Die nächste Depperte - Susanne Kristek - E-Book

Die nächste Depperte E-Book

Susanne Kristek

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Beschreibung

»Vermutlich ist es leichter, unbefleckt schwanger zu werden, als einen Bestseller zu schreiben.« Das beschwerliche Leben einer Frau, die es sich in den Kopf gesetzt hat, Bestseller-Autorin zu werden und in ihrem Eifer vor keiner durchgeknallten Idee zurückschreckt. Sie bedrängt den Pfarrer für eine Besprechung im örtlichen Pfarrblatt, hält Lesungen vor Toten und lässt sich von Hera Lind in Hausschuhen coachen. Ein schwarzhumoriger, rasanter Roman über die Höhen und Tiefen des Autorenlebens - satirisch und saukomisch!

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Seitenzahl: 313

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Susanne Kristek

Die nächste Depperte

Von einer, die auszog, um Autorin zu werden

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

Illustration und Coverdesign Agostina Suazo, www.agostinasuazo.com

ISBN 978-3-8392-7510-8

Zitat und Widmung

»Du wirst nicht allzu weit kommen, wenn du nicht mutig genug bist, es zu versuchen.«

Dolly Parton

*

Für Martina, Lucie & Michael

Zeitungsausschnitt

 

Intro

Ich sitze vor meinem hellblauen 50er-Jahre-Retro-Küchentisch neben dem Bett und starre Ildikó von Kürthy und die weiße Wand an.

Ich habe den Tisch mal bei Ebay gekauft und mit der U-Bahn heimtransportiert. Wie die U-Bahn-Chefin höchstpersönlich, bin ich auf den Klappsesseln ganz am Ende des Waggons gesessen, der Tisch vor mir, als wäre das Ensemble nie anders gewesen. Die meisten Fahrgäste haben verstört geschaut beim Betreten des Waggons. Manche haben mir auch unaufgefordert ihren Fahrschein gezeigt. Ich habe gütig genickt. Und ich habe dabei lustige Selfies für meine Social Media-Kanäle gemacht. No fame without Social Media! Dabei habe ich noch nicht mal 1.500 Follower auf Instagram erreicht. Der Hamster von meinem Nachbarn hat vermutlich mehr Fans dort. Erbärmlich. Dabei kommen jeden Tag neue Follower dazu, und am nächsten Tag ist die Gesamtzahl doch kaum verändert. Auf mysteriöse Weise verschwinden Follower wohl über Nacht. Schade, dass das mit meinem Gewicht nicht auf die gleiche Art und Weise funktioniert.

Aber am Social Media-Reichweitenaufbau muss man halt auch leider hart arbeiten, das ist wie mit der gewünschten Autorenkarriere.

Also habe ich angestrengt und mit ausgestreckter Handyhand immer wieder »Bitte lächeln« gerufen, von meinem U-Bahn-Chefinnenposten aus. Mein Handy kann nämlich Selfies machen, wenn ich »Bitte lächeln« sage. Es hört mich halt nicht immer gleich. Im Gegensatz zu den anderen Passagieren, die auch noch in meinem U-Bahn-Waggon gefahren sind. Die haben alle sehr schnell von ihren Smartphones aufgeschaut, als ich zum wiederholten Male von meinem Küchentisch aus laut »Bitte lächeln« gerufen habe. Gelächelt hat allerdings niemand. Spielverderber. Nur eine Rollator-Oma, zwei Klappsitze weiter, die hat freundlich gelacht. Als es dann endlich geklappt hat mit dem Selbstauslöser, und sogar das Licht auch noch optimal eingefallen ist, hat der Zug auf einmal blöd gebremst. So blöd, dass ich gerade noch in letzter Sekunde den Tisch aufhalten konnte, bevor er zuerst den Rollator gerammt und dann die Omi in zwei Hälften geteilt hätte.

Dann hätte es wieder geheißen, dass immer die Selfies schuld an den Unfällen sind. Angeblich gibt es ja schon mehr Todesfälle durch Influencer, die an gefährlichen Stellen Fotos schießen, als durch andere Freizeitunfälle. Auch arg, oder? Am nächsten Tag wäre ich dann vermutlich in der Zeitung gestanden, als irre U-Bahn-Täterin!

In meiner Ausbildung auf der Werbeakademie habe ich zwar gelernt »every PR is good PR«, aber das wäre vielleicht doch zu weit gegangen. Außerdem hätte ich mir den ersten Artikel über mich in einer Zeitung auch anders vorgestellt.

Vorgestellt hätte ich mir nämlich, dass wahnsinnig viele Medien bei mir anfragen werden, nachdem jetzt endlich mein erstes Buch erschienen ist. Dass die Zeitungen und Magazine bestimmt auch so Homestories machen wollen. Ein Blick hinter die Kulissen der Newcomer-Autorin. Wie lebt sie? Wie wohnt sie? Wie schreibt sie?

Ich hätte mich dann schön hingesetzt auf meinen hellblauen Vintage-Schreibtisch und mich gut ausgeleuchtet fotografieren lassen. Wie ich Bücher schreibe oder Bücher signiere oder Fanpostbriefe beantworte oder vielleicht den einen oder anderen unverlangt eingesandten Teddybären glücklich in die Kamera halte. Oder wenigstens am Bleistift kaue und nachdenklich in die Ferne schaue (Headline am nächsten Tag »Nie ohne! Den Bleistift!«).

Wobei, nachdenklich in die Ferne schauen geht eh nicht wirklich. Weil mein Vintage-Arbeitsplatz ist zugleich mein Nachtkästchen also kann ich maximal nachdenklich das Bett anstarren. Oder Ildikó.

»Los sag, Ildikó. Wird mein Buch ein Erfolg?«

Ildikó lächelt mich freundlich an. Ich erkenne ein zustimmendes Nicken in ihren Augenwinkeln.

»Ildikó, werde ich so berühmt wie du? Oder so wie du, Thomas?«

Auch Thomas Glavinic daneben lächelt freundlich zurück. Er hängt unmittelbar neben Ildikó.

Ich habe das aus einem YouTube-Kurs. »In 10 Minuten zum ultimativen Erfolg!« war der vielversprechende Titel.

»Wo möchtest du hin?«, hat der Mann in dem Video gefragt. Er war sehr smart, so ein Anzug-Heinzi, der nach viel Reichtum und Erfolg ausgesehen hat. »Was möchtest du am Ende deines Lebens sagen können? Das habe ich erreicht!« Dabei hat er mich von seiner YouTube-Position heraus sehr eindringlich angeschaut. Um dann weiter auszuführen, dass man seine Ziele visualisieren soll. Man soll das bildhaft vor sich haben, was man sich wünscht.

Nach den »10-Minuten-zum-ultimativen-Erfolg« habe ich im Internet ein Foto von Ildikó von Kürthy und Thomas Glavinic gesucht, in Farbe ausgedruckt und beide mit einem Tixo auf die Wand unmittelbar vor meinem Arbeitsplatz (=Nachtkästchen) geklebt.

»Wer sind die jetzt?«, hat mich der Gatte erstaunt gefragt, als er abends ins Schlafzimmer gekommen ist.

»Das sind Ildikó und Thomas«, habe ich noch voller Erfolgsenergie geantwortet.

»Weil?«, fragt er und schlägt dabei die Bettdecke zur Seite.

»Weil ich so erfolgreich wie sie, und so talentiert wie er sein will! Und man soll seine Ziele visualisieren. Das hilft!«

»Bleiben die da jetzt für immer?«

Eine berechtigte Frage. Mein Blick schweift auf den Fake-Kronleuchter, der oberhalb vom Bett hängt. Manche der zierlichen Glaselemente sind immer noch mit der Transportfolie vom Einzug gut geschützt. Wir wohnen inklusive Leuchter seit 12 Jahren hier. Manches ergibt sich eben so und dann wird es zur Dauereinrichtung.

»Nein, die bleiben nur da, bis ich das Gefühl habe, dass ich sie nicht mehr brauche.«

»Aha, wie so Schutzpatronen?«, fragt er und mir entgeht nicht der ironische Unterton.

»Du wirst schon sehen!«, sage ich und schalte das Licht aus.

Unbefleckt schwanger

Ein Buch zu veröffentlichen ist ein bisserl, wie ein Kind zu bekommen. In meinem Fall hatte ich sechs Monate lang Presswehen und war gefühlt 30 Jahre lang schwanger.

Jetzt halte ich endlich mein erstes Buch in der Hand und versuche, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Damit ich vor Freude nicht hyperventiliere oder umkippe. Ein – aus – ein – aus.

Da steht wirklich mein eigener Name auf dem Cover, es hat einen Titel und es hat einen echten Buchverlag. Es wird bald in allen Buchhandlungen aufliegen und von Medien und Buchbloggern besprochen werden. Ich werde Interviews geben und Lesungen veranstalten, und nach den Lesungen werde ich mit den Zuhörern plaudern und sehr gerne die Bücher signieren.

So stellt man sich das vor.

Nichts davon ist in dieser Form eingetreten.

Aber das kann ich ja zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen, also streichle ich weiter meinem Buch zärtlich über den Rücken und freue mich, dass es da ist.

Nur die Liege zählt heißt mein Buch, und ich muss auch gleich immer dazusagen, dass der Titel vom Gatten stammt. Darauf ist er sehr stolz, weil er wirklich genial ist. Der Titel. Der Gatte auch. Ich will am liebsten erfolgreich Bücher schreiben und die Menschen unterhalten. Der Gatte will am liebsten auf Urlaub fahren. Beide glauben wir, dass wir nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit dafür haben. Aber das ist eine andere Geschichte.

Auf Seite neun beginnt mein Buch. Auf den Seiten eins bis acht steht aber auch schon was. Nur halt ohne Seitennummer unten. Also schaue ich mir alles ganz genau an und zähle rückwärts bis nach vorne. Seite acht, das Bild von zwei Palmen. Seite sieben »Für Michael und Lucie«. Seite fünf und sechs Inhaltsverzeichnis. Seite vier leer. Seite drei noch mal der Titel Nur die Liege zählt – Urlaub unter deutschen Palmen. Susanne Kristek (ich!!!) und der Verlag. Seite zwei mein Autorenfoto. Ich in Schwarz-Weiß. Das war ein Selfie, das ich bei den Wiener Stadtbahnbögen gemacht habe, weiß ich noch ganz genau. Deswegen ist die Hand auf dem Bild auch etwas komisch weggestreckt. Ich trage meine schwarze Lieblingslederjacke, darunter ein weißes T-Shirt, wo groß ,GAME OVER‘ draufsteht. Die Haare sind offen und leicht gewellt. Was so einfach aussieht, ist ein Horror in der Herstellung. Ich drehe sie mir nämlich mit dem Lockenstab ein, kann das aber nicht so gut, weil ich erstens immer wieder Brandverletzungen davon an den Händen oder den Ohren habe, und zweitens sehe ich nach der Eindrehung immer aus wie die gealterte Tochter von Harriet Ohlsen aus Unsere kleine Farm, Nellie. Weil Korkenzieherlocken in meiner Altersgruppe nur mehr mäßig süß eingestuft werden, gehe ich danach schlafen und zerdrücke die Pracht wieder, damit es sich etwas aushängt. Und am nächsten Tag sind die Haare dann annähernd so, wie ich sie gern hätte. Noch besser sind sie am zweiten Tag. Dann sind es, wenn ich Glück habe, tatsächlich Beachwaves wie frisch aus dem Meer und einfach nur durchgeschüttelt.

In echt gibt es halt nur kein »einfach nur« durchgeschüttelt, aber meinen Aufwand davor sieht ja zum Glück keiner.

So wie viele Autoren in Interviews sagen, sie hätten »einfach nur« ein Buch geschrieben, und das sei dann sofort ein Bestseller geworden. Ich glaube das niemandem! Alles Lügner. Ich halte die Wahrscheinlichkeit unbefleckt schwanger zu werden größer, als auf Anhieb einen Bestseller zu landen. Aber auch diese Erkenntnis sollte sich in Kürze ändern. Das konnte zu dem Zeitpunkt aber noch keiner ahnen. Und schon gar nicht, dass so ein »Einfach nur«-Bestseller-Autor plötzlich in meiner eigenen »Familie« auftauchen würde!

Ich habe das Beachwaves-Selfie vor einem bunten Graffiti gemacht. Graffiti Hintergründe machen jung. Deswegen ist das ein beliebter Fotohintergrund bei Künstlern. Man hofft, dass das Wilde, Verwegene, Kreative, Unangepasste auf einen selbst abstrahlt. Zumindest aber, dass die knalligen Farben und Linien die eigenen Linien im Gesicht ein bisserl in den Hintergrund treten lassen. Das habe ich schon durchschaut! Inszenierung ist ja auch mehr oder weniger mein eigentlicher Beruf. So wie es unter dem Foto steht: »Susanne Kristek ist seit 1993 in der Werbe- und Marketingbranche tätig. Sie schreibt auf ihrem Blog www.superklumpert.com lustige Alltagsgeschichten. Ist Co-Moderatorin des Austro Podkastl von Sony Music, einen Podcast über Musik aus Österreich. Sie ist Erfinderin und Initiatorin der ersten Lesebühne zum Mitsingen.« Das war die Seite zwei.

Die Seite eins ist leer. Weiß. Da kommen dann die Widmungen hin!

Aber auf Seite neun geht es los, mein Buch! Mein deutsches Betriebssystem heißt das erste Kapitel. Weil ich offiziell zwar Österreicherin, aber im Herzen sehr deutsch bin. Da steht zum Beispiel auf Seite neun, dass ich Butterbrezen liebe, die Lindenstraße und deutschen Schlager. Dass ich fast nur deutschsprachige AutorInnen mittleren Alters lese und dass ich sehr gerne selbst so eine gefeierte deutschsprachige Autorin wäre. Das Einzige, was ich bisher diesbezüglich erreicht habe, ist das mittlere Alter. Eines habe ich auf Seite neun noch vergessen zu erwähnen, ich bin ultimativer Thomas-Glavinic-Fan. Ich habe ein eigenes Bücherregal mit all seinen Werken. Das ist creepy, ich weiß. Aber ich liebe seine Art zu schreiben und die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit seiner Bücher. Das ist ganz großes Kino und Talent. Und nichts auf der Welt würde ich mir mehr wünschen, als genau das auch zu können.

Neben meinem Thomas Glavinic-Huldigungsregal steht jetzt also mein eigenes Buch. Auf dass die Genialität seiner Bücher auf meines ausstrahlt. Wie gerne würde ich ihm ein Foto davon zukommen lassen. Aber das wäre peinliches Stalking und könnte falsche Erwartungen wecken.

In meinem Buch geht es um meine Abenteuer als bekennende Liegenreserviererin in einem deutschen All-Inclusive-Klub in Thailand. Zum ersten Mal hatte unsere kleine Familie so eine exotische Reise geplant. Ich habe alle bestens darauf vorbereitet. Ich habe Gatte und Kind noch in Wien mehrfach dazu genötigt, diverses asiatisches Essen auszuprobieren, optimalerweise mit den Fingern essend. Damit sollten wir für alles vor Ort gewappnet sein! Und mich selbst habe ich auch bestens vorbereitet: mit Airbrush Tanning.

Was wir allerdings nicht wussten, dass uns unser exotisches Abenteuer in einen deutschen Klub in Thailand geführt hat. Ich dachte, Thailand ist wild und scharf, rasante Fahrten mit alten Mopeds auf brüchigen Freilandstraßen. Ich dachte nicht, dass Thailand ein deutsches Brotbuffet beinhaltet und die Fahrten am Hotelgelände mit einem elektrisch betriebenen Golfwagen stattfinden.

Ich dachte auch nicht, dass ich dort unmittelbar neben dem deutschen Musiksuperstar Sasha am Klub-Quiz mit dem Animationsteam teilnehmen werde und später eine abenteuerliche Taxifahrt mit Sasha unternehmen werde.

So vieles war nicht abzusehen.

Und wenn viel passiert, habe ich immer die gleiche Reaktion auf alles: Ich bleibe mit gesenktem Kopf irgendwo stehen oder liegen und tippe wie irre in mein Handy. Die Geschichten, die passieren, müssen sofort in die Welt hinaus. Ich bin eine besessene Facebook-Posterin! Ja, ich gebe zu, auch diese Eigenschaft trägt jetzt nicht dazu bei, mich in einem möglichst intellektuellen Licht darzustellen. Ich werde damit nicht den Literaturnobelpreis gewinnen, und es wird niemand in einer Laudation auf mich dann sagen: Eine ihrer herausragendsten Eigenschaften war es, dass sie ganz viele Facebook-Postings gemacht hat. Genauso wenig, wie sie lobend erwähnen werden, dass ich begeisterte Landungsklatscherin bin. Auch wenn ich das immer erhobenen Hauptes tue und finde, man kann seinen Mitmenschen nicht genug Wertschätzung zuteilwerden lassen. Auf welchem Weg auch immer.

Die Sache mit den Facebook-Geschichten hat angefangen, als das Facebook angefangen hat. Eigentlich rein aus der Tatsache heraus, dass ich mir nie gemerkt habe, wem ich welche Geschichten bereits erzählt habe. Jetzt kam es immer wieder vor, dass ich begeistert einer Freundin ein wahnwitziges Abenteuer geschildert habe und die erwarteten Reaktionen nur aus einem Grund ausgeblieben sind: Ich hatte ihr die Story davor schon mindestens zweimal erzählt.

Und ich liebe es, Geschichten zu erzählen oder Menschen zum Lachen zu bringen. Oder von mir aus auch zum Weinen. Emotionen halt.

Facebook hat mein Problem, dass ich nicht mehr wusste, wem ich was schon erzählt habe, mit einem Schlag gelöst. Ich habe es einfach öffentlich der ganzen Welt erzählt. Und somit alle inkludiert. Die Leute treffen mich auf der Straße, und keiner fragt mich, was es Neues gibt. Weil zumindest alle, die mir folgen, informiert sind.

Natürlich hat das am Anfang auch verstört. Warum ich das tue, wurde ich oft gefragt. Was das bringen würde, wurde ich auch oft gefragt.

Ich habe dann lange nachgedacht und keine richtige Antwort gefunden. Weil ich mir nicht merke, wem ich was erzählt habe, und es daher allen auf der Welt erzähle, ist keine plausible Antwort.

Die Wahrheit ist, weil ich nicht anders kann. Ich muss das tun. So wie andere Stimmen hören, höre ich Geschichten in meinem Kopf. Also wenn etwas Schräges oder Lustiges oder Banales passiert, produziert mein Kopf gleichzeitig schon eine Formulierung und Geschichte dazu. Das ist wie diese akustische Bildbeschreibung, die man beim Fernseher dazu einstellen kann. Meine Freundin hat das mal über Monate hinweg nicht gecheckt, dass sie das unabsichtlich eingestellt hatte bei ihrem Fernseher. Sie dachte, das ist eine beabsichtigte Regie-Anweisung, dass eine Stimme aus dem Off jede Situation beschreibt und kommentiert. (»Wir sehen jetzt, wie sich der Mörder dem Opfer mit einem spitzen Messer nähert.«)

So ähnlich funktioniert das mit meinem Gehirn. Dass da Sätze aufblitzen und Situationen komisch beschreiben müssen. Egal, wo ich mich gerade befinde. Im Supermarkt vor der Feinkost, bei der Rolltreppenfahrt zur U-Bahn, im Auto. Ich muss das in der Sekunde aufschreiben oder wenigstens eine Notiz dazu erstellen.

Ich lasse dann die anderen an der Feinkost vor, stehe doof im Weg bei der U-Bahn herum oder parke mich mit dem Auto in die nächste Einfahrt, nur um schnell diesen Text zu schreiben. Das muss eine seltene Art von Störung sein.

Vielleicht ist es aber auch nur ein Anerkennungs- oder Aufmerksamkeits-Dingens. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und hatte viel Zeit, mit mir alleine und mit Bäumen oder Weizenfeldern. Ich habe als Kind schon Selbstgespräche geführt mit erfundenen Spielgefährten. Ich kann mich auch noch ganz genau an eine meiner ersten Ängste erinnern. Als ich in der Volksschule lesen und schreiben gelernt habe und überall die Buchstaben in der Klasse aufgehängt waren, habe ich voller Panik meine Lehrerin gefragt: »Können einem die Wörter auch ausgehen?«

Ich dachte, man hat nur eine begrenzte Anzahl an Wörtern für seine ganze Lebenszeit zur Verfügung. Und dass man die sparsam einsetzen muss, damit sie einem nicht ausgehen. Da haben sie mich lang nicht vom Gegenteil überzeugen können.

Am schönsten ist der Moment, wenn ich eine Geschichte auf Facebook geteilt habe, wo die Kommentare der Leser kommen. Die Zuschauerreaktionen. Wenn sie schreiben, dass sie laut gelacht haben, wenn ich weiß, dass ich die kurz zum Schmunzeln bringen konnte und kurz mithelfen durfte, dass sie einen kleinen lustigen Moment haben. Das ist wohl wie die Sucht des Bühnenkünstlers nach dem Applaus. Eine moderne Modifikation davon.

Blöderweise aber ist es die brotloseste Variante der Bühnenkunst. Denn leben kann man davon nicht.

Mein größter Traum aber ist es, mit meinen Geschichten die Menschen zu unterhalten, Bücher zu schreiben und davon auch leben zu können. Und jetzt ist es da.

Mein erstes Buch. Es geht los!

Herbst 1989

Herbst 1989.

Die Welt war damit beschäftigt, den Mauerfall in Berlin zu beobachten.

Bei uns in der östlichsten Oststeiermark war man damit beschäftigt zu beobachten, ob die Flüchtlinge jetzt auch zu uns kommen. Im Fernsehen hat man Bilder gesehen, wie zahlreiche Bürger aus der DDR die Zäune zwischen Ungarn und dem Burgenland niederrennen.

Ich war 15 Jahre alt und damit beschäftigt, das zu tun, was 15-Jährige eben so tun. Schule schwänzen zum Beispiel.

Normalerweise bin ich dazu mit dem Postbus ins benachbarte Burgenland gefahren, um unerkannt durch die Gassen zu streifen oder in Kaffeehäusern so zu tun, als wäre ich schon erwachsen.

An dem Tag bin ich aber in die andere Richtung. Wegen der Deutschen. Dachte, die sitzen jetzt schon in den burgenländischen Kaffeehäusern.

Also habe ich an jenem Tag das Haus früh am Morgen mit meiner Schultasche verlassen und bin mit dem Postbus 60 Kilometer weit in die andere Richtung gefahren, nach Graz. Landeshauptstadt. Dort war das Risiko weniger geringer als im Heimatort, von bekannten Gesichtern beim Schuleschwänzen erwischt zu werden, das Shoppingangebot war größer, und vor allem war das kulinarische Angebot für 15-Jährige ungemein vielfältiger.

Konkret war das der erste und einzige mir bekannte McDonald’s weit und breit. Dort bin ich dann den ganzen Vormittag im ersten Stock, mit Blick auf den Jakominiplatz, gesessen und habe mich entspannt meinem Fisch Mac gewidmet. Ich war auf Diät, und die Zeitschrift Bravo hat geraten, häufiger zu Fisch zu greifen.

Wie ich da also sitze, in selbst abgeschnittener Stonewashed-Jeansjacke und den blond gemeschten Dauerwellen und mir die Fisch Mac-Mayonnaise auf die weiße Burger-Styroporverpackung tropft, spricht mich eine Frau an.

Sie sei von einer Zeitung und würde gern ein Interview mit mir machen.

Ich habe mich dreimal umgeschaut, ob sie tatsächlich mich meinen kann, aber sonst war niemand außer mir im Lokal. Es war ja auch erst Vormittag.

Dann hatte ich kurz die Idee, dass sie mich vielleicht für eine erste DDR-Vorhut hält. Eine, die es ganz früh über die Grenze geschafft hat und deren erstes Ziel der McDonald’s in Graz war.

Kurz habe ich mein Outfit mit dem der Ost-Flüchtlinge aus dem Fernsehen verglichen. Bis auf die Oberlippenbärte waren wir jetzt auch nicht so weit voneinander entfernt. Eiserner Vorhang hin oder her.

Und ich war ja oft mit meinen Großeltern in Ungarn einkaufen. Mit den alten Sachen hin und mit neuen Sachen, Haaren, Zähnen und viel Käse retour. So war das damals.

Aber die Zeitungsfrau hat tatsächlich mich gemeint. Also wirklich meine eigene Person! Mich!

Was ich gern so machen würde? Was so meine Pläne und Ziele im Leben seien? Ich solle einfach ein bisschen aus meinem Leben plaudern.

Und wenn ich was wirklich gern mache, ist es, ein bisschen aus meinem Leben zu plaudern. Immer schon. Noch dazu, wenn man im Sternzeichen Löwe (Mittelpunkt Mensch) und gerade in einer pubertären Selbstfindungsphase ist, dann ist man sehr gerne bereit, aus seinem Leben zu plaudern.

Das war eine klassische Win-win-Situation für alle Beteiligten.

Die Redakteurin der Tageszeitung hatte ihr »Interview der Woche« bekommen. Und ich hatte eine Bühne ausgerollt bekommen, die man nicht ungenützt verstreichen lassen darf.

Natürlich habe ich mich schon ein bissl gewundert, warum die eine völlig Unbekannte interviewen will.

30 Jahre später habe ich erst in einem der unzähligen Schreibkurse gelernt, dass man »bigger than live« sein muss. Und bigger than live war ich definitiv in diesem Interview.

Aus einer Deutsch-Schularbeit mit einem »sehr gut« im Ausdruck wurde in meiner Interview-Version: »Mit zwölf Jahren habe ich bereits mein erstes eigenes Buch geschrieben.«

Aus dem altersüblichen Klavierunterricht und ein paar Vorspielstunden (»Für Elise«) wurde: »Nebenbei könnte ich auch mit Musik was dazuverdienen, denn ich spiele Klavier.«

Aus ersten Selbstversuchen mit Alkopops und Malibu Orange wurde: »Mich bedrückt es, dass so viele Leute aus meinem Bekanntenkreis sinnlos zu trinken begonnen haben.« (Jo eh, ich selbst! Aber sicher nicht sinnlos, denn der Sinn hatte einen Namen: Freitagnacht! Party Time!)

Und dann noch eine abschließende Anbiederung an die wahlberechtigte Bevölkerung, von der ich damals Jahre entfernt war.

Egal. Bigger than live eben.

Die Journalistin war happy und hat Bleistift und Notizblock wieder in ihre Tasche gepackt und später unter mein Foto geschrieben: »Sie möchte, wenn möglich, einmal Schriftstellerin werden.«

Als die Zeitung erschienen ist, waren natürlich alle aus dem Häuschen.

Die Familie war zwar stolz, aber auch massiv besorgt wegen »des sinnlos saufenden Bekanntenkreises«.

Der Bekanntenkreis war auch etwas verstört über meine angebliche Sorge.

Und ich glaube, am meisten verwundert war die Klavierlehrerin. Wegen des Plans mit dem Dazuverdienen.

Erscheinungstag

Ich sitze im Auto, gleich hinter dem Eingang von der Justizanstalt Wien-Josefstadt, und trau mich gar nicht hinzuschauen.

Das Packerl liegt noch neben mir auf dem Beifahrersitz. In braunes Papier gewickelt.

Ich bin so nervös. Der Parksheriff geht schon zum zweiten Mal vorbei und wundert sich, warum ich immer noch tatenlos im Auto sitze. Ab und zu geht das Tor von der Justizanstalt auf, und ein Polizeibus fährt heraus oder es geht jemand hinein. Häftlinge, Mitarbeiter, Angestellte. Mit oder ohne Drogen. Was weiß man. Rein kommt das Zeug auf jeden Fall.

Das hat aber jetzt nix mit mir zu tun, weil ich wegen was anderem hier sitze und Angst habe.

Auf dem Beifahrersitz liegt mein erstes eigenes Buch. Von einem richtigen Verlag gedruckt und noch verpackt in braunes Packpapier. Ich kann es nicht aufmachen. Ich habe eine Öffnungsblockade.

Ich erwarte alles und von dem das Schlimmste. Darauf hätte man mich auch vorbereiten können. Man liest immer nur von den Autoren, die Schreibblockaden haben. Die stundenlang vor einem weißen Blatt sitzen. Aber noch nie hätte ich irgendwo von der Angst gelesen, das erste eigene Buch anzuschauen. Ich habe sie.

Angst, dass vielleicht das Cover falsch gedruckt wurde. (Verkehrt herum? Falsches Bild?)

Angst, dass die Namen falsch geschrieben sind.

Angst, dass ich sofort einen Rechtschreibfehler finde. (Ich habe eine Rechtschreibschwäche. Also nicht ganz unbegründet …)

Angst, dass ich den Inhalt doch nicht mehr gut finde.

Angst, dass der Inhalt sogar richtig peinlich ist.

Die Angst ist rational völlig unbegründet, ich habe einen super Verlag, der hat das alles gecheckt, aber ein Kontrollfreak bleibt ein Kontrollfreak, und Angst bleibt Angst.

Ich bin doch sonst nicht so uncool! Man kann doch auch mal vertrauen, dass etwas gut wird, oder?

Aber das »Vertrauen, dass etwas von allein gut wird«, das habe ich mir wohl bei meinem ersten Tattoo verschissen.

Eine möglichst bunte und kitschige Madonna mit Kind war mein Wunsch an die Tätowiererin. Es war mein erstes Tattoo, und ich habe mir zwar die Schwarz-Weiß-Vorlage vorher zeigen lassen, nicht aber die endgültige Version in Farbe. FEHLER!

Ein paar schmerzvolle Stunden später hatte ich einen Farbfleck am oberen Rücken, vorwiegend in dunklen Farben. Die Madonna ist noch gut geraten, das Kind hat ein Problem mit seinem Arm, müsste ich jetzt politisch korrekt sagen. Es ist ein kleines verkümmertes Ärmchen an völlig falscher Stelle, und die Zahl der Finger … nun ja. Egal.

Es war auf jeden Fall nicht so, wie ich mir das in meinen Träumen vorgestellt habe. Aber wer sich mit über 40 (!) ein Tattoo in bunten Träumen vorstellt, der hat vielleicht eh ein eigenes Problem …

Im Schwimmbad hat mal ein kleines Kind mit dem Finger auf mich gezeigt und laut zu seiner Mutter gesagt: »Schau mal, Mama, die Frau hat aber eine schiache Zielscheibe am Buckel!«

Ich habe darauf reagiert wie ein erwachsener Mensch. Ich bin einfach ins Becken gesprungen und lange untergetaucht in der Hoffnung, dass der Fratz nicht mehr da ist, wenn ich auftauche.

Kurz habe ich auch in Erwägung gezogen, dem Kind zu sagen: »Schau dir mal die Zielscheibe genauer an! Besonders das Ärmchen von dem kleinen Kind! Einmal noch und du …«

Geht natürlich nicht, so was. Wo kommen wir da hin! Also lieber untertauchen und warten, bis die Luft rein ist.

Außerdem, kein Vorteil ohne Nachteil. Die großflächige Tätowierung lenkt wenigstens den Fokus, wenn mich wer anschaut, von der Orangenhaut am Arsch weg etwas nach oben.

Jetzt sitze ich also hier mit meiner Zielscheibe am Rücken beim Hintereingang vom Gefängnis und starre auf das braune Paket neben mir. Mein Verlag ist gleich in der Nähe, und ich konnte nicht warten, bis mir das Buch nach Hause geschickt wird. Unmöglich! Hätte ich gewusst, in welcher Druckerei sie es drucken, wäre ich schon dort auf der Lauer gelegen. Ich hätte am Tor gerüttelt und um Einlass gefleht, um beim Andruck bereits an der Druckmaschine zu stehen. Ich weiß, wie so was geht, ich habe das früher in meinem alten Job mal in der Werbung gemacht. Ich war in verschiedenen Druckereien und habe mitten in der Nacht gewartet, bis eine rote (fahnenrot!) Media Markt-Werbung aus dem Drucker rollte. Ich musste kontrollieren, ob das Rot den richtigen Farbton hat und auch sonst alles passt. Begleitet wurde ich immer von dem Chef der Druckerei und zwei Mitarbeitern in blauen Latzhosen und mit schmutzigen Händen, und neben den Druckmaschinen gab es Industriespinde mit zahlreichen Postern von nackten Frauen auf Motorrädern.

Was einem da alles für ein Vergangenheitsblödsinn einfällt, wenn man aufgeregt ist.

Ist das normal, dass man so hysterisch ist? Das ist ja eigentlich absurd. Es ist doch nur ein Buch. Und nicht die Rettung der Welt. Aber wenn du jahrelang von so einem Moment träumst, dann fühlt es sich fast so an.

Der Beamte beim Hintereingang schaut jetzt auch schon ganz komisch in meine Richtung. Bevor die mit den Drogenspürhunden kommen, öffne ich lieber vorsichtig mein Paket. Zumindest ein kleines Stück und fühle vor. Ich spüre die Schutzfolie, die das Buch umspannt, und sehe ein kleines Eck vom Cover. Pink! Wunderschönes Pink.

Bin ich bereit für das Ganze?

Bereiter kann man eigentlich gar nicht sein. Ich habe den ganzen Sommer gefühlt nichts anderes getan, als mich bereitzumachen.

Ich habe Werbeanzeigen für Facebook, Instagram und meinen Blog gebastelt. Im Hochformat, im Querformat und für die Storys.

Ich habe eine Excel-Liste erstellt (ich liebe Excel-Listen!). Name der Liste: »Presse Kontakte«. In der Liste habe ich monatelang Namen und Adressen von allen Medien in Österreich und den zuständigen Redaktionen zusammengetragen.

Ich habe eine weitere Excel-Liste erstellt: »Buchhandlungen«. Dort habe ich monatelang wichtige Buchhandlungen in Österreich recherchiert und aufgeschrieben. Denen möchte ich Leseexemplare schicken und vielleicht mich selbst anbieten, eine Lesung zu halten. Wobei Lesungen aktuell nicht möglich, wegen des Virus, also habe ich einen Plan B entwickelt. Aber dazu später.

Und noch eine Excel-Liste mit Freunden, denen ich ein signiertes Exemplar schicken möchte.

Ich habe einen Pressetext geschrieben, den ich an meine Presse-Kontakte-Liste schicken möchte. Damit das auch auffällt und nicht untergeht in den Tausenden Zusendungen, die Redaktionen täglich bekommen, habe ich auch noch ein Handtuch drucken lassen. Ein Badetuch, das genauso aussieht wie mein Buchcover.

Nur die Liege zählt

Das steht groß am Badetuch. Ich habe auf meiner Blog-Website sogar einen eigenen Online Shop eingerichtet, wo ich das Handtuch auf Anfrage verschicken kann.

Der Gatte wird der Erste sein, dem ich das Buch samt Badetuch feierlich überreiche. Immerhin hat er diesen wirklich genialen Titel erfunden. Er hat das einfach so vor sich hingesagt im Urlaub, als er mich beobachtet hat, wie ich um 7 Uhr in der Früh aus dem Hotelzimmer geschlichen bin.

Ich habe sofort gewusst, das wird der Buchtitel! Wenn ich jemals ein Buch schreibe, das muss der Titel werden. Aber nicht mit fremden Federn schmücken, also sage ich immer dazu: Titel vom Gatten – Inhalt von mir.

Mein Buch hat auch einen Subtitel: Urlaub unter deutschen Palmen

Deswegen habe ich mir passend dazu eine aufblasbare Plastikpalme gekauft. Am Strand in Lignano. Die wollte ich mitnehmen zu den Lesungen.

Man muss als Autor unverwechselbar sein! Es braucht ein Markenzeichen. Sonst bist du austauschbar. Auch ein Autor ist ein Produkt. Wie Zahnpasta oder Waschmittel. Das habe ich alles auf der Werbeakademie gelernt, die ich nach der Matura gemacht habe, um einem langweiligen Job in der Kreditorenbuchhaltung zu entfliehen. Das kommt mir jetzt alles zugute. Von der Kreditorenbuchhaltung ist mir der Hang zu Excel-Listen geblieben. Von der Werbung die Liebe zur Markeninszenierung.

Ich habe die Anna, eine liebe Freundin, gebeten, ein Promo-Video für mich zu machen.

An der Stelle muss ich mich besonders konzentrieren beim Schreiben, weil ich mit meiner blöden Rechtschreibstörung oft Buchstaben verwechsle und dann manchmal Porno-Video statt Promo-Video schreibe. Augen auf im Kleingedruckten!

Auf jeden Fall, die Anna macht die allergeilsten Promo-Videos. Ich bin dazu im Kleingarten auf einen Sessel gestiegen und habe mein Handtuch Tausende Male auf- und abgerollt, ich habe mich im Bademantel auf die aufblasbare Palme gelegt, um die Luft im Video rauszudrücken, wir sind zu einer Eisenbahnbrücke gefahren, und ich bin dort auf und ab spaziert. Die Anna ist im Gras gelegen mit ihrer Kamera, und ich bin über sie drübergestiegen. Ich habe mich für das Video vor eine Buchhandlung gesetzt und so getan, als würde ich auf Kunden warten. Die Anna hat es extrem cool geschnitten und vertont. Es ist genial geworden!

Ich habe alle meine Freunde auf Facebook und auf Social Media bombardiert mit Infos über das kommende Buch, und ich habe meinen Neffen mitten in der Nacht gebeten, zur Sicherheit alles noch mal Korrektur zu lesen, weil ich von schweren Rechtschreibfehlern und Wortverdrehern geträumt habe.

Ich habe mir einen Routenplan in Google Maps ausgedruckt, wem ich allen mein Paket, bestehend aus Buch und Badetuch, heute persönlich vorbeibringen werde, und war sogar Auto waschen dafür!

Ich war außerdem in den letzten sieben Tagen beim Friseur, im Nagelstudio und botoxen. (Ja, ich habe mir vorgenommen, immer ehrlich zu meinen Lesern zu sein!)

Ich habe mir in der Früh die Haare mit dem Lockenstab eingedreht, mir dabei das Ohr fast abgebrannt und seit einem Monat nix mehr mit Zucker gegessen, aus Angst, ein Zucker-Pickel könnte mich interviewuntauglich entstellen. Und ebenfalls seit einem Monat: keine Kohlehydrate mehr nach 17 Uhr.

Noch mehr bereit war ich nicht mal bei meiner eigenen Hochzeit.

Und das alles dafür, dass ich jetzt hier im Auto hinter dem Knast sitze und auf ein braunes Paket neben mir starre.

Na gut. Es ist so weit. Ich reiße das Papier herunter. Augen zu. Folie blind abziehen.

Und dann Augen auf. Nein, vorher bissi blinzeln, und jetzt Augen auf.

Da ist es. Da steht es.

Nur die Liege zählt – Urlaub unter deutschen Palmen

Susanne Kristek.

Das bin doch ich.

Das bin doch ich

Ich bin gerade in einer großen österreichischen Buchhandlungskette und kaufe mir das Buch Das bin doch ich. Mein Lieblingsbuch von Thomas Glavinic. Ich mag alle, aber das am meisten. Wohl weil höchstes Identifikationspotenzial.

Es geht um einen Mann, der will, was alle wollen: Erfolg. Er will einen Verlag, einen Buchpreis und Geld. Während er auf das alles wartet, wohnen wir in dem Buch seinem Alltag bei und bekommen auch sehr tragikomische Einblicke in den Literaturbetrieb. Und dann gibt es da auch noch den sehr netten Kollegen von diesem Mann, der selbst einen Roman geschrieben hat und dessen Verkaufszahlen gerade durch die Decke gehen. Aber so was von.

Meine Lieblingsstelle im Buch ist, wo die Mutter beim Mann anruft und fragt, warum er denn nicht mal so was schreibt wie der nette Kollege.

Ich liebe das Buch natürlich wegen allem. Wegen der Liebe und fast Besessenheit zu Büchern, zum Lesen, zum Schreiben. Wegen der Einblicke in dieses spezielle »Showgeschäft«. Und vor allem wegen des saukomischen Stils. Wie er das schreibt.

Eigentlich bin ich ja auf der Suche nach mir selbst. Also diesmal nicht metaphorisch, sondern in echt. Ich suche mein eigenes Buch. Natürlich ist das peinlich!!!! Das ist wie Liegen reservieren. Ob auch hier die Dunkelziffer der Autoren, die das tun, höher ist, als man glaubt?

Ich habe mir das so vorgestellt, wenn ich erst mal ein eigenes Buch geschrieben und sogar veröffentlicht habe, dass ich dann als logische Konsequenz in allen Buchhandlungen verfügbar bin. Irgendwie stellt sich das wohl jeder Autor so vor. Dass auch das Gegenteil durchaus eine Option sein kann, darauf haben mich meine zahlreichen Schreibkurse nicht vorbereitet. Natürlich hätte ich mein eigenes Hirn einschalten können. Es erscheinen über 69.000 Titel pro Jahr allein im deutschsprachigen Raum. Wie soll das in einer Buchhandlung Platz haben. Eben!

Also suche ich wie so ein Trüffelschwein das Geschäft ab. Nichts bei den Tischen beim Eingang. Nichts bei der Kassa. Und natürlich nichts im Bestseller-Regal. Dann fällt mir auf, es gibt ja den Bereich mit den österreichischen Autoren. Da werde ich sein!

Nichts. Oder weiter hinten, vielleicht schon bei den Abverkaufsschütten? Nichts. Vielleicht thematisch im Bereich Urlaub. Nichts.

Vielleicht Reiseführer! Ja! Das wird es sein. Also fahre ich in den dritten Stock und suche bei den thailändischen Reiseführern. Nichts. Wenigstens bei den deutschen Reiseführern? Es heißt ja auch Urlaub unter deutschen Palmen, vielleicht hat da wer beim Einsortieren nicht genau geschaut. Nichts.

Und dann kommt der traurigste Moment. Wo ich mich mit Schal, Haube und Maske großräumig verhülle. Da bin ich dann auch gar nicht so undankbar für die noch immer oder schon wieder oder so sagen wir unendlich vorherrschende Maskenpflicht. Ich ziehe mir die Maske weit nach oben und schiebe sie unter die Brille. Dann ziehe ich die Mütze noch tiefer ins Gesicht und den Schal eine Spur höher. Viel ist nicht mehr von mir zu sehen.

»Entschuldigung, ich suche ein Buch.« Das ist ungefähr die blödeste Satzeröffnung, wenn man sich im Buchgeschäft einem Mitarbeiter nähert. Na wos werde ich sonst suchen? Kaltwachsenthaarungsstreifen?!

»Welches Buch?« Die Mitarbeiterin sitzt aufnahmebereit hinter ihrem PC. Ich schiebe den Schal noch weiter nach oben. Was eh lächerlich ist, woran soll sie mich erkennen, an den Wangenknochen?

Aber selbst wenn sie mich sieht, WOHER sollte sie mich kennen? Eben!

»Es heißt Nur die Liege zählt.«

»Nur die Liebe zählt?«

»Nein, nur die Liege zählt!« Die Buchhändlerin lächelt ein bisschen wegen des Titels.

Da würde ich am liebsten schon laut aufschreien: »Gell, der ist super, ist vom Gatten!«

»Lustiger Titel«, sagt sie. Und ich beiße mir hinter meiner Maske auf die Lippen. Nix sagen!

»Von wem ist das Buch?«

Bitte keine Gegenfragen stellen!!!! Ich blicke mich um, einmal links und einmal rechts und schaue in Richtung Eingang. Die Luft ist rein. Denn stell dir vor, da würde grad wer reinkommen, der mich kennt und hört, wie ich nach mir selbst frage!

»Suane Krisek«, flüstere ich hinter meiner Maske, als würde es sich um einen streng geheimen Code handeln. Dabei verschlucke ich die Hälfte der Buchstaben.

»Wie bitte?«

Noch mal schauen. Dann: »Susanne Kristek.« Inzwischen schwitze ich schon, wegen des Schals und der Haube und dem Rest.

»Oh ja, ich habe es gefunden!« Sie schaut starr weiter in ihren Computer. Ich komme mir vor wie bei der Befundbesprechung. Apropos Befund. Ich sollte wieder mal zum Arzt, ich haare! Leider an den falschen Stellen. Unkontrollierter Haarverlust seit Wochen. Aber gerade ist das nicht mein größtes Problem.

»Wir haben das leider nicht lagernd, aber können es sehr gerne bestellen.«

»Nein, danke«, sage ich leise. Jetzt überschlägt sich auch noch meine Stimme vor Aufregung. Ich klinge wie Andi Herzog, der Fußballtrainer, der seit Jahren darauf wartet, dass er auch mal in Österreich drankommt.

»Bestellen brauchen wir es nicht extra, aber danke.« So weit kommt es noch, dass ich mein eigenes Buch bestelle.

Irgendwie habe ich mir das alles anders vorgestellt. Zum Glück gibt es Ratgeber-Literatur und Lebenshilfe-Abteilungen. Da können sich depressive Autoren Hilfe suchen. Ich blättere durch das Buch mit dem Titel Das Kind in dir muss Heimat finden. Ich würde gerne laut antworten: »NEIN!!!!! DAS BUCH VON MIR MUSS EINEN REGALPLATZ FINDEN.«

Zum Trost kaufe ich mir ein weiteres Exemplar von Das bin doch ich. Es gibt offenbar eine neue Auflage mit neuem Cover. Vielleicht ist dem das auch so gegangen, dass er sich am Anfang selbst gesucht und nicht gefunden hat? Vielleicht müssen das alle mal durchmachen. Ich blättere durch das Buch und schaue, ob auch sonst was neu ist und nicht nur das Cover. Vielleicht gibt es einen neuen Bonustrack oder so was.

Ich blättere zufällig an die Stelle, wo ihn sein Kollege gerade informiert, dass dieser einen Megabestseller gelandet hat. Oh Mann, oh Mann, das muss spannend sein. Da muss man schon richtig gut befreundet sein, denke ich mir, um da mitfeiern zu können.

Dass es gar nicht mehr so lange dauern wird, bis ich das am eigenen Leib erfahre, das kann ich ja zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen …

Ich kaufe das Buch als Akt der Unterstützung, und als ich fluchtartig den Tatort verlassen will, laufe ich direkt auf ein brandneues Thomas Brezina-Buch auf: Erfolg ist, wenn du’s trotzdem schaffst. Wie dich nichts und niemand stoppen kann.

Das ist ein Zeichen! Vielleicht brauche ich nur eine neue Strategie …

Literaturakademie

Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon alles versucht hätte.