Ins Herz geblickt - Karl-Heinz Schleinitz - E-Book

Ins Herz geblickt E-Book

Karl-Heinz Schleinitz

0,0

Beschreibung

Die hier zusammengetragenen Reportagen, Skizzen und Kurzgeschichten wurden vornehmlich für das Organ des Zentralkomitees der SED „Neues Deutschland“ um 1960 geschrieben und dort veröffentlicht. Voll Spannung verfolgt der Leser die konfliktreichen Handlungen, das Ringen der Menschen um die Überwindung alter, überlebter Gewohnheiten und Anschauungen, die Hinwendung vom Ich zum Wir. Dabei hat es dem Autor gefallen, „mit Lachen die Wahrheit zu sagen“. Mit kräftigen Strichen hat er die Personen gezeichnet. Es sind typische Menschen mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Man spürt deutlich, dass sie dem Autor begegnet sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 289

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Karl-Heinz Schleinitz

Ins Herz geblickt

Skizzen

ISBN 978-3-96521-485-9 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1961 im Verlag Tribüne, Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

2021 EDITION digitalPekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Ehrlich währt am längsten

DAS VERMÄCHTNIS

Von einem, der nicht zum alten Eisen zählen will

Der alte Röder, ein Hüne von Gestalt, ist zusammengesackt, ganz plötzlich. Blass und verstört sitzt er hinter dem Schreibtisch, diesem bescheidenen Thron seines kleinen Reiches, dem Fuhrpark des Pumpenwerkes. Arbeiter bemühen sich um ihn. Otto Röder knurrt etwas zwischen den Zähnen wie: „Lasst mich in Ruhe.“

Andere haben inzwischen Krankenschwester und Werkdirektor alarmiert. Als beide in der Tür erscheinen, bäumt sich der Riese auf und brüllt: „Was wollt ihr von mir, schert euch zum Deuwel!“ Man redet ihm gut zu: „Otto, wir bringen dich nach Hause, du hast dich übernommen!“ „Was“, schreit der Alte, und im Raum dröhnt es wie nach Gewitterdonner, „einen Kommunisten wollt ihr ins Bett schicken?“ Und zum Direktor gewandt: „Du solltest dich was schämen, du Krepelmähre. Erst macht die Partei dich zum Direktor, nun schmeißt du einen alten Genossen zum alten Eisen!“

Kein Zureden hilft, und jede Annäherung wehrt der starke Mann, den selbst die größte Kampfgruppenkombination noch überall kneift, energisch ab. Da stürzen sich einige Männer zugleich auf ihn. Die Krankenschwester macht eine Spritze fertig. Der Alte tobt: „Lasst mich los!“ Mit Mühe bändigen die vier den Riesen.

Nun fesseln einen die eigenen Leute, denkt Otto Röder voller Grimm, ich würd’s ihnen zeigen, wenn ich nur noch die Kraft hätte wie früher! Mit zwölf bin ich dem Pastor in den Arm gefallen, der unserer Anne die christliche Heilslehre so mit dem Rohrstock erläuterte, dass ihr das Blut aus den Fingern spritzte. Büschelweis riss er mir die Haare vom Kopf, aber ich hielt ihn fest, bis er nachließ. Dem Vater erzählte ich das. Der quittierte die Nachricht mit einer kräftigen Ohrfeige, wie sich’s aus erzieherischen Gründen gehörte. Aber dann lief er zum Pfaffen und brachte ihm mit Landarbeiterfäusten seinen eigenen proletarischen Katechismus bei, dessen erstes Hauptstück aus dem Alten Testament zusammengeschustert war, und das lautete: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“

Acht Monate Gefängnis für den Vater! Und der Gutsherr? Einen Dreck kümmerte der sich um christliche Nächstenliebe, die Nachsicht mit Armen und Bedrängten und sogar Feinden vorschreibt, und warf uns auf die Straße. Wisst ihr, wie das ist, ihr Jungen, die ihr mich nun festhaltet?

Und ihr wisst auch nicht, wie das ist, wenn eine Rotznase in Uniform der kaiserlichen Dragoner daherkommt, ein Bein auf den Amboss stellt und verlangt, der Bauschlosserlehrling möge ihm, dem Sohn des Meisters, gefälligst die Schuhe putzen. Nee, ich habe sie nicht geputzt, nee, den Stolz hatte ich! Der Meister knallte mir ein paar, und achtkantig flog ich auf die Straße.

Die Straße: Nächte in Herbergen und Heuschobern, schuften in Bergwerken, unter Bohrtürmen. Ein fahrbarer Gefechtsstand aus Mist mit Pferden davor. Dann putzte ich Silberbestecke. Und immer wieder: Halt’s Maul und pariere, sonst bekommst du die Flebben! Lass dich ausquetschen, oder wir nehmen dir das Letzte!

Ach, ihr Jungen, ihr kennt das nicht mehr! Was ihr besitzt, mussten wir erkämpfen. 1912 war es, als ich zu einem ergrauten Arbeiter sagte: „Du, ich will Mitglied eurer Partei werden!“

„Warum willst du das?“, fragte er.

„Weil ich den Sozialismus will! Ich will, dass der arme Mensch nicht mehr herumgestoßen wird, dass dem Menschen bleibt, was seine Hände schaffen, dass die Gerechtigkeit siegt!“

„Schön gesprochen, junger Freund“, hatte der alte Arbeiter gesagt. „Aber weißt du auch, was einen Sozialisten erwartet, solange sein Ziel nicht erreicht ist? Höre: Aussperrung, schwarze Listen, Gefängnis! Überleg’s dir und komme wieder, wenn du noch willst.“

Ich wollte! Wir Proletarier haben nur die Ketten zu verlieren, sonst nichts, das hatte ich bei Karl Marx gelesen. Ach, ihr wisst ja nicht mehr, was Ketten sind; manchen von euch fallen selbst die siebeneinhalb Stunden Arbeit am Tag zu schwer, sie meinen, das wären Ketten! Obendrein haltet ihr mich jetzt fest, als ob ich ein Verrückter wäre, ihr Hornochsen!

Geh mir vom Leibe mit deiner Spritze, Schwester, mein Lebtag konnt ich mir Kranksein nicht leisten! Auf Kur wollten sie mich vergangenen Jahres schicken. Einen Kommunisten auf Kur. So mit Hausordnung und um sieben Uhr schlafen gehen, und schön langsam durch Parks spazieren! Ja, seht ihr denn nicht, dass wir noch Revolution haben? Manchmal denke ich, zu viele haben einen ideologischen Schmerbauch und sind verspießert. Dabei wird jeder einzelne gebraucht! Wie damals, im Jahre achtzehn, als über dem Häusermeer Berlins die Fahnen rot brannten und die Offiziere uns Muschkoten scheißfreundlich mit „Kameraden“ anredeten. Soldatenrat war ich, und alle standen hinter mir. „Der Scheidemann ist ein Verräter, lieber verrecken als dem gehorchen!“, rief ich in einer Versammlung. Ein Offizier stürzte mit gezogener Pistole auf mich zu und schnarrte: „Dieses Schwein hat die ganze Truppe verdorben!“ Ho, mein Offizierchen, du hattest nicht ganz unrecht, schon schlugen dir einige Soldaten die Pistole aus der Hand.

Als Soldatenrat des Garderegiments musste ich nach Berlin. Ach, Karl, sie wollten dich nicht sprechen lassen. Redeverbot für unseren Karl Liebknecht! Nein, Karl, sprich! Und ich lauere hinter dem Maschinengewehr, das in der Orchesterloge des Zirkus eingebaut ist, und verordne jeder Weißgardistenfratze, die sich am Haupteingang sehen lässt, einen Feuerstoß! Sprich, Karl, sprich ruhig!

Und dann Kampf gegen Kapp im heimatlichen Halle. Vier Monate Gefängnis! Mitteldeutscher Aufstand. „Genosse Röder, säubere die Waffenverstecke der Reaktion!“ Hier zweihundert Gewehre, da Handgranaten, dort eine Pistole. In einer Villa jammert die „Gnädige“: „Ach, das schöne Parkett, das schöne Parkett, Ihre Leute ruinieren es mit ihren schmutzigen Stiefeln, Herr Genosse!“ O falsches Bourgeoisiepack, unterm Bett des Dienstmädchens hatten die Herrschaften das gesuchte MG versteckt!

Wie stark waren wir anfangs – und ließen uns doch ein Gewehr und ein Recht nach dem anderen aus der Hand schlagen, weil wir uneins waren und dadurch schwach wurden. Bis der Braune an die Macht geschoben wurde und die letzten paar Gerechtigkeiten raubte. Schutzhaft, Verhöre, Gefängnis, Folterungen, Polizeiaufsicht bis zu dem Tage, da amerikanische Maschinenpistolen in den Straßen belferten.

Na endlich verschwindest du mit der Spritze …

Dem alten Genossen ist zwar hundeelend, aber er weigert sich noch immer, den Arbeitsplatz zu verlassen. Erst als der Parteisekretär kommt und sagt: „Du musst ins Bett, Parteiauftrag!“, steht Otto Röder auf und geht zum Wagen, der ihn nach Hause fahren soll. Er lässt sich sogar stützen.

Niemand spricht ein Wort. Es ist, als fühlen alle, wie sehr der alte Klassenkämpfer unter der Vorstellung leidet, man brauche ihn nicht mehr, ihn, der seit 1925 in diesem Betrieb arbeitet, der nach der faschistischen Notzeit die Demontage und den Wiederaufbau als Betriebsrat und später als BGL-Vorsitzender miterlebte, ehe er das kleinere Reich des Fuhrparks übernahm.

An der Tür sagt er zu dem hageren jungen Mann, der in einem Kittel unbestimmbarer Farbtönung steckt: „Nu hast du deinen Willen und schickst mich nach Hause, Direktor. Vielleicht muss ich wirklich in den Ruhestand, man wird alt.“ Und zu allen gewandt: „Aber das eine sage ich euch, bleibt ehrlich der Klasse gegenüber. Ehrlich währt am längsten!“ Er fügt sein Lieblingsschimpf- und Kosewort hinzu, fast zärtlich gesprochen: „Ihr ollen Krepelmähren“ – was wohl auf hallensisch soviel heißt wie „krumme Möhren“.

Draußen am Wagen dreht er sich noch einmal um und sagt: „Die Revolution mit den Gewehren ist zu Ende, aber bei der hier“ – er zeigt zum Kopf –, „bei der hier stecken wir mitten drin.“

Langsam fährt der EMW durchs Südtor des großen Betriebes. Der Werkschutzmann grüßt. Zurück bleiben die eintausenddreihundert Arbeiter und Angestellten, die hier Pumpen bauen. Erfüllen sie das Vermächtnis der alten Klassenkämpfer? Fühlen sie sich als Besitzer des sozialistischen Betriebes? Kämpfen sie an der Werkbank so für den Sozialismus, für den Fortschritt, wie einst Otto Röder und seine Genossen auf der Straße?

VOM GROSSEN „WIE"

Eine kleine Pumpenphilosophie und Gedanken über Wünsche und Träume

In Halle lebt einer der ehemaligen Besitzer jener Produktionsstätten, die heute Eigentum des Volkes sind. Dieser Mann und seine Frau wohnen nicht schlecht, jedenfalls besser als manche ihrer ehemaligen Arbeiter heute noch notgedrungen hausen, und kaum einfacher als der jetzige Direktor des Werkes. Dieser Mann galt als „guter“ Kapitalist. Er hatte bestimmte soziale Vergünstigungen gewährt und so zum Beispiel erreicht, dass in seinem Betrieb nie gestreikt wurde.

Niemand erwartete von diesem Fabrikbesitzer, dass er zur Enteignung seines Werkes „Halleluja“ rufen würde; aber es gab einige Arbeiter, die zerdrückten darüber Tränen des „Mitleids“. Manche vereinfachen noch heute die Sache und sagen: „Wir haben vor fünfzig Jahren unter den Kapitalisten Pumpen gebaut, wir bauen jetzt im volkseigenen Betrieb Pumpen. Was dabei herauskommt, waren früher weder kapitalistische noch sind es heute sozialistische Pumpen. Es sind einfach Pumpen, bestehend aus Eisen, Chrom, ein bisschen Bronze vielleicht und wenigen anderen Elementen. Wir freuen uns, dass sie heute wie ehedem Weltruf haben, aus, basta!“

Und Männer, die jahrzehntelang schon in diesem Betrieb arbeiten, erteilen dir eine Pumpenlektion: Ohne Pumpen gibt es kein Wasser, keine Elektrizität, kein Gas, überhaupt keine Industrie. Kaum eine Maschine, die nicht eine Pumpe braucht! Nicht mal der Sputnik würde kreisen; Pumpenaggregate führen dem Raketenmotor Treibstoff zu.

Sieh diese Pumpe mit dem doppelt mannshohen Gehäuse, die in der Stunde achttausend Kubikmeter Wasser fördert; die Riesin geht nach Trattendorf. Und dieses Dingchen, graziös wie ein Minarett: Aus hundert Meter Tiefe der syrischen Erde wird es Wasser holen und Wüsten fruchtbar machen helfen. Jene Kesselspeisepumpe wird das kräftige Herz eines chinesischen Kraftwerkes sein.

Mit vierundzwanzig Ländern haben wir Geschäftsverbindungen – von Kanada angefangen bis Indonesien –, und wir haben zwölf Auslandsvertretungen. Mit bronzenen Schaufeln fördern unsere Pumpen Nilwasser, sie bewegen Tomatenmark, Heringsköpfe, Zuckerrüben. Einmal verlangte ein Kunde Pumpen für „dickflüssige“ Massen. Das könnte Sirup sein, Zement, oder was weiß ich. Wir fragten an: „Was meinen Sie mit der ‚dickflüssigen' Masse, verehrte Herren?“ Unklare Antwort. „Na, schicken Sie doch eine Probe“, schrieben wir. Die Probe kam. Sie stammte von Rieselfeldern …

So voller Stolz sprechen die alten Pumpenwerker.

Achthundert Pumpentypen baut das Werk, Pumpen für viele Zwecke. Natürlich sind das keine „sozialistischen“ Pumpen. Pumpe ist Pumpe! Aber das „Wie“ macht den Unterschied, und wenn nichts anderes den Übergang von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen zu den sozialistischen rechtfertigen würde, so reicht schon die Tatsache, dass praktisch auf der gleichen Produktionsfläche mit fast dem gleichen Maschinenpark und der gleichen Anzahl Arbeiter fast doppelt soviel produziert wird als früher: Es wird besser gearbeitet.

In der Maschinenhalle steht an seiner Sternrevolverdrehbank Karl-Heinz Pfeil, ein sechsunddreißigjähriger Arbeiter, Kriegsversehrter. Seit 1952 hat er vierzig Verbesserungsvorschläge eingereicht. Manche wurden sofort eingeführt. Um andere musste er kämpfen.

Vorigen Sommer knobelte er an einem neuartigen Drehstahl für besonders komplizierte Arbeiten. Die Kommission debattierte über den Vorschlag. Die Fachleute wiegten die Köpfe. Dann sagte der Meister: „Das ist wohl doch nicht das Richtige, die alten Stähle sind besser!“ Schon fielen die anderen ein: „Nein, diesmal taugt’s wirklich nicht!“ Als einziger sprach Genosse Wilhelm Völksch, der Leiter des Neuereraktivs, für den Vorschlag. Er setzte sich sehr dafür ein. Aber was half’s? Abgelehnt ist abgelehnt.

Doch Karl-Heinz Pfeil ließ nicht locker, und eines Tages lud er die Kommission sozusagen zum Wettdrehen ein: Sie sollten die bisherigen Drehstähle benutzen, er würde den neuen nehmen. Doch der Wettstreit fand nicht statt, denn wohl konnte Pfeil mit seinem Stahl die komplizierte Arbeit beginnen, nicht aber die Kommissionsmitglieder mit dem alten …

Warum kämpft ein Arbeiter so um die Verwirklichung seiner Gedanken?

Im Betrieb gibt es einen Elektriker, von dem erzählt wird, er sei nie nach Hause gegangen und habe sicher neben der Stromzentrale in einer Hängematte geschlafen, als es schlecht stand mit der Energieversorgung. Die Arbeiter gaben ihm den guten Spitznamen „Volkseigener Arthur“.

Warum setzte der Elektriker sich so ein?

Selbst Franz Wischke, dieser alte Pumpenbauer, der oft an die „guten Zeiten“ zurückdenkt, dieser Mann erfindet einen robusten Bajonettverschluss für Pumpengestänge und stellt ihn dem Betrieb zur Verfügung.

„Warum eigentlich, Kollege Wischke?“

„Weil’s Prämie gibt!“

„Nur?“

„Na, und überhaupt …“

Und überhaupt. Im äußersten Zipfel seines Bewusstseins hat sich dieses „und überhaupt“ schon eingenistet, zumindest weiß er in dem Eckchen schon, dass Pumpenbauen unter den Kapitalisten oder in unserer Republik zweierlei ist, dass Pumpe zwar Pumpe, aber das „Wie“ verschieden ist.

Da geht ein großer Mann umher, aufrecht, doch etwas schwer im Schritt: der alte Genosse Otto Röder, der nun doch Rentner werden musste. Alle Augenblicke ist er im Betrieb, erstens natürlich zu jeder Kampfgruppenübung – er gehört zum Stab, und seine Uniform hängt wie die jedes anderen im Werk –, zweitens für einen Sprung zur Tochter, die erst als Kernmacherin arbeitete und nun die Betriebszeitung macht, drittens für einen Blick zur Enkelin, die technische Zeichnerin lernt, und viertens bis zehntens: um überhaupt nach dem Rechten zu sehen, denn Otto Röder meint nach wie vor, ohne „Pumpe“ könne er nicht leben.

Zwei Pole:

hie jene Fachmänner, die allezeit den kapitalistischen Besitzern treu ergeben waren und heute noch mit einem Auge zum ehemaligen Herrn blinzeln; ein wenig erst fühlen sie sich als Besitzer des Betriebes;

da Menschen wie Otto Röder, der Klassenkämpfer, der auf den Barrikaden stand, als es galt, die Rechte der Arbeiter zu verteidigen, und der selbst jetzt, da der Betrieb dem Volke gehört und damit auch ihm, als Rentner nicht zu Hause still sitzen kann.

Und zwischen den Polen eintausenddreihundert verschiedenartige Menschen mit vielerlei Gedanken, mit unterschiedlich entwickeltem Bewusstsein, Fleißige und Faule, Optimistische und Verbitterte, Polternde und Stille. Achtmal hat ihr Betrieb die Wanderfahne der Regierung errungen. Er wurde mit dem „Banner der Arbeit“ ausgezeichnet. Seit 1951 stieg die Arbeitsproduktivität aufs Doppelte.

Die Erfolge der Pumpenwerker sind kein Geheimnis, sie sind das Produkt der Wahrheit unserer Tage, die besagt, dass den Arbeitern die Produktionsmittel gehören, dass sie also unmittelbar am Gedeihen ihres Betriebes interessiert sind. Der Kapitalist kann die modernsten Maschinen anschaffen und die raffiniertesten Antreiber- und Kontrollmethoden erdenken, er kann die Ware Arbeitskraft kaufen, aber nie kann er den Arbeiter veranlassen, für ihn zu denken und zu fühlen.

Eben das tun die Pumpenwerker für ihren Betrieb.

Alle sind irgendwie an der Entwicklung des Betriebes beteiligt, die meisten fördernd, manche hemmend. Alle haben aber Wünsche, Hoffnungen, Forderungen.

Da ist eine Gießerei mit allen Gebrechen eines Greises: der Kupolofen ist asthmatisch, die Maschinen, soweit vorhanden, sind ausgemergelt, und wenn’s regnet, hat das Dach Schnupfen und tropft.

Ein Mann mosert: „Da redet ihr immer, wir Gießer würden einst in weißen Kitteln arbeiten, ihr spinnt von einer vollmechanischen Gießerei, dabei könnt ihr nicht mal Platz schaffen für den zweiten Trockenofen in der Kernmacherei …“

Einmal wird die Regierung eine moderne Gießerei bauen lassen, aber sie wird Millionen kosten.

Woher soll das Geld kommen?

Über der Maschinenhalle, in einem Büro, hat die Wohnungskommission Sprechstunde. Im Flur eine lange Stuhlreihe, und auf den Stühlen Menschen mit Hoffnungen. Ein Mädchen kommt: „Gebt mir eine Wohnung, ich will heiraten!“ Ein Ehepaar: „In unserer Wohnung ist der Schwamm, wir müssen ziehen!“ Der nächste: „Jeden Tag habe ich zwei Stunden Fahrt zur Pumpe, lasst mich in Halle wohnen!“ Der Vorsitzende, Dreher Bein, tut, was er kann – und das ist wenig, gemessen an den Ansprüchen.

Einmal wird jeder eine schöne Wohnung haben, doch diese Wohnungen wollen erst gebaut sein.

Wo kommen die Bauarbeiter her?

Unterm Kran, wo Männer eine große Kiste mit Adresse Moskau hieven, droht einer dem vorbeistakenden Röder. Das Drohen ist freundlich. „Du Schecks (Bruder), komm mir nicht zu nahe!“ „Bist ja noch ganz blass, alte Krepelmähre!“, sagt Röder. Er hatte am Morgen nach einer Nachtübung die in einem Saal schlafenden Genossen der Kampfgruppe mit einem Kanonenschlag geweckt. Für alle Fälle müsse man das gewöhnt sein, hatte der Alte gesagt …

Mancher flucht ob des Dienstes in der Kampfgruppe; neben der Frau im Bett liegen ist nun mal angenehmer, als von Röderschen Kanonenschlägen geweckt zu werden. Aber um sorgloser schlafen zu können, müssen wir unüberwindlich stark sein.

Wie erreichen wir diese echte Stärke?

Alles wird vom großen „Wie“ entschieden: Wie gut wir arbeiten, wie ehrlich wir zur Klasse stehen.

DER MENSCH ÄNDERT SICH

Wie der König der Dreher entthront wurde, und die Geschichte von dem Mann, der noch ein dreifaches Bewusstsein hat

In der Mitte der Maschinenhalle, jenem viel zu engen Raum, der einst nicht für diesen Produktionszuwachs eingerichtet war und den volkseigenen Betrieb zwickt wie ein Konfirmandenanzug den Jüngling, in der Mitte dieser Halle steht eine Spitzendrehbank, die sich durch ihre Größe und eine gewisse technische Schönheit von den anderen Maschinen abhebt. Wer an dieser wertvollen, komplizierten Drehbank arbeiten möchte, muss ein ausgezeichneter Fachmann sein und die Lohnstufe sieben, zumindest aber sechs erklommen haben.

Vor fünf Jahren kam ein neuer Mann an diese Maschine. Er war nicht unbekannt. Verschiedene Zeitungen hatten über die vorbildlichen Leistungen des Arbeiters geschrieben, und eine gab ihm sogar den ehrenvollen Titel „König der Dreher“. So stellte sich auch der grauköpfige alte Fachmann in der Dreherei vor: „Gestattet – ich heiße Erich Lösche, ihr habt von mir schon gelesen.“

Wer das Folgende hört, könnte annehmen, die Welt sei auf den Kopf gestellt. Dabei zeigt die Geschichte nur, wie kompliziert der Weg zum Sozialismus ist, dass die Entwicklung des Bewusstseins bei einzelnen nicht immer geradlinig und ohne Schwankungen verläuft. Andererseits beweist sie, wie umfassend und immerwährend die Atmosphäre des sozialistischen Betriebes auf uns einwirkt, wie sie uns erzieht, wie sie schöpferische Kräfte freilegt – und das manchmal aus merkwürdigen Anlässen.

Damals also waren die anderen Dreher ob der eigentümlichen Vorstellung verwundert, aber sie sagten sich, mein Gott, jeder hat seine Schrullen, Hauptsache, er kann etwas.

Und Erich Lösche verstand sein Fach! Kam eine komplizierte Sache: Lösche erhielt sie. Saubere Arbeit! Manchmal schickte ihn der Betrieb in andere Werke, einmal sogar nach Dessau, wo eine Sechs-Meter-Welle lag, an die sich keiner herantraute. Der „König der Dreher“ machte seinem Namen alle Ehre.

Doch seine Schrullen gebaren Junge, er sah auf die anderen von oben herab und nannte sie Anfänger. Der Konflikt war da. Die Jungen begannen, den anerkannten, aber eingebildeten Fachmann ungern zu sehen.

Eines Tages nun wurde das Pumpenwerk von einem auswärtigen Betrieb gebeten, zwei schwierige Wellen zu drehen. Lösche wurde zurate gezogen. „Ich mach’s. Zeitvorgabe sechsunddreißig Stunden für jede!“ Die erste war nach der angeforderten Zeit fertig.

Da kam das dicke Ende: Der Auftraggeber erklärte, sechsunddreißig Stunden ist zu viel Zeit, die Hälfte hätte reichen müssen, wir bezahlen die Rechnung nicht!

Lösche protestierte. Wie kann man ihm, dem König der Dreher, solche Vorschriften machen!

Aber da lag ja noch die zweite Welle, und eh sich’s der Dreherkönig versah, meldete sich einer der „Anfänger“ für die Bearbeitung, vielleicht auch ein bisschen vorgeschubst von seinen Kollegen.

Hans Hofmann, ein Neunundzwanzigjähriger, dessen zweirädrige Braut „Jawa“ hieß und der deshalb damals für eine richtige Frau noch keine Zeit hatte, Hans Hofmann, der vorher kaum von sich reden machte, brauchte für die Welle zwölf Stunden bei gleicher Qualität.

Der König der Dreher war entthront! Er hatte sich verspekuliert, als er sich sagte, lass dir Zeit, du bekommst die Arbeit sowieso nach dem Durchschnitt des Leistungslohnes bezahlt. Der wiederum war nach der Methode der unehrlichen Minuten aufgebaut.

Kollege Lösche musste von der Werkleitung verwarnt werden, weil er aus dem großen Topf mehr haben wollte als ihm zustand. Wusste er nicht, dass er seine Kollegen geschädigt hätte, unser gesamtes Volk – das der Besitzer dieses Betriebes ist –, wenn seine Spekulation geglückt wäre?

Erich Lösche reagiert bitter, kommt heute jemand auf diese Frage zu sprechen, und erklärt: „Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und ich bin für unsere Arbeiter-und-Bauern-Macht! Aber da gibt es Meister, die waren einst Nazis! Ist das gerecht? Die bleiben doch, was sie einst waren, die ändern sich nie!“

Die Menschen ändern sich nie?

Vor nunmehr fast vierzig Jahren, das Feuer der Revolution brannte lichterloh, fand ein junger Arbeiter zur Arbeiterbewegung und kämpfte auf der Straße und wo man ihn hinstellte für das große Ideal: die wahre Demokratie, die Diktatur des Proletariats. Dieser Arbeiter hieß Erich Lösche.

Dann war das erste Etappenziel erreicht, die Arbeiter-und-Bauern-Macht errichtet, die Betriebe in Volkes Hand gegeben – und der Klassenkämpfer Lösche wusste mit der neugewonnenen Macht nichts anzufangen. Er entfernte sich von der Partei, die sich schließlich von ihm trennen musste. Und wenn er heute bestimmte soziale Reformen und vor allem weitere Vergünstigungen für Rentner fordert, so vergisst er zu fragen: Wer schafft denn die dafür notwendigen Mittel, wenn nicht die Arbeiter und die Bauern in Verbindung mit der Intelligenz? Und was tust du dafür?

Es ist tragisch, wie sich der Klassenkämpfer Lösche verändert hat. Jahrelang haben die Genossen um ihn gerungen, damit er zurückfinde.

Und Hans Hofmann? Privat: richtige Braut gefunden! Betrieblich: Wenn eine Neuerermethode auszuprobieren ist, geht Genosse Wilhelm Völksch vom Büro für Erfindungswesen zu Hans, der sie als erster anwendet, er, der nie „auffiel“.

Der Mensch ist das Produkt seiner Umgebung, lehrt Karl Marx, und wenn auch mancher moralisch sinkt, die meisten Menschen wachsen, geformt von der sozialistischen Gesellschaft mit ihren sozialistischen Betrieben, die wie Schmelztiegel wirken.

In der Malerei arbeitet Heinrich Brenn, sechsfacher Aktivist und seit kurzem Verdienter Aktivist. Diesen Mann hat das Leben herumgestoßen, gedemütigt und wieder gehoben. Er hungerte auf allen Landstraßen Deutschlands, betrog den Magen mit Ziehharmonikamusik, bedeckte sich nachts mit dem Samt des Himmels. Nie war der gelernte Maler wählerisch, die Zeit ließ das nicht zu, und als der Silberstreifen Stresemanns oxidierte, war Eisverkaufen und Straßefegen schon Glück ohne Maß. Dann zerrann auch dies.

Vier Jahre arbeitslos! „Wir würden Sie einstellen, Herr Brenn, aber Ihre völkische Gesinnung müssten Sie schon bekunden!“ Brenn „bekundete“, wurde Stahlhelmer und später SA-Mann. Er bekam Lohn und Brot und zahlte die Zinsen dafür nach Hitlers Ende mit sonntäglichem Sühnedienst: Leichen aus Kellern zerbombter Häuser bergen.

Als 1949 sein Betrieb volkseigen wurde, machte er den ersten Verbesserungsvorschlag. Gering waren Ersparnis an Zeit und Material. Doch der letzte Vorschlag von den vielen, die er eingereicht hat, wird dem Werk zweiundzwanzigtausend Mark Nutzen im Jahr bringen.

Wenn dieser Mann nach Hause geht, beginnt seine zweite Schicht, sozusagen die Denkschicht. Gnade den Kindern und Enkeln, wenn das Familienoberhaupt tüftelt! „Schert euch raus!“

Nachts wacht der Mann auf und macht Licht.

„Bist du mondsüchtig geworden?“, fragt erschrocken die Frau. „Mir ist bloß etwas eingefallen!“, sagt der Mann, notiert es und dreht sich wieder um.

So ist Heinz Brenn genau der Typ des Aktivisten, den der kleine Moritz in Westdeutschland von seinen Zeitungen vorgemalt bekommt: immer unruhig, ein Mann ohne Feierabend. Aber was der kleine Moritz nicht weiß, weil es ihm seine Zeitungen aus Unwissenheit oder Böswilligkeit vorenthalten, das sind die Beweggründe für solchen Eifer. Glorienschein und Posaunenklang für Herrn Fabrikbesitzer Meyer, der – ach – für seinen Betrieb voll aufgeht und so fürs Brot der Kollegen „Sozialpartner“ sorgt! Aber wie könnte man gestehen, dass der Malerbrigadier Heinrich Brenn auch Fabrikbesitzer ist und darum sich „immer im Dienst“ fühlt?

Weit war der Weg vom irrenden Arbeiter zum Genossen unserer Partei und Verdienten Aktivisten. Beim ersten Verbesserungsvorschlag war’s nur die Prämie, die lockte, beim zweiten die Lust, nützlich zu werden, bei den folgenden das ständig wachsende Gefühl, endlich ein Mensch zu sein, dessen Gedanken zählen, ein freier Mensch.

Freilich hapert’s noch an manchem bis zum untadeligen Vorbild. Und so sagen einige Pumpenwerker scherzhaft: „Unser Heinrich ist ein patenter Kerl, wenn er nur nicht noch ein dreifaches Bewusstsein hätte: Das sozialistische im Betrieb ist in Ordnung, aber das feudalistische, wenn er die Familie kommandiert, und das kapitalistische, wenn er einen hebt – die sollte er sich abgewöhnen.“

Warum sollte Heinrich Brenn nicht auch darin die zurückliegenden „Epochen“ überwinden? Warum sollte Erich Lösche nicht zurückfinden? Der Mensch ändert sich doch. Er wächst.

VOM STAATSBEWUSSTSEIN

Wie der Direktor mit dem „Großen Hund“ einig wurde

Am Vormittag des Silvesters 1957 telefonierte die Fernmeldetechnikerin Sigrid Schmidt mit der Sekretärin ihres Mannes, der Genossin Christel Schwanecke, und bat: „Steck doch dem Werner ein paar trockene Brötchen zu, du weißt doch …“ Natürlich „wusste“ Christel, und sie erfüllte den Wunsch.

So ausgerüstet, trat der Direktor des Pumpenwerkes, ein dreiunddreißigjähriger hagerer Mann, den letzten Rundgang des Jahres an, und, hol’s der Kuckuck, wo er sich auch sehen ließ, ob in der Gießerei oder in der Buchhaltung, kurz vor Feierabend kamen hier eine Flasche Bier und dort ein Schnäpschen zum Vorschein.

„Zum Wohlsein, Herr Schmidt!“

„Auf neue Erfolge, Werner!“

„Aufs nächste Jahr, Genosse Schmidt!“

Zwischendurch, wenn’s niemand sah, knabberte er brav trockene Brötchen, wie es die Frauen fürsorglich befohlen hatten, und so wurde das Schlimmste verhindert. Denn nicht alle freundlich gebotenen Gläschen konnte man nach diesem erfolgreichen Jahr abschlagen.

Fast eine Million Mark Reingewinn für Haushaltsvorstand Staat und seine Familie! Exportplan: Erfüllt! Gesamtproduktion: Acht Prozent drüber. Selbstkostensenkung: Zwei Prozent mehr als verlangt! Die Arbeitsproduktivität wuchs in diesem Jahr schneller als der Lohn, sie stieg seit 1951 auf einhundertfünfundneunzig Prozent, oder mit anderen Worten: Jeder Arbeiter und Angestellte produziert heute gegenüber dem Jahre 1951 das Doppelte!

Nach Dienstschluss schlenderte der Direktor durch die dämmerigen Straßen, wie er es jeden Morgen und Abend tut, weil das Laufen für die Gesundheit gut ist und man dabei – und das besonders heute zur persönlichen Jahresabschlussbilanz – so.„scheene“ denken kann, wie die Hallenser sagen. Und während das kribbelige Leben ringsum anschwoll – Ouvertüre zur Silvesternacht –, philosophierte er: Da warst du mal selbst Arbeiter, Schlosser, bevor die Partei beschlossen hat, du sollst Direktor werden. Wie ist das nun, Freund, handelst du noch als Arbeiter?

Schwer ist es oft, den Direktor und den Arbeiter in einem Herzen zu vereinen. Der Direktor schielt allzu gern nach einem großen Schreibtisch mit einer Batterie von Knöpfen: Drück auf Knopf 7 b, und die Sache mit den Normen ist angeordnet und damit – eins, zwei, drei – schon „durchgezogen“. Der Arbeiter dagegen fordert: Was, du willst ein Arbeiter gewesen sein und gönnst mir nicht meine zweihundertzwanzig Prozent Normerfüllung und sagst, sie sei unehrlich zustande gekommen? Lass mir die gute Norm, sie ist so schön bequem!

Aber was bringt es ein, wenn im Herzen dieser schlechte Direktor siegt, der Bürokrat, der Tyrann? Die Schwachen liegen vor dir auf dem Bauch und lecken die Schuhe. Die Starken grollen: Der will nun Direktor eines volkseigenen Betriebes sein. Sie sagen dir den Kampf an! Nie wird unter solchem Direktor ein Kollektiv entstehen, das große Leistungen vollbringt, genausowenig wie unter einem, der jedem onkelhaft auf die Schulter klopft, am Biertisch Klassenverbundenheit mimt und bei jedem lieb Kind sein will. Den machen die Heuchler schnell zum Stammvater und die schlechten Arbeiter zum Paten; die guten verachten ihn.

Und wenn der schlechte Arbeiter in deinem Herzen siegt, jener, der nur seinen augenblicklichen geringen Vorteil sieht, der vom Lohnbüro bis zum nächsten Bockwurststand reicht – wie kannst du dann noch als Genosse und Staatsfunktionär ruhig schlafen, da du weißt, dass für den Sieg des Sozialismus über die kapitalistische Gesellschaftsordnung nur die höhere Arbeitsproduktivität ausschlaggebend ist, die letztlich größeren Wohlstand für alle bringt!

Schwer ist das oft, sozialistischer Direktor zu sein.

Kam eines Tages Kollege „Q“, Gütekontrolleur Smesny, aufgeregt angelaufen. Die Gießerei hat ein großes, sechs Tonnen schweres Gussstück versaut. Ausschuss durch Versagen der Brigade Gottschalk. Sechstausend Mark Einbuße. Was tun? Den sonst so tüchtigen Männern die Sache unter die Nase reiben und obendrein für diese Arbeit pro Stunde nur fünfzig Pfennig zahlen, wie’s im BKV ausgemacht ist – oder ein Auge zudrücken, des lieben Friedens willen?

Und das Gussstück wird in die Gießereihalle gelegt. Scheele Blicke, Erregung. Die, die weniger gut arbeiten, zischeln: „Passt auf, die woll’n euren Lohn stehlen!“ Und du stehst als Direktor da und sollst gleichzeitig als Arbeiter handeln, auch im Interesse jener, die das Stück verpatzt haben. Und sprichst: „Also, Männer, was sagt ihr dazu?“

Schweigen. Die Gießer, jeder ein Fachmann, sehen sich das Ding an, schütteln den Kopf, debattieren. Nach einer Weile tritt der Brigadier Gottschalk vor, ein Mann, der sich um Politik einen Dreck kümmert, ein Hüne von Gestalt. Sie nennen ihn wegen seiner Kraft und seiner lauten Stimme „der große Hund“, also ist das kein unfreundlicher Spitzname. Der große Mann stammelt: „Ich habe das gemacht – jawohl – ich verspreche – besser aufzupassen – mache das Stück ohne Bezahlung nach!“

Und er hielt mit seiner Brigade Wort, unterstützt von anderen Genossen der Gießerei.

Wenige Zeit später, beim üblichen Rundgang, fragst du: „Siehst so verbittert aus, Kollege Gottschalk, hast du Sorgen?“ Und denkst: Ist der Brigadier böse?

Der Hüne stürzt mit rudernden Armen auf dich zu – erstaunlich, wie beweglich und temperamentvoll der Mann ist – und donnert: „Ich, Sorgen? Nicht, die du denkst! Im Betrieb: Alles in Ordnung! Aber ich habe doch ein Haus. Meine Mieter wollen nicht zahlen, ein Ärger ist das, Teufel! Ich schmeiß zwanzig Mark Handgeld, wenn du es fertigbringst, dass meine Mieter die Mietverträge einhalten. Gerechtigkeit will ich!“

Ein feines Gefühl für Gerechtigkeit hat jeder anständige Arbeiter. Bau auf dieses Gerechtigkeits- und Ehrlichkeitsgefühl, und du baust auf festem Grund. Und mehr Arbeiter, als mancher denkt, begreifen: Ihre Interessen werden verteidigt, wenn du als Direktor die Sache des Betriebes und damit die des Staates prinzipienfest vertrittst.

Da ist zum Beispiel die Pumpentype Z 32, die verhältnismäßig viel gebaut wird. Sie ist zu teuer und kommt deshalb auf dem Weltmarkt nicht recht mit. Du lässt nachkalkulieren und erkennst, dass bei einigen Arbeitsgängen die Norm ständig doppelt erfüllt wird.

Nun gibt es Arbeiter, wie den Dreher Genossen Walter Lange, die gehen von selbst zu den Technologen und sagen: „Hört mal, Freunde, meine Norm bei diesem und jenem Teil ist unehrlich, ändert das mal.“ An diese Ehrlichkeit muss man anknüpfen, denn wer gibt uns das Recht, die bewussten Arbeiter in Unehrlichkeit zu belassen? Muss ich nicht als sozialistischer Direktor ihren guten Willen unterstützen und von mir aus daraufdringen, dass die unehrlichen Normen schnellstens überprüft werden?

Du kannst dich auf die Arbeiter verlassen, wenn du ehrlich zu ihnen bist und geradeheraus – und im Übrigen selbst beispielhaft arbeitest. Ist der Direktor in allen Dingen pünktlich, eifern ihm die Ingenieure und Meister nach; sind es die Meister, stehen die Arbeiter nicht hintenan. Vereinfacht: Wenn man mit deutscher Pünktlichkeit das Werktor passiert, wird der Exportplan mit sozialistischer Pünktlichkeit erfüllt!

Hol der Teufel die Pünktlichkeit, manchmal ist sie „schädlich“. Da richtet man als Werkleiter für die Mitglieder der Werkleitung eine „Strafkasse“ ein, deren Inhalt zum Aufbau eines werkeigenen Wohnhauses beitragen soll. Aber die Kasse nimmt nicht zu, weil jeder selbst zu den Sitzungen die Minuten achtet …

Genosse Werner Schmidt, der sozialistische Direktor, geht durch die Straßen der Innenstadt jenem Hause zu, in dem er mit Frau und Schwiegermutter eine bescheidene Etagenwohnung innehat, und ihm fällt ein, wie er 1949 zum ersten Male dem damaligen BGL-Vorsitzenden Otto Röder gegenüberstand. „So, Kläje willste?“, hatte Otto Röder gefragt. „Was kannste denn kläjen?“

„Ein bisschen schlossern kann ich, hatte zwei Jahre gelernt, wollte Ingenieur werden, aber dann kam der Kommis und die Quittung: fünf Jahre Gefangenschaft. In Russland Waldarbeiter, Traktorist, Bergmann …“

Werner Schmidt wurde als technischer Zeichner mit einem Anfangsgehalt von hundertfünfzig Mark eingestellt. Nach Feierabend machte er die Gesellenprüfung. Die Partei nahm ihn 1950 auf, schickte ihn zur Schule. Drei Jahre später: „Liebe Schwiegermutter, Ingenieur Werner Schmidt bittet um die Hand deiner Tochter!“

„Jessus“, rief sie, „hat nur Flicken auf’n Hintern und will heiraten.“ Und als die Partei 1955 beschloss: „Genosse Schmidt, du bist Direktor!“, stieß die Schwiegermutter hervor: „Direktor sollst du werden? Ausgeschlossen, das geht nie und nimmer gut!“

Wie war das doch, was der Staatssekretär damals sagte: „Man kommt nicht als Direktor auf die Welt. Es ist immer ein Experiment, so etwa: Wir halten dich übers Wasser und lassen dich reinplumpsen. Du musst schwimmen lernen!“

Werner Schmidt ging im Planschbecken für Direktoren nicht unter, weil er den Auftrag der Arbeiterklasse ernst nahm und lernte: von der Partei, den Arbeitern, dem Leitungskollektiv des Werkes. Und für die Theorie sorgt das Fernstudium an der Hochschule für Außenhandel. Durchschnittszensur 2,2, errungen in Nachtarbeit. Da weckt ihn morgens die Frau, der Mann setzt sich auf und schläft in dieser Stellung wieder ein …

Sozialistischer Direktor sein ist eben nicht immer leicht. Und als Werner Schmidt die Treppen hochsteigt, denkt er: Gott sei Dank, dass heute Silvester ist, da brauche ich hoffentlich keine Kohlen mehr aus dem Keller zu holen …

DIE ALLGEGENWÄRTIGE KRAFT

Von der führenden Rolle der Partei, und die Sache mit den unehrlichen Minuten

Alte Genossen sitzen beisammen, und ihre Gespräche holen Versunkenes aus dem Meer der Vergangenheit. Willi Bernhardt, der Einundsechzigjährige mit dem schlohweißen Haar, der Vorgänger des jetzigen Werkdirektors der Pumpenwerke, Mitglied der Arbeiterpartei seit 1915, erzählt. Einst war er als roter Matrose Soldatenrat, kämpfte gegen Kapp und durchlitt 1921 die qualvollen Stunden im Leuna-Silo, wo die letzten Kämpfer der Märzaktion auf den Tod warteten.

„Einmal, 1929, kandidierte ich für die SPD als Stadtverordneter. Das bekam der Fabrikbesitzer spitz, bei dem ich als Meister arbeitete. Er bestellte mich ins Büro. ,Ich höre, Sie wollen Stadtverordneter, roter Stadtverordneter werden! Ich rate Ihnen: Legen Sie die Kandidatur nieder – oder ich muss Sie entlassen!'

.Aber warum denn?', wollte ich wissen.

,Ja, meinen Sie im Ernst, ich lasse mir von einem meiner Angestellten vorschreiben, wie viel Steuern ich zu bezahlen habe?', erklärte der Ausbeuter.

Nicht im Traum wäre mir eingefallen, meine Klasse zu verraten. Ich wurde fristlos entlassen …“

Unzählige Arbeiter der volkseigenen Pumpenwerke haben früher ähnliches am eigenen Leibe erfahren, und sie denken an den Genossen Ernst König, den die Nazis legal ermordeten, weil er für die Befreiung der unterdrückten Menschen kämpfte. Und dennoch siegte die Idee von Marx und Lenin! Sie, von der Ausbeutergesellschaft gefürchtet und gehasst, ist heute die allgegenwärtige, die Menschen mobilisierende Kraft auch im Pumpenwerk. Ohne sie wären die Erfolge der Pumpenbauer nicht möglich. Im Wirken der Partei wird diese Kraft am deutlichsten spürbar.

Manchmal sieht man wenig von organisierter Parteiarbeit – dem Schlosser Genossen Fritz Heinrich und dem Dreher Genossen Karl Stöbe ist die Zunge wie Blei, wenn sie Versammlungen in ihrer Gruppe leiten sollen. Aber in ihrer Arbeit machen sie die Idee lebendig, und zwischen zwei Frühstücksbroten fällt das richtige Wort. Darum ist die Partei angesehen. Wenn zum Beispiel der Maler Werner Gätschmann, ein ehemaliger Flieger, von seinem Brigadier Heinrich Brenn spricht, der würde nicht ins „Mauseloch“ kriechen und sich mit einem „rumbalgen“, dann weiß Werner Gätschmann, dass mit der Stimme Heinrich Brenns die Partei geantwortet hat.

Allgegenwärtig ist die Partei! Sie mahnte in der Parteileitungssitzung den Direktor durch den Mund des Gießers Genossen Reinhold Warnecke, sorgsamer bei Kaderfragen zu sein; sie organisierte, als die Erfüllung des Exportplanes gefährdet war, wöchentliche Besprechungen, die den Willen der Arbeiter inspirierten, mit dem Erfolg, dass zum Jahresende alle Rückstände aufgeholt waren; sie interessierte über die jungen Genossen die Jugendlichen des Betriebes, ein „Konto junger Sozialisten“ einzurichten, für das von Jugendlichen zehntausend Mark aus Ersparnissen von Betriebsmaterialien und so weiter aufgebracht werden sollten; sie half über den Genossen Wilhelm Völksch dem jungen Dreher Hans Hofmann – der Mann, der den „König der Dreher“ entthronte – beim Einführen von Neuerermethoden; sie gab in Menschen wie dem alten Genossen Otto Röder Beispiele an Klassenverbundenheit, Mut und Treue.

Und es geschieht auch folgendes: Der Parteisekretär Kurt Trabhardt geht bei einem seiner Betriebsrundgänge auf den Dreher Kocich zu und sagt: „Hans, her mit dem fälligen Kasten Bier.“

Hans spielt den Ahnungslosen und entgegnet: „Ich weiß von keinem Kasten Bier!“

„Was“, plustert sich der Parteisekretär künstlich auf, „du weißt von nichts? Komm, ich werde deinem Gedächtnis nachhelfen.“

Trabhardt geht zum Werkzeugschrank der Drehbank, an der er einst stand, und macht die Tür auf. Im Allgemeinen ist so eine Tür ölverschmiert, wie man das kennt, aber an dieser sind einige Stellen verdächtig blank. „So ein Gauner“, stößt der Parteisekretär hervor und lacht, und Walter Göhre, der jetzt an der Maschine des Sekretärs arbeitet, sagt: „Den Wettvertrag hat Hans längst abgeschabt!“

Es war nämlich so gewesen, dass Hans Kocich, den die Geburt des ersten Kindes so mächtig mitgenommen hatte, als hätte er es selbst bekommen, damals Stein und Bein schwor, auf keinen Fall ein zweites Kind zu planen. Er schloss eine Wette mit dem damaligen Dreher und jetzigen Parteisekretär ab, obgleich der gar kein Bier trinkt.

Sakra, denkt Hans Kocich, lacht und schielt zu dem Parteisekretär, der mit drohender Faust abzieht, und ich hätte gewettet, der würde meinen „Rückfall“ und „Planungsfehler“ nicht merken …

Allgegenwärtig ist die Partei! Als in Versammlungen der Gewerkschaftsgruppen der neue Betriebskollektivvertrag ausgearbeitet wurde, standen neben den Genossen parteilose Arbeiter und gingen Verpflichtungen zu Ehren des V. Parteitages ein, Genossen wie Parteilose sprachen über soziale Fragen und über politische Formulierungen. In einer Gruppe aber trat der Genosse Fricke auf und sagte etwa: Also, Kollegen, ihr habt von der Kulturkonferenz unserer Partei gehört, und ihr kennt auch in Halle die Diskussion über Fragen der Kunst.

Nun ist es einfach, über die Künstler zu schimpfen, und einfach ist es auch, Liebeserklärungen zu machen und zu sagen: Kollege Künstler, wir müssen mehr zusammenhalten! Vielleicht auch ganz allgemein: Kommt doch zu uns, ihr lieben Künstler!

So genügt das nicht, Kollegen! Von Führung der Arbeiterklasse soll man nicht nur sprechen, man muss sie vor allem ausüben! Deshalb schlage ich vor, eine entsprechende Formulierung im BKV vorzunehmen und auch Mittel für den Ankauf von Bildern, für die Durchführung von Ausstellungen und vielleicht auch für die Anleitung unserer Laienmaler vorzusehen.

Der Küchenchef und andere Kollegen stimmten dem Antrag zu und beschlossen, ihn an die BGL weiterzureichen.

Und doch gibt es auch im Pumpenwerk Auseinandersetzungen wie diese hier in der Maschinenhalle, wo Meißel über eiserne Pumpenkörper hobeln, Drehbänke kreischen, die Hämmer der Schlosser klicken. Am großen Horizontalbohrwerk ist Zeitaufnahme für ein neues Werkstück.

Joachim Fuchs, der Normenbearbeiter: „Was machst du jetzt?“ Ernst Scheffski, der Bohrer: „Kante brechen.“

Fuchs – nach einer Weile: „Zwei Minuten fuffzehn.“

Scheffski: „Mach’s nicht zu knapp, du lässt ja nicht mal Zeit für’n Donnerbalken!“

Fuchs: „Du kommst immer noch auf deine hundert Minuten in der Stunde, macht siebenhundertfünfzig Mark netto im Monat!“ Scheffski: „Red nicht, die brauch ich zum Leben. Macht die Butter billiger, zweifuffzig das Kilo, dann bin ich mit siebzig Minuten zufrieden!“

Fuchs: „Du sollst ja nicht mit der Leistung zurückhalten!“ Scheffski: „Weiß ich alleine. Ich meine ja: Senkt die Butterpreise, dann kannste die Normen anziehen.“