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Klimaschutz scheitert heute nicht mehr am fehlenden Wissen. Soziale Gerechtigkeit scheitert nicht am fehlenden Geld und Innovation scheitert nicht an zu wenig kreativen Köpfen. Woran scheitert unser Fortschritt in eine lebenswerte Zukunft aber dann? Er scheitert an Egoismus, Gier, Apathie und an einer irrationalen Angst vor Veränderung. Diese Aspekte werden im Nachhaltigkeitsdiskurs jedoch kaum berücksichtigt. "Die Kunst des Wandels" will das ändern und die inneren Gesetze des Wandels verständlich machen. Das sechsteilige Kompetenzmodell zeigt auf, wie Veränderungsprozesse auf menschlicher Ebene funktionieren und welche inneren Kompetenzen wir brauchen, um eine nachhaltige Zukunft zu erschaffen. Zusätzlich zu den Erfahrungen und Forschungsergebnissen der Autoren bietet das Buch sieben Experteninterviews mit Gästen aus Wissenschaft und Wirtschaft. Sie machen bewusst, dass jeder äußeren Transformation eine innere und persönlichkeitsbezogene Entwicklung vorangehen muss. Wie dieser Wandel auf persönlicher, gesellschaftlicher und organisationaler Ebene gelingen kann, davon handelt dieses Buch.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Stefan Stockinger/Julia Buchebner
Die Kunst des Wandels
Sechs innere Schlüsselkompetenzen für zukunftsfähige Menschen und Organisationen
Verlag W. Kohlhammer
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Umschlagabbildung: Photocreo Bednarek – stock.adobe.com
1. Auflage 2025
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-045210-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-045211-4
epub: ISBN 978-3-17-045212-1
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Cover
Vorwort
1 Innere Kompetenzen als Fundament der Zukunft
Einleitung
Mentale Modelle
Die innere Dimension der Nachhaltigkeit
Sechs innere Zukunftskompetenzen
Quick Reference Guide
2 Inner Future Skills
Die integrale Haltung
Grundlagen
Die integrale Haltung und ihre sozialökologische Dimension
Die Integrale Haltung und ihre ökonomische Dimension
Interview mit Stefan Enzler
Selbstreflexion
Grundlagen
Selbstreflexion als Future Skill
Selbstreflexion in Organisationen
Interview mit Christine Wamsler
Selbstwirksamkeit
Grundlagen
Selbstwirksamkeit als Future Skill
Selbstwirksamkeit in Organisationen
Interview mit Sylvia Brenzel und Alfred Strigl
Emotionale Kompetenz
Grundlagen
Emotionale Kompetenz als Future Skill
Emotionale Kompetenz in Organisationen
Interview mit Maja Storch
Beziehungsfähigkeit
Grundlagen
Beziehungsfähigkeit als Future Skill
Beziehungsfähigkeit in Organisationen
Interview mit Wolfgang Kradischnig
Achtsamkeit
Grundlagen
Achtsamkeit als Future Skill
Achtsamkeit in Organisationen
Interview mit Maren Michaelsen
Sinnstiftung
Grundlagen
Sinnstiftung als Future Skill
Sinnstiftung in Organisationen
Interview mit Alexandra Traun
IFS, Demokratie und künstliche Intelligenz
Inner Future Skills und Demokratie
IFS und künstliche Intelligenz
3 Transformative Lernprozesse
Grundlagen
Transformative Lernprozesse in der Praxis
Drei Voraussetzungen
Beispiel für einen mehrtägigen Kurs
Forschungsprojekt zu transformativen Kompetenzen
Forschungsergebnisse
Weltbild der Verbundenheit
Das Mindset-Problem
Weltbild der Verbundenheit
Abschluss
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
wie schafft man es, zwei hochmotivierten und seit über 15 Jahren in der Nachhaltigkeit engagierten Personen die Motivation zu nehmen?
Wir – Julia & Stefan – wollen dazu gerne aus dem Nähkästchen plaudern in der Hoffnung, dass du manche unserer Erfahrungen nachvollziehen kannst.
Ein wirklicher Dämpfer in Sachen Motivation sind der tägliche Schwall an »Bad News«. Wenn wir unachtsam im Internet surfen und uns zu viele Schreckensnachrichten aus aller Welt ansehen, kommen wir irgendwann in einen Zustand, indem das Glas plötzlich nicht mehr halbvoll ist, sondern halbleer. Dann ist die Motivation, sich aktiv für eine bessere Zukunft einzusetzen, schnell weg.
Eine schmerzhafte und erst kürzlich erfahrene Motivationsbremse ist es auch, wenn man sich geschäftlich mit Personen einlässt, die nicht ehrlich mit einem sind. Nach Außen geben sie sich als bewusste und kooperative Change Maker. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar, dass das meiste nur Fassade ist und man lieber schnell das Weite suchen sollte. Tut man das nämlich nicht, sind der finanzielle und zwischenmenschliche Schaden groß und die Motivation im Keller.
Was uns allerdings am meisten ausbremsen kann ist die Tatsache, dass das Gros der Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik noch heute, 2024, die Nachhaltigkeit als rein äußere Angelegenheit betrachtet. Dass noch immer zu viele Organisationen Zukunftsfähigkeit fast ausschließlich mit neuen Technologien in Verbindung bringen. Und dass sich unsere derzeitigen Vordenkerinnen vor allem zukunftsfähige Autos, Energiesysteme oder KI wünschen, jedoch keine zukunftsfähigen Menschen. Und so drehen sich unsere Visionen der Zukunft stets um eine hoch technologisierte Welt, in der sich alles geändert hat. Alles, außer uns Menschen. Wir Menschen sind darin die gleichen geblieben. Gleich unachtsam, gleich unbewusst, gleichgültig gegenüber dem Leben anderer Menschen, Lebewesen oder der Erde selbst.
Wie schafft man es nun, zwei demotivierte Personen wieder für die Nachhaltigkeit zu motivieren?
Ganz einfach: Indem man sie mit den Geschicken innerer Arbeit vertraut macht. Innere Arbeit ist die Arbeit am Menschen selbst. Die Arbeit an dir selbst! Wer sich einmal tief und intensiv mit sich selbst beschäftigt hat, wird sich von Bad News und schlechten Geschäftspartnerinnen nicht mehr so schnell entmutigen lassen. Resilienz ist also einer der großen Benefits innerer Arbeit.
Doch innere Arbeit kann noch viel mehr! Eines der größten Probleme unserer heutigen Gesellschaft ist der zuvor beschriebene Fokus auf Äußerlichkeiten. Gerade in der westlichen Welt kennen wir das nur zu gut. Wer nun aber die auf Äußerlichkeiten ausgerichtete Gesellschaft als wesentlichen Teil des Problems erkannt hat, muss damit beginnen, sich aktiv mit den Innenwelten dieser Gesellschaft zu beschäftigen!
Wie wollen wir eine konkurrenzorientierte Wirtschaftswelt auf Kooperation ausrichten, ohne die Gier der Menschen zu adressieren? Wie wollen wir eine auf Mitgefühl basierende Gesellschaft aufbauen, wenn wir immer alles rationalisieren? Wie soll ein neues Miteinander entstehen, wenn wir im Zweifelsfall doch wieder nur auf uns schauen? Und wie wollen wir eine zutiefst materiell ausgerichtete Welt verändern, wenn wir selbst noch ein materialistisches Weltbild in uns tragen? Ein Weltbild, wo jedem einzelnen Lebewesen in erster Linie ein ökonomischer Nutzen zugeordnet wird? Wo es keinen Platz gibt für Qualitäten wie Intuition oder Spiritualität? Wo der Mensch als wandelnder Fleischklops gesehen wird, geistlos und seelenlos – und wo die Welt nicht mehr ist als ein im All herumschwebender Stein?
Wie soll mit so einem Weltbild ein Wandel gelingen? Wie soll eine beinahe ausschließlich auf Äußerlichkeiten ausgerichtete Wissenschaft diese inneren Probleme lösen? Wie soll eine im Nutzendenken verhaftete Wirtschaft hierbei hilfreich sein? Und wie kann eine Politik des ständigen Gegeneinanders zu einer gemeinsamen Lösung beitragen? Richtig, nur, indem wir alle beginnen, endlich nach Innen zu blicken! In dem wir uns selbst an der Nase nehmen und erkennen, dass jede kollektive Veränderung im Außen auch nach individuellen und menschlichen Zukunftskompetenzen verlangt.
Innen und Außen gehören zusammen. Genau das möchten wir dir mit diesem Buch vermitteln. Wir wollen ein Verständnis dafür schaffen, dass all die Krisen unserer Zeit auch untrennbar mit unserer Haltung und unserem Weltbild zusammenhängen. Wir wollen zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nach weit mehr verlangt als nach Umweltgesetzen, Fair-Trade-Siegeln, PV-Panelen oder CO2-Bilanzen. Wir wollen dir näherbringen, dass vieles, was unter »Change« verkauft wird, nie und nimmer zu Veränderung führen kann. Und wir wollen bei all unseren Erzählungen nicht außer Acht lassen, dass auch wir oftmals unbewusst handeln und dadurch die Veränderung in unserer eigenen Organisation, unserem Umfeld wie bei uns selbst behindern.
Unsere Welt braucht einen Wandel und dieser Wandel beginnt zuallererst in uns selbst! Die alte Idee, dass ein paar heroische Persönlichkeiten uns retten, ist lange überholt. Es braucht nicht das Engagement von wenigen Mächtigen, es braucht den Veränderungswillen von vielen Ermächtigten! Drei Jahre und dutzende Vorträge, Seminare, Projekte und Forschungsarbeiten nach unserem ersten Buch sind wir heute um viele Erkenntnisse reicher. Dadurch können wir dir mit unserem neuen Buch »Die Kunst des Wandels« ein noch viel genaueres Bild davon geben, wie sich der gesellschaftliche und organisationale Wandel vorantreiben lässt und welche menschliche Entwicklung es dafür braucht. Wir werden dir zeigen, wie uns die Inner Future Skills – sechs innere Zukunftskompetenzen – beim Wandel helfen und wie wir es schaffen, genau diese Fähigkeiten zu kultivieren. In diesem Sinne wünschen wir dir eine spannende Lektüre über die inneren Gesetze des Wandels – und eine gute Reise nach Innen!
Alles Liebe, Stefan & Julia
Praktische Hinweise
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit den inneren Gesetzen des Wandels und den »Inner Future Skills«. Nach über 15 Jahren in der Nachhaltigkeit sind wir der Überzeugung, dass es den Blick nach innen braucht, um unsere gesellschaftlichen Herausforderungen im Außen lösen zu können. Und auch wenn wir dir mit unseren Texten hoffentlich viel Tiefblick ermöglichen, kann ein Buch nur bedingt nach innen führen. Jegliche Innenschau braucht abseits einer kognitiven Beschäftigung wie dem Lesen auch einen praktischen Zugang auf Ebene der Emotionen und des Körpers! Kurz gesagt braucht es zur Lektüre auch Übungen aus den Bereichen Meditation, Naturerfahrung oder Schattenarbeit – und bestenfalls eine passende Begleitung in Form von Gruppengesprächen oder Coachings. Wir bitten dich, dies beim Lesen immer mitzudenken!
Bezüglich geschlechtsneutraler Sprache (»Gendern«) haben wir nach eingehenden Überlegungen einen neuen Weg gewählt. Eine geschlechterspezifische Differenzierung kam aufgrund der schlechteren Lesbarkeit nicht in Frage, weshalb wir uns für das generische Femininum entschieden haben. Wenn wir im vorliegenden Buch also von Bürgerinnen sprechen, so sprechen wir auch von Bürgern. Eine explizit männliche Ansprache haben wir nur dann verwendet, wenn es sich bei den beschriebenen Personen ausschließlich um Männer handelt. Wir hoffen, dass du unseren Entscheidungen bezüglich Gendern Verständnis entgegenbringen kannst und du dich sowohl als Frau, Mann oder Mensch mit anderer Geschlechtsidentität angesprochen fühlst.
Als westliche Menschen können wir uns schon lange als Teil der sogenannten Wissensgesellschaft bezeichnen. Hochentwickelte Länder wie Österreich, Deutschland oder die Schweiz organisieren ihr soziales und ökonomisches Leben großteils auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Daten und Fakten. Die moderne Wissensgesellschaft hat ihre Ursprünge im Zeitalter der Aufklärung und erreichte mit Verbreitung des Internets ihren bisherigen Höhepunkt. Blickt man auf die vergangenen Jahrhunderte zurück, so lässt sich ohne Zweifel sagen, dass uns diese Entwicklung große Dienste erwiesen hat.
Wo würden wir heute leben, wenn die Aufklärung gescheitert wäre? In autoritären Republiken, wo die Frau noch hinter dem Herd steht, während der Mann die Brötchen verdient? In Kaiserreichen, wo die Macht von einer unfehlbaren Göttin und ihrer irdischen Repräsentantin ausgeht? Oder in Stammesgesellschaften, wo alte Mythen und Legenden unsere Werte definieren und unser Zusammenleben regeln? Wie auch immer die Welt aussehen würde, für die meisten hierzulande wäre sie nicht annähernd so lebenswert wie unsere heutige Welt.
Unsere Fokussierung auf Wissen hat unsere Gesellschaft lange weitergebracht. Doch nun stehen wir an! Wir haben einen Punkt erreicht, an dem uns Wissen allein nicht mehr voranbringt. Wir wissen um die kriegerische Geschichte unserer Spezies und können sie trotzdem nicht beenden. Wir haben das Phänomen Burnout tausendfach medizinisch beschrieben und die Betroffenenzahl steigt dennoch weiter. Wir kennen die Auswirkungen unserer Konsumgesellschaft und wollen immer noch alles haben. Wir wissen um das traurige Dasein unserer Schweine und bauen dennoch neue Mastfabriken. Wir wissen um die Auswirkungen des Klimawandels und suchen weiterhin nach Gas und Öl. Sogar heute noch, wo die Klimakrise direkt vor der Haustür steht und brennende Wälder, vertrocknete Felder und ständige Überflutungen für jeden sichtbar sind. Doch selbst das scheint nicht genug. Wir hoffen anscheinend, dass wir trotz allem verschont bleiben und es immer nur die anderen trifft. Bis wir irgendwann selbst diese anderen sind.
Das weitaus traurigste Detail dieser Geschichte ist jedoch, dass wir nicht nur um die Probleme wissen, sondern auch jede Menge Lösungen kennen! Millionen Pionierinnen arbeiten jeden Tag daran, die Herausforderungen unserer Zeit in den Griff zu bekommen. Egal ob Klimawandel, soziale Ungleichheit, Hyperinflation oder Gesundheitskrise, zu fast allen Themen gibt es mittlerweile hunderte Lösungsansätze. Und viele davon sind bereits erprobt und einsatzbereit.
Es lässt sich demnach sagen, dass wir sowohl die Probleme als auch die technischen, politischen und gesellschaftlichen Lösungen für ebendiese kennen. Warum setzen wir sie dann nicht um? Warum nehmen wir unser Schicksal nicht in die Hand und befreien uns von all den Krisen, die so viele Menschen heute bedrohen und bedrücken? Warum bringen wir all die zukunftsweisenden Ideen nicht endlich auf den Boden? Warum kommen wir nicht in die Gänge, unseren Wohlstand zu sichern und unseren Kindern eine gute Zukunft zu bieten?
Mit diesen Fragen haben sich wir – Stefan und Julia – uns die letzten fünfzehn Jahre immerzu herumgeschlagen. Wir erinnern uns an unsere Vorträge über Billigfleisch, wo das Publikum im Anschluss beim Kebap-Stand sein Abendessen genoss. Wir erinnern uns an Studien, die andere Studien zitierten, welche wiederum andere Studien zitierten, ohne dass irgendjemand je von diesen Studien erfahren hat. Und auch wir haben schon oft Wasser gepredigt und Wein gesoffen, indem wir unsere eigenen Lösungsvorschläge selbst nicht beherzigten. Wir kennen das Dilemma und nun sind wir überzeugt, auch einen wichtigen Teil der Lösung zu kennen.
Wissen ist Macht. Ja. Doch Wissen allein ändert noch keine Menschen. Dafür braucht es einen umfassenden Bewusstseinswandel. Dieser wiederum erfordert neben Wissen auch Weisheit, neben Verstand auch Herz, neben Aktivsein auch Innehalten und neben äußeren Qualitäten auch innere Fähigkeiten. Wenn ein Mensch seine Handlungen verändern will, muss er auch seine Haltung verändern. Wenn wir die Probleme unserer Welt in den Griff bekommen wollen, müssen wir auch unser Bewusstsein auf die nächste Stufe bringen. Wenn wir uns eine nachhaltige Zukunft wünschen, müssen wir in uns selbst nachhaltig werden. Denn jede äußere Veränderung verlangt nach einer inneren Veränderung. Wie das funktionieren kann und welche Kompetenzen für diese innere Entwicklung von Nöten sind, davon handelt dieses Buch.
Der Nachhaltigkeit eine innere Dimension zu verleihen ist noch eine relativ neue Idee. Natürlich gibt es wie überall eine Handvoll Peers. Menschen, die ähnlich denken und schon lange wissen oder intuitiv spüren, dass rein äußere Lösungen nicht das gesamte Problem erfassen. Vermutlich gehörst auch du – liebe Leserin – zu diesen Peers. Die meisten Menschen gehören jedoch nicht dazu. Jene, denen die Zukunft unserer Gesellschaft egal zu sein scheint, gehören nicht dazu, während der besorgte und engagierte Rest die Lösungen meist in Solarpanelen, Fair-Trade-Siegeln, Sozialprogrammen oder politischen Gesetzen sucht. Bitte versteh uns nicht falsch, diese äußeren Lösungen sind unumgänglich und es wird sie brauchen. Aber sie sind nicht die alleinigen! Innere Lösungen, in jedem Menschen selbst, sind ebenso wichtig, da sie bei der Umsetzung äußerer Lösungen helfen und eine eigene Hebelwirkung entwickeln können.
Eine der ersten Personen, die diesen Zusammenhang beschrieben hat, war die Systemforscherin Donella Meadows. Als Koautorin der weltbekannten Studie »Die Grenzen des Wachstums«« vom Club of Rome, definierte sie schon früh verschiedene Hebelpunkte, die eine nachhaltige Veränderung in Systemen anstoßen können. Als effektivsten Hebel nannte sie unsere Mindsets und mentalen Modelle.[1] Eine ähnliche Herangehensweise verfolgten die in Managementkreisen bekannten Systemtheoretiker Kambiz Maani und Robert Cavana 2007 mit ihrem »Four levels of thinking«-Modell. Darstellung 1 zeigt dieses Eisbergmodell in vier Schichten, beginnend mit der sichtbaren Ebene der Events und gefolgt von den nicht sichtbaren Ebenen der Muster, systemischen Strukturen und mentalen Modelle.[2]
Dar. 1: Four levels of thinking (Maani & Cavanva 2007)
Nehmen wir das allseits bekannte Phänomen Burnout als Beispiel zur Hand. Stell dir vor, ein beliebiger Mann steht eines Morgens auf und bemerkt eine tiefe emotionale, geistige und körperliche Erschöpfung. Er fühlt sich schlaff, deprimiert und weiß, dass er im Moment nicht fähig ist, seiner Arbeit nachzugehen. Er erlebt diesen Zustand zum ersten Mal und wir sprechen deshalb von einem klassischen Event. Wenn unser Mann klug ist, nimmt er seinen Erschöpfungszustand ernst und macht sich Gedanken, woher dieser kommen könnte. Dabei fällt ihm auf, dass er schon seit längerem täglich mit Schlafstörungen zu kämpfen hat. Vielleicht liegt es daran, dass er oft bis spät in die Nacht Serien schaut und das Problem ist relativ schnell gelöst. Ist das späte Fernsehen aber nicht der Grund für das Problem, so muss unser Mann weiterdenken. Er erkennt, dass sein gesamter Lebensstil ein Problem darstellt. Er arbeitet fünfzig Stunden pro Woche, treibt kaum Sport, ernährt sich ungesund, trinkt gern Alkohol und nimmt sich wenig Zeit für seine Familie. Manche dieser Verhaltensweisen werden sich äußerlich recht einfach abstellen lassen, andere aber nicht. Deshalb muss unser Mann nochmal tiefer gehen. Auf systemischer Ebene erkennt er, dass regelmäßige Mehrarbeit in seiner Organisation erwünscht ist und sogar gefordert wird, dass die Betriebskantine nur fettreiches Essen anbietet und dass sein Freundeskreis aus lauter Männern besteht, die in ihrer Freizeit lieber in die Kneipe gehen und nicht auf den Sportplatz. Er hat nun die Möglichkeit, sowohl seine Arbeit als auch sein soziales Umfeld zu wechseln. Doch in einer neuen Firma wird es viele der alten Probleme womöglich wieder geben und seine trinkfreudigen Freunde hinter sich zu lassen, ist leichter gesagt als getan. Außerdem wäre das nicht unbedingt sinnvoll, da soziale Kontakte auch ein wichtiger Resilienzfaktor sind! Eine Systemänderung kann vieles bewirken, doch bei manchen Dingen hilft sie uns nicht weiter. Wenn sich unser Mann also wirklich verändern will und weitere Erschöpfungszustände ausschließen möchte, muss er auf die tiefste Ebene des Eisbergs gehen. Auf die Ebene der mentalen Modelle. Dort erkennt er dann alte Glaubenssätze wie »nur harte Arbeit führt zum Erfolg« oder »nur wenn ich etwas leiste, werde ich auch gemocht.« Außerdem entdeckt er die fehlende Wertschätzung für seinen Körper, die ihm schon seine Eltern und Großeltern vorgelebt haben. Zu guter Letzt stellt er noch fest, dass er sich als Vater vorgenommen hat, seiner Familie Luxus und Geld zu bieten, obwohl diese im Moment eher ihn und seine Zeit gebrauchen könnten. Auf der tiefsten Ebene erkennt unser Mann also, dass er sich innerlich ändern muss, um auch im Außen eine langfristige Veränderung zu erzielen. Er versteht, dass die Lösung für sein beginnendes Burnout im Wesentlichen bei ihm selbst zu suchen ist.
Wechselt man nun von der persönlichen auf die kollektive Ebene und bezieht dieses vierstufige Modell auf die ökologische Nachhaltigkeit, so kommt man zu ähnlichen Schlüssen wie zuvor. Nehmen wir einen Waldbrand als Beispiel her. Ein Waldbrand ist ein einmaliges Event. Wollen wir dieses Problem lösen, müssen wir den Brand zuerst einmal löschen. Wollen wir außerdem erreichen, dass zukünftig nicht noch mehr Waldbrände auftreten, braucht es den Blick unter die Oberfläche. Dort stellen wir fest, dass es veränderte Niederschlagsmuster gibt, unsere Wälder heute vulnerabler sind und aufgrund des Klimawandels längere Dürreperioden erleben als früher. Als systemische Probleme erkennen wir unsere Bewirtschaftung über wenig resiliente Monokulturen, rein profitorientierte Geschäftsmodelle in der Forstwirtschaft oder die Befeuerung des Klimawandels über fossile Energieträger. Denkt man zuletzt auch die systemische Ebene weiter, so stößt man zu den mentalen Modellen vor, die der Problematik zugrunde liegen. Hier wären materialistische Werthaltungen, ein auf Kurzfristigkeit ausgerichtetes Denken oder eine fehlende Achtung vor dem Leben zu nennen.
Wie uns die vorigen Beispiele zeigen, sind äußere Events untrennbar mit unseren mentalen Modellen verbunden und aus theoretischer Sicht ist damit alles gesagt. Um persönlich wie auch kollektiv in eine bessere Zukunft zu gelangen, brauchen wir ein neues Bewusstsein, ein neues Mindset und einen neuen Zugang zu uns selbst, unseren Mitmenschen und zur Natur! Aus praktischer Sicht ist dies aber nicht so leicht umzusetzen, wie es womöglich den Anschein hat. Denn allein die Bezeichnung »mentale Modelle« ist ein enorm großer Brocken und ein Eisberg für sich. Mentale Modelle beinhalten unsere Werthaltungen, Muster, Grundüberzeugungen, Ängste, Glaubenssätze, Zielbilder, Weltbilder u. v. m. Aus Trainingsperspektive ist dieser Eisberg somit viel zu groß, da er keine Struktur für innere Transformationsprozesse bietet und die unterschiedliche Tiefe einzelner Komponenten in keiner Weise darstellt. Deshalb haben wir die mentalen Modelle und alles, was dazu gehört, nochmal als Eisberg dargestellt und über die innere Dimension der Nachhaltigkeit beschrieben.
Nachhaltigkeit wird oft als ausgeglichenes Zusammenspiel der drei Säulen Ökonomie, Soziales und Ökologie beschrieben. Gelingt dieses Zusammenspiel, so floriert die Wirtschaft, jeder bekommt seinen gerechten Teil vom Kuchen und unsere lebensspendende Natur bleibt intakt. Damit diese Theorie in der Praxis funktionieren kann, müssen wir Menschen entsprechend handeln. Da jede unserer Handlungen im Kern von unserer Haltung abhängt, hängt letztlich auch die Nachhaltigkeit von dieser Haltung ab. Kurz gesagt: Ohne nachhaltiges Mindset – mit entsprechenden Denkweisen, Überzeugungen und Verhaltensmustern – gibt es keine Nachhaltigkeit. Und solch ein nachhaltiges Mindset bezeichnen wir im weiteren Sinne als die innere Dimension der Nachhaltigkeit.
In unserem ersten Buch »Innen Wachsen, Außen Wirken – eine nachhaltige Zukunft beginnt in uns selbst«[3] haben wir die innere Nachhaltigkeit ausführlich beschrieben, weshalb wir dir hier nur eine kurze und inhaltlich leicht weiterentwickelte Zusammenfassung bereitstellen möchten. Die innere Dimension der Nachhaltigkeit ist entsprechend Darstellung 2 in verschiedene Ebenen unterteilt. Die sichtbare Verhaltensebene wird dabei von den drei nicht sichtbaren, inneren Ebenen bestimmt. Auf der kognitiven Ebene finden wir unsere Wertesysteme und Denkmuster, während die emotionale Ebene unsere Ängste, Schattenseiten oder Projektionen behandelt. Auf der spirituellen Ebene befinden sich dann unsere Weltbilder, unsere Grundannahmen über das Leben und die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Dar. 2: Die innere Dimension der Nachhaltigkeit
Für das Eisbergmodell der inneren Dimension der Nachhaltigkeit haben wir also die mentalen Modelle nochmal entsprechend unterteilt und beschrieben. Dabei ist zu beachten, dass die drei inneren Ebenen nicht allesamt scharf voneinander abgrenzbar sind, da man etwa Weltbilder auch auf der kognitiven Ebene behandeln kann und Werte mit Emotionen in Verbindung stehen. In Bezug auf den Bewusstseinswandel eines Menschen hat sich diese Dreiteilung in kognitiv, emotional und spirituell aber als sinnvoll erwiesen, vor allem hinsichtlich innerer Arbeit und der Gestaltung transformativer Prozesse.
Die meisten Menschen sind vorsichtig im Umgang mit inneren Themen, weshalb wir diese entsprechend unserem Modell in einem dreistufigen Prozess behandeln. Vereinfacht erklärt, gehen wir dabei wie folgt vor: Zu Beginn eines Trainings adressieren wir die Ebene der Werte, da diese einen einfachen und niederschwelligen Einstieg in innere Welten darstellt. Ist man sich seiner Werte und kognitiven Muster einmal bewusst, fällt es leichter, in die zugrundeliegenden Emotionen und Ängste einzutauchen und diese auf Gefühlsebene zu reflektieren und zu spüren. Nach mehrmaligem Durchlauf der Ebenen 1 und 2 sind die meisten Menschen dann bereit, nicht nur einzelne Werte, sondern ihr gesamtes Weltbild zu hinterfragen und ggf. neu auszurichten. Des Weiteren fällt auch die Sinnfrage leichter, wenn man alte Werte und Handlungsweisen als nicht mehr wünschenswerte Muster erkannt hat.
Wie lassen sich innere Werthaltungen, Glaubenssätze und Weltbilder nun transformieren? Darauf eine eindeutige Antwort zu finden, wäre so etwas wie der heilige Gral der Persönlichkeitsentwicklung. Wir behaupten natürlich nicht, diesen gefunden zu haben. Auch deshalb nicht, weil diese Aufgabe so vielschichtig ist wie wir Menschen selbst. Wer sich lange Zeit mit innerer Transformation beschäftigt, stellt irgendwann fest, dass es viele Wege zum Ziel gibt. Manche Menschen ändern ihre Grundüberzeugungen aufgrund existenzieller Krisen, Krankheiten oder persönlicher Rückschläge. Manche machen tiefgreifende Erfahrungen im Kontakt mit fremden Menschen, Ländern oder Kulturen. Wieder andere haben transformative Reiseerlebnisse, sportliche Grenzerfahrungen oder spirituelle Einsichten. Und dann gibt es noch jene, die ihr Bewusstsein und ihre innere Haltung über Seminare, Trainings oder Coachings ändern. Für Letztere wollen wir mit unseren Büchern, Kursen und Events eine Möglichkeit aufzeigen, wie innere und folglich auch äußere Veränderung funktionieren kann und welche Fähigkeiten / Skills dafür benötigt werden.
Wissenschaftlich haben uns dabei die Inneren Entwicklungsziele (Inner Development Goals – IDG) und die Arbeiten von Christine Wamsler sehr weitergeholfen. Die IDG wurden 2020 in Schweden formuliert und haben trotz ihrer noch sehr jungen Geschichte bereits einiges bewegt und weltweite Aufmerksamkeit erfahren, zum Beispiel seitens der Vereinten Nationen. Die Inneren Entwicklungsziele sind ein recht großes Set von derzeit 23 Skills in fünf Kategorien. Sie beziehen sich namentlich auf die Sustainable Development Goals (SDG) der UN und sind u. a. mit dem Ziel gegründet worden, das Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele zu beschleunigen.
Christine Wamsler, die selbst im wissenschaftlichen Beirat zur Entwicklung der IDG sitzt, forscht an der Lund Universität in Schweden und gilt als eine der Vorreiterinnen der inneren Nachhaltigkeit. Die Publikation »Linking internal and external transformation for sustainability and climate action« war für uns besonders spannend. Darin werden fünf transformative Skill-Sets beschrieben, die wir in einem Forschungsprojekt über »Transformative Kompetenzen in der Wirtschaft« gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur Wien einem Praxistest unterziehen durften. Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Projekt erfährst du im Kapitel über transformative Lernprozesse.[4]
Die in der Publikation von Christine Wamsler beschriebenen Kompetenzen werden im Englischen mit »Awareness, Connection, Insight, Purpose and Agency« bezeichnet. Da es sich um Skill-Sets handelt, sind diese sehr umfangreich und beinhalten viele miteinander verwandte Qualitäten, Kompetenzen und Konzepte. Für die Entwicklung der in diesem Buch beschriebenen »Inner Future Skills«haben sie uns sehr geholfen. Im Rahmen unserer Seminare haben wir allerdings festgestellt, dass fünf derart große Skill-Sets die Anwender im Trainingsbereich unsere Seminargäste schnell überfordern können, weshalb wir sie vereinfacht und entsprechend unserem dreistufigen Modell auf zweimal drei Skills heruntergebrochen haben. Das Ergebnis zeigt Darstellung 3.
Dar. 3: Sechs innere Zukunftskompetenzen
Bevor wir uns gleich den inneren Zukunftskompetenzen zuwenden, möchten wir noch ein paar Punkte klarstellen:
Unser sechsteiliges Kompetenzmodell erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Innenleben und dessen potenzielle Veränderung ist bei weitem zu vielschichtig, um es über sechs Skills darzustellen. Als Leitfaden für Diskussionen, Dialoge und Trainings eignet sich dieses Modell aber sehr gut.
Die sechs Skills sind zwar keine umfassenden Skill-Sets, aber dennoch als Oberbegriffe zu verstehen. Sollte beim ersten Hinschauen ein für dich wesentlicher Skill fehlen, bitten wir dich um Geduld. Vieles wird sich auf den folgenden Seiten von selbst klären. So ist die Empathiefähigkeit beispielsweise bei der Beziehungskompetenz inkludiert, während wir die Körperwahrnehmung bei der Achtsamkeit mitgedacht haben.
Auch wenn wir versucht haben, unsere sechs Skills klar zu definieren und deutlich voneinander abzugrenzen, ist dies nur bedingt möglich. Um emotionale Kompetenz zu erlangen, braucht es die Fähigkeit, über sich selbst zu reflektieren. Wer sich und seine Beziehungsfähigkeit trainieren möchte, muss sich auch in Achtsamkeit üben. Innere Kompetenzen stehen meist miteinander in Verbindung und können nicht immer scharf voneinander abgegrenzt werden. Wir bitten darum, dies bei jeglicher Arbeit mit den Inner Future Skills zu bedenken.
Innere Skills sind ein wesentlicher Treiber für eine bessere und nachhaltigere Welt. Aber nur dann, wenn wir unsere innere Haltung auch für äußere Veränderungen zu nutzen verstehen. Regenerative Wirtschaftssysteme, faire Arbeitsbedingungen, ökologische Produktionsstätten und gesunde Arbeitsplätze lassen sich nicht einfach »herbeimeditieren«. Wir müssen dafür schon aktiv werden. Wer das verstanden hat, wird auch die Inner Future Skills schnell verstehen und verinnerlichen. Wer nicht, der muss noch etwas tiefer blicken!
Ein Buch für innere Prozesse zu gestalten ist kein einfaches Unterfangen. Sollen diese inneren und damit individuellen Prozesse dann noch mit unseren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen in Verbindung gebracht werden, wird eine eindeutige Beschreibung der Zusammenhänge teils schwierig. Das war uns von vornherein bewusst, da wir diese Problematik schon bei unserem ersten Buch kennenlernen durften. Es ist nun mal so, dass jeder einzelne Mensch seine eigene und nur von ihm wahrnehmbare Innenwelt hat. Wie sich diese subjektive Innenwelt nun auf sein Verhalten im Außen auswirkt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wie im Weiteren all diese persönlichen Innenwelten – mit ihren individuellen Verhaltensweisen – auf unser kollektives Verhalten wirken, ist eine durchaus komplexe Thematik und schwer darzustellen. Nichtsdestotrotz ist es einer der wesentlichen Aspekte, die dieses Buch zu beschreiben versucht! Wir bitten daher um Nachsicht, wenn die ein oder andere Beschreibung für dich weniger Sinn ergibt. Wir haben bewusst sehr viele und breit gefächerte Beispiele aufgenommen, um die Verbindung von Innen- und Außenwelt möglichst vielen Menschen näherzubringen.
Unser erstes Buch war eine grundlegende und teils philosophische Herangehensweise an diese neue Thematik. Das hier vorliegende Buch hat die vielen Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Jahre miteinbezogen und transportiert das Zusammenspiel von Innen- und Außenwelt auf eine praktischere Art und Weise. Wir durften feststellen, dass innere Transformationsprozesse und ihre Außenwirkung anhand weniger, konkret fassbarer Skills für die meisten Menschen und Organisationen leichter verständlich sind als eine allgemein gehaltene Erklärung. Aufgrund dieser Tatsache war es uns auch ein großes Anliegen, unsere Beschreibungen möglichst einfach und verständlich aufzubauen.
Buchstruktur
Bei der Darstellung unserer sechs inneren Zukunftskompetenzen haben wir für jedes Kapitel eine einheitliche Struktur geschaffen. Im ersten Schritt erklären wir die jeweilige Kompetenz aus theoretischer Sicht. Dabei beschreiben wir insbesondere jene Modelle, die wir selbst gut kennen, verstehen und auch praktisch bereits angewandt haben. Im Anschluss an die Theorie folgt die Erklärung der Kompetenz als Future Skill. Hier zeigen wir die Schnittstelle von innen und außen für den jeweiligen Skill und gehen besonders auf die ökologischen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit ein. Im dritten Unterkapitel beschreiben wir die Zukunftskompetenz dann bezüglich der Arbeitswelt mit Fokus auf zukunftsfähige Organisationen. Hier finden die ökonomischen und arbeitsrelevanten Aspekte der Nachhaltigkeit ihren Platz. Zum Abschluss haben wir für alle sechs Skills, wie auch für die integrale Haltung, ein Praxisinterview für dich. Im Laufe der Jahre 2023 und 2024 haben wir sieben Expertinnen aus den verschiedensten Bereichen zum einstündigen Interview gebeten und die Essenz daraus liefern wir dir exklusiv in diesem Buch. Da alle Gespräche stets von nur einer Autorin geführt wurden, sind die Interviews allesamt in Ich-Perspektive verfasst.
Modelle
Auf den nachfolgenden Seiten wirst du einer Vielzahl an Modellen begegnen. Wir möchten daher schon im Vorfeld darauf hinweisen, dass kein uns bekanntes Modell die Innenwelt eines Menschen präzise darstellen kann! Unsere eigens aufgestellten Modelle, genauso wie alle anderen hier beschriebenen Modelle, dienen hauptsächlich dazu, eine gemeinsame Sprache zu finden und dir – liebe Leserin – unsere Sicht der Dinge besser erklären zu können. Des Weiteren sei gesagt, dass wir in einer Welt leben, die sich noch immer stark gegen innere Themen sträubt und jegliche Gefühlsthematiken schnell als unseriös oder esoterisch abstempelt. Auch hierbei durften wir in den letzten Jahren lernen, dass fundierte Modelle und anschauliche Erklärungen Abhilfe schaffen und vielen Menschen eine Annäherung an die eigene Innenwelt erleichtern können.
Perspektivenwechsel
Wir können nur mutmaßen, wer du bist, mit welchen Themen du dich beschäftigst und welche Vorerfahrungen du in Bezug auf innere Skills oder Nachhaltigkeit hast. Als Organisationsentwicklerin bekommst du ein Buch an die Hand, welches dir zu verstehen hilft, warum kollektive Wandelprozesse oft an der Haltung der Einzelpersonen scheitern. Als Führungskraft oder HR-Spezialistin bekommst du wertvolle Einblicke, wie sich die persönliche Entwicklung über gezielte Methoden und entsprechendes Storytelling auch auf die sozialökologische Nachhaltigkeit auswirkt. Als Umweltbeauftragte oder Nachhaltigkeitsexpertin erhältst du ein Basiswissen über die inneren Gesetze des Wandels und wie sich die gesellschaftliche Transformation vorantreiben lässt. Und als Coach oder Trainerin, die bereits an der Schnittstelle vom inneren zum planetaren Wandel arbeitet, können wir dich hoffentlich mit ein paar schlagkräftigen Argumenten bei deiner Arbeit unterstützen!
Doch unabhängig deiner Vorerfahrungen und deines Arbeitsumfeldes bitten wir dich inständig, immer wieder die Perspektive zu wechseln, deine berufliche Agenda zu verlassen und dieses Buch auch für dich selbst zu lesen. Wenn wir von Bewusstseinswandel sprechen, so sprechen wir meistens über die anderen. Nur selten sprechen wir über uns selbst. Wir sind nämlich schnell der Meinung, dass wir selbst ja bereits sehr gut am Weg sind und keinen Wandel mehr brauchen. Und genau hier fängt der Fisch an zu stinken! Wir – Julia und Stefan – beschäftigen uns nun seit weit über 10 Jahren sehr intensiv mit uns selbst und unserem eigenen Bewusstseinswandel. Und wir werden es auch die nächsten zehn Jahre weiterhin tun. Denn noch immer treffen wir auf viele innere Themen, die uns im Wege stehen und ein persönliches und kollektives Weiterkommen ausbremsen.
Die Arbeit an einem selbst kennt streng genommen kein Ende. Das menschliche Bewusstsein und seine Wechselwirkung mit der äußeren Welt sind unserer Ansicht nach viel zu komplex, als dass man es in seiner Ganzheit je fassen könnte. Egal wie reif, erfahren oder erleuchtet man sich selbst auch halten mag, es gibt immer noch Einsichten, die man nicht hatte und die einem als Menschen im Innen wie im Außen wachsen lassen! Wir halten es hierbei gern mit den alten Alchemistinnen. Sie wussten schon damals, dass man den Stein der Weisen nur dann finden kann, wenn man sich selbst gefunden hat. Und weil die wenigsten diesen Stein je finden konnten, lag das Ziel der Alchemistinnen vor Allem im Weg dorthin.
Was unser Buch kann – und was es NICHT kann
Wir glauben und hoffen, dass es im vorliegenden Buch einige Texte geben wird, die dich berühren und die emotionale oder spirituelle Ebene in dir ansprechen. Nichtsdestotrotz fokussieren wir mit unseren Texten hauptsächlich auf die kognitive Ebene. Es ist bei diesem Buch nun mal unser Anliegen, die Verbindung aus inneren Kompetenzen und nachhaltigem Wandel entsprechend verständlich zu machen. Um diese Verbindung jedoch wirklich zu verstehen, braucht es ein Abtauchen in die eigene Innenwelt. Und nein, das kann ein Lesen allein nicht oder nur bedingt liefern.
Wenn du – liebe Leserin – die hier vorgestellten Theorien, Beispiele und Geschichten also in ihrer Tiefe erfassen möchtest, kommst du an einer ganz persönlichen Innenschau nicht vorbei. Innere Welten lassen sich nicht von außen erfassen. Es braucht die Selbsterfahrung, das Reflektieren und eine persönliche und spürbare Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubenssätzen, Weltbildern oder Schmerzpunkten. Wir laden dich also ein, jegliche Texte auch immer in Bezug auf dich selbst zu lesen, für dich selbst zu reflektieren und dabei auch mal dich selbst zu hinterfragen. Und wenn du dann Lust bekommst, noch weiter an dir zu arbeiten, dann freuen wir uns auf deinen Besuch bei einem unserer Seminare!
In unserer westlichen Welt findet seit einigen Jahrzehnten eine unglaubliche Entwicklung statt. Wir leben im Überfluss und können Produkte, Güter oder Lebensmittel aller Art mehr oder weniger ohne Verzögerungen von zuhause aus erwerben. Und auch wenn aufgrund der herrschenden Ungleichheit und der begrenzten Ressourcen nicht alle alles haben können, sind unsere Grundbedürfnisse de facto gedeckt. Die Habenseite ist in weiten Teilen erfüllt, was dazu führt, dass immer mehr Menschen ihre innere Ausrichtung vom Haben zum Sein verlagern.
Das materialistische Weltbild macht Platz und am Horizont lässt sich bereits ein neues, verbundenes Weltbild erahnen. Eines, das von manchen Menschen bereits gelebt wird. Zugegeben sind wir gesamtgesellschaftlich noch weit von einem holistischen Welt- und Wertebewusstsein entfernt. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass sich viele von uns in den nächsten Jahrzehnten von einer linearen zu einer integralen Sichtweise weiterentwickeln werden. Doch was genau meinen wir mit »Integral« und warum erscheint es uns überhaupt als erstrebenswerter Weg?
Der Philosoph Jean Gebser, die Entwicklungspsychologinnen Jane Loevinger und Susanne Cook-Greuter, der indische Yogi und Politiker Aurobindo Ghose und viele weitere Gelehrte aus den unterschiedlichsten Disziplinen entwickelten im letzten Jahrhundert Theorien zur Werte- und Bewusstseinsentwicklung des Menschen. Und sie alle befanden die integrale Ebene als den großen und notwendigen Bewusstseinssprung.
Stark vereinfacht kann die integrale Haltung auch als multiperspektivisch bezeichnet werden. Sie kennzeichnet eine Denkweise, die versucht, jegliche Fragestellungen, Probleme oder Themen aus multiplen Perspektiven zu betrachten. Eine Denkweise, bei der man seine eigene Wahrheit nicht als die einzig mögliche Wahrheit erkennt und jeglichen anderen Personen auch ihre Wahrheit zugesteht. Ein berühmter Spruch lautet etwa: »Niemand liegt zu 100 Prozent falsch.« Die integrale Sichtweise geht also davon aus, dass ausnahmslos alle Menschen eine Wahrheit in sich tragen und es diese zu akzeptieren gilt.
In den letzten Jahrzehnten wurde die Idee eines integralen Bewusstseins immer populärer. Selbst Papst Franziskus sprach in seiner Umweltenzyklika Laudato si von einer integralen Ökologie. Im Kern wurde der Begriff vor allem durch die Unternehmensberater Don Beck und Christopher Cowan bzw. durch den Philosophen Ken Wilber geprägt. Beck und Cowan entwickelten die in Businesskreisen weit verbreitete Theorie der Spiral Dynamics, die Wilber wiederum zum Aufbau seiner integralen Theorie inspirierte.
Beide Theorien beschreiben prinzipiell, was auch wir unter der Bezeichnung »integral« verstehen. Sie zeigen, warum die integrale Haltung unsere drei beschriebenen Ebenen – kognitiv, emotional, spirituell – miteinander verbindet und warum es die inneren Zukunftskompetenzen braucht, um sie zu erreichen. Die integrale Haltung kann somit als eine Art Zielbild verstanden werden, das es über das Training der Inner Future Skills zu erreichen gilt. Es sei allerdings erwähnt, dass wir durch unsere praktische Arbeit im Feld hier keine der zuvor genannten Theorien abbilden wollen, sondern vor allem unsere eigene Sicht auf das »Integrale« wiedergeben.
Bevor wir genauer auf die integrale Haltung eingehen, möchten wir dir eine wichtige Fragestellung aus dem wissenschaftlichen Strukturalismus voranstellen: Wie funktioniert unser soziales und geistiges Leben und welcher Entwicklung folgt es? Um darauf eine Antwort zu finden, stellt man beispielsweise einer Gruppe von Menschen über Jahre hinweg eine Frage und beobachtet dann, wie sich die Antworten im Laufe der Zeit ändern. Folgen sie einem gewissen Muster, so lässt sich daraus eine Struktur ableiten. Ein bekanntes Beispiel für eine derartige Vorgehensweise ist das Heinz-Dilemma:[5]
Ein mittelloser Mann ist mit einer todkranken Frau verheiratet. Eine Apothekerin hat eine Medizin, will diese allerdings nur gegen Bezahlung hergeben. Der Mann kann sich die Medizin nicht leisten. Hat er das Recht, sie zu stehlen? Stark vereinfacht hat unser Mann nun drei mögliche Antworten:
Antwort A: »Ja, denn was ich für richtig empfinde, ist richtig.«
Antwort B: »Nein, denn die Gesetze und die Gesellschaft verbieten das Stehlen.«
Antwort C: »Ja, denn das Leben ist wichtiger als konventionelle Regeln.«
Kurz gesagt lauten die Antworten also Ja, Nein und Ja, unter gewissen Gesichtspunkten. Kommen wir zurück zu unserer Forschungsgruppe von Menschen, deren Antworten beim Heinz-Dilemma über mehrere Jahre beobachtet werden. Ändert eine befragte Person ihre Antwort, so passiert dies in folgender Weise. Wer zuerst mit A antwortet, wechselt später zu B. Alle die B wählen, wechseln daraufhin zu C oder zurück auf A. Niemand hingegen wechselt von A direkt nach C oder umgekehrt. Bedenkt man, dass dies eine moralische Frage ist, so kann man dadurch eine moralische Struktur von A nach B nach C erkennen. Antwort A steht für eine egozentrische Moral: »Nur ich bestimme, was richtig ist und was nicht.« Antwort B steht für eine ethnozentrische Moral: »Meine ethnische Gruppe, die Gesellschaft oder das Gesetz, bestimmen, was richtig ist und was nicht.« Antwort C steht für eine weltzentrische Moral. Hier bestimmt man weder allein, noch lässt man eine bestimmte Gruppe bestimmen. Man wägt die Frage ab und setzt sie in einen größeren Kontext wie »Leben ist wichtiger als Geld« oder »Die Frau könnte noch viel erreichen und der Welt wertvolle Dienste erweisen.«
Das vorige Beispiel hat uns auf vereinfachte Weise gezeigt, wie sich Moral beim Menschen entwickelt. Werteebenen machen nun etwas Ähnliches, beziehen sich dabei aber nicht auf Moral, sondern auf unsere Weltsicht bzw. unser Wertebewusstsein. In der Theorie der Werteebenen entwickeln sich Menschen und Gesellschaften entlang von sogenannten Memen. Als Mem wird dabei ein mental abgespeichertes Informationsmuster bezeichnet, das über Kommunikation oder Imitation weitergegeben werden kann und somit einer kulturellen Evolution unterliegt. Die Grundlagen für diese Theorie wurden vom Entwicklungspsychologen Clare Graves in den 1950er- und 1960er Jahren gelegt und vor allem in den 1990er Jahren von Beck und Cowen unter dem Namen »Spiral Dynamics« weiterentwickelt. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden diese Wertetheorien dann von vielen Vorreiterinnen aus den unterschiedllichsten Bereichen aufgegriffen – und für das jeweilige Fachgebiet herangezogen und angepasst. Genau das wollen wir hier nun in Bezug auf Nachhaltigkeit tun. Wie funktionieren diese Werteebenen nun?![6]
Gehen wir – wieder stark vereinfacht – mal die Entwicklung von uns Menschen im Lauf der Geschichte durch. Dabei fokussieren wir auf vorwärts gerichtete Entwicklungen und lassen rückgewandte Entwicklungen außer Acht! Wir starten mit den Grundbedürfnissen Essen, Trinken und Atmen. Unser Wertebewusstsein ist auf Überleben ausgerichtet und unser Denken ist automatisch. Wir bezeichnen diese erste Entwicklungsstufe als beiges Mem. Um uns den Gegebenheiten besser anzupassen, beginnen wir, uns zu Clans und Stämmen zusammenzuschließen. Aus einem zuvor individuellen Überlebensinstinkt erwächst ein animistisches Denken und ein erstes Gefühl der Zusammengehörigkeit kommt auf (purpurnes Mem). Wenn nun die Stammesordnung, aus welchen Gründen auch immer, zusammenbricht, machen sich einzelne auf in ein neues, rotes Mem. Hier erwacht das egozentrische Denken. Macht und Dominanz sind die Ziele auf dieser Bewusstseinsstufe. »Der Stärkere gewinnt« ist eine typische Idee des roten Mems und geschichtlich entdecken wir es zum ersten Mal über griechische Sagen oder Eroberer wie Alexander dem Großen. Auch die Zeit um Dschingis Khan oder der amerikanische Wilde Westen sind Beispiele, wo das Wertebewusstsein stark von Rot dominiert wurde. Wenn das ewige »Fressen oder gefressen werden« als Gesellschaftsordnung irgendwann nicht mehr funktioniert, erwacht das blaue Mem. Nicht mehr die Stärksten gewinnen, sondern eine übergeordnete und meist göttliche Macht übernimmt die Rolle als oberste Instanz. Man sehnt sich nach Ordnung, Struktur und Sicherheit – und das gesellschaftliche Treiben wird erstmals über Gesetze geregelt. Das Denken ist absolutistisch und der spirituelle Glaube wechselt von anfangs archaisch über magisch, mystisch zu religiös.
