Die Kunst des Innehaltens - Pico Iyer - E-Book

Die Kunst des Innehaltens E-Book

Pico Iyer

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Beschreibung

Über den LUXUS der Entschleunigung In einer Welt voller Angebote und Möglichkeiten stellt sich der bekannte Essayist und Autor Pico Iyer dem letzten großen Abenteuer: der Kunst des Innehaltens, der Entschleunigung. Nachdem er selbst ein Leben lang unterwegs war, von den Osterinseln über Katmandu bis Kuba, zeigt er uns, wie wir in einer Welt der ständigen Beschleunigung durch das Innehalten, die Konzentration auf uns selbst, mehr Inspiration, Kreativität und Ausgeglichenheit erreichen können. Denn in einer Welt voller Ablenkung ist der größte Luxus, völlig bei sich zu sein. Mit stimmungsvollen Farbfotografien

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Seitenzahl: 63

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Pico Iyer

Die Kunst des Innehaltens

Ein Plädoyer für Entschleunigung

Aus dem Englischen von Irmengard Gabler

FISCHER digiBook

Fotos von Eydis Einarsdóttir

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

[Widmung][Foto von Eydis Einarsdóttir][Motto][Foto von Eydis Einarsdóttir]Einführung: Nirgendwo[Foto von Eydis Einarsdóttir]1 Reise nach Nirgendwo[Foto von Eydis Einarsdóttir]2 Skizzen der Stille[Foto von Eydis Einarsdóttir]3 Allein in der Dunkelheit[Foto von Eydis Einarsdóttir]4 Stille, wo sie am nötigsten ist[Foto von Eydis Einarsdóttir]5 Ein weltlicher Sabbat[Foto von Eydis Einarsdóttir]6 Heimkehr[Foto von Eydis Einarsdóttir]DankZu den FotosDer 14-minütige Vortrag von [...]Kleine Bücher – große Ideen![Mehr Information]

Für Sonny Mehta, der mir und so vielen anderen die Kunst, das Innehalten und die Beziehung der beiden zueinander nahegebracht hat.

Und wenn ich je wieder suchen sollte, wo mein Herzenswunsch geblieben ist, dann suche ich zuerst mal bei mir. Denn wenn er nicht da ist, habe ich ihn gar nicht erst verloren.

 

Dorothy in Der Zauberer von Oz

Einführung: Nirgendwo

Die Sonne streute Diamanten über das Meer, als ich zu den Wüsten des Ostens fuhr. Und während ich mich in das Gewirr aus Schnellstraßen wagte, die das Zentrum von Los Angeles verkleben und verstopfen, sang aus meinen Lautsprechern Leonard Cohen, mein Held seit Kindertagen, »So long Marianne«. Die grelle Wintersonne verbarg sich über eine Stunde lang hinter einer Mauer aus Grau, dann endlich tauchte ich wieder ins Helle.

Nachdem ich die Schnellstraße verlassen hatte, folgte ich labyrinthischen Nebenstraßen auf eine schmalere, kaum befahrene Landstraße, die sich zu dem hohen, dunklen Gebirge der San Gabriel Mountains hinaufwand. Schon bald fiel jede Erregung von mir ab. Los Angeles vereinfachte sich zu einer fernen Zackensilhouette.

Ganz oben – entlang der Straße tauchten jetzt Schilder auf, die das Werfen von Schneebällen untersagten – erreichte ich eine Ansiedlung aus grobgezimmerten Hütten, über einen Abhang verstreut. Ein kleiner Mann in den Sechzigern, gebeugt, mit kahlrasiertem Kopf, erwartete mich auf einem unebenen Parkplatz. Kaum war ich ausgestiegen, verneigte er sich tief und förmlich – als seien wir uns noch nie zuvor begegnet – und bestand darauf, meine Taschen in die Hütte zu tragen, in der ich viele Tage bleiben sollte. Sein dunkles, fadenscheiniges Mönchsgewand umflatterte ihn im Wind.

Im Schutz des Zimmers schnitt der Mönch frisch gebackenes Brot auf, um mich über meine »lange Fahrt« hinwegzutrösten. Dann setzte er einen Kessel auf für den Tee. Er sagte mir, er habe eine Frau für mich, falls ich eine wolle (ich wollte keine; ich hatte unterwegs eine gehabt).

Ich war hier heraufgekommen, um über das nahezu stille, anonyme Leben meines Gastgebers auf diesem Berg zu schreiben, doch im Augenblick fehlte mir noch jeder Sinn für diesen Ort. Ich konnte kaum glauben, dass der rabbinische Herr mit der Drahtgestellbrille und der Wollmütze in Wahrheit derselbe Sänger und Schriftsteller war, der dreißig Jahre lang weltweit den Ruf eines Herzensbrechers genossen hatte, eines rastlosen, weltläufigen Mannes, gekleidet in Anzüge von Armani.

Leonard Cohen hatte sich in dieses altweltliche Refugium zurückgezogen, um aus der Stille eine Lebensform – eine Kunst – zu machen. Und an dieser Vereinfachung seiner selbst arbeitete er ebenso unerbittlich wie an den Versen seiner Songs, an denen er bis zu zehn Jahre lang feilte, um sie zu perfektionieren. Als ich dort eine Woche zu Besuch war, brachte er den Großteil der sieben Tage und Nächte damit zu, in einem kahlen Meditationsraum stocksteif dazusitzen. Sein Klostername, Jikan, verweist auf die Stille zwischen zwei Gedanken.

Die übrige Zeit widmete er sich hauptsächlich einfachen Verrichtungen auf dem Gelände, spülte das Geschirr in der Küche und pflegte vor allem den japanischen Abt des Mt. Baldy Zen Center, Joshu Sasaki, damals achtundachtzig Jahre alt. Am Ende saß Cohen dann mit seinem langjährigen greisen Freund still da.

Eines Tages – es war vier Uhr morgens, Ende Dezember – unterbrach Cohen seine Meditation, um in meine Hütte zu kommen und mir sein Tun zu erklären.

Das Stillsitzen, sagte er mit unerwarteter Leidenschaft, sei wirklich »die intensivste Unterhaltung«, die er in seinen einundsechzig Jahren auf diesem Planeten gefunden habe. Eine »wahrhaft tiefe, lustvolle, köstliche Unterhaltung. Ein regelrechtes Fest.«

Nahm er mich auf den Arm? Cohen ist berühmt für seinen boshaften Witz.

Keineswegs, wurde mir klar, als er fortfuhr. »Was sollte ich auch sonst tun?«, fragte er. »Mit einer jungen Frau noch einmal von vorn anfangen und eine neue Familie gründen? Neue Drogen ausprobieren, noch teurere Weine kaufen? Ich weiß es nicht. Dieses Stillsitzen ist für mich der größte Luxus, eine geradezu verschwenderische Fülle in der Leere meines eigenen Daseins.«

Hochtrabende, gnadenlose Worte, typisch für ihn; dass er auf so freundschaftlichem Fuß mit der Stille lebte, tat seinem Talent für goldene Sätze offenbar keinen Abbruch. Doch die Worte hatten Gewicht, wenn einer sie sprach, der schon allen Vergnügungen dieser Welt nachgegangen war.

Sein Aufenthalt an diesem entlegenen Ort der Stille habe nichts mit Frömmigkeit oder Reinigung zu tun, beteuerte er mir; es sei für ihn schlicht der praktikabelste Weg, um Verwirrung und Schrecken zu bewältigen, die lange Zeit seine Bettgefährten gewesen seien. Mit seinem betagten japanischen Freund stillzusitzen, Courvoisier zu süffeln und bis spät in die Nacht den Grillen zu lauschen, kam dem dauerhaften Glück, das er gesucht hatte, wohl am nächsten, jenem Glück, das sich auch dann nicht verändert, wenn einem das Leben eine seiner üblichen Herausforderungen und Brüche beschert.

»Es gibt nichts Vergleichbares«, sagte Cohen über das Stillsitzen, als das Licht in die Hütte fiel. Dann erinnerte er sich vielleicht an sich selbst und schenkte mir ein knittriges, krummes Lächeln. »Es sei denn, du bist verliebt«, fügte er hinzu. »Wenn du jung bist, schieben die Hormone, das ist Aufregung genug.«

Nirgendwohin zu gehen, wie Cohen es beschrieb, war das großartige Abenteuer, das uns jeden anderen Ort erschloss.

* * *

Das Stillsitzen als ein Weg, um sich in die Welt und all ihre Erscheinungsformen zu verlieben – ich hatte es selten so betrachtet. Das Sich-nicht-von-der-Stelle-bewegen als ein Weg, um zu sich selbst zurückzufinden und wieder Zeit und Kraft für andere zu haben: Ich hatte zuweilen mit der Idee gespielt, doch hatte sie mich nie so sehr zu überzeugen vermocht wie im Vorbild dieses Mannes, der alles zu haben schien und der sein wahres Glück und seine Freiheit fand, indem er alles aufgab.

Einmal, spätnachts, als mein liebenswürdiger Gastgeber versuchte, mich den korrekten Lotussitz zu lehren – streng, aber entspannt –, suchte ich vergeblich nach Worten, um ihm zu sagen, dass mich das Meditieren nie gereizt hatte. Da ich seit dem Alter von neun Jahren auf eigene Faust Kontinente überquerte, hatte ich meine Freude immer in der Bewegung gefunden; ich war sogar Reiseschriftsteller geworden, um Arbeit und Vergnügen miteinander zu verbinden.