihm, auf dem Boden, standen griffbereit eine
Flasche mit Whisky und ein halbvolles Glas.
Es klopfte. »Ja?« rief Batty.
Die Tür öffnete sich. Ein hochgewachsener, ziemlich knochig
wirkender Mann trat ein und schloß die Tür hinter sich.
»Hallo, Gregg«, sagte Batty. »Was verschafft mir die Ehre
deines Besuches?«
Gregg Shad durchquerte den Raum und trat ans Fenster. Er
blickte hinab auf die Straße, konzentriert und mit düsterer Miene.
Batty lachte kurz. »Wenn man dich anschaut, könnte man meinen, die
Bullen seien hinter dir her. Warum bist du bloß so nervös, verdammt
noch mal?«
»James wird entlassen«, sagte Gregg Shad.
»Quatsch!«
»Er ist schon draußen.«
»Kompletter Blödsinn.«
»Ich hab’s aus erster Hand«, sagte Gregg Shad. Er starrte
immer noch auf die Straße hinab.
»Wie kannst du nur auf diese Latrinenparolen ’reinfallen?«
fragte Batty.
»Ich hab’s von Smiley, der weiß Bescheid.«
»Smiley, dieser dreckige Polizeispitzel!« sagte Batty
verächtlich.
»Immerhin, er ist stets gut informiert.«
»Okay. James kommt also zurück. Ich weiß nicht, weshalb dich
das so verrückt macht. Wir haben sein Geld gut verwahrt. Er kann es
jederzeit kassieren. Oder nicht?«
»Davon möchte ich mich überzeugen«, sagte Gregg Shad und
wandte sich dem Mann auf dem Bett zu.
»Ich hab’ nichts dagegen.«
»Komm mit— wir fahren ’raus.«
»Jetzt?«
»Sofort.«
»Sag mal, spinnst du?« erkundigte sich Batty stirnrunzelnd.
»Wir sind nicht beim Militär, und du bist nicht mein Chef. Du
kannst mich nicht ’rumkommandieren.«
»Das will ich auch nicht. Ich will nur, daß du mich
begleitest.«
»Ich habe keine Lust, bei dieser Affenhitze ’rauszufahren«,
sagte Batty. »Es gibt keinen Grund dafür.«
»Wir müssen uns davon überzeugen, ob die Piepen noch da sind«,
erklärte Gregg Shad und ging auf Zehenspitzen über den abgetretenen
Teppich zur Tür. Mit einem Ruck öffnete er sie und schaute hinaus.
Der Korridor war leer. Er schloß sie wieder.
»Warum sollten sie verschwunden sein? Das Versteck kennen nur
wir, nur du und ich«, sagte Steve Batty.
»Steh schon auf.«
»Okay«, seufzte Batty und schwang seine Füße auf den Boden. Er
erhob sich, streckte sich, schlüpfte in seine Schuhe und streifte
sein Jackett über. »Hinterher lädst du mich ein, zum Essen oder in
eine Nachtbar. Als Kompensation für den verpfuschten Tag.«
»Ich verstehe nicht, wie man so leben kann«, sagte Gregg Shad
und schaute sich angewidert in dem großen, schäbig möblierten
Zimmer um. »In dieser Höhle!«
»Mir gefällt’s«, sagte Steve Batty grinsend. »Außerdem
entspricht es der Abmachung. Unauffällig leben. Keine großen
Ausgaben machen. Nicht in den Vordergrund schieben, ein Gesicht in
der Masse bleiben.«
»Trotzdem begehst du einen Fehler«, meinte Gregg Shad. »Du
arbeitest nicht. Schon seit Jahren nicht. Irgendwann werden die
Leute anfangen, sich zu wundern, womit du deinen teuren Whisky und
die hübschen Klamotten bezahlst. In deinem Schrank hängen
mindestens zehn Anzüge. Ich habe bemerkt, daß du sie verdammt oft
wechselst.«
»Ich bin ein großer Wetter und Spieler. Ich erzähle jedem, der
es hören will — und auch solchen, die darauf pfeifen —, daß ich
damit mein Geld verdiene. Ich fahre immer noch meinen 65er Dodge.
Du hast also keinen Grund, an mir herumzunörgeln. Wozu, verdammt
noch mal, haben wir denn das große Ding gedreht, wenn wir so
enthaltsam wie die Mönche leben sollen? Von dir läßt sich schon gar
nicht behaupten, daß du übertrieben bescheiden auftrittst!«
»Du übersiehst, daß ich mir eine kleine Firma aufgebaut habe,
aus eigener Kraft und nachweisbar mit selbstverdientem Geld. Das
legitimiert meine Lebensführung — und nur darauf kommt es
an.«
»Dein Scheißladen!« höhnte Steve Batty. »Du hast ja ’ne Meise.
Hast Millionen auf der hohen Kante und rackerst dich hinter dem
Tresen ab! Einfach verrückt. Weshalb, möchte ich mal wissen, hast
du das Ding damals eigentlich mitgedreht?«
»Es hat mich gereizt. Es ist wunderbar, zu wissen, daß man
versorgt ist. Millionär. Ein großartiges Gefühl«, sagte Gregg Shad.
»Im übrigen kann bei mir von abrackern keine Rede sein. Ich habe
drei Angestellte, die schmeißen das Geschäft. Ich manage nur noch
den Einkauf und die Abrechnung.«
»Schon gut«, knurrte Steve Batty und ging zur Tür. »Du bist
ein Genie.«
Wenige Minuten später saßen sie in Gregg Shads großem, neuem
Staticncar, dessen Türen die Aufschrift von Shads Ladengeschäft
trugen. »Gregor Shad — Antiquitäten — Los Angeles, Marlboro Street
82«.
»Müssen wir ausgerechnet mit diesem Schlitten ’rausfahren?«
knurrte Steve Batty und zündete sich eine Zigarette an. »Wenn wir
jemandem auffallen sollten, weiß er gleich, wem die Karre
gehört.«
»Wir haben nicht vor, jemandem aufzufallen«, sagte Gregg Shad
ruhig. Er blickte gleichzeitig in den am Amaturenbrett befestigten
Spiegel. Niemand folgte ihnen. Batty lachte. »Wie großkotzig du
daherredest — und gleichzeitig beweist du mit deinem Blick in den
Spiegel, daß du noch immer die Hosen voll hast.«
»Ich bin vorsichtig, das habe ich mir zur Gewohnheit gemacht«,
verteidigte sich Gregg Shad. »Es hat weder etwas mit Angst noch mit
Nervosität zu tun. Du solltest froh sein, daß dein Partner so
umsichtig reagiert. Es muß dir als Beruhigung dienen.«
»Ich wüßte gern, wie James jetzt aussieht. Er soll kurz vor
dem Abschrammen stehen.«
»Er wird sich die besten Ärzte leisten können, die man für
Geld haben kann.«
»Findest du?' Du kennst James. Der ist wie du. Der wird sich
hüten, sein Geld anzutasten. Schließlich weiß er, daß die Bullen
ihn Tag und Nacht beschatten werden, um an sein Moos
’ranzukommen.«
»Das macht nichts«, sagte Gregg Shad spöttisch. »Absolut gar
nichts. Jeder Arzt in der Stadt weiß, wer James Carpenter ist und
was hinter ihm steht. Jeder Arzt wird ihn auf Kredit behandeln und
darauf hoffen, daß James sich bei der Honorierung entsprechend
großzügig erweist.«
»Daran habe ich noch nicht gedacht«, meinte Steve Batty
beeindruckt. »Du hast recht. James kann praktisch auf Jahre hinaus
auf Pump leben. Da man weiß, daß drei Millionen hinter ihm stehen,
wird man sich in Stücke reißen, um ihn als Kunden zu
gewinnen.«
»Du hast es erfaßt«, sagte Gregg Shad.
»Also braucht er das Geld gar nicht, oder?« fragte Steve
Batty.
»Nicht im Augenblick.«
»Weshalb dann dieser idiotische Trip ins Grüne?« fragte Steve
Batty gereizt.
»Das schulden wir ihm. Nur so, aus Loyalität und um ganz
sicher zu sein, daß die Piepen noch da sind.«
»Du spinnst.«
»James hat unseren Rückzug gedeckt. Er ist für uns in den Bau
gegangen. Er hat uns seine Gesundheit geopfert«, sagte Gregg Shad
scharf. »Und was haben wir für ihn getan? Seinen Anteil verbuddelt,
weiter nichts! Das mindeste, was wir ihm schuldig sind, ist…«
»Hör schon auf damit«, fiel ihm Steve Batty mürrisch ins Wort.
»Ich weiß, daß du James als Helden feierst. Und du weißt, daß ich
das für übertrieben halte. Wenn er damals ein bißchen
reaktionsschneller aufgetreten wäre, wenn er die beiden Bullen an
der Ecke umgelegt hätte, wäre ihm die Verhaftung erspart
geblieben.«
»Drei Tote waren genug, mehr als genug«, preßte Gregg Shad
durch die Zähne. »Sie gehen auf dein Konto.«
»Wenn ich nicht geschossen hätte, säßest du heute auf einer
Pritsche — und ich wäre gleich neben dir, in der
Nachbarzelle.«
»Reden wir nicht mehr darüber. Wir haben das Thema schon bis
zum Überdruß abgehandelt.«
»Weiß ich. Du fängst ja immer wieder davon an!« sagte Steve
Batty.
»Weil es mich nicht losläßt, weil ich buchstäblich nachts von
ihm aus dem Schlaf gerissen werde — wie der kleine Schurke im
Illustriertenroman«, bekannte Gregg Shad bitter.
»Flasche!« höhnte Steve Batty.
Gregg Shad steckte sich eine Zigarette an. »Wie klappt die
Zusammenarbeit mit Max?« fragte er.
Steve Batty zuckte leicht zusammen und riß den Kopf herum.
»Was sagst du da?«
»Ich habe mir sagen lassen, daß du in letzter Zeit oft mit Max
Styner zusammengekommen bist.«
»Hast du was dagegen?« fragte Steve Batty wütend. »Willst du
mir auch noch meine Freunde und meinen Umgang vorschreiben?«
»Max Styner ist ein prominenter Mann — soweit sich das von
einem Syndikatsboß behaupten läßt«, stellte Gregg Shad ruhig fest.
»Mir ist es egal, wenn du dich mit ihm sehen läßt — oder nein, mir
ist es nicht völlig egal. Was dich betrifft, betrifft auch mich.
Styner ist ein Mann, der sich der besonderen Aufmerksamkeit des FBI
erfreut. Die Leute, mit denen er sich umgibt, müssen zwangsläufig
in den Sog dieser Aufmerksamkeit geraten. Ich verstehe nicht,
weshalb du dich dieser Gefahr aussetzt.«
»Styner hat hundert Freunde und tausend Gönner — von den
Speichelleckern, die ihn umschleichen, ganz zu schweigen«, sagte
Steve Batty. »Das FBI müßte sein Personal um das Vielfache auf
stocken, wenn er jeden Burschen überprüfen und durchleuchten
wollte, der mit Styner gesehen wird oder mal an einer seiner
berühmten Partys teilnimmt. Du machst dich mit deiner übertriebenen
Vorsicht einfach lächerlich.«
»Ich denke an mich, nicht an dich«, gab Gregg Shad zu. »Ich
habe drei Millionen gewonnen und möchte sie nicht wieder verlieren,
weil mein Partner wie ein Hohlkopf auf tritt.«
»Immerhin hat dieser Hohlkopf einen ruhigen Schlaf«, höhnte
Steve Batty. »Er ist auch nicht so hirnverbrannt, sich in einem
blöden Laden abzurackern. Alles in allem macht er mehr &us
seinem Leben als der Mann, der meint, das alles kritisieren zu
müssen. Ich halte jetzt die Schnauze, bis wir am Ziel sind. Und du
hältst sie auch — oder ich setze dir meine Faust darauf. War das
deutlich?«
»In dieser Hinsicht hattest du noch niemals Schwierigkeiten,
dich verständlich zu machen«, spottete Gregg Shad.
Danach schwiegen sie. Sie brauchten mehr als zwei Stunden, um
die Steinwüste der Stadt hinter sich zu lassen, und rollten dann
über den Highway 99 in nordwestlicher Richtung bis nach Newhall.
Dort bogen sie links ab und nahmen Kurs auf die Gegend von
Moorpark. Gegen siebzehn Uhr dreißig lenkte Gregg Shad sein großes,
etwas ungelenk wirkendes Stationcar auf einen Feldweg, der an zwei
Wäldchen vorbei zu einer verlassenen Farm führte. Eine
Holzschranke, die die Zufahrt versperrte, trug eine verwitterte
Holztafel mit der Aufschrift »Keine Weiterfahrt —
Privatbesitz«.
Die Männer stiegen aus, streckten sich imd schauten sich um.
Weit und breit war niemand zu sehen. Sie ließen den Wagen stehen
und begaben sich zu Fuß bis zu dem kleinen, rostbraun gestrichenen
Wohngebäude, dessen hölzerne Fensterläden geschlossen waren.
Shad holte einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür.
Sie gingen hinein, stießen einige Fensterläden auf und ließen
frische Luft in die modrigen, vermufft riechenden Räume. Batty warf
sich in einen abgedeckten Sessel, streckte beide Beine weit von
sich und sagte: »Jetzt brauche ich erst mal ’n Whisky.«
»Der ist brühwarm, er wird dir nicht schmecken«, sagte
Shad.
»Warum, zum Teufel, hast du den Kühlschrank noch nicht
reparieren lassen?«
»Weil ich nicht will, daß fremde Handwerker hier
’rumschnüffeln«, sagte Gregg Shad.
»Du tust so, als läge das Geld im Haus!«
»Du weißt, wo das Zeug steht«, meinte Gregg Shad und steckte
sich eine Zigarette an.
Steve Batty stemmte sich hoch, klopfte seine Hose ab, die von
dem weißen staubbedeckten Sesselbezug beschmutzt worden war, und
öffnete die Tür eines Gewehrschrankes, der als Hausbar diente und
eine Batterie größtenteils leerer Flaschen enthielt.
Er hob einige Flaschen gegen das Licht, fand endlich das
Richtige und füllte sich ein Glas bis zur Hälfte. »Nimmst du auch
einen?« fragte er laut. Gregg Shad befand sich nicht mehr im
Zimmer. Batty hörte ihn durch das Haus gehen. Shad antwortete
nicht, kehrte aber zwei Minuten später zurück.
»Alles okay«, sagte er zufrieden.
»Was hattest du denn erwartet? Daß sich hier eine
Hippiekommune eingenistet haben könnte?« fragte Steve Batty und
genehmigte sich einen großen Schluck.
»Wundern würde mich so etwas nicht«, antwortete Gregg Shad.
»Die Farm liegt einsam und abgeschieden, sie muß jeden einladen,
der Ruhe sucht.«
»Von diesen verlassenen Farmen gibt’s in der Gegend ein paar
Dutzend«, sagte Steve Batty. »Ein paar davon werden neuerdings als
Wochenendgrundstücke benutzt.«
»Komm schon«, sagte Gregg Shad ungeduldig, »bringen wir’s
hinter uns.«
»Wenn du nichts dagegen hast, nehme ich mein Glas mit«, meinte
Steve Batty und folgte Shad nach draußen.
»Anders ist der Gestank nicht zu ertragen.«
Sie verließen das Haus und gingen zu den verwahrlost
aussehenden Wirtschaftsgebäuden. Die Tür zum Stall war ausgehängt.
Im Innern herrschte ein diffuses Licht.
»Pfui Teufel!« sagte Steve Batty und schüttelte sich. »Wie
konnten wir nur auf die Idee kommen, die Piepen ausgerechnet im
Schweinestall zu verscharren?«
»Es war eine gute, eine blendende Idee«, meinte Gregg Shad
zufrieden. »Der Gestank und der Schmutz dürften jeden davon
abhalten, sich näher hier drin umzusehen. Penner, die eventuell ein
Nachtlager suchen, werden in der Scheune oder im Silo, aber
bestimmt nicht hier schlafen.«
»Halt keine Reden«, sagte Steve Batty mit gerümpfter Nase.
»Schnapp dir endlich den Spaten und beruhige dein verdammtes
Gewissen. Vielleicht findest du dann morgen oder nächste Woche auch
noch Gelegenheit, deinem Helden James die Füße zu küssen.«
»Idiot«, knurrte Gregg Shad und griff nach oben hinter eine
dicke Holzstrebe. Er holte einen Spaten dahinter hervor und stoppte
plötzlich abrupt.
»Da hat jemand gescharrt — das sind frische Grabspuren«, sagte
er.
»Du spinnst, das kannst du in der Dunkelheit doch gar nicht
erkennen.«
»Meine Augen haben sich inzwischen an das Licht gewöhnt«,
sagte Gregg Shad. »Komm her, überzeuge dich davon.«
»Fang an zu graben, dann weißt du, was davon zu halten ist«,
meinte Steve Batty.
Gregg Shad räumte die dicke Dreckschicht beiseite, dann stieß
er mit dem Spaten in das weiche, darunterliegende Erdreich. Schon
nach kurzer Zeit wurde ein harter, metallischer Ton hörbar.
Das Spatenblatt war auf einen Widerstand gestoßen.
»Na, bitte!« sagte Steve Batty. »Der Tank.«
»Er klingt hohl — anders als sonst.«
»Hol ihn r’aus.«
Gregg Shad richtete sich auf und streckte Steve Batty den
Spaten entgegen. »Jetzt bist du dran.«
»Danke, kein Bedarf«, wehrte Steve Batty ab und genehmigte
sich einen weiteren Schluck. »Das Ganze war schließlich deine Idee,
Partner.«
»Wenn du nicht sofort zu graben beginnst, schlage ich dir den
Schädel ein«, drohte Gregg Shad.
»He, was ist denn auf einmal in dich gefahren?« wunderte sich
Steve Batty. »Warum spielst du plötzlich verrückt? Gib das Ding
schon her — ich will, daß wir den Scheißjob möglichst schnell
hinter uns bringen. In diesem Mistloch erstickt man ja vor Dreck
und Gestank.«
Er überließ Shad sein Glas und begann zu graben. Wenige
Minuten später hatte er einen kleinen ehemaligen Öltank freigelegt,
der zu einem Behälter umfunktioniert worden war, indem man seine
Schmalseite aufgetrennt hatte.
»Jetzt bist du dran«, sagte Steve Batty.
Gregg Shad gab Batty das Glas zurück, bückte sich und nahm den
Deckel ab.
Der Behälter war leer.
»Ich will verdammt sein«, murmelte Steve Batty.
Gregg Shad holte sein Gasfeuerzeug aus der Tasche. Er knipste
es an, drehte die Flamme hoch und leuchtete ins Innere des
Behälters.
»Nichts«, sagte er. Seine Stimme klang angesichts der
Entdeckung, daß jemand drei Millionen aus dem Tapk gestohlen hatte,
erstaunlich ruhig.
»Ich will verdammt sein«, wiederholte Steve Batty und machte
ein betroffenes Gesicht. Ihm schien nichts anderes
einzufallen.
»Die Spuren sind frisch gewesen — das Geld ist vermutlich erst
heute oder gestern gestohlen worden«, sagte Gregg Shad, noch immer
sehr beherrscht und gelassen.
Steve Batty warf den Spaten in die Ecke, nahm einen Schluck
aus dem Glas und trat ins Freie. Gregg Shad folgte ihm. Die Männer
blickten sich an.
»Was nun?« fragte Steve Batty.
»Wir müssen für den Schaden haften.«
»Wie meinst du das?«
»Du blechst anderthalb Millionen, und ich zahle den gleichen
Betrag.«
»Tickst du noch richtig?«
»James hat Anspruch auf seine drei Millionen«, sagte Gregg
Shad.
An Battys Schläfe schwoll eine Ader. »Was kann ich dafür, wenn
sie geklaut worden sind?«
»Es war unsere Pflicht, das Geld so aufzubewahren, daß niemand
herankommt.«
»Nur wir zwei wußten Bescheid, du und ich«, preßte Steve Batty
durch seine Zähne. »Woher soll ich wissen, daß dü nicht hier
gewesen bist und das Geld für dich kassiert hast? Jetzt machst du
mir scheinheilig den Vorschlag, daß wir für den Verlust
geradestehen müssen! Wenn ich darauf einginge und du tätest das
gleiche, bliebe dir noch immer ein Gewinn von anderthalb
Millionen.«
»Oder dir«, sagte Gregg Shad.
»He, was willst du damit sagen?«
»Wo bist du gestern gewesen?«
Steve Batty ballte die Fäuste. »Das kannst du mit mir nicht
machen. Ich lasse mich von dir nicht in die Mangel nehmen. Wenn
einer von uns sich auffällig benommen und dabei verdächtig gemacht
hat, bist du es… mit dieser hirnverbrannten Idee, nach dem
versteckten Geld zu sehen!«
»Wie du siehst, war sie gar nicht so hirnverbrannt«, sagte
Gregg Shad.
»Richtig, aber das konntest nur du wissen«, stellte Steve
Batty fest.
»Ich habe einen guten Riecher für gewisse Entwicklungen«,
sagte Gregg Shad. »Ich bin keineswegs sehr überrascht, daß das Geld
verschwunden ist.«
»So?« fragte Steve Batty gedehnt. »Davon hast du mir unterwegs
aber kein Wort gesagt.«
»Ich wollte mich davon überzeugen, wie du auf das Geschehen
reagierst«, behauptete Gregg Shad.
Steve Batty nahm einen letzten Schluck aus dem Glas, dann warf
er es mit einer wütenden Geste an die Stallwand, wo es in hundert
Scherben zerbarst.
»Verdammte Scheiße, was soll dieser ganze Quatsch?« rief er.
»Wir müssen herausfinden, was aus dem Kies geworden ist! Ob
vielleicht Joyce…?« fügte er hinzu, ohne den Satz zu beenden.
»Quatsch. Die hat keine Ahnung, wo das Geld lag«, sagte Gregg
Shad.
»Findest du? Immerhin wußte sie, daß du hier draußen eine Farm
hast, ein Erbstück. Das kann sie zum Nachdenken und zum
Nachforschen veranlaßt haben.«
»Joyce scheidet aus.«
»He, hast du eine Schwäche für sie?« spottete Steve
Batty.
»Ja, die habe ich. Joyce ist in Ordnung. Sie steht zu James,
sie hält zu uns — obwohl sie keineswegs billigt, was damals
geschehen ist.«
»Noch jemand für deine Heldensammlung!« höhnte Steve Batty.
»Aber damit bleibt die Frage unbeantwortet, was aus James’ Anteil
geworden ist.«
»Ich weiß es schon«, sagte Gregg Shad.
»Ah, das Supergehirn ist auf einen brillanten Einfall
gekommen! Darf man daran teilhaben?«
»Styner hat das Geld bekommen.«
»Max Styner?«
»Ja, dein Freund, der große Syndikatsboß. Ihm hast du doch
auch deinen Anteil an vertraut, oder?«
»Was ich mit meinem Geld tue, geht dich nichts an«, sagte
Steve Batty scharf.
»Richtig. Es geht mich nichts an. Aber es geht mich etwas an,
was aus James’ Geld geworden ist. Du hast es gestohlen. Vermutlich
hat Styner dich dazu animiert. Du läßt es zusammen mit deinen
Millionen in Styners Syndikat arbeiten. Du hältst das für eine
prächtige Anlage. Welche Rendite zahlt er dir? Sieben Prozent… oder
gar zehn?«
»Das nimmst du zurück«, sagte Steve Batty, dessen
Backenknochen spitz hervortraten.
»Ich will dir was zeigen, was mir vorhin aufgefallen ist«,
sagte Gregg Shad, machte kehrt und ging einige Schritte auf das
Wohnhaus zu. Er stoppte an einer Bodenvertiefung, deren feuchter
Grund den deutlichen Abdruck eines Wagenreifens zeigte.
»Was ist damit?« fragte Steve Batty, der Shad gefolgt war und
neben ihm stehenblieb.
»Ein brandneuer Reifen«, sagte Gregg Shad. »Soviel ich weiß,
hast du dir vor einer Woche einen neuen Satz besorgt.«
»Ist das ein Stück deiner grandiosen Beweisführung?« fragte
Steve Batty. »Ja.«
»Was«, fragte Batty mit schmalen Augen und geballten Fäusten,
»würdest du wohl dazu sagen, wenn ich dir jetzt und hier die Fresse
poliere? Ich habe es nicht nötig, mir deine idiotischen
Verdächtigungen anzuhören.«
Gregg Shad griff blitzschnell in seinen Hosenbund, riß einen
Revolver heraus, trat einen Schritt zurück und richtete die Waffe
auf Batty.
»Nimm die Hände hoch!«
Steve Batty war so verdutzt, daß er zweimal hintereinander
schlucken mußte.
»Das ist nicht dein Ernst«, murmelte er.
»Hoch mit den Klauen!«
Steve Battys Augen funkelten böse. »Das kannst du mit mir
nicht machen.«
»Mit dir mache ich noch ganz andere Dinge. Wo ist das Geld
geblieben?«
»Gar nicht übel, wirklich gar nicht übel«, höhnte Steve Batty,
der seine Arme unten ließ. »Ein hübscher Trick, um dich damit zu
entlasten, was?«
»Wo ist das Geld?«
»Hör zu. Ich lebe in einem möblierten Zimmer in einer
Scheißpension in einem miesen Viertel. Ich brauche zum Leben nur
hin und wieder einen neuen Anzug, vernünftiges Essen und guten
Whisky. Ich bin damit zufrieden, meine Tage zu vergammeln. Wie
sollte ein Mann mit so bescheidenen Lebensansprüchen wohl auf die
Idee kommen, sich nochmals drei Millionen unter den Nagel zu
reißen? Das, was ich besitze, ist mehr, als ich jemals aufbrauchen
kann.«
»Dein Leben gefällt dir schon lange nicht mehr«, sagte Gregg
Shad. »Du willst es über Bord werfen, du willst dich meiner
lästigen Kontrolle entziehen, du willst wie die Leute in Styners
Umgebung leben, großkotzig und luxuriös.«
»Stimmt«, preßte Steve Batty durch seine Zähne. »So würde ich
gern leben. Es stimmt auch, daß ich deine beschissene Angst und
deine ewigen Nörgeleien satt habe. Aber deshalb brauche ich keine
drei Millionen zu klauen. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits
sagte. Ich besitze mehr Geld, als ich ausgeben kann.«
»Das klingt überzeugend, ich weiß«, spottete Gregg Shad, ohne
seinen Finger vom Abzug zu nehmen oder die Richtung der
Waffenmündung zu ändern. »Jeder, der es hört, könnte meinen, es sei
verdammt plausibel. Die Sache hat nur einen Haken. Wer viel hat,
will noch mehr haben. Der Gedanke, daß hier draußen drei Millionen
Dollar in einem Schweinestall vergammeln, muß dich Tag und Nacht
gequält haben. Du hast nur zu gern geglaubt, was man von James’
labiler Gesundheit erzählte. Du hast gehofft und gewünscht, daß er
krepiert. Als statt dessen die Nachrichten von seiner
bevorstehenden Entlassung die Runde machten, fandest du, daß es
hohe Zeit sei, die Piepen zu kassieren.«
»Du redest so, als sei dir das alles widerfahren«, höhnte
Steve Batty.
»Es ist mir widerfahren«, sagte Gregg Shad. »Ich bin Zeuge
deiner Entwicklung und deines Abstiegs geworden. Was konnte ich
schon von einem Menschen erwarten, dem es nichts ausgemacht hat,
drei Männer umzulegen?«
»Schon wieder diese blöde Platte! Wenn ich nicht geschossen
hätte, säßen wir alle hinter Gittern«, sagte Steve Batty.
»Ich weiß, daß du so denkst — und ich kenne auch deine
scheinbar logischen Folgerungen aus dieser Überzeugung«, meinte
Gregg Shad. »Du glaubst ganz im Ernst, daß dir das Geld einfach
zusteht, weil wir ohne dich gescheitert wären.«
»In gewisser Weise trifft das zu«, sagte Steve Batty und
starrte in die auf ihn gerichtete Waffenmündung. »Ohne mich wären
wir heute in der Hölle oder im Gefängnis. Ich habe euch das niemals
aufs Butterbrot geschmiert. Aber wenn du schon davon anfängst,
können wir reinen Tisch machen. Es gäbe keine Millionenbeute, wenn
ich nicht im richtigen Augenblick abgedrückt hätte.«