Die Klaviatur der Gerechtigkeit - Marcus Ehrhardt - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Klaviatur der Gerechtigkeit E-Book

Marcus Ehrhardt

0,0
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Was tust du, wenn du nicht weißt, wem du vertrauen kannst? Diese Frage quält Kommissarin Maria Fortmann, seitdem sie und ihre Familie von einer Selbstjustiz-Organisation mit dem Tode bedroht wurden. Mit ohnmächtiger Verzweiflung zieht sich Maria aus dem Dienst zurück und schottet sich von ihrem sozialen Umfeld ab. Zu mächtig scheint die Vereinigung zu sein, deren Führungsmitglieder hohe juristische und politische Ämter bekleiden. Nach Monaten kehrt sie in den Polizeidienst zurück. Sie verdrängt die latente Gefahr und versucht, der Organisation nicht ins Gehege zu kommen. Bald wird ihr jedoch klar, dass sie so nicht weitermachen kann, ohne ihren Diensteid zu brechen und ihre Ideale zu verraten. Maria trifft eine Entscheidung und ahnt nicht, welche Folgen diese für sie haben wird. Bisher wurden folgende Titel des Autors veröffentlicht: Steve-Parker-Reihe (Krimithriller): Band 1: Fremde Angst – Burns Cree Band 2: Fremde Angst – Nemesis Maria-Fortmann-Krimireihe: Band 1: Der Tote vom Stoppelmarkt Band 2: Im Namen des ... Band 3: Die Klaviatur der Gerechtigkeit Band 4: Mordseerauschen Band 5: Mordseeflüstern Band 6: Mordseegrollen Band 7: Mordseegrauen Band 8: Mordseelügen (Band 4-8 erscheinen im November als Epub) Als Einzeltitel (Thriller): Von Hass getrieben Dein Glück stirbt in 4 Tagen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

Marcus Ehrhardt

 

 

 

Die Klaviatur der Gerechtigkeit

 

 

 

 

Die Klaviatur der Gerechtigkeit

 

Copyright © 2018 Marcus Ehrhardt

 

Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe oder Vervielfältigung in jeglicher Form ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erlaubt.

 

Impressum: Marcus Ehrhardt Klemensstraße 26 49377 Vechta Deutschland

E-Mail: [email protected]

Korrektorat / Lektorat: Tanja Loibl

Titelgestaltung: Sarah Baines

Bildnachweis: Pixabay/Justitia-Göttin/2638601

Diese Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig oder erfolgen mit ausdrücklicher Genehmigung.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

 

Prolog

 

 

Drei Monate waren vergangen, seit Kommissarin Maria Fortmann der Boden unter den Füßen weggezogen worden war.

In ihrem letzten Fall hatten sie einen Serienmörder, der mit Hilfe einer DNA-Analyse überführt werden konnte, unschädlich gemacht. Doch Maria blieben Zweifel, die von ihren Kollegen beiseite gewischt worden waren, und schließlich hatte die Alltagsroutine auch sie gedanklich immer weiter davon entfernt.

Einige Wochen später jedoch wurde sie auf einem Gala-Abend völlig unvorbereitet damit konfrontiert, dass ihre Zweifel berechtigt waren: Der vermeintliche Mörder war lediglich ein Bauernopfer in einem perfiden Spiel einer konspirativen Vereinigung von hochrangigen Richtern, Staatsanwälten und Polizisten gewesen. Diese hatten sich zur Aufgabe gemacht, vermeintliche Justizirrtümer zu korrigieren und, ihrer Ansicht nach schuldige Täter, die nicht oder nicht ausreichend verurteilt worden waren, durch Selbstjustiz ihrer gerechten Strafe zuzuführen.

Maria hatte das alles von den führenden Köpfen der Organisation höchstpersönlich erfahren, mit dem primären Ziel, sie für die Mitarbeit bei ihnen zu gewinnen. Als Druckmittel wurde sie mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert, die sie seit drei Jahren fast jede Nacht um den Schlaf brachten:

Sie hatte damals während eines Einsatzes, bei dem ihr Partner erschossen wurde, den daraufhin flüchtenden Täter nicht, wie es die Vorschrift verlangte, fluchtunfähig gemacht, sondern ihn durch einen Schuss von hinten in den Rücken getötet. Die ihr wohlgesonnenen und verständnisvollen internen Ermittler redeten ihr ein, sie hätte auf den Oberschenkel des Flüchtenden gezielt, aber er wäre einen Sekundenbruchteil, bevor der Schuss fiel, gestürzt, sodass die Kugel dessen Rücken traf. Da Maria sich damals in einer absoluten Stresssituation befand – der Täter hielt ihr Sekunden zuvor selbst seine Waffe vor das Gesicht – glaubte sie mit der Zeit, dass es sich tatsächlich so abgespielt hatte. Letzten Endes war sie nach wochenlangen Untersuchungen vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden und beruflich rehabilitiert. Ihr Unterbewusstsein kannte jedoch die Wahrheit und konfrontierte sie seither fast jede Nacht damit.

So sehr sie die Fakten über die selbsternannte Gerechtigkeitsdivision schockierten, am schlimmsten traf Maria die Tatsache, dass der Oberstaatsanwalt Kurt Stohmann, den sie im Verlauf der Ermittlungen im Serienmörderfall kennen- und lieben gelernt hatte, nicht nur mit der Geheimorganisation verstrickt war – nein, er gehörte sogar zu deren Führungsebene.

Nachdem Maria sich wider Erwarten unkooperativ gezeigt hatte, zögerte die Organisation keine Sekunde, ihr klarzumachen, dass eine erneute Untersuchung ihres damaligen tödlichen Schusses nur eine Folge wäre, mit der sie bei einer Dummheit ihrerseits rechnen müsse. Weiterhin drohten sie, sowohl ihren Vater als auch ihren Bruder mit deren Leben dafür bezahlen zu lassen, falls sie sich an die Öffentlichkeit oder andere Ermittlungsbehörden wenden würde. Dass sie selbst in diesem Fall auf der Abschussliste stehen würde, bräuchte nicht explizit ausgesprochen zu werden. Schließlich wären sie weit größer, als Maria sich vorstellen könnte, und hätten überall ihre Augen und Ohren.

Entnervt, verängstigt und ohnmächtig hatte sich Maria seither vom Dienst zurückgezogen. Sie ließ sich dienstunfähig schreiben und wurde offiziell wegen eines Burnout-Syndroms behandelt. Durch ihre jahrelange Vorgeschichte bezüglich ihrer Schlafstörungen gelang dies, ohne die behandelnde Psychologin mit den tatsächlichen Ursachen vertraut zu machen.

Die einzig positive Folge des alles verändernden Abends bei der Organisation bestand darin, dass Maria seitdem wieder durchschlafen konnte. Möglicherweise hatte ihr Unterbewusstsein durch die erneute Konfrontation die damalige Todesschuss-Situation verarbeiten können und seinen Frieden damit geschlossen.

Kapitel 1

 

 

Am heutigen Montag stieg sie das erste Mal wieder die Stufen hinauf, die zur Polizeidienststelle und zu ihrem Büro führten. Der Ausdruck gemischte Gefühle beschrieb nicht ausreichend den emotionalen Wirbelsturm, der in ihr tobte. Kaum hatte sie den Fuß über die Schwelle gesetzt, änderte sich das jedoch schlagartig. Die ihr auf dem Korridor entgegenkommenden Kolleginnen und Kollegen empfingen sie freundlich, fast so, als ob sie nie weg gewesen wäre.

»Hey, die verlorengeglaubte Tochter der Dienststelle ist wieder da«, begrüßte sie Peter Goselüschen, erhob sich von seinem Stuhl und kam ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen. Sie ließ etwas widerwillig die Umarmung ihres übergewichtigen Partners zu, der einen halben Kopf kleiner war als sie. Sie rang sich ein kleines Lächeln ab:

»Moin, Gose, ich freue mich auch, dich zu sehen – und mal wieder den Mief des Polizeireviers zu schnuppern.«

»Mensch, wie lange warst du jetzt fort? 8 Wochen?«

»Fast auf den Tag genau drei Monate«, antwortete sie, während sie sich ihrem Schreibtisch näherte und ihn inspizierte.

»Da sieht es noch genau so aus, wie an deinem letzten Tag hier – abgesehen von der Staubschicht.«

Maria ließ sich in ihren Stuhl sinken und warf einen Blick aus dem Fenster. Goselüschen ließ sie erstmal ankommen und vertiefte sich wieder in die Akte, die vor ihm aufgeschlagen auf seinem Schreibtisch lag. Sie strich mit den Händen über die glatte Oberfläche ihres Arbeitsplatzes. Alles hier fühlte sich so vertraut an – und doch so fremd.

»Gose«, sagte sie und sah ihn an: »Ich habe dich vermisst.«

»Na, das will ich dir auch geraten haben«, erwiderte er lapidar. Bevor Maria reagieren konnte, schwang die breite Bürotür auf und ihr Chef betrat mit einem Lächeln den Raum.

»Guten Morgen, Maria, schön, dass Sie wieder da sind«, begrüßte er sie. »Kommen Sie doch nachher in mein Büro.«

»Alles klar, Chef«, sagte Maria und Dr. Mühlenhardt verschwand.

»Siehst du, wir alle freuen uns über deine Rückkehr«, sagte Peter Goselüschen mit einem breiten Grinsen in seinem runden, wegen hohen Blutdrucks bedenklich roten Gesicht. Eine Folge des Stresses, wie er nicht müde wurde zu betonen. Maria hingegen sah die Ursache viel eher in seinem Übergewicht und der Fast-Food-Ernährung.

»Ja, danke. Gibt es irgendwas Neues? Ich hab ja nichts mitbekommen in der letzten Zeit.«

»Du wolltest schließlich deine Ruhe. Und weißt du was? Ich hätte mich an deiner Stelle gleich für ein paar Monate ins Ausland abgesetzt und richtig Urlaub gemacht.« Du hast nicht die geringste Ahnung, was du an meiner Stelle gemacht hättest, mein lieber Freund, schoss es ihr durch den Kopf. Oder etwa doch? Ob auch Goselüschen etwas mit dieser Organisation zu tun hätte? Sie mochte es sich gar nicht ausmalen. Sie schluckte und antwortete in einem möglichst neutralen Ton:

»Stimmt. Vielen Dank, dass du meinen Wunsch respektiert hast. Aber jetzt geht es mit Elan ans Werk. Woran arbeiten wir?«

»Im Moment ist es relativ ruhig. Wahrscheinlich haben unsere bösen Jungs gewartet, bis du wieder dabei bist.« Maria lächelte höflich, dieser Scherz ließ jedoch kurz ihren Magen zusammenkrampfen. War ich zu voreilig, jetzt schon in den Dienst zurückzukehren? Sie schüttelte leicht den Kopf. Na ja, ich werde es erfahren.

Maria ließ sich von Goselüschen über die Fälle der letzten Wochen aufklären. In der Tat schien es während ihrer Abwesenheit nicht besonders aufregend gewesen zu sein. Die meisten Untersuchungen waren abgeschlossen oder befanden sich auf dem Weg dahin.

»Gut, dann bring ich mal das Gespräch beim Chef hinter mich«, sagte Maria zu Goselüschen und klopfte kurze Zeit später an der Bürotür von Dr. Mühlenhardt. Sie wartete, wie es in ihrer Dienststelle üblich ist, nicht auf ein Herein, sondern öffnete direkt im Anschluss die Tür.

»Alles klar, darum kümmern wir uns, Herr Kühling. Ich muss Schluss machen.« Hastig legte er den Hörer auf, als sie sein Büro betrat. Er sah sie etwas überrascht an. Maria schaute fragend zurück.

»Sie wollten mich sprechen.« Mühlenhardt erwachte aus seiner kurzen Starre und schlug sich mit der Handfläche vor die Stirn.

»Ach ja, natürlich. Setzen Sie sich, Maria.« Er deutete auf den bequemen Sessel in der Sitzecke und nahm auf dem Polsterstuhl ihr gegenüber Platz. »Also, wie geht es Ihnen?« Maria atmete tief durch, bevor sie erwiderte:

»Danke, es geht langsam wieder. Zu Hause fiel mir die Decke auf den Kopf. Rumsitzen ist einfach nichts für mich.«

»Das freut mich zu hören. Wir haben Sie auch schon etwas vermisst. Es fehlte jemand, der Herrn Goselüschen daran hindert, sich beim gemeinsamen Frühstück sämtliche Mettbrötchen einzuverleiben.« Mühlenhardt lachte auf und auch Maria konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

»Na, dann weiß ich ja, worin hier meine Kompetenz gesehen wird«, erwiderte sie mit gespielter Ironie.

»Genau«, antwortete er immer noch lachend. »Deswegen brauchen wir Sie, Maria, damit jemand auf Peter aufpasst. Aber im Ernst: Übertreiben Sie es nicht gleich. Und falls irgendetwas ist, mit dem Sie momentan nicht klarkommen, zögern Sie nicht, zu mir zu kommen.« Maria nickte und kehrte etwas verwirrt in ihr eigenes Büro zurück. Hatte sie schon Paranoia? Was hatte Dr. Mühlenhardt gerade mit dem Kühling zu tun? Als dessen Name vorhin gefallen war, hatte sich heute bereits zum zweiten Mal Marias Magen zusammengezogen. Dieser Mann war es, der ihr bei ihrem Todesschuss damals mit größtem Einsatz und Zureden den Erhalt ihrer Marke gesichert und sie dadurch vor einer Gefängnisstrafe bewahrt hatte. Aber es war auch dieser Mann – Herrmann Kühling, Abteilungsleiter der Dienstaufsichtsbehörde – der zum Kopf der Organisation gehörte, die sie und ihre Familie mit dem Tod bedrohte, sollte sie in irgendeiner Form gegen sie vorgehen. Maria zwang sich, nicht weiter daran zu denken. Wie gerufen nahm Goselüschen sie an der Tür in Empfang und forderte sie auf, ihm zu folgen.

»Wir haben zu tun. Komm, ich erklär es dir unterwegs.« Maria überlegte kurz, ob sie ihre Jacke mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen. Obwohl es morgens frisch war, wurde es dieser Tage für Anfang September mittags noch recht warm. Sie folgte ihrem etwa zehn Jahre älteren Kollegen auf den Parkplatz.

»Wow, wir haben einen Neuen?«, sagte sie anerkennend, als auf das Signal der Fernbedienung, die Goselüschen gerade ausgelöst hatte, nicht die Leuchten an ihrem alten, grünen Audi aufblinkten, sondern ein strahlend roter VW Passat reagierte.

»Ich dachte, der passt besser zu deinen Schuhen.« Maria blieb stehen und blickte auf ihre Füße, die heute in knallroten Pumps steckten.

»Du bist ein Schatz, Gose.«

»Das wissen wir doch nicht erst seit heute, oder? Fang!« Er warf ihr die Autoschlüssel zu, die sie spielerisch einhändig fing. Zu Beginn ihrer beruflichen Partnerschaft vor drei Jahren hatte es sich Goselüschen angewöhnt, die Beifahrerposition einzunehmen. Und er sah überhaupt keinen Anlass, das zu ändern. Zumal er so viel besser an ihrem Fahrstil mäkeln konnte.

Kapitel 2

 

 

Maria steuerte den Wagen aus Cloppenburg heraus und bog rechts auf die Cappelner Straße Richtung Süden. Ihr Ziel war das Franziskushospital in Lohne.

»Nun klär mich schon auf.« Sie trommelte mit den Fingern ihrer linken Hand auf dem Lenkrad.

»Es geht um Johanna Wallmann.«

»Und weiter?« Maria sah ihn fragend an.

»Sie ist letzte Woche Donnerstag als vermisst gemeldet worden. Laut Aussage der Eltern kam sie von einem abendlichen Besuch bei ihrer Freundin nicht nach Hause. Ihre Freundin, Sarah Bergmann, und deren Eltern bestätigten, dass sie gegen 20 Uhr die Wohnung verlassen hatte. Es sind lediglich zwanzig Minuten zu Fuß bis zu ihrem Elternhaus.« Er knackte mit den Fingerknöcheln. »Heute Morgen ist sie mit mehreren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Laut Auskunft der Kollegen aus Vechta soll sie übel zugerichtet worden sein.« Maria schluckte, während sie den Ausführungen Goselüschens folgte. »Das Mädchen ist 15 Jahre alt. Sie wurde gegen fünf Uhr ein paar Kilometer westlich von Lohne von einer vorbeifahrenden Frau gesehen und angesprochen. Bevor sie antworten konnte, ist sie zusammengebrochen. Die Frau hat sofort den Notarzt gerufen.«

Obwohl von der Polizei am Wochenende in der Münsterländer Zeitung, der Oldenburger Volkszeitung und im Internet Vermisstenanzeigen geschaltet worden waren, hatte Maria aufgrund ihrer Abschottung davon nichts mitbekommen. Leben wir mittlerweile in einer so kranken Zeit?, fragte sie sich. Sowas passiert selbst hier, im konservativen Oldenburger-Münsterland, in dem – so dachte sie lange Zeit – die Welt noch einigermaßen in Ordnung war? Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Du musst den Scheiß aus deinem Kopf bekommen, mahnte sie sich, sonst wirst du verrückt!

»Ist sie ansprechbar?«, fragte sie schließlich.

»Laut Aussage der Ärzte schon. Finden wir es heraus.«

»Warum sind wir dafür zuständig? Hört sich für mich so an, als ob sie abgehauen und irgendwo im Wald gestürzt wäre. Oder gibt es Anhaltspunkte wie eine Lösegeldforderung?« Goselüschen verneinte und fügte dann hinzu:

»Nein, wir haben weder eine Lösegeldforderung noch ein Erpresserschreiben erhalten, aber was die Ärzte gefunden haben, reicht vollkommen aus: Das Mädchen weist an Hand- und Fußgelenken deutliche Spuren einer Fixation auf und offensichtlich wurde sie missbraucht. Näheres erfahren wir vor Ort.« Maria hielt kurz den Atem an und schaute grimmig auf die Straße.

»Dann wollen wir mal sehen, was das arme Ding zu sagen hat.«

 

***

 

Vor der Tür des Einzelzimmers saß ein uniformierter Polizist der Vechtaer Dienststelle und blätterte in einem Motorradmagazin. Er erhob sich, als Goselüschen und Maria näherkamen.

»Moin, ist sie allein?«, fragte Maria den jungen Kollegen.

»Moin. Nein, Frau Fortmann, die Mutter ist seit ungefähr einer halben Stunde drin, der Vater kam vor etwa zehn Minuten.«

»Danke. Könnten Sie bitte die Stationsschwester fragen, ob wir ein Zimmer bekommen können, um uns in Ruhe mit den Eltern zu unterhalten?«

»Natürlich, ich kümmere mich darum«, sagte der junge Mann und setzte sich in Bewegung.

»Bereit?«, fragte Goselüschen, klopfte auf Marias Nicken hin an und öffnete die weiße Tür.

Der Anblick des Mädchens ließ Maria einen Schauer über den Rücken laufen. Ein Auge war zugeschwollen, Blutergüsse überzogen das halbe Gesicht und ihre Unterlippe zierte mittig eine Platzwunde. Ihr schlanker, rechter Arm, der auf dem weißen Bettlaken ruhte, wies am Handgelenk typische Schürfwunden auf. Aus dem Handrücken ragte die Infusionskanüle.

Die Mutter hielt, neben dem Bett sitzend, die linke Hand ihrer Tochter und streichelte sie. Ihr aufgedunsenes Gesicht war gezeichnet von den Sorgen der letzten Tage. Am Fußende des Bettes stand reglos der Vater des Mädchens. Er wirkte gepflegt, war frisch rasiert und trug einen Anzug. Einzig die sandigen Schuhe störten das Bild eines Versicherungsvertreters. Was er beruflich machte, wusste Maria aus der vorliegenden Akte. Die Eltern wirken nicht gerade frisch verliebt und harmonisch, schoss es Maria durch den Kopf.

»Guten Tag«, sagte sie leise. »Ich bin Maria Fortmann und das ist mein Kollege, Oberkommissar Peter Goselüschen. Wir sind von der Kripo Cloppenburg.« Die Mutter reagierte kaum, der Vater gab den beiden die Hand.

»Thorsten Wallmann. Das ist meine Frau, Bettina Wallmann.«

»Wir würden Sie gerne draußen sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Maria. Thorsten Wallmann ging ums Bett herum zu seiner Frau und berührte sie am Ellbogen. Sie zog ihn zurück und warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. Dann streichelte sie ihrer Tochter sanft über die Wange, stand auf und folgte ihrem Mann und Goselüschen auf den Flur. Der uniformierte Kollege führte die drei ein paar Meter weiter und deutete auf die Tür eines anderen Krankenzimmers.

»Danke dir«, sagte Goselüschen. »Ich würde gerne mit Ihnen zuerst sprechen, Frau Wallmann.« Sie ging wortlos an ihm vorbei ins Zimmer.

»Warum allein? Was soll das denn?«, fragte Thorsten Wallmann mit ärgerlicher Stimme.

»Mit Ihnen spreche ich danach, warten Sie bitte solange hier.« Er ließ den verdutzten Vater stehen und verschwand im Zimmer, in dem Bettina Wallmann auf einem Stuhl am Fenster saß und traurig hinausschaute.

 

***

 

Maria trat zu Johanna ans Bett und drückte kurz ihre Hand. Das Mädchen sah die Kommissarin mit einem Auge an. Sie wirkte teilnahmslos – sicher hatten sie ihr Beruhigungsmittel gegeben, dachte Maria.

»Ich möchte mit deinem Arzt sprechen. Es dauert nicht lange, dann komm ich zurück und wir reden. Ist das okay?« Es dauerte gefühlt Minuten, bis das Mädchen ein kaum wahrnehmbares Nicken erwiderte.

Der behandelnde Arzt bestätigte, dass sich jemand mehrfach sexuell an dem Mädchen vergangen hatte, was die Verletzungen im Intimbereich deutlich belegen würden. Abstriche wären bereits auf dem Weg zur Rechtsmedizin nach Oldenburg, von wo sie gegebenenfalls zur weiteren Analyse ins Labor nach Hannover geschickt würden.

»Sie hat außer ihrem Namen bisher kein Wort gesprochen«, meinte der Arzt. »Aber sie ist auch noch sehr schwach und braucht Ruhe. Versuchen Sie also bitte, möglichst schonend mit ihr umzugehen.«

»Das ist selbstverständlich. Unsere Psychologin ist ebenfalls informiert, die wird bald hier sein«, antwortete Maria.

Sie bemerkte, wie der Vater des Mädchens nervös auf dem Flur hin- und hermarschierte, bevor sie kurz ins Zimmer zu Goselüschen schaute, um ihm mit einem Handzeichen die Vergewaltigung Johannas zu bestätigen. Daraufhin kehrte sie zu dem Mädchen zurück.

 

***

 

Bettina Wallmann starrte weiter aus dem Fenster des Zimmers im ersten Stock auf den Parkplatz vor dem Krankenhaus. Goselüschen zog einen Stuhl vom Tisch und setzte sich. Nachdem Maria reingeschaut hatte, begann er das Gespräch.

»Hat Ihre Tochter etwas zu Ihnen gesagt?« Es dauerte, bis sie reagierte.

»Nein. Nicht ein einziges Wort.«

»Wissen Sie bereits, was mit ihr passiert ist?«

»Nein, der Arzt sagte nur, dass sie Ruhe braucht und wir nicht zu lange bei ihr bleiben sollen.« Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Haben Sie eine Ahnung, wo Johanna gewesen ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Frau Wallmann, Sie müssen jetzt tapfer sein«, begann er langsam, »Ihre Tochter wurde missbraucht.« Bettina Wallmanns Augen füllten sich erneut mit Tränenflüssigkeit, sie hielt sich die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Aus ihrer Handtasche griff sie ein Taschentuch. Sie wischte es sich durch ihr aufgeschwemmtes Gesicht und fragte mit zitternder Stimme:

»Wer tut nur sowas?«

»Haben Sie irgendeine Vermutung? Fällt Ihnen jemand ein, dem Sie das zutrauen?«

»Was? Nein, natürlich nicht!« Goselüschen machte ein paar Notizen.

»Okay, danke, Frau Wallmann. Unsere Psychologin wird gleich hier erscheinen. Sie wird sich mit Ihrer Tochter unterhalten. Falls Sie ebenfalls mit ihr reden möchten, zögern Sie nicht, sie anzusprechen.« Er schaute ihr in die Augen. »Wenn Sie mir jetzt bitte Ihren Mann hereinschicken würden.« Nach einem letzten Blick aus dem Fenster stand sie auf und schritt aus dem Zimmer.

 

***

 

Maria hatte sich auf denselben Platz gesetzt, auf dem vor einigen Minuten die Mutter des Mädchens saß. Johanna reagierte kaum, blickte starr an die Decke.

»Kannst du mich verstehen?«, fragte sie mit ruhiger, einfühlsamer Stimme. Das Mädchen nickte schwach. »Der Arzt hat mir erzählt, was man mit dir gemacht hat. Sagst du mir, wer dir das angetan hat?« Die einzige Reaktion des Mädchens war, dass Tränen aus ihrem nicht geschwollenen Auge rannen. »Weißt du, wer das war?« Kaum zu erkennen, schüttelte sie den Kopf. Dann schloss sie das Auge und schien einzuschlafen.

Maria wartete kurz. Als sie sicher war, dass Johanna tatsächlich schlief, verließ sie leise das Zimmer, vor dem bereits ihre Mutter wartete.

»Und?«, fragte diese mit gebrochener Stimme.

»Nichts, sie schläft jetzt. Unsere Kollegin wird gleich hier sein. Solange können Sie ruhig zu ihr hineingehen.« Maria, die Bettina Wallmann mit ihren 1,78 m um einen Kopf überragte, nahm die offensichtlich verstörte Frau kurz in den Arm und schob sie dann in Richtung ihrer Tochter.

 

***

 

Mit schnellen Schritten kam Thorsten Wallmann ins Zimmer.

»Was soll das alles hier? Sagen Sie mir mal, was los ist mit meiner Tochter?«

»Beruhigen Sie sich erstmal und setzen Sie sich da hin«, erwiderte Goselüschen entspannt und deutete auf den freien Stuhl am Fenster. Die Holzbeine erzeugten ein markerschütterndes Geräusch, als Wallmann den Stuhl mit einer rüden Bewegung vom Tisch wegzog und sich darauf fallen ließ.

»Besser?«, fragte er schnippisch.

»Viel besser. Also, Herr Wallmann, Ihre Tochter ist sexuell missbraucht worden«, fiel er mit der Tür ins Haus. Augenblicklich verschwand die Aggression aus Wallmanns Gesicht und wich Fassungslosigkeit.

»Wie bitte?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Das kann nicht sein! Welches Schwein war das?«, platzte es aus ihm heraus. Goselüschen konnte sich durchaus vorstellen, was gerade in seinem Gegenüber vorgehen mochte, blieb aber trotzdem ruhig.

»Um das herauszufinden, sind meine Kollegin und ich hier. Können Sie mir irgendetwas sagen, was uns da weiterhelfen könnte?«

»Ist das Ihr Ernst? Wie soll ich denn dabei helfen? Sie meinen doch nicht, ich hätte was damit zu tun!« Das Gesicht Wallmanns hatte eine tiefrote Farbe angenommen, die sogar Goselüschen blassrosa erscheinen ließ.

»Hören Sie, wir wissen im Moment gar nichts und solange Ihre Tochter uns nichts dazu sagt, müssen wir natürlich in alle Richtungen ermitteln. Das sollten Sie nicht persönlich nehmen. Es geht schließlich um Ihre Tochter – und nicht um Ihr Ego.« Das schien gereicht zu haben, denn Thorsten Wallmann beruhigte sich langsam.

»Tut mir leid. Sie müssen verstehen –«

»Natürlich verstehe ich, dass Sie aufgebracht sind. Das wäre ich auch«, unterbrach ihn Goselüschen. »Nur hilft das gerade niemandem. Also, was können Sie mir sagen?« Thorsten Wallmann beäugte die Handflächen, die auf seinem Schoß lagen. Nach einer Weile begann er:

»Ich dachte, Johanna wäre durchgebrannt. Wissen Sie, es steht nicht besonders gut um meine Ehe. Wir streiten uns seit Ewigkeiten wegen jeder Kleinigkeit.

---ENDE DER LESEPROBE---