Mordseelügen - Marcus Ehrhardt - E-Book
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Marcus Ehrhardt

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Beschreibung

Wo ist Isabell Springer? Als die Bestsellerautorin ein wichtiges Meeting verpasst und ihr Agent sie nicht erreichen kann, meldet er sie als vermisst. Maria Fortmann und ihr Partner Peter Goselüschen nehmen die Ermittlungen auf, in deren Verlauf sich die Anzeichen verdichten, dass die Autorin einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Die Kommissare vermuten einen Zusammenhang mit dem beruflichen Umfeld Springers und tauchen tief in das Haifischbecken der Literaturbranche ein. Sie erleben hautnah, wie skrupellos das Business betrieben und die Fairness mit Füßen getreten wird. Doch geht man in der Szene auch über Leichen?

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Mordseelügen

 

 

Maria Fortmann ermittelt

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

Impressum:

 

© 2019 Marcus Ehrhardt

Klemensstraße 26

49377 Vechta

E-Mail: [email protected]

ISBN der Printausgabe: 9783744818742

Korrektorat / Lektorat: Tanja Loibl

Titelgestaltung: MTEL-Design

Bildnachweis: pixabay

 

Alle Rechte vorbehalten. Jede Weitergabe oder Vervielfältigung in jeglicher Form ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erlaubt.

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Danksagung

Über den Autor

Eine Bitte am Schluss

 

Kapitel 1

 

 

An den Wänden präsentierten Schaukästen die Kinoposter von Verfilmungen erfolgreicher Bestseller hinter ihrem Glas. Dazwischen hingen gerahmte Zeitungsartikel aus der FAZ, der Welt und anderen überregionalen Printmedien, die die großen Erfolge des familiengeführten Verlagshauses Breitenfeld dokumentierten, das seit den frühen 1920er Jahren als feste Größe in der deutschen Literaturlandschaft verankert war.

Die Stimmung im Konferenzraum war blendend. Die Anwesenden strahlten mit der Sonne, die das Zimmer durch die bodentiefe Fensterfront erhellte, um die Wette. In einer Ecke hielten der Cheflektor und sein Vertreter einen Smalltalk mit der Marketingleiterin, in einer anderen lachte die Sekretärin des Juniorchefs pflichtbewusst über seinen zweideutigen, im Zuge der internationalen Metoo-Debatte höchst bedenklichen Witz.

Auf der Mahagoniplatte des Tisches, an dem bequem vierzehn Menschen sitzen konnten, lagen akkurat acht Entwürfe des Vertrags verteilt, zu dessen Abschluss dieses Meeting anberaumt worden war. Mittig der Tischplatte, umrahmt von Kristallgläsern, wartete eine Flasche Champagner in einem verchromten Kühlbehältnis darauf, geöffnet und zur Feier des Tages geleert zu werden.

Einzig Tom Feldmann musste sich zu seinem Lächeln zwingen. Verstohlen blickte er immer wieder zur Uhr und aus einem der Fenster. Sie befanden sich in der fünften Etage, von wo aus er den Parkplatz vor dem Gebäude gut überblicken konnte. Doch nirgends entdeckte er den schwarzen Lexus seiner Klientin. Wo blieb sie bloß? Tom rechnete bereits seit gut 10 Minuten vergeblich mit ihrem Eintreffen, das passte überhaupt nicht zu ihr. Denn obwohl Isabell Springer manchmal sprunghaft in ihren Launen war – Nomen est Omen –, konnte Tom sich nicht daran erinnern, dass sie jemals unzuverlässig gewesen wäre. Erste Schweißperlen traten auf seine Stirn.

»Tom, ist Ihnen warm?«, wollte Hans Breitenfeld wissen, während die Klimaanlage mit einem leisen Surren für eine angenehme Raumtemperatur sorgte. Der Seniorchef des Verlagshauses lächelte breit.

»Ja, ich bin mehr der Herbsttyp«, log Tom und umschloss mit einer Hand in der Hosentasche sein Handy. Jetzt blickte auch Breitenfeld auf seine schwere Armbanduhr.

»Na, Isabell will uns wohl auf die Folter spannen, was?« Sein Lächeln blieb, doch die Fältchen um seine Augen verschwanden, als er Toms gequälten Gesichtsausdruck sah.

»Ich, äh, sie wird sicher jeden Moment hier sein.« Von Minute zu Minute wuchs die Sorge, dass sie den über Monate eingefädelten Deal platzen lassen würde. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen das für sie, aber vor allem für ihn und seinen Ruf als Literaturagent haben würde. Er griff sich an seinen Hemdkragen und verschaffte sich etwas Luft, indem er den obersten Knopf öffnete.

»Das hoffe ich.« Das Lächeln war fort. »Sie stehen schließlich bei uns im Wort. Was das bedeutet, muss ich Ihnen sicher nicht näher erläutern.« Nein, das musste er in der Tat nicht. Isabell Springer war eines der Zugpferde seiner Agentur. Sollte sie tatsächlich einen Rückzieher machen, würden die Breitenfelds bei ihrer nächsten Golfrunde oder Charity-Veranstaltung schnell dafür sorgen, dass seine Firma auf die rote Liste käme. Das würde, zumindest für eine gewisse Zeit, verhindern, einen Fuß in der Tür der Topverlage behalten zu können. Und so gut stand es finanziell nicht um seine Agentur, dass er sich das hätte leisten können. Wie viele andere machte auch sein Unternehmen harte Zeiten durch in der dem Wandel unterworfenen Branche.

»Entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte er und verließ mit schnellen Schritten den Raum. Draußen lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand, zog sein Smartphone hervor und wählte zum wiederholten Male in der letzten Viertelstunde die Nummer Isabells. Er hielt die Luft an, als das Freizeichen ertönte. »Geh ran, Mädel«, betete er, doch im nächsten Moment schaltete sich die Mailbox an. Er wartete den Signalton ab. »Isa, was ist los? Wo bist du? Sieh zu, dass du hier auftauchst, oder sag mir wenigstens, dass du einen plausiblen Grund hast, noch nicht hier zu sein! Bitte!«

Kapitel 2

 

 

Der Stachel der Demütigung saß tief.

»Wenn Sie alle Ihre Klienten so wenig im Griff haben wie die Springer, wundert es mich nicht, dass Sie mit Ihrer Agentur seit Jahren auf der Stelle treten«, hielt Breitenfeld ihm zum Abschluss der gescheiterten Vertragsunterschrift vor, nachdem die Autorin auch eine weitere Viertelstunde später nicht aufgetaucht war. Tom spürte die Blicke aller Anwesenden, die ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid durchbohrten. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Das war erst vorbei, als Breitenfeld seinem Team mit einer einzigen Kopfbewegung das Ende der Besprechung signalisierte, worauf alle kommentarlos den Saal verließen und Tom wie einen begossenen Pudel vor der Glasfront stehenließen. »Kriegen Sie Ihren Laden in den Griff«, sagte Breitenfeld, der sich im Türrahmen noch einmal zu ihm umgedreht hatte. »Ansonsten erwarten wir den Vorschuss innerhalb einer Woche zurück auf unser Konto.« Bäm! Das saß. Nicht nur, dass er sich vorgeführt fühlte wie ein Schuljunge, dem vor der versammelten Mädchenschar der Klasse die Hose einschließlich der Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen wurde und der sich dem Gekicher und Fingerzeigen ausgesetzt sah – nein, die Existenz seiner Agentur war ernsthaft bedroht. Denn würde er die einhunderttausend Euro, die ihm Breitenfeld vorgestreckt hatte, tatsächlich nächste Woche überweisen müssen, könnte er auf direktem Weg den Insolvenzverwalter aufsuchen.

 

***

 

Konrad Breitenfeld beobachtete Tom Feldmann von seinem Büro aus, wie der Agent mit hängenden Schultern zu seinem Porsche schlich. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte seinen Vater bereits vor Tagen davor gewarnt, einen Vertrag mit Isabell Springer abzuschließen – schließlich hatten sie sich schon einmal die Finger an ihr verbrannt. Doch sein alter Herr meinte ja leider nach dem christlichen Motto verfahren zu müssen, jedem eine zweite Chance einzuräumen, egal, wie verwerflich dessen Tat auch gewesen sein mochte. Für Konrad Breitenfeld hingegen zählte einzig der finanzielle Aspekt und bei der Kosten-Nutzen-Abwägung im Geschäftsvorgang Isabell Springer schätzte er die Risiken ungleich höher ein als den zu erwartenden Gewinn. Jedenfalls, wenn man die Gefahr eines Reputationsschadens für den Verlag in die Rechnung mit einbezog. Aber mit dem geplatzten Deal war das Schlimmste vorerst abgewendet und er würde alles in seiner Macht stehende unternehmen, dass es dabei blieb. Da er wusste, dass sein Vater Unzuverlässigkeit verachtete, sollten die Argumente nach dem Nichterscheinen Springers für ihn sprechen. Er griff zu seinem Smartphone und wählte eine Nummer, die weit hinten in seiner Kontaktliste stand. Während er dem davonfahrenden Feldmann hinterher sah, meldete sich die Stimme seines Gesprächspartners.

»Ja?«

»Gute Arbeit. Feldmann ist gerade unverrichteter Dinge vom Hof gefahren.« Nach einer Pause antwortete der andere in ruhigem Ton:

»Danke. Es war übrigens einfacher als gedacht. Wie geht es weiter?« Jetzt war es Breitenfeld, der sich die Antwort scheinbar genauer überlegen musste.

»Halten Sie sich erstmal zurück, bis Sie neue Instruktionen von mir bekommen.«

»Sie sind der Boss.« Der Angerufene beendete das Gespräch und Breitenfeld ließ sich auf den Bürostuhl hinter seinem, von Manuskripten übersäten, Schreibtisch fallen und legte die Füße hoch. Mit beiden Händen umfasste er das Smartphone und schaute auf das Display. Lächelnd legte er es zur Seite. Seit Jahren konnte er sich auf Charlie Meister verlassen. Immer, wenn schmutzige Arbeit anfiel, griff Konrad zu dieser Geheimwaffe: Er kannte den ehemaligen Soldaten nur vom Telefon. Empfohlen wurde er ihm als jemand, der durch Einsätze im Kosovo und Afghanistan vollkommen abgestumpft und hemmungslos agierte. Das genügte Breitenfeld und er hegte keinerlei Bedürfnis, ihn jemals persönlich zu treffen. Je weniger man den Veteranen mit ihm in Verbindung bringen konnte, umso besser.

 

***

 

Je näher Tom dem Strandhaus kam, das Isabell Springer seit einigen Jahren ihr Zuhause nennen durfte, desto mehr wich seine Wut der Sorge, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Als er jedoch die geschotterte Auffahrt erreichte und ihren Lexus neben den Stufen zur Holzveranda erblickte, die das komplette Haus umgab, kam sie geballt zurück.

»Ich hoffe inständig für dich, dass du mit einem gebrochenen Bein im Bad liegst und nicht ans Telefon gehen konntest!«, knurrte er und überwand die Stufen mit großen Schritten. Der eher zur Dekoration rechts neben der Tür stehende Strandkorb mit den in dieser Gegend üblichen blau-weißen Streifen war sauber. Wie die Dielen des Bodens der Veranda auch, sah man von einzelnen herumliegenden Zweigen und Blättern ab, die von dem Korkenzieherbaum stammen mussten, der vor dem Geländer wuchs, dachte er. Offensichtlich hatte Penélope, die mexikanische Putzfrau Isabells, erst vor kurzem mit ihren Feudeln und Tüchern darüber gewischt. Von der kannst du dich auch verabschieden, wenn du den Arm, der uns ernährt, so vor den Kopf stößt, Mädel. Ihm fiel auf, dass die Redewendung nicht passte, was ihm jedoch egal war.

Mittlerweile war er überzeugt davon, dass sie den Deal bewusst hatte platzen lassen und ihm gleich den Grund dafür nennen und ihn im selben Zug feuern würde. Tief durchatmend drückte er auf den Klingelknopf aus Messing, während er gleichzeitig mit der linken Hand gegen die weiß gestrichene Haustür klopfte und ihren Namen rief. Als ob sie deswegen schneller öffnet, du Depp, sagte er sich. Wider besseren Wissens wiederholte er es. Nichts. Außer dem Schrei einer Möwe, die über seinen Kopf und das Dach des Strandhauses hinweg einen Bogen flog, bis sie in Richtung des Meeres verschwand, hörte er nur das Blut an seinen Ohren vorbeirauschen. Er schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. »Isabell, verdammt, mach die scheiß Tür auf!« Doch sie tat ihm diesen Gefallen nicht. Genervt trat er gegen den optisch einem Holzfass nachempfundenen Blumenkübel, worauf die darin wachsenden Margeriten erzitterten. Mit stampfenden Schritten ging er links herum, bis er auf der ausladenden Terrasse hinter dem Haus angekommen war, von wo er freie Sicht auf den kleinen Sandstrand und den Bootsanleger hatte, der seit einigen Jahren nicht mehr genutzt wurde. Das Haus war vor Jahrzehnten auf einer Anhöhe erbaut worden, daher konnte der Deich die Aussicht nicht trüben. Doch von Isabell fehlte auch hier jede Spur. Die beiden Sonnenliegen waren akkurat gen Süden ausgerichtet und die zusammengelegten Wolldecken auf ihnen deuteten darauf hin, dass auch hier zuletzt Penélope gewirkt hatte. Wo zum Teufel steckte sie nur?

Tom legte beide Hände an die Fensterscheibe des Wohnzimmers und drückte das Gesicht an das kühle Glas, bis seine Nase und Stirn es berührten. Nichts bewegte sich darin. Tom atmete aus, sofort beschlug die Oberfläche. Er wollte gerade enttäuscht den Rückzug antreten, da fiel ihm etwas im Augenwinkel auf: Eine der Türen, die von innen auf die Veranda führten, war nur angelehnt. Tom stieß sie mit dem Fuß an, woraufhin sie leise knarrend nach innen aufschwang. Er trat ein.

 

 

 

Kapitel 3

 

 

Vor nicht allzu langer Zeit hätte Maria Fortmann die Abkühlung noch willkommen geheißen, denn die mehrwöchige Hitzewelle, die über den Norden Deutschlands hinweggerollt war, setzte der blonden Kriminalhauptkommissarin körperlich mehr zu, als sie es erwartet hatte. Kreislaufprobleme waren ihr bisher gänzlich fremd gewesen, in diesen Wochen quälten sie jedoch vermehrt Schwindel und Kopfschmerzen.

»Du wirst halt auch nicht jünger«, frotzelte ihr etwa zehn Jahre älterer Kollege Peter Goselüschen, als sie sich mal wieder stöhnend über das Wetter beschwert hatte, woraufhin sie ihn mit einem bösen Blick bedachte. Ihn schien die Wärme abgesehen vom Schwitzen überhaupt nicht zu stören. Aber Unrecht hatte er damit wohl nicht, musste sie sich eingestehen. Ja, als Teenager vor zwanzig Jahren hätte sie vermutlich über die Maria von heute gelacht. Zwar konnte sie auch damals schon nicht nachvollziehen, warum die Leute sich freiwillig stundenlang in die Sonne legten und bräunen ließen, das lag aber vielmehr an ihrem ausgeprägten Bewegungsdrang, den sie vor allem bei der Leichtathletik auslebte, und weniger an ihrem empfindlichen, nordischen Hauttyp. Hummeln im Hintern, wie ihre Mutter früher immer gesagt hatte, trieben sie auch heute noch um: Ihr würde definitiv etwas fehlen, wenn sie ihre tägliche Joggingrunde aus irgendwelchen Gründen nicht mehr absolvieren können würde. Ich muss mal recherchieren, inwieweit das tatsächlich dem Älterwerden geschuldet ist, dachte sie. Aber so richtig vorstellen konnte sie es sich eigentlich nicht.

Seit 14 Tagen erbarmte sich die Quecksilbersäule und pendelte tagsüber um spätsommerlich angenehme 22 Grad Celsius herum. Hin und wieder streute der Wettergott einen kurzen Schauer ein, der gierig von der Flora aufgesogen wurde, sodass die Wiesen wieder in kräftigem Grün erstrahlten und die Spätblüher für bunte Farbtupfer sorgten. Die Natur wirkte fast so, als ob es die niederschlagsfreien zwei Monate mit täglichen Temperaturen jenseits der 30 Grad nicht gegeben hätte. Wahrscheinlich ist sie viel besser dazu fähig, sich dem Klimawandel anzupassen, als die Menschheit dies kann, ging es Maria durch den Kopf. Was natürlich logisch war, schließlich gab es sie Millionen von Jahren länger und es wird sie auf dem Planeten noch geben, wenn der letzte Mensch schon ewig von der Erdoberfläche verschwunden ist.

Der Starkregen kam plötzlich und unerwartet, auch wenn der Wetterbericht für die nächsten Tage wechselnde Bewölkung mit Schauern prognostiziert hatte. Die Scheibenwischer arbeiteten auf höchster Stufe und trotzdem konnten sie der Wassermengen kaum Herr werden, die der Wolkenbruch über ihren Dienstwagen ergoss. Maria ging vom Gas und orientierte sich an der rechten Fahrbahnmarkierung, welcher sie in Schrittgeschwindigkeit folgte. Sie konnte höchstens zehn Meter gucken, alles dahinterliegende schien die Wand aus Regen und aufspritzenden Wassertropfen zu verschlucken. Um sich besser auf die Straße konzentrieren zu können, wollte Maria gerade das Radio ausstellen, als jedoch die ersten Takte von Rihannas Umbrella erklangen, nahm sie den Finger von der Aus-Taste und ließ es laufen. Sie drehte sogar die Lautstärke auf, bis der Wagen unter den wummernden Bässen vibrierte. »Das passt ja wie die Faust auf´s Auge.« Lächelnd summte sie das Lied mit.

Bevor die letzten Töne des Songs verstummten, war das faszinierende Schauspiel vorbei und die Wolkendecke brach auf. Ein Regenbogen in der Ferne verhieß den glücklichen Findern an jedem Ende einen Topf voller Gold, wie Marias Mutter gern zum Besten gegeben hatte, wenn die Sonne im Verbund mit der feuchten Luft dieses Phänomen hervorzauberte. Maria dachte wehmütig an ihre Mama zurück, die viel zu früh dem Krebs erlag. Gleichzeitig lief ihr eine Träne über die Wange und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, wie fast immer, wenn sie an die herzensgute Frau dachte.

Sie zog den Wagen wieder mittig auf die rechte Spur und beschleunigte. Ein Blick auf das Navigationssystem verriet ihr, dass sie das Strandhaus Isabell Springers in etwa zehn Minuten erreicht haben würde.

Ein gewisser Tom Feldmann hatte die Kollegen verständigt, weil er davon ausging, dass ihr etwas zugestoßen sein müsste. Und da er am Telefon sehr aufgewühlt, aber dennoch überzeugend gewirkt haben soll, informierten sie die Kriminalpolizei. Maria, die sich gerade in der Nähe des vermeintlichen Tatorts befand, wurde gebeten, sich die Sache anzuschauen. »Ich mache definitiv etwas falsch«, sagte sie schmunzelnd, als sie ihren Dienstwagen zwischen einem Lexus und einem Porsche parkte, die allerdings stilistisch hervorragend zu dieser auf einer Anhöhe gelegenen Strandvilla passten. Ein Streifenwagen der Kollegen aus Esens parkte etwas abseits im Schatten einer gigantisch wirkenden Linde, was aber eher daran lag, dass die übrigen Bäume und Sträucher kaum höher als zwei Meter gewachsen waren.

»Moin, Maria«, begrüßte sie die rothaarige Katja Detersen mit einem Lächeln. Die junge Frau, ihres Zeichens Dienststellenleiterin der Polizei in Esens, kam die Stufen von der Veranda herunter auf sie zu.

»Hallo Katja«, erwiderte Maria den Gruß. »Was hast du für mich?« Nachdem Maria ihren Teamkollegen Sebastian vor einigen Wochen auf die attraktive Beamtin aufmerksam gemacht und er sie tatsächlich gedatet hatte, führten sie mittlerweile eine Beziehung, wodurch auch sie und Goselüschen die Frau nun privat kannten. Nachdem sie ihre gegenseitige Sympathie festgestellt hatten, landeten sie schnell beim Du.

»Noch nicht viel«, sagte sie und deutete mit dem Kopf in Richtung der Veranda. Jetzt erst sah Maria den schlanken Mann, der ungefähr in ihrem Alter sein musste, an einen Strandkorb gelehnt dort oben stehen. »Das ist Tom Feldmann, der Literaturagent von Isabell Springer. Ich denke, du hörst es dir direkt von ihm an«, schlug sie vor. Maria nickte und ging mit ihr gemeinsam auf den Zeugen zu.

»Guten Tag, ich bin Maria Fortmann von der Kripo Aurich«, stellte sie sich vor. Hände wurden geschüttelt.

»Feldmann, Tom Feldmann. Gut, dass Sie da sind.« Seine tiefe Stimme passte nicht ganz zu der unsicheren Ausstrahlung, die Maria im Moment bei ihm wahrnahm. Er sah verdammt gut aus, musste sie zugeben, und die Stimme allein sorgte sicher bei mancher Dame dafür, dass sie fast vom Stuhl rutschte. Aber sein fahriger Blick und das leise Sprechen ließen ihn gerade eher wie einen kleinen Jungen wirken, der bei einem Streich erwischt worden war.

»Fangen Sie einfach von vorne an. Warum glauben Sie, dass Frau Springer etwas zugestoßen ist?«

Er holte tief Luft, die er geräuschvoll ausstieß, bevor er zusammenfasste, dass sie einen extrem wichtigen Termin ohne Begründung hätte platzen lassen und er sie seither nicht erreichen könnte.

»Ich bin dann sofort hier hergekommen und wollte von ihr wissen, was der Scheiß soll. Aber sie hat nicht aufgemacht.«

»Vielleicht ist sie einfach unterwegs. Einkaufen, bummeln, zum Friseur oder nur spazieren«, warf Maria ein, obwohl ihr klar war, dass Feldmann noch mehr zu erzählen hatte.

»Ja, schon klar«, sagte er hastig. »Kommen Sie einfach mit.« Er ging zwischen den beiden Frauen hindurch und nahm denselben Weg um das Haus herum wie vor etwa einer Stunde. Maria wechselte einen Blick mit Katja. Schulterzuckend folgten sie dem Agenten, bis er auf der Rückseite vor einer angelehnten Tür abrupt stoppte. »Die war vorhin schon einen Spalt offen. Ich bin dann rein und hab nach Isabell gerufen. Als keine Antwort kam, habe ich nach ihr gesucht, ich befürchtete, sie wäre im Bad gestürzt oder läge mit einem Schlaganfall im Schlafzimmer oder was weiß ich. So genau habe ich nicht nachgedacht, ich wollte sie nur schnell finden.«

»Und Sie haben Frau Springer nicht gefunden«, folgerte Maria murmelnd mehr für sich selbst.

»Nein, natürlich nicht, sonst hätte ich ja nicht die Polizei gerufen.« Sie standen mittlerweile im Wohn- oder Arbeitszimmer. Ganz genau konnte Maria es nicht einordnen, da einfach überall Bücher herumlagen. Jedoch nicht kreuz und quer oder unordentlich: Es wirkte so, als ob jedes Einzelne und jeder Stapel genau dort hingehörten, wo sie lagen: Auf dem Couchtisch, auf einer Sessellehne, selbst die beiden Romane, die auf der Fensterbank zwischen zwei Blumentöpfen lehnten, schienen dort ihren festen Platz zu haben. »Warum ich angerufen habe –«, sagte er und zeigte auf den Stuhl vor einem gediegenen Holzschreibtisch, »ist das hier.« Maria folgte seinem ausgestreckten Arm und sah die rote Lederhandtasche, deren Griffschlaufen über die linke Lehne des Drehstuhls fielen.

»Na ja, für einen Strandspaziergang nehme ich auch nicht zwingend meine Handtasche mit.«

»Und die offenstehende Tür kann ja auch heißen, dass Frau Springer nur vergessen hat, abzuschließen«, warf Katja ein. Toms Gesichtszüge verhärteten sich. Er schnappte sich die Tasche und zog den Reißverschluss auf, dann steckte er seine Hand hinein und zog etwas hervor.

»Ohne Handtasche ja, vielleicht auch ohne Handy«, sagte er und hielt einen zylindrischen Gegenstand hoch, »aber nicht ohne ihr Notfall-KIT. Isabell ist hochallergisch und obwohl sie hier an der See verhältnismäßig selten einen Anfall bekommt, würde sie keinen Schritt ohne die Spritze aus dem Haus wagen.« Er schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, ich habe in der Vergangenheit oft genug erlebt, wie panisch sie wurde, wenn ihr auffiel, dass sie ihr Notfallmedikament nicht in greifbarer Nähe hatte.« Maria kräuselte die Stirn, nahm Feldmann das Gerät aus der Hand und las die Beschriftung und die Bedienungsanleitung. Sie hatte es bei einer Freundin miterlebt, wie diese nach einem Bissen Kuchen fast wegen der Nussspuren darin erstickt wäre, wenn sie sich nicht noch rechtzeitig die Injektion gesetzt hätte. Ja, sie konnte sich das Verhalten Isabell Springers dahingehend sehr gut vorstellen.

»Wogegen ist sie allergisch?«, fragte Katja.

»Die Frage ist eher, wogegen nicht«, erwiderte er. »Ich kenne mich selbst zum Glück kaum damit aus, aber gegen alle möglichen Gräser und Nüsse, soweit ich weiß. Jedenfalls würde sie nie etwas essen, von dem sie nicht einhundertprozentig weiß, was alles drin ist.« Er bewegte sich wieder zur Tür und winkte die Polizistinnen zu sich. »Das ist aber noch nicht alles, kommen Sie bitte mit.« Abermals folgten sie ihm, nur ging es dieses Mal nicht um das Haus herum, sondern einige Stufen von der Veranda hinunter. Ein gewundener Pfad führte durch meterhohes Schilf mal mehr mal weniger steil bergab, bis sie den kleinen Privatstrand erreichten. Zumindest ging Maria davon aus, dass er exklusiv zum Strandhaus gehörte. Wenige Schritte trennten sie von einem Steg oder Bootsanleger. Feldmann ging direkt darauf zu, drehte sich aber hin und wieder zu den Frauen um, als ob er sich vergewissern müsste, dass sie ihm noch folgten. Maria warf einen Blick an ihm vorbei und mutmaßte, den Grund erkannt zu haben, warum er sie hergelotst hatte. Und tatsächlich blieb er etwa in der Mitte des etwa dreißig Meter langen Holzstegs stehen. Zu seinen Füßen lag ein einzelner, roter Damenschuh. »Der gehört Isabell.«

»Ganz sicher?«

»Ja, die Schuhe hat sie vorige Woche zusammen mit der Handtasche gekauft, extra für das heutige Meeting. Das ist einer ihrer Ticks: Sie meinte, wenn man einen neuen Lebensabschnitt durchläuft, sollte man das in neuen Schuhen tun.« Marias und Katjas Blick trafen sich und sie mussten sich zusammenreißen, nicht aufzulachen. Warum tat der Feldmann so verwundert und warum sollte das ein Tick sein? Die Polizistinnen waren sich wortlos einig, dass dies vollkommen normal wäre.

»Okay«, sagte Maria schließlich, »der Platzregen von vorhin wird natürlich die meisten möglichen Spuren beseitigt haben. Nichtsdestotrotz werden wir unsere Spezialisten hier und im Haus an die Arbeit schicken. Ich müsste von Ihnen wissen, was Sie alles angefasst haben, seit Sie hier sind.«

»Ja, kein Problem.«

»Hast du einen Stift für mich?

---ENDE DER LESEPROBE---