Die NATO - Falk Ostermann - E-Book

Die NATO E-Book

Falk Ostermann

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Beschreibung

Im Zuge ihres Wandels von einer Verteidigungsallianz zu einem global handelnden Sicherheitsakteur hat Die NATO innere und äußere Krisen gemeistert, doch heute steht sie vor größeren Konflikten zwischen ihren Mitgliedern als je zuvor. Ist die Allianz noch gegenüber Herausforderungen wie Russland handlungsfähig? Dieses Buch diskutiert Struktur, Politiken und Probleme der NATO von 1949 bis heute.

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Seitenzahl: 860

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Falk Ostermann

Die NATO

Institution, Politiken und Probleme kollektiver Verteidigung und Sicherheit von 1949 bis heute

UVK Verlag · München

Einbandmotiv: ©iStockphoto Bet_Noir

 

Dr. Falk Ostermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der Universität Gießen. Er ist Außenpolitikforscher, Frankreichexperte und spezialisiert auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik im europäischen und transatlantischen Raum. Er forscht außerdem zur Rolle von Parteien in der Außenpolitik und außenpolitischer Identität.

 

utb-Nr. 5441

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8252-5441-4 (Print)

ISBN 978-3-8463-5441-4 (ePub)

Inhalt

AbkürzungsverzeichnisDanksagungen1 Einleitung: Die NATO zwischen kollektiver Verteidigung, Sicherheit und demokratischer IdentitätAufbau des Buches2 Die Allianz als Institution: Strukturen, Geld und Macht2.1 Institutionalismus und Sicherheit2.1.1 Basiskonzepte des Institutionalismus2.1.2 Institutionen und Sicherheit2.1.3 Institutioneller Wandel und die NATO2.2 Verträge und Erweiterungen2.2.1 Gründungsmitglieder: Brüsseler Vertrag 1948 und Nordatlantikpakt 19492.2.2 Beitritte in den 1950ern: Griechenland, Türkei, Deutschland und die Pariser Verträge 1954/55: Kampf dem Kommunismus2.2.3 Die späteren Erweiterungen von 1982 bis 20202.3 Strukturen2.3.1 Politische Führung und Komitees2.3.2 Das Generalsekretariat und der International Staff2.3.3 Die militärische Struktur: Komitees und Hauptquartiere2.3.4 Agenturen2.3.5 Kooperationsgremien: Der NATO-Russland-Rat2.3.6 Die Parlamentarische Versammlung2.4 NATO-Kapazitäten und Verteidigungsplanung: Getrennt und gemeinsam2.5 Finanzen und Budgets2.5.1 Militärbudgets der Mitgliedstaaten und die Rolle der USA2.5.2 Finanzierung der NATO2.5.3 NATO-Budgets2.6 Zusammenfassung: Die NATO als Vehikel amerikanischer Hegemonie versus die Macht der Institution2.7 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur3 Kollektive Verteidigung während des Kalten Kriegs: Beistand, Bipolarität, Atomwaffen und Krisen3.1 Neorealismus und neorealistische Allianztheorie3.1.1 Neorealismus3.1.2 Neorealistische Allianztheorie und die NATO3.2 Die Anfänge 1949-1955: Allianzbildung und Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung3.3 Die deutsche Frage: Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt und die Folgen3.4 Nuklearstrategien: Abschreckung, massive Vergeltung, Kuba, und flexible response3.4.1 Die Entwicklung der nuklearen Abschreckung: Grundsätze und massive Vergeltung3.4.2 Konflikte: Kubakrise und die Debatte um flexible response3.5 Beginn der Abrüstung und Entspannungspolitik ab 19633.6 Schlussbetrachtungen zu kollektiver Verteidigung während des Kalten Kriegs3.7 Das Ende des Kalten Kriegs3.8 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur4 Kollektive Verteidigung nach dem Kalten Krieg: Über Transformation, Terrorismus und die Krim4.1 Das Ende der Geschichte, die Friedensdividende und die strategische Neuausrichtung der NATO4.2 Die Osterweiterung(en)4.3 9/11 und der Kampf gegen den Terror: Die NATO zwischen Solidarität, Dauerzwist und politisch-strategischer Neuausrichtung4.3.1 9/11, Solidarität und kollektive Verteidigung in Afghanistan: Der Kampf gegen den Terror4.3.2 Das Ende der Solidarität: Irak4.3.3 Die Normalisierung der Beziehungen und das neue Strategische Konzept (2010)4.4 Die Kriminvasion, die Rückkehr kollektiver Verteidigungsfragen seit 2014 und das Ende des INF-Vertrags4.5 Zurück zu den Ursprüngen? Die neue Sicherheitslage in Europa nach der Krim und die Gefahren hybrider Kriegsführung4.6 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur5 Kollektive Sicherheit: out of area-Missionen und Kooperation in Europa und der Welt5.1 Kollektive Sicherheit in der NATO im Wandel der Zeit5.2 Sicherheitskooperation in Europa und der Welt: Partnerschaften (Arena I)5.2.1 Der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat (EAPC)5.2.2 Das Partnership for Peace-Programm (PfP)5.2.3 Der Mediterranean Dialogue und die Istanbul Cooperation Initiative5.2.4. Bilaterale Beziehungen, globale Partner und neue Ziele5.2.5 Beziehungen zu Institutionen: EU, OSZE, UN et al.5.3 Krisenmanagement: NATO-Missionen als politische und zivil-militärische Herausforderung (Arena II)5.3.1 Ein tour d’horizon: Die NATO im globalen Einsatz5.3.2 Jugoslawien: Die NATO mit und gegen die UN5.3.3 Die NATO in Afghanistan: Terrorismusbekämpfung und state-building5.3.4 Libyen: Der toolbox-Modus5.4 Zusammenfassung: Kollektive Sicherheit nach Afghanistan – Das war’s!?5.5 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur6 Kollektive Identität: Die NATO als Werte- und Sicherheitsgemeinschaft6.1 Die Krise der IB und das konstruktivistische Argument6.2 Die NATO als Teil einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft6.3 Historischer Wandel, kollektive Sicherheit und Verteidigung aus konstruktivistischer Perspektive6.4 Zusammenfassung: Konstruktivismus und theoretischer Pluralismus als Schlüssel für das Verständnis der Allianz6.5 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur7 Trump und andere Probleme: Neue (?) Krisen in der Allianz7.1 Theoretische Perspektiven: Politisierung, Illiberalismus, Populismus und die Kontestation des Internationalen7.2 Rhetorik, Strategie und andere Probleme: Die neue alte Wirklichkeit der NATO unter Trump7.3 Eine stärkere NATO!? Militärische und andere Betrachtungen7.4 „The Rise of Illiberal Hegemony”? Das Auseinanderdriften der transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft7.5 Diskussionsfragen und weiterführende Literatur8 SchlusswortBibliographieRegisterExkursverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzung

Bedeutung

Träger/ Institution

ABCABC-Abwehr/Waffen(-Waffen)

Atomare, biologische und chemische Waffen

 

ABMABM-Vertrag*

Anti-Ballistic Missile TreatyABM-Vertrag

(Vertrag zur Begrenzung anti-ballistischer Raketensysteme)

Sowjetunion, USA

ACLANT*

Allied Command Atlantic (Norfolk, VA, USA - nun ACTAllied Command Transformation (ACT))

(Alliiertes Atlantikkommando)

NATO

ACOSHAPE/ACO

(SHAPE)

Allied Command OperationsSHAPE/ACO (Mons, Belgien)

([Strategisches] Alliertes Oberkommando Operationen)

NATO

ACTAllied Command Transformation (ACT)

Allied Command TransformationAllied Command Transformation (ACT) (Norfolk, VA, USA)

([Strategisches] Alliiertes Oberkommando Transformation)

NATO

AGSAlliance Ground Surveillance (Drohnen)

Allied Ground Surveillance

(Alliiertes Bodenüberwachungssystem [DrohneAlliance Ground Surveillance (Drohnen)n])

NATO

ASEAN

Association of Southeast Asian Nations

(Vereinigung Südostasiatischer Nationen)

 

AUAfrikanische Union (AU)

Afrikanische UnionAfrikanische Union (AU)

 

AWACSAWACS

Airborne Warning and Control SystemAirborne Warning and Control System

(Luftgestütztes Luftraumüberwachungs- und Kontrollsystem [Radarflugzeug])

NATO

BIP

Bruttoinlandsprodukt

 

BND

Bundesnachrichtendienst

BRD

BRD

Bundesrepublik Deutschland

 

C2

command and control

(Kommando- und Führungsfähigkeiten)

 

CFEVertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (CFE)

(VKSE)

Conventional Forces Europe Treaty

(Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa)

 

CIA

Central Intelligence Agency

(US-AuslandsgeheimdienstGeheimdienste)

USA

CJTFCombined Joint Task Forces (CJTF)

Combined Joint Task ForcesCombined Joint Task Forces (CJTF)

(Teilstreitkraftübergreifende multinationale Einsatztruppe)

NATO, WEU

CTBTCTBT

Comprehensive Test Ban TreatyCTBT

(Umfassender Teststoppvertrag [für AtomwaffenAtomwaffen])

 

DDR

Deutsche Demokratische Republik

 

DSACEURDSACEUR

Deputy Supreme Commander Allied ForceAllied Force (Kosovo)s Europe

(Stellvertretender Alliierter Oberbefehlshaber Europa)

NATO

DSACTAllied Command Transformation (ACT)

Deputy Supreme Allied Commander TransformationDSACT

(Stellvertretender Alliierter Oberbefehlshaber Transformation)

NATO

EAPCEAPC

Euro-Atlantic Partnership CouncilEAPC

(Euro-Atlantischer PartnerschaftsratEAPC)

NATO

EDIEuropean Deterrence Initiative (EDI)

European Deterrence InitiativeEuropean Deterrence Initiative (EDI)

USA

eFPenhanced Forward Presence (eFP)

enhanced Forward Presenceenhanced Forward Presence (eFP)

(NATO-Truppen im Baltikum und Polen)

NATO

EG*

Europäische Gemeinschaften

(Vorläuferorganisation der EU)

(EU)

EGKS*

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

(Vorläuferorganisation der EG/EU)

(EG/EU)

ERIEuropean Deterrence Initiative (EDI)*

European Reassurance InitiativeEuropean Deterrence Initiative (EDI) (nun EDIEuropean Deterrence Initiative (EDI))

USA

ESVPGSVP (EU)*

(ESDP)

Europäische Sicherheits- und Verteidigungpolitik (jetzt GSVPGSVP (EU))

EU

EU

Europäische Union

 

EUPOLEUPOL (Afghanistan, EU)

European Union Police Mission

(Polizeimission der Europäischen Union)

EU

EVGEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)*

Europäische VerteidigungsgemeinschaftEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG)

 

FCAcounterinsurgencyS

Future Combat Air SystemFCAS-Jagdflugzeug

(Jagdflugzeugprojekt)

Deutschland, Frankreich, Spanien et al.

GG

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Verfassung)

BRD

GIZ

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit

 

GSVPGSVP (EU)

(CSDP)

Gemeinsame Sicherheits- und VerteidigungspolitikGSVP (EU)

(Common Security and Defence Policy)

EU

GUSGemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)

(CISInternational Staff (IS, NATO))

Gemeinschaft Unabhängiger StaatenGemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)

(Commonwealth of Independent States)

 

HQ AIRCOM

Allied Air Command (Ramstein, Deutschland)

(Alliiertes Luftkommando)

NATO

HQ LANDCOM

Allied Land Command (Izmir, Türkei)

(Alliiertes Landkommando)

NATO

HQ MARCOM

Allied Maritime Command (Northwood, Großbritannien)

(Alliiertes Marinekommando)

NATO

IAEAIAEA

International Atomic Energy Agency

(International Atomenergiebehörde)

UN

ICBMICBM (Nuklearwaffe)

Inter-Continental Ballistic MissileICBM (Nuklearwaffe)

(ballistische Interkontinentalrakete)

Reichweite min 5.500 km

 

IB

Internationale Beziehungen (Teildisziplin der Politikwissenschaft)

 

ICIIstanbul Cooperation Initiative

Istanbul Cooperation Initiative

(Istanbuler Kooperationsinitiative)

NATO

IFORIFOR (Bosnien)

Implementation Force (BosnienBosnien(krieg)-Herzegowina)

(Internationale Schutztruppe/ Umsetzungstruppe)

NATO

IMSInternational Military Staff (IMS)

International Military Staff

(Internationaler MilitärstabInternational Military Staff (IMS))

NATO

INFINF-Vertrag

Intermediate-Range Nuclear Forces TreatyINF-Vertrag

(Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme)

Sowjetunion, USA

IPAP

Individual Partnership Action PlanIndividual Partnership Action Plan (im PfP)

(Individueller Partnerschaftstätigkeitsplan)

NATO

IPCPIndividual Partnership and Cooperation Programme (im PfP)

Individual Partnership and Cooperation Programme

(Individuelles Partnerschafts- und Kooperationsprogramm)

NATO

IPPIndividual Partnership Programme (im PfP)*

Individual Partnership ProgrammeIndividual Partnership Programme (im PfP) [PfP]

(Individuelle PartnerschaftsPartnerschaftsprogramme/ -initiativenkooperative Sicherheitprogramme)

NATO

IRBMIRBM (Nuklearwaffe)

Intermediate-Range Ballistic Missile

(ballistische Mittel-/Langstreckenstreckenrakete)

Reichweite 3.000-5.500 km

 

ISInternational Staff (IS, NATO)

International StaffInternational Staff (IS, NATO)

(Internationaler Stab/ Personal der NATO)

NATO

ISInternational Staff (IS, NATO)ISInternational Staff (IS, NATO)

s.g. Islamischer StaatISIS (internationale Terrororganisation)

 

ISInternational Staff (IS, NATO)AF

International Security Assistance ForceISAF (Afghanistan)

(Internationale Sicherheitstruppe [AfghanistanAfghanistan(kriege)])

NATO

JALLC

JointJoint Comprehensive Plan of ActionIran-Atomabkommen (JCPoA) Analysis and Lessons Learned Centre (Lissabon, Portugal)

(Gemeinsames Analyse und Lessons Learned-Zentrum)

NATO

JFCJoint Force Command (JFC)

Joint Force CommandJoint Force Command (JFC)

(Streitkräfteübergreifendes Kommando, ACOSHAPE/ACO untergeordnet)

NATO

JFTC

Joint Force Training Centre (Bydgoszcz, Polen)

(Gemeinsames Truppentrainingszentrum)

NATO

JSEC

Joint Support and Enabling Command (Ulm, Deutschland)

(Unterstützungskommando)

NATO

JWC

Joint Warfare Centre (Stavanger, Norwegen)

(Gemeinsames Kriegsentwicklungszentrum)

NATO

KFORKFOR (Kosovo)

KosovoKosovo(krieg) Force

(KosovoKosovo(krieg)-Truppe)

NATO

KSZEKSZE

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaKSZE (Helsinki, 1973-75)

 

LTBTLTBT

(PTBT)

Limited Test Ban TreatyLTBT

(Vertrag über das VerbotVertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atlmosphäre, im Weltraum und unter WasserLTBT von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser)

 

M.A.D.M.A.D.

Mutually Assured Destruction

(Garantierte gegenseitige Auslöschung [nuklear])

 

MAPMembership Action Plan (MAP)

Membership Action PlanMembership Action Plan (MAP)

(Mitgliedschaftsplan)

NATO

MCMilitärkomitee

Military Committee

(Militärkomitee)

NATO

MDMittelmeerdialog

Mediterrenean Dialogue

(Mittelmeerdialog)

NATO

MILREP

Permanent Military Representative

(Ständiger militärischer Repräsentant der Mitgliedstaaten)

NATO

MIRVMIRV (Rakete)

Multiple Independently Targetable Re-entry Vehicles

(Unabhängig lenkbare Wiedereintrittsvehikel [für ballistische Raketen])

 

MLF*

Multilateral ForceMLF

(Multilaterale Atomstreitmacht)

NATO

MRBM

Medium-Range Ballistic Missile

(ballistische MittelstreckenraketeMittelstreckenraketeMRBM, IRBM)

Reichweite 1.000-3.000 km

 

NACC*

(NAKR)

North Atlantic Cooperation Council (jetzt EAPCEAPC)

(Nordatlantischer Kooperationsrat)

NATO

NATO

North Atlantic TreatyNordatlantikrat (NAC) Organization (Nordatlantikpaktorganisation)

 

NCIA

NATO Communications and Information Agency

(Kommunikations- und IT-Behörde)

NATO

NCISInternational Staff (IS, NATO)G

NATO Communication Information Services Group (Belgien)

(Kommunikationsservicegruppe des ACOSHAPE/ACO)

NATO

NDPPVerteidigungsplanung

NATO Defence Planning ProcessNATO Defence Planning ProcessVerteidigungsplanung

(NATO-Verteidigungsplanungsprozess)

NATO

NGO

(NRO)

Non-Governmental Organization

(Nichtregierungsorganisation)

 

NPGNuclear Planning Group (NPG)

Nuclear Planning Group

(Nukleare Planungsgruppe)

NATO

NPTNPTAtomwaffensperrvertrag (NPT)

Treaty on the Non-ProliferationNon-Proliferation(Non-)Proliferation pooling of Nuclear Weapons

(AtomwaffenAtomwaffensperrvertrag)

 

NRC

NATO-Russia Council

(NATO-Russland-Rat)

NATO, Russland

NRF

NATO Response ForceNATO Response Force (NRF)

(Schnelle Eingreiftruppe)

NATO

NSA

National Security Agency

([eine] US-GeheimdienstGeheimdienstebehörde)

USA

NSIP

NATO Security Investment Programme

(NATO-Sicherheitsinvestitionsprogramm [Infrastruktur])

NATO

NSO

NATO Standardization Office

(Standardisierungsbehörde)

NATO

NSPA

NATO Support and Procurement Agency

(Unterstützungs- und Anschaffungsbehörde)

NATO

NTM-A

NATO Training Mission AfghanistanAfghanistan(kriege)

(NATO-Trainingsmission AfghanistanAfghanistan(kriege) [Sicherheitskräfte])

NATO

OEFOEF (Anti-Terror)

Operation Enduring FreedomOEF (Anti-Terror) (AfghanistanAfghanistan(kriege), Horn von Afrika, Philippinen)

USA, NATO

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in EuropaOSZE

 

(NATO-)PA

NATO Parliamentary Assembly

(Parlamentarische VersammlungParlamentarische Versammlung (NATO-PA) der NATO)

PARPPartnership for Peace Planning and Review Process

Partnership for PeacePartnership for Peace (PfP) Planning and Review Process

(Partnerschaft für den FriedenFrieden Planungs- und Begutachtungsprozess)

NATO

PfP

Partnership for PeacePartnership for Peace (PfP)

(Partnerschaft für den FriedenFrieden-Programm)

NATO

PJC*

Permanent Joint Council

(Ständiger Gemeinsamer Rat, NATO-Russland)

NATO, Russland

PRTProvincial Reconstruction Team (PRT)

Provincial Reconstruction TeamProvincial Reconstruction Team (PRT) (AfghanistanAfghanistan(kriege))

(regionales WiederaufbauWiederaufbauteam)

NATO

R2PResponsibility to Protect (R2P)

Responsibility to ProtectResponsibility to Protect (R2P)

(humanitärhumanitäre Interventione SchutzverantwortungSchutzverantwortungResponsibility to Protect (R2P))

 

SAC

Strategic Airlift Capability

(Strategische LufttransportLufttransporteinheit)

ausgewählte NATO-Staaten, Finnland, Schweden

SACEURSACEUR

Supreme Commander Allied ForceAllied Force (Kosovo)s Europe

(Alliierter Oberbefehlshaber Europa)

NATO

SACLANT*

Supreme Allied Commander Atlantic

(NATO-Oberbefehlshaber Atlantik)

NATO

SACTSACT

Supreme Allied Commander TransformationSACEUR

(Alliierter Oberbefehlshaber Transformation)

NATO

SALT ISALT I & II, II

Strategic Arms Limitation TalksSALT I & II

(Gespräche zum Abbau strategischer Waffen)

Sowjetunion, USA

SDISDI

Strategic Defense InitiativeSDI

(Strategische Verteidigungsinitiative [Ronald ReaganReagan, Ronalds, RaketenabwehrRaketenabwehrprogramm])

USA

SFORSFOR

Stabilisation Force (BosnienBosnien(krieg)-Herzegowina)

(Stabilisierungstruppe)

NATO

SHAPE

(ACOSHAPE/ACO)

Supreme Headquarters Allied Powers Europe (Mons, Belgien)

(Hauptquartier der Alliierten Mächte in Europa)

NATO

SITCEN

Situation Centre

(Frühwarnzentrum)

NATO

SLBMSLBM (Nuklearwaffe)

Submarine-Launched Ballistic Missile

(U-Boot-gestützte ballistische Rakete)

 

SORTSORTSTART I, II & III

(STARTSTART I, II & III III)

Strategic Offensive Reduction TreatyStrategic Offensive Reducations TreatySTART I, II & III

(Vertrag zur Reduzierung von Offensivwaffen)

Russland, USA

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

 

SRBMSRBM (Nuklearwaffe)

Short-Range Ballistic Missile

(ballistische KurzstreckenraketeSRBM (Nuklearwaffe))

Reichweite unter 1.000 km

 

SSRSicherheitssektorreform (SSR)

Security Sector Reform

(Maßnahmen zur Reform von staatlichen Sicherheitsinstitutionen)

 

STARTSTART I, II & III (I, II, III, New S.)

Strategic Arms Reduction Talks

(Gespräche zur Reduzierung Strategischer Waffen)

STARTSTART I, II & III I: 1991 (1994)

STARTSTART I, II & III II: 1993

STARTSTART I, II & III III (SORTSTART I, II & III): 2002

New Start: 2010/11

Kasachstan, Russland, Ukraine, USA, Weißrussland

STO

NATO Science and Technology Organization

(Wissenschafts- und Technologiebüro)

NATO

UAE

United Arab Emirates

(Vereinigte Arabische Emirate)

 

UÇKKosovarische Befreiungsarmee (UÇK)

(KLA)

Ushtria Çlirimtare e Kosoves

(Kosovarische BefreiungsarmeeKosovarische Befreiungsarmee (UÇK))

 

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

 

UNAMAUNAMA

United Nations Assistance Mission in AfghanistanAfghanistan(kriege)

(UN-Hilfsmission AfghanistanAfghanistan(kriege))

UN

UNMIKUNMIK (Kosovo)

United Nations Mission in KosovoKosovo(krieg)

(UN-Mission im KosovoKosovo(krieg))

UN

UN(O)

United Nations Organization

(Vereinte Nationen)

 

UNPROFORUNPROFOR (Bosnien)

United Nations Protection ForceUNPROFOR (Bosnien) (Jugoslawien)

(UN-Schutztruppe)

UN

UNSCRUN-Sicherheitsratsresolution (UNSCR)

United Nations Security Council ResolutionUN-Sicherheitsratsresolution (UNSCR)

(UN-Sicherheitsratsresolution)

UN

USEUCOM

United States European Command, (Stuttgart, DE)

(US-Regionalkommando Europa)

USA

VJTFVery High Readiness Joint Task Force (VJTF)

Very High Readiness Joint Task ForceVery High Readiness Joint Task Force (VJTF)

(Sehr schnelle gemeinsame Eingreiftruppe)

NATO

WEU*

Westeuropäische UnionWesteuropäische Union (WEU)

 

WHO

World Health Organization

(Weltgesundheitsorganisation)

UN

WMDMittelmeerdialog

Weapons of Mass Destruction

(Massenvernichtungswaffen(Non-)Proliferation pooling)

 

WTO

World Trade Organization

(Welthandelsorganisation)

 

Danksagungen

Ein Buch trägt am Ende zwar den Namen des Autors, ist aber jenseits des Schreibprozesses immer ein Gemeinschaftswerk, bei dem Viele mithelfen oder die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass man in Ruhe schreiben kann. Ich bin daher an dieser Stelle zuerst meinem Chef, Helmut Breitmeier, zu Dank verpflichtet, der mir die Zeit und den Raum gegeben hat, mich diesem Unterfangen zu widmen. Ein Buch über das älteste, größte und aktivste Verteidigungsbündnis der Welt zu schreiben erfordert eine Sach- und Literaturkenntnis, bei der man sich manchmal Hilfe suchen muss. Daher geht mein Dank an Lusine Badalyan, Helmut Breitmeier, Denis Cenusa, Christopher Finke, Andrea Gawrich, Annemarie Ickler, Katarzyna (Kasia) Kubiak, Sebastian Mayer, Stéfanie von Hlatky und Valerio Vignoli für die Unterstützung bei der Literatursuche. John Deni (American University, US Army War College), Michael O’Hanlon und Adam Twardowski (Brookings) waren hilfreich bei Fragen zu Truppenstärken. Bei der NATO halfen Mitarbeiter*innen aus ACTAllied Command Transformation (ACT), Multimedia Team, Public Diplomacy und ACOSHAPE/ACO/SHAPE zur Klärung institutioneller Fragen und bei der Materialbeschaffung. Ein herzlicher Dank geht an das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der BundeswehrBundeswehr für die Überlassung von Abbildung 7 sowie Diego Ruiz Palmer von der NATO für zusätzliche Informationen dazu. Michal Onderco war eine verlässliche Hilfe in nuklearen Fragen. Florian Böller und Alexander Reichwein haben vereinzelte Kapitel und Abschnitte kommentiert und so zu ihrer Verbesserung beigetragen. Außerordentlicher Dank gilt außerdem meiner Hilfskraft Stephan Friebe für die kontinuierliche Unterstützung bei der Literaturrecherche sowie Tabellen und Grafiken, die das Buch besser gemacht haben. Alle verbliebenen Fehler sind die meinigen!

Des Weiteren fühle ich mich dem Team des UVK-Verlags verbunden. Frau Verena Artz gebührt der Dank dafür, mich geheadhuntet und von diesem Projekt überzeugt zu haben. Jürgen Schechler war ein verlässlicher und verständnisvoller Ansprechpartner in der Verlagsleitung. Der Verdienst, dieses Manuskript zu einem Buch gemacht zu haben, gebührt meiner Lektorin Uta Preimesser, die bereits während des Schreibprozesses eine ständige Hilfe und danach eine erste, kritische Leserin war. Weiterhin bedanke ich mich bei Arkin Keskin für den professionellen Produktionsprozess.

Schließlich möchte ich mich bei Familie und Freunden bedanken. Ich habe während des Schreibprozesses, vor allem während der letzten Monate, nicht immer so viel Zeit für Euch aufbringen können wie sonst und war häufig kurz angebunden. Ich gelobe jetzt wieder Besserung! Ohne den kontinuierlichen Beistand meiner Frau, Katharina Monaco, wäre das Buch ganz bestimmt nicht zustande gekommen: Du hast mir neben Deinem Job stets den Rücken freigehalten und musstest mehr als einmal meine Ausbrüche wegen langsamer Datenbankprogramme oder Zeitproblemen ertragen. Ich hatte viel weniger Zeit an Abenden und Wochenenden, die Dir und der Familie gehört hätten. Am Ende hast Du trotzdem noch das Manuskript gelesen und mit Deinem professionellen Blick besser gemacht. Ohne Dich hätte ich das nicht geschafft. Mille grazie!

 

Einbeck, im Juni 2020

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeiner Hinweis zum Sprachgebrauch

Dieses Buch nutzt dort, wo es der Leserlichkeit dienlich ist, einfach verständliche und gängige englische Bezeichnungen der NATO-Organe.

Für einen besseren Lesefluss sind in diesem Einführungswerk kurze direkte Zitate aus dem Englischen oder Französischen vom Autor selbst übersetzt worden, der in beiden Sprachen fließend kommuniziert. Zur Wahrung einer hohen Genauigkeit, z. B. bei Seminararbeiten, empfiehlt es sich jedoch, die (meist englische) Originalquelle zu nutzen.

Aus Rücksicht auf eine gleichberechtigte Ansprache verschiedener Gender nutzt das Buch die *-Schreibweise. Wo sie nicht genutzt wird, ist dies i.d.R. ein historischer Bezug zu einer männlichen Person in männlich dominierten militärischen Strukturen. Außerdem wird aus Gründen der Übersichtlichkeit auf das Gendern von Funktionsbeschreibungen verzichtet.

1Einleitung: Die NATO zwischen kollektiver Verteidigung, Sicherheit und demokratischer Identität

Die NordatlantikvertragNordatlantikvertragsorganisation (North Atlantic TreatyNordatlantikrat (NAC) Organization, NATO)1 ist mit mehr als 70 Jahren sowohl die älteste als auch die am stärksten institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierte multilaterale Militärallianz der Welt. Seit ihrer Gründung am 4. April 1949 in Washington D.C. ist es ihre Hauptaufgabe, ihre Mitglieder gegen Angriffe Dritter zu schützen und so „die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten“ (NATO 1949a, Art. 5Art. 5Bündnisfall). Ihre anfangs 12 und heute 30 Mitglieder haben sich zu gegenseitigem politischen und militärischen Beistand verpflichtet und sichern diesen durch ihre militärische KapazitätenKapazitäten (militärische), gemeinsame Verteidigungsplanung in politischen und militärischen Strukturen, gemeinsame Missionen sowie kooperative Praktiken mit Partnern, die Sicherheit im nordatlantischen Raum herstellen sollen. Die breite Hauptquartierstruktur mit ca. 10.500 Mitarbeiter*innen ist für ein Militärbündnis einzigartig (s. Kap. 2.3; NATO 2018d, f).

Während des Kalten KriegsKalter Krieg, der die Weltsicherheitspolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte, hatte die NATO einen klaren Auftrag: die Verteidigung gegen einen Angriff auf das Bündnisgebiet durch die Sowjetunion (UdSSR) und die Staaten des Warschauer PaktWarschauer Pakts (1955-1991). Dieser Konflikt wurde durch den ideologiIdeologieschen Gegensatz zwischen KommunismusKommunismus in der UdSSR und (meist) liberalLiberalismusen Demokratien innerhalb der NATO angetrieben. Die Atlantische Allianz versuchte, durch eine Politik der militärischen und politischen Stärke und des gesellschaftlichen Engagements gegenüber anderen Staaten den Einfluss der Sowjetunion einzudämmen (containment). Zur Verteidigung entwickelten die NATO-Staaten bedeutende konventionelle KapazitätenKapazitäten (militärische), waren dem Warschauer PaktWarschauer Pakt allerdings zahlenmäßig stark unterlegen, sodass NuklearwaffenNuklearwaffenAtomwaffen eine wichtige Rolle als AbschreckungAbschreckung (nuklear)smittel spielten. Die gesammelten MilitärausgabenVerteidigungsbudget (national) der Alliierten lagen bei 4,3 % ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP, 1990), in der Russischen Föderation bei ca. 4,4 % (1992). Lord IsmayLord Ismay, der erste GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär der NATO (1952-1957), fasste den Auftrag des Bündnisses pointiert zusammen: „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down.“ (Meier-Walser 2017, 1). Damit brachte er die Dynamiken europäischer Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit auf den Punkt, für die es wichtig war, die USA als Sicherheitsanker in Europa zu halten, eine neue friedlichFriedene Rolle für (West-)Deutschland zu finden und dadurch russische Aggression abzuwehren. Diese Auseinandersetzung war von 1949 bis 1991 die bestimmende Bruchlinie internationaler Politik (Bockenförde 2013, 30). Sie sorgte für eine BipolaritätPolarität des internationalen Systems, der sich nur wenige Staaten machtpolitisch entziehen konnten. Zwar blieb der Kalte Krieg ultimativ doch kalt, er kannte jedoch Episoden der gegenseitigen Beinahe-Zerstörung und unsäglichen menschlichen Leids in Stellvertreterkriegen um Einfluss.

NATO-Staaten

alphabetisch sortiert, mit Beitrittsjahr

Land

Beitrittsjahr

 

Land

Beitrittsjahr

Albanien

2009

 

LuxemburgLuxemburg

1949

Belgien

1949

 

Montenegro

2017

Bulgarien

2004

 

Niederlande

1949

Dänemark

1949

 

Nordmazedonien

2020

Deutschland

1955

 

Norwegen

1949

Estland

2004

 

Polen

1999

Frankreich

1949

 

Portugal

1949

Griechenland

1952

 

Rumänien

2004

Großbritannien

1949

 

Slowakei

2004

IslandIsland

1949

 

Slowenien

2004

Italien

1949

 

Spanien

1982

Kanada

1949

 

Tschechien

1999

Kroatien

2009

 

Türkei

1952

Lettland

2004

 

Ungarn

1999

Litauen

2004

 

USA

1949

Tabelle 1:

NATO-Mitglieder (Quelle: NATO (2018i), eigene Darstellung)

Diese Blockkonfrontation endete mit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa durch die deutsche WiedervereinigungWiedervereinigung (deutsche) (1989/90) und den Zusammenbruch der Sowjetunion im Dezember 1991. Die NATO versuchte danach, mit Partnern (inkl. Russland) ein institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)iertes Sicherheitssystem mit sich selbst im Zentrum aufzubauen (z. B. Partnership for PeacePartnership for Peace (PfP), s. Kap. 5.2.2), um für Stabilität zu sorgen und Sicherheit kooperativ zu organisieren. Nach einer Übergangsphase traten aber viele ehemalige Mitglieder des Warschauer PaktWarschauer Pakts und frühere Teilrepubliken der UdSSR der NATO (und der Europäischen Union, EU) bei, weil sie sich der durch die NATO und EU verkörperten westlichen Lebensweise zugehörig fühlten und ihre neue Unabhängigkeit von Russland absichern wollten. Aus russischer Perspektive hat sich die NATO seit dem Ende des Kalten Krieges immer weiter in die post-sowjetische Einflusssphäre hineinbewegt, auf die es nach wie vor HegemonHegemonie (UdSSR, Russland)ialansprüche erhebt (Mearsheimer 2014). Hierin besteht aus russischer Perspektive letztlich die Ursünde der Neuordnung seit dem Ende des Kalten KriegsEnde des Kalten Kriegs, die Russland ab 2007 zu einer erneuten Gegenmachtbildung, Kriegen in GeorgienGeorgien(krieg) und der Ukraine sowie der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der NATO-Staaten führte (s. Kap. 4), sodass seit 2014 wieder von einer beginnenden Blockkonfrontation gesprochen werden kann.

Obwohl der Verteidigungsauftrag der NATO 1991 zunächst zu Ende war, transformierte sich die Allianz in den 1990er Jahren bald zu einer SicherheitsmanagementSicherheitsmanagementinstitutioninstitution, die im Namen der UN (und im KosovoKosovo(krieg) illegal auf eigene Rechnung) in den Konflikten auf dem Balkan versuchte, FriedenFrieden und Sicherheit herzustellen. Durch ihr militärisches Engagement in diesen neuen Kriegeneue Kriegen (Kaldor und Vashee 1997; Münkler 2002), die durch innerstaatliche, z. B. ethische und nicht mehr zwischenstaatliche Gewalt geprägt waren, wurde die NATO zur wichtigsten Sicherheitsinstitution in Europa. Nach den terroristischen Attentaten des 11. Sep9/11tember 2001 in den USA etablierte sich die Allianz mit ihrer Intervention in und dem WiederaufbauWiederaufbau von AfghanistanAfghanistan(kriege) zudem als ein globaler Akteur und verstetigte ihre neue raison d’être als Stabilitätsexporteur. Kollektive Verteidigung entfiel zwar nicht als formaler Auftrag der NATO, stand aber bis 2014 eindeutig nicht im Fokus der sicherheitspolitischen Aufmerksamkeit.

Exkurs: Der erweiterte Sicherheitsbegriff

Im Zuge der gesellschaftlichen Debatten um Krieg und FriedenFrieden hat sich auch der Sicherheitsbegriff selbst verändert. Während Gegenstand der Sicherheitspolitik bis in die 1960er Jahre hinein quasi ausschließlich das war, was einen Nationalstaat militärisch bedrohte, sollte sich der Fokus danach öffnen. Wo früher Friede rein negativ als die Abwesenheit von Krieg angesehen wurde, sprechen wir heute von ganz anderen Sicherheitsfragen unterhalb oder außerhalb der militärischen „Sachdimension“ (Daase 2009, 138), z. B. Umweltsicherheit, wirtschaftlicher Sicherheit, Human Security (Glasius und Kaldor 2005) oder sogar planetarer Sicherheit (z. B. Asteroideneinschläge). Der Sicherheitsbegriff hat sich also erweitert und wurde zunehmend positiv, d.h. mit zu erfüllenden Eigenschaften oder Zuständen jenseits der Abwesenheit von Krieg, besetzt (s. z. B. Galtung 1969; Senghaas 2004).

Christopher Daase (2009) unterscheidet vier Dimensionen des Sicherheitsbegriffs:

Sachdimension: militärische, ökonomische, ökologische, humanitärhumanitäre Interventione Sicherheit;

Raumdimension: nationale, regionale, internationale, globale Sicherheit;

Gefahrendimension: Umgehen mit Bedrohungen, Verwundbarkeiten, Risiken;

Referenzdimension: Bezug auf Staat, Gesellschaft, Individuum.

Zu verstehen sind diese Unterscheidungen als historische Entwicklungen von eng nach weit oder von traditionell zu modern. D.h., dass der engste Sicherheitsbegriff der ist, der sich mit militärischen (Sachd.) Bedrohungen (Gefahrend.) des National-(Raumd.) Staats (Referenzd.) befasst. Das Konzept der ökologischen Sicherheit wird heutzutage i.d.R. auf der regionalen (z. B. EU) oder globalen Ebene behandelt, als ein gesellschaftliches Problem angesehen und beschäftigt sich nicht ausschließlich mit konkreten Bedrohungen (wie z. B. einem Tsunami), sondern langfristigen Risiken (z. B. einem point of no return des Klimawandels). Gleichzeitig findet sich ein Fokus auf individuelle Sicherheit nicht gleichermaßen in allen Gesellschaften oder Politiken von Staaten wieder, was mit gesellschaftlichen Begebenheiten (z. B. Freiheitsgrad des Individuums) und politischen Prozessen (und somit MachtMachtbeziehungen) zu tun hat.

Das Positive am erweiterten Sicherheitsbegriff ist, dass er Dinge ins Zentrum des gesellschaftlichen DiskursDiskurs (Theorie, Konzept)es stellt, die früher selten oder gar nicht unter Sicherheitsgesichtspunkten diskutiert wurden, wie z. B. Umweltschutz. Gleichzeitig unterstreicht aber die s.g. Kopenhagener SchuleKopenhagener Schule, die die Theorie der VersicherheitlichungVersicherheitlichung (securitization) (securitizationVersicherheitlichung (securitization)) gesellschaftlicher Prozesse aufgestellt hat (Balzacq 2011; Buzan 1998; Wæver 1995), dass so das Risiko besteht, Lösungsmöglichkeiten eines Problems zu beschränken, da Sicherheitsdenken in eher engen, kurzfristigen Gefahr-Antwort-Mustern abläuft, die sodann allzu gerne nur auf die Sicherheit der Nation bezogen und mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden. Beispielsweise führt die VersicherheitlichungVersicherheitlichung (securitization) der Flüchtlingskrise (2015) dazu, dass der Fokus politischen Handelns eher auf dem Schutz der nationalen oder europäischen Grenzen lag als auf dem Beseitigen der Fluchtursachen in den Herkunftsländern, wofür entwicklungs- oder wirtschaftspolitische Ansätze vielversprechender sind. Ein erweiterter Sicherheitsbegriff entgrenzt Sicherheit somit auch (Daase 2009, 143).

Der Gründungsauftrag der NATO gehört in der Sachdimension zum eher engen, militärischen Problembereich, der jedoch als regionale Verantwortung bereits jenseits des Nationalstaats institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)iert wurde. Andere Aspekte des Handelns der NATO, wie z. B. die Kooperationsprogramme mit Partnern oder ein großer Teil ihrer Auslandsinterventionen, befinden sich jedoch in anderen Sicherheitsdimensionen.

Weder das kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungshandeln noch die kollektiven Sicherheitkollektive Sicherheitstätigkeiten liefen in der NATO ohne interne Konflikte ab. Einzelne Alliierte hatten Konflikte untereinander (z. B. Griechenland-Türkei, Frankreich-USA), die NATO-Staaten deswegen miteinander, während sie sich ebenfalls nicht immer adäquat außenpolitisch koordinierten (SuezSuez(krise)-, KubaKuba(krise)krise, s. Kap. 3) oder über Strategie, Missionen und Gelder stritten. In den USA kam bald nach 1949 eine wachsende Unzufriedenheit ob der ungleichen Lastenverteilungburden-sharing (burden-sharingburden-sharing) für die gemeinsame Verteidigung zu ihren Ungunsten auf – ein Problem, das bis heute zu teils heftigen Diskussionen führt und unter Donald TrumpTrump, Donald J. die Allianz an die Belastungsgrenze führt. Die USA gaben 2019 3,42 % ihres (großen) BIP für Verteidigung aus, während nur acht weitere Alliierte über 2 % (worauf man sich als Ziellinie geeinigt hatte) und viele teils weit darunter liegen, u.a. Deutschland (NATO 2019h). Da die US-Amerikaner*innen bis 2020 zudem 22 % (ca. $685 Mio.) der direkten NATO-Ausgaben schultern und insgesamt ca. $6,86 Mrd. für NATO-KapazitätenKapazitäten (militärische) und europäische Verteidigung ausgaben (Kosten für US-Truppen in Europa nicht mitgerechnet), sind die Finanzen heute ein bedeutender Stolperstein in den transatlantischen Beziehungen geworden. TrumpTrump, Donald J. nutzt diese Schieflage und andere Konflikte zur grundsätzlichen Infragestellung der Allianz, ihrer Beistandsverpflichtung, ihres Handelns und ihres Fortbestands. Die Binsenweisheit, dass es im Moment um die transatlantischen Beziehungen nicht zum Besten gestellt ist, basiert somit auf manifesten, ideelleIdeen (Konzept)n und materielleMaterialismusn Politik-, Meinungs- und Vertrauensproblemen zwischen den Alliierten sowie unterschiedlichen politischen und strategischen Prioritäten, die zunehmend schwer unter einen Hut zu bringen sind. Dass es diese gibt, ist an sich nicht neu (s. die bekannte Debatte aus der 2000er Dekade in Cox 2005a; Pouliot 2006; Risse 2003). Die NATO hat sich in ihrer 70-jährigen Geschichte als erstaunlich widerstandsfähig in der Bewältigung solcher Probleme erwiesen. Mit TrumpTrump, Donald J. kann man aber im Jahr 2020 durchaus von einem „perfekten Sturm“ (Riddervold und Newsome 2018, 507) in der NATO sprechen.

Durch die zunehmende Aggressivität Russlands, das sich wieder mit eigenen GroßmachtGroßmacht(konfrontation)ansprüchen in Europa positioniert, diese mit der Invasion und Annexion der KrimUkraine/Krim(krise) gewaltsam durchsetzt und in die demokratischen Prozesse von NATO-Mitgliedern aktiv einmischt, muss sich die Atlantische Allianz seit 2014 wieder um kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungsplanungen kümmern. Somit ist das Bündnis heute mit einem externen Sicherheitsproblem konfrontiert, das die Fortsetzung der seit den 1990er Jahren aufgebauten kooperativen Agenda mit Russland in Frage stellt, während es gleichzeitig bedeutende innere Konflikte zu lösen hat. Sind wir 2020 also mit Russland "zurück in der Zukunft", wie es der Chicagoer Professor John Mearsheimer bereits 1990 formulierte und damit auf eine wahrscheinliche Rückkehr zu instabilen Zeiten der Krisen und Kriege verwies (Mearsheimer 1990, 52)? Die Antwort auf diese Frage steht in Anbetracht der großen Herausforderungen, vor der die NATO momentan sowohl intern durch ihre eigene Zerrüttung als auch extern durch Russland steht, aus. Diesen Problemen und den damit zusammenhängenden Politiken, Strukturen und Akteuren wollen wir uns in diesem Buch widmen.

Aufbau des Buches

Um die NATO als Akteur der Weltsicherheitspolitik einerseits und Regierungsorganisation mit ihren komplexen politischen Prozessen andererseits zu verstehen, wird dieses Buch separat die verschiedenen Funktionen und Eigenschaften der NATO herausarbeiten, um Komplexität zu reduzieren, aber gleichzeitig ein umfassendes Bild der Atlantischen Allianz zu vermitteln. Während Forschungsliteratur notwendigerweise meist eine bestimmte Perspektive einnimmt, sollen in diesem Lehrbuch Wege in verschiedene Theorien und Zugänge sowie ihre Erklärungen und Interpretationen aufgezeigt werden. In Anbetracht ihres beträchtlichen Alters und vielfältigen Wirkens gibt es kaum einen Ansatz, der nicht auf die Atlantische Allianz angewendet wurde – von vorherrschenden realistischen (Kap. 3) und institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tischen Interpretationen (Kap. 2) über die English School (Buzan und Gonzalez-Pelaez 2005), den Feminismus (Hardt und von Hlatky 2020; Ruohonen 2014) oder den KonstruktivismusKonstruktivismus (Kap. 6). Vor diesem Hintergrund kann dieses Buch nur ein Einstieg sein und nicht allen Strömungen gerecht werden, aber fünf Zugänge sollen helfen, einen ersten, aber dennoch umfänglichen Überblick über die Allianz zu bekommen:

ein institutioneller Ansatz, der Basisdaten vermittelt und institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierte politische Prozesse seit 1949 diskutiert (Kap. 2 und teilweise Kap. 5);

eine Befassung mit kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung während und nach dem Kalten Krieg, die neorealistische und institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tische Theorie diskutiert (Kap. 3, 4);

eine Darstellung zweier Arenen kollektiver Sicherheitkollektive Sicherheitspolitiken der NATO außerhalb des Bündnisgebiets und mit verschiedenen Partnern (Kap. 5);

ein konstruktivistischKonstruktivismuser, identitäIdentitättsbezogener Zugang, in dem die NATO als kulturellKultures Bündnis liberalLiberalismuser Staaten westlicher Prägung diskutiert wird (Kap. 6); sowie

ein (il)liberalLiberalismuser Zugang, der sich auch der PopulismusPopulismusliteratur bedient, um die aktuellen Probleme der Allianz zu analysieren.

Diese fünf Zugänge sollen theoretischen Pluralismus vorleben und verschiedene Interpretationswerkzeuge an die Hand geben, um Entwicklungen in alliierten Verteidigungspolitiken differenziert beurteilen zu können. Die Kapitel führen dabei zunächst in Theorien ein, die als Rahmung für empirische Entwicklungen in der Allianz dienen. Bei Bedarf werden spezifische politische Krisen oder Konzepte in Exkursen dargestellt, um den Lesefluss zu erleichtern. Schlussbetrachtungen fassen die theoretischen und empirischen Ergebnisse zusammen. Um Anregungen für die weitere Bearbeitung im Vorlesungs-, Seminar- und Hausarbeitskontext zu geben, schließen die Kapitel mit einer Auswahl von Diskussionsfragen und Vorschlägen für weiterführende Literatur.

2Die Allianz als Institution: Strukturen, Geld und Macht

Die NATOMacht ist eine Organisation mit einer gewachsenen Struktur und einer beträchtlichen Anzahl von Mitarbeiter*innen. Dadurch ist sie in ihrem InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierungsgrad als Militärallianz einzigartig in der Welt. Bevor wir uns ein Verständnis über das Handeln der NATO (policies) erarbeiten können, müssen zunächst institutionelle (polity) und Verfahrensgrundlagen (politics) erörtert werden, auf Basis derer die NATO funktioniert. Dazu werden in diesem Kapitel sechs verschiedene Sach- und Problembereiche angesprochen. Abschnitt 2.1 führt zunächst in den NeoliberalLiberalismusen InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus ein, der es uns erlaubt, ein grundlegendes Verständnis über das Funktionieren einer internationalen Institution zu erzielen. In den Folgekapiteln wird dieses Wissen ebenfalls genutzt, um Entwicklungen, z. B. die von kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung zu kollektiver Sicherheitkollektive Sicherheit, einordnen zu können. Abschnitt 2.2 beschäftigt sich mit der Gründung der NATO und dem Vertragswerk, bevor die verschiedenen Erweiterungen der Allianz thematisiert werden. Abschnitt 2.3 wirft einen Blick auf die politischen und militärischen NATO-Strukturen. Abschnitt 2.4 erklärt den Unterschied zwischen nationalen und alliierten KapazitätenKapazitäten (militärische). Die NATO-BudgetNATO-Budget(s)s und weitere Finanzfragen werden im Abschnitt 2.5 besprochen. Abschnitt 2.6 schließt mit Betrachtungen zur hegemonialen Rolle der USA im Bündnis.

2.1Institutionalismus und Sicherheit

DerInstitutionalismus (Neoliberaler) (NeoliberalLiberalismuse) InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus ist eine der Basistheorien der Internationalen Beziehungen, die zur Erklärung von Kooperation zwischen Staaten herangezogen wird. Er wurde maßgeblich von den US-amerikanischen Politikwissenschaftler*innen Robert O. Keohane und Joseph S. Nye (Keohane 1984, 1989; Keohane und Nye 2012) sowie Celeste Wallander (Wallander 2000, 1999) beeinflusst. Im deutschsprachigen Raum gelten Helga Haftendorn und Otto Keck (Haftendorn und Keck 1997; Haftendorn et al. 1999) sowie Helmut Breitmeier (Breitmeier et al. 2006), Bernhard Zangl (Rittberger et al. 2019) oder Michael Zürn (2018) als prominente Vertreter*innen. Nach allgemeiner Auffassung sind internationale Institutionen, um die es mit der NATO in diesem Buch geht, „dauerhafte und verbundene Regelwerke, häufig mit Organisationen einhergehend, die über internationale Grenzen hinweg agieren“ (Wallander et al. 1999, 1f.). Nach diesem Verständnis zählen zu Institutionen sowohl internationale Organisationen wie die UN oder die EU als auch Regelwerke wie der AtomwaffenAtomwaffensperrvertrag (NPTAtomwaffensperrvertrag (NPT)), die zum Ziel haben, politische Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren (Staaten, internationale Organisationen u.v.a.m.) dauerhaft zu gestalten/beeinflussen.1 Institutionen wie der NPTAtomwaffensperrvertrag (NPT), die keine Organisationsstruktur haben, sondern nur aus Verträgen oder (impliziten/ expliziten) Absprachen und Verhaltensnormen bestehen, die ein spezifisches internationales Politikfeld (z. B. die Verbreitung von MassenvernichtungswaffenMassenvernichtungswaffenAtomwaffen) verregeln, werden als RegimeRegime(theorie) bezeichnet (Breitmeier et al. 2006, 3; Krasner 1982, 186). Organisationen als Subtyp von Institutionen sind tiefer in eigenen Strukturen und Politikprozessen verwurzelt und können ursprünglich staatliche Funktionen ausüben (z. B. EU). Die NATO ist mit ihren vielen Strukturen ebenfalls tief institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)iert, in ihrer Aufgabenwahrnehmung aber stark an Vorgaben der Mitglieder gebunden. Sie ist daher keine supranationalSupranationalismuse Organisation wie die EU, sondern eine internationale Organisation intergouvernementaler Prägung.

2.1.1Basiskonzepte des Institutionalismus

Institutionalismus (Neoliberaler)Der InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus teilt die Basisannahme des NeorealisRealismus (Neo-)mus, dass Staaten die primären Akteure in der globalen Ordnung sind, die grundsätzlich anarchischAnarchie, anarchisch aufgebaut ist. Das heißt, dass es keine den Staaten übergeordnete Instanz gibt, die ein bestimmtes Staatshandeln erzwingen kann. Somit agieren Staaten stets unter Bedingungen der Unsicherheit – darüber, wie andere Staaten auf das eigene Handeln reagieren, ob Kooperationsvereinbarungen Folge geleistet wird bzw. Kooperation von Dauer ist (Mearsheimer 2001, 3; Wallander et al. 1999, 3; Waltz 1979, Kap. 6, 8). Im Gegensatz zur neorealistischen Denkschule gehen InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)t*innen jedoch davon aus, dass Kooperation verstetigt und die AnarchieAnarchie, anarchisch des internationalen Systems somit zwar nicht überwunden, aber bewältigt werden kann (mitigation logic). Dabei verändern sie zwei Grundannahmen realistischer Theorien: Zum einen ist für InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)t*innen MachtMacht keine relative Größe, sondern eine absolute. In Anlehnung an liberalLiberalismuse Wirtschaftstheorie (auch Vertragstheorie) streben Staaten nach institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tischer Auffassung daher nicht nach relativen Gewinnen (z. B. stärker als der Nachbarstaat zu sein), sondern bevorzugen absolute Gewinne – unabhängig davon, wie der Gewinn des Kooperationspartners aussieht (Wallander 1999, 20ff.). Kooperation kann also beständig sein, solange ein absoluter Gewinn entsteht. Diesen Annahmen liegt keine Gutgläubigkeit zugrunde, dass Staaten nur harmonisch miteinander interagierten oder nie ein Sicherheitsproblem bestünde. Vielmehr bauen sie auf der Einsicht auf, dass Staaten ein Interesse daran haben, das Sicherheitsproblem zu überwinden oder zumindest zu bearbeiten und dass dazu mehr als nur militärische Mittel genutzt werden können (Wallander et al. 1999, 3ff.).

Diese Beständigkeit von Kooperation kann durch verschiedene Wirkmechanismen erreicht werden. Der einfachste davon ist Informationsgewinn. Durch das Einrichten einer gemeinsamen Institution – z. B. eines Vertrags mit Konsultationsmechanismus – treffen Akteure zusammen und können so Informationen über Motivationen, Politiken etc. der anderen Seite erhalten. Unsicherheit wird so teilweise reduziert – teilweise, weil die Möglichkeit der Nichterfüllung der Kooperationsabsicht bestehen bleibt. Verschiedene andere Mechanismen sind jedoch in der Lage, auch dieses Problem des Betrugs oder der Untreue – in spieltheoretischer Sprache (game theorygame theorySpieltheorie) cheatingcheatingSpieltheorie genannt – zu bewältigen. So fand Robert Axelrod (1984, Kap. 1) heraus, dass der so genannte shadow of the futureshadow of the future die Wahrscheinlichkeit von cheating verringert. Da bei wiederholtem Handeln die Wahrscheinlichkeit besteht, erneut auf dieselben Akteure zu treffen, würde unnötiges cheating zu einer Belastung zukünftiger Interaktionen führen, deren Kosten erhöhen und somit den eigenen Interessen zuwiderlaufen.1 Ebenfalls besteht bei wiederholter Kooperation in Institutionen ein Transaktionskostenvorteil, da die Institution nicht jedes Mal wieder neu aufgebaut werden muss, wenn sie einmal geschaffen wurde – die Kosten für Zusammenarbeit sind versunken („sunk costssunk costs“, Stinchcombe zitiert nach Keohane 1984, 102). Somit haben Institutionen langfristig das Potential, Kosten-Nutzen-Kalkulationen der in ihr organisierten Akteure zu verändern. Mehr noch: Durch wiederholte Kooperation kann sich auch eine Kooperationsnorm entwickeln, die wiederum normkonformes Verhalten der Akteure fördert und nicht-normkonformes Verhalten sozial bestraft. Langfristig ist es so also denkbar, dass Staaten ihre Interessen zunehmend so formulieren, dass sie von vornherein kooperationskompatibel sind (Wallander et al. 1999, 9f.). Gerade mit Bezug zur deutschen Außenpolitik wurde eine derartige Erklärung ihres kooperativen und multilateral-integrativen Impetus über die vergangenen Jahrzehnte immer wieder vorgebracht (Hellmann 2007; Wallander 1999, 148ff.).

2.1.2Institutionen und Sicherheit

Es gibt eine offene Debatte zwischen InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus und Realismus über die Anwendungsfähigkeit des InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus auf Sicherheitsfragen. Während die institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tische Schule (auch unterstützt durch liberalLiberalismuse Ansätze, s. Moravcsik 1997) die Auffassung vertritt, dass der Anwendung ihrer Theorie auch im Feld Sicherheit nichts Prinzipielles entgegensteht und sich viele Analysen von Sicherheitsphänomenen und Sicherheitsorganisationen des InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus bedienen (Dembinski und Hasenclever 2010; Wallander 1999), ist der NeorealisRealismus (Neo-)mus der Auffassung, dass Kooperation im Feld Sicherheit zu unbeständig ist, vermeintlich institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tische Erklärungen in Wirklichkeit auf andere Faktoren zurückzuführen sind und Institutionen somit im Feld Sicherheit epiphänomenal seien, also keine oder nur eine marginale Relevanz hätten (s. Kap. 3.1).1

Die bedeutendste Kritik der Anwendbarkeit des InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus auf Sicherheit wurde von Mearsheimer geschrieben, dem wichtigsten Vertreter des (offensiven) NeorealisRealismus (Neo-)mus. In seiner Brandschrift The False Promise of International Institutions vertritt Mearsheimer die Auffassung, dass der InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus lediglich auf Kooperationssituationen anwendbar sei, in denen zwei (oder mehr) Seiten gegenseitig kompatible Interessen haben. Dies sei gerade bei Fragen von Krieg und FriedenFrieden nicht der Fall, deren fundamentale Unsicherheitsbedingung sich nicht wie ökonomische Wechselbeziehungen institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ieren lasse. CheatingSpieltheorie habe hier im Zweifelsfall die Konsequenz, die territoriale und politische Integrität eines Staates zu beenden bzw. ihn schlichtweg auszulöschen. Daher könne man in Sicherheitsbeziehungen nicht das Problem relativer Gewinne bzw. relativer MachtMachtkalkulationen ausblenden. Findet Kooperation in Sicherheits- und Kriegsfragen statt, seien MachtMachtbeziehungen und relative Gewinne stets ausschlaggebend (s. Kap. 3.1). Von einer Relevanz von Institutionen könne nur dann gesprochen werden, wenn Staaten eine Politik betrieben, bei denen sie relative Gewinne missachteten oder wenn Institutionen trotz relativer MachtMachtprobleme erfolgreich seien. Für beides gäbe es nur schwache empirische Befunde (Mearsheimer 1994, 14ff.).

Mearsheimers Fundamentalopposition wurde von verschiedenen Seiten kritisiert. Bereits früher hat Keohane darauf hingewiesen, dass Institutionen die Befolgung von gemeinsamen Entscheidungen als soziale, normative Verhaltenserwartung hervorrufen. Außerdem sei es unlogisch für Staaten, sich einer Institution anzuschließen und die Interessen, deren Erreichung zur Gründung der Institution geführt haben, dann nicht zu verfolgen (Keohane 1984, 98ff.). SozialisationSozialisations-, IdentitäIdentitätts- und NormNormenbefolgungsargumente wurden danach vielfach von Konstruktivist*innen empirisch analysiert (Lebow und Risse-Kappen 1995; Katzenstein 1996), gerade auch mit Bezug zur NATO (Behnke 2000; Risse-Kappen 1996) oder zu den Außenpolitiken ihrer Mitgliedstaaten (Duffield 1999; Hemmer und Katzenstein 2002; Ostermann 2019b). Gewissermaßen als Antwort auf Mearsheimer formulieren Haftendorn, Keohane und Wallander (1999) in Imperfect Unions – Security Institutions over Time and Space, wie der Einfluss einer Sicherheitsinstitution gemessen werden kann:

Feststellen der normativen Gemeinsamkeiten;

Spezifizität von NormNormenen und internen Regeln, die Kooperation steuern;

funktionale Differenzierung von Aufgaben zwischen Mitgliedern, durch die gegenseitige Abhängigkeitsverhältnisse entstehen (Wallander und Keohane 1999, 24ff.).

So argumentieren McCalla (1996, 456ff.), Wallander und Keohane (1999, 41ff.) sowie Tuschhoff (1999) mit Bezug zur NATO, dass ein zunehmender InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierungsgrad, normative Konvergenz, die Existenz von klaren Verhaltensregeln und funktionale Vielfalt sowie AnpassungsfähigkeitAnpassungsfähigkeitTransformation maßgeblich für das Fortbestehen der Allianz und ihren politischen Erfolg, Sicherheit und Verteidigung im nordatlantischen Raum zu organisieren, gesorgt haben. Wallander (1999, 19ff.) weist zudem darauf hin, dass Interaktionen zwischen Staaten sowohl aus machtbezogenen als auch kompatiblen Interessen bestehen können – beide können in Institutionen bearbeitet werden. Ungeachtet der auch heutzutage offen zutage tretenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Seiten des Atlantiks hat die NATO ihre Fähigkeit zu dieser Konfliktbearbeitung bisher immer wieder unter Beweis gestellt.

2.1.3Institutioneller Wandel und die NATO

Die NATO hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1949 fundamental verändert. Dies drückt sich nicht nur im Wandel ihrer Mitgliederstruktur aus, sondern auch in den MachtMachtverhältnissen innerhalb der Allianz, vor allem aber in der Verschiebung ihres Aufgabenspektrums von kollektiver Verteidigungkollektive Verteidigung gegen die UdSSR hin zu kollektivem Sicherheitshandeln im Namen der Weltgemeinschaft/ UN und seit 2014 (russische KrimUkraine/Krim(krise)invasion) wieder zurück Richtung Verteidigung. Wie konnte eine Allianz, die sich erfolgreich verteidigt und ihren Gegner 1991 verloren hat, diesen Wandel überleben, ohne sich aufzulösen oder ineffektiv zu werden, wie es realistische AllianztheorieAllianztheorie vorhersagt? InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)t*innen argumentieren, dass der einzigartig hohe InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierungsgrad der Atlantischen Allianz, die Existenz von Regeln sowie ihre normativ-ideologiIdeologieschen Gemeinsamkeiten die TransformationTransformationsfähigkeit der NATO erklären (s. auch Kap. 6, KonstruktivismusKonstruktivismus). Tuschhoff (1999, 146ff.) unterstreicht, dass trotz der MachtMacht der USA eine MachtMachtverschiebung zugunsten Europas stattgefunden hat, weil sie durch die integrierte Militärstruktur sowie die Beteiligung an gemeinsamen Missionen Einfluss auf Politiken der USA gewannen.

Diese Erkenntnis hebt gleichzeitig Keohanes (1984, Kap. 6) früheres Argument hervor, dass Akteure innerhalb einer Institution an ihr festhalten, wenn sie die Interessen des Akteurs repräsentiert, auch wenn diese sich in der Zwischenzeit gewandelt haben mögen. Wegen der hohen Kosten, die mit der Initiierung einer neuen Institution verbunden sind, ist es zudem u. U. sinnvoll, eine Institution zu erhalten und anzupassen, anstelle eine neue aufzusetzen. Auch in Zeiten geringeren institutionellen Ertrags fallen zudem nicht die Informationsvorteile und der Aspekt der geringeren Transaktionskosten weg. Ein psychologischer Grund für den Erhalt einer Institution kann zudem die Bevorzugung von Stabilität gegenüber Unsicherheit sein (ibid., 100ff.). Damit deutet Keohane das in der Organisationstheorie entwickelte und im InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus übernommene Argument der Pfadabhängigkeit (path dependency) an (Keohane 1989, 169f.; March und Olsen 1984, 745). Pfadabhängigkeit bedeutet, dass einmal Geschaffenes die Tendenz hat, entweder zukünftige Lösungswege vorzugeben – z. B. eher kooperative Lösungen als konfrontative – und sich selbst nicht abschaffen zu wollen. Somit muss man internationale Organisationen auch als Bürokratien verstehen, in denen internationale Beamt*innen ein Eigeninteresse am Fortbestand ihres Wirkens haben und u. U. unabhängig von politischen Vorgaben1 oder Krisen handeln (Barnett und Finnemore 2004; March und Olsen 1989; McCalla 1996, 456ff.). Je höher der InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierungsgrad, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Organisation Krisen und weltpolitische Wandelprozesse, wie das Ende des Kalten Krieges, überleben können und dabei ihre Aufgaben verändern (s. Kap. 5).

Diese theoretischen Überlegungen zum InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)mus zeigen, dass seine Anwendung auf Sicherheitsorganisationen keinesfalls so abwegig ist, wie Mearsheimer impliziert. Wenngleich seine Kritikpunkte, vor allem mit Blick auf das Problem relativer versus absoluter MachtMachtgewinne, Grund zum Nachdenken geben und zu einer vorsichtigen Analyse von politischen Interessenlagen und Konfliktdynamiken anhalten, so erscheint eine institutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)tische Perspektive zumindest als eine valide Betrachtungsweise der NATO unter anderen. Seine ökonomisch inspirierten, rationalistisch geprägten Konzepte zu Kostenvorteilen und absoluten Gewinnen durch Kooperation sowie zur Regelbefolgung sind ein fundiertes Gerüst zum Begreifen von Vorgängen in Sicherheitsinstitutionen. Bei der folgenden Befassung mit der NATO als Organisation können uns diese theoretischen Überlegungen bereits hilfreich sein.

2.2Verträge und Erweiterungen

2.2.1Gründungsmitglieder: Brüsseler Vertrag 1948 und Nordatlantikpakt 1949

Von Jalta und Berlin nach Brüssel

Brüsseler VertragNach demJalta Ende des Zweiten WeltkriegZweiter Weltkriegs wurde den westlichen Siegermächten und den Verantwortlichen der von ihnen befreiten Staaten schnell klar, dass die gemeinsamen Absprachen über die europäische Nachkriegsordnung und Kooperation in den neuen Vereinten Nationen, die in JaltaJalta zwischen der UdSSR, den USA und dem Vereinigten Königreich ausgehandelt wurden, keinen Bestand haben würden. Die Sowjetunion verfolgte angesichts eines schwachen Westeuropas eine Expansions- und Annexionsstrategie und mischte sich in die internen Prozesse anderer Staaten, z. B. Bulgariens, Polens, Rumäniens oder der Tschechoslowakei, offensiv oder subversiv ein (Harbutt 2010; Schöllgen 2013a, 250ff.; von Gersdorff 2009, 74f.). Durch das Verlassen des Alliierten KontrollratAlliierter Kontrollrats Anfang 1948 bildete sich ein westlich-liberalLiberalismuses und ein östlich-kommunistischKommunismuses Lager (ibid., 92ff.). Dass die politische IdeologiIdeologiee als fundamentaler Unterschied zwischen den beiden Lagern angesehen wurde, wurde am besten durch das Long TelegramLong Telegram illustriert, die Fundamentalkritik des politischen und gesellschaftlichen Systems der Sowjetunion durch den amerikanischen Diplomaten George F. KennanKennan, George F. (1946). In seinem langen, analytischen Telegramm an den damaligen amerikanischen Außenminister identifizierte KennanKennan, George F. den sowjetischen Expansionismus als Hauptgefahr für die freie, westlich geprägte Welt.1 So nahm die Politik des ContainmentContainment, der militärischen, ökonomischen und politisch-ideologiIdeologieschen Eingrenzung der Sowjetunion, ihren Lauf. Die Blöcke des Kalten Krieges begannen, sich zu konstituieren (Combs 2012, 210ff.; Czempiel und Witzel 1998; Welch Larson 1985). Die Teilung Europas wurde durch die Gründung der westgebundenen Bundesrepublik Deutschland am 23. Mai 1949 und der Deutschen Demokratischen Republik als Satellitenstaat der Sowjetunion am 7. Oktober 1949 besiegelt.

In Anbetracht der wahrgenommenen Gefahr von Osten, verdeutlicht durch den Staatsstreich der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei im Februar 1948, wurde am 17. März 1948 von Belgien, Frankreich, Irland, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich der Brüsseler VertragBrüsseler Vertrag unterzeichnet, der die Westunion begründete (Kaplan 1984, 63f.). Das Abkommen sah sowohl Aspekte der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellKulturen Kooperation als auch der kollektiven Selbstverteidigung vor, wobei letztere in Anbetracht der politischen Ereignisse zunehmend im Zentrum der Verhandlungen standen (Grosser 1986, 95ff.; Georgantzis 1998, 27ff.; von Gersdorff 2009, 94ff.). Dazu bestimmt Art. 4 unter Verweis auf Art. 5Bündnisfall1 der UN-Charta (Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, United Nations 2013), dass ein angegriffener Unterzeichnerstaat „alle militärische und andere Hilfe und Unterstützung“ (NATO o. J.-a) der anderen Staaten erhalten soll.2 Somit ist die Formulierung bereits nah an die späteren Ausführungen des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags angelehnt, implizierte jedoch im Gegensatz zu letzterem einen Automatismus (Georgantzis 1998, 29; Raflik 2011, 212). Der Wille zur Schaffung eines langfristigen Bündnisses spiegelte sich in der 50-jährigen Vertragslaufzeit wider (Art. 9, s. auch Grosser 1986). Im September 1948 richteten die Brüsseler VertragBrüsseler Vertragsstaaten ein eigenes Hauptquartier in Fontainebleau bei Paris, einen Ministerrat und einen Rat der militärischen Stabschefs ein, die als Vorbild für die NATO-Strukturen dienten (Georgantzis 1998, 29; Ismay 1955, Kap. 1; Kaplan 1984, 102).

Im Verlauf der kommenden Monate hatte sich die politische Lage in Europa so verschlechtert, dass immer deutlicher wurde, dass eine gemeinsame kollektive Verteidigungkollektive Verteidigungslösung mit den USA erarbeitet werden musste, um sich gegen sowjetische Einmischung, Expansion und MachtMachtgebaren (s. ExkursBerlin-KriseBerlin-Krisen Kap. 3) zu wehren (Grosser 1986, 96; Schöllgen 2013b, 24ff.). Diese Aktionen machten klar, dass der UdSSR nicht an einer gemeinsamen Neuorganisation von Europa gelegen war. Vielen Verantwortlichen, allen voran US-Präsident TrumanTruman, Harry S., war daher bewusst, dass der vom Krieg zerstörte Kontinent weiterhin starke Partner nötig hatte, um sich gegenüber der Sowjetunion zu behaupten (Combs 2012, 210ff.; Kaplan 1984, 65ff.).3 Durch das Europäische WiederaufbauWiederaufbauprogramm – den Marshall-PlanMarshall-Plan – unterstützten die USA seit April 1948 zwar schon massiv die westeuropäischen Wirtschaften, aber es setzte sich die Einsicht durch, dass dies nicht reichen würde, um den FriedenFrieden zu sichern. Letztlich ging es den US-Amerikaner*innen auch darum, dass die europäischen Staaten in Anbetracht der Nähe zu Russland und seiner militärischen Präsenz in Westeuropa nicht ein kommunistischKommunismuses rapprochement eingehen würden. So wurde die TrumanTruman, Harry S.-DoktringeborenTruman-Doktrin, die allen demokratischen Staaten Unterstützung gegen innere und äußere Feinde zusicherte (Combs 2012, 210ff.; Kaplan 1984, 49ff.; von Gersdorff 2009; Schöllgen 2013b, 24). Der republikanische US-Senator Arthur H. VandenbergVandenberg, Arthur H. und der kanadische Außen- und spätere Premierminister Louis Saint LaurentSaint Laurent, Louis brachten schließlich erfolgreich ResolutionUN-Sicherheitsratsresolution (UNSCR)en in ihren Parlamenten ein, die den Startschuss zu Verhandlungen für eine Sicherheits- und Verteidigungsallianz markierten. Die USA traten aus militärischen Gründen außerdem dafür ein, dass die Allianz nicht nur die Brüsseler VertragBrüsseler Vertragsstaaten und sich selbst umfassen sollte, sondern auch Kanada sowie die weiteren NATO-Gründungsmitglieder, um territoriale und somit auch im Angriffsfall logistische Kontinuität herzustellen. Frankreich wollte durch die Einbeziehung Italiens die Südflanke der Allianz bedacht wissen. Es dauerte daher eine Weile, bis man sich auf den genauen Zuschnitt des Bündnisses geeinigt hatte (Kaplan 1984, 42, 70ff.; Ismay 1955, Kap. 1; von Gersdorff 2009).

Der Nordatlantikvertrag von 1949: Die Gründung der NATO

UnterNordatlantikrat (NAC) dem Eindruck einer immer noch andauernden Berlin-BlockadeBerlin-Krise (bis 12. Mai 1949) und sowjetischer Gegendiplomatie (Kaplan 1984, 96) wurden die Verhandlungen für einen transatlantischen Pakt fortgesetzt. Die NATO wurde schließlich am 4. April 1949 in Washington D.C. mit der Unterzeichnung des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags – auch Washingtoner Vertrag genannt – durch Belgien, Dänemark, Frankreich, IslandIsland, Italien, LuxemburgLuxemburg, Kanada, die Niederlande, Norwegen, Portugal, das Vereinigte Königreich und die USA gegründet. In der Präambel verpflichten sich die Unterzeichner sowohl auf die Prinzipien der UN, darunter das Ziel der friedlichFriedenen Konfliktbeilegung, als auch auf die „Grundsätze[n] der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts“ (NATO 1949a).1 Damit wird gleich zu Beginn deutlich, dass das Wertefundament der Atlantischen Allianz und der Unterzeichnerstaaten demokratisch-liberalLiberalismus geprägt ist. Ohne jemals die UdSSR direkt zu erwähnen positioniert sich der NordatlantikvertragNordatlantikvertrag klar gegen das gesellschaftliche und politische System des kommunistischKommunismusen Feindes im Osten, ganz im Sinne von KennanKennan, George F.s Long TelegramLong Telegram. Die Staaten bekennen sich des Weiteren zu einer friedlichFriedenen Konfliktbeilegung (Art. 1) sowie zur Intensivierung ihrer wirtschaftlichen Zusammenarbeit (Art. 2, s. von Gersdorff 2009, 396ff., 407ff.). Der Vertrag spricht ebenfalls gegenseitige Kooperation und Unterstützung beim Aufbau von Verteidigungskapazitäten (Art. 3) als notwendige Bedingung einer gemeinsamen Verteidigung an.

Als Kern des Vertrags gilt Art. 5Bündnisfall. Dieser führt unmissverständlich aus, dass

„Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. […]“ (NATO 1949a, Artikel 5)

Dieser Artikel beinhaltet zwei deutliche Formulierungen: zum einen die Formel, dass ein Angriff auf ein Mitglied als ein Angriff auf alle Mitglieder zu zählen ist und zum anderen die Verpflichtung zum militärischen Beistand. Gleichwie ist dies nicht als Beistandsautomatismus misszuverstehen (Grosser 1986, 96f.; von Gersdorff 2009, 436ff.). Der Antrag auf Ausrufung des BündnisfallBündnisfalls bedarf des einstimmigen Votums der Mitglieder. Seine Akzeptanz präjudiziert nicht die automatische Entsendung von Truppen (Georgantzis 1998, 31; Raflik 2011, 210). Er impliziert jedoch indirekt genau das (Kaplan 1984, 26). Staaten entscheiden in Übereinstimmung mit ihren verfassungsgemäßen Bestimmungen über die konkrete Art der Reaktion und Form der Hilfe (ibid., 84ff., 113ff.). Lord IsmayLord Ismay (1955, Kap. 2) weist zudem darauf hin, dass schon in den Verhandlungen klar war, dass Alliierte unterschiedliche (militärische, wirtschaftliche, logistische) Beiträge zur „gegenseitigen Unterstützung“ (Art. 3) leisten würden, je nach ihren eigenen ökonomischen FähigkeitenKapazitäten (militärische) und geografischen Gegebenheiten. Art. 9 führt weiter aus, dass Entscheidungen eines Rats bedürfen, der später den Namen NordatlantikratNordatlantikrat (NAC) (NACNordatlantikrat (NAC)) erhielt und seit 1952 wöchentlich tagt – i.d.R. auf Botschafter/ Permanente Repräsentanten-Niveau sowie zweimal jährlich mit Außenministern, dreimal mit Verteidigungsministern und bei Bedarf (i.d.R. einmal jährlich als Gipfeltreffen) mit den Staats- und Regierungschefs (NATO 2017g).2 Obgleich kürzer als beim Brüsseler VertragBrüsseler Vertrag (s. Kaplan 1984, 118f.), legt Art. 13 eine mindestens zwanzigjährige Vertragsdauer fest.

Mit der Unterzeichnung des NordatlantikvertragNordatlantikvertrags konstituierte sich somit vier Jahre nach dem Ende des Zweiten WeltkriegZweiter Weltkriegs eine neue europäische Sicherheitsordnung. Im westlichen Block waren die demokratisch-liberalLiberalismusen Staaten vereinigt, während die Länder des Ostblocks vor allem kommunistischKommunismus geprägt waren, der Sowjetunion angehörten oder ihre abhängigen Satellitenstaaten waren. Diese Blockbildung sollte bis zur Zeitenwende 1989-1991 eine der bestimmenden Größen der Weltpolitik sein und auch Konflikte in anderen Teilen der Welt durch den ideologiIdeologieschen Gegensatz der beiden Blöcke und ihren Kampf um eine jeweilige Vormachtstellung beeinflussen.

Bald nach der Unterzeichnung wurde den Vertragsstaaten jedoch bewusst, dass zur Erreichung des Vertragszwecks ein vertraglich vorgesehener gemeinsamer Rat und Verteidigungsausschuss nicht ausreichen würden und weitere Integrationsschritte gegangen werden mussten. Das Jahr 1950 stand somit am Beginn des Aufbaus gemeinsamer Planungs-, Trainings- und KommandostrukturMilitärstrukturen der Allianz, die vorsahen, dass die Staaten ihre Truppen unter das Kommando international bestimmter Militärs stellten. Lord IsmayLord Ismay erklärt, dass „diese Allianzprinzipien niemals in der Geschichte zu FriedenFriedenszeiten auf so eine Stufe gebracht wurden“ (Ismay 1955, 14). Mindestens genauso zentral war aber die Organisation der Militärhilfe und die Erstellung von Plänen zum Aufbau der nationalen Armeen (Kaplan 1984, Kap. 7; von Gersdorff 2009, 229ff.).

Bereits seit Ende 1949 liefen amerikanische Waffenlieferungen für europäische Vertragsstaaten, um die Verteidigungsfähigkeit der Alliierten zu erhöhen. Auf seinem ersten Zusammentreffen am 17. September 1949 beschloss der NACNordatlantikrat (NAC) zudem die Einrichtung eines Verteidigungskomitees, eines Militärkomitees, regionaler Verteidigungsplanungsgruppen und einer Standing Group der Vertreter der Stabschefs von Frankreich, Großbritannien und der USA, die permanent in Washington angesiedelt war. Die Gründung weiterer technischer Komitees folgte, die in London angesiedelt wurden. Diese Schritte führten zum ersten Strategischen Konzept von 1949 (s. Kap. 3.2) und Aktivitäten zur Bestandsaufnahme von VerteidigungsausgabenVerteidigungsbudget (national) sowie Ressourcenmanagement. Da dieser dezentrale Prozess sehr schleppend lief, beschlossen die Alliierten bald, ein permanentes ziviles Hauptquartier einzurichten, in dem die Aktivitäten durch politische Vertreter besser koordiniert werden sollten (Kaplan 1984, 139ff.). Dies geschah mit einem Gefühl der Dringlichkeit, da die russischen Kräfte östlich der Elbe weit stärker und einheitlicher organisiert waren, als die der Alliierten, bei denen nicht einmal eine Verteidigungslinie an der deutsch-deutschen Grenze bestand (ibid., 142f.; ähnlich Ismay 1955, Kap. 3).

Der Ausbruch des KoreakriegKoreakriegs am 25. Juni 1950 hatte zwei Effekte auf die NATO: Zum einen zeigte er durch die Intervention der USA und anderer Alliierter zugunsten Südkoreas, dass liberalLiberalismuse Staaten füreinander einstehen konnten. Die Vertrauenssache Artikel 5 erhielt somit indirekt Substanz. Zum anderen bestätigte der Angriff Nordkoreas die Gefahr, die von einem nicht-eingegrenzten KommunismusKommunismus ausging. Ein Dominoeffekt wurde gefürchtet, der Pläne zum Aufbau der gemeinsamen Verteidigung beschleunigte (Kaplan 1984, 145ff., 150ff.; Schöllgen 2013b, 35f.). Der NACNordatlantikrat (NAC) beschloss daher, dass eine integrierte KommandostrukturMilitärstruktur unter einem gemeinsamen Truppenkommandeur geschaffen werden sollte, um einer möglichen sowjetischen Aggression besser begegnen zu können.

Abbildung 1:

NATO-Strukturen 1950 (Quelle: Pedlow (1997), eigene Darstellung)

Als erster gemeinsamer Kommandeur – den Supreme Allied Commander Europe, oder SACEURSACEUR – wurde der hoch-dekorierte US-Armeegeneral und Oberbefehlshaber der Befreiung Europas, Dwight D. EisenhowerEisenhower, Dwight D. bestimmt, der den Respekt aller Alliierten genoss3 und am 2. April 1951 sein Amt antrat. EisenhowerEisenhower, Dwight D. erhielt daraufhin den Oberbefehl über alliierte Einheiten in Europa, z. B. auch der drei französischen Divisionen in Deutschland (Ismay 1955, Kap. 4), und baute in der Folge das neue militärische NATO-Hauptquartier zuerst in Paris und dann in Versailles auf, das Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE).

Mit der Etablierung von SHAPE nahm die InstitutionalisInstitutionalismus (Neoliberaler)ierung der NATO als Militärallianz ihren Lauf. Sie wurde über die Jahre mit einer Intensität durchgeführt, die in der modernen Militärgeschichte ihres Gleichen sucht. Kapitel 2.3 wird sich hiermit genauer befassen, während wir uns jetzt zunächst der weiteren Mitgliederentwicklung der NATO widmen.

2.2.2Beitritte in den 1950ern: Griechenland, Türkei, Deutschland und die Pariser Verträge 1954/55: Kampf dem Kommunismus

DiePariser Verträge bereits währendKommunismus der Gründung der NATO geführten Diskussionen zum Umfang der Mitgliedschaft (s. von Gersdorff 2009, 326ff.) wurden auch nach der Aufnahme der täglichen Arbeit durch das Bündnis weitergeführt. Verhandlungen ab 1951 führten zum Beitritt Griechenlands und der Türkei am 18. Februar 1952, um so die antikommunistischKommunismuse Zone in Europa auszuweiten. Die USA hatten den beiden Ländern bereits in den 1940er Jahren wirtschaftliche und militärische Unterstützung zukommen lassen, um sie an den Westen zu binden, sodass der NATO-Beitritt eine logische Konsequenz war, um die Südflanke der Allianz militärisch und politisch abzusichern (CSIA European Security Working Group 1978; McGhee 1990). Verschiedene bilaterale Abkommen der USA mit Alliierten sorgten zudem für eine erhöhte und konsolidierte Truppenpräsenz der US-Amerikaner*innen. 1952 waren so bereits 400.000 US-amerikanische Soldat*innen in Europa stationiert und auch Kanada entsandte Truppen (Ismay 1955, Kap. 5).

Um die Koordination in den NATO-Strukturen weiter zu verbessern, wurden die verschiedenen Komitees unter der Ägide des NordatlantikratNordatlantikrat (NAC)s neu organisiert, sodass seit Mai 1951 der Rat auch die Verteidigungs- und Finanzminister sowie bei Bedarf weitere Vertreter einschloss. Die Permanenten Stellvertreter/ Botschafter wurden das Rückgrat der zivilen Organisationsstruktur (Ismay 1955, 41). Ein wichtiger Beschluss war, die zivilen Komitees der NATO alle in Paris zusammenzubringen und unter die Führung eines GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatärs zu stellen, der die Geschicke der Allianz leiten sollte. So stellt der spätere erste GeneralsekretGeneralsekretär/ -sekretariatär Ismay dann auch fest, dass der bis dahin größte Erfolg der NATO zu der Zeit nicht militärischer Natur war, sondern darin lag, die „NATO-Methode“ zu entwickeln, „eine Technik, nach der die Repräsentanten der zwölf (später vierzehn) souveränen Regierungen einstimmige Einigkeit erreichten, ohne formal abzustimmen“ (Ismay 1955, 48).1 Bereits auf dem ersten Pariser NordatlantikratNordatlantikrat (NAC) am 28. April 1952 wurde ein neuer Oberbefehlshaber bestimmt, da EisenhowerEisenhower, Dwight D. sich für eine US-Präsidentschaftskandidatur interessierte, und die Regel eingeführt, dass dies stets ein US-amerikanischer General sein sollte. Man entschied sich auch für eine Doppelstruktur aus formellen und informellen Zusammenkünften des nun permanenten Rats, um verschiedene Arten vertraulicher Kommunikation und der Entscheidungsvorbereitung zu etablieren bzw. um sich über Fragen allgemeiner Natur auszutauschen. Später sollte Informalität eine wichtige Rolle bei der Lösung komplexer Probleme der Allianz spielen, z. B. im International StaffInternational Staff (IS, NATO) (Mayer und Theiler 2014).