Die kleine Ginbrennerei im Schwarzwald - Sina Fuchs - E-Book

Die kleine Ginbrennerei im Schwarzwald E-Book

Sina Fuchs

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Beschreibung

Zwischen Schwarzwaldhöhen und dem glitzernden Feldsee

Als Fiona den heruntergekommenen Hof ihres Onkels am Fuße des Feldberges erbt, wird ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Fest entschlossen das Erbe zu verkaufen, reist sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Sie wird nicht von allen freundlich aufgenommen, und so ein verlassenes Haus birgt mehr Herausforderungen als zunächst geahnt - unerwünschte tierische Bewohner, fehlende Internetverbindung und der unfreundliche Nachbar Jakob, der ein besonderes Interesse an dem Hof zu haben scheint. Als sie dann die vergessene Brennerei in der Scheune entdeckt und alte Flammen plötzlich wieder auftauchen, steht ihr Herz vor einer wichtigen Entscheidung ...

Ein bezaubernder Wohlfühlroman über das Finden neuer Liebe und das Erfüllen großer Träume.

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Als Fiona den heruntergekommenen Hof ihres Onkels am Fuße des Feldberges erbt, wird ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Fest entschlossen das Erbe zu verkaufen, reist sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Sie wird nicht von allen freundlich aufgenommen, und so ein verlassenes Haus birgt mehr Herausforderungen als zunächst geahnt – unerwünschte tierische Bewohner, fehlende Internetverbindung und der unfreundliche Nachbar Jakob, der ein besonderes Interesse an dem Hof zu haben scheint. Als sie dann die vergessene Brennerei in der Scheune entdeckt und alte Flammen plötzlich wieder auftauchen, steht ihr Herz vor einer wichtigen Entscheidung …

Sina Fuchs

Kapitel 1

Fiona

Unschlüssig hielt ich das Testament in meinen Fingern, das mir der Notar vor einigen Tagen ausgehändigt hatte. Bilder des Hofes lagen vor mir auf dem Bett verstreut, doch die Erinnerungen an die Tage, die ich als Kind im Schwarzwald verbracht hatte, waren zu sehr verblasst, als dass ich irgendetwas hätte spüren können. Kein Herzklopfen regte sich in mir, keine Sehnsucht. Nicht einmal die Erinnerungen an meinen Onkel Friedrich berührten mich. Es war, als hätte er nie wirklich existiert. Dabei wusste ich, dass ich wundervolle Sommer am Fuße des Feldbergs verbracht hatte. Damals hatte ich mich ein bisschen wie Heidi gefühlt, die bei ihrem Opa auf der Alm gewohnt hatte. Nur einen Ziegen-Peter hatte ich nie kennengelernt.

Ich nahm eines der Fotos in die Hand. Darauf war ein heruntergekommener alter Bauernhof im typischen Schwarzwälder Stil abgelichtet. Die schindelbedeckte Fassade hatte ihre besten Jahre schon längst hinter sich. Das Holz war inzwischen grau und sah trocken aus, der letzte Anstrich schien einige Jahre her zu sein. Auch das Dach, das mit grauen Ziegeln bedeckt war und bis zum ersten Geschoss reichte, um die Fassade vor der Witterung zu schützen, wirkte fleckig und marode. Kurz blitzte ein Gedankenfetzen in meinem Kopf auf. Ich versuchte, ihn zu fassen, zwang mich dazu, nach den Erinnerungen zu greifen, die so dünn und durchscheinend waren, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob es tatsächlich meine eigenen waren. War ich das, die in meinem Kopfkino gerade in eine Ladung Heu sprang? Ich konnte das Lachen wie ein leises Echo hören, das Heu fast riechen, auch wenn der Geruch nicht in der Nase kitzelte, wie er es doch eigentlich sollte.

»Und, was wirst du machen, Fiona?« Maxi saß mir gegenüber, ein Glas unseres Lieblingsweins in der Hand und schaute mich abwartend an. Ihre dunklen Locken standen wild von ihrem Kopf ab. Ich war schon immer neidisch auf die Haarpracht meiner besten Freundin gewesen. Ich dagegen musste mich mit spaghettiblonden Haaren zufriedengeben, die schneller in sich zusammenfielen, als dass es dauerte, sie zu stylen. »Ich meine, wirst du es … behalten? Schließlich hat nicht jeder einen Hof, der den eigenen Namen trägt. Und das mit zarten achtundzwanzig Jahren!«

Maxi klang, als würde ein großes Abenteuer auf sie warten. Sicher sah sie schon ein Feriendomizil vor ihrem inneren Auge, das sie immer dann nutzen konnte, wenn ihr nach Natur und Ruhe war. Maxi war anders als ich. Sie liebte das Wandern, die Stille und die Weite. Sie war ein absoluter Naturmensch, während ich mich in der Stadt sehr wohlfühlte. Besonders in Wiesbaden, wohin ich nach dem Studium gezogen war und wo ich nun schon einige Jahre wohnte. Ich brauchte keinen Luxus – aber die Abgeschiedenheit des Schwarzwaldhofes schnürte mir schon jetzt die Luft ab. Dennoch wusste ich, was ich tun musste.

»Ich werde in den Schwarzwald fahren und mir den Hof anschauen. Dann sehe ich weiter, ob sich ein Käufer dafür findet. Oder …« Maxis Augen weiteten sich, als ich eine Alternative andeutete. Doch bevor sie jubeln konnte, hielt ich die Hand abwehrend hoch. »Oder ob der Hof nur noch zum Abriss taugt.«

Enttäuscht sank Maxi in sich zusammen und zog eine Schnute. Ich wollte lachen, aber das hätte sie mir wohl übel genommen.

»Jetzt schau nicht so.«

Obwohl ich mich Maxi gegenüber pessimistisch zeigte, breitete sich ein aufgeregtes Kribbeln in mir aus. Vielleicht war es ja genau der richtige Schritt, dorthin zu fahren. Ohne Pläne und ohne Vorstellung, wohin das alles führen sollte. Wie sollte ich auch eine Entscheidung treffen, was ich mit meinem Erbe anstellen wollte, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte? Außerdem war ich es Friedrich schuldig, seinem Hof einen letzten Besuch abzustatten und seine persönlichen Sachen durchzuschauen, statt sie einem anonymen Entrümpelungsdienst zu überlassen, der alle Erinnerungen entsorgte. Ein Schauder rieselte bei dem Gedanken, in seiner Wäsche herumzuwühlen, über meinen Rücken. Schnell schob ich das seltsame Gefühl beiseite und versuchte, mich auf das Positive zu konzentrieren.

»Sehr cool! Das ist meine Fi!« Sie grinste mich breit an und schien von meinem kurzzeitigen Gefühlschaos nichts mitbekommen zu haben. »Ich würde ja glatt mitfahren, aber ich glaube, das ist etwas, das du alleine machen musst.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. Dann schien ihr eine andere Idee zu kommen, und sie klimperte mit den Wimpern, als wäre sie eine Barbie, die ihre Schlachten mit Niedlichsein gewann. »Aber besuchen darf ich dich trotzdem mal, oder?«

»Ich werde nur ein paar Tage dort sein. Mal schauen, was Friedrich für ein Chaos hinterlassen hat. Und schneller, als du gucken kannst, bin ich wieder hier«, wiegelte ich ab. Zwar hatte mir mein Chef nahegelegt, endlich meinen Resturlaub aus dem Vorjahr zu nehmen, bevor er verfiel, und die Tage im Süden Deutschlands zu genießen, aber ich konnte mein Team unmöglich mit dem Felber-Projekt alleine lassen. Es mussten unzählige Kalkulationen erarbeitet werden, um zu beurteilen, ob wir der Felber-Holding die Vermögensschadens-Versicherung anbieten konnten. Das Projekt war verzwickt, da die Firmenstruktur der Holding verästelt war, die Risiken für uns als Versicherer entsprechend komplex. Ich hatte hierbei nicht nur selbst Teile des Projektes zu betreuen, sondern auch das dahinterstehende Projektteam zu koordinieren. Um jetzt die Zügel aus der Hand zu geben und all meine Vorarbeit an jemand anderen abzutreten, hatte ich viel zu hart gearbeitet. Ich hoffte, ich konnte von dort aus remote arbeiten, um meine Kollegen bestmöglich von der Ferne aus lenken zu können. So etwas Fortschrittliches wie einen Internetanschluss hatte mein verstorbener Onkel sicher nicht besessen. Aber wozu hatte ich mobile Daten?

»Och, meinetwegen kannst du gerne länger im Schwarzwald bleiben. So eine kleine Auszeit wird dir guttun nach dem ganzen Stress mit Hannes und so.« Einer ihrer Mundwinkel wanderte ein Stück nach oben und verzog ihren Mund zu einer entschuldigenden Grimasse. Dabei konnte sie ganz sicher nichts für die Trennung von Hannes. Im Gegenteil, sie hatte mir schon lange dazu geraten, Hannes den Laufpass zu geben. Ihrer Meinung nach hatte er mich nie zu schätzen gewusst. Aber manchmal war man einfach blind und ließ viel zu lange Sachen mit sich machen, die einem nicht guttaten.

»Wir werden sehen«, sagte ich leise. »Kümmerst du dich hier um alles, wenn ich weg bin? Post, Blumen gießen und so?«

»Solange ich mich nicht um deine Wäscheberge kümmern muss, kannst du so lange bleiben, wie du willst. Ich halte hier die Stellung. Versprochen.« Ich lächelte sie dankbar an, schnappte mir ein weiteres der Bilder und träumte mich in den Schwarzwald.

Kapitel 2

Fiona

»I can’t get no … satisfaction!«, trällerte ich den Stones-Klassiker, der aus dem Autoradio schallte, mit voller Inbrunst mit, als ich auf der Bundesstraße durch einen winzigen Ort namens Himmelreich fuhr. Die Straße schlängelte sich durch ein schmales Tal, rechts und links ragten bereits die ersten Anhöhen des Schwarzwalds auf. Spätestens hier wurde mir klar, dass es in Deutschland noch Orte gab, in denen die Zeit stehen geblieben schien. Die Häuser sahen aus, als wären sie direkt dem Filmset von Die Fallers entsprungen. Hier war alles so saftig grün, allein die Farben lösten Vorfreude auf meine Tage am Feldsee aus. Ob in den Höhenlagen Ende Juni die Blumen blühten? Ich hatte keine Ahnung von der Vegetation und dem Rhythmus der Pflanzen und war gespannt, wie es dort aussehen würde, wo Friedrich gelebt hatte. Ob ich mich noch an etwas erinnern konnte?

Friedrich. Meine Erinnerungen an den ältesten Bruder meines Vaters waren verblasst. Früher hatten sich die beiden gut verstanden, und wir waren öfter zu Besuch gewesen. So oft, dass ich es mir zugetraut hatte, meine Ferien allein bei dem alten Kauz zu verbringen. Ich wusste noch, er hatte nie viel gesprochen. Und das Schweigen mit ihm war nie unangenehm gewesen.

Die Bundesstraße schlängelte sich an Felsen vorbei, auf der linken Seite kämpfte sich eine Eisenbahn den Berg nach oben. Immer wieder verschwand die Lok in einem Tunnel und tauchte nach wenigen Metern wieder neben mir auf. Dann trennten sich unsere Wege, und der Zug fuhr über ein altes Viadukt aus meinem Blickfeld.

Auf einer Anhöhe angekommen, lotste mich das Navi auf eine Straße, die Richtung Basel führte, und ich fragte mich, ob das stimmen konnte. Basel, das lag doch in der Schweiz! Vielleicht hätte ich mich doch besser vorbereiten und die Landkarte studieren sollen, statt mich blind auf die Technik zu verlassen.

Schon bald konnte ich auf der rechten Seite einen See sehen. Der Titisee, wie mir ein Schild verriet. Auch ich war schon dort gewesen. Bilder von Läden mit unzähligen Kuckucksuhren schossen mir durch den Kopf. Von Geschäften mit unzähligen Mützen mit Tierköpfen aus Plüsch und Nachahmungen des typischen Schwarzwälder Bollenhutes. Schemenhaft kam es mir so vor, als hätte ich als Kind einen dieser Strohhüte mit roten Wollkugeln drauf selbst haben wollen. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, weil diese Bollenhüte und der Schwarzwald so eng miteinander verknüpft waren.

Ich fuhr oberhalb des Sees auf einer von dichten Bäumen gesäumten Straße. Immer wieder wechselte der dunkle Schatten der Bäume mit ein paar Blitzlichtern, die die Sonne auf die Straße schleuderte. Hier musste es erst vor Kurzem geregnet haben, denn die Fahrbahn war nass und spiegelte im Licht. Ich griff nach meiner Tasche, die auf dem Beifahrersitz lag, und kramte darin mit meiner rechten Hand nach der Sonnenbrille.

Keith Urbans Gitarrenriffs dröhnten aus den Lautsprechern, und kurz überkam mich der Wunsch, dieses Intro selbst spielen zu können. Es war Jahre her, dass ich ein Instrument zur Hand genommen hatte, dabei war das Gitarrenspielen mein Geheimtipp gewesen, um mich zu entspannen. In den letzten Jahren war die Musik immer weiter in den Hintergrund gerückt. Warum? Vielleicht hatte ja Friedrich eine alte Klampfe in seinem Nachlass, dann würde ich wieder einmal spielen können.

Ich ließ mich von Karin, wie ich die Stimme meines Navigationsgeräts getauft hatte, durch den Hochschwarzwald leiten. Als ich in das kleine Dorf Bärental kam, schaute ich mich neugierig um. Der Gromerhof, wie Friedrichs Anwesen genannt wurde, konnte nicht mehr weit sein.

Ich kam an einer kleinen Hütte vorbei, an deren Fassade ein Automat angebracht war, an dem es Honig zu kaufen gab. Honigschränkle. Der Anblick entlockte mir ein Schmunzeln. Wie anders es hier doch war als in der Stadt. Dort hatte ich so etwas noch nie gesehen.

Jetzt, wo ich auf der schmalen Straße deutlich langsamer fuhr, dröhnte die Musik viel zu laut im Innern des Wagens. Ich reduzierte die Lautstärke und öffnete das Fenster. Als Erstes nahm ich den Geruch wahr. Frisch und warm. Und schwer. Ich nahm einen tiefen Atemzug, und mit ihm kamen weitere Erinnerungen zurück. Nicht wie mit einem Vorschlaghammer, sondern langsam, leicht, ganz zaghaft. Es war eher ein Gefühl, das mich durchflutete. Ein angenehmes, das eine Sehnsucht in sich trug, welche ich lange nicht gespürt hatte.

Aufgeregt blickte ich mich um. Neben dem Weg plätscherte ein Bächlein, Sträucher trennten die Fahrbahn von saftigen Wiesen ab. Die Sonne blendete mich trotz Sonnenbrille, es standen nur noch wenige Wolken am Himmel, die rasch über mich zogen. In den Bergen wechselt das Wetter schnell. Ein Satz, den ich von meinen Urlauben auf dem Hof behalten hatte.

Der Kies knirschte unter den Rädern meines Volvos, und ich hoffte, die Steinchen beschädigten den Lack des Leasingwagens nicht. Bald musste ich ihn abgeben und hatte mir schon einen schicken, wendigen Stadtflitzer ausgesucht. Dieses Mini-SUV, in dem ich gerade saß und das mir der Verkäufer aufgeschwatzt hatte, hatte sich jedenfalls bislang nicht rentiert.

Als ich um die nächste Ecke bog, sah ich in einiger Entfernung einen Schwarzwaldhof, der an meinen Erinnerungen rüttelte. Vielleicht waren es aber auch die vielen Fotos, die sich in mein Gedächtnis gebrannt hatten und die mich nun glauben ließen, dieses seltsame Gefühl in meiner Brust käme von tief vergrabenen Kindheitserinnerungen.

Je näher ich meinem Erbe kam, desto schneller schlug mein Herz. Ich steuerte den Wagen auf die Einfahrt zu und stellte mich mitten auf den kiesbedeckten Hof. Schließlich konnte ich parken, wo ich wollte. Das alles hier war meins – oder konnte meins sein, wenn ich das Erbe antrat.

Als der Motor und mit ihm die Musik erstarb, nahm ich mir einen Moment Zeit, um das Haus zu betrachten. Es war in einem noch erbärmlicheren Zustand, als es auf den Fotos zu erkennen gewesen war. Den Fensterläden, die geschlossen waren, fehlten einzelne Sprossen. Manche hingen ziemlich schief in ihren Angeln, und ich konnte auch Stellen erkennen, an denen die grauen Schindeln an der Fassade fehlten oder abgeplatzt waren. Es wird wunderschön aussehen, wenn es erst einmal instand gesetzt ist, meldete sich entgegen aller Vernunft eine Stimme in meinem Innern, und ich spürte, wie mir bei diesem Gedanken ganz warm wurde. Ein Gedanke nistete sich in meinem Kopf ein, füllte mein Herz aus und ließ mich überrascht über mich selbst den Kopf schütteln: Vielleicht sollte ich den Hof behalten.

Ich öffnete die Autotür und trat samt meiner Handtasche unter dem Arm auf die kleinen Steine, die über den ganzen Hof verteilt waren. Wie viele Jahrzehnte sie hier wohl schon lagen? Wie viele Menschen über sie gegangen waren? Zeitzeugen längst vergangener Tage. Alles an diesem Haus und drum herum war alt. Selbst der Geruch, der mir um die Nase wehte, hatte etwas Staubiges, Verbrauchtes, obwohl der Hof von unendlich viel Natur umgeben war. Ein von Menschenhand erbauter Klecks, eingebettet in sattes Grün.

Kurzerhand zückte ich mein Handy, um Maxi an diesem Moment teilhaben zu lassen. Ich klickte die App für den Videocall an, doch es dauerte und dauerte und dauerte, bis sich eine Verbindung aufbaute, und selbst diese sah so wackelig aus, dass ich mein Vorhaben kurzerhand sein ließ. Hatten sie hier noch keine Funkmasten installiert? Das konnte ja etwas geben mit dem Remote-Arbeiten. Hoffentlich würde Friedrich mich überraschen, indem er up to date gewesen war und einen Internetanschluss hatte, den ich anzapfen konnte. Mir über das Handy einen Hotspot aufzubauen, konnte ich mir jedenfalls abschminken.

Nach einem tiefen Atemzug zückte ich den Schlüssel, den mir der Notar überreicht hatte, um mir den Hof anzusehen, und steckte ihn in das altertümliche Schloss. Jeder mittelklassige Dieb hätte mich ausgelacht, denn diese Vorrichtung war nicht mehr als eine Requisite. Ein halbwegs talentierter Einbrecher hätte das Schloss binnen zwei Sekunden knacken können.

Die hölzerne Tür knarzte, als ich sie öffnete, und während mit mir etwas Sonnenlicht ins Innere drang, sah ich Millionen von Staubkörnern in der Luft tanzen. Obwohl es etwas Schönes hatte, seufzte ich. Denn dieser Anblick bedeutete Arbeit. Viel Arbeit.

Im Innern begrüßte mich ein muffiger Geruch. Eine Mischung aus alt und dreckig. Ich stürzte in die Stube und riss die Fenster auf. Zumindest versuchte ich es, doch das Erste, bei dem ich mein Glück versuchte, klemmte. Ich ging zu einem weiteren Fenster, und dieses ließ sich nach etwas Protest tatsächlich öffnen. Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen stieß ich die Fensterläden auf und bekam endlich wieder etwas Luft.

Mit dem Sauerstoff drang auch mehr Licht ins Innere des niedrigen Raumes. Ich hatte das Gefühl, erdrückt zu werden, so tief hingen die Decken. Waren die Räume hier schon immer so klein gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Holz war über mir, neben mir, überall. Ich mochte das Naturprodukt, aber doch nicht in dieser Masse! Es war, als wäre ich in einem einzigen Baumstamm gelandet. Selbst die Möbel waren aus rustikaler Eiche gefertigt. Oder war das Kiefer? Tanne? Ich hatte keine Ahnung.

Überall stand etwas herum. Onkel Friedrich schien nicht der ordentlichste Mensch gewesen zu sein. Relikte längst vergangener Tage. Herrje, vielleicht sollte ich ein Museum aus diesem Ort machen. Ich nahm einen alten steinernen Krug mit einem metallenen Deckel in die Hand und erschrak, weil tatsächlich noch Flüssigkeit darin schwankte. Gruselig. Hatte Friedrich vielleicht vor seinem Tod aus diesem Gefäß getrunken? Schnell stellte ich es ab und verschränkte die Arme vor der Brust.

Um mir einen Überblick zu verschaffen, schlenderte ich durch die Räume. Der Hof war groß, viel größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Nicht alle Zimmer waren möbliert, in manchen stand einfach nur Krimskrams, oder sie waren leer.

Ein kleines Gästezimmer unter dem Dach wählte ich als meine vorübergehende Bleibe aus. Es war mit den niedrigen schrägen Decken heimelig, und mit etwas Geschick konnte daraus eine ganz nette Unterkunft werden. Für den Übergang.

Ich zog die Leintücher von den Möbeln, die jemand offensichtlich zum Schutz darübergelegt hatte, und es kamen – wie konnte es anders sein – dunkle Holzmöbel zum Vorschein. Eine fast schwarze Kommode mit kunstvollen Schnitzereien passte perfekt zu dem schmalen Bett. Es war Jahre her, dass ich in so einem kleinen Ding geschlafen hatte. Hoffentlich purzelte ich nicht mitten in der Nacht heraus.

Auch hier öffnete ich das kleine Fenster, und mein Blick blieb plötzlich in der Ferne hängen. Von hier aus konnte ich den Feldsee sehen, ein sagenumwobener Ort, der mit seiner rauen, düsteren Schönheit nicht jeden begeistern konnte. In diesem Moment lag er ruhig und friedlich eingebettet in einem Meer aus dunklen Bäumen da. Sonnenstrahlen waberten über die nahezu schwarze Oberfläche. Aber der See konnte auch anders, und es wurden schaurige Geschichten über ihn erzählt, wie ich aus meinen Internetrecherchen wusste.

Sobald ich mein Auto ausgeladen und es geschafft hatte, allen Zimmern dieses Hauses einen Besuch abzustatten, würde ich einen Spaziergang dorthin machen und mich selbst davon überzeugen, zu welcher Sorte Mensch ich gehörte: zu denjenigen, die der See faszinierte, oder zu denen, die es bei seinem Anblick schauderte.

Kapitel 3

Fiona

Aus meinen Handylautsprechern schepperte meine Putzplaylist, eine Sammlung aus Gute-Laune-Songs, die meine Stimmung hochhalten sollten, während ich der Aufgabe nachging, die ich am meisten hasste: putzen. Aber was sollte ich machen? Wenn ich die nächsten Tage hier überstehen wollte, brauchte ich zumindest ein Mindestmaß an Sauberkeit und Ordnung. Die Räume, in denen ich mich gezwungenermaßen aufhielt, konnten nicht so dreckig bleiben, dass mich jede Berührung ekelte.

Ich war zwar kaum ein paar Stunden auf dem Hof, hatte aber jetzt schon das Gefühl, keine Sekunde länger in diesem vollgestopften Haus verbringen zu können. Überall lag etwas herum, der Dreck hing in der Luft. Ich konnte nicht atmen. Vielleicht hätte ich in ein Hotel gehen sollen. Aber wäre das der Sinn meiner Reise gewesen? Nein, ich wollte meine Zeit hier auf dem Hof verbringen, spüren, wie es wäre, ihn zu behalten und hier zu leben. Und dazu mussten neben meinem Schlafzimmer zumindest die Küche und die Stube bewohnbar sein. Und das kleine Badezimmer, das außer einer Staubschicht überraschend sauber war, wie ich dankbar wahrnahm, als ich die Toilette aufsuchen musste.

Bislang ging meine Strategie auf, und dank der Musik war meine Stimmung besser als erwartet. Ich sang lauthals einen Sommerhit von Jason Mraz mit, ohne mich wirklich an die Lyrics zu erinnern.

Ich hatte in der Stube begonnen. Hier gab es Unmengen Krimskrams zum Wegräumen und Tisch, Kommode, Sitzbank und Boden von einer dicken Schicht Staub zu befreien. Dabei war Friedrichs Tod noch gar nicht so lange her. Wann hier wohl zum letzten Mal jemand so richtig sauber gemacht hatte?

Ich pfefferte wahllos Dinge, die mir unwichtig erschienen, in einen blauen Sack, in der irren Hoffnung, so voranzukommen, musste aber schnell einsehen, dass das nicht viel brachte. Ich brauchte einen Plan.

Resigniert zog ich mir ein Blatt Papier heran, setzte mich auf die gekachelte Eckbank vor dem Ofen und begann mir zu überlegen, wie ich besser vorankommen könnte. Zu allererst galt es, ein Ziel zu formulieren. Was wollte ich?

Eigentlich war ich ja hierhergekommen, um mir einen Überblick über das Erbe zu verschaffen und danach zu entscheiden, wie es weitergehen sollte.

Wenn ich das Haus verkaufte, sollte es in einem ordentlichen Zustand sein. Das erzielte einen besseren Preis. Niemand investierte in eine Müllkippe. Sollte ich das Erbe ablehnen oder den Hof gar abreißen lassen, konnte ich mir die Arbeit sparen.

Sollte ich aber das Haus behalten, würde ich mich deutlich wohlerfühlen, wenn nicht alles so vollgestopft wäre. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Wieder schwappten Erinnerungen unsortiert über mich hinweg. Es waren eher Gefühle, die mich tief in die Vergangenheit zogen. Ich hatte zahlreiche Tage hier verbracht, mit Friedrich an genau diesem Tisch gesessen. Und ihn in den letzten Jahren völlig vergessen. Was war ich doch für eine Rabennichte gewesen, dass ich ihn nicht einmal besucht hatte, als es mit ihm zu Ende gegangen war? Hätte ich gewusst, wie es um ihn stand, hätte ich mich doch um ihn gekümmert – aber der alte Kauz hatte sich nicht gemeldet. Und ich … ich hatte ihn über all dem Trubel in der Versicherung vergessen. Das war nicht fair. Und sicher nichts, auf das ich stolz war. Aber ich hatte so viel für meine Karriere investiert, dass vieles hinten runtergefallen war. Freunde. Und Familie. Oftmals war sogar ich selbst zu kurz gekommen, vergraben unter Aktenbergen und Zahlen, die mir wichtiger gewesen waren, als achtsam mit mir und meinen Mitmenschen umzugehen.

Ich atmete tief ein. Versuchte, das schlechte Gewissen beiseitezuschieben. Was brachte es, mich jetzt zu schämen? Alles, was ich noch tun konnte, war, das Andenken von Friedrich in Ehren zu halten. Entweder, indem ich einen wertschätzenden Käufer fand, der den Hof weiterführte. Oder aber indem ich das Gebäude behielt und … was damit tat? Ich seufzte, stand auf und beschloss, mich abzulenken, indem ich mich erneut in die Arbeit stürzte, damit ich die nächsten Tage zumindest nicht auf einer Müllkippe übernachten musste.

Vor der Küche graute es mir. Deshalb hatte ich bisher einen großen Bogen um den Raum gemacht und war erstaunt, als ich eintrat. Das Chaos hielt sich in Grenzen. Keine verschimmelten Essensreste, kein verschmutztes Geschirr in der Spüle. Sogar der Müll war entsorgt worden.

Wer war nach Friedrichs Ableben hierhergekommen und hatte sich um das Nötigste gekümmert? Ich sollte mich bei der Person bedanken, denn ich hatte mit einem großen Chaos gerechnet.

Ich bückte mich, um einen Blick unter die Spüle zu werfen, schob den rot karierten Vorhang beiseite, als mir plötzlich, wie aus dem Nichts, ein rotes Ding entgegensprang. Es blieb mir gerade genug Zeit, um meine Hände hochzureißen und sie schützend vor mein Gesicht zu legen. Ich hörte ein Fauchen, dann Krallen, die sich in dem Versuch, schnell Land zu gewinnen, in die Holzdielen bohrten.

Mein Herz raste, als ich aus den Augenwinkeln sah, wie eine große, rot getigerte Katze aus der Küche stürmte und Reißaus nahm. Fassungslos schaute ich dem Tier hinterher. Ob das ein Streuner war, der sich hier breitgemacht hatte? Mit einem Geschirrtuch bewaffnet folgte ich dem Tier.

Vielleicht war es nach oben gerannt? Die alten Dielen der Treppe hatte ich allerdings nicht knarzen gehört, also wandte ich mich im Flur nach links, um draußen nachzusehen.

Noch bevor ich die offen stehende Haustür erreichte, hörte ich das Knirschen von Kies, gefolgt vom Quietschen von Bremsen und dem Rutschen von Reifen auf den kleinen Steinen. Ein ohrenbetäubendes Hupen drang an meine Ohren und ließ meine Wut hochschnellen. Wer bretterte in diesem halsbrecherischen Tempo auf den Hof? Auf meinen Hof!

»Hey!«, schrie ich und stapfte auf das verbeulte und völlig verdreckte SUV, das seine besten Jahre hinter sich hatte, zu. Die Putzhandschuhe hatte ich noch immer an und stemmte meine Hände, samt dem Geschirrhandtuch, in die Hüften.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen stieg ein Kerl aus dem Auto. Zuallererst sah ich diesen albernen Bart, der mich an einen Waldschrat erinnerte, nur gepflegter. Wahrscheinlich wollte hier ein Touri einen auf Baumfäller machen und hatte sich in der Abfahrt geirrt.

»Das hier ist Privatgelände!«, stellte ich meinen Standpunkt dar und presste kampfbereit die Lippen aufeinander. »Geht’s noch, hier in diesem Tempo entlangzurasen?«

Die Augenbrauen des Mannes wanderten überrascht nach oben. Erst jetzt nahm ich die eisblauen Augen wahr und musste augenblicklich an den Feldsee denken, der so viele schaurige Geheimnisse bereithielt. Nur, dass der See viel dunkler war. Und schöner. Und eigentlich gar nichts mit dem wutverzerrten Ausdruck in diesem Blick zu tun hatte.

»Ganz recht, das hier ist Privatgelände! Was haben Sie hier zu suchen? Und noch wichtiger: Warum parken Sie Ihren verdammten Wagen mitten auf dem Weg?«

»Weg? Das hier ist ein Hof! Genau genommen ist das mein Hof, auf dem Sie gerade eine Formel-eins-reife Vollbremsung hingelegt haben.«

Unverschämter Typ! Meinte, weil er eine durchtrainierte Figur hatte, die er auch noch mit diesem lächerlichen weißen T-Shirt betonte, konnte er einen auf obercool machen und mich anpflaumen. Aber nicht mit mir!

»Ihr Hof?« Etwas veränderte sich in dem Ausdruck des Kerls. Es war, als hätte sich eine dicke Eisschicht über das Haus, den Hof, die Kieselsteine gelegt. Sie erreichte seinen Blick und ließ mich augenblicklich frösteln. »Wenn Sie dann so freundlich wären, Ihren Wagen von meinem Weg wegzufahren. Danke!«

»Aber …« Ich rang nach irgendetwas, was ich sagen konnte. Er konnte doch nicht so einfach hier durchfahren. Und dann auch noch so herumpoltern. »Dürfen Sie das denn?« Schon als diese Frage aus meinem Mund purzelte, bereute ich sie. Wo war die taffe, souveräne Fiona hin? Machte mich dieser Möchtegern-Waldschrat so nervös, dass ich nicht mehr zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte? Und dann hatte der Kerl auch noch die Nerven, lauthals zu lachen.

Mit jedem dröhnenden Laut, der seine Kehle verließ, schoss mir die Röte noch stärker ins Gesicht. Verzweifelt presste ich die Lippen aufeinander und reckte das Kinn. Dieser Punkt ging dann wohl an den ungehobelten Kerl, der gemächlich in sein Auto stieg, das Fenster herunterfuhr und mich mit hochgezogenen Augenbrauen anschaute.

»Also, was ist? Soll ich jetzt ’nen Abschleppwagen rufen, oder wird das heute noch was?«

Worte. Wo waren sie, wenn man sie so dringend brauchte? All die Seminare, die ich belegt hatte, um meine Kommunikationskompetenz auszubauen, schienen in diesem Moment umsonst. In den letzten Jahren war ich selten sprachlos gewesen. Hatte mich nie so nervös und überrumpelt gefühlt. Ich war jederzeit Frau der Lage. Doch jetzt, jetzt fühlte ich mich plötzlich wieder wie das kleine Mädchen, das ich einmal gewesen war.

Noch immer stand ich wie angewurzelt da, unfähig, einen Gedanken zu fassen. Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, wie ich auf diese Unverschämtheiten reagieren sollte.

Schließlich drehte ich mich um, stapfte zur Haustür und schlug sie lautstark hinter mir zu. Mein Herz raste, als ich mich von innen an das alte Holz lehnte, das tiefe Rillen hatte und dennoch eine Geborgenheit ausstrahlte, die ich in diesem Moment verdammt gut gebrauchen konnte. Sollte der Kerl doch schauen, wie er sein Auto von meinem Hof bekam. Und tatsächlich hörte ich in dem Moment seinen Motor aufheulen, gefolgt von dem Knirschen seiner Reifen auf dem Kies. Meinem Kies!

Kapitel 4

Jakob

Als der Motor erstarb, ließ ich die Hände noch einen Moment auf dem Lenkrad und legte meinen Kopf darauf ab. Verdammt! Ich hatte darauf gehofft, dass Friedrichs Hof an eine Erbengemeinschaft gehen würde, die das alte Gemäuer schnellstmöglich loswerden wollte. Ich hätte sie vielleicht überzeugen können, das Haus an mich zu verpachten. Eine schnelle, praktikable Lösung, mit der alle zufrieden hätten sein können. Und nun rastete ich schon bei der ersten Begegnung mit einem der Erben aus. Dabei hätte ich mit etwas Bedacht herausbekommen können, was diese Frau vorhatte. Ob sie bereits Pläne hatte? Ob sie verkaufen wollte? Selbst einziehen? Oder ob eine Pacht infrage kam?

Jedenfalls hätte ich besonnener sein sollen. Nein, ich hätte besonnener sein müssen! Aber ich war viel zu überrumpelt gewesen, tief versunken in den Plänen, die ich für den morgigen Tag geschmiedet hatte. Wie konnte man sein Auto auch nur so bescheuert parken? Typisch Großstadttussi. Dachte wohl, ihr gehörte die Welt. Sie musste doch wissen, dass der Weg zu meinem Grundstück über Friedrichs Hof führte. Wegerecht. War sogar im Grundbuch eingetragen. Zum Glück! Und wenn sie tatsächlich die Erbin von Friedrichs Hof war, musste sie ja einen Blick in die Dokumente geworfen haben.

Ich hob meinen Kopf, atmete tief durch und schnallte mich schließlich ab. Vor der Tür stand schon Brösel, Friedrichs rot getigerter Monsterkater, für den ich inzwischen zum Dosenöffner mutiert war. Warum Friedrich dem Tier diesen seltsamen Namen gegeben hatte, ließ sich nur vermuten. Vielleicht hing es mit der Vorliebe des Katers zusammen, sämtliche Essensreste vom Boden in Rekordgeschwindigkeit zu inhalieren.

»Hey, Brösel, altes Haus«, begrüßte ich ihn, als ich ausstieg, und drängte die Wut über die zurückliegende Begegnung in die hinterste Ecke meines Bewusstseins. Ich war nicht zurück ins Nirgendwo gezogen, um wieder in alte Muster zu verfallen. »Wartest du schon lange?«

Anfangs war es seltsam gewesen, mich mit einem Tier zu unterhalten wie mit einem Menschen. Aber in den vergangenen Wochen war der Kater zu einem guten Freund geworden. Er schien mich zu verstehen, und auch wenn ich es nicht gerne zugab, ich mochte seine Gesellschaft. Er war ebenso verschroben wie ich, aber mit seinen Eigenheiten konnte ich umgehen. Er war ehrlich und zeigte seine Abneigung – aber dafür auch seine Zuneigung – deutlich.

Ich holte die Einkäufe aus dem Kofferraum und bahnte mir einen Weg zu meiner kleinen Hütte. Nach Jahren in der Großstadt hatte ich mich bewusst für etwas Kleines entschieden. Da war mir die Jagdhütte etwas außerhalb meines Heimatdorfes gerade recht gekommen. Mir genügten das Grundstück und die Natur um mich herum. Und ich hatte mein eigenes kleines Studio im Keller, in dem ich die Aufnahmen für meinen Brotjob erledigen konnte.

Nachdem ich die Lebensmittel für die kommende Woche weggeräumt hatte, setzte ich mich auf die Treppenstufe zum Eingang und füllte Brösels Schälchen mit einer Portion Nassfutter. Der Gestank von Thunfisch drang mir in die Nase und ließ mich zurückzucken.

»Alter! Wie kannst du das fressen?« Ich kraulte meinem getigerten Freund kurz den Nacken und zückte schließlich mein Handy, während sich Brösel über sein Fressen hermachte. Flo hatte vorhin angerufen, als ich im Auto gesessen hatte. Ich wählte die Nummer meiner Voice-Mail und stellte den Lautsprecher an, um seine Nachricht abzuhören. Es war vielleicht eine Unart, das Handy nicht ans Ohr zu halten. Aber hier störte es niemanden, wenn ich die Nachrichten laut abspielte, und das genoss ich sehr.

»Hey, Mann! Alles klar bei dir? Wollte eigentlich nur fragen, ob du heute Abend mit zu Theo kommst. Leo ist auch am Start und wir könnten eine Runde Darts spielen. Meld dich, ja?!«

Ich seufzte, kraulte gedankenverloren Brösel, der sich mit einem monotonen Schnurren für die Streicheleinheiten bedankte. Dann klickte ich Flos Nummer an. Es dauerte etwas, bis die Verbindung stand. Hier im Schwarzwald war der Empfang schlecht und rutschte immer wieder in das französische Netz. Aber da ich ohnehin kaum telefonierte, störte mich das nicht weiter. Hauptsache, die Anbindung ans Internet via Funk klappte.

»Jakob! Und? Bist du dabei? Ich zähl auf dich, Mann!«

Flo. Keine Zeit für Small Talk. Ich schmunzelte und hörte Motorgeräusche im Hintergrund. Sicher hatte er mich gerade auf die Freisprecheinrichtung seines Volvos geschaltet. Flo war immer unterwegs, traf sich mit Landwirten auf der Suche nach kulinarischen Perlen, die er an Feinkostläden in ganz Europa vertrieb.

»Sorry! Ich muss morgen früh raus.«

»Och, lass mich nicht hängen. Wir haben uns ewig nicht gesehen!«

»Ich kann nicht! Morgen früh wird das Wetter ideal. Ich will auf den Feldberg, und die Vorhersagen sind perfekt, um diese ganz bestimmte Lichtstimmung einzufangen«, versuchte ich mich zu erklären, dabei verstand Flo nur die Hälfte dessen, was ich schwafelte. Von Licht und Brennweiten und Atmosphäre hatte er nicht allzu viel Ahnung. Immerhin erkannte er ein gutes Bild, wenn ich es ihm unter die Nase hielt. Und genau so eines wollte ich morgen in der Morgendämmerung aufnehmen. Mit diesem saftigen Grün, das es nur im Juni in der Gegend gab, dann, wenn der letzte Schnee geschmolzen und die Natur erwacht war. In Kombination mit dem hellblauen Frühsommerhimmel und dem warmen, satten Gelb der aufgehenden Sonne entstand eine Komposition, die an Intensität kaum zu übertreffen war. Mit etwas Glück stieg morgen früh ein bisschen Nebel auf und verlieh meinem Motiv ein geheimnisvolles Etwas.

Der Frühsommer war mit dem Herbst meine liebste Jahreszeit. Ich mochte es, mit meiner Kamera das Erwachen festzuhalten, das Aufatmen der Natur nach einem langen, kalten Winter. Hier oben in den Höhenlagen des Schwarzwalds war der Frühling kurz. Gerade noch war Winter gewesen, und auch wenn die Skiliftbetreiber schon im März die Skisaison beendeten, um die Weiden zu bewirtschaften, konnte man in manchen Tälern noch weit bis in den Mai hinein das kalte Weiß sehen. Und im nächsten Moment waren die Wiesen übersät mit Bergblumen, die bunte Tupfen auf das satte Grün zauberten.

»Spielverderber«, schimpfte mich Flo. »Du könntest auch einfach übermorgen auf Motivjagd gehen.«

»Und du könntest dich auch einfach auf morgen Abend mit uns bei Theo verabreden«, konterte ich. Auch wenn ich keine allzu große Lust verspürte, nach einem intensiven Fototag abends wegzugehen. Dann brannte ich nämlich darauf, die Ergebnisse zu sichten, und ich hatte nicht nur einmal bis spät in die Nacht an der Bearbeitung einzelner Bilder gesessen.

»Ich hab morgen Abend ein Geschäftsessen. In Bernau backt eine Bäuerin Brot nach altem Rezept, und ich bin bei einer Verkostung mit Käse aus dem Nachbarort.«

»Spannend«, brummte ich. Dabei war Flos Job wirklich interessant. Keine Ahnung, wie er es anstellte, aber er fand immer neue Hersteller außergewöhnlicher Produkte. Mal fertigte jemand etwas nach einem alten Rezept, mal präsentierte jemand eine neue Kreation. Die Gourmets schwörten auf Florians Riecher, was Delikatessen anging, und beim Gedanken an ein richtig gutes Stück Brot und frischen Käse direkt vom Erzeuger lief mir das Wasser im Mund zusammen.

Schon formten sich Bilder vor meinem inneren Auge, die bestens geeignet wären für Flos Homepage. Das wiederum erinnerte mich daran, dass heute noch eine Menge Arbeit auf mich wartete. Erst gestern war der Lieferdienst da gewesen und hatte einen riesigen Karton Produkte vorbeigebracht, die ich ins beste Licht rücken sollte. Ich seufzte.

»Wenn du heute Abend mitkommst, denke ich ganz fest an dich, und wer weiß, vielleicht fällt ja was von dem Essen ab, das ich dir dann vorbeibringen könnte …« Ich konnte Flos siegessicheres Grinsen förmlich vor mir sehen. Also stöhnte ich und gab mich geschlagen. Im Nein-Sagen war ich noch nie gut gewesen. Definitiv ein Punkt auf meiner Liste, den es zu verbessern galt.

»Ein Laib Brot und mindestens zwei Stück Käse«, feilschte ich, um mich nicht ganz so blöd zu fühlen. »Und dazu einen passenden Wein.«

Flo lachte und lenkte ein. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich mich sputen sollte. Schnell verabschiedete ich mich von meinem besten Freund, schenkte Brösel noch ein paar Streicheleinheiten und erhob mich schließlich seufzend. Ich genoss ein paar letzte Sonnenstrahlen, bevor ich mich beladen mit einem Bier auf den Weg in den Keller machte. Wie sehr mich diese Arbeit anödete. Die immergleiche Einstellung mit dem immergleichen Licht. Keine Schatten, keine Abweichungen. Der Fokus lag immer und zu jeder Zeit auf dem Produkt. Aber auch wenn mich diese Produktfotoshootings langweilten, brachten sie mir genügend Geld, damit ich den Großteil meiner Zeit in das investieren konnte, was mir wirklich etwas bedeutete: die raue Schönheit meiner Heimat in Bildern einzufangen, die berührten. Die wachrüttelten und das Bedürfnis weckten, diesen besonderen Flecken Erde mit eigenen Augen zu sehen.

Ich wusste, Landschaftsfotografie war vielen Fotografen ein Dorn im Auge. Sie hielten sie für zu wenig dynamisch, nicht für spektakulär genug. Dabei war das genaue Gegenteil der Fall. Nichts war anspruchsvoller, als die Besonderheiten einer Gegend herauszukitzeln, die dem normalen Betrachter womöglich verborgen blieben. So, wie ich es mit dem Hochschwarzwald tat, einer Gegend, die mir das Herz gestohlen hatte.

Kapitel 5

Fiona

Ungläubig stand ich vor der verschlossenen Tür des einzigen Lebensmittelladens in Bärental, dem Dorf, das Friedrichs Hof am nächsten war. Draußen war es noch hell, und die Türen waren … verschlossen. Ich rüttelte noch einmal an der Glastür, aber die Lichter waren aus, die Ständer mit bunten Postkarten von innen in den Eingang gestellt.

Mein Blick auf die Uhr verriet, dass es gerade einmal kurz nach sechs war. Hier schienen die Uhren definitiv anders zu ticken. Aus Wiesbaden war ich es gewohnt, auch noch nach meiner Arbeit abends das Nötigste einzukaufen. Zumindest bis halb sieben könnten die Läden schon geöffnet haben, fand ich. Ich hatte schon auf dem Hinweg einkaufen gehen wollen, war aber zu neugierig auf den Hof gewesen.

Und nun? Mein Magen knurrte von dem vielen Putzen und Herumräumen der tausendundeinen Kleinigkeiten, die mein Onkel angesammelt hatte. Ich wusste nicht, wie viele Mülltüten ich heute gepackt hatte. Jedenfalls waren meine wenigen Vorräte, die ich aus Wiesbaden mitgenommen hatte, längst aufgebraucht, und jetzt hatte ich verdammt noch mal Hunger.

Ich zückte mein Smartphone, um über die Karten-App herauszufinden, ob es in annehmbarer Entfernung einen Laden gab, der noch geöffnet hatte. Doch mein verdammtes Handy verweigerte wieder einmal den Empfang. Was tun? Entweder ich bat mein Navi um Hilfe und fuhr auf Verdacht zum nächsten Lebensmittelladen. Oder … ich verhungerte.

Kurzerhand stieg ich in meinen Wagen, ließ mir von Karin den Weg zum nächsten Geschäft anzeigen und fuhr los. Die Luft, die durch die heruntergelassenen Scheiben drang, war schon deutlich kühler als heute Mittag. Sicher lag das an den vielen Bäumen, die die Straße säumten. Ich atmete tief ein und füllte meine Lungen mit dem erdigen Geruch, der meinen Ärger und die Anspannung verpuffen ließ. Ich drehte die Stereoanlage auf und trällerte einen Song mit, der aus dem Radio blubberte. Mit jedem Ton, der über meine Lippen kam, kehrte auch die gute Laune zurück.

Alles ist für etwas gut, sagte ich mir. So sah ich wenigstens etwas von der Gegend. Und die war wunderschön. Ich würde mir später einfach ein richtig gutes Essen kochen und ein Gläschen Wein gönnen. Vom Hof hatte man einen tollen Blick in Richtung Tal. Ich brannte jetzt schon darauf, mich in dem Anblick zu verlieren und die Ruhe aufzusaugen, die die Gegend verströmte. Nach diesem arbeitsreichen Tag hatte ich mir das mehr als verdient.

Bei einem Discounter, der an einer Ausfahrt der Bundesstraße lag, hatte ich Glück. Vorsorglich lud ich mir den Einkaufswagen voll. Keine Ahnung, wie lange ich bleiben würde, ein paar Tage vielleicht. Aber ich wollte meine Zeit in dieser Gegend nicht damit verplempern, wegen jeder Kleinigkeit ins Auto steigen zu müssen, um etwas einzukaufen.

Zu Hause angekommen, räumte ich die Einkäufe in die Küchenschränke, die ich erst heute Mittag ausgeräumt und gesäubert hatte, ließ Wasser in einen großen Topf laufen und stellte ihn auf den Herd. Vor Jahren hatte ich das letzte Mal einen Gasherd bedient. Das musste auf einem alten Landgut auf Mallorca gewesen sein, wo ich einen wunderschön romantischen Urlaub mit Hannes verbracht hatte. Ich schluckte, als die Erinnerungen meine gute Laune ersticken wollten. Wie gut, dass man rückblickend dazu neigte, die negativen Dinge zu verdrängen.

Zurück in den Schwarzwald: Wie ging nur dieser Gasherd an? Ich erspähte ein Feuerzeug auf der Ablage über dem Herd und schnappte es mir. Als ich den Gasregler für die Stelle gefunden hatte, auf die ich meinen Nudeltopf stellen wollte, drehte ich ihn und versuchte, mit dem Feuerzeug die Flamme zu entzünden, doch Fehlanzeige. Das Einzige, was flackerte, war das dünne Flämmchen des Feuerzeugs.

Ich probierte sämtliche Platten durch, jedoch ohne Erfolg. Hatte der Versorger vielleicht das Gas abgedreht?

Verzweifelt schaute ich auf die Packung Nudeln, die ich mit einer leckeren Tomaten-Ricotta-Soße auf dem kiesbedeckten Hof hatte genießen wollen. Sogar den Wein hatte ich passend dazu ausgesucht. Ein Spätburgunder vom nahe gelegenen Kaiserstuhl.

Ich könnte Google fragen, wie ich es so oft tat. Aber ich traute mich kaum, mein Handy zu zücken, weil die Frustration über den miesen Empfang vorprogrammiert war. Morgen musste ich dringend irgendwohin, wo ich mich ins Netz meiner Firma einwählen und zumindest Bescheid geben konnte, dass es sich schwierig gestaltete, remote zu arbeiten.

Das löste allerdings das Essensproblem nicht.

Bevor ich mich nun über die Nusssammlung und das Frühstück hermachte, beschloss ich, noch einmal zurück ins Dorf zu fahren und mir im hiesigen Gasthof ein Abendessen zu gönnen. Schließlich hatte ich nicht nur die fast vierstündige Fahrt von Wiesbaden hierher in den Knochen, ich hatte auch schon einiges an Ordnung geschaffen und mir einen Plan für die nächsten Tage zurechtgelegt. Da hatte ich mir eine ordentliche Mahlzeit doch wirklich verdient.

Also schnappte ich mir die Schlüssel, eine dünne Jacke und meine Handtasche. Kurz hielt ich inne und griff blind nach einem Buch aus dem überquellenden Bücherregal. Märchen und Sagen aus dem Schwarzwald. Warum nicht? Immerhin lernte ich so etwas über die Gegend.

***

Das Gasthaus zum Goldenen Löwen war gut besucht, und ich fragte mich unwillkürlich, was die Menschen auch sonst unter der Woche um diese Uhrzeit machen sollten. Freizeitaktivitäten schienen hier auf dem Land rar zu sein. Ein Fitnessstudio hätte ich wohl vergebens gesucht, ebenso wie ein Kino, Thermalbad oder Shoppingcenter. Ich seufzte. In diesem Moment vermisste ich Maxi sehr und überlegte, ob ich sie nicht bitten sollte, kurzerhand vorbeizuschauen. Wenn ich lieb fragte, stand sie sicher morgen mit gepackten Taschen vor der Tür. Wir hätten gemeinsam Friedrichs Hof entrümpeln und verkaufsfertig machen können. Ein Lächeln erschien auf meinen Lippen. Ja, das wäre schön. Aber auch feige, denn ich konnte das alles auch ohne sie schaffen. Natürlich wollte ich Maxi bei mir haben. Aber etwas tief in mir sagte mir, dass ich das erst einmal alleine durchstehen musste. Dass es mir guttun würde, alleine zu sein, mit mir und meinen Gedanken. In Wiesbaden war ich immer unter Strom, ließ keine Party aus und war ständig am Arbeiten. Leerlauf gab es bei mir nicht. Ruhe fand ich selten. Zwar konnte ich auch mit Maxi entspannen. Aber es schien mir besser und vernünftiger, mich in dieser Phase meines Lebens auf mich selbst zu konzentrieren.

Ich steuerte entschlossen die Theke an, die wie aus einem Siebziger-Jahre-Film aussah: massives dunkles Holz, in dem unzählige Kerben viele Geschichten erzählten. Davor standen einige Barhocker. Auf einem richtigen Stuhl zu sitzen, wäre nach dem anstrengenden Tag sicher gemütlicher. Aber ich mochte es nicht, allein an einem großen Tisch zu sitzen und ihn vielleicht sogar mit irgendwelchen Fremden teilen zu müssen. Ich war nicht sonderlich schüchtern. In der Arbeit war ich eine wahre Meisterin des Small Talks. Aber heute war ich müde. Ich wollte einfach nur etwas essen, vielleicht etwas lesen und dann in das Bett im Dachgeschosszimmer fallen, das ich bereits bezogen hatte.