Die Mysterien des Mithra - Franz Cumont - E-Book

Die Mysterien des Mithra E-Book

Franz Cumont

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Beschreibung

Dieses umfassende Thema, welches wir später einmal behandeln zu können hoffen, bildet nicht den Gegenstand dieser Monografie. Sie beschäftigt sich nur mit einer Episode aus jener entscheidenden Revolution: Sie versucht nämlich mit möglichster Präzision zu zeigen, wie und warum eine Abart des Mazdaismus unter den Cäsaren beinahe zur vorherrschenden Religion des Römischen Reiches geworden ist. Dennoch hat die Religion der Magier, welche die vollendetste Schöpfung des iranischen Genius darstellt, dreimal die abendländische Kultur beeinflusst. Zunächst übte der Parsismus eine sehr merkliche Wirkung auf die Entstehung des Judentums aus und einige seiner Hauptlehren verbreiteten sich durch Vermittlung der jüdischen Kolonien im ganzen Mittelmeerbecken und wurden später von der katholischen Orthodoxie übernommen.

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Die Mysterien des Mithra

Ein Beitrag zur Religionsgeschichte

der römischen Kaiserzeit

 

 

 

Franz Cumont

 

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Titelbild: Pixabay (DenisDoukhan)

 

Übersetzer: George Gehrich

 

Herstellung und Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

©2023 Verlag Heliakon

www.verlag-heliakon.de

[email protected]

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Vorrede des Verfassers zur ersten und zweiten französischen Ausgabe

Die Anfänge

Die Ausbreitung im Römischen Reich

Mithra und die kaiserliche Gewalt

Die Lehre der Mysterien

Die Liturgie, der Klerus und die Gläubigen

Mithra und die Religionen des Kaiserreiches

Die mithrische Kunst

 

 

Vorrede des Verfassers zur ersten und zweiten französischen Ausgabe

Das vorliegende Buch erhebt keinen Anspruch darauf, ein Bild von dem Untergang des Heidentums zu bieten. Man wird in ihm auch keine allgemeinen Betrachtungen über die eigentlichen Ursachen suchen dürfen, welche den Erfolg der orientalischen Kulte in Italien erklären. Wir beabsichtigen hier nicht zu zeigen, wie ihre Lehren — ein weit wirksameres Ferment der Zersetzung als die Theorien der Philosophen — die nationalen Glaubensvorstellungen auflösten, auf denen der römische Staat und das gesamte antike Leben beruhte; und wie dann die Zerstörung des Gebäudes, dessen Mauern sie in ihren Fugen gelockert hatten, durch das Christentum vollendet wurde. Ebenso wenig wollen wir hier die verschiedenen Phasen des Kampfes zwischen der Idolatrie und der erstarkenden Kirche verfolgen. Dieses umfassende Thema, welches wir später einmal behandeln zu können hoffen, bildet nicht den Gegenstand dieser Monografie. Sie beschäftigt sich nur mit einer Episode aus jener entscheidenden Revolution: sie versucht nämlich mit möglichster Präzision zu zeigen, wie und warum eine Abart des Mazdaismus unter den Cäsaren beinahe zur vorherrschenden Religion des Römischen Reiches geworden ist.

Die hellenische Kultur kann nie dazu, bei den Persern Wurzeln zu schlagen; und den Römern gelang es ebenfalls nicht, sich die Parther zu unterwerfen. Die bedeutsame Tatsache, welche die ganze vorderasiatische Geschichte beherrscht, ist, dass die iranische und die griechisch-lateinische Welt, ebenso sehr durch instinktive Antipathie als durch Erbfeindschaft voneinander geschieden, einer wechselseitigen Assimilation stets abgeneigt blieben.

Dennoch hat die Religion der Magier, welche die vollendetste Schöpfung des iranischen Genius darstellt, dreimal die abendländische Kultur beeinflusst. Zunächst übte der Parsismus eine sehr merkliche Wirkung auf die Entstehung des Judentums aus und einige seiner Hauptlehren verbreiteten sich durch Vermittlung der jüdischen Kolonien im ganzen Mittelmeerbecken und wurden später von der katholischen Orthodoxie übernommen.

Unmittelbarer wirkte der Mazdaismus auf die europäische Gedankenwelt, als Rom den Osten Kleinasiens erobert hatte. Seit unvordenklicher Zeit lebten dort in stiller Verborgenheit Kolonien von Magiern, die aus Babylon ausgewandert waren und in diesen barbarischen Gegenden, indem sie ihre traditionellen Glaubensvorstellungen mit hellenischen Ideen verwoben, mit der Zeit einen trotz seiner komplexen Beschaffenheit originellen Kultus, herausgebildet hatten.

Am Anfang unserer Zeitrechnung sah man ihn plötzlich aus dem Dunkel auftauchen und gleichzeitig im Donau- wie im Rheintal und bis in das Herz Italiens vordringen. Die Völker des Abendlandes empfanden tief, dass der mazdäische Glaube ihren alten Nationalreligionen überlegen war, und die Massen strömten zu den Altären des fremden Gottes.

Aber die Fortschritte des Eroberers stockten, sobald er mit dem Christentum Fühlung bekam. Mit Erstaunen gewahrten die beiden Gegner, wie ähnlich sie sich in vieler Hinsicht waren, ohne sich von den Ursachen dieser Ähnlichkeit Rechenschaft geben zu können. Und darum klagten sie den Geist der Lüge an, dass er ihre heiligen Bräuche habe parodieren wollen.

Der Konflikt zwischen beiden war unvermeidlich und wurde zu einem heißen, unversöhnlichen Kampfe, denn sein Einsatz war die Weltherrschaft. Niemand hat uns seine wechselnden Momente berichtet, und unsere Fantasie allein vergegenwärtigt sich die einzelnen Akte des Dramas, welches sich in der Seele der Volksmassen abspielte, als sie zwischen Ormuzd und der Trinität hin- und herschwankten. Wir kennen nur das Ergebnis des Kampfes: der Mithriacismus wurde besiegt, und zweifellos musste er es werden.

Jedoch ist seine Niederlage nicht ausschließlich der Überlegenheit der evangelischen Moral oder der apostolischen Predigt gegenüber der Lehre der Mysterien anschreiben; er ist nicht lediglich deshalb zugrunde gegangen, weil er von der ererbten Last einer überlebten Vergangenheit zu Boden gedrückt wurde, sondern auch, weil seine Liturgie und seine Theologie zu asiatisch geblieben war, als dass der römische Geist sie ohne Widerstreben hätte akzeptieren können. Umgekehrt blieb ebenderselbe Kampf, der zu gleicher Zeit in Iran zwischen den beiden Rivalen entbrannt war, für die Christen ohne Erfolg, wonicht ohne Ehre, und in den Staaten der Sassaniden ließ sich der Zoroastrismus niemals ernstlich antasten.

Aber die Niederlage Mithras bedeutete nicht das Ende seiner Macht. Er hatte die Geister für die Aufnahme eines neuen Glaubens vorbereitet, der — wie er selbst — von den Ufern des Euphrat kam und mit veränderter Taktik die Feindseligkeiten wieder eröffnete. Der Manichäismus erschien als sein Erbe und setzte sein Werk fort. Es war der letzte Ansturm, den Persien auf den Okzident unternahm, und er war blutiger als die anderen — aber auch er sollte schließlich an der Widerstandsfähigkeit des christlichen Reiches scheitern.

Diese flüchtige Skizze wird, wie ich hoffe, die Wichtigkeit der Geschichte des Mithriacismus erkennen lassen. Ein Seitenschössling des alten mazdäischen Stammes, hat er in vieler Beziehung die Eigentümlichkeiten der alten Naturreligion der iranischen Stämme bewahrt und lässt uns vergleichsweise die so umstrittene Tragweite der avestischen Reformation besser verstehen. Anderseits hat er gewisse Lehren der Kirche wenn nicht inspiriert, so doch wenigstens präzisieren geholfen, wie die Vorstellungen von den höllischen Nächten und vom Ende der Welt. So trägt Sein Aufkommen wie sein Untergang dazu bei, die Entstehungsgeschichte zweier großer Religionen aufzuhellen. In der Zeit seiner Vollkraft übte er einen nicht minder bemerkenswerten Einfluss auf die römische Gesellschaft und die römische Regierung aus. Vielleicht war Europa niemals, selbst nicht in der Epoche der mohammedanischen Invasionen‚ näher daran asiatisch zu werden als im 3. Jahrhundert unserer Ära; und es gab eine Zeit, in welcher der Cäsarismus anscheinend im Begriff stand, sich in ein Kalifat zu verwandeln. Man hat oft auf die Ähnlichkeit hingewiesen, welche zwischen dem Hof Diokletians und dem der Chosroës besteht.

Der Sonnenkult und namentlich die mazdäischen Theorien machten die Ideen populär, auf welche die vergötterten Herrscher ihren monarchischen Absolutismus zu gründen suchten. Die rapide Ausbreitung der persischen Mysterien in allen Klassen der Bevölkerung diente in bewunderungswürdiger Weise dem politischen Ehrgeiz der Kaiser. Eine Sturmflut von iranischen und semitischen Gedanken brach herein, welche fast alles verschlang, was der griechische oder römische Geist in mühevoller Arbeit aufgebaut hatte; und als sich die Überschwemmung endlich verlief, da ließ sie im Volksbewusstsein einen starken Niederschlag von orientalischen Vorstellungen zurück, der niemals wieder völlig verschwand.

Ich glaube damit zur Genüge gezeigt zu haben, inwiefern der Gegenstand, den ich zu behandeln versuchte, eine eingehendere Untersuchung verdiente.

Obwohl mich das Studium desselben in jeder Beziehung viel weiter geführt hat, als ich anfangs vorauszusehen vermochte, so sind mir die Arbeits- und Reisejahre doch nicht leid, welche ich ihm widmen musste. Dass die Aufgabe, welche ich zu lösen hatte, eine schwierige war, stellte sich bald genug heraus. Einerseits wissen wir nicht, in welchem Grad das Avesta und die anderen heiligen Bücher der Parsen den Vorstellungen der abendländischen Mazdäer entsprechen: anderseits steht uns fast nur dieser Kommentar zur Verfügung, wenn es sich darum handelt, die im Laufe der Zeit in erheblicher Anzahl gesammelten figürlichen Denkmäler zu erklären. Nur die Inschriften sind ein stets zuverlässiger Führer, aber ihr Inhalt ist, alles in allem, dürftig genug.

Wir befinden uns ungefähr in derselben Lage, als wenn wir die Geschichte der mittelalterlichen Kirche schreiben sollten, ohne irgendeine andere Quelle zu besitzen als die hebräische Bibel und plastische Trümmer von romanischen und gotischen Portalen. Infolgedessen kann die Erklärung der mithrischen Darstellungen häufig nur einen mehr oder weniger hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erreichen.

Ich bilde mir nicht ein, es immer zu einer im strengen Sinne des Wortes exakten Entzifferung dieser Hieroglyphen gebracht zu haben, und will meinen Ansichten lediglich den Wert der Argumente beilegen, auf die sie sich stützen. Indessen hoffe ich die allgemeine Bedeutung der heiligen Bilder, welche die mithrischen Krypten schmückten, bestimmt fixiert zu haben. Die Einzelheiten ihrer gesuchten Symbolik sind allerdings schwer zu deuten, und oft muss man da die ars nesciendi üben.

Das vorliegende kleine Buch gibt die „Conclusions“ wieder, welche den ersten Band meiner „Textes et monuments figurés relatifs aux mystères de Mithra“ beschließen. Erleichtert um die Anmerkungen und Hinweise, welche ihnen zur Rechtfertigung dienen, beschränken sich diese Seiten auf eine resümierende Zusammenstellung dessen, was wir über den Ursprung und die Beschaffenheit der mithrischen Religion wissen. Sie werden für den Leser genügen, welcher sich über die Sache zu orientieren wünscht. Die Unklarheiten und Lücken der Überlieferung machten es unmöglich, allen Partien dieser Rekonstruktion die gleiche Solidität zu geben. Wer die Stabilität der Grundlagen zu prüfen wünscht, auf denen sie beruht, wird zu den kritischen Auseinandersetzungen meiner „Introduction“ greifen müssen, welche den Zweck haben, den Sinn und den Wert der schriftlichen Urkunden und namentlich der figürlichen Denkmäler zu bestimmen, welche in meiner Sammlung vereint sind.

Während der langen Vorbereitung dieses Werkes habe ich oft jene Solidarität in Anspruch nehmen müssen, welche in aller Welt die Männer der Wissenschaft verbindet, und selten habe ich mich vergeblich auf sie berufen.

Das Entgegenkommen treuer Freunde, von denen mehrere nicht mehr am Leben sind, ist oft dem Ausdruck meines Wunsches vorangeeilt und hat mir von selbst dargeboten, was ich vielleicht nicht zu erbitten gewagt hätte. Im Text des Hauptwerkes habe ich jedem das Seine wiederzugeben versucht. Ich will hier keine Aufzählung meiner Mitarbeiter vornehmen und diese nicht scheinbar für ihre Gefälligkeit belohnen, indem ich ihnen banale Komplimente widme. Aber mit dem Gefühle tiefer Dankbarkeit erinnere ich mich der Dienste, welche sie mir seit mehr als zehn Jahren erwiesen haben, und am Ende meiner Arbeit angekommen gedenke ich aller, welche mir geholfen haben sie zu vollenden.

1. Dezember 1899.

 

* * *

 

Die vorliegende 2. Auflage, welche der ersten nach kurzer Zeit folgt, hat wenig Änderungen erfahren. Abgesehen von zwei oder drei Stellen ist der Text kaum modifiziert. Dagegen habe ich einige Anmerkungen hinzugefügt, welche auf neu erschienene Arbeiten verweisen, und eine Auswahl von Illustrationen beigegeben, die manche Ausführungen am besten erläutern. Die belangreichste Zugabe ist der Anhang über die mithrische Kunst; ich glaubte, dass diese archäologische Studie in einer Zeit, wo man sich viel mit den orientalischen Ursprüngen der römischen Kunst beschäftigt, wohl auf einiges Interesse rechnen dürfte.

Als Pflicht empfinde ich es, hier den Kritikern zu danken, welche meine Untersuchungen über die Mysterien des Mithra so wohlwollend beurteilt und freundlich anerkannt haben, dass diese Rekonstruktion einer untergegangenen Religion auf objektive: und vollständiger Interpretation der Quellen beruht. Bei der Dunkelheit der behandelten Materie waren Meinungsverschiedenheiten freilich nicht zu vermeiden und meine bisweilen kühnen Schlussfolgerungen konnten manchen in mehr als einem Punkte irrig erscheinen. Ich habe diesen Zweifeln bei der Durchsicht meiner Arbeit Rechnung getragen; und wenn ich auch nicht immer glaubte, meine Meinung ändern zu müssen, so habe ich doch die meine Gegner stets zuvor sorgsam erwogen. In diesem Bündchen aber, wo jede Diskussion ausgeschlossen war, konnte ich meinen Standpunkt nicht verteidigen. Ich gebe zu, dass es heikel ist, einen Text ohne die Anmerkungen zu veröffentlichen, welche dazu bestimmt sind, jenen zu stützen, zu erklären und zu beschränken, aber ich hoffe, dass der Leser diesen unvermeidlichen Mangel nicht allzu sehr fühlen wird.

1. Mai 1902.

Franz Cumont

Professor an der Universität Gent

 

Tafel I.

Stiertötender Mithra. (Britisches Museum, Wikipedia)

 

 

 

 

Die Anfänge

Schon in der unbekannten Epoche, als die Vorfahren der Perser noch mit denen der Hindus vereint waren, beteten sie den Mithra an. Die Hymnen der Veden feiern seinen Namen wie die des Avesta, und trotz der Verschiedenheit der beiden theologischen Systeme, welche diesen Büchern zugrunde liegen, haben der vedische Mitra und der iranische Mithra so viele ähnliche Züge behalten, dass man an der Gemeinsamkeit ihres Ursprungs nicht zu zweifeln vermag.

Beide Religionen erblicken in ihm eine Lichtgottheit, welche zugleich mit dem Himmel angerufen wird, der dort Varuna‚ hier Ahura heißt; in moralischer Beziehung erkennen sie ihn als Schirmherrn der Wahrheit an, als Gegner der Lüge und des Irrtums. Aber die heilige Poesie Indiens hat von ihm nur eine halb erloschene Erinnerung bewahrt. Nur ein einziges ziemlich farbloses Stück ist ihm besonders gewidmet. Er erscheint vor allem gelegentlich in Vergleichen, welche von seiner vergangenen Größe zeugen. Aber wenn auch seine Physiognomie in der Sanskritliteratur nicht ebenen deutlich hervortritt wie in den Zend-Schriften, so reicht doch diese Unbestimmtheit der Umrisse nicht dazu aus, um die ursprüngliche Identität seines Charakters zu verschleiern.

Nach einer neueren Theorie gehörte dieser Gott, den die europäischen Völker nicht kennen, auch nicht zu dem alten Pantheon der Aryas. Das Paar Mitta-Varuna und die fünf anderen von den Veden besungenen Adityas, ebenso wie Mithra-Ahura und die Amshaspands, welche den Schöpfer nach der avestischen Vorstellung umgeben, wären nichts anderes als die Sonne, der Mond und die Planeten, deren Kultus von den Indo-Iraniern einem benachbarten Volk entlehnt werden wäre, „welches ihnen in der Kenntnis des gestirnten Himmels überlegen war“, d. h. aller Wahrscheinlichkeit nach den akkadischen oder semitischen Einwohnern Babyloniens.1 Aber diese vorausgesetzte Übernahme muss sich, falls sie tatsächlich stattgefunden hat, in prähistorischer Zeit vollzogen haben, und da wir es nicht versuchen wollen, das über jener Vergangenheit ruhende Dunkel zu lichten, so wird für uns die Feststellung genügen, dass die Stämme Irans vom Anfange ihrer Herrschaft bis zu ihrer Bekehrung zum Islam niemals aufgehört haben, Mithra einen Kultus zu widmen.

Im Avesta ist Mithra der Genius des himmlischen Lichtes. Er erscheint vor Sonnenaufgang auf den felsigen Gipfeln der Berge; während des Tages durcheilt er auf seinem von vier weißen Rossen gezogenen Wagen die Räume des Firmaments, und wenn die Nacht herniedersinkt, so erleuchtet er noch mit einem ungewissen Schimmer die Oberfläche der Erde, „immer umsichtig, immer wachsen.“ Er ist weder die Sonne, noch der Mond, noch das Sternenmeer, sondern mithilfe dieser „tausend Ohren und dieser zehntausend Augen“ überwacht er die Welt. Mithra hört alles, sieht alles, er ist allwissend, niemand vermag ihn zu täuschen. Durch eine nahe liegende Übertragung ist er in moralischer Beziehung der Gott der Wahrheit und der Rechtschaffenheit geworden, den man beim Schwur anruft, der die Verträge schützt und die Meineidigen straft.

Indem das Licht die Dunkelheit zerstreut, führt es die Freude und das Leben auf die Erde zurück; die Wärme, welche es begleitet, befruchtet die Natur. Mithra ist „der Herr der weiten Fluren“, der sie fruchtbar macht. „Er gibt das Gedeihen, er gibt den Überfluss, er gibt die Herden, er gibt den Nachwuchs und das Leben.“ Er gießt die Wasser aus und lässt die Pflanzen sprießen; er verleiht dem, welcher ihn ehrt, die Gesundheit des Leibes, die Fülle des Reichtums und eine glücklich veranlagte Nachkommenschaft. Denn er ist nicht nur der Spender materieller Vorteile, sondern auch der der Eigenschaften der Seele. Er ist der freundliche Wohltäter, der zugleich mit dem Glück den Frieden des Gewissens, Weisheit und Ruhm schenkt und Eintracht unter seinen Gläubigen herrschen lässt. Die daêvas, welche die Finsternis bevölkern, verbreiten auf Erden mit Unfruchtbarkeit und Leiden alle Laster und alle Unreinheit, Mithra, „wachend ohne Schlaf, schützt die Schöpfung Mazdas“ gegen ihre Anschläge. Er bekämpft unermüdlich die Geister des Bösen, und die Frevler, welche diesen dienen, empfinden mit ihnen die furchtbaren Wirkungen seines Zorns. Von der Höhe seiner himmlischen Wohnung herab erspäht er seine Widersacher; bis an die Zähne bewaffnet stürzt er sich auf sie, zerstreut sie und schlachtet sie hin. Er verwüstet und entvölkert die Häuser der Gottlosen, er vernichtet die Stämme und Nationen, welche ihm feindlich sind. Anderseits ist er der mächtige Verbündete seiner Gläubigen auf ihren Kriegszügen. Die Streiche ihrer Feinde „verfehlen ihr Ziel, weil der erzürnte Mithra kommt, um sie aufzufangen“, und er sichert denen den Sieg, welche „fromm vom Guten unterwiesen, ihm pietätvoll huldigen und ihm die Libationen zum Opfer bringen“.2

Dieser Charakter eines Gottes der Heere, welcher bei Mithra seit der Zeit der Achämeniden verwaltet, hat sich ohne Zweifel schärfer ausgeprägt während der verworrenen Zeit, als die iranischen Stämme sich noch gegenseitig befehdeten; aber er ist im Grunde genommen nur ein Entwicklungsprodukt der uralten Vorstellung von einem Kampfe zwischen Tag und Nacht. Im Allgemeinen ähnelt, wie bereits gesagt wurde, das Bild, welches uns das Avesta von der alten arischen Gottheit bietet, dem, welches die Veden in minder bestimmten Zügen von ihr entwerfen, und daraus folgt, dass der Mazdaismus ihre ursprüngliche Natur nicht wesentlich verändert hat.

Wenn aber die Zendhymnen die charakteristische Physiognomie des alten Lichtgottes noch durchschimmern lassen, so hat das zoroastrische System, indem es seinen Kult übernahm, seine Bedeutung in einzigartiger Weise reduziert. Um in den avestischen Himmel einzugehen, hatte er sich seinen Gesetzen beugen müssen. Die Theologie hatte Ahura-Mazda an die Spitze der himmlischen Hierarchie gestellt, und seitdem konnte sie jenen nicht mehr als ebenbürtig anerkennen. Mithra wurde nicht einmal unter die sechs Amshaspands eingereiht, welche dem höchsten Gott die Welt regieren helfen.

Man hat ihn mit der Mehrzahl der alten Naturgottheiten in die Schar der niederen Genien, der von Mazda geschaffenen Yazatas, verwiesen und ihn in Beziehung zu einigen der deifizierten Abstraktionen gebracht, welchen die Perser einen Kultus zu widmen gelernt hatten. Als Schirmherr der Krieger hat er zum Begleiter Verethraghna, den Sieg, erhalten; als Verteidiger der Wahrheit ist er verbunden mit dem kommen Sraosha, dem Gehorsam gegen das göttliche Gesetz, mit Rashnu, der Gerechtigkeit, Arshtât, der Redlichkeit, als Spender des Glücks wird er angerufen mit Ashi-Vañuhi, dem Reichtum, und mit Pareñdi, der Fülle. In Begleitung von Sraosha.

Und Rashnu schützt er die Seele des Gerechten gegen die Dämonen, welche sie in die Hölle zu stürzen suchen, und unter ihrem Schutze erhebt sie sich bis in das Paradies. Aus dieser iranischen Glaubensvorstellung ist die Lehre von der Erlösung durch Mithra hervorgegangen, welche wir in entwickelter Gestalt im Okzident wieder antreffen werden.

In derselben Zeit wird sein Kultus einem strengen Zeremoniell unterworfen, wie es der mazdäischen Liturgie entspricht. Man soll ihm zum Opfer bringen „Kleinvieh und Großvieh und fliegende Vögel“. Diese Opfer sollen eingeleitet oder begleitet werden von den gewöhnlichen Libationen von Haoma-Saft und der Rezitation der vorgeschriebenen Gebete, mit dem Zweigbündel (baresman) in der Hand. Aber bevor er sich dem Altar nähern kann, muss der Gläubige sich durch wiederholte Waschungen und Geißelungen reinigen. Diese rigorosen Vorschriften erinnern an die Taufe und die körperlichen Proben, welche den römischen Mysten vor der Weihe auferlegt wurden.

So hatte man Mithra in das theologische System des Zoroastrismus aufgenommen, man hatte ihm einen passenden Platz in der Götterhierarchie angewiesen, man hatte ihm Begleiter von vollkommener Orthodoxie zugesellt, man brachte ihm einen Kult der analog dem der anderen Genien. Aber seine starke Persönlichkeit hatte sich nur mit Mühe den strengen Regeln gefügt, welche ihr auferlegt worden waren, und in dem heiligen Texte findet man Spuren einer älteren Vorstellung, nach welcher er im iranischen Pantheon eine weit erhabenere Stellung einnahm. Mehrfach wird er mit Ahura in derselben Anrufung verbunden: die beiden Götter bilden ein Paar, denn das himmlische Licht und der leuchtende Himmel sind unzertrennlich in der Natur.

Ferner, wenn gesagt wird, dass Ahura Mithra geschaffen habe wie alle Dinge, so hat er ihn doch ebenso groß gemacht, als er selbst ist. Mithra ist zwar ein Yazata, aber er ist der stärkste, der ruhmreichste der Yazatas. „Ahura-Mazda hat ihn eingesetzt, die ganze bewegliche Welt zu hüten und über sie zu wachen.“3

Durch Vermittlung dieses immer siegreichen Kriegers vertilgt das höchste Wesen die Dämonen und lässt es den Geist des Bösen, Ahriman, selbst erzittern.

Vergleichen wir diese Texte mit der berühmten Stelle, wo Plutarch4 uns die dualistische Lehre der Perser auseinandersetzt: Oromazdes thront in ewiger Klarheit „ebenso hoch über der Sonne, als die Sonne von der Erde entfernt ist“, Ahriman regiert in der Nacht der Unterwelt, und Mithra nimmt eine mittlere Stellung zwischen ihnen ein. Der Anfang des Bundehish5 verkündet eine ganz ähnliche Theorie, nur dass anstelle Mithras die Luft (Vayu) zwischen Ormuzd und Ahriman gesetzt wird.

Der Unterschied, um den es sich hier handelt, ist jedoch nur ein formaler, denn nach iranischer Auffassung ist die Luft unauflöslich verbunden mit dem Licht, als dessen Trägerin sie gilt. Also ein höchster Gott, über den Gestirnen im Empyreum thronend, wo beständige Heiterkeit herrscht; unter ihm ein tätiger Gott, sein Botschafter, der Anführer der himmlischen Heere in ihrem ununterbrochenen Kampf gegen den Gott der Finsternis, welcher aus der Tiefe der Hölle seine Devas auf die Oberfläche der Erde sendet — das ist die religiöse Vorstellung, welche, weit einfacher als die des Zoroastrismus‚ von den Untertanen der Achämeniden im Allgemeinen angenommen zu sein scheint.

Die hervorragende Rolle, welche die Religion der alten Perser Mithra zuerkannte, wird durch eine Fülle von Beweisen bezeugt. Nur mit der Göttin Anahita zusammen wird er in den Inschriften des Artaxerxes neben Ahura-Mazda angerufen.

Die Großkönige hegten sicherlich für ihn eine spezielle Verehrung und betrachteten ihn als ihren besonderen Protektor. Ihn nehmen sie zum Zeugen der Wahrheit ihrer Worte, ihn rufen sie an, wenn es in die Schlacht geht.

Ohne Zweifel sah man in ihm den, welcher den Monarchen den Sieg verlieh; er ließ auf sie, so dachte man, jenen geheimnisvollen Glanz herabkommen, welcher nach mazdaischem Glauben für die Fürsten, deren Autorität er heiligt, ein Unterpfand beständiger Erfolge ist.

Der Adel folgte dem Beispiel des Souverains. Die große Anzahl theophorer, mit dem des Mithra zusammengesetzter Namen, welche seit der ältesten Zeit von seinen Mitgliedern getragen wurde, beweist, dass die Verehrung für diesen Gott allgemein bei ihm war.

Einen bevorzugten Platz nahm Mithra im offiziellen Kultus ein. Im Kalender wurde ihm der siebente Monat geheiligt, und ohne Zweifel auch der sechzehnte Tag eines jeden Monats. Bei seinem Feste hatte, wenn man Ktesias6 glauben darf, der König das Privileg, ihm zu Ehren reiche Libationen darzubringen und die heiligen Tänze aufzuführen.

Jedenfalls bot dieses Fest die Gelegenheit zu einem feierlichen Opfer und prunkvollen Zeremonien. Die Mithrakana waren in ganz Vorderasien berühmt, und zu Mihragân geworden sollten sie noch bis in die Gegenwart hinein im muslimischen Persien zu Wintersanfang weiter gefeiert werden. Der Ruhm des Mithra breitete sich aus bis zu den Ufern des ägäischen Meeres: es ist der einzige iranische Gott, dessen Name im alten Griechenland populär gewesen ist, und diese Tatsache würde für sich allein schon beweisen, wie sehr er bei den Völkern des großen Nachbarreiches verehrt wurde.

Die Religion, zu welcher sich der Monarch und die gesamte Aristokratie bekannte, die jenem half, sein weites Gebiet zu beherrschen, konnte nicht auf einige Provinzen seines Reichs beschränkt bleiben. Wir wissen, dass Artaxerxes Ochus der Göttin Anâhita in seinen verschiedenen Hauptstädten hatte Statuen errichten lassen, in Babylon, in Damaskus und Sardes ebenso wohl wie in Suse, Ekbatana und Persepolis. Babylon namentlich, die Winterresidenz des Herrschers, war von einem zahlreichen offiziellen Klerus von „Magiern“ bevölkert, welche den Vorrang vor den eingeborenen Priestern hatten. Die amtlich gesicherten Vorrechte, welche sie besaßen, sollten sie nicht dem Einfluss der mächtigen Priesterkaste entziehen, welche sich neben ihnen erhielt. Die gelehrte und spitzfindige Theologie der Chaldäer schlich sich in den primitiven Mazdaismus ein, welcher mehr eine Summe von Traditionen als ein organisches System wohldefinierter Lehren war. Die Legenden der beiden Religionen wurden einander näher gerückt, ihre Gottheiten identifiziert, und die semitische Astrolatrie, das monströse Produkt langer wissenschaftlicher Beobachtungen, begann sich über die naturalistischen Mythen der Iranier zu breiten. Ahura-Mazda wurde mit Bel verschmelzen, der über den Himmel herrscht, Anahita der Ishtar assimiliert, welche den Planeten Venus regiert, und Mithra wurde die Sonne, Shamash.

Dieser ist in Babylonien, wie Mithra in Persien, der Gott der Gerechtigkeit, wie jener erscheint er im Osten, auf dem Gipfel der Berge, und vollführt seinen täglichen Lauf auf einem glänzenden Wagen, wie er endlich gibt er den Kriegern den Sieg und ist er der Schirmherr der Könige. Die Umwandlung, welche die persischen Glaubensvorstellungen durch die semitischen Anschauungen erfuhren, war eine so durchgreifende, dass man viele Jahrhunderte später in Rom das wahre Vaterland des Mithra bisweilen an die Ufer des Euphrat verlegte. Nach Ptolemäus7 wurde dieser mächtige Sonnengott in allen Ländern verehrt, die sich von Indien bis nach Assyrien erstrecken.

Babylon war nur eine Etappe auf dem Siegeszuge des Mazdaismus. In sehr früher Zeit schon kamen die Magier quer durch Mesopotamien bis in das Herz Kleinasiens. Bereits unter den ersten Achämeniden siedelten sie sich, wie es scheint, massenhaft in Armenien an, wo die einheimische Religion allmählich vor der verschwand, welche sie mitbrachten, ebenso in Kappadokien, wo ihre Feueraltäre noch zur Zeit Strabos in großer Anzahl brannten. In einer sehr weit zurückliegenden Epoche drangen sie in Pontus, Galatien und Phrygien ein. Selbst in Lydien sangen ihre Nachkommen unter den Antoninen noch barbarische Hymnen in einem Heiligtum, dessen Gründung dem Cyrus zugeschrieben wurde. Diese Gemeinden sollten, in Kappadokien wenigstens, sogar den. Sieg des Christentums überleben und sich bis in das 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung erhalten, ihre Sitten, ihre Bräuche und ihren Kultus von einer Generation auf die andere getreulich vererbend.