Die Macht der Vielen - Ramón Reichert - E-Book

Die Macht der Vielen E-Book

Ramón Reichert

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Beschreibung

Die »Macht der Vielen« hat die Tektonik der Gegenwartskultur maßgeblich verschoben. Der Alltagsgebrauch der Sozialen Medien hat eine neuartige Beteiligungs- und Vernetzungskultur hervorgebracht - mit einer Vielzahl von partizipativen und kollaborativen Projekten, die sowohl ökonomisch verwertbar als auch normativ aufgeladen sind. Die derart in Prozesse der Medialisierung und Visualisierung eingebundenen Kollektive sind im populärkulturellen Mainstream verankert und können nur dann verstanden werden, wenn sie im (genealogischen) Kontext von Medientechnik und visueller Kultur thematisiert werden. Ramón Reicherts Studien zeigen, dass die »Macht der Vielen« der sozialen Funktion der digitalen Vernetzung entspringt. Folglich können Soziale Medien als Selbstbeschreibung gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen verstanden werden. Vor diesem Hintergrund entziffert er die Zusammenhänge der medientechnischen Operationen und ihrer repräsentationspolitischen Dimensionen und entfaltet so eine umfassende Zeitdiagnose der digitalen Welt, in der wir leben.

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Die »Macht der Vielen« hat die Tektonik der Gegenwartskultur maßgeblich verschoben. Der Alltagsgebrauch der Sozialen Medien hat eine neuartige Beteiligungs- und Vernetzungskultur hervorgebracht – mit einer Vielzahl von partizipativen und kollaborativen Projekten, die sowohl ökonomisch verwertbar als auch normativ aufgeladen sind.

Die derart in Prozesse der Medialisierung und Visualisierung eingebundenen Kollektive sind im populärkulturellen Mainstream verankert und können nur dann verstanden werden, wenn sie im (genealogischen) Kontext von Medientechnik und visueller Kultur thematisiert werden.

Ramón Reicherts Studien zeigen, dass die »Macht der Vielen« der sozialen Funktion der digitalen Vernetzung entspringt. Folglich können Soziale Medien als Selbstbeschreibung gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen verstanden werden. Vor diesem Hintergrund entziffert er die Zusammenhänge der medientechnischen Operationen und ihrer repräsentationspolitischen Dimensionen und entfaltet so eine umfassende Zeitdiagnose der digitalen Welt, in der wir leben.

Ramón Reichert (Dr. phil.) ist Professor für Neue Medien am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Internetkultur, Digitale Ästhetik und Datenkritik. Bei transcript erschienen u.a.: »Amateure im Netz« (2008), »Das Wissen der Börse« (2009) sowie »Theorien des Comics« (2011, hg. zus. mit Barbara Eder und Elisabeth Klar).

Für Maki

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook transcript Verlag, Bielefeld 2013

© transcript Verlag, Bielefeld 2013

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld

Coverabbildung: Jorge / Clker.com

Korrektorat: Melanie Pärschke, Bielefeld

Konvertierung: Michael Rauscher, Bielefeld

ePUB-ISBN: 978-3-7328-2127-3

http://www.transcript-verlag.de

Ramón Reichert

Die Macht der Vielen

Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung

Inhalt

I.

Einführung

1.

Machtverschiebungen in der Gegenwartskultur

2.

Kollektivität 2.0

3.

Critical Code Studies

4.

Anonyme Kollektivität

5.

Politische Topologien

6.

Vernetzungstechnologien und Gesellschaftsstruktur

II.

Soziale Medien und digitale Kollektive

1.

Netzwerke, Protokolle, Schichten

2.

Vernetzungstechnologien und Datenkollektive

3.

Modularisierung des Sozialen

4.

Big Data

5.

Algorithmen im Back-End: Das »Facebook Data Team«

6.

Das Zukunftswissen digitaler Kollektivität

III.

Performative Vernetzungskulturen

1.

Make-up-Tutorials auf YouTube

2.

Machinima Culture

3.

Webcomics und kollaborative Medienkultur

IV.

Repräsentationspolitik

1.

Bilder von Gemeinschaften im Social Net

2.

YouTube als politisches Phänomen

3.

Pornblogs

4.

Trauerkultur im Social Net

V.

Zusammenfassung und Ausblick

VI.

Literatur

Internetquellen

Webcomics

I. Einführung

»Heute scheint es jedoch keinen einzigen Augenblick im Leben der Individuen zu geben, der nicht von irgendeinem Dispositiv geformt, kontaminiert, oder kontrolliert wäre.«

Giorgio Agamben,Was ist ein Dispositiv?

»Freundschaft ohne Gemeinschaft der Freunde der Einsamkeit. Keinerlei Zugehörigkeit. Keine Ähnlichkeit und keine Nähe. Ende des okeiotes? Vielleicht. Wir haben es jedenfalls mit Freunden zu tun, die einander anzuerkennen suchen, ohne einander zu kennen.«

Jacques Derrida,Politik der Freundschaft

1. Machtverschiebungen in der Gegenwartskultur

Die Pluralität von Machtverhältnissen besitzt für die maßgeblichen Kultur- und Medientheorien eine unbestreitbare Gültigkeit bei der Beschreibung der Gegenwartskultur. Diese Macht der Vielen wird insbesondere aus dem Medienumbruch der digitalen Vernetzung hergeleitet. Konkret wird sie als Effekt der Verfahren, Möglichkeiten und Modalitäten der digitalen Vernetzungsmedien angesehen. In diesem Sinne spielen die Vernetzungsmedien eine konstituierende Rolle bei der Bildung von Macht und treten als eine Ermöglichungsmacht auf. Sie haben eine Ermöglichungsmacht in dem Sinne, dass sie den Kollektivitäten im Social Web die Fähigkeit verleihen, sich auf eine bestimmte Weise plural, anonym, widerständig und produktiv zu verhalten.

Vor diesem Hintergrund verstehen zahlreiche Gesellschaftsdiagnosen das Netz als einen richtungsweisenden Indikator zur Bestimmung des gesellschaftlichen Wandels (Castells 1996; Hardt/Negri 2000; Galloway 2004; Mozorov 2012; Dijck 2012a). In diesem Zusammenhang wird die Vernetzung abwechselnd als diagnostisches Merkmal von gesellschaftlichen Transformationsprozessen (Varnelis 2008; Groshek 2012: 750-768), politischen Machtverschiebungen (Best/Wade 2009: 255-271), ökonomischen Produktionsverhältnissen (Andrejevic 2011: 278-287), Subjektivierung (Turkle 2011), digitaler Arbeit (Scholz 2013), Überwachung und Kontrolle (Fuchs 2011), interaktiver Wertschöpfung (Lessig 2004; Benkler 2011) oder medienkulturellen Konvergenzen (Jenkins 2008) beschrieben.

Die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Netzwerkmetapher zeigen auf, dass die Begriffsbildung der Netztheorien selbst von strategischen Machteffekten durchwirkt ist und bisher kein übereinstimmender und einheitlicher Netzbegriff existiert. Dennoch wird der sozialen Netzbeziehung, verstanden als eine Menge von Akteuren und den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen, eine machtkonstituierende Rolle bei der Formierung von Kollektivitäten zugewiesen (Lim/Kann 2008: 77-108). Demgemäß wird Kollektivität im Netz häufig mit Denkfiguren der Repräsentativität aufgeladen, ohne jedoch die Rolle der digitalen Kommunikationstechnologien zu berücksichtigen.

2. Kollektivität2.0

In diesem Zusammenhang haben sich drei grundlegende Strategien der identitären Vereinnahmung der digitalen Kollektivität herausgebildet: (1) Identifizierungs-, Registrierungs- und bildliche Darstellungstechniken zählen zu den herkömmlichen Verfahren bei der Herstellung von identitären Positionen kollektiver Subjektivitäten (Nosko/Wood/Molema 2010: 406-418). Der unternehmenszentrierte Ansatz der »Mass Customization« nimmt eine Gleichsetzung von »Vielheit« und »Masse« vor und geht von einer kollektiv geteilten Identität und Repräsentabilität aus (Flynn/Flynn-Vencat 2012). Durch die Entwicklung von Informations- und Kommunikationssystemen sollen möglichst viele Kunden in den Produktionsprozess und in die Wertschöpfung integriert werden, um einen »kognitiven Mehrwert« (Shirky 2010) oder eine effizientere Marktbearbeitung durch ein Customer-Co-Design zu ermöglichen. Die Produktionskonzepte der Mass-Customization-Modelle entfalten mit Redefiguren des ›autonomen Kunden‹ ein Image von Kollektivität, das vor allem auf die der Vielen durch Crowdsourcing abzielt (Howe 2008: 71-97). Unter Crowdsourcing versteht man das Auslagern (Outsourcing) von Arbeiten und Leistungen an eine große Anzahl von Internetnutzern. Es setzt auf die Kraft der Vielen innerhalb der virtuellen Wertschöpfungskette und bedeutet die Weitergabe eigener Einschätzungen und Erfahrungen – ein bewährtes Anwendungsfeld ist Social Commerce oder auch Social Shopping, womit jeweils Systeme gemeint sind, die Kaufentscheidungen durch Bewertungen und Empfehlungen durch die kulturellen Backgrounds, beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen anderer Nutzer unterstützen. Da moderne Machine Clouds die algorithmische Text- und Bilderkennung von Webinhalten nicht ausreichend vollziehen können, versuchen neuartige Dienste und Anwendungen, die Internetnutzung verstärkt in die Wertschöpfungskette einzubinden. Die in den Sozialen Medien und den Portalen der Human Clouds vorherrschende Verwertungslogik der kollektiven Intelligenz folgt dem der Spieltheorie entlehnten Axiom der kollektiven Rationalität, die davon ausgeht, dass kollektiv rationale Lösungen die Summe der Einzelnutzen aller vorhandenen Spieler maximiert. Diese Sichtweise der Ökonomisierung der Kollektive folgt dann letztlich der Einsicht, dass die massenhafte Erstellung von Profilen für das Target Marketing der subjektiven Wertschätzung der Nachfrager entgegen kommt. (2) Die zweite Spielart der identitären Kollektivität ist jene der . Die Setzung eines gemeinsam geteilten Kollektivsubjekts (»We«) verfährt normativ, indem ein noch zu formendes Kollektiv in Aussicht gestellt wird. Dieser in zahlreichen Manifesten, Gegenwartsdiagnosen und futurologischen Netzdiskursen anzutreffende Entwurf einer identitären Kollektivität versucht, den Autor als »Sprachrohr« und »Stellvertreter« eines abwesenden Kollektivs aufzuwerten. Autoren wie Clay Shirky oder Jeff Jarvis stehen aber in keinem Bezug zu einer empirisch vorhandenen Kollektivität. Wenn sie von einem kollektiven Subjekt oder von einem kollektiven Handeln sprechen, dann erzeugen sie eine Konstruktion, die sowohl normative als auch performative Bestandteile aufweist (Jarvis 2010). Die Strategie der intellektuellen Einhegung kollektiver Interessen lässt sich exemplarisch an der »Bill of Rights in Cyberspace« aufzeigen. Jeff Jarvis konstruiert im fünften Absatz seiner Deklaration: »We have the right to act« eine Einstimmigkeit der kollektiven Willensbildung und postuliert: »We connect to speak and speak to assemble and assemble to act and that is how we can and will change the world, not just putting forth grievances but creating the means to fix them. That is what threatens the institutions that would stop us.« (Jarvis 2010) Er ermächtigt Kollektivität im Netz zum Subjekt der Geschichte, indem er in Aussicht stellt, dass das Kollektivsubjekt (»We«) durch seine Emanzipiertheit Macht über sich selbst ausüben würde. Jarvis sieht sich als ein intellektueller Übersetzer einer unorganisierten und unübersichtlichen Massenbewegung, deren Intention in den Regelkanon eines sozial anerkannten Diskurses überführt werden muss. Wie kann aber ein Kollektiv sich selbst ermächtigen, wenn der Ort der Macht für seine Konstitution eigentlich leer bleiben muss? Da sich das Kollektiv nicht ohne weiteres selbst ermächtigen kann, verleiht ihm Jarvis seine Stimme und konstituiert es als machtvolles Kollektiv. Die Aporie dieser Redeposition liegt auf der Hand, denn das kollektive Wir, in dessen Namen Jarvis spricht, hat ihm keinen Auftrag und keine Macht verliehen, es selbst zu konstituieren. In seiner Studie »Das Grabmal des Intellektuellen« untersucht Jean-François Lyotard die Selbstinszenierungen von Intellektuellen, die stellvertretend für andere sprechen. Intellektuelle begreift er als »Geister, die vom Standpunkt des Menschen, der Menschheit, der Nation, des Volks, des Proletariats, der Kreatur oder einer ähnlichen Entität aus denken und handeln. Sie identifizieren sich mit einem Subjekt, das einen universellen Wert verkörpert; sie beschreiben und analysieren von dieser Position aus eine Situation oder Lage und folgern, was getan werden muss, damit dieses Subjekt sich verwirkliche oder wenigstens seine Verwirklichung voranschreite.« (Lyotard 1985: 10) Diesen am Laufen zu erhalten, ist in den normativen Theorien der Kollektivität der Eingeweihte oder der Experte, der sich aufgrund seiner monopolisierten Vermögen der Einsicht, der Zugehörigkeit und des Überblicks ermächtigt sieht, problemlösende Diskurse zu Fragen kollektiver Willensbildung durchzusetzen.

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