Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 - Jörg Olbrich - E-Book

Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges. Band 4 E-Book

Jörg Olbrich

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Beschreibung

Das Kriegsgeschehen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation reißt nicht ab. Als Unterstützer der Protestanten rückt der Schwedenkönig ins Land vor, während die katholischen Spanier weiterhin Braunfels besetzen. Magdeburg steht vor der Entscheidung, sich offen gegen den Kaiser zu stellen. Doch ob ihnen Schweden rechtzeitigen Schutz vor dem Heer Johann von Tillys bieten kann? Der kaiserliche Söldner Peter Hagendorf wohnt der Belagerung Magdeburgs bei und erlebt die schmerzlichen Folgen für Stadt und Soldaten am eigenen Leib. Überall steht das einfache Volk unter dem Joch des nun schon zwölf Jahre andauernden Krieges. Die junge Magd Hanna überlebt die Zerstörung ihres Hofes nur knapp. Ihr bleibt nichts anderes, als sich als leichtes Mädchen durchzuschlagen. Der Geistliche Friedrich Spee hat unterdessen einen persönlichen Kampf gegen seine Glaubensbrüder und die Unterstützer der Hexenverfolgung zu bestreiten. Mit der Cautio Criminalis will er die Mächtigen zum Umdenken bewegen und hunderte Unschuldige vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen retten. Verwüstung, Hungersnöte, Armut und Pest kosteten zwischen 1618 und 1648 rund sechs Millionen Menschen das Leben. Die Romanreihe "Geschichten des Dreißigjährigen Krieges" überzeugt mit historischen Fakten und einer spannungsgeladenen Entwicklung.

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Jörg Olbrich

Die Magdeburger Bluthochzeit

Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

Band 4

Roman

Olbrich, Jörg : Die Magdeburger Bluthochzeit. Geschichten des Dreißig­jährigen Krieges 4. Hamburg, acabus Verlag 2020

Originalausgabe

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-787-9

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-786-2

Print: ISBN: 978-3-86282-785-5

Lektorat: Laura Künstler, acabus Verlag

Satz: Laura Künstler, acabus Verlag

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: Soldat: © tin soldier crusader isolated on white, vitaly tiagunov, adobe-stock.com; Leinentuch: © https://pixabay.com/de/weiß-stoff-vorhang-transparenz-2130332/

Karte: © Annelie Lamers

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2020

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, 06. August 1626

Hanna ließ vor Schreck fast den Weidenkorb fallen, den sie gerade mit Kirschen gefüllt hatte, und drehte sich um. Noch nie in ihrem siebzehnjährigen Leben hatte sie so einen lauten Ton gehört. Drei weitere Donnerschläge erklangen und hallten in der Luft nach. Sie waren so dicht aufeinander gefolgt, dass sie sich in Hannas Ohren beinah wie ein einziger, schrecklicher Knall angehört hatten.

Kurz darauf waren Schreie von dem etwa fünfhundert Meter entfernten Hof zu vernehmen. Sie klangen, als würden sie in allergrößter Not ausgestoßen. Jetzt ließ Hanna den Weidenkorb doch fallen und rannte los.

Auf die kurzen Strohhalme, die ihr in die nackten Füße stachen, als sie über das frisch abgemähte Feld rannte, achtete Hanna nicht. Sie wollte so schnell wie möglich zurück zum Hof ihres Herren. Dort musste etwas Furchtbares geschehen sein.

Bei jedem weiteren Donnerschlag zuckte sie zusammen. Dann sah sie eine Gruppe von Männern auf Pferden, die zwischen dem Wohnhaus, dem Stall und der Scheune standen. Es waren mehr als fünf. Weiter konnte die Magd nicht zählen und das war in ihrem bisherigen Leben auch nie notwendig gewesen. Tief in ihrem Innern spürte sie, dass sich heute für sie alles ändern würde.

Die Magd hörte einen erneuten Schrei von der Rückseite des Wohnhauses und änderte abrupt ihre Richtung, um zu sehen, was dort passierte. Außerdem wollte sie den Männern nicht unbedingt in die Arme laufen, deren Rufe sie neben der Scheune hörte. Sie machten auf Hanna nicht den Eindruck, als wären sie als Freunde gekommen. Sie bog um die Ecke und erstarrte.

Direkt vor Hanna lag die Bäuerin bäuchlings im Dreck und wimmerte vor Schmerzen. In diesem Augenblick wusste die Magd nicht, was sie mehr schockierte: Die Tatsache, dass ihre Herrin völlig unbekleidet war, oder die klaffende Wunde am Rücken, aus der unaufhörlich Blut floss und langsam im Boden versickerte.

Hanna wollte schreien, brachte aber nicht einen Ton über ihre Lippen. Plötzlich spürte sie, wie sie von hinten am Arm gepackt und herumgerissen wurde. Sie blickte in das bärtige Gesicht eines ihr unbekannten Mannes. Sein Atem schlug ihr entgegen. Noch nie hatte sie etwas derart Widerliches gerochen.

Sie wehrte sich gegen den Griff, wurde aber von dem Kerl mit dem Rücken gegen die Wand gestoßen. Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte sie Angst.

»Wo willst du denn so eilig hin?«, fragte der Fremde und hieb Hanna den Handballen so fest gegen den Brustkorb, dass sie kaum Luft bekam. »Du wirst schön hierbleiben und genau das tun, was ich dir sage. Sonst werde ich dich töten.«

Hanna erstarrte und brachte keinen Ton heraus. Sie spürte, wie ihre Verzweiflung sich in nackte Todesangst wandelte. Was wollte der Mann von ihr? Sie schaute zur Bäuerin, die noch immer auf dem Boden lag und sich nun nicht mehr rührte. Wo waren der Bauer und die Knechte? Warum unternahmen sie nichts?

Der Fremde griff nach Hannas Hemd und riss es mit einem kräftigen Ruck auseinander. Trotz der Hitze des Tages begann die Magd zu frösteln.

»Du bist von Gott reich beschenkt worden«, sagte der Mann und starrte auf Hannas Brust.

Die Magd verstand nicht, was der Fremde meinte und sah ihn hilflos an. Der Mann griff mit beiden Händen nach ihren Brüsten und drückte sie so fest zusammen, dass sie vor Schmerz aufschrie. Der Fremde zerriss nun auch ihren Rock. Als sie sich abermals gegen ihn zu wehren versuchte, schlug er ihr mit der Faust in den Magen.

Der Schmerz durchfuhr ihren Körper und sie nahm ihre Umgebung nur noch verschwommen wahr. Plötzlich zuckte der Fremde zusammen und stieß einen röchelnden Laut aus. Dann strömte Blut aus seinem Mund und verteilte sich auf Hannas unbekleidetem Körper.

»Flieh in den Wald«, sagte der Bauer und zog die Mistgabel aus dem Hals des Fremden, während der langsam zu Boden fiel. »Wir wurden von Tillys Soldaten überfallen. Hier wird bald kein Stein mehr auf dem anderen stehen.«

»Ich verstehe dich nicht«, sagte Hanna verzweifelt. Warum sollten die Männer ihnen etwas antun wollen? Sie wusste, dass die beiden Söhne ihres Herrn ebenfalls Soldaten waren. Beide waren gottesfürchtige Männer, die nichts Böses im Schilde führten. Warum waren die Soldaten, die zu ihrem Hof gekommen waren, anders?

»Wenn dir dein Leben lieb ist, lauf so schnell du kannst in den Wald und komm nie wieder hierher zurück«, sagte ihr Herr und drehte sich zu seinem Weib um. Im gleichen Moment gab es einen furchtbaren Knall, und der Kopf des Bauern zerplatzte wie ein fauliger Apfel, den man gegen eine Wand geworfen hatte.

Gleich drei Soldaten erschienen nun vor Hanna und kamen langsam auf sie zu. Auf den ersten Blick sahen die Männer gleich aus. Sie trugen dunkelblaue Jacken, braune Hosen und hatten seltsame Stöcke in der Hand, aus deren Spitzen Rauch aufstieg.

»Das Weibsbild ist hübsch«, sagte einer der Männer und nestelte an seiner Hose herum. »So einen Anblick hätte ich in dieser Einöde nicht erwartet.«

»Sie gehört mir«, sagte der Zweite mit scharfer Stimme. »Wir werden sie mitnehmen.«

Voller Furcht beobachtete Hanna die Soldaten, unfähig sich zu rühren. Der in der Mitte schien der Herr der beiden anderen zu sein. Zumindest hörten sie auf dessen Worte und rührten die Magd nicht an.

»Holt die Pferde«, befahl der Anführer und musterte Hanna nach diesen Worten von oben bis unten.

Die Magd erschauderte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer unbekleidet war. Bisher hatte sie nur der älteste Sohn des Bauern so gesehen, wenn er ihr heimlich zugeschaut hatte, als sie sich wusch. Hanna hatte immer gewusst, dass Karl sie beobachtete und seine begehrenden Blicke genossen. Bei den drei Fremden war das anders.

Der dritte Soldat kehrte mit drei Pferden zurück und reichte seinem Anführer ein Seil. Der nahm es und ging damit auf die Magd zu. »Zieh dich an. Dann werde ich dir die Hände zusammenbinden. Wenn du dich wehrst, bringe ich dich um.«

Trotz ihrer Angst war Hanna froh, dass sie von den Fremden zumindest nicht unbekleidet fortgeführt wurde. Rock und Hemd waren zerrissen, und sie musste die Stücke an den Enden zusammenbinden, um ihre Blöße zumindest notdürftig zu bedecken. Als sie damit fertig war, packte der Soldat ihre Hände und band sie mit einem Ende des Seils zusammen.

»Wo bringt ihr mich hin?«

»Das braucht dich nicht interessieren«, antwortete der Soldat, der sie gefesselt hatte. »Ab jetzt gehörst du mir und wirst mir gehorchen. Wenn du folgsam bist, lasse ich dich vielleicht am Leben.«

Die Soldaten stiegen auf ihre Pferde und ritten langsam los. Das Seil straffte sich und Hanna musste sich beeilen, wenn sie nicht stürzen wollte. Im Geiste sagte die Magd unzählige Male das Vaterunser auf; das einzige Gebet, das sie kannte. Sie flehte Gott an, sie vor dem Zorn der Soldaten zu schützen. Etwa eine Stunde, nachdem man sie vom Hof ihres Herrn heruntergeführt hatte, war sie bereits weiter davon entfernt als jemals zuvor.

***

In den folgenden Stunden fiel es Hanna immer schwerer, mit dem Schritttempo der Pferde mitzuhalten. Einige Male hatte sie einen Sturz nur knapp verhindern können. Ihre Füße schmerzten und auch an Waden und Schienbeinen hatte ihr das teilweise hohe Gras bereits einige kleinere Schnittwunden zugefügt.

Zu der körperlichen Pein kam die Angst, die stetig wuchs, umso weiter sie sich von ihrem Zuhause entfernte. Unterwegs waren sie an einem Dorf vorbeigekommen, dessen Häuser bis auf die Grundmauern heruntergebrannt waren. Vereinzelt stiegen noch Rauchschwaden in den Himmel, und der Gestank war unerträglich. Den Soldaten auf den Pferden schien es nichts auszumachen, an dem zerstörten Ort vorbeizureiten. Sie hatten nicht einmal einen Blick dafür übrig.

Hanna hätte nur zu gerne gewusst, wohin sie gebracht wurde. Sie traute sich nicht, die Männer nochmals danach zu fragen. Die nahmen kaum noch Notiz von ihr und unterhielten sich über Dinge, die Hanna nicht verstand.

Nur kurz kam ihr der Gedanke an eine Flucht. Selbst wenn es ihr gelänge, die Fesseln abzustreifen, wohin sollte sie rennen? Zurück nach Hause konnte sie nicht. Dort gab es nichts mehr. Der Bauer und sein Weib waren tot und für die Knechte galt sicherlich das Gleiche.

Die Soldaten führten ihre Gefangene einen kahlen Hügel hinauf. Daher konnte Hanna vor sich außer Gras und Steinen nichts erkennen. Von den Erzählungen des Bauern wusste sie, dass sie irgendwann in eine Stadt kommen würden, in der ihr Herr seine Waren auf dem Markt verkauft hatte. Wie weit es allerdings bis dorthin war, wusste sie nicht. Der Bauer war immer mehrere Tage unterwegs gewesen, wenn er in die Stadt gezogen war.

Hannas Spannung wuchs, als sie sich endlich der Kuppe des Hügels näherten. Der Anblick, der sie dort erwartete, übertraf alles, was sie sich bis dahin hatte vorstellen können. Vor ihr standen unzählige kleine Häuser, deren Wände und Dächer aus Stoff zu bestehen schienen. Dazwischen lief eine Vielzahl von Menschen umher.

Hinter den merkwürdigen Häusern standen so viele Pferde auf einer Wiese, dass es Hanna so vorkam, als hätte man alle, die es auf der Welt gab, an diesem Ort zusammengeführt. In der Ferne war nichts anderes zu sehen als Wiesen und Felder.

Der Anblick überwältigte Hanna so sehr, dass sie für einen Moment vergaß, dass sie hinter einem Pferd hergezogen wurde. Sie blieb stehen und wurde Sekunden später an dem Seil nach vorne gezogen. Dieses Mal konnte die Magd den Sturz nicht vermeiden und fiel auf den staubigen Boden.

»Steh auf, du dämliche Gans«, fuhr sie der Soldat an und wartete, bis die Magd seinen Befehl ausgeführt hatte. Danach zog er sie weiter.

Als sie zwischen den kleinen Häusern vorbeizogen, erkannte Hanna, dass jedes von ihnen Platz für vier Männer bot. Frauen sah sie nicht. Sicher arbeiteten diese noch auf den Feldern und würden erst bei Einbruch der Dämmerung zurückkehren. Die meisten Soldaten trugen die gleiche Kleidung wie die drei Kerle, die sie hierhergebracht hatten. Einige saßen aber auch mit entblößten Oberkörpern an Feuerstellen und unterhielten sich lautstark.

Hanna spürte die Blicke der fremden Männer auf ihrem Körper. Als einer näher kam und sie anfassen wollte, wich sie vor dem Kerl zurück. Der gab aber erst auf, als er von dem Soldaten, der die Magd hinter sich herzog, dazu aufgefordert wurde.

»Versorgt die Pferde und sorgt dafür, dass ich im Zelt nicht gestört werde«, sagte der Anführer zu seinen beiden Begleitern, saß ab und zog Hannah in eines der Häuser. Dort befreite er sie von ihren Fesseln. Hannas Hoffnung, dass man ihr nun einen Becher Wasser und ein Stück Brot geben würde, erfüllte sich nicht. Stattdessen riss ihr der Soldat das Hemd vom Leib und zerstörte es damit endgültig.

»Ziehst du den Rock freiwillig aus, oder muss ich mein Schwert zur Hilfe nehmen?«

Hanna antwortete nicht, beeilte sich aber, sich auch von ihrer Unterbekleidung zu befreien. Nackt stand sie vor dem Fremden.

»Dein Körper ist tatsächlich makellos. Es ist fast eine Schande, dass du die nächsten Wochen nicht überleben wirst.«

Hanna kam nicht dazu den Mann zu fragen, wie das gemeint war. Sie erhielt einen Schlag gegen die Brust und fiel nach hinten auf eines der Lager, wo sie ergeben liegen blieb. Der Soldat brauchte nur wenige Sekunden, um sich ebenfalls von seiner Bekleidung zu befreien. Während er auf die Magd zukam, konnte die erkennen, wie sein Penis immer größer und fester wurde.

Der Soldat kniete sich vor Hanna auf das Lager und drückte ihr die Beine auseinander. Als sie sich dagegen wehrte, schlug er ihr so fest ins Gesicht, dass sie für einen Moment nur noch Sterne sah. Als sich ihr Blick wieder geklärt hatte, war das Gesicht des Soldaten direkt vor ihr.

»Jetzt bist du fällig.«

Hanna schrie auf, als sie einen heftigen Schmerz zwischen ihren Beinen spürte. Dann bewegte sich der Soldat auf und nieder. Hanna schloss die Augen und wartete darauf, bis es vorbei war. Nach einer gefühlten Ewigkeit brach er endlich stöhnend auf ihr zusammen. Hanna fühlte eine warme Flüssigkeit an den Oberschenkeln, wagte aber nicht, mit der Hand danach zu greifen. Endlich kroch der Soldat von ihrem Körper herunter und stand auf. Dann begann er langsam damit, seine Kleidung anzulegen.

»Wenn du das nächste Mal wieder nur wie ein Brett daliegst, schneide ich dir die Kehle durch.«

Braunfels, 12. August 1626

»Ich gebe euch dreckigen Bauern drei Tage Zeit, mir diesen feigen Mörder zu liefern«, sagte Hauptmann Johann von Tiras und spuckte verächtlich auf den Boden.

»Was macht Euch so sicher, dass jemand aus dem Dorf den Mann umgebracht hat?«, fragte Heinrich Wagner und versuchte, dem Blick des Kommandanten der spanischen Besatzer in Braunfels standzuhalten, der ihn vom Rücken seines Pferdes aus finster ansah. Gemeinsam mit seinem Schwager Norbert Hellund war er vom Hauptmann und sechs seiner Soldaten aus Laufdorf abgeführt und zu einem Wäldchen zwischen dem Ort und Braunfels gebracht worden. Nun standen die beiden Männer vor der Leiche eines spanischen Soldaten, in dessen Brust noch immer die Mistgabel steckte, mit der er getötet worden war.

»Das ist ganz sicher nicht die Waffe eines Soldaten«, antwortete von Tiras spöttisch. »Außerdem gibt es einen Zeugen. Der Tote war mit einem Kameraden auf einem Streifzug. Der Mann berichtet, dass sie von einer Horde Bauern angegriffen worden sind. Die Mistgabel reicht mir als Beweis für seine Worte. Ihr habt drei Tage. Nutzt die Zeit gut.«

»Wartet einen Augenblick«, bat Heinrich, der seinen ganzen Mut aufbringen musste, um den spanischen Hauptmann aufzuhalten, der den Platz gerade verlassen wollte.

»Was willst du? Soll ich dich gleich an Ort und Stelle von meinen Männern erschlagen lassen?«

»So, wie die Mistgabel in der Brust des Mannes steckt, kann sie unmöglich von unten geführt worden sein«, sagte Heinrich. Tatsächlich waren die Zinken so gebogen, dass der Stiel über den Kopf des Toten hinausragte. »Die Waffe muss also von oben geführt worden sein. Andernfalls hätte die Mistgabel zu den Füßen des Soldaten zeigen müssen.«

»Willst du Bastard mich etwa einen Lügner nennen?«, schrie einer der Spanier, zog sein Schwert und richtete es mit der Spitze gegen Heinrichs Brust.

»Das habe ich nicht gesagt«, sagte Heinrich selbstbewusster als er sich fühlte.

»Das würde ich dir auch nicht raten. Ich habe die Bauern mit eigenen Augen gesehen, die uns überfallen haben.«

Heinrich glaubte dem Soldaten kein Wort, sah aber ein, dass er im Moment in der schwächeren Position war. Etwas an der Sache war faul. Nun war es die Aufgabe von ihm und seinem Schwager herauszufinden, was das war.

Nach dem Tod von Norberts Vater im Winter zählten der Bauer und Heinrich zu den wohlhabendsten Männern in Laufdorf. Die Bürger hörten auf ihre Worte. Einen Bürgermeister gab es in dem Ort nicht mehr und der evangelische Pfarrer war aus der Gegend vertrieben worden. Genau wie die Geistlichen in den anderen Dörfern. Seit dem Sommer durften nur noch katholische Gottesdienste abgehalten werden.

In den letzten Jahren waren viele Bürger in der Umgebung gestorben. Einige waren von den spanischen Besatzern getötet worden, die immer wieder Raubzüge in die Dörfer nahe Braunfels unternommen hatten. Die meisten hatte aber die Pest dahingerafft. Unter anderem Heinrichs Eltern.

»Bringt mir die Verantwortlichen«, sagte von Tiras und hob drohend den Zeigefinger. »Ich werde euch nicht noch einmal warnen.«

Der Hauptmann befahl seinen Männern, ihren toten Kameraden auf ein Pferd zu legen und mit in die Stadt zu nehmen. Dann verschwanden die Spanier ohne ein weiteres Wort in Richtung Braunfels.

Heinrich und Norbert warteten, bis die Reiter verschwunden waren und machten sich dann auf den Rückweg in ihr Dorf.

»Du glaubst nicht, dass es Leute aus dem Dorf waren, die den Kerl ermordet haben?«, fragte Norbert, nachdem sie eine Weile schweigend und mit trübseligen Gedanken nebeneinander gegangen waren.

Keiner der beiden Männer zweifelte daran, dass Hauptmann von Tiras seine Drohung, Laufdorf niederzubrennen, wahrmachen würde. Auf Hilfe hoffen konnten sie nicht. Wetzlar, die nächstgelegene Stadt, war genauso von spanischen Truppen besetzt wie Braunfels. Alleine waren sie zu schwach, um sich gegen den Hauptmann und seine Truppen zu wehren. Aus den benachbarten Dörfern würde auch niemand kommen. Die Menschen dort hatten selbst viel zu große Angst, sich den Zorn des spanischen Kommandanten zuzuziehen.

»Nein«, antwortete Heinrich bestimmt. »Das glaube ich nicht.«

»Was macht dich so sicher, dass der Mörder nicht aus Laufdorf kommt?«

»Etwas an der Geschichte des anderen Soldaten stimmt nicht«, sagte Heinrich. »So wie die Gabel in den Körper des Mannes gefahren ist …«

»Selbst wenn du recht hast, beweist das noch gar nichts.«

»Nein, Norbert. Mir ist aber noch etwas aufgefallen. Hast du die Würgemale am Hals des Toten gesehen?«

»Nein.«

»Ich bin mir sicher, dass der Mann bereits auf dem Boden lag, als er mit der Gabel erstochen wurde. Vielleicht war er da sogar schon tot.«

»Wie soll das vonstattengegangen sein?«

»Das weiß ich nicht«, gab Heinrich zu. »Vielleicht sind die Soldaten untereinander in Streit geraten.«

»Das würde der andere niemals zugeben.«

»Glaube ich auch nicht.«

»Was tun wir jetzt?«, fragte Norbert. Sie würden Laufdorf in wenigen Minuten erreichen und mussten eine Entscheidung treffen, wie sie weiter vorgehen sollten.

»Wir müssen die Leute im Dorf warnen und sie auch befragen. Ich glaube nicht, dass jemand den Mord gestehen wird. Vielleicht hat aber einer etwas gesehen.«

»Und wenn nicht?«

»Dann müssen wir überlegen, ob wir Laufdorf verlassen.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja, Norbert. Ich bleibe sicher nicht hier und lasse mich von den Spaniern abschlachten. Du wirst mit meiner Schwester ebenfalls fliehen.«

»Karin erwartet ein Kind«, sagte Norbert leise. »Die Spanier werden ihr nichts tun.«

»Doch. Das werden sie. Wenn es uns nicht gelingt, den Mörder zu fassen, werden wir fliehen.«

***

Zwei Stunden später standen Heinrich und Norbert vor dem Altar in der Laufdorfer Dorfkirche. Sie hatten Boten durch die Straßen des Ortes geschickt und alle Bürger zusammengerufen. Abgesehen von den hinteren drei Bankreihen war der untere Teil der Kirche voll besetzt. Einige saßen auf den Plätzen auf einem Gang oberhalb des eigentlichen Kirchenschiffs.

Es waren nicht alle Laufdorfer in die Kirche gekommen, aber Heinrich vermutete, dass die meisten anwesend waren. Vor dem Kriegsausbruch hätten nicht alle Bürger des Dorfes in dem Gebäude Platz gefunden. Mittlerweile waren aber mehr als ein Drittel der Menschen aus dem Dorf gestorben oder geflüchtet.

Abwechselnd berichteten Heinrich und Norbert nun, was sich im Wald in Richtung Braunfels ereignet hatte. Als sie auf das Ultimatum des Hauptmannes zu sprechen kamen, wurde es unruhig.

»Die Mörder können genauso gut aus Bonbaden oder Schwalbach kommen«, rief einer der Männer. »Warum sollen wir dafür büßen?«

»Hauptmann von Tiras wird an uns ein Exempel statuieren«, sagte Heinrich mit fester Stimme. »Wenn die Frist, die er uns gegeben hat, verstrichen ist, wird Laufdorf brennen. Wir müssen die wahren Schuldigen finden, wenn wir nicht alles verlieren wollen.«

In dem darauffolgenden Tumult schimpften die Menschen auf die Spanier und ihren in der Gegend verhassten Hauptmann. Von Tiras hatte sich durch seine Gewalttaten in den vergangenen Jahren einen Namen in der Region gemacht. Selbst Kinder hielten ihre Hände vors Gesicht, wenn jemand vom Kommandanten der Stadt Braunfels sprach.

Bereits seit über fünf Jahren litten die Menschen unter der Plage, die die Spanier über das Land brachten. Heinrich war damals kurz vor dem Eintreffen der feindlichen Einheiten aus Laufdorf aufgebrochen und hatte sich auf die Walz begeben, auf der er seine Kenntnisse im Handwerk des Zimmermanns vertieft hatte.

In dieser Zeit hatte er gemeinsam mit seinem Freund August Demmer aus Wetzlar den Schrecken des Krieges hautnah miterlebt und war in Heidelberg bei der Verteidigung der Stadt sogar schwer verwundet worden.

Nach seiner Rückkehr in die Heimat hatte er mit ansehen müssen, wie sein Freund in Wetzlar gehängt worden war, nachdem er einen Mord begangen hatte. Gegen den Rat des Zimmermanns hatte August unbedingt in die Stadt zurückkehren wollen, aus der er einige Jahre vorher unter unglücklichen Umständen hatte fliehen müssen.

Heinrich war dann nach Laufdorf gegangen und hatte feststellen müssen, dass seine Eltern an der Pest gestorben waren. Er hatte den Zimmermannsbetrieb seines Vaters übernommen und arbeitete seitdem in der Umgebung. Insgesamt hatte sich für ihn schließlich alles zum Guten gewendet, und er hätte zufrieden sein können. Wären da nicht die Spanier …

»Hat jemand von euch etwas beobachtet oder über den Vorfall gehört?«, fragte Heinrich, nachdem sich die Menschen im Raum wieder den beiden Männern vor dem Altar zugewandt hatten. Erneut begannen die Männer und Frauen durcheinander zu reden. Einen brauchbaren Hinweis konnten sie aber nicht liefern.

»Ihr wisst, was für jeden Einzelnen von uns auf dem Spiel steht«, rief Norbert und fuhr sich nervös durch das blonde, gelockte Haar. »Wenn euch noch etwas einfällt, müsst ihr unbedingt zu Heinrich oder zu mir kommen. Auch wenn ihr von jemandem etwas hört, der heute hier nicht anwesend war.«

»Was unternehmt ihr, um die Schuldigen zu finden?«, rief eine Frau aus der Menge.

»Ich werde morgen früh nach Braunfels gehen«, antwortete Heinrich. »Ich habe dort einen Auftrag und kann mich unter den spanischen Söldnern umhören.«

»Du willst wieder an deine Arbeit gehen, als wäre nichts gewesen?«, fragte Sven Scheidt, einer der jungen Burschen des Ortes, scharf.

»Ich bin davon überzeugt, dass der Mörder nicht aus Laufdorf stammt«, antwortete Heinrich. »Im Gegenteil könnte ich mir sogar vorstellen, dass es einer seiner eigenen Kameraden war.«

»Warum sollten sich die Söldner gegenseitig umbringen?« Wieder war es Sven Scheidt, der die Frage aussprach, die sich sicher einige in der Kirche stellten.

»Das weiß ich auch nicht«, sagte Heinrich. Als er sah, dass die Menschen erneut damit anfingen, wild durcheinanderzusprechen, hob er beschwichtigend beide Hände. »Vertraut mir, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich habe die Leiche gesehen. So sieht kein Mann aus, den man mit einer Mistgabel vom Pferd geholt hat. Wenn aber, aus welchen Gründen auch immer, wirklich einer seiner eigenen Kameraden hinter dem Mord steckt, werden wir hier in Laufdorf nichts darüber erfahren. Deshalb werde ich morgen nach Braunfels gehen und dort zunächst mit meiner Arbeit beginnen.«

Nach dieser recht langen Ansprache holte Heinrich tief Luft. Mittlerweile war sein Hals völlig ausgetrocknet, und er sehnte sich nach einem kalten Bier. Damit musste er sich allerdings noch ein wenig gedulden.

Die Menschen setzten das Gespräch in der Laufdorfer Kirche noch fast eine Stunde fort, ohne dabei zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Während Norbert sich mit seiner Frau auf den Heimweg machte, folgte Heinrich den anderen Männern in die Dorfschänke, wo sie noch bis spät in die Nacht weiter debattierten.

***

Als Heinrich am nächsten Morgen sein Haus verließ, um nach Braunfels zu reiten, warteten zwei zehnjährige Jungen vor seiner Tür. Dem Zimmermann brummte der Schädel, als hätte er ein ganzes Bierfass alleine ausgetrunken. Aus diesem Grund hätte er die Knaben am liebsten gleich fortgeschickt, als er sie vor sich sah. Der Ausdruck in ihren Gesichtern überzeugte ihn aber davon, sich anzuhören, was die beiden von ihm wollten. Sie wirkten ängstlich und niedergeschlagen und schienen ihren ganzen Mut aufgebracht zu haben, um mit dem Zimmermann zu sprechen.

»Wir haben gesehen, was passiert ist«, sagte Egon Lanz und scharrte nervös mit dem Fuß über den lehmigen Boden vor Heinrichs Haus.

»Ihr habt was?«, rief der Zimmermann überrascht. Er kannte den Jungen. Vor einigen Monaten hatte er das Scheunendach auf dem Hof seines Vaters repariert. Den zweiten Knaben hatte er ebenfalls schon gesehen, kannte aber seinen Namen nicht.

»Wir wissen, wer den spanischen Soldaten getötet hat«, antwortete Egon.

»Dann erzählt es mir«, forderte Heinrich den Jungen gespannt auf.

»Ihr müsst versprechen, dass Ihr niemandem verratet, dass wir es erzählt haben. Wir dürfen nicht alleine in den Wald und bekommen großen Ärger, wenn das herauskommt.«

»Ich verspreche es.« Heinrich wollte gar nicht wissen, was die Knaben so weit vom Dorf entfernt gemacht hatten. Es war nicht seine Aufgabe, auf die Kinder aus dem Ort aufzupassen. Wenn sie aber wirklich etwas gesehen hatten, was mit dem Mord an dem spanischen Söldner zu tun hatte, musste er das wissen.

»Harald und ich sind Richtung Braunfels gelaufen, weil wir das Schloss aus der Nähe sehen wollten«, erklärte Egon.

»Das war dumm von euch«, sagte Heinrich. »Für zwei kleine Jungen ist es viel zu gefährlich, alleine durch den Wald zu laufen.«

»Deswegen dürft Ihr das ja auch niemandem erzählen«, sagte Harald mit verschwörerischem Unterton.

»Das werde ich nicht. Sprich weiter.«

»Plötzlich hörten wir die Stimmen von zwei Männern vor uns. Wir haben es gerade noch geschafft, uns in den Büschen zu verstecken. Dann kamen sie direkt vor uns in den Wald geritten.«

»Was haben die Männer dann gemacht?« Heinrich wusste, dass es besser gewesen wäre, die Knaben einfach erzählen zu lassen. Er war aber so aufgeregt, dass er sich nicht beherrschen konnte und Egon immer wieder ins Wort fiel.

»Sie haben gestritten. Worüber weiß ich nicht.«

»Einmal ist der Name Verena gefallen«, ergänzte Harald Egons Worte.

»Was ist dann passiert?«

»Der eine Soldat ist neben den anderen geritten und hat ihn geschlagen. Dann hat er ihn vom Pferd gestoßen ist auf ihn gesprungen und hat ihm die Luft abgedrückt.« Egon griff Harald mit beiden Händen an die Kehle, um Heinrich zu zeigen, was er gesehen hatte.

»Lass deinen Freund in Ruhe«, sagte Heinrich schnell. »Ich habe verstanden, was du meinst.«

»Als sich der Soldat nicht mehr bewegt hat, hat ihm der andere eine Mistgabel in die Brust gestoßen«, beendete Egon seinen Bericht.

Heinrich zweifelte nicht daran, dass die beiden Jungen die Wahrheit sprachen. Ihre Erzählungen deckten sich mit dem, was er bereits vermutet hatte. »Ich glaube euch«, sagte er deshalb und gab Egon und Harald je einen Taler. »Es war richtig, zu mir zu kommen. Ich werde niemandem etwas erzählen, und ihr solltet das ab jetzt auch für euch behalten. Wenn der Mörder herausfindet, dass ihr ihn gesehen habt, wird er euch jagen.«

Egon und Harald wichen erschrocken einen Schritt zurück. »Wir werden nichts sagen«, versprachen sie wie aus einem Mund.

»Eine Frage habe ich aber noch«, sagte Heinrich. »Woher hatte der Soldat die Mistgabel? Die stehen ja nicht im Wald herum.«

»Aus der Scheune meines Vaters«, antwortete Egon. »Wir haben sie mitgenommen, um uns gegen Wildschweine wehren zu können.«

Wäre die Sache nicht so ernst gewesen, hätte Heinrich laut losgelacht. Er konnte sich kaum vorstellen, wie die beiden sich gegen eine Sau wehren wollten, wenn die auf sie zugerannt kam. Die Tatsache, dass die Waffe von dem Hof von Bauer Lanz stammte, war allerdings ernst. Sehr ernst sogar. Wenn das herauskam, würden alle Egons Vater für den Mörder halten.

»Ich werde mich um alles kümmern«, versprach Heinrich den beiden Jungen zum Abschied. »Ihr geht jetzt nach Hause und tut etwas Nützliches. Und denkt gar nicht erst daran, noch einmal alleine in den Wald zu gehen.«

Lutter am Barenberge, 13. August 1626

Nachdem sich der Soldat, von dem Hanna inzwischen wusste, dass sein Name Gottlieb Feist war, zum ersten Mal an ihr vergangen hatte, war die Magd auf dem Lager liegen geblieben und hatte so lange geweint, bis sie schließlich eingeschlafen war. Einige Stunden später war sie dann von Gottlieb grob geweckt worden.

Der Geruch aus dem Rachen des Mannes war anders gewesen, als noch Stunden zuvor, und er hatte leicht geschwankt. Das hatte ihn allerdings nicht daran gehindert, erneut über seine Gefangene herzufallen. Dieses Mal hatte der Akt noch deutlich länger gedauert. Aus Angst, Gottlieb würde ihr tatsächlich die Kehle durchschneiden, hatte sie versucht, sich seinen Bewegungen anzupassen. Schließlich war Gottlieb halb auf ihr liegend eingeschlafen, und sie hatte es bis zum Morgen nicht gewagt, sich unter dem schnarchenden Mann zu bewegen.

Auch in den folgenden Nächten hatte sie ihm zu Willen sein müssen und hätte sich fast daran gewöhnt, wäre sie nicht ständig von ihm geschlagen worden. Besonders schlimm war es immer dann, wenn er sich vorher mit seinen Kameraden betrunken hatte.

Die anderen Männer im Zelt hatten akzeptiert, dass die blonde Schönheit ihrem Anführer gehörte und die Magd in Ruhe gelassen. In den ersten Tagen hatte Hanna im Zelt bleiben müssen und nicht viel von dem mitbekommen, was im Lager geschah. Später durfte sie dann zumindest zu den anderen Frauen, um sich zu waschen. Gottlieb hatte ihr geschworen, dass er sie töten würde, sollte sie so dumm sein, einen Fluchtversuch zu wagen.

Die anderen Frauen schienen mit ihrem Leben an der Seite der Soldaten zufrieden zu sein und manche hatten sogar Kinder. Sie brachten Hanna alles bei, was notwendig war, um im Heerlager zu überleben. So hatte Hanna erfahren, dass sie sich inmitten des Heeres von Graf Johann von Tilly befand. Sie lernte schnell und es kam der Moment, an dem sie beschloss, sich nicht mehr jede Nacht von Gottlieb verprügeln zu lassen.

Als der Soldat an diesem Tag schwankend das Zelt betrat, und Hanna in sein zornerfülltes Gesicht sah, wusste sie, dass er sie wieder schlagen würde. Es würde keine Rolle spielen, wie fügsam sie sich gab. Gottlieb genoss es, sie zu quälen. Ganz besonders, wenn er betrunken war.

»Was schaust du mich so dumm an?«, fuhr der Soldat Hanna an und spuckte vor sich auf den Boden. »Zieh dich aus und leg dich auf den Rücken!«

Die Magd beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Eine der älteren Frauen im Lager hatte ihr ein abgetragenes Kleid geschenkt. Es stammte von einer Toten und keiner hatte es haben wollen. Dennoch war es allemal besser, als sich eine Pferdedecke um den Körper zu wickeln, wie sie es in den ersten Tagen hatte tun müssen. Dieses Kleid, so schäbig es auch war, musste Hanna beschützen. Es war ihr einziger Besitz. Sie wollte nicht, dass Gottlieb es in seinem Rausch zerriss.

»Du hältst dich wohl für besonders schlau«, schnaubte Gottlieb, als Hanna unbekleidet und mit gespreizten Beinen vor ihm lag und ihn dabei verächtlich ansah. »Es wird Zeit, dass ich dir eine Lektion erteile.« Er zog den Gürtel aus seiner Hose, legte den Riemen doppelt und ließ das Ende in seine Handfläche klatschen.

»Nein«, schrie Hanna entsetzt. »Nicht mit dem Gürtel!«

Doch es war bereits zu spät.

Gottlieb holte aus und schlug der Magd mit voller Wucht auf den Oberschenkel. Hanna konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken und wurde dafür mit einem weiteren Hieb bestraft.

»Helft mir«, flehte Hanna, als zwei Soldaten alarmiert von ihrem Schrei ins Zelt stürzten. Ein Blick in Gottliebs Gesicht reichte den Männern aus, um wieder zu verschwinden. Niemand würde sich darum kümmern, was der Betrunkene mit ihr anstellte.

»Ich werde dir schon noch Gehorsam beibringen«, sagte Gottlieb zornig. Um den Speichel, der dabei aus seinem Mund lief, kümmerte er sich nicht. Er zog seine Hose aus, ging einen Schritt auf Hanna zu und schlug ihr den Gürtel auf die Brust.

Obwohl sich ihr Körper unter den Schmerzen aufbäumte, schaffte sie es dieses Mal, den Schrei zu unterdrücken. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie jetzt etwas unternehmen musste. Gottlieb würde sie sonst totschlagen.

Als er sich gerade zu Hanna herunterbeugen wollte, trat sie ihm mit aller Kraft den Fußrücken zwischen die Beine. Er stieß einen wütenden Schrei aus und krümmte sich vor Schmerzen. Bevor er sich von dem Treffer erholen konnte, winkelte Hanna die Beine an, und rammte ihm beide Füße in den Bauch. Der Soldat schwankte nach hinten. Es gelang ihm nicht, das Gleichgewicht zu halten, und er krachte mit dem Rücken gegen die Zeltplane, die unter seinem Gewicht nachgab.

Hanna unterdrückte ihre Schmerzen, sprang auf und rannte ins Freie. Dort hatte der bereits seit drei Tagen anhaltende Regen den Boden aufgeweicht, und die Magd rutschte auf dem matschigen Untergrund aus. Bevor sie wieder auf die Beine kam, stürzten Gottliebs Kameraden auf sie zu und hielten sie fest. Der wütende Schrei aus dem Zelt kündigte an, dass sie jetzt mit mehr als nur ein paar Schlägen rechnen musste.

»Lasst mich gehen«, flehte Hanna. »Gottlieb ist völlig von Sinnen. Er wird mich umbringen.«

»Das hättest du dir früher überlegen müssen«, entgegnete einer der Männer ungerührt, griff dann aber mit beiden Händen nach ihren Brüsten. »Ich gebe aber zu, dass es Verschwendung ist, einen solchen Körper zu verstümmeln.«

»Geht mir aus dem Weg«, brüllte Gottlieb in das Lachen der Männer. Keiner wagte es, seinem Befehl zu widersprechen.

Hanna zitterte vor Angst. Sie wollte Gottlieb anflehen, sie noch einmal mit dem Leben davonkommen zu lassen. Bevor sie aber etwas sagen konnte, traf seine Faust ihr rechtes Auge und sie fiel nach hinten in den Dreck. Wütend begann der Soldat nun damit, auf sie einzutreten. Sie versuchte, die Beine anzuwinkeln und ihr Gesicht mit den Händen zu schützen, konnte aber nicht verhindern, dass sie an mehreren Stellen getroffen wurde.

In diesem Moment schloss Hanna mit dem Leben ab. Genau genommen war sie bereits gestorben, als die Soldaten auf ihren Hof gekommen waren. »Wenigstens hat das Leid jetzt ein Ende«, dachte sie, als sie von einem von Gottliebs Tritten gegen die Stirn getroffen wurde.

»Was in Gottes Namen ist hier los?«, brüllte eine schneidende Stimme über den Platz.

Hanna spürte, wie Gottlieb von ihr abließ, konnte aber durch das Blut, das ihr in die Augen gelaufen war, ihren Retter nicht erkennen.

»Das Weib gehorcht mir nicht«, sagte Gottlieb noch immer voller Zorn. »Ich werde ihr beibringen, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten hat.«

»Das werde ich nicht zulassen«, entgegnete der Fremde scharf. »Wenn du Feigling es noch einmal wagst, die Hand gegen dieses Weib zu erheben, werde ich dich hängen lassen.«

In der Zwischenzeit hatte es Hanna geschafft, das Blut so weit aus ihren Augen zu wischen, dass sie ihren Retter erkennen konnte. Bart und Haare des Mannes waren fast weiß. Hanna hatte noch nie einen älteren Menschen gesehen. Dennoch strahlte er Entschlossenheit und Macht aus. Die Magd wusste nicht, wen sie da vor sich hatte. Sie war sich aber sicher, dass er zu den hochrangigen Offizieren im Lager gehören musste.

»Geh in dein Zelt und schlaf deinen Rausch aus«, sagte der Offizier. »Morgen wirst du dich bei deinem Hauptmann freiwillig melden und dabei helfen, Gräben auszuheben.«

»Wie Ihr befehlt, Herr General.«

Hanna sah, wie Gottlieb mit hängenden Schultern zurück in sein Zelt ging. Bisher hatte sie ihn nur als überheblichen und brutalen Schläger kennengelernt. Jetzt sah sie, wie viel von seinem Mut übrigblieb, wenn er es mit einem Vorgesetzten zu tun hatte.

Die Magd versuchte, sich aufzusetzen und spürte im gleichen Moment den Schwindel in ihrem Kopf. Alles um sie herum drehte sich. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Die Schmerzen hielten ihren ganzen Körper gefangen und ließen es nicht zu, dass sie ohne Hilfe auf die Beine kam.

»Bringt sie zu den Jesuiten«, sprach der unbekannte Offizier Gottliebs Kameraden an. »Sie sollen sie waschen und ihr Kleidung und etwas zu essen geben. Wenn sie wieder bei Kräften ist, lasst sie in mein Zelt schaffen.«

Hanna wollte den Offizier anflehen, er möge sie nicht mit den Soldaten alleine lassen, brachte aber keinen Ton heraus. Der Grauhaarige verließ den Platz und verschwand zwischen den Zelten. Ihre Befürchtung, nun die Rache der Männer ertragen zu müssen, erfüllte sich nicht. Zwei von ihnen packten Hanna unter den Schultern und zogen sie mit sich. Dann wurde alles um sie herum schwarz.

***

Als Hanna erwachte, konnte sie sich zunächst nicht daran erinnern, was passiert war. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, spürte aber einen Widerstand. Als sie mit der Hand nach ihrem rechten Auge tastete, schoss der Schmerz durch ihren gesamten Kopf. Auch der Versuch, sich aufzusetzen, schlug fehl. Der plötzliche Schwindel ließ sie sofort wieder auf das Lager zurücksinken.

»Bleib ruhig liegen, mein Kind«, sagte eine sanfte, Hanna unbekannte Stimme. »Man hat dir übel mitgespielt. Es gibt kaum eine Stelle an deinem Körper, die der Schläger ausgelassen hat. Dennoch hattest du großes Glück, dass er dir keine Knochen gebrochen hat.«

»Was ist passiert?«, fragte Hanna stöhnend. Sie wusste nur noch, dass Gottlieb wieder betrunken zu ihr gekommen war und sie geschlagen hatte.

»Darüber werden wir später sprechen. Zunächst musst du wieder zu Kräften kommen. Du bist hier in Sicherheit.«

»Wer bist du?«

»Du kannst mich Pater Justus nennen.«

»Ich kann nichts sehen.«

»Mach dir keine Sorgen, mein Kind. Wir haben dir ein Tuch um die Augen gebunden. Das Rechte ist zugeschwollen. In ein paar Tagen wirst du nichts mehr davon merken. Ich werde dir jetzt eine warme Suppe holen.«

»Ich habe Durst.« Hanna erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder. Ihr Hals war völlig ausgetrocknet, und das Sprechen fiel ihr schwer. Sie spürte, wie ihr ein Becher an die Lippen gehalten wurde und die angenehm kühle Flüssigkeit langsam in ihren Mund lief. Als sie ein paar wenige Schlucke getrunken hatte, nahm Pater Justus den Becher wieder weg.

»Das muss zunächst reichen. Ich hole jetzt die Suppe.«

Hanna widersprach nicht und lauschte auf die Geräusche, die der Priester verursachte. Er entfernte sich mit schlurfenden Schritten von ihr. Dann wurde eine Tür geschlossen.

Hanna rang die Schmerzen nieder, die sofort stärker wurden, als sie ihre rechte Hand bewegte, und tastete das Lager, auf dem sie lag, ab. Die Unterlage war weich und ihr Körper wurde von einer dünnen Decke bedeckt. Darunter war sie unbekleidet. Was war passiert, nachdem Gottlieb zu ihr in das Zelt gekommen war?

Obwohl sich Pater Justus bis jetzt sehr fürsorglich um sie gekümmert hatte, konnte sich Hanna nicht gegen das aufkommende Misstrauen gegen den Mann wehren. Er war der erste Geistliche, den sie kennenlernte, hatte aber gehört, dass die Priester den fleischlichen Gelüsten entsagt hatten. Wenn das stimmte, würde Justus sie nicht anrühren. Was aber, wenn er sie angelogen hatte und gar kein Pater war? Was, wenn er sie lediglich in Sicherheit wiegen wollte, um danach umso gnadenloser zuzuschlagen?

Ein Knarren an der Tür riss Hanna aus ihren Gedanken. Der Priester kehrte zurück. Sie konnte hören, wie er näher kam und sich neben sie setzte. Dann spürte sie, wie ihr Kopf angehoben und eine Art Kissen darunter geschoben wurde.

»Pass auf, die Suppe ist sehr heiß.«

»Ich habe keinen Hunger«, sagte Hanna, als der Pater ihr den Löffel an den Mund hielt.

»Wenn du wieder zu Kräften kommen willst, musst du etwas essen. Wenigstens ein bisschen.«

»Und wenn ich lieber sterben will?«

»Versündige dich nicht, mein Kind. Gott hat über dein Leben gewacht und dich davor bewahrt, von dem brutalen Schläger umgebracht zu werden. Er hat dir den Grafen von Tilly persönlich geschickt, damit er dich rettet. Danke ihm dies nicht, indem du dein Leben wegwirfst.«

Hanna erinnerte sich an den grauhaarigen Alten, der verhindert hatte, dass Gottlieb weiter auf sie einschlug. Konnte es stimmen, dass es sich bei ihm tatsächlich um den mächtigen Feldherrn gehandelt hatte?

»Was geschieht jetzt mit mir?«, fragte Hanna, nachdem sie ein paar Löffel der Suppe gegessen hatte.

»Ich werde mich um dich kümmern, bis es dir besser geht. Danach wirst du zu Graf Johann von Tilly gebracht. Er wird entscheiden, was weiterhin mit dir geschehen soll.«

Hanna erschrak. »Und wenn er mich zu Gottlieb zurückschickt?« Sie wollte lieber sterben, als auch nur noch eine Minute das Lager mit dem brutalen Trunkenbold teilen zu müssen.

»Das wird nicht geschehen. Sei unbesorgt. Der Graf ist ein gerechter Mann. Er wird nicht zulassen, dass dir weiteres Unheil geschieht.«

Hanna hatte noch viele Fragen, spürte aber, wie die Müdigkeit sie zu übermannen drohte. Sie aß noch ein paar Löffel Suppe und presste schließlich die Lippen zusammen, um dem Pater zu zeigen, dass es jetzt wirklich genug war.

»Schlaf noch ein paar Stunden«, sagte Justus. »Ich werde später wiederkommen und nach dir sehen.«

***

Etwa zwei Wochen später brachte Justus die junge Magd persönlich zum Zelt des Feldherrn Graf Johann von Tilly. Der Pater hatte sich fürsorglich um Hanna gekümmert, und sie hatte schnell Vertrauen zu dem leicht dicklichen Mann in der alten, braunen Robe gefasst. Es gab kaum etwas, das ihn aus der Ruhe brachte. Das gütige Lächeln schien genauso zu seinem rundlichen Gesicht zu gehören wie sein haarloses Haupt. Pater Justus war der einzige Freund, den sie nach dem Überfall auf ihren Hof hatte.

So geborgen sie sich in den letzten Tagen bei dem Priester gefühlt hatte, so viel Angst hatte sie vor dem mächtigen Feldherrn. Warum wollte Graf von Tilly, dass man sie in sein Zelt brachte? Würde er sie am Ende genauso brutal behandeln, wie es Gottlieb getan hatte?

Es gab nur noch wenige Stellen an Hannas Körper, die ihr leichte Schmerzen bereiteten. Die Schwellungen waren zurückgegangen und auch die vielen blauen Flecken waren inzwischen verblasst. Justus hatte dafür gesorgt, dass sie sich waschen konnte und ihr ein neues Wollkleid beschafft. Außerdem hatte sie Schuhe aus braunem Leder bekommen. Über dieses Geschenk des Priesters hatte sie sich am meisten gefreut. Nie zuvor hatte sie etwas so Kostbares besessen.

»Denk daran, was ich dir beigebracht habe«, sagte Justus, als sie das Zelt des Feldherrn erreichten. »Graf von Tilly ist ein mächtiger Mann. Gehorche ihm und sei nicht vorlaut. Sprich nur, wenn du eine Frage gestellt bekommst und vergiss niemals, deinen Herrn korrekt anzusprechen.«

»Ich werde mir Mühe geben«, versprach Hanna und sah Justus dankbar an.

»Dann geh jetzt.«

Am liebsten wäre Hanna dem Pater zum Abschied um den Hals gefallen. Sie wusste aber, dass dies dem Mann unangenehm gewesen wäre. Sie waren nicht alleine und daher wollte sie ihn nicht in Verlegenheit bringen. Die Soldaten, die sich in der Nähe des Zeltes aufhielten, sahen Hanna neugierig an, blieben aber auf Abstand. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen, dass sie unter von Tillys Schutz stand.

Hanna nahm ihren ganzen Mut zusammen und betrat das Zelt. Als sie aus der Morgensonne in das Halbdunkel trat, mussten sich ihre Augen zunächst an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen. Graf Johann von Tilly stand an einem Tisch und drehte sich überrascht um, als er die Magd hörte.

»Was in Gottes Namen tust du hier?« Die schneidende Stimme des Feldherrn wirkte auf Hanna wie ein Peitschenhieb. Sie zuckte zusammen und ging einen Schritt zurück.

»Man hat mich zu Euch geschickt.«

Der Feldherr kam langsam auf Hanna zu und blieb etwa zwei Meter vor ihr stehen. Hanna schaute direkt in das Gesicht des hageren Mannes, der sie vor zwei Wochen aus den Fängen Gottliebs gerettet hatte. Seine Augen wirkten klar und scharf und standen damit im Gegensatz zu den buschigen Augenbrauen, die zu groß für sein schmales Gesicht wirkten.

Die Gesichtszüge des Feldherrn änderten sich und sein Blick wurde gütig. »Jetzt erkenne ich dich. Du bist das Weibsbild, das von dem betrunkenen Söldner geschlagen worden ist.«

»Ja, mein Herr.«

»Wie ist dein Name?«

»Hanna.«

»Und weiter?«

»Nichts weiter. Nur Hanna. Ich war Magd auf einem Bauernhof. Die Soldaten kamen, haben alles zerstört und nahmen mich mit in Euer Lager.«

»Wie ist es dir in den letzten Tagen ergangen?«

»Pater Justus hat sich um mich gekümmert. Es geht mir gut. Ich bin bereit, Euch zu dienen.«

Hanna griff nach ihrem Hals und öffnete die Kordel, die ihr Kleid verschloss. Dann ließ sie den Stoff nach unten rutschen.

»Was soll das?«, fragte von Tilly. Für einen kurzen Moment wirkte er überrascht. Danach gelang es ihm schnell, seine Fassung zurückzuerlangen. »Deswegen habe ich dich nicht zu mir kommen lassen. Zieh dich wieder an«

»Weswegen dann?« Hanna hätte sich am liebsten selbst auf den Mund geschlagen, konnte ihre Frage aber nicht mehr ungeschehen machen. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie alles vergessen, was sie von Justus gelernt hatte und sich wie das Bauernmädchen verhalten, das sie noch immer war. Hastig zog sie das Kleid hoch und band es wieder fest.

»Das ist in der Tat eine berechtigte Frage.« Graf von Tilly kratzte sich mit den Fingern an seinem Spitzbart. »Kannst du lesen und schreiben?«

»Nein.«

»Dann wirst du bis auf weiteres dafür Sorge tragen, dass in diesem Zelt Ordnung herrscht. Du bist keine Gefangene und wirst für deine Arbeit entlohnt werden.«

Hanna schaute den Feldherrn dankbar, aber auch überrascht an. Bisher hatte sie nie für irgendetwas Geld bekommen und in ihrem bisherigen Leben noch nicht eine Münze besessen. Sie nahm sich fest vor, ihren Herrn nicht zu enttäuschen.

In diesem Moment betraten zwei Männer das Zelt und baten darum, mit dem Grafen sprechen zu dürfen.

»Setz dich in eine Ecke und verhalte dich ruhig«, sagte von Tilly so leise, dass nur Hanna ihn hören konnte.

Schnell erkannte sie, dass es sich bei den Besuchern um hochrangige Offiziere handelte, die mit dem Heerführer über die weiteren Schritte beraten wollten. Die drei Männer gingen zum Tisch und betrachteten die darauf liegenden Karten. Hanna verstand nichts von den Dingen, über die die drei Männer sprachen. Dennoch hörte sie gespannt zu. Aus Angst, die Offiziere zu stören, wagte sie es nicht, sich zu bewegen und blieb stocksteif auf ihrem Platz sitzen.

»Die Späher berichten, dass der Feind über annähernd die gleiche Anzahl an Soldaten verfügt wie wir«, sagte einer der Offiziere und deutete auf die Karte. »Der Großteil der fast zwanzigtausend Mann liegt derzeit nahe Hahausen. Das Heer befindet sich kurz vor dem Aufbruch. Allem Anschein nach bereitet der König von Dänemark einen Rückzug vor.«

»Christian der IV. wird versuchen, sich nach Wolfenbüttel durchzuschlagen«, vermutete Graf von Tilly. »Dies gilt es um jeden Preis zu verhindern. Sind unsere Männer bereit?«

»Wir können in zwei Stunden angreifen«, antwortete der zweite Offizier.

»Dann werden wir das tun. Zwischen Hahausen und Lutter liegt eine Ebene. Dort werden wir in die Schlacht ziehen.«

Nach dieser Entscheidung des Feldherrn war es mit der Ruhe im Zelt vorbei. Die Offiziere eilten nach draußen und kamen kurz darauf mit drei weiteren Hauptmännern zurück. Johann von Tilly gab seine Befehle mit entschlossener Miene. Hanna bewunderte den Heerführer für die Ruhe, die er dabei ausstrahlte. Er schien keinen Zweifel daran zu haben, dass sie das Heer des dänischen Königs bezwingen und als Sieger vom Feld gehen würden.

»Du wirst hier auf mich warten«, sagte Graf von Tilly, als er etwa eine halbe Stunde später das Zelt mit seinen Offizieren verließ. »Wenn wir die Protestanten besiegt haben, kehre ich zurück.«

***

Die nächsten Stunden verbrachte Hanna alleine in von Tillys Zelt. Gerne hätte sie Justus besucht und ihm erzählt, was sie am Vormittag erlebt hatte. Aus Angst, der Feldherr könnte in ihrer Abwesenheit zurückkehren, wagte sie es aber nicht, zu dem Pater zu gehen. Je länger sie an ihrem Platz verharrte, umso mehr wuchsen ihre Sorgen. Würde der Graf zurückkehren? Konnten seine Truppen den Feind tatsächlich besiegen? Was würde geschehen, wenn die Soldaten des dänischen Königs stärker waren und in das Lager der Kaiserlichen einfielen?

Hanna sehnte sich zurück auf den Hof, auf dem sie ihr bisheriges Leben verbracht hatte. Es kam ihr vor, als sei eine Ewigkeit vergangen, seitdem man sie von dort verschleppt hatte, dabei war es erst wenige Wochen her. Vor von Tilly hatte sie keine Angst, umso größere aber vor den vielen Männern im Lager. Was würde geschehen, wenn der Graf ihrer überdrüssig wurde? Würde er sie dann den Soldaten überlassen?

Plötzlich hörte sie die Schläge der Kanonen auf dem Schlachtfeld. Die Schreie der Männer hörte sie nicht. Dafür war das Lager zu weit vom Kampfgeschehen entfernt. Für einen Moment dachte Hanna daran, einfach wegzulaufen. Die Gelegenheit für eine Flucht war so günstig wie nie. Wohin aber sollte sie gehen?

Von Justus hatte sie erfahren, dass viele Dörfer in der Umgebung niedergebrannt worden waren. Überall streunten Soldaten und Plünderer umher. Wenn sie den Räubern in die Hände fiel, würden die sie sicher nicht besser behandeln als Gottlieb. Nein. Im Moment war sie nirgendwo auf der Welt sicherer als im Zelt des Feldherrn. Ihr altes Leben war vorbei. Nie wieder würde sie als Magd ein sorgloses Leben führen.

Als Johann von Tilly am Abend in das Zelt zurückkehrte, erkannte Hanna ihn fast nicht wieder. Sein Gesicht war schwarz von Ruß und Blut klebte an seiner Kleidung. Seine graue Haarfarbe war nicht mehr zu erkennen. Er ging leicht gebeugt und schaute Hanna aus müden Augen an.

»Bring mir Wasser und ein Tuch, damit ich mich säubern kann.«

Hanna beeilte sich, ihrem Herrn das Geforderte zu bringen und schaute zu, wie seine Gesichtsfarbe langsam zurückkehrte, als er sich mit dem nassen Tuch über die Haut fuhr.

»Habt ihr den Feind besiegt?«

»Das haben wir, mein Kind. Teile der Truppen sind in die Burg Lutter geflohen. Sie werden bereits von meinen Männern belagert und sitzen in der Falle.«

»Ist der Krieg dann zu Ende?«

»Der Krieg?« Graf von Tilly stieß ein verächtliches Lachen aus. »Was weißt du schon vom Krieg?«

»Nicht viel. Nur, dass die Menschen darunter leiden.«

»Es kann noch Jahre dauern, bis wieder Friede im Land ist. Die Schlacht bei Lutter am Barenberge ist zu Ende. Mehr aber auch nicht. Morgen früh werde ich die Verfolgung der Protestanten aufnehmen. Ich werde sie so lange jagen, bis ich Christian IV. von Dänemark in meiner Gewalt habe.«

»Was wird dann aus mir?«

»Du bleibst hier im Lager.«

Hanna erschrak. Der Gedanke, mehrere Tage lang alleine im Zelt zu bleiben, behagte ihr nicht. Wenn der Feldherr nicht im Lager war, würden sich die zurückgebliebenen Männer nicht davon abhalten lassen, sie aus dessen Zelt zu holen. Sie hatte große Angst davor, Gottlieb am Ende doch noch in die Hände zu fallen.

»Es wird dir nichts geschehen, wenn ich fort bin«, sagte der Graf, als hätte er Hannas Gedanken erraten. »Dafür werde ich sorgen.«

»Warum helft Ihr mir?«

Johann von Tilly sah Hanna einen Moment lang schweigend an. Sie hatte den Eindruck, dass seine Augen feucht schimmerten, was aber auch an dem Wasser liegen konnte, mit dem er sich gewaschen hatte. »Ich kannte einmal eine junge Frau, die dir sehr ähnlich sah. Vielleicht ist das der Grund.«

Hanna sah ihren Herrn dankbar an. Der legte sich auf sein Lager und atmete tief durch. Weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, blieb sie einfach schweigend inmitten des Zeltes stehen.

»Komm zu mir.«

»Soll ich das Kleid ausziehen?« Hanna hatte nun keine Angst mehr davor, dass ihr der Feldherr weh tun würde. Wenn er wollte, dass sie ihm zu Willen war, würde sie sich nicht wehren.

»Nein. Leg dich einfach nur neben mich und sei still.«

***

Am nächsten Morgen brachte Johann von Tilly Hanna zu einem Feldkoch, der die Verwundeten mit Essen versorgte, und befahl ihr, dem Mann zu helfen, bis er wieder zurück im Lager war.

Schon auf den ersten Blick mochte Hanna Kasper Scheld nicht. Alleine die Art, wie er sie anschaute, ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Erst als er Hanna sein Weib Margarethe vorstellte, beruhigte sie sich. Solange die Frau in der Nähe war, würde der Koch die Magd nicht anrühren. Das Ehepaar sah aus, als wären sie selbst die besten Abnehmer ihres Essens. Beide waren sehr kräftig. Kasper sogar deutlich dicker als Pater Justus.

Bereits am ersten Abend stellte sich die Hoffnung auf eine sorglose Zeit als Irrtum heraus. Hanna stand gebückt vor einer Wanne mit Wasser und wusch eine Schüssel aus. Plötzlich spürte sie zwei Hände auf ihrem Hintern.

»Machst Du deine Arbeit auch ordentlich?«

Hanna brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, dass Kasper hinter ihr stand. »Ich bin gleich fertig«, sagte sie und versuchte dabei, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken.

»Du kannst deine Arbeit später fertigmachen. Steh auf und dreh dich um.«

Sie sah in das Gesicht des Kochs und wusste sofort, was er von ihr wollte. Seine Augen starrten auf ihre Brust und es dauerte nur wenige Sekunden, bis seine Hände dem Blick folgten. »Zeig sie mir«, forderte Kasper und griff nach der Kordel, die das Kleid zusammenhielt.

»Ich mache das selbst«, sagte Hanna und schlug die Hand des Kochs weg. Der sah sie zornig an, tat aber nichts, als sie ihr Versprechen erfüllte. Die Magd hatte gelernt, dass sie ihrem Schicksal nicht entgehen konnte. Ihre einzige Hoffnung lag darin, dass Kasper sie vielleicht nicht schlug, wenn sie freiwillig tat, was er wollte.

»Dreh dich um«, befahl der Koch, nachdem Hannas Kleid zu Boden gefallen war.

Sekunden später spürte Hanna, wie der Kerl in sie eindrang. Dabei grunzte der Mann wie ein Schwein. Die Magd schaltete ihre Gedanken aus. In den Nächten mit Gottlieb hatte sie gelernt, dass die Sache schneller vorbei ging, wenn sie nicht darüber nachdachte. Sehr viel früher, als Hanna erwartet hatte, ließ Kasper von ihr ab.

»Ein Wort zu meinem Weib und ich bringe dich um.«

Als sie am nächsten Morgen erwachte, stand Margarethe vor Hannas Lager und blickte sie zornig an. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und seitlich gegen ihren Oberkörper gestemmt.

»Wenn du Kasper nicht in Ruhe lässt, werde ich dir die Hölle auf Erden bereiten«, sagte die Köchin mit scharfer Stimme.

Spätestens jetzt war Hanna hellwach. Sie schaute der Alten direkt in das Gesicht und musste sich zwingen, den Blick von den Haaren an ihrem Kinn abzuwenden. So etwas hatte sie bei noch keiner anderen Frau gesehen. Der leichte Bartwuchs machte Margarethe noch hässlicher, als sie ohnehin schon war.

»Hast du mich verstanden?«

»Ich verstehe nicht, wovon du sprichst«, antwortete Hanna. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dem Koch etwas getan zu haben.

»Tu nicht so unschuldig. Ich weiß, was ihr beide heute Nacht getrieben habt. Wenn du nicht aufhörst, Kasper schöne Augen zu machen, wirst du es bereuen.«

»Das tue ich doch gar nicht.«

»Belüge mich nicht. Ich weiß genau, was du vorhast.« Margarethe sah die Magd finster an und hob drohend die Faust. »Behalte deine Finger bei dir«, sagte sie und ging.

Den restlichen Tag versuchte Hanna, dem Paar so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Nachdem sie mit der ihr aufgetragenen Arbeit fertig war, entschloss sie sich, Justus aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen. Als sie die Stelle erreichte, an der der Wagen des Jesuiten gestanden hatte, fand sie diese leer vor. Von ein paar Waschfrauen erfuhr sie schließlich, dass sich die Mönche auf den Weg nach Salzgitter gemacht hatten.

Damit hatte Hanna niemanden mehr, dem sie im Lager vertrauen konnte. Dafür gab es aber mindestens zwei Menschen, die sie am liebsten tot gesehen hätten. Niedergeschlagen machte sich die Magd auf den Rückweg zum Wagen der Schelds. Kasper war nicht dort, und Margarethe würdigte sie keines Blickes. Hanna war dies nur recht. Sie zog sich auf ihr Lager zurück und betete zu Gott, dass er sie vor Kasper und seinem Weib beschützen mochte.

In den nächsten Tagen gelang es der Magd, jede Gelegenheit zu vermeiden, bei der sie mit Kasper alleine gewesen wäre. Margarethe beäugte die junge Frau stets voller Misstrauen, aber das störte Hanna nicht. Ewig konnte es nicht mehr dauern, bis Graf von Tilly zum Lager zurückkehrte. Dann würde sie ihn um eine andere Unterkunft bitten.

In der vierten Nacht, in der sie bei den Schelds untergekommen war, geschah es dann doch. Hanna hatte sich bereits zum Schlafen hingelegt, als sie plötzlich Geräusche neben ihrem Lager hörte. Es war nicht schwer zu erraten, um wen es sich bei dem Besucher handelte.

»Sei leise«, hörte sie die Stimme des Kochs und spürte, wie er ihr ein Messer an die Kehle hielt.

»Das brauchst du nicht. Ich werde mich nicht wehren.«

Kasper riss Hanna die Decke weg und schob ihr Kleid nach oben. Er selbst hatte sich bereits seiner Hose entledigt, und bevor die Magd irgendetwas tun konnte, lag er bereits auf ihr. Wie auch schon beim ersten Mal, als der Koch Hanna genommen hatte, wurden seine Bewegungen durch laute Grunzlaute begleitet. Die Magd fürchtete, dass er das ganze Lager aufweckte, wenn er nicht leiser wurde.

»Jetzt habe ich euch«, schrie Margarethe, als ihr Gemahl gerade zum Abschluss gekommen war. »Ich habe gewusst, dass man dem Luder nicht trauen darf.«

Der Koch sprang auf und starrte seine Frau voller Entsetzen an. Die holte mit einem Stück Holz aus und schlug es ihm, begleitet von einem zornigen Schrei, auf den Kopf.

»Ich habe nichts getan«, sagte Hanna leise und bereitete sich innerlich darauf vor, dass sie es war, die den nächsten Hieb des rasenden Weibs einstecken musste.

»Das glaube ich dir nicht«, schrie die Köchin, griff nach Hannas Arm und zog die Magd vom Lager herunter. »Du bist eine Hexe und hast meinem Kasper die sündigen Gedanken eingepflanzt. Ich wusste schon, dass dich der Teufel geschickt hat, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe!«

»Das ist nicht wahr.«

»Du lügst.« Margarethe wartete die Antwort ihrer Gehilfin nicht ab und zog sie aus dem Wagen heraus ins Freie. Dort ließ sie Hanna einfach zu Boden fallen und trat ihr vor Wut gegen den Kopf.

»Schafft die Hure dorthin, wo sie hingehört«, sagte Margarethe zu zwei Männern, die plötzlich aus dem Schatten des Mondlichts auftauchten. »Und sagt Rosa, dass sie nicht vergessen soll, dass sie mir etwas schuldig ist.«

Keiner der Männer sagte etwas. Sie gingen auf Hanna zu, zogen sie auf die Beine und führten sie weg.

»Wo bringt ihr mich hin?«, fragte Hanna schwach, als sie außer Hörweite des Wagens der Schelds waren.

»Das wirst du noch früh genug erfahren.«

Die Fremden führten Hanna durch das Lager an den Schmieden und Zimmerleuten vorbei. Ihr Ziel musste in einem Bereich liegen, den die Magd bisher nicht kannte. Trotz ihrer Angst wehrte sie sich nicht gegen den Griff der beiden Männer. Schlimmer als bei Kasper und seinem Weib konnte es kaum noch werden. Hanna wusste aber auch, dass sie sich immer weiter von von Tillys Zelt entfernte. Selbst wenn der Feldherr bald zurückkehrte, würde er sie kaum finden, falls er sie überhaupt suchen sollte.

»Wir sollten uns selbst mit der Kleinen vergnügen, bevor wir sie zu Rosa bringen«, sagte einer der Männer. »Sie sieht aus, als wüsste sie, wie man einen Kerl glücklich macht.«

»Daran solltest du nicht einmal denken«, entgegnete der Zweite. »Rosa wird es merken, wenn wir uns unseren Spaß mit der Hure gönnen, und du weißt sehr gut, wie zornig sie werden kann.«

Auch wenn Hanna jedes Wort der Männer verstand, wurde sie dadurch nicht schlauer. Es beruhigte sie aber, dass ihr zumindest von den beiden keine Gefahr drohte. Jetzt war sie gespannt, wer diese Rosa war und was sie von Hanna wollte.

Ihr Ziel lag am Ende des Lagers. Hier standen nur sehr wenige Zelte, dafür aber mehrere geschlossene Holzwagen. Rund um sie herum erklangen lustvolle Schreie. An einer Feuerstelle saßen mehrere Männer mit Bierkrügen. Von Hanna und ihren Begleitern nahmen sie keinerlei Notiz.

Die beiden Fremden blieben vor einem Wagen stehen, der deutlich größer war als die anderen. Kurz nachdem einer der beiden gegen die Wand klopfte, öffnete sich die Tür. Hanna riss vor Staunen die Augen auf, als sie den Koloss vor sich erblickte. Noch nie hatte sie einen derartig dicken Menschen gesehen.

»Komm näher heran, damit ich dich betrachten kann«, befahl Rosa mit einer hohen Stimme, die nicht zu ihrer Körperfülle passte.

Die Männer, die sie hergebracht hatten, stießen Hanna auf den Wagen zu. Die beiden ungleichen Frauen standen nun nur noch zwei Schritte voneinander entfernt und musterten sich gegenseitig. Rosa trug ein rotes Kleid. Ihre Haare hatte sie unter einem schwarzen Tuch versteckt. Dennoch schauten ein paar graue Strähnen hervor. Ihr Gesicht war voller Falten und wirkte alt und verbraucht.

»Du bist hübsch und hast die Pfunde an den richtigen Stellen«, sagte Rosa nach einer Weile. »Meine Kunden werden sehr zufrieden mit dir sein. Wenn du tust, was ich von dir verlange, werden wir gut miteinander auskommen.«

Braunfels, 14. August 1626

Mit jeder Stunde, die Heinrich in Braunfels verbrachte, ohne etwas über den Mord an dem spanischen Soldaten in Erfahrung zu bringen, wuchs seine Verzweiflung. In den letzten beiden Tagen hatte er mit einigen Bürgern der Stadt gesprochen. Deren Angst vor den spanischen Besatzern war aber so groß, dass sie es nicht wagten, etwas zu erzählen.

Die Söldner, die er nach dem Toten befragen wollte, waren ihm aus dem Weg gegangen, oder hatten ihn mit spöttischen Bemerkungen fortgeschickt. Von ihnen hatte er aber zumindest erfahren, dass der Tote Diego Armonis geheißen hatte und der Name seines Begleiters Jose Sanches war. Den hatte er zweimal gesehen, sich aber nicht getraut, ihn anzusprechen. In den Reihen seiner Kameraden wäre es ihm ein Leichtes gewesen, den Zimmermann aus dem Weg zu schaffen.