Die Kraftprobe - Karl-Heinz Schleinitz - E-Book

Die Kraftprobe E-Book

Karl-Heinz Schleinitz

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Beschreibung

Voll Spannung verfolgt der Leser die konfliktreiche Handlung, das Ringen der Menschen um die Überwindung alter, überlebter Gewohnheiten und Anschauungen, die Hinwendung vom Ich zum Wir. Dabei hat es dem Autor gefallen, „mit Lachen die Wahrheit zu sagen“. Mit kräftigen Strichen hat er die Personen seines Romans gezeichnet. Es sind typische Menschen der jungen DDR mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Man spürt deutlich, dass sie dem Autor begegnet sind. Er war selbst Kumpel und leidenschaftlicher Segelflieger. So war es ihm möglich, das Leben echt einzufangen und in treffender Situationsszenerie spannend zu gestalten. Segelflugzeuge über Wulkau. Das ist für die Arbeiter und Bauern in und um das Lausitzer Städtchen, an das sich die Grube „Morgenrot“ anlehnt, ein vertrautes Bild. Rudi Bork, der Jungingenieur und Leiter der GST-Gruppe Segelflugsport, hat wochenlang auf gutes Wetter für den Fünf-Stunden-Flug, die letzte Bedingung für seine Silber-C, gewartet. Dieser Flug wird ihm die begehrte Auszeichnung bringen. Ganz andere Gedanken haben die Mitglieder der sozialistischen Jugendbrigade des Meisters Drogge. Sie verwünschen Rudi, weil sie mit seiner Reparatur nicht weiterkommen, für die er noch eine Zeichnung zu liefern hat. So zögert sich die Reparatur des Baggers und sein Wiederanlaufen hinaus. Lohnausfall, Planrückstand! Alle schimpfen auf Rudi. Aber warum? Er hat sich ordnungsgemäß Urlaub geben lassen. Er konnte nicht wissen, dass die Brigade ihren Reparaturplan vorfristig erfüllt. Er hat auf die Zeichnung bereits Überstunden verwandt, war aber doch nicht fertig geworden. Rudi war in seiner Arbeit stets zuverlässig und wurde bisher von allen anerkannt. Dennoch wenden sich die Kollegen jetzt gegen ihn. Die Diskussionen weiten sich immer mehr aus. Besonders unter den Jugendlichen kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen. Es droht eine Kluft zwischen den Arbeitern und der Intelligenz aufzubrechen. Gegnerische Kräfte regen sich. Längst ist es nicht mehr der Fall Bork geblieben. Die Kraftprobe beginnt.

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Impressum

Karl-Heinz Schleinitz

Die Kraftprobe

Roman

ISBN 978-3-96521-483-5 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1959 im Verlag Sport und Technik, Neuenhagen bei Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

2021 EDITION digitalPekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Erster Teil: ZWISCHENFALL

I

Es regnete wie schon seit Wochen. Rinnsale waren zu Bächen geschwollen. Das Korn stand schwarz auf dem Halm. Selbst in der Lausitzer Heide blinkten Tümpel fauligen Wassers. Die Dämmerung machte aus ihnen lichtlose Augen.

Zwei Menschen standen unterm Blätterschirm einer Linde.

„Du hörst mir ja gar nicht zu!“, sagte das Mädchen.

Der junge Mann fühlte sich ertappt.

„Aber Jutta, wie könnte ich nicht zuhören!“, beteuerte er.

„Mir machst du nichts vor!“ Das Mädchen warf den Kopf zurück, dass die kurz geschnittenen Haare wippten und schloss die braunen Augen zu einem Spalt. „Und geschwindelt wird nicht in der Schule.“

„Wir sind nicht in der Schule, Fräulein Lehrerin!“

„Noch viel schlimmer!“ Jutta tippte mit dem Finger auf seine Nase, die etwas zu spitz geraten war. „Und ich werde dir sagen, woran du gedacht hast!“ Ihr Mund lächelte in einer Mischung von Strenge und Milde. „Hieran hast du gedacht!“ Der Zeigefinger beschrieb in der Luft Kreise.

„Kannst du Gedanken lesen?“

„Hmhm“, summte sie, in den Tönen gestuft. „Für den Hausgebrauch. Aber bei dir ist’s sowieso kein Kunststück, dir steht alles auf der Stirn geschrieben.“

„Morgen fliegen die Schwalben hoch“, sprudelte es aus seinem Mund. „Ab morgen ist schönes Wetter!“

„Deine Voraussagen taugen nichts.“ Sie deutete nach oben. „Hattest du nicht Sonne prophezeit?“

„Das ist nur ein Schauer!“

„Ein Dauerschauer!“

„Komm mit zu mir, ich zeige dir die Wetterkarte!“

„Ich möchte nicht ins Gerede kommen!“

„Du traust mir nicht.“

Schalk saß in den Augenwinkeln Juttas. „Mutter sagte immer: Glaubt ein Mädchen den Männern zu früh, ist’s bald verloren.“

Der junge Mann sah Jutta prüfend an. Sie ist schön … schön wie … wie eine Blume. Leider eine mit Stacheln …

Fester pressten seine Arme das Mädchen. Verlangen stieg in ihm auf. Er achtete nicht auf die schweren Wassertropfen, die durch ein Loch im Blätterschirm auf den gebeugten Rücken klatschten, bis er zusammenzuckte, da es nass über die Nackenhaut lief.

Rasch entschlüpfte Jutta der Umklammerung. „Und wie war das mit den Schwalben?“

Der junge Mann ließ die Arme sinken. Sie lächelte gewinnend. Er holte tief Luft, ärgerlich über sich selbst, über sein Zaudern, ärgerlich über dieses verflixt verführerische Mädchen, das in der Lage ist, einen vom Siedetopf in den Eiskübel zu stecken und hinterher noch unschuldig zu tun wie ein Gänseblümchen.

Er dozierte: „Also die Luftfeuchtigkeit wird geringer, weil ein Hoch kommt; also können die Insekten höher fliegen, weil sie vom Nass nicht mehr belastet werden; also segeln die Schwalben hinterher, weil sie die Insekten fressen müssen. Kapiert?“

„Und du fliegst noch höher!“ Sie sah zu ihm auf. Sein Blondschopf wogte wie ein Weizenfeld.

Er war sich nicht schlüssig. Zieht sie mich wieder auf – oder kommt das Glänzen zwischen den Lidern wirklich vom teilnehmenden Stolz? Augen sind das – warm wie Samt … und Lippen wie eine dunkelrote Mohnblüte …

„Ich fliege bestimmt höher!“ Er stockte, betrachtete sie. Ihr Blick hing an seinem Mund. Zaghaft sprach er weiter: „Klar wird der Himmel sein. Gegen elf ist er übertupft. Die Tupfen gehen in die Höhe und Breite, Wolkentürme, sechstausend Meter hoch, schießen draus empor.“ Dann brach sein Temperament durch, er sprach schneller, die Arme ruderten, als könnten sie den Körper der Erde entreißen. „Und ich hänge am Himmel und steige und gleite, und es wird eine Stunde vergehen, die zweite, die dritte, fünf Stunden verfliegen und vielleicht noch mehr, und unten werden sie in den Sand malen ,Wir gratulieren, Rudi!' und sie werden sich mit mir freuen über die Silber-C, denn sie zählt doch im Wettbewerb für unsere Gruppe – ein Jahr warte ich auf diesen Tag!“ Unversehens hatte er sie umschlungen. Jutta ließ es geschehen. Sanft streichelte seine Hand über ihr Haar.

Der Regen ließ nach. Fern, zwischen den Linden der Landstraße, blinzelten die Lichter Wulkaus.

„Jutta!“

„Hm?“

„Ich nehme dich mal mit! Wir sagen immer, fliegen ist das zweitschönste Gefühl!“

„Und das erstschönste?“, lockte die Stimme.

Doch gleich darauf nüchtern, und das war eine Dusche: „Du wolltest zu deinem Kollegen gehen. Es regnet nicht mehr!“ Sie lief davon.

„Warte doch!“ Er eilte hinterher. Sie gingen schweigend. Am Dorfeingang fragte sie leise: „Kommst du morgen zum Bahnhof?“

„Ich komme.“

Sie trennten sich. Er sah ihr nach, verwirrt, verträumt. Dann war das Helle verschwunden.

Rudi zögerte. Warum nur habe ich mich bei Ritter angemeldet! Was brauche ich seine Neophanbrille, dieses Museumsstück seiner Jagdfliegerzeit! Er ist so anders geworden. Früher haben wir zusammen gesessen, auf dem Flugplatz und in seiner Wohnung. Wir haben gearbeitet an den Kisten, wir haben Fliegergarn gesponnen – und wir sind geflogen. Was hat ihn nur so verändert?

Rudi wischte mit der Hand über Stirn und Schopf, wie man lästige Fliegen verscheucht. Dann verdrängte die Erscheinung Juttas die unangenehmen Gedanken. Rudi meinte den Duft ihres Haares zu spüren, den Klang der Stimme, die Wärme der Umarmung, und wünschte die letzte Stunde zurück.

Plötzlich wandte er sich um und schritt aus. Bist fünfundzwanzig und durcheinander wie ein Achtzehnjähriger! Verschenke dein Herz, sagt Vater, aber behalte den Verstand … Rudi machte sich auf den Weg zum Viertel der Villen und Landhäuser, die sich, protzig und anmaßend, auf der schmalen Zunge zwischen Alt-Wulkau und dem Wald ausbreiteten. Einst wohnten hier die Gewaltigen der umliegenden Gruben. Seitdem heißt das Viertel „Herrenwinkel“. So ein Name bleibt haften wie die Klette im Fell des streunenden Hundes.

Bläuliches Licht huschte über die Dächer der Villen. Rudi hielt inne. Sein Blick tastete den Himmel ab, der vollgepackt war mit grauschwarzen Ballen ohne Anfang und Ende und ohne Konturen. Sie wälzten sich träge. Er lauschte. Der Himmel blieb stumm. Also war es nur ein Gruß vom Tagebau. Rudi ging auf die nächste Villa zu.

Aus ihren Fenstern quoll gelbes Licht in Fülle. Rudi blieb stehen. Ihn schmerzte die Helle körperlich. Aber wer zwingt mich denn, sagte er sich, in dieses Grelle zu treten, das einen nackt macht und die Träume der letzten Stunde zerreißt …

Und während er, noch unentschlossen, in der Geborgenheit des Dunkels verharrte, zogen vor seinem Auge die letzten Jahre vorüber.

1952! Es kann wieder geflogen werden!

Der Parteisekretär hat die Sache unter sich. Die Kumpel bestürmen ihn. He, trag’ mich ein!

Im Nu stehen die Namen von fünf Dutzend Enthusiasten auf seiner Liste. Die Enthusiasten sind alte Segelflieger, die jahrelang sehnsüchtig ohne Erlösung dem Kreisen des Bussards nachgeblickt haben. Es melden sich ehemalige Militärflieger, die im Kriege mit der linken Hand Tausende PS dirigierten.

Viele Junge kommen; die Abenteuerlust, die Lust am Probieren juckt sie.

Und Karl Friedrich Ritter nimmt sich der Tatendurstigen an. Er hat mit seiner Vergangenheit gebrochen. Er leitet den Abraumbetrieb und ist angesehen. Nichts trennt uns …

Ein Flugplatz ist herzurichten. Gelände? Zugegriffen! Ödland mit schluchttiefen Erdrippen, schlechtheilenden, faltigen Wunden gibt es um Wulkau genug. Einst lag Kohle darunter. Bagger hatten sie ausgeklaubt und die Wunden lieblos mit Abraum verschüttet.

Brigaden stürmen mit Schippen die Einöde. Planierraupen zuckeln hinaus und zerfetzen die Erdrippen. Schließlich ziehen Pflüge und Drillmaschinen der MTS über das eingeebnete Feld.

Der Flugplatz ist fertig – aber von den fünf Dutzend verschworener Enthusiasten sind ganze zwei Hände voll übriggeblieben. Sie hoffen noch immer. Und als endlich nach Jahren schweißtreibender Arbeit der Wulkauer Himmel erobert werden kann, stehen zur Sache nur noch fünf …

Zwei Jahre später erlöscht auch Ritters Begeisterung.

Und zu ihm soll ich jetzt gehen? fragte sich Rudi. Vielleicht denkt er, wir kommen ohne ihn nicht aus, und mein Besuch wäre ein erstes Vorfühlen!

Nein, ich fliege ohne seine Brille!

Rudi ging weiter. Er war froh über seinen Entschluss. Minuten später stand er vor dem Häuschen, in dem er bei seinen Eltern wohnte. Es war ein sittsames Geschwisterchen im Kreise der großen Familie, die sich Werksiedlung nannte. Die Fenster waren dunkel. Vater und Mutter schliefen. Wer mit der Sonne aufsteht, hält es beim Schlafengehen mit den Hühnern.

Rudi schlich in die Küche, aß einige Bissen vom Abendbrot, das die Mutter bereitgestellt hatte, und stieg über die knarrende Stiege in seine Kammer.

Er sah aus dem Fenster. Der Wind trug dumpfes Rumoren heran: die Bagger! Rosenduft, schwer und süß, berauschend, füllte die Nacht. Rudi beugte sich hinaus. Unterm matten Mondschein schimmerten die weißen Blüten des Rosenstrauches. Er blickte nach oben. Na also, du riskierst ja schon ein Auge, Monds Kalle!

Rudi atmete freier, da er vom Mond bestätigt fand, dass seine Berechnungen stimmten. Seine Fantasie beflügelte sich, er sah die trächtigen Aufwinde gegenständlich vor sich, kreiste in Gedanken über dem alten Tagebau, wagte den Sprung übers feuchte Luch bis zum Neuaufschluss, wo brodelnde Luftmassen nach oben schossen, um die Maschine unwiderstehlich mit sich zu reißen.

Der Flug muss gelingen!

Er pfiff ein Lied, keck, übermütig. Und während er sich zur Nacht entkleidete, glitten sehnsüchtige Gedanken über die Brücke des Mondes zur Liebsten.

*

Dann kam ein Morgen mit blanken Augen. Die niedergewalzten Gräser richteten sich auf. Über den Lichtungen standen die Lerchen. Die Menschen atmeten leichter.

Schon am Vormittag siedete das Land unter der Sonne. Am Werktor des Braunkohlenwerkes „Morgenrot“ wartete ein junger Mann. Anfangs bastelte er an der Lichtmaschine des Motorrades, das ein gelbes Nummernschild trug. Dann zwickte ihn die Ungeduld. Er lief zum Pförtner hinüber.

„Heinrich, ist Rudi Bork etwa schon durch?“

Ehe der Werkschutzmann, ein Invalide, antworten konnte, rief er schon übern Werkhof: „Mensch, beeil dich, oder soll ich deinetwegen zur Backpflaume werden!“

Rudi Bork beschleunigte den Schritt. Sein Körper wiegte im elastischen, leichten Gang. Die Sonne spielte im Schopf.

„Ich denke, du hast es so eilig!“, räsonierte der Motorradfahrer, „nächstens hebe ich einen, wenn ich in solcher Affenhitze warten muss. Aber auf deine Kosten!“

Rudi Bork, etwas außer Atem, gab dem Freund die Hand. „Entschuldige, aber ich konnte nicht einfach weglaufen.“ Der Motorradfahrer grinste. Die dünnen Enden seines Bärtchens zuckten dabei und zogen sich nach oben. Das sah aus, als wollte es sich gleich Vogelschwingen davonheben.

„Hat’s Küsschen durchs Telefon so lange gedauert?“, stichelte er anzüglich.

„Bist wohl neidisch?“

Der Motorradfahrer, untersetzt und breit in der Figur, ging nicht darauf ein. Er strich wie zur Kontrolle mit der Hand übers glatt nach hinten gekämmte Haar. Dann betätigte er den Starter. Der Motor donnerte auf. Mit einem Sprung fegte die schwere Seitenwagenmaschine los.

Rudi brüllte gegen Lärm und Fahrtwind an: „Weißt doch, Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps! Kriener wollte noch etwas von mir wissen. Darum hat’s länger gedauert.“

„Der verkalkte Neandertaler!“, rief der Motorradfahrer über die Schulter.

„Sage nichts gegen meinen Chef. Ein anderer hätte mich nicht weggelassen.“

„Ist ja auch ein Ding, einfach während der Arbeitszeit abzuhauen.“ Das Bärtchen zuckte.

„Solch Wetter gibt’s nie wieder!“

„Wetter hin, Wetter her. Ihr verflixten Luftiküsse wollt in allem eine Ausnahme. Wir Motorradfahrer“ – zur Bekräftigung bekam der Motor eine Spritze – „machen nicht solche Wettersperenzchen.“

Rudi Bork sagte sich, lass ihn reden, die sollen erst einmal das leisten, was wir Flieger schaffen!

Minuten später preschte das Gespann über den Feldweg, der von Wulkau über die Heide nach Rettwitz führt. Gewöhnlich benutzten ihn nur Traktoren, Ochsen und ähnliche landwirtschaftliche Mobilien. Ein richtiger Wald- und Wiesenweg mit eingebauten Überraschungen! Kam ein Hindernis, funkelten die dunklen Augen des Burschen am Lenker. Schmal wurden seine Lippen. Die Mundwinkel zogen sich nach unten und nahmen das Bärtchen mit. Fester griffen die Hände.

Achtung – die Delle! Gas weg – Vollgas!

Lächeln unterm Bärtchen. Na, wie haben wir das gemacht! „Rase doch nicht so, Hanne!“, brüllte Rudi gegen den Fahrtwind.

„Alles dir zuliebe!“, erwiderte der Vordermann und stürzte die Maschine in eine Sandwüstenei.

„Du fährst ja die Karre zum Deubel!“

Hanne antwortete nicht. Ihm machte die sandige Stelle zu schaffen. Rudi presste die Lippen aufeinander, stemmte die Füße gegen die Fußleisten, seine Hände saugten sich fest am Soziusgriff. So ein Verrückter, dachte er. Dann führte er den Angriff weiter: „Deine eigene Maschine würdest du schonen!“ Nun trumpfte Hanne auf: „Das ist meine Maschine so gut wie sie deine ist. Aber ich fahre schließlich nicht spazieren als Sonntagsfahrer – oder wolltest du nur einen Ausflug machen, he?“

Er nahm etwas Gas weg und peilte die schmale Furt in einem Tümpel an. Das Wasser spritzte auf wie unter einem mächtigen Peitschenschlag. Rudi schloss die Augen und hielt die Luft an, als fürchte er, die Dreckspritzer einatmen zu müssen.

Sieghaftes Lächeln in Hannes Augen. Über die Schulter: „Meine Losung: Jede Fahrt eine Übungsfahrt! Höchster Einsatz! Immer bereit sein!“

„Du übertreibst! Du solltest zur Verantwortung gezogen werden!“

„Du machst ja um Luftlöcher auch keinen Bogen.“

„Quatsch! ’s gibt keine Luftlöcher!“

Hanne grinste. Die Mundwinkel zuckten, und das Bärtchen wollte sich wieder davonheben. Er rechnete damit, dass sein Sozius nun kochen würde vor Ärger über die Dummheit des Mannes vor ihm, der das Altweibergewäsch von Luftlöchern nachplapperte. Er war gewiss, nun zum dreizehnten Male einen Stegreifvortrag über vertikale Winde zu hören. Aber das war immer noch besser, als Belehrungen anzuhören, wie man zu fahren hat. Das muss man als Leiter der Ausbildungsgruppe Motorsport schließlich besser wissen.

Doch Rudi biss auf den Köder nicht an. Er war mit eigenen Gedanken beschäftigt. Die Augen suchten den Himmel ab. Er fand seine Vermutungen bestätigt. Überall bildeten sich Ansätze von Haufenwolken. Fast meinte er zu spüren, wie von den saugenden Strahlen der endlich befreiten Sonne riesige Luftblasen gebildet wurden, die sich in unwiderstehlicher Folge vom Boden lösten gleich gewaltigen Ballonen.

Heute muss der Flug gelingen!

Und du wolltest nicht glauben, Jutta, dass heute die Schwalben höher fliegen. Was sagst du nun, Fräulein Lehrerin?

„He, Flieger, warum sprichst du nichts? Träumst du?“, fragte Hanne.

„Bei deiner Fahrerei träumen!“, rief Rudi und war doch froh über den rechtzeitigen Anruf, da er im nächsten Augenblick von einem harten Schlag hochgeschleudert wurde.

Lass ihn rasen! So lange er uns nicht um einen Birnbaum wickelt, soll mir’s recht sein. Je eher ich auf dem Flugplatz bin, umso besser. Fünf Stunden. Meine Güte. Und da lass ich Trottel den Beutel Obst im Büro stehen. Darf ich Mutter gar nicht sagen. Nun, mein Lieber, dann schiebste eben Kohldampf. Hast ja keine Zeit gehabt zur Vorbereitung, hast ja nur ein ganzes Jahr auf diesen Tag gewartet.

Und Rudi blickte um sich und sah, wie aus den ersten kleinen Wolken Äste und Zweige in rasender Eile trieben, und er meinte die Thermik in ihrem gleichmäßig treibenden Strom zu spüren, der nun nicht mehr nachlassen wird, bis die Sonne abends des großartigen Spiels müde ist, aber die bis dahin aus den flachen Tellern mit den bizarren Zweigen tollkühne kilometerhohe, fantastische Gebilde schaffen wird, ständig erneuert und genährt vom aufsteigenden Strom.

„Hanne, sieh mal!“

Rudi deutete mit der Rechten über Hannes Schulter zum Himmel. Der Fahrer linste mit halbem Blick. Über der Waldsilhouette, die einen riesigen Weizenschlag begrenzte, kreisten unter grauschattigen Wolkenbäuchen zwei Segelflugzeuge. Und als wäre die Sehnsucht des Freundes seine eigene, drehte Hanne noch einmal auf, dass der Motor losheulte und die Maschine einen Satz machte wie ein Kater, den jemand auf den Schwanz getreten hat.

*

Der Flugplatz Wulkau liegt gute drei Kilometer vom Ort entfernt in einem Winkel, der allgemein das Rosenholz genannt wird. Bevor die Kohle der Erde aus dem Leib gerissen wurde, stand dort, wo sich nun endlos die Kaupen des anspruchslosen Steppengrases dehnen, ein prächtiger Wald mit undurchdringlichen Wildrosenhecken; kümmerliche Reste sind magere Waldgruppen am Rande des Platzes.

Die an diesem Tage überm Rosenholz das kleine Abc des Fliegens in den Himmel schrieben, Vollkreise, Achten, oft noch eckig und ungelenk, das waren die Neuen schon, denen die Lust am Fliegen nicht vorher vergällt wurde. Aus allen vier Winden des Bezirks waren sie zusammengekommen zu ihrem Lehrgang, darunter Burschen und Mädchen aus Wulkau. Nach den verregneten und schlecht genutzten ersten Tagen trieb sie ihr Eifer zur Eile.

Als Hanne mit kühner Kurve von seiner Cross-Strecke zum Rosenholz einbog, hingen die beiden „Babys“ noch in der Luft. Rudi fieberte. Er zwang sich zur Ruhe und versuchte, die Flüge der Jungen mit dem abschätzenden Blick des Lehrers, des Erfahrenen, zu sehen. Vielleicht ist einer aus meiner Gruppe da drin, vielleicht sogar Pummelchen, unser Küken! He, alter Freund, nimm’s Seitenruder raus, die Kiste schmiert!

Da lag vor den Motorradfahrern die Weite des Platzes. Unter dem sengenden Sonnenglast vibrierte die Luft. Die Tragflächen der abgestellten Flugzeuge schienen sich zu bewegen wie riesige Schwingen.

Hanne drückte noch einmal auf die Tube. In angemessener Entfernung vom Start, aber so nah, dass jede Finesse seiner Fahrkunst beobachtet werden konnte, riss er den Lenker herum, dass der Seitenwagen für Sekunden in der Luft hing.

Dann stand die Maschine.

Der Flieger sprang vom Sozius, schüttelte Arme und Beine aus und verabschiedete den Freund.

„Rudi!“

Ein Mädchen, rund wie ein Posaunenengel, hatte den Begrüßungsruf ausgestoßen. Sie kullerte mehr als sie rannte dem Ankommenden entgegen. Zwei schlaksige Burschen folgten. Sie legten Wert auf seriöses Benehmen. Sie waren schon achtzehn.

„Tag Pummelchen!“, erwiderte Rudi den Begrüßungsruf. „Ich dachte schon, du hättest die Ecken da oben geritzt.“

Die beiden Burschen waren herangekommen. Der Längere gab seinen Senf dazu: „Bei ihrer Figur und Ecken fliegen!“ Er deutete an seinem Körper Pummelchens Proportionen an. Pummelchen wurde knallrot.

„Schafskopf!“, sagte Rudi. Die Schlakse sahen sich bedeppert an.

Der Flieger steuerte auf den Startlehrer zu. Der saß leger auf einem zusammenklappbaren Feldstuhl und verfolgte aufmerksam das Landemanöver eines „Babys“.

Natürlich kannte Rudi den Kameraden Otto Stavenow. Die Flieger sind eine große Familie, und jeder hat mit jedem irgendwo schon mal im Straßengraben gelegen, wie man so sagt. Dennoch baute er sich straff vor dem kaum Älteren auf und meldete: „Kamerad Rudi Bork meldet sich zum Start für den Fünf-Stunden-Flug!“

Stavenow stand auf und nahm die Meldung entgegen. Die Schlakse warteten unweit davon. Sie grinsten sich an. Rudi sah das mit einem Auge und sagte sich, die werde ich mir vorknöpfen: Ihr meint, euch was zu vergeben, wenn ihr den einfachsten Formen der Disziplin nachkommt, was?

Aber in kritischen, entscheidenden Augenblicken können sie das Zünglein an der Waage sein, das über den Erfolg einer Übung entscheidet.

Stavenow erteilte Rudi in straffer Form den Flugauftrag. Dann schüttelten sie sich die Hände, und unversehens wechselte der straffe Ton zum kumpelhaften.

„Heute oder nie, was Rudi!“

„Bei den Wolken!“

„Na dann mach, dass du in die ,Meise' kommst. Ist alles vorbereitet. Aber geh noch mal zum Donnerbalken, sonst hängst du mir nachher über Bord und machst der ,Meise' Sommersprossen!“ –

Dann war es soweit. Im leichten Bogen lag das Stahlseil aus. Pummelchen winkte Rudi zu. Das Seil straffte sich und kämmte über die Grasnarbe. Ein erster Ruck, ein Zittern bis zu den Tragflächenspitzen. Dann hob sich nach einigem Holpern die Maschine leicht vom Boden. Sie stieß mit zunehmender Geschwindigkeit steil in den Himmel.

Rudi Bork konzentrierte sich auf den Flug. Das Schleppseil pfiff. Der Flieger blinzelte zum Fahrtmesser. 90. Zuwenig bei der Windstille, merkst du das nicht, Schlepper. Er nahm den Knüppel etwas weiter an den Bauch, aber es half nichts. Endlich 95. 100! Na also! Schnell gewann die „Meise“ an Höhe, und als Rudi das Seil ausklinkte, stand der Höhenmesser auf 300 Meter.

Rudi bangte. Bei aller Freude, die ihn wie immer beim Dahingleiten durchrieselte, steckte heute doch die fiebernde Nervosität in ihm: Werde ich es schaffen?

Da spürte er im tastenden Geradeausflug einen leichten Schlag unter der rechten Fläche, und als ob er zeitlebens selbst Flügel an seinen Schultern getragen hätte, kurvte er instinktiv ein.

Die Maschine steigt! Drei Meter, fünf Meter in der Sekunde.

Die „Meise“ wiegte in sanften Bewegungen. Langsam wich die Spannung der letzten Stunden von Rudi. Er pfiff vor sich hin. Plötzlich kam ihm die verrückte Motorradfahrt mit Knallhanne, wie sie Hanne wegen seiner kleinen Angebereien nennen, in den Sinn. Da ist das Fliegen eine weniger stuckerige Sache, mein Bester!

Was hatte doch Knallhanne gesagt? Jede Fahrt eine Übungsfahrt … Höchster Einsatz … Lachhaft!

In Wirklichkeit sind das doch alles Disziplinlosigkeiten, und ich will dir etwas sagen: Disziplinlosigkeit ist ein Ausdruck schlechter Moral. Flieger müsstest du sein, Hanne, bei uns wirst du, ob du willst oder nicht, zu einer hohen Moral erzogen. Oder du musst dich trennen von uns.

Sieh mal die „Babys“ unter mir. Meinst du, die Jungen am Steuer spüren nicht die Aufwinde? Das Herz puppert ihnen vor Lust, im Thermikbart zu bleiben. Aber sie fliegen das befohlene Figurenprogramm und setzen zur Landung an, denn wenn nur ein einziger sich aus der Reihe stellt und länger oben bleibt, müssen die anderen darunter leiden.

Aber mein Befehl lautet heute: Obenbleiben auf jeden Fall, und mindestens fünf Stunden!

Wie auf dem Riesenrad drückt’s einen aufwärts. Doch was ist ein Riesenrad gegen den herrlich freien Flug, den ich bestimme!

*

Tief unter dem Flieger lag eine riesige Schüssel. Weiß gleißte der Rand. Den Boden bedeckten braunschwarze Kohle und glänzende Seen.

„Wie Rindfleisch im eigenen Saft schmort man“, stöhnte ein Alter.

„Kann nicht sein. Der Mensch stammt vom Affen ab“, verbesserte ein Junger. Er griente und schielte zu einer starken Frau reiferen Jahrgangs, die prompt auf die Provokation hereinfiel und loszeterte: „Oh, du gottloses Mensch! Vom Affen stammst vielleicht du ab, mit deinen Haaren hier, aber nicht ich!“ – Sie deutete ungeniert auf ihren wogenden Busen.

„Nein, Lenchen, du nicht, deine Tante heißt Eva, man sieht’s doch“, spottete der Junge. Die Männer grinsten anzüglich, kaum dass sie aufblickten. Die Arbeit machte ihnen niemand.

Lene Schlömp hob die Faust und drohte beschwörend. „Gott lässt nicht mit sich spaßen. Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen, sage ich dir!“

Dann wandte auch sie sich der Arbeit zu. Die Frau war sehr kräftig. Zu dieser Kraft gesellte sich der Zorn der Empörten. Beides gepaart, ließ sie mit Leichtigkeit eine Bohle wuchten. Lene Schlömp gehörte seit dem ersten Friedensmai zur Grube. Die anderen Mitglieder der Brigade, ausnahmslos Männer, achteten sie. Diesen Respekt hatte sie sich mit ihrer Tüchtigkeit und Schlagfertigkeit erworben. Sie wusste das und stellte diese Tatsache bei allen Handlungen in Rechnung. Und da kommt dieser Fatzke von Pehls hergelaufen, dieser Drückeberger, der Muskeln für zweie hat, aber die Faulheit von dreien, und will mit seinem gottlosen Maul die Bibel widerlegen, die der Herr persönlich oder zumindest einer seiner Sekretäre geschrieben hat. Satansbraten, vermaledeiter!

So reagierte Lene Schlömp ihre Wut ab. Die Ursache dieser Wut aber war nicht die Stichelei von Pehls. Die pikte nur das kleine Loch in einen prall gefüllten Schlauch, der sich in allen Menschen angestaut hatte aus Unvermögen, die großen Wettererscheinungen und einiges andere ihrem Willen nach zu bestimmen.

Tatsächlich hatte der wochenlange Regen am meisten den Bergarbeitern zu schaffen gemacht. Die kilometerlangen Schüsseln der Tagebaue waren zu riesigen Sammelbecken geworden, und was vom Regen nicht direkt auf Kohle und Abraum fiel, die Strossen mit ihrem lettenhaltigen Untergrund in Morast verwandelnd, fand Zufluss dorthin auf Millionen Wegen, feinsten Äderchen. Fuhr ein Zug über die Gleise, bedächtig, vorsichtig, versanken die Schienen bis über die Kronen im schmatzenden, saugenden Dreck.

Und dann straft der Herr im Himmel die Gottlosen nach wochenlanger Sintflut mit dieser peinigenden Hitze, wie sie schlimmer nicht in Sodom und Gomorrha gewesen sein konnte, dachte Lene, während sie Sand unter die Schwelle schippte. Und unsereiner, ein Christenmensch, muss alles für die Lästerer mit ausbaden, auch dass der Bagger seit Tagen steht, weil irgendein Rhinozeros ihn kaputtgemacht hat. Sie fummeln an ihm herum, aber Kubikmeter macht er nicht. Und all das soll einen nicht ärgern, denn davon hängt doch der Lohn ab …

Lene richtete sich auf und wischte den Schweiß von der Stirn und aus den Achselhöhlen.

Da steht doch der Pehls und starrt ins Blaue!

„He, du Windei, was gaffst du Löcher in den Himmel!“, zeterte sie. „Hast du noch keinen Flieger gesehn?“

„Zwei Stunden ist er schon oben“, sagte Pehls.

„Na wenn schon. Es steht geschrieben, du sollst dein Brot im Schweiße deines Angesichts essen. Also nimm die Nase runter und hilf mir die Schwelle tragen.“

Pehls fasste zu. Dann starrte er wieder dem Kreisenden nach. Da oben müsste man sein. Und ich soll schwitzen, steht in der Bibel, behauptet die Alte. Was die für Narrenfreiheit hier hat mit ihren frommen Sprüchlein. Und denkt die vielleicht, ich wäre faul? Na schön, hier in diesem Haufen macht’s wirklich keinen Spaß. Aber wenn ich wieder auf der E-Lok bin – ich werde dir was tuten! So im Vorbeifahren werde ich dir mal meine Lohntüte zeigen, Lenchen, und du wirst dein Schandmaul nicht mehr zukriegen!

Pehls stocherte im klebrigen Dreck. Schwer ächzten die Hebezeuge. Der Sand knirschte unter den Schippenstichen der Brigade. Mitunter übertönte ein Fluch, in seiner Saftigkeit Hitze und Dreck entsprechend, die Arbeitsgeräusche.

Pehls blickte wieder in den Himmel. Der Alte gesellte sich zu ihm.

„Bist wohl auch so einer?“ Der krumme Kalisch machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung.

„Ich? Nee. Das ist mir zu hoch. Ich bin bei den Motorradfahrern.“

„Jaja. Ihr habt’s gut. Als ich so jung war wie du, da lag ich auf Wanderschaft. Aber arbeitslos. Verstehst du! Ein Motorrad hätte ich manchmal gebrauchen können. Dann hätten mich die Gendarmen nicht so schnell eingeholt, als ich einmal Eier gefunden hatte bei einem Bauern im Hühnerstall.“ Der Alte, Schweißperlen im Gesicht, lächelte müde.

Pehls musterte den krummen Kalisch, wie er nun dastand und zum Segler hinaufblinzelte, die Hände auf den Schippenstiel gestützt, den Kopf leicht zur Seite geneigt.

Komische Käuze sind die Alten. Alle haben sie Geschichtchen zu erzählen. Die meisten vom Futtern und von ihren Jugendsünden und von Sachen, die sie beim Militär angestellt haben. Die Prahlsucht kitzelte Pehls.

„Auf Wanderschaft warst du? Ich werde nächstes Jahr zur Krim fahren. Aber mit eigener Maschine. Zweihundertfünfziger ,MZ‘.“

„Was, zur Krim?“ Budach Wilhelm, der neben den Plaudernden gearbeitet hatte, ließ die Kurbel der Winde los und richtete sich auf. Wie immer beim Thema Sowjetunion tauchte er aus dem Schweigen auf und wurde beredt: „Touristenreise, was?“

„Nee. Großer Haufen – FDJ und so – ohne mich. So morgens auf Pfiff 'raus, mittags Schlange stehn mit Kochgeschirr, und abends frohes Jugendleben machen, hä? Wenn ich ’nen Rappel kriege, möchte ich um dreie aufstehn und losdonnern können. Ohne Anleitung, bitte!“

„Na“, sagte der krumme Kalisch gedehnt, „du scheinst nirgends ’reinzupassen. Dir sollten sie mal die Hammelbeine langziehn. Als ich beim Barras war …“

Budach Wilhelm, Parteiorganisator der Brigade, unterbrach ihn barsch: „Du mit deinem ewigen Hammelbein-Salat!“ Und zu Pehls gewandt: „Warst du schon bei der Armee?“

„Nee! Ich bin doch nicht verrückt! Bei mir nicht!“, sagte Pehls und begann mit kräftigem Schwung, einen Haufen Sand zu verteilen.

Budach Wilhelm betrachtet Pehls aufmerksam. Nein, wie ein Verrückter siehst du wahrhaftig nicht aus. Du bist geradegewachsen. Und auch dein Gesicht gefällt mir. Es ist offen. Alle Gedanken, wenn sie von deinem frechen Mundwerk nicht eben ausgesprochen werden, sind an der Nasenspitze abzulesen. Und das mit der losen Zunge – unsere Zeit ist ein guter Schleifstein und wetzt auch die schärfste Spitze ab!

Aber bei deinen letzten Worten, mein Sohn, hast du so eine eigenartige Bewegung gemacht. Hast die rechte Hand zur linken Schulter geführt, den Handteller offen nach unten, hast dich in die Brust geworfen und gesagt: Bei mir nicht!

Wo hast du das her? War diese Bewegung nicht gang und gäbe beim Barras? Vielleicht kennt man doch nicht alle deine Gedanken!

„Warum gehst du denn nicht zur Armee?“, fragte Budach Wilhelm.

Pehls stellte das Schippen ein und sah auf. Er spürte den Blick des Grauhaarigen unangenehm direkt auf sich gerichtet. Doch ehe er antworten konnte, mischte sich Lene Schlömp ein: „Das ist das einzige Gescheite, was er bisher getan hat. Mein August ist im Krieg geblieben, und das soll allen eine Warnung sein.“

Der krumme Kalisch kicherte und freute sich über das Schwätzchen, das sich anzubahnen schien.

„Ich kann selber antworten, brauche keine Amme!“, fuhr Pehls sie an. Ihm war es peinlich, ausgerechnet von Lene Hilfe zu erhalten. Und laut, zu Budach Wilhelm gewandt: „Wenn du’s genau wissen willst, ich lasse mich nicht kommandieren! Meine Freiheit will ich, verstehst du!“ Er ging auf Budach Wilhelm zu, leidenschaftlich erregt, als würde seine Freiheit von diesem bedroht.

Der Brigadier kam dazwischen. „Was ist hier los? Dauernd seh’ ich dich ’rumstehen und Maulaffen feilhalten. Liegst du zu viel bei deiner Braut, dass du so schlapp bist?“

„Wovon denn man schlapp!“, rief Lenchen schadenfroh, „seine Jutta ist ihm davongelaufen!“ Sie prustete vor Vergnügen.

„Halt’s Maul, das geht dich nichts an!“, schrie Pehls und sah aus, als würde er sich im nächsten Augenblick vergessen.

„Beruhigt euch, Leute, beruhigt euch!“, begütigte der Brigadier. „An die Arbeit!“

Wütend schleuderte Pehls Sand zwischen die Gleise. Die Arbeiter grinsten. Lene feixte.

Vom Bagger, dessen stählerner Leib die Hitze zurückwarf, dass die Luft flimmerte, zog fauchend eine Dampflokomotive heran. Die niedrigen Plattenwagen hinter ihr balancierten wie Seiltänzer übers versunkene Gleis. Die Lokomotive hielt. Aus dem offenen Fenster streckte sich ein Kopf mit eingefallenen Backen, die aussahen wie Hefeteig, der Zug bekommen hat. Dieser Backen und der blässlichen Gesichtsfarbe wegen hatte Lene Schlömp den langen Pietsch „Leiden Christi“ getauft. Andere nannten ihn „langes Leiden“.

Pietsch rief laut: „Erwin, du sollst drei Wagen Sand holen für die hintere Brigade, sagt der Schachtmeister, und sollst gleich angespannt lassen, heute Nachmittag läuft der Bagger wieder. Kannst gleich mitkommen!“

Pehls drückte seine Schippe in den Morast, nahm Hemd und Jacke untern Arm, rief dem Brigadier im Vorbeigehen zu: „Hast ja gehört, ich fahre wieder!“ und blieb dann vor Lene einen Augenblick stehen. Er war wieder obenauf und griente. Sein Mund spottete:

„Dein Gott hat mein Gebet erhört, was sagst du nun, hä? Werde erlöst von dir! Wiedersehen!“

„Die Rache ist mein, spricht der Herr!“, rief Lene zornig. Pehls lachte und war mit einigen Sätzen bei der Lokomotive.

Am großen Dreieck sprang er ab. „Mach’s gut, langes Leiden, jetzt wird wieder verdient!“

„Mach’s besser!“

*

An der Verladerampe der Zentralwerkstatt wartete die Transportbrigade. Die Lokomotive mit den wackligen Plattenwagen schaukelte heran. Alles war vorbereitet. Die Arbeiter begannen, die letzten Werkstücke für die Reparatur aufzuladen. Der lange Pietsch, Faktotum der Jugendbrigade Drogge, ging zum technischen Büro. Im halbdunklen Flur studierte er die Schilder. Sie sollten nicht so geizig mit Strom sein oder wenigstens die Namen größer schreiben! Dann blieb er stehen. Er entzifferte: „Dipl.-Ing. Theodor Kriener“. Und darunter: „Leiter des technischen Büros“.

Die Tür war verschlossen. Unter dem Druck öffnete sich ein schmaler Spalt. Alles ausgeleiert, dachte Pietsch. Sein Blick glitt die Ritze entlang von unten nach oben, als könne er durchschlüpfen. Die hängenden Schultern zuckten. Mist verdammter! Immer, wenn man’s eilig hat, sind die Büroleute nicht da. Na ja, um ihr Geld geht’s ja auch nicht!

Pietsch gewahrte an der Tür eine runde Pappscheibe mit drehbarem Pfeil. Er zeigte auf das Wort „Zentralwerkstatt“. Na, wenigstens das! murmelte Pietsch vor sich hin.

So schlurfte er denn durch die Zentralwerkstatt. Sein Tempo war ungewohnt rasch. Der Kopf lag weit vorgebeugt, als wären ihm die Bewegungen der Beine zu langsam. Er fragte nach Kriener, aber niemand wollte den Gesuchten bemerkt haben.

So suchte Pietsch weiter zwischen verbeulten Abraumwagen, sanatoriumsreifen Motoren, ausgedienten Radsätzen und was sonst ein Tagebau zur Reparatur ausspuckt, den Schweif saftiger Flüche von der Länge einer halben Baggereimerkette hinter sich lassend.

„Der macht Kurven wie ein verhinderter amerikanischer Sputnik“, lästerte ein Schmied.

Die Arbeiter waren baff, ihren Kollegen so mobil zu sehen, als hätte er Flöhe verschluckt. Man erzählte sich, der Lange habe nicht das Fünkchen Feuer im Leibe. Er hätte einmal zu lange draußen gestanden, als ein mittlerer Wind wehte, und der habe ihm das letzte bisschen Temperament durch die Rippen geweht. Darum sei ihm auch von der ausgleichenden Gerechtigkeit die mollige, feurige Olga verschrieben worden.

*

Vorm Eisenmagazin fand Pietsch endlich den Gesuchten, einen Mann Anfang Fünfzig mit schlohweißem, gepflegtem Haar. Er sprach mit einem Magaziner, aber Pietsch, der wie ein Krauler mit den Armen rudernd herangekommen war, nahm darauf keine Rücksicht. Er überfiel ihn, ein wenig außer Atem: „’n Tag, Kollege Kriener, ich bin von der Brigade Drogge, ich soll die Montagezeichnung holen!“

„Bitte, welche Zeichnung?“ Kühle, graue Augen musterten den ungeduldigen Arbeiter.

„Na, vom Turas, für die neue Lagerung!“ Pietsch stieß das unwillig hervor. Der scheint in seinem Laden wenig Bescheid zu wissen!

„Die wollten Sie doch morgen abholen.“ Kriener sagte das mit leichter Verwunderung im Ton.

„Ach morgen! Meinen Sie, ich renn’ mir die Lunge aus dem Halse, wenn’s bis dahin Zeit hätte? Hier!“ Pietsch machte mit der rechten Hand die Geste des Zahlens und versuchte ein verständnisheischendes Lächeln. „Wettbewerb! Wir hängen heute ein paar Stunden dran, so haben wir’s ausgemacht, und der 850er kann in der Nacht schon laufen. Das zählt doch!“ Er zwinkerte dem Ingenieur vertraulich zu.

Kriener wurde die Sache unangenehm. Er verabschiedete den Magaziner.

„Gehen wir zu mir!“

Der Arbeiter ging schleppenden Schrittes neben dem Ingenieur, der seine Füße wie gezirkelt setzte. Was geht er nur so langsam, dachte Pietsch, der muss doch merken, dass es brennt.

Ich kann doch nicht am Zahltag, wenn die Lohntüte schwindsüchtig ist, meiner Olga ein rundes Papptäfelchen vorhalten, wie er’s an der Tür hat: „Geld liegt im Tresor beim Hauptbuchhalter Schulze.“

Der Ingenieur spürte die Blicke des Arbeiters auf sich gerichtet. Wie soll ich ihm das erklären? Kollege Pietsch, werde ich sagen müssen, die Zeichnung ist nicht fertig, und ich, Theodor Kriener, Leiter des technischen Büros, trage die Verantwortung dafür. Was soll ich mich rausreden, dass morgen erst Termin sei!

Früher, vielleicht vor fünf Jahren noch, hätte man sich darauf berufen können, ohne rot zu werden. Aber heutzutage, wenn Arbeiter die Reparaturzeiten unterbieten – wie könnte ich da mit bürokratischem Gewäsch kommen! Und Kriener sagte sich in galliger Selbstironisierung: Siehst du, Theodor, das hast du nun davon, dass du dich dem Sozialismus verschrieben hast. Er hat doch recht unbequeme Seiten. Früher, bei Flick, da hat’s nur Druck von oben gegeben. Heute gibt’s Druck von oben und unten.

„Es ist nämlich so …“ Kriener machte eine Pause, damit die sich ankündigende Absage von Pietsch erfasst werden konnte. Sie betraten, noch geblendet vom gleißenden Sonnenlicht, den halbdunklen Flur. „Es ist nämlich so, dass Kollege Bork die Zeichnung macht.“

„Der Rudi?“

„Ja.“ Kriener schloss die Tür seines Büros auf. „Und er ist augenblicklich nicht hier. Er – hat etwas Privates vor.“

„Aber Sie kommen doch an die Zeichnung ran!“

„Das nützt nichts. Sie ist nicht fertig.“

Pietsch starrte den Ingenieur an. Er schluckte.

„So ist das. Leider.“ Kriener stand dicht vor Pietsch. Er fühlte sich unwohl unter dem Blick der unruhig flackernden Augen. Dann hatte der Arbeiter die Sprache wiedergefunden.

„Warum locken Sie mich dann erst hier herein? Mir das draußen zu sagen, hatten Sie keinen Mut!“

Kriener presste die Lippen aufeinander. Er hat ja recht! Ich hätte es ihm auch draußen sagen können.

„Wenn der Rudi privat ist, dann lassen Sie ihn doch holen!“

„Das geht nicht. Er fliegt.“

„Ach, er ist das!“ Pietsch machte mit dem Finger die kreisende Bewegung, wie sie der krumme Kalisch gemacht hatte und wie es alle Wulkauer tun, wenn sie von den Segelflugzeugen über ihrer Heimat sprechen.

„Sehen Sie – es ist so.“ Kriener glaubte den richtigen Anknüpfungspunkt für die Erklärung gefunden zu haben. „Kollege Bork ist unser tüchtigster Mann. Zuverlässig, bescheiden, strebsam. Für Ihre Zeichnung hat er jeden Tag Überstunden gemacht. Heute kam er sogar eher. Vielleicht wissen Sie, dass er ein ganzes Jahr auf dieses Wetter gewartet hat. Ich konnte nicht nein sagen, zumal uns nicht bekannt war, dass Sie schon heute die Zeichnung benötigen. Heute Abend wird sie von ihm fertig gemacht. Können Sie das verstehen?“

„Nein, das kann ich nicht verstehen!“ Pietsch schlenkerte mit den Armen: „Wir machen auch Überstunden, wenn’s brennt. Und ohne Menkenke!“

Kriener beobachtete ihn. Wie lange kenne ich ihn eigentlich schon? Immer dachte ich, er sei ein ruhiger, ja sogar phlegmatischer Mann. Wie doch das lockende Geld den Menschen verändern kann!

Kriener schritt zum Fenster, die Hände auf dem Rücken, und sah hinaus auf die Straße. Leiser Luftzug spielte mit trockenem Kohlenstaub.

Er war ratlos.

„Haben Sie mich vergessen?“, fragte Pietsch.

Kriener drehte sich um. Wie soll ich ihm die Sache mit Bork erklären? „Ich bin Ihnen noch eine Erklärung schuldig“, sprach er leise. „Sehen Sie, es ist so: Da draußen kam heute Morgen dieser Motorradfahrer angebraust, den sie wohl auch Knallhanne nennen, um Bork abzuholen.“ Krieners Stimme wurde frischer: „Was macht der für Lärm, um den Mädchen zu imponieren! Wir waren da anders als dieser Knallfrosch, und gottlob ist auch Kollege Bork darin anders.“

„Was tut das zur Sache?“

„Warten Sie! Bei unserem Dorf lag ein Waldsee. Wir Bengels kannten eine Stelle, die etwa vier Meter tief gewesen sein mochte. Stellten sich nachmittags die Dorfschönen ein, schrie bestimmt einer auf: ,Ich hab’ meine Badehose verloren!‘ Natürlich stimmte das nicht, denn in diesem Alter ist ein Bursche schamhafter als zehn Jungfern. Aber wir brauchten einen Anlass zum Wetttauchen.

Wir holten vom Grund Konservenbüchsen, alte Fahrradmäntel, rostigen Draht. Einmal zogen wir aus dem glibbrigen Schlick einen Rinderschädel.“

„Sie haben genauso angegeben wie Knallhanne!“

„Eben nicht! Es war nicht Angabe, die uns trieb, sondern die Freude an der Kraftprobe, die Lust am Bewähren.“

Kriener schritt auf und ab. Pietsch verfolgte seinen Weg missmutig. Dann blieb er vor dem Arbeiter stehen.

„Steckt nicht in jedem Menschen dieser Trieb? Und wenn wir Älteren bei den Heranwachsenden diesen gesunden Trieb nicht pflegen oder ihn gar unterdrücken, schädigen wir damit den menschlichen Fortschritt. Begreifen Sie nun, weshalb ich Bork Urlaub gab?“, fragte Kriener.

Pietsch pendelte mit dem Kopf hin und her. „Eigentlich nicht, Kollege Kriener, jetzt geht’s um Abraum! Kann ich mal telefonieren?“

„Bitte, nebenan. Da sind Sie ungestört!“ Der Lange schloss die Tür.

Kriener stellte sich wieder ans Fenster. Er hörte Pietsch sehr laut mit seinem Brigadier sprechen. Wenn er nur meine Geschichte begreifen wollte, dachte er, vielleicht schmerzt die teilweise Einbuße der Prämie dann nicht mehr zu sehr.

Pietsch kam zurück. Er schwitzte.

„Meister Fix hat geflucht wie ein Rohrspatz! Er verlangt, dass Rudi runtergeholt wird und dass er die Zeichnung sofort fertigmacht. Ich soll zum GST-Büro gehn und mit der Faust auf den Tisch haun.“

„Gut, ich gehe mit. Außerdem werde ich bei dem GST-Mann besser durchkommen.“

„Nicht nötig. Den schaffe ich alleine. Was meinen Sie, was Meister Fix und die ganze Brigade für eine Wut haben, wo doch der Abraum-Betrieb beim Staat soviel Planschulden hat! Und wenn ich mit Steinen werfen müsste, hat Fix gesagt, runter muss er!“ Pietsch hatte sich in Rage geredet.

Kriener biss sich auf die Lippen. Wahrhaftig, der setzt sich auch ohne mich durch, da es ihnen nicht allein ums Geld geht. Pietsch verabschiedete sich formlos und steuerte auf die GST-Baracke zu, die unweit des Verwaltungsgebäudes stand.

*

Der Barackenflur war gefüllt mit Benzindämpfen, Dunst von verschmortem Gummi und dem beißenden Gestank schlecht gereinigter Toiletten. Für die nötige Hitze zum Garwerden des Luftbreies sorgte der Sommertag.

Axel Thoms brütete über einem Berichtsbogen, als Pietsch eintrat. Er gab das „Glückauf“ murmelnd zurück.

Pietsch kannte nur vom Hörensagen den Mann, der dort am Schreibtisch saß, das Hemd bis zum letzten Knopf offen, dass die knochige Brust zu sehen war, und dem der Schreibkram sichtlich kein Vergnügen bereitete. Pietsch hielt sich an der Tür. Einen Moment könne er ja warten.

Der also macht die GST. Könnte dem Alter nach fast mein Vater sein. Irgendjemand hat mal erzählt, er wäre in Spanien dabei gewesen. Dann war er russischer Partisan. Ein Duckmäuser scheint’s nicht zu sein. Die Nase sieht aus wie ein Geierschnabel, bloß ein bisschen plumper. Scheint übrigens ein Typ zu sein wie ich, so ein schlechter Futterverwerter, wie Olga sagt: Spachtelt den ganzen Tag, aber auf die Rippen kommt nichts!

Thoms blickte auf.

„Komm doch näher, Kamerad!“

Seine Stimme ist müde, dachte Pietsch. Das wird von der Hitze sein und vielleicht vom Gestank im Flur. Wem könnte dieser Brei bekommen?

Pietsch gab die Hand. Er trug seine Sache vor. Sein Ton war aggressiv. Schließlich forderte er, Rudi Bork herunterzuholen. Pietsch hatte erwartet, dass Thoms sofort reagieren würde – so oder so. Aber der sah wie abwesend aus dem Fenster. An seinem geistigen Auge zog das letzte halbe Jahr vorüber: Als ich hierher kam, hatte ich Schwung wie ein Junger, und doch wurde ich schneller stumpf als das Bajonett nach halbjährigem Kampf in Spanien. Was hatte ich schon für Unterstützung in meiner Arbeit? Schöne Worte gab’s so viele wie Wasser im Tagebau. Aber wollte ich das schöne Wort greifen, he, nun werde gefälligst zur Tat! – dann rann es aus der Hand, ebenfalls wie – Wasser.

Axel Thoms wischte mit der Hand über die Augen. Dann sah er den Besucher an. Seine Stimme war fester. „Nein, Kamerad, ich werde Rudi Bork nicht herunterholen! Ich werde ihn fliegen lassen, und wenn hier unten alles auf dem Kopf steht!“

„Wir sind eine Jugendbrigade, und einige von uns sind in der GST. Die werden Augen machen über ihren Vorsitzenden!“

„Sollen sie mich kritisieren! Aber ich werde fragen: Wo seid ihr denn sonst? Der Kamerad Bork mit seinen Fliegern ist der einzige, der wirklich arbeitet, alle anderen …“ Thoms winkte mit der Hand ab, „alle anderen haben die Sache und auch mich im Stich gelassen. Er hat sich ordentlich abgemeldet, er soll seinen Flug zu Ende führen. Dabei bleibt es. Sage das deinen Kollegen.“

„Das musst du verantworten!“ Vor Aufregung kam Pietsch fast ins Stottern. „Warum klotzen wir denn so ran? Für die paar Mark Prämie etwa? Wiedersehen!“ Er stürmte zornig hinaus, ehe Thoms antworten konnte.

An der Rampe wartete der Transportzug. Pietsch telefonierte mit der Abraumwerkstatt. Am anderen Ende fluchte Drogge, der Brigadier. Dann kletterte Pietsch auf die Lokomotive. Auf der Baggerstrosse begegnete die Transportbrigade einem Zug. Pehls lehnte aus der E-Lok. Er strahlte vor Glück, wieder auf schaukelndem Boden zu stehen. Beide Züge hielten. Fenster an Fenster standen sie sich gegenüber.

„Gruß euch, ihr edlen Dampfrossbändiger!“, spottete Pehls übermütig.

„Lass dein Gefrozzle!“, gab Pietsch zurück. „Damit du’s weißt: Mit dem Bagger wird nichts. Kannst es dem Schachtmeister ausrichten!“

Pehls machte Augen wie ein neugeborenes Kalb.

„Willst mich auf den Arm nehmen, was?“, sagte er und stellte sich das schadenfrohe Gesicht der Schlömpen vor, müsste er wirklich in die Brigade zurück.