Die Macht der Schönheit - Volker Reinhardt - E-Book

Die Macht der Schönheit E-Book

Volker Reinhardt

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Beschreibung

Aus dem jahrhundertelangen Wettstreit von Städten, Fürsten und Päpsten um die vollkommensten Kunstwerke entstand in Italien eine beispiellose Vielfalt und Innovationskraft. Volker Reinhardt blickt auf tausend Jahre italienischer Kulturgeschichte und lässt verstehen, was die unverkennbare "Italianità" und die unwiderstehliche Anziehungskraft so vieler eigenwilliger Künstler und Werke ausmacht.
Das Erbe der Antike, arabische Einflüsse auf Sizilien, byzantinische Prägungen in Venedig, deutsche, spanische und französische Kaiser und Könige: Italien wurde ebenso stark von außen geprägt wie durch seine innere Vielfalt. Volker Reinhardt zeigt in dieser souveränen Summe seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Italien, wie sich seit dem 11. Jahrhundert aus all diesen Faktoren eine Kultur entwickelte, die von Italienern und Nicht-Italienern als "italienisch" verstanden wird. Er lässt mit leichter Hand Bilder, Bauwerke und Gärten, Dichtungen, Opern und Filme, Staatstheoretiker und Naturforscher, Kulturen der Küche und des Designs lebendig werden und verfolgt von hier aus lange Entwicklungslinien: von den sizilianischen Baronen bis zur Mafia, von der Renaissance zum Risorgimento, von der Volksnähe Boccaccios bis zu den einfachen Leuten bei Fellini. Die italienische Kultur ist aus Krisen und Katastrophen erwachsen. Zu ihrer DNA gehört eine optimistische Lebenskraft, ja Lebensfreude. Das Buch lädt dazu ein, dieser Kraft auf den Grund zu gehen - und sich selbst von der Macht der Schönheit bezaubern zu lassen. Mit über 100 teils farbigen Abbildungen.

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VOLKER REINHARDT

DIE MACHT DER SCHÖNHEIT

KULTURGESCHICHTE ITALIENS

C.H.Beck

Zum Buch

Aus dem jahrhundertelangen Wettstreit von Städten, Fürsten und Päpsten um die vollkommensten Kunstwerke entstand in Italien seit dem 11. Jahrhundert eine beispiellose kulturelle Vielfalt. Volker Reinhardt lässt Bilder, Bauwerke und Gärten, Dichtungen, Opern und Filme, Staatstheoretiker und Naturforscher, Kulturen der Küche und des Designs lebendig werden und verfolgt von hier aus lange Entwicklungslinien: von den sizilianischen Baronen bis zur Mafia, von der Renaissance zum Risorgimento, von der Volksnähe Boccaccios bis zu den einfachen Leuten bei Fellini. So wird deutlich, was die unverkennbare «Italianità» und die unwiderstehliche Anziehungskraft so vieler eigenwilliger Künstler und Werke ausmacht. Das Buch lädt dazu ein, dieser Kraft auf den Grund zu gehen – und sich selbst von der Macht der Schönheit bezaubern zu lassen.

Über den Autor

Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg, gehört international zu den führenden Italien-Historikern. Er hat mit zahlreichen Büchern zur italienischen Kunst und Geschichte neue Perspektiven eröffnet. Für seine Biographie über Machiavelli (Die Kunst der Macht, C.H.Beck Paperback 2014) wurde er mit dem Golo-Mann-Preis für Geschichtsschreibung ausgezeichnet. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt «Leonardo da Vinci» (2. Aufl. 2019) sowie «Pontifex. Die Geschichte der Päpste» (2. Aufl. 2018).

INHALT

BILDTEIL

EINLEITUNG – Auf der Suche nach Italien und der Italianità

Die Erfindung der Nation

Lob der Konkurrenz, Trauma des Abbruchs

Nationale Kultur im Zeitalter der Globalisierung

ERSTER TEIL: DIE MACHT DER STÄDTE – 11. bis 14. Jahrhundert

1: DIE MONARCHIE DER NORMANNEN IN SIZILIEN – Glanz der Parvenüs

Macht von Gottes Gnaden

Methoden einer starken Herrschaft

Machtverfall und Adelsparadies

2: PISA – Die Wiedergeburt der Städte

Platz der Wunder

Die Geburt der Kommune

Ideologie und Wirklichkeit

3: BOLOGNA LEHRT – Universität und römisches Recht

Die lange Geburt der Hochschule

Politisierung und Globalisierung

Zähmung, Konkurrenz, Niedergang

4: SANTA MARIA NOVELLA – Bettelorden und Patriziat in Florenz

Die Basilika der Inquisitoren

Wartesaal zur Ewigkeit

Hort der Revolution

5: DOGEN-REPUBLIK VENEDIG – Die Warnung des geschwärzten Porträts

Der Spiegel der Freiheit

Checks and balances

Staatsverbrechen und ihre Bestrafung

6: DANTES «GÖTTLICHE KOMÖDIE» – Dichtung und Rache

Der verbannte Poet

Exil und Jenseitswanderung

Der Dichter als Richter

7: WELCHER FRANZISKUS? – Der Ausnahme-Heilige und sein Nachleben

Streit um ein Leben

Die offizielle Biographie in Farben

Der Streit um das Erbe

8: ROMA AETERNA – Heilige Jahre und das Problem der Ruinen

Das attraktive Angebot

Eingerichtet in Ruinen

Auferstehen aus Ruinen?

9: GIOTTO UND DIE ARENAKAPELLE IN PADUA – Die Reinwaschung der Bankiers

Zwei Generationen Wucher

Eine Kapelle als Imagekorrektur

Nachleben oder: Die einseitige Verteilung des Ruhms

10: LÄCHELNDES VERONA – Romeo, Julia und «der große Hund»

Das Rätsel des reitenden Ritters

An der Seite Heinrichs VII.

Die unmögliche Mission

11: SIENA UND DIE «NEUN» – Bilder und Realität der Kommune

Fresken zur politischen Selbsterziehung

Warnungen in Farben

Die Republik: «unsere Sache»

12: DIE PEST VON 1348 – Anarchie und Massengräber

Bilder vom Sterben für die Lebenden

Die Epidemie und ihre Folgen

Massensterben und Lebensgenuss

13: CATERINA DA SIENA – Die Heilige und die Politik

Eine ungewöhnliche Karriere

Heil in heilloser Zeit?

Die Stunde der Heiligen

14: GIAN GALEAZZO VISCONTI – Die Macht der Signorie

Tyrann oder Modellherrscher?

Dom und Kartause, Pracht und Demut

Glanz und Grenzen der Signorie

ZWEITER TEIL: DER HOF UND DIE FEINEN LEUTE – 15. und 16. Jahrhundert

1: FLORENZ UND DIE MACHT DER MEDICI – Drei Davids und eine Judith

Ein neuer Stil

Künstler und Auftraggber

Die Aushöhlung der Republik

2: RENAISSANCEKULTUR IN NEAPEL – Ein neuer König und ein neues Tor

Ein Aragonese am Vesuv

Das Tor des Triumphes

Die Waffen des Humanisten

3: DIE KULTUR DES FEUDALISMUS IM SÜDEN – Huldigungen und Revolten

Ein Kleinkönig empfängt

Die Macht der Barone

Die Lebenswelt des Feudalismus

4: RUHM IN DER RENAISSANCE – Bilder berühmter Männer und Frauen

Vergeudetes Heldentum

Rettende Frauen

Angst vor der Zukunft

5: PIERO DELLA FRANCESCA IN AREZZO – Die Peripherie als Kulturzentrum

Sechstausend Jahre in Farben

Die Ansprüche der Provinz

Griechen in Arezzo

6: PÄPSTLICHER NEPOTISMUS – Römische Renaissance-Kultur

Familienbild mit Papst

Staaten für Nepoten

Söldner, Kochbuchschreiber, Historiker

7: HOFKULTUR IN URBINO – Der Palast des Condottiere

Eine vollendete Bühne

Schauspiele der Erhabenheit

Der perfekte Höfling

8: LEONARDO DA VINCI UND DIE NATUR – Der Zeichner der Welt

Bilder von Pflanzen und Menschen

Normen brechen

Das Pferd der Pferde

9: KULTUR DER GEWALT – Bilder und Blut der Baglioni

Versöhnung in Farben

Schicksale einer Kleinstadt

Die blutige Familie

10: LUCA SIGNORELLI – Der Antichrist im Dom von Orvieto

Bilder vom Ende der Welt

Angst vor Strafe, Hoffnung auf Erneuerung

Der Papst als Antichrist

11: DER NEUBAU VON SANKT PETER – Skandal und Impuls

Die Ruine

Ablassverkauf und Ablasskritik

Die Peterskirche und der Beginn der Reformation

12: ITALIENISCHE KÜCHENKULTUR – Kochbücher, Bankette und Hunger

Gemalte Gastmähler

Völlerei auf der Bühne

Etikette, Rezepte und Diätvorschriften

13: DER PALAZZO DEL TÈ IN MANTUA – Kultur der Erotik

Fresken der Sinnlichkeit und Sinnenlust

Männlichkeit und Männerphantasien

Kurtisanen-Kultur

14: FRANZ I. UND DIE SCHULE VON FONTAINEBLEAU – Italien an der Loire

Der neue Hof

Imagekorrektur in Bildern

Der Weg in die «Religionskriege»

15: BECCAFUMIS FRESKEN UND MACHIAVELLIS IDEEN: – Aufstieg und Niedergang der Staatsräson

Wie das Gesetz es befahl

Machiavelli illustriert

Die Karriere der Staatsräson

DRITTER TEIL: HARMONIEN UND DISSONANZEN – 16. und 17. Jahrhundert

1: MICHELANGELO UND DIE SIXTINISCHE KAPELLE – Die enteignete Ruhmeshalle

Moses, Christus und Sixtus

Die Verdammung

Inquisition und Reformation in Italien

2: PALLADIOS VILLEN IM VENETO – Kaufleute und die Liebe zum Land

Das Land pflügen

Die Wiedergeburt der Villa

Die Villa als aristokratische Lebensform

3: TINTORETTO UND DIE SCUOLA DI SAN ROCCO – Frömmigkeit auf Venezianisch

Wohltätigkeit an der Lagune

Verdächtige Bilder

Konkurrenz mit Rom

4: PALESTRINA UND DIE MISSA PAPAE MARCELLI – Reform der Musik

Seelenfang und Töne

Eine wechselvolle Karriere

Komponist der Katholischen Reform

5: DAS OLYMPISCHE THEATER IN VICENZA – Für immer Ödipus

Olymp lokaler Honoratioren

Tragödien und Komödien

Lebende Bilder, feste Kulissen, innovatives Theater

6: DIE BENANDANTI UND DIE INQUISITION – Hexer gegen Hexen

Geist-Kämpfer

Der Alltag der Inquisitoren

Die Beharrungskraft der Mentalitäten

7: MAGIE UND ALCHEMIE – Händler der Geheimnisse

Der Beruf des Magiers

Die Alchemie und die Kirche

Der Markt der Mysterien

8: CARLO GESUALDO UND DAS MADRIGAL – Ehebruch, Mord und kühne Töne

Ein Gebot der Ehre

Adel und Musik

Letzte Lebensjahre und extreme Gefühle

9: BAROCKE VILLENKULTUR AM TIBER – Die Nachfolger des Lucullus

Fest für die Sinne und moralischer Erlebnispark

Berninis berückende Statuen

Die Konkurrenz der Villen

10: MONTEVERDI UND DIE ERFINDUNG DER OPER – Orpheus in Mantua

Eine neue Tonsprache

Ein großer Komponist in einem kleinen Herzogtum

Orpheus und Eurydike, Nero und Poppea

11: GALILEI UND DIE THEOLOGEN – Die Sonne anhalten

Fernglas und neues Weltbild

Der Gott der Bibel und der Gott des Forschers

Der Galilei-Prozess und die Folgen

12: CAMPANELLA UND DER SONNENSTAAT – Rebellion und Utopie

Grenzgänger zwischen Kerker und Hof

Schöne neue Welt

Die Grenzen der Gleichheit

13: DER AUFSTAND DES MASANIELLO IN NEAPEL – Tanz auf dem Vulkan

Gemalter Tumult

Die Ökonomie des Volkes oder: Fast eine Revolution

Bambocciade und Obelisken

14: DAS NEUE NOTO – Phönix aus der Asche

Umstrittene Erschütterungen

Planungswirrwarr und widerstreitende Interessen

Die honigfarbene Stadt auf dem Hügel

VIERTER TEIL: AUSGRABUNGEN UND AUFKLÄRUNG – 18. Jahrhundert

1: ABSOLUTISMUS IN TURIN – Das Schloss von Stupinigi

Jagd und Herrschaft

Absolutismus auf Piemontesisch

Innovation und Erstarrung

2: VIVALDI UND CASANOVA – Venedigs später Glanz

Verherrlichung und Verdammung der Adelsrepublik

Vivaldi und die Pietà

Beruf: Abenteurer

3: DIE SPANISCHE TREPPE IN ROM – Eleganz und Erlösung

Wege des Heils

Jesuiten und Jansenisten im Streit um das Heil

Freilichtmuseum Rom

4: DIE ENTDECKUNG HERCULANEUMS UND POMPEJIS – Unerwünschte Antike

Archäologie im Dienst der Macht

Unliebsame Funde: Bordelle, Tavernen und schlechtes Latein

Der Vesuv und die Faszination des Untergangs

5: TIEPOLO UND DIE WÜRZBURGER RESIDENZ – Triumph aristokratischer Ironie

Italien in Franken

Stütze des Reiches

Dämmerung Alteuropas

6: DIE REGGIA VON CASERTA – Schloss der Aufklärung, Schloss der Teufel

Zeichen des Neuanfangs

Triumphe aus Wasser und Stein

Bühne eines verrufenen Hofes

7: CESARE BECCARIA UND DIE REFORM DER STRAFJUSTIZ – Verbrechen und Humanität

Theater des Schreckens

Die Aufklärung in Mailand

Die neue Justiz

8: VITTORIO ALFIERI UND UGO FOSCOLO – Leiden an der Nation

Ein adeliger Aussteiger

Theater gegen Tyrannen

Der Dichter als Erwecker der Nation

FÜNFTER TEIL: DER TRAUM VON DER NATIONALEN WIEDERGEBURT – Das lange 19. Jahrhundert

1: MANZONIS «BRAUTLEUTE» – Versöhnung mit der Geschichte

Nation und Sprache, Sprache und Nation

Wunden und Heilung der Geschichte

Optimismus und Unbehagen

2: DIE ZWEI LEOPARDIS – Generationenkonflikte und Zeitumbrüche

Ein Aristokrat von altem Schrot und Korn

Nationale Klagelieder

Ernüchterung, Auflehnung und später Hohn

3: ROM UNTER PIUS IX. – Sehnsucht nach dem Mittelalter

Reformen und Restauration

Ein Stadtbild gegen den Geist der Zeit

Eine untergehende Welt

4: VERDI, DIE OPER UND DAS RISORGIMENTO – Die Nation als Religion

Wege zur Einheit

Eine Oper fürs Vaterland

Nationalstaat, Nationalkomponist und nationale Musik

5: DIE MOLE ANTONELLIANA IN TURIN – Ein Wolkenkratzer und die Emanzipation der Juden

Eine Synagoge auf der Höhe der Zeit

Unbehagen, Umwidmung und Unwetter

Emanzipation und Diskrimierung

6: DAS MONUMENT DER EINHEIT IN ROM – Unbewältigte Vergangenheit in Stein

Alte Bilder, neue Herren

Casting für ein Monument

Spiegel der Geschichte

SECHSTER TEIL: FUTURISMUS, FASCHISMUS, FASHION UND FILM – 20. und 21. Jahrhundert

1: METAPHYSISCHE UND FUTURISTISCHE MALEREI – Konservative Avantgarden

De Chirico und der Geist Nietzsches

Bilder der «Stimmung»

Marinetti und andere Zukunftskünstler

2: DER FIAT-BARREN – Industriearchitektur und Massenproduktion

Eine Fabrik für glückliche Arbeiter und schnelle Autos

Italien und der Erste Weltkrieg: Verlierer und Gewinner

Agnelli und Ferrari, Mythen und Realitäten

3: FASCHISMUS, ARCHÄOLOGIE UND ARCHITEKTUR – Auf der Suche nach der verlorenen Größe

Sehnsucht nach Geschichte

Modernisten und Reaktionäre im Dienst des Duce

Faschistische Moderne in Como

4: NEOREALISMUS IN LITERATUR UND FILM – Die Zwänge des Überlebens

Vergas Sizilien

Moravias Rom, Rosselinis Neapel

Das erfundene Volk

5: ITALIENISCHE MODE – Made in Milan

Die graue Metropole

Mode und Politik

Italianità und Globalisierung

6: FUSSBALL IN ITALIEN – Erfolge, Skandale, Loyalitäten

Calcio und Politik

Tifo und Tifosi

Globalisierung, Manipulationen, Gewalt

7: FELLINIS ROM – Die magische Stadt

Das bittere süße Leben

Satire und Pathos: Satyricon

Ewiges Rom

8: GIUSEPPE TOMASI DI LAMPEDUSA UND SEIN SIZILIEN – Der Sieg der Schakale

Ein posthumer Kultroman

Wahrheit und Dichtung

Zeitloses Sizilien?

EPILOG – Kultur aus der Krise

VOR UND NACHSATZ

ANHANG

Karten

Literatur

ERSTER TEIL: DIE MACHT DER STÄDTE

1. Die Monarchie der Normannen in Sizilien: Glanz der Parvenüs

2. Pisa: Die Wiedergeburt der Städte

3. Bologna lehrt: Universität und römisches Recht

4. Santa Maria Novella: Bettelorden und Patriziat in Florenz

5. Dogen-Republik Venedig: Die Warnung des geschwärzten Porträts

6. Dantes «Göttliche Komödie»: Dichtung und Rache

7. Welcher Franziskus? Der Ausnahme-Heilige und sein Nachleben

8. Roma aeterna: Heilige Jahre und das Problem der Ruinen

9. Giotto und die Arenakapelle in Padua: Die Reinwaschung der Bankiers

10. Lächelndes Verona: Romeo, Julia und «der große Hund»

11. Siena und die «Neun»: Bilder und Realität der Kommune

12. Die Pest von 1348: Anarchie und Massengräber

13. Caterina da Siena: Die Heilige und die Politik

14. Gian Galeazzo Visconti: Die Macht der Signorie

ZWEITER TEIL: DER HOF UND DIE FEINEN LEUTE

1. Florenz und die Macht der Medici: Drei Davids und eine Judith

2. Renaissancekultur in Neapel: Ein neuer König und ein neues Tor

3. Die Kultur des Feudalismus im Süden: Huldigungen und Revolten

4. Ruhm in der Renaissance: Bilder berühmter Männer und Frauen

5. Piero della Francesca in Arezzo: Die Peripherie als Kulturzentrum

6. Päpstlicher Nepotismus: Römische Renaissance-Kultur

7. Hofkultur in Urbino: Der Palast des Condottiere

8. Leonardo da Vinci und die Natur: Der Zeichner der Welt

9. Kultur der Gewalt: Bilder und Blut der Baglioni

10. Luca Signorelli: Der Antichrist im Dom von Orvieto

11. Der Neubau von Sankt Peter: Skandal und Impuls

12. Italienische Küchenkultur: Kochbücher, Bankette und Hunger

13. Der Palazzo del Tè in Mantua: Kultur der Erotik

14. Franz I. und die Schule von Fontainebleau: Italien an der Loire

15. Beccafumis Fresken und Machiavellis Ideen: Aufstieg und Niedergang der Staatsräson

DRITTER TEIL: HARMONIEN UND DISSONANZEN

1. Michelangelo und die Sixtinische Kapelle: Die enteignete Ruhmeshalle

2. Palladios Villen im Veneto: Kaufleute und die Liebe zum Land

3. Tintoretto und die Scuola di San Rocco: Frömmigkeit auf Venezianisch

4. Palestrina und die Missa Papae Marcelli: Reform der Musik

5. Das Olympische Theater in Vicenza: Für immer Ödipus

6. Die Benandanti und die Inquisition: Hexer gegen Hexen

7. Magie und Alchemie: Händler der Geheimnisse

8. Carlo Gesualdo und das Madrigal: Ehebruch, Mord und kühne Töne

9. Barocke Villenkultur am Tiber: Die Nachfolger des Lucullus

10. Monteverdi und die Erfindung der Oper: Orpheus in Mantua

11. Galilei und die Theologen: Die Sonne anhalten

12. Campanella und der Sonnenstaat: Rebellion und Utopie

13. Der Aufstand des Masaniello in Neapel: Tanz auf dem Vulkan

14. Das neue Noto: Phönix aus der Asche

VIERTER TEIL: AUSGRABUNGEN UND AUFKLÄRUNG

1. Absolutismus in Turin: Das Schloss von Stupinigi

2. Vivaldi und Casanova: Venedigs später Glanz

3. Die Spanische Treppe in Rom: Eleganz und Erlösung

4. Die Entdeckung Herculaneums und Pompejis: Unerwünschte Antike

5. Tiepolo und die Würzburger Residenz: Triumph aristokratischer Ironie

6. Die Reggia von Caserta: Schloss der Aufklärung, Schloss der Teufel

7. Cesare Beccaria und die Reform der Strafjustiz: Verbrechen und Humanität

8. Vittorio Alfieri und Ugo Foscolo: Leiden an der Nation

FÜNFTER TEIL: DER TRAUM VON DER NATIONALEN WIEDERGEBURT

1. Manzonis «Brautleute»: Versöhnung mit der Geschichte

2. Die zwei Leopardis: Generationenkonflikte und Zeitumbrüche

3. Rom unter Pius IX.: Sehnsucht nach dem Mittelalter

4. Verdi, die Oper und das Risorgimento: Die Nation als Religion

5. Die Mole Antonelliana in Turin: Ein Wolkenkratzer und die Emanzipation der Juden

6. Das Monument der Einheit in Rom: Unbewältigte Vergangenheit in Stein

SECHSTER TEIL: FUTURISMUS, FASCHISMUS, FASHION UND FILM

1. Metaphysische und futuristische Malerei: Konservative Avantgarden

2. Der Fiat-Barren: Industriearchitektur und Massenproduktion

3. Faschismus, Archäologie und Architektur: Auf der Suche nach der verlorenen Größe

4. Neorealismus in Literatur und Film: Die Zwänge des Überlebens

5. Italienische Mode: Made in Milan

6. Fußball in Italien: Erfolge, Skandale, Loyalitäten

7. Fellinis Rom: Die magische Stadt

8. Giuseppe Tomasi di Lampedusa und sein Sizilien: Der Sieg der Schakale

Bildnachweis

Vorsätze und Vignetten

Textabbildungen

Farbtafeln

Personenregister

VOR UND NACHSATZ

BILDTEIL

Christus krönt Roger II. zum König von Sizilien. Für den Papst als Vermittler von Herrschaft und Heil bleibt da kein Platz.

Drei Episoden aus der offiziellen Vita des populärsten aller Heiligen, gemalt von Giotto di Bondone: Franz von Assisi stützt – so die Traumvision Papst Innozenz’ III. – die einstürzende Lateranbasilika und damit die universelle Kirche, vertreibt als Vermittler zwischen Himmel und Erde die Zwietracht säenden Teufel aus Arezzo und empfängt in geheimnisvoller Entrückung und Nachfolge Christi dessen Wundmale, die Stigmen.

Die späte Heimholung eines großen Sohnes in Farben: Domenico di Michelinos Fresko im Dom von Florenz zeigt den von seinen Mitbürgern verbannten Dichter Dante Alighieri vor den jenseitigen Schauplätzen seiner Divina Commedia.

Ein wundertätiger Papst in einem zerfallenen Ambiente: Maso di Bancos Fresko in der florentinischen Basilika Santa Croce zeigt die Ewige Stadt sehr vergänglich. Das neue Rom liegt nicht mehr am Tiber, sondern am Arno.

Bitterer Ruhm: Andrea del Castagnos eigenwillige Fresken zeigen mit Pippo Spano und Farinata degli Uberti zwei Feldherren, denen in ihrer Heimat Florenz die verdiente Anerkennung verweigert wurde. Ähnlich erging es dem verbannten Dichter Dante Alighieri.

Modernste Kunstwerke für einen zeitgemäßen und profitablen, doch anrüchigen Beruf: In der Arenakapelle zu Padua malte Giotto einen Freskenzyklus, der den Auftraggeber Andrea Scrovegni vom Ruf des Wucherers reinwaschen sollte. Joachims Lammopfer wird wegen seiner Kinderlosigkeit zurückgewiesen, doch Gott wird ihn durch die späte Geburt eines Sohnes rechtfertigen. Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel: Deutlicher kann man sich vom schmutzigen Geldgewerbe nicht distanzieren. Mit der Widmung der Kapelle an die Jungfrau Maria hat die Familie Scrovegni endgültig alle Makel getilgt.

Politische Ethik zur Erziehung der politischen Klasse: Ambrogio Lorenzettis berühmte Fresken im Stadtpalast von Siena zeigen mit eindrucksvollen allegorischen Figuren die Voraussetzungen einer guten Regierung (Tafel VIII oben) sowie ihre Auswirkungen in der Stadt (Tafel VIII Mitte) und auf dem Land (Tafel VIII unten) und schließlich die Schrecken der Tyrannei (Tafel IX). Wem Siena die Segnungen von Frieden und Harmonie verdankt, zeigt die Gruppe der fröhlich Tanzenden (Tafel VIII Mitte): Mit ihrer Neunerzahl steht sie für die regierende Interessengruppe des «Neunerberges», der die Kommune zu seinem Vorteil beherrscht und mit Lorenzettis Werken seine Gegner warnt: Wer den Umsturz wagt, erfährt die ganze Härte des Gesetzes.

In Piero della Francescas Fresken stirbt mit Adam zum ersten Mal ein Mensch eines natürlichen Todes. Auf einem weiteren Bild (Tafel XI) träumt Kaiser Konstantin vom Sieg durch das Kreuz, der am Morgen danach gewaltlos erfochten wird, so dass der glänzende junge Reiter gar nicht kämpfen muss. Am Ende steht der Appell, das Heilige Land mit dem Heiligen Kreuz, das allein Adam und seine Nachkommen erlösen kann, von den «Ungläubigen» zurückzuerobern – eine nach dem Fall Konstantinopels 1453 aktuelle Botschaft, die dem Auftraggeber der Bilder jedoch nicht den erhofften Karriereschub verschaffte.

Eine zerstrittene Familie mit einem senilen Pontifex und einem unbequemen Intellektuellen: Melozzo da Forlìs Fresko zeigt offiziell die Ernennung Platinas zum Präfekten der Vatikanischen Bibliothek durch Papst Sixtus IV. im Kreis seiner Verwandten, doch lässt es hinter der glänzenden Fassade die ungelösten Spannungen innerhalb der regierenden Sippe und damit die Dysfunktionalität des Nepotismus durchscheinen.

In seinem Gemälde der «Heiligen Anna Selbdritt» zeigt der Nicht-Christ Leonardo da Vinci Christus als Lamm-Mörder: Der jugendliche Erlöser ist ein Knabe in der Trotzphase, das vermeintlich Heilige wird radikal vermenschlicht.

In dem umbrischen Städtchen Spello schuf Pintoricchio, der seine Werke mit einem selbstbewussten Porträt signierte, Fresken, die ein Trauma heilen sollten. In der «Verkündigung an Maria» beginnt die Geschichte der Erlösung, im Hintergrund der harmonischen Szene kommt es zum friedlichen Ausgleich durch Verhandlungen. In Wirklichkeit hatten sich die Baglioni, die regierende Familie der Region, kurz zuvor selbst zerfleischt, und die Spannungen zwischen Spello und seinen Nachbarorten blieben ungelöst.

In Giulio Romanos «Hochzeitbankett von Amor und Psyche» an der Wand des Palazzo del Tè in Mantua leben Götter, Nymphen, Satyre und Menschen ihre erotischen Sehnsüchte ohne Hemmungen aus. Die sinnlichen Bilderfolgen für Herzog Ercole II. d’Este trafen voll und ganz den Zeitgeschmack seiner hochgeborenen Zeitgenossen.

In der Galerie von Schloss Fontainebleau ließ König Franz I., der die Kunst und den höfischen Stil der Renaissance nach Frankreich brachte, nach schweren Krisen und Rückschlägen seine Regierung in Bildern und Stuck legitimieren: Im Kernstück der Freskenreihe tritt er lorbeerumkränzt als väterlicher Schiedsrichter und Einheitsstifter seines Landes auf.

In seinen Fresken der Sala del Concistoro malte Domenico Beccafumi im Auftrag der Stadtregierung und gestützt auf eine Schrift Machiavellis Szenen aus der griechischen und römischen Geschichte, die blutige Staatsräson verkünden: Ein pflichtbewusster Volkstribun schickt seine korrupten Kollegen zur Verbrennung in den Feuerofen, und ein ehemaliger republikanischer Tugendheld wird als Möchtegern-Tyrann in den Tod gestürzt.

In den Fresken der «Neuen Kapelle» im Dom von Orvieto hat Luca Signorelli das Szenarium des Weltuntergangs ausgestaltet: Der Antichrist tritt auf, triumphiert und wird vom Erzengel Michael besiegt. Für manche Zeitgenossen war der böse Nachäffer des Heilands mit Papst Alexander VI. Borgia identisch.

In seinen Fresken der Tornabuoni-Kapelle von Santa Maria Novella zeigt Domenico Ghirlandaio die Patrizierfamilie Tornabuoni in all ihrer diskreten Vornehmheit. Im «Gastmahl des Herodes» wird elegant, doch frugal gespeist, ganz im Gegensatz zu den opulenten Menüs, die bei festlichen Anlässen in diesen Schichten üblich waren (oben). Wie sehr die Ausstattung von Palästen im Florenz der Renaissance zum Merkmal der Distinktion geworden war, zeigt die «Geburt Johannes des Täufers», die der Maler gleichfalls in einen Palast der Zeit verlegt (unten).

In der Sixtinischen Kapelle des Vatikans malte Botticelli 1482 mit der Bestrafung der Rotte Korah und dem Untergang der Aaron-Söhne ein Fresko, das die alleinige Herrschaft des Papstes über die Kirche begründen sollte, doch durch seine krassen Gewaltszenen verstört. Dreißig Jahre später schmückte Michelangelo die Decke mit Fresken, die eine unheilbar sündige Menschheit zeigen und die vom Auftraggeber gewünschte Ruhmesbotschaft damit unterlaufen. In seinem monumentalen Fresko des Jüngsten Gerichts sind selbst die Heiligen ihrer Erwählung nicht sicher.

Zwei religiöse Bilder, das eine von der Inquisition moniert, das andere unbeanstandet: In Paolo Veroneses «Gastmahl des Levi» tritt das heilige Geschehen nach Ansicht der Glaubenswächter unzulässig hinter der turbulenten Bewirtungsszene zurück. Tintorettos Kreuzigung Christi ist ebenfalls überaus figurenreich, doch ganz auf die Passion des Erlösers konzentriert.

In Schönheit erstarrt: Das Bühnenbild des Teatro Olimpico in Vicenza ist von einzigartigem Reiz, doch austauschen lässt es sich nicht – Sinnbild einer Gesellschaft und einer Kultur, die sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen beginnt.

Diesem Wahrsager sollte man besser nicht vertrauen: Pietro della Vecchias judenfeindliches Bild des Chiromanten stellt ein verbreitetes Metier in Frage.

Lustvolle Visionen des Untergangs: Nach den Erschütterungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Zeit lebte Europa auf dünnem geschichtlichem Boden. Bilder vom Untergang Pompejis wie das von Henri-Frédéric Schopin hatten im Zeichen dieser Verunsicherung Konjunktur.

Der Vesuv raucht, die kleinen Leute kochen vor Wut: Michelangelo Cerquozzi malte den Aufstand des Masaniello in Neapel 1647 so, dass er ins Weltbild der herrschenden Kreise passte.

Balthasar Neumanns Residenz der Fürstbischöfe von Würzburg ist die Stein gewordene Apotheose der Familie Schönborn und ihrer Verbündeten (Tafel XXVI zeigt das monumentale Treppenhaus). Giovanni Battista Tiepolo schuf in Franken für ein Traumhonorar Fresken, die den Ruhm des Fürstbischofs in allen Kontinenten (oben Amerika, unten Europa) prachtvoll und zugleich ironisch gebrochen verkünden.

In seinen Villenbauten gab Andrea del Palladio den Imagebedürfnissen, dem Lebensgefühl und den wirtschaftlichen Interessen seiner venezianischen Auftraggeber vollendeten Ausdruck: So in der Villa Barbaro und ihrem Nymphäum bei Maser und der Villa Foscari bei Fusina.

Echte Gotik, neugotisch aufgemacht: Roms altehrwürdige Basilika Santa Maria sopra Minerva wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch «mittelalterlicher» gestaltet, um damit die Herrschaftsansprüche des rückwärtsgewandten Papsttums zu legitimieren.

Drei «metaphysische» Bilder aus Giorgio de Chiricos innovativer Anfangszeit: «Das Rätsel eines Herbstnachmittags», «Das Rätsel des Orakels», «Herbstmeditation» – traumverloren, melancholisch, diffus bedrohlich, je nach Stimmung.

Die Außenwelt wird Innenwelt, Farbe Geräusch: Umberto Boccioni malte mit «Die Straße dringt ins Haus» ein Manifest futuristischer Malerei.

Verhöhnung oder verschlüsselte Verehrung? Die Parade der Nonnen und Kleriker in Fellinis «Roma».

EINLEITUNG

Auf der Suche nach Italien und der Italianità

Die Erfindung der Nation

Was ist Italien? Für den österreichischen Staatskanzler Clemens Wenzeslaus Lothar Fürst von Metternich war das 1847 eine überflüssige Frage: Italien war nichts als ein «geographischer Begriff» für das Land zwischen Alpen und Ätna, das im Norden und Süden habsburgischen und bourbonischen Dynastien sowie in der Mitte dem Papst gehörte. Metternichs böses Bonmot sollte italienische Patrioten provozieren, die damals von der Wiedererweckung und Wiederauferstehung, dem «Risorgimento», Italiens träumten, das ihrer Ansicht nach von neidischen und reaktionären Mächten wie Spanien und dem Papsttum in einen zweihundertjährigen Dämmerschlaf versetzt worden sei. Für die patriotisch gesinnten Intellektuellen lautete die Antwort auf die Frage nach dem Wesen ihres Landes hingegen: Italien ist der Inbegriff der Zivilisation, die Prometheus-Nation schlechthin, die für die Ausbreitung des Lichts nur Undank erntete und jetzt den Weg zurück zu alter Größe finden muss.

Ab wann gibt es Italien, wo liegen seine Wurzeln? Für die historischen Grübler unter den Risorgimento-Aktivisten waberten die Anfänge ihrer Nation im Morgennebel der Geschichte. So manifestierte sich der italienische Volksgeist für den piemontesischen Priester, Kulturhistoriker und Politiker Vincenzo Gioberti schon lange vor dem Aufstieg Roms in den alt-italischen Stämmen der Volsker und ihrer Nachbarn. Diese unverwechselbare «Italianität» (italianità) lebte in den Römern fort, vertiefte sich in ihnen und verbreitete sich durch sie, nicht nur in Italien, sondern schließlich in ganz Europa. Alle künstlerischen Errungenschaften, Erfindungen und Fortschritte auf dem Weg zu höherer Humanität waren laut Gioberti von Italien ausgegangen. Die kulturelle Führungsstellung, die das atlantische und protestantische Europa seit dem 17. Jahrhundert für sich reklamierte, war also nur angemaßt. Alles Große, was Länder wie Frankreich, Holland oder Deutschland für sich in Anspruch nahmen, kam in Wirklichkeit aus Italien, das seine alte Spitzenposition nur scheinbar verloren hatte. Schon bald – so Giobertis optimistische Prophezeiung – werde Italien seinen angestammten Platz als erste unter den Nationen vor aller Augen strahlender denn je wieder einnehmen.

Der Faschismus strich die Volsker aus diesem Modell, setzte die Römer dafür ein und übernahm den Rest, zusammen mit der Botschaft an die Außenwelt: Italien als Kulturnation über alles! Für den faschistischen Diktator Benito Mussolini gab es in der nationalen Geschichte zwei Gipfel, den ersten unter Kaiser Augustus, den zweiten in der Renaissance, zwei Talsohlen nach diesen beiden Glanzzeiten und schließlich einen dritten Aufstieg, den das Risorgimento versprochen hatte und der Faschismus einlöste. Das Nachkriegsitalien ersetzte den Faschismus wieder durch das Risorgimento als Wiedergeburt der Nation, doch wurde dieser angebliche Neubeginn mit der Zeit immer fragwürdiger.

Dass der erste Gipfelpunkt der nationalen Geschichte in der Antike erreicht wurde, darüber herrscht im kollektiven Geschichtsbild Italiens heute Einigkeit, strittig ist allein, ob unter der Republik oder unter den «guten» Kaisern. Der erste Absturz erfolgte dann durch die Auflösung des Imperiums und die Einwanderung der «barbarischen» Goten und Langobarden. Diese Talsohle war durchschritten, als sich im 11. Jahrhundert «nationale» Kleinkönigtümer bildeten und die Kommunen, die selbständigen Stadtrepubliken, mächtig und selbstbewusst wurden. Wann Italien seinen zweiten historischen Gipfel erklomm, ob schon mit den Kommunen des 13. Jahrhunderts oder erst mit dem Kulturglanz der Renaissance, wurde und wird gleichfalls kontrovers diskutiert. Für die meisten national gesinnten Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts begann mit der Renaissance – einer Epoche, die von dem Franzosen Jules Michelet und dem Schweizer Jacob Burckhardt erfunden wurde – schon der innere Zerfall, der sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Verlust des Nationalgeistes und des Kulturprimats, ja der nationalen Identität insgesamt beschleunigte. Ob diese Wunden durch die Errungenschaften des Risorgimento geheilt sind, schief vernarben oder weiter schwären, darüber wird in der italienischen Öffentlichkeit bis heute leidenschaftlich debattiert.

Für die radikalen «Regionalisten» dagegen, die sich seit den Ligabewegungen der 1980er Jahre zunehmend Gehör und lokale Macht verschafft und seit Kurzem sogar mit der Protestbewegung der «Cinque Stelle» die Regierung des Landes bilden, hat es Italien als gewachsene Einheit nie gegeben. Für sie verläuft die Grenze zwischen den beiden Nationen «Padanien» im Norden und «Italien» ziemlich genau dort, wo der Rubikon südlich von Ravenna die altrömische Provinzgrenze zwischen Italien und dem cisalpinen Gallien bildete.

Die Kritiker von der Linken sehen das Manko hingegen darin, dass Italien nie eine Revolution erlebt hat, weder von Jakobinern noch von Sozialisten. Dadurch hat sich in ihren Augen die cosa nostra-Haltung einer herrschenden Klasse entwickelt, die nie wirklich neuformiert oder auch nur gründlich durchmischt bzw. durchlüftet wurde und daher zu einer fatalen Selbstbedienungsmentalität neigt. Ihr Italien definiert sich daher nicht durch Schlösser und Fresken, sondern durch volkstümliche Lebensformen und Erfahrungswelten: Italien, das Land des Weins und der Ölbäume, der Pasta und Pizza, der Palios und der agrarischen Kooperativen.

So sind alle Versuche, das «Wesen» Italiens zu bestimmen, von Mythen geprägt. Das ist nur logisch, denn ohne Mythen gäbe es bis heute keine Nationen. Die Nation Italien als Abstammungsgemeinschaft mit unverwechselbar prägenden Eigenschaften wurde seit dem 14. Jahrhundert von italienischen Humanisten unter der intellektuellen Führung Francesco Petrarcas erfunden. Dabei stützten sie sich auf die Antike, die das Konzept der Nation gar nicht gekannt hatte, sondern deren Texte vom emotionalen Schlüsselbegriff der patria, des Vaterlandes und der Liebe zu ihm, ausgingen. Als «Entdecker» der Nation versahen die Humanisten diese mit noblen Eigenschaften und erhoben sie dadurch weit über die rohe Außenwelt, die als «barbarisch» abgewertet wurde; so hatten sich schon die Griechen gegen die «kulturlosen» Makedonen abgegrenzt. Wütende Reaktionen der Geschmähten ließen nicht lange auf sich warten. Franzosen, Deutsche, Schweizer, Briten, Spanier – sie alle zahlten es den Italienern heim, bezeichnenderweise mit den Methoden ihrer Gegner. Sie beschrieben sich selbst als Nationen, die ihre unverlierbare Würde aus den Uranfängen der Geschichte gewonnen und sich seit jeher gegen die Unterdrückung durch Italien gewehrt hatten – sei es gegen die Legionen von Konsuln und Cäsaren, sei es gegen die überzogenen Steuern des Papsttums. Die Erfindung der Nationen, der italienischen wie der anderen, nahm also von Italien ihren Ausgang.

Im Zuge dieses kreativen Prozesses wurde nicht nur das Wesen, sondern auch die Lebensdauer der Nation definiert: Nationen – so die humanistische Basisformel – hatte es schon immer gegeben und würde es immer geben, vorausgesetzt, sie blieben sich ihrer Einzigartigkeit bewusst und wehrten sich gegen zersetzende Einflüsse von außen. Die Nation hatte also die Option auf Unsterblichkeit, doch um diese einzulösen, bedurfte sie des Schutzes und der stetigen Erneuerung. Sie brauchte Wächter und Warnrufer und fand diese in Gestalt von Historikern und politischen Denkern, die die nationalen Mythen hegten und pflegten – auch das ist bis heute so geblieben.

Die Nation Italien war also zu Anfang ein Angebot von Literaten. Auf Nachfrage stieß diese Offerte zuerst bei den Mächtigen, die daraus propagandistisches und politisches Kapital schlugen. Daran änderte sich lange Zeit wenig. «Italien» blieb bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein Glaubensartikel der Eliten. Die mittleren und unteren Schichten der Gesellschaft erreichte die Idee der Nation erst im 20. Jahrhundert durch Kriege, Fußball und neue Medien; wie tief ihre Wurzeln heute sind, ist unsicher. Italien als Nation ist eine lange Zeit mehr oder weniger verinnerlichte, mehr oder weniger akzeptierte Erfindung, die seit 1861 in einem «Nationalstaat» politische Formen angenommen hat. Dieser Nationalstaat wiederum hat seit dem Ende des 20. Jahrhunderts Teile seiner Hoheit ohne die Legitimation einer Volksbefragung an die Europäische Union abgetreten. Dass im Unterschied zu anderen Ländern wütende Reaktionen gegen diese Einbettung des Nationalstaats in eine übernationale Gemeinschaft lange Zeit ausblieben, könnte ein Symptom dafür sein, dass dieser zwischen Alpen und Ätna schwächer verwurzelt ist; für den Ausgang der Parlamentswahlen vom März 2018 war denn auch nicht die Polemik gegen den Verlust von Souveränität, sondern gegen das «ökonomische Diktat» Brüssels von Belang.

Lob der Konkurrenz, Trauma des Abbruchs

Beginnt die Geschichte Italiens also mit der Erfindung der Nation? Damit würde man die gewagte Gedankenkonstruktion einer Handvoll selbstgewisser Humanisten heillos überbewerten und die tatsächliche Komplexität der geschichtlichen Erscheinungen und Entwicklungen unterschätzen. Denn das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben Italiens war vor 1861 nicht vereint, vereinheitlicht und zusammengefasst, sondern zersplittert, aufgeteilt auf eine Vielzahl rivalisierender Staaten, Landschaften, Städte, ja Dörfer. Die Vorstellung, dass es jenseits dieser ungeheuren Vielfalt eine Einheit im Großen gab, die alle diese Erscheinungsformen überwölbte und als «italienisch» und damit als zusammengehörig auswies, gehörte seit langem zum Selbstverständnis der Führungsschicht, ohne dass damit die Unterschiedlichkeit im Einzelnen geleugnet wurde. Für den Historiker Francesco Guicciardini (1483–1540), den schon seine europäischen Zeitgenossen für den tiefsinnigsten Interpreten der italienischen Geschichte hielten, war Italien durch die innere Konkurrenz groß geworden, die sich zwangsläufig aus der territorialen Zersplitterung ergab. So rivalisierte jede politische Einheit, und war sie noch so klein, mit der anderen, jede Stadt beanspruchte die größten Künstler und die vollkommensten Kunstwerke für sich – und schuf durch dieses unermüdliche Sich-miteinander-Messen und Sich-aneinander-Reiben die Voraussetzungen dafür, dass sich in einem gesellschaftlich und politisch eher konservativen Milieu eine einzigartig innovative und produktive Kultur entfaltete. Wer sich an einem fürstlichen Hof nicht wohl fühlte, konnte in ein republikanisches Zentrum überwechseln – und umgekehrt. Auf diese Weise bildeten sich nicht nur unterschiedliche Geschmacksvorstellungen und Stile, sondern auch verschiedenartige Lebensformen und Werte aus, die gleichfalls miteinander in Wettbewerb traten. Guicciardini übersah die Nachteile dieser extremen Aufsplitterung, die Italien ab 1494 zu einer leichten Beute der Großmächte Frankreich und Spanien machte, nicht, doch ergaben sie sich in seinen Augen nicht zwangsläufig: Eine überlegene Zivilisation wie die italienische musste in der Lage sein, ihre Errungenschaften nach außen zu verteidigen, zum Beispiel in einer gemeinsamen militärischen Abwehrliga. Dass ein solches Bündnis nicht zustande kam, führte Guicciardini darauf zurück, dass die politisch Verantwortlichen von Machtgier und irrationalen Erwartungen geblendet wurden und es daher an der nötigen Vernunft und Selbstbeschränkung fehlen ließen. Der von jetzt an unaufhaltsame Abstieg Italiens war für ihn also nicht vorherbestimmt, sondern ein vermeidbarer historischer Unfall, der die Geschichte des Landes tragisch einfärbte.

Diesem Deutungsmuster ist die italienische Geschichtsschreibung seit dem Risorgimento weitgehend gefolgt: Je mehr sich das Land «hispanisierte», desto mehr genuiner Nationalgeist ging verloren. 1503 eroberte Spanien Süditalien, ab 1537 wurden Mailand und die Lombardei von einem spanischen Gouverneur verwaltet, um dieselbe Zeit gerieten Florenz und die Toskana sowie Rom und der Kirchenstaat in eine lang anhaltende Abhängigkeit von der iberischen Großmacht. Italienisches Italien gab es demnach nur noch in Restbeständen, im Nordosten mit Venedig und seinem Festlandbesitz und, allmählich heranreifend, im Nordwesten mit Piemont und Turin. Dieses simple Erklärungsmodell, wonach langfristige Fremdherrschaft die organische Entwicklung nationaler Kultur stört und schließlich zerstört, ist aus heutiger Sicht unhaltbar, denn die spanische Vorherrschaft bieb auf die oberste Ebene der Macht beschränkt; darunter behielten die lokalen und regionalen Eliten unangefochten das Sagen. In Konflikten mit dem spanischen Vizekönig in Neapel oder dem Gouverneur in Mailand saß der einheimische Adel sogar meistens am längeren Hebel, da die Zentrale in Madrid Unruhen vor Ort vermeiden wollte und deshalb unbequeme Funktionäre lieber austauschte, als mit diesen gegen die örtlichen Honoratioren vorzugehen. Die spanische Dominanz hatte daher nicht Lähmung, sondern Zähmung zur Folge: Sie ordnete, lenkte, kanalisierte und befriedete Italien von oben, ohne die Konkurrenz darunter, das Lebensprinzip der italianità, zu ersticken. Unter der spanischen Hegemonie gelangte die Kultur Italiens sogar zu einzigartiger Blüte. In dieser Zeit der «Fremdherrschaft» entstanden Michelangelos «Jüngstes Gericht», die «Missa Papae Marcelli» Palestrinas, Palladios Villen im Veneto, der Stil des Barock, der sich ab 1600 in römischen Bauten und den Statuen Berninis entwickelte, die Opern Monteverdis und die umstürzenden physikalischen Theorien Galileis. Auch im 18. Jahrhundert blieb die italienische Kultur, wie sie sich in den piemontesischen Schlossbauten Juvarras, den Fresken Tiepolos, den Konzerten Vivaldis und den revolutionären Ideen Beccarias zu einem modernen Strafrecht manifestierte, unangefochten auf der Höhe der Zeit – in ausgeprägtem Widerspruch zur Ansicht der aufgeklärten Intellektuellen, die ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Bruchstelle der Nationalgeschichte und den Beginn des zweiten Niedergangs datierten.

Die «spanische Fremdherrschaft» scheidet als Schlüsselmotiv zur Erklärung der italienischen Geschichte somit aus. Guicciardinis Gleichsetzung von politisch-sozialer Vielfalt und Kulturblüte hingegen bleibt bedenkenswert. Denn die dadurch erzeugte Konkurrenz und ihr konkreter Niederschlag, die intensive Nachfrage nach Literatur, bildender Kunst und Musik, war mit der Flurbereinigung auf der obersten politischen Ebene seit dem 16. Jahrhundert nicht erloschen, sondern ebenfalls geordnet und weiter intensiviert. Diese innere Triebkraft durch Rivalität auf allen Ebenen kam erst um 1800 zum Erliegen, als Napoleon in Italien eine Hegemonie von vorher nie gekannter Durchschlags- und Prägekraft errichtete. Der Kaiser der Franzosen, der Prunkstücke antiker und moderner Kunst als Beute-Trophäen nach Paris entführen ließ, traumatisierte Italien gleich mehrfach: durch den Modernisierungsschock einer neuen, straff organisierten und rücksichtslos gegen oben und unten durchgreifenden Bürokratie, Justiz und Militärverwaltung, aber auch durch den nicht minder schroff verkündeten Anspruch auf französische Kulturhoheit in Gegenwart und Zukunft.

Auf das von Napoleon eingeleitete bürgerliche Zeitalter war Italien nicht vorbereitet. In den großen Kulturzentren waren die alten Aristokratien entweder verarmt (wie in Venedig), entmachtet (wie in Florenz), saturiert und provinzialisiert (wie in Rom) oder durch die politischen Umstürze dezimiert wie in Neapel. Ihre Rolle als Auftraggeber und Sponsoren von Kunst und Kultur spielten sie unter diesen fundamental veränderten Umständen nicht mehr wie früher. Ersatz für sie war aber nicht in Sicht. Die piemontesischen Kleinadeligen und Großbürger, die das Risorgimento in autoritär geprägte Bahnen lenkten, konnten den alten Eliten kulturell in keiner Hinsicht das Wasser reichen, dazu fehlte ihnen die geschichtlich gewachsene Statur. Italienische Kultur war seit Jahrhunderten in Symbiose mit den vielfältigen Bedürfnissen von Kommunen und Höfen entstanden und hatte sich den wechselnden Anforderungen dieser unterschiedlichen Lebensräume mit virtuoser Geschmeidigkeit und Wandlungsfähigkeit angepasst. Die damit geschaffenen Lebensbedingungen aber schwanden im 19. Jahrhundert zusehends dahin. Republiken gab es jetzt nicht mehr, und die Höfe der Habsburger und Bourbonen auf italienischem Boden waren nur noch mehr oder weniger unabhängige Verwaltungszentren, aber keine kulturellen Anziehungspunkte mehr. Ein Bildungsbürgertum wie in Deutschland oder eine starke Finanzbourgeoisie wie in Frankreich konnte diese verwaiste Stelle ebenfalls nicht auffüllen. Akademisch gebildete Mittelschichten hatten (und haben) in Italien seit jeher eine relativ niedrige soziale Stellung, und der Typus des mäzenatisch aktiven Großindustriellen trat erst im 20. Jahrhundert vereinzelt auf den Plan. Dem alten Prinzip der produktiven Konkurrenz blieb allein der Opernbetrieb treu, der denn auch als einziger traditioneller «Kultursektor» im 19. Jahrhundert auf der Höhe der vorangehenden Zeit erhalten blieb.

Das 20. Jahrhundert begann für italienische Künstler und Intellektuelle im Zeichen des Rückständigkeitstraumas. Der Wille aufzuholen oder, besser noch, zu überholen und den angestammten Führungsplatz im Handstreich wieder zu besetzen, hatte forcierte Modernitätskulte von Futuristen und Faschisten zur Folge. Doch blieb hinter den Fassaden der Zukunfts- und Technikgläubigkeit die Sehnsucht nach einer zeitgemäßen Wiederbelebung der historisch gewachsenen italianità stets erkennbar. Nach dem Untergang der faschistischen Diktatur ist diese Verschmelzung von Tradition und Erneuerung zumindest in den Bereichen Architektur, Musik, Film, Literatur, Mode und Sport jahrzehntelang gelungen – Made in Italy stand hier für die attraktive Synthese von Vergangenheit und Gegenwart, wiederbelebter Klassik und moderater Exzentrik. Dabei ist die aristokratische Prägung weiterhin unübersehbar. Weil das Bürgertum in all seinen Erscheinungsformen in Italien kein Prestige besitzt, ist die Anziehungskraft eines «signorilen», herrschaftlichen oder zumindest adelig angehauchten Lebensstils ungebrochen. Ob Jeans von Armani oder Sportwagen von Ferrari, das Versprechen ist das gleiche: herauszuragen aus der Masse, teilzuhaben an Lebensformen, Ansehen und Ehre eines höheren Standes.

Nationale Kultur im Zeitalter der Globalisierung

Gibt es im 21. Jahrhundert überhaupt noch nationale Kulturen, und hat es sie überhaupt jemals gegeben? Für die große Mehrheit heutiger Europäer und Europäerinnen ist Nationalcharakter eine feste Bezugsgröße, die im Alltag jederzeit erfahrbar ist. Das war der Nationalcharakter im 18. Jahrhundert auch für die Wissenschaft. Politiktheoretiker wie Montesquieu versuchten die kollektiven Eigenschaften der Nationen durch geographische und klimatische Faktoren zu bestimmen. Nach den Erfahrungen von Krieg, Vertreibung und Vernichtung, die im 19. und 20. Jahrhundert aus übersteigertem Nationalismus folgten, fragen Historiker und Kulturwissenschaftler, wie es zur «Konstruktion» nationaler Kulturen kommen konnte, doch außerhalb der akademischen Zirkel (und hinter vorgehaltener Hand auch in diesen) leben Vorstellungen von typisch deutschen, typisch französischen oder typisch italienischen Weltsichten und Verhaltensweisen ungebrochen fort.

Für heutige Historiker ist Kultur vor allem ein Austauschprodukt, dem keine Grenzen gezogen sind; die neuesten Untersuchungsmethoden betonen Vernetzung und Globalisierung als Grundmuster der europäischen Geschichte seit jeher. Solche Deutungsmodelle sind hilfreich und problematisch zugleich. Sie haben die Augen für umfassende Entwicklungen geöffnet, verengte Perspektiven aufgebrochen und neue Betrachtungsweisen geschaffen, zum Beispiel dass es keine in sich geschlossene, abgeschottete und sich selbst genügende «französische», «deutsche» oder «italienische» Kunst und Kultur ohne wechselseitige Beeinflussungen gab und gibt. Wie alle zeitweise hegemonialen Trends der Humanwissenschaften ist die «transnationale Geschichte» sehr dicht am Zeitgeist gebaut und nicht selten von ihm diktiert. Dabei droht aus dem Blickfeld zu entschwinden, dass es zwar keine hermetisch abgeriegelten Kulturbezirke, sehr wohl aber von Land zu Land unterschiedliche Schwerpunkte und Entwicklungslinien gab und gibt, gewiss innerhalb eines europäischen Rahmens und auch mit außereuropäischen Einflüssen, doch mit ihren unverwechselbaren Akzentuierungen einst wie jetzt deutlich unterscheidbar. Wer diese Eigenarten leugnet, ebnet die europäische Kulturgeschichte zu einer platten Ödnis ein.

Wer indes am Konzept einer «italienischen Kulturgeschichte» festhält, muss definieren, datieren und sortieren. «Italien» soll hier weder als Nation noch als bloße antike Reminiszenz oder als geographischer Begriff, sondern als eine in eigener wie auch fremder Wahrnehmung fassbare Größe verstanden werden, die von anderen Einheiten dieser Art durch eindeutig hervorstechende Merkmale abgegrenzt ist. Diese Umrisse Italiens zeichnen sich im Laufe des 10. Jahrhunderts in den Quellen allmählich genauer ab. Für die Fremden, die zu frommen, militärischen oder rein touristischen Zwecken über die Alpen nach Süden reisten, war Italien vor allem das Land des allgegenwärtigen Altertums. Präsent war diese gloriose Geschichte nicht nur durch die zahlreichen Ruinen, sondern auch durch seine Kirchen, die mit ihrer Basilikenform und ihren Mosaiken die Kontinuität zwischen dem Imperium der Cäsaren und der Herrschaft der Päpste veranschaulichten, die nach der Mitte des 11. Jahrhunderts energisch daran gingen, dieses seit Langem beanspruchte Erbe als Stellvertreter Christi auf Erden anzutreten und damit eine Stellung über allen weltlichen Herrschern zu beanspruchen. Bestaunen, anfassen und durchwandern ließ sich die Antike in Städten, die nicht nur Mauern, Tempel und Amphitheater, sondern oft auch die Grundrisse und Straßenzüge einer großen Vergangenheit bewahrten. Die wichtigsten dieser antiken Metropolen wie Rom, Mailand oder Ravenna waren zwar geschrumpft, die Zahl ihrer Einwohner war dramatisch zurückgegangen und ein großer Teil der ursprünglichen Siedlungsfläche leer, doch waren sie nach dem Untergang des Imperiums am Ende des 5. Jahrhunderts nie aufgegeben und verlassen worden.

Auf diese Weise hatte sich in Italien eine städtische Kultur erhalten, die im übrigen Europa zum großen Teil erloschen war und durch Neugründungen und Wiederbesiedlungen mühsam zurückerobert werden musste. Auch in Italien waren nicht wenige der etwa 300 antiken Siedlungen, die von Mauern umgeben waren, als Bischofssitz ein regionales Zentrum bildeten, eine kommunale Verwaltung besaßen und sich daher Stadt nennen durften, im Laufe der «dunklen Jahrhunderte», in denen kriegerische Verbände und Warlords aus dem Norden regierten, verschwunden. Doch als Ausgleich dafür waren Orte, die wie Pisa, Genua und Florenz in römischer Zeit ein eher bescheidenes Dasein gefristet hatten, nach der Jahrtausendwende in vollem Aufschwung begriffen. Im äußersten Nordosten der Halbinsel war mit der Lagunenstadt Venedig sogar eine Metropole ohne antike Traditionen oder Vorläufer entstanden, die mit ihrer amphibischen Anlage, der Pracht ihrer Bauten und der Reichweite ihrer Handelsschiffe völlig neue Maßstäbe setzte. Für die auswärtigen Besucher wie die einheimischen Führungsschichten war Italien also das Land der Städte und der urbanitas, eines «urbanen» Lebensstils. Dieser Kodex vorbildlichen Verhaltens war durch dignitas und humanitas, Würde und Menschlichkeit, bestimmt, das heißt: durch verfeinerte Sitten, gehobene Umgangsformen, Respektierung von Hierarchien, Kontrolle von Affekten und Leidenschaften, Eindämmung von Gewalt und vielfältige Kommunikation geprägt.

Alle diese Qualitäten sprach der Städter dem einfachen Landbewohner ab, trotzdem waren die Grenzen zwischen Stadt und Land fließend. Die städtischen Oberschichten bestanden aus einem Adel, der seine Besitzungen auf dem Lande hatte und von dort anfangs auch das Gros der Einnahmen bezog, die ihm den herrschaftlichen Lebensstil innerhalb der Stadtmauern gestatteten. Dieser Adel war also ländlich und städtisch zugleich, doch setzte sich das urbane Element langfristig immer stärker durch. So wurden schließlich auch die meisten aristokratischen Familien, die immer noch in ihren ländlichen Burgen ansässig geblieben waren, in den Bannkreis der Städte gezogen. Die Kommunen waren auf die Hoheit in ihrem ländlichen Einzugsgebiet (contado) angewiesen, um ihre Versorgung zu gewährleisten und für die Sicherheit der Verkehrswege zu sorgen. Feudalherren, die Wegerechte beanspruchten oder Fehden austrugen, waren ein Störfaktor, der durch die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit der Städte ausgeschaltet werden musste. In der Regel verlief diese Eingliederung problemlos, doch manchmal brachte sie auch unerwartete Ergebnisse hervor. Unbotmäßige Raubritter wie die Malatesta wurden zwar zur Siedlung im nahen Rimini gezwungen, doch brachten sie diese Kommune nach kurzer Zeit unter ihre Kontrolle und wandelten sie unter der mehr oder weniger fiktiven Hoheit der Päpste in eine erbliche Einzelherrschaft um.

Wie stark die Verstädterung des Adels voranschritt, zeigte sich am deutlichsten daran, dass es die aristokratischen Familien der großen Städte nie ehrenrührig fanden, auf eigene Faust oder als Teilhaber an Gesellschaften Großhandel zu betreiben. Dadurch unterschieden sie sich mehr als ein halbes Jahrtausend lang grundsätzlich von ihren Standesgenossen im übrigen festländischen Europa. Dort war jegliche Form kaufmännischer Tätigkeit lange Zeit verpönt und mit aristokratischem Status unvereinbar; Lockerungen, die kommerzielle Aktivitäten großen Stils von diesem Verbot ausnahmen, wurden von der Gesamtheit des Standes bis zur Französischen Revolution nie akzeptiert.

Für die italienische Handelsaristokratie war dieser Einspruch nicht nachvollziehbar; für sie bestand zwischen Fernhandel und ritterlichem Ethos nicht der geringste Widerspruch. War ein kühneres Unterfangen denkbar, als Schiffsladungen oder Warenkarawanen in ferne Länder mit unbekannten Sitten und Gebräuchen zu begleiten? Konnte man sich glänzender bewähren als im Kampf gegen Piraten und Ungläubige? Schließlich war Handel auch eine Form von Krieg: Konkurrenten mussten nicht nur durch günstigere Preise, sondern auch durch die Anlage von befestigten Stützpunkten und die Eroberung ganzer Landstriche ausgeschaltet werden. Wie kümmerlich waren dagegen die Abenteuer, auf die sich die Krautjunker in Frankreich und Deutschland so viel zugutehielten! Diese sahen das naturgemäß anders und betrachteten die «Krämer-Adeligen» Italiens mit einer Mischung aus Neid und Verachtung.

Die Kultur Italiens war seit dem 11. Jahrhundert auf die Gewinne aus Großhandel, Bankgewerbe und Textilproduktion gegründet. Die Massenfertigung von Textilien verband durch die Auslagerung zahlreicher Arbeitsgänge in die umliegenden Dörfer ebenfalls Land und Stadt, doch vermarktet wurden die Endprodukte in der Stadt, wo die Unternehmer den Mehrwert abschöpften. Wie sich Kommune und contado gegenseitig durchdrangen, wie Stadt und Land miteinander kommunizierten und konkurrierten, wie sich die politischen und moralischen Vorgaben der Stadt auf dem Lande zu einem eigenen, doch wesensverwandten Lebensstil verbanden, machen Ambrogio Lorenzettis Fresken der guten Regierung im Stadtpalast von Siena exemplarisch deutlich. Wie alle Kunstwerke, die Idealzustände wiedergeben, sind sie Propaganda, doch sie zeigen auch den Sollzustand, sind moralische Verpflichtung und damit ein Ziel, das die Herrschenden anzustreben hatten.

Nach der Jahrtausendwende zeigte Italien ein immer deutlicheres Profil. Die Entwicklung einer unverwechselbaren Kultur schritt auf den ökonomischen, sozialen und politischen Grundlagen der Stadt voran. Wirtschaft und Gesellschaft, Politik, Herrschafts- und Staatsbildung, Repräsentation und Ritualisierung von Macht, Nachdenken über den Staat, seine Befugnisse und sein Verhältnis zur Moral, aber auch Geschmack und Stil in den bildenden Künsten und in der Musik, Ordnung und Ästhetik des Alltags, der Küche, der Tafel und des Festes, Theologie und Philosophie, Naturforschung und Naturwissenschaft fügten sich im Laufe der Zeit zu einem Ganzen, das von innen wie von außen, von Italienern und Nicht-Italienern, als italianità verstanden wurde. Keiner dieser Sektoren war rein italienisch besetzt oder gegen die Außenwelt abgeschottet, doch die Gesamtheit war und ist unbestreitbar und unverwechselbar italienisch. Verklammert werden alle diese Elemente durch den hohen Stellenwert der Riten und der Anschaulichkeit, durch die Hervorhebung von Individualität und persönlicher Würde, durch die Verschmelzung der Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen wie auch durch die systematische Ausblendung von Widersprüchen. Mit diesen Wesenszügen ist die Kultur Italiens zwar als eine Kultur der Eliten ausgewiesen, aber die große Mehrheit der Bevölkerung war von ihr nicht durch unüberbrückbare Gräben getrennt. Bei den großen Prozessionen und Festen, aber auch im Alltag, in den engen Gassen der Städte, wo sich Paläste und Werkstätten gegenüberstanden, überschnitten sich die Lebenswelten von Adeligen und Handwerkern, Händlern und Tagelöhnern. Dieser Gegensatz und dieses Miteinander dauern bis heute fort, mit mancherlei Konstanten und Variablen. Großindustrielle wie der ehemalige Fiat-Chef Gianni Agnelli spendeten als Präsidenten von Fußballvereinen Spiele wie einst die Cäsaren im Kolosseum. Wie diese sind die Mächtigen bei den Vergnügungen des Volkes anwesend, aber von dessen Mentalitäten zugleich um Welten getrennt.

Neben der Kultur der feinen Leute gab es eine ganz eigene Kultur der kleinen Leute,vor allem auf dem Land. Das wussten schon die Kapuziner und Jesuiten des 16. und 17. Jahrhunderts. Kaum eine Tagesreise von der Metropole entfernt begann ihr Missionsgebiet, wo sie mit Predigten, Bildern und Musik gegen eine Volksfrömmigkeit zu Felde zogen, die ihnen mit ihren Fruchtbarkeitsriten, ihrer Wundergläubigkeit und Bilderverehrung unheimlich heidnisch vorkam. Zu dieser Kultur des Volkes gehörte immer auch eine «moralische Ökonomie», die vorschrieb, dass das ungefährdete Überleben der Armen Vorrang vor dem Gewinnstreben der Reichen hatte, sowie eine politische Ethik, die sämtliche Herrscherpflichten auf diesen Grundsatz aufbaute. Zu dieser Kultur des Volkes gehörte daher immer auch eine Kultur des Protests, des Widerstandes, ja des Aufstands, die sich in wirtschaftlichen und politischen Krisensituationen entfaltete.

Italianità ist wie jede Kultur ein Vermischungsprodukt. Mag auch im Süden – so viel sei Gioberti zugestanden – manches aus den Zeiten der Volsker und anderer altitalischer Völkerschaften fortgedauert haben, so bildete die römische Kultur, wie sie sich in einem Jahrtausend vom Aufstieg des Hirtendorfs auf dem Palatin bis zum Untergang des Imperiums im Westen entwickelt hat, doch ohne Frage ihre Grundlage. Im Süden wiederum war durch die Rückeroberungen und Beharrungskräfte des oströmischen Reiches das griechische Element ausgeprägt, vor allem in den großen Klöstern, die die Zeugnisse der antiken Kultur bewahrten und weitergaben. Dieser «Osten» war auch in Venedig gegenwärtig, wie der Bau der Markuskirche, der Hauskapelle des Dogen, mit ihren Kuppeln bis heute augenfällig macht. Von den Ostgoten, die kurz vor 500 Italien eroberten und sich ein halbes Jahrhundert lang dort behaupteten, blieben außer einzelnen Monumenten wie dem Grabmal König Theoderichs nur wenige Spuren zurück. Dagegen waren die Einflüsse, die von der langobardischen Einwanderung ab 568 ausgingen, langfristig sehr viel spürbarer: Noch siebenhundert Jahre später erhob die pisanische Adelssippe der Della Gherardesca den Anspruch, aufgrund ihrer langobardischen Herkunft nach langobardischem Recht zu leben. Die langobardische Herrschaft in Nord- und Mittelitalien wurde zweihundert Jahre später durch die fränkische Eroberung abgelöst. Als Folge dieser neuen Herrschaftsbildung stiegen Sippenverbände zu regionalen Machtpositionen auf, von denen sich Familien ableiteten, die die italienische Geschichte dauerhaft prägen sollten. Zwischen 1050 und 1250 gewann dann in ganz Italien eine Elite zunehmend feste Umrisse: im nördlichen und mittleren Italien der Stadtrepubliken eine Oligarchie aus lokalem Adel und in Bank und Handel reich gewordenen Unternehmerfamilien, im daran anschließenden Herrschaftsgebiet der Päpste deren Nepoten, das immer deutlicher als Führungsgremium hervortretende Kardinalskollegium und die Barone in der ländlichen Umgebung der Ewigen Stadt, im Süden ein Feudaladel, der seine Stellung unter wechselnden Dynastien stetig auszubauen wusste. Alle diese Führungsschichten erlebten in der Folgezeit Ergänzungs- und Austauschprozesse, doch bildeten sie mit bemerkenswerter Kontinuität bis zur Französischen Revolution einen harten Kern von Macht und Prestige. In Sizilien schließlich hatte die arabische Eroberung im 9. Jahrhundert besondere kulturelle Prägungen zur Folge, die nicht nur in den Repräsentationsbauten der nächsten Eroberer, der Normannen, sondern auch in den Mentalitäten des Volkes fortlebten.

So bietet es sich an, den Weg durch die Kultur Italiens um die Mitte des 11. Jahrhunderts zu beginnen, als aus der Vermischung so vieler unterschiedlicher Einflüsse etwas Eigenes und Unverwechselbares hervorzugehen begann. Die damit verbundene Vielfalt lässt sich am besten einfangen, wenn sich das Augenmerk auf einzelne Bilder und Bauwerke, Lebensgeschichten und herausragende Ereignisse, Entdeckungen, Erfindungen, Mythen und Mentalitäten richtet, an denen sich exemplarisch allgemeine Entwicklungen aufzeigen lassen. So geht der Blick in diesem Buch immer wieder vom Besonderen zum Allgemeinen, um die großen Entwicklungslinien der italienischen Kultur bis heute anschaulich werden zu lassen.

ERSTER TEIL

DIE MACHT DER STÄDTE

11. bis 14. Jahrhundert

1

DIE MONARCHIE DER NORMANNEN IN SIZILIEN

Glanz der Parvenüs

Macht von Gottes Gnaden

Die Cappella Palatina im königlichen Palast von Palermo ist Imponiergehabe in Stein. Die schimmernde Farbenpracht der Mosaiken mit ihrem Goldgrund, das Weiß und Purpur der Säulen, das Licht, das durch die Kuppel auf den Chor mit seinen drei Apsiden fällt, der Fußboden mit seinen geometrischen Mustern aus kostbarstem Marmor, der hochragende Triumphbogen, der den Raum zum Chor hin öffnet, die steilen Arkaden des Langhauses – das alles erzeugt die Atmosphäre eines gewaltigen Schreins, in dem keine Reliquie, sondern lebendige Macht verehrt wird. Zwei Treppen führen den Besucher, der ihr seine Huldigung darbringen will, ins Allerheiligste empor. Dort prangt das monumentale Mosaik des Christus Pantokrator, des alles beherrschenden Gottessohns. Wem er seine unbegrenzte Macht überträgt, macht eine unweit davon angebrachte Inschrift deutlich: König Roger, der in seinem Namen das Zepter führt. Ein irdischer Vermittler zwischen Himmel und Erde ist nicht erkennbar. Ein weiteres Mosaik an der westlichen Seite der Palastkapelle zeigt den thronenden Christus, flankiert von den Aposteln Petrus und Paulus. Direkt darunter thront der König: als Stellvertreter und Beauftragter des Herrn, daran lässt die Komposition keinen Zweifel. Petrus, als dessen Nachfolger sich die Päpste sahen, ist zwar im Bild präsent, doch als Zeuge, nicht als Zwischeninstanz. Für den Papst in Rom war die Kapelle deshalb eine Provokation ohnegleichen.

Unweit dieses zentralen Verherrlichungsortes sind der Herrscher und die Einsetzung in sein hohes Amt selbst dargestellt. Ein Mosaik in der Kirche Santa Maria dell’Ammiraglio zeigt, wie Roger II. (1095–1154), der erste König von Sizilien, in den prunkvollen Gewändern eines oströmischen Kaisers die Krone direkt von Christus empfängt (siehe Tafel I). Als Zeichen der Demut neigt der frisch erhobene Monarch, zu dessen Reich auch das festländische Süditalien gehörte, leicht das Haupt und breitet die Hände aus. Der Gottessohn, der ihm unbeschränkte Macht auf Erden verleiht, ist gut einen Kopf größer als er; als Zeichen seiner himmlischen Herkunft schwebt er zudem in der Luft. Damit sind die Rangunterschiede zwischen Christus und dem König markiert, doch für die Zeitverhältnisse fallen sie minimal aus. Hier ist die Prestigedifferenz zwischen einem Feudalherrn und seinem vornehmsten Vasallen ausgedrückt, mehr nicht. Und auch hier fehlt jeder Hinweis auf den Pontifex maximus in Rom. Selbstbewusster, ja aggressiver konnte sich ein Herrscher kaum präsentieren.

Nach kirchlicher Rechtsauffassung hatte Christus zwei Schwerter verliehen, die der geistlichen und der weltlichen Machtausübung entsprachen, doch war diese Übertragung weder gleichzeitig noch gleichrangig, sondern zeitlich und hierarchisch abgestuft: Der Papst, dem als vicarius Christi die umfassende Herrschaft über die Christenheit zukam, reichte das weltliche Schwert an den Kaiser weiter, der damit dem Bösen wehren sollte, dafür seinem Oberherrn in Rom Treue und Gefolgschaft schuldete und bei Zuwiderhandlungen jederzeit gegen einen geeigneteren Kandidaten ausgewechselt werden konnte. Dieses gottgewollte Abhängigkeitsverhältnis wurde für Rom überdies durch eine Schenkung des Kaisers Konstantin erhärtet, die erst im 15. Jahrhundert als Fälschung erwiesen wurde. Konstantin hatte ihr zufolge dem römischen Bischof nicht nur die Oberhoheit über das gesamte Imperium, sondern auch ausgedehnte Gebiete, darunter Süditalien und Sizilien, zur direkten Machtausübung übertragen. Das schloss das Recht ein, in diesen Reichen Gefolgsleute als Herrscher einzusetzen. In diesem Sinne hatte Roger II. 1130 die Königswürde von einem der beiden damals rivalisierenden Päpste erhalten und diesen Titel schließlich auch von dessen allgemein anerkannten Nachfolgern bestätigt erhalten. Damit war er formell Vasall des Pontifex maximus und diesem zum Zeichen seiner Belehnung Abgaben schuldig. Die politische und religiöse correctness des 12. Jahrhunderts hätte es also geboten, im Thronsaal und im Mosaik ein Bildnis des Papstes einzufügen, der die von Christus erhaltene Macht an Roger weiterreicht.

Dass dies fehlt, ist nicht der einzige Stein des Anstoßes in dieser vor edlen Materialien schier überquellenden Kapelle. Sie ist einem erhabenen Vorbild, der Sainte-Chapelle der Könige von Frankreich in Paris, verpflichtet und versucht diesen sakralen Mittelpunkt des französischen Königreichs an Pracht und Aufwand noch zu übertreffen. Auch das war eine kühne, um nicht zu sagen: dreiste Herausforderung. Roger II., der Bauherr der Cappella Palatina, war als erster König von Sizilien der Sohn des gleichnamigen ersten Grafen von Sizilien. Dieser erste Roger war zusammen mit seinem älteren Bruder Robert Guiscard («Schlaukopf») um die Mitte des 11. Jahrhunderts nach Süditalien gezogen, zuerst als Söldner im Auftrag dortiger Machthaber, doch schon bald als Eroberer eigener Herrschaftsgebiete. Die Vorfahren dieser beiden Abenteurer, die den Familien- bzw. Herkunftsnamen Hauteville (italienisch Altavilla) führten, aber kannte keine Chronik und keine vornehme Ahnentafel; nach heutigem Kenntnisstand zählten sie zum Kleinadel aus der Gegend des normannischen Städtchens Coutance. Damit waren die Altavilla für die regierenden Dynastien der Salier im Heiligen Römischen Reich, der Plantagenet in England oder der Valois in Frankreich krasse Parvenüs. Ihr Aufstieg zur höchsten Macht am südlichen Rand Europas war ein Störfaktor und ihr Gebaren, als hätten sie schon immer zu dieser kleinen und feinen Machtelite gehört, ein Skandal.