Die neuen Leiden des jungen W - Ulrich Plenzdorf - E-Book

Die neuen Leiden des jungen W E-Book

Ulrich Plenzdorf

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Beschreibung

»Die ›neuen‹ Leiden des jungen W. sind die alten: Liebe, die als Eifersucht schmerzt, gestörtes Verhältnis zur Mitwelt, das als verletzter Ehrgeiz quält. Auch Werther 1972 liebt eine verlobte, später verheiratete Frau namens Charlotte, die er nicht wie sein Vorgänger Lotte, sondern ›Charlie‹ nennt« Rolf Michaelis, Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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»Die ›neuen‹ Leiden des jungen W. sind die alten: Liebe, die als Eifersucht schmerzt, gestörtes Verhältnis zur Mitwelt, das als verletzter Ehrgeiz quält. Auch Werther 1972 liebt eine verlobte, später verheiratete Frau namens Charlotte, die er nicht wie sein Vorgänger Lotte, sondern ›Charlie‹ nennt. Die erstaunliche Meisterschaft des Autors, dessen Begabung für die Darstellung gebrochener jugendlicher Helden sich ausspricht, zeigt sich in der Leichtigkeit, mit der er die beiden Komplexe Liebe–Politik, Einzelner–Gesellschaft miteinander vernäht.«

Rolf Michaelis, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ulrich Plenzdorf wurde 1934 in Berlin geboren und starb im August 2007. In Leipzig studierte er Philosophie, später absolvierte er die Filmhochschule und arbeitete danach als Szenarist im DEFA-Studio. Neben der Prosa, neben Gedichten und Songs, Hörspielen und Drehbüchern haben auch seine Theaterstücke international starke Beachtung gefunden. Als suhrkamp taschenbuch liegen von ihm außerdem Die Legende von Paul und Paula (st 173), Legendevom Glück ohne Ende (st 722) und kein runter kein fern (st 1078) vor.

Ulrich Plenzdorf

Die neuen Leidendes jungen W.

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 57. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 300.

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1978

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Umschlagfoto: Umschlagfoto: Roger Melis

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73940-2

www.suhrkamp.de

Notiz in der »Berliner Zeitung«vom 26. Dezember:

Am Abend des 24. Dezember wurde der Jugendliche Edgar W. in einer Wohnlaube der Kolonie Paradies II im Stadtbezirk Lichtenberg schwer verletzt aufgefunden. Wie die Ermittlungen der Volkspolizei ergaben, war Edgar W., der sich seit längerer Zeit unangemeldet in der auf Abriß stehenden Laube aufhielt, bei Basteleien unsachgemäß mit elektrischem Strom umgegangen.

Anzeige in der »Berliner Zeitung«vom 30. Dezember:

Ein Unfall beendet am 24. Dezember das Leben unseres jungen Kollegen

Edgar Wibeau

Er hatte noch viel vor!

VEB WIK Berlin

AGLLeiterFDJ

Anzeigen in der »Volkswacht« Frankfurt/O. vom 31. Dezember:

Völlig unerwartet riß ein tragischer Unfall unseren unvergessenen Jugendfreund

Edgar Wibeau

aus dem Leben.

VEB (K) Hydraulik Mittenberg

BerufsschuleLeiterFDJ

Für mich noch unfaßbar erlag am 24. Dezember mein lieber Sohn

Edgar Wibeau

den Folgen eines tragischen Unfalls.

Else Wibeau

»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«

»Im September. Ende September. Am Abend bevor er wegging.«

»Hast du nie an eine Fahndung gedacht?«

»Wenn mir einer Vorwürfe machen kann, dann nicht du! Nicht ein Mann, der sich jahrelang um seinen Sohn nur per Postkarte gekümmert hat!«

»Entschuldige! – War es nicht dein Wunsch so, bei meinem Lebenswandel?!«

»Das ist wieder deine alte Ironie! – Nicht zur Polizei zu gehen war vielleicht das einzig Richtige, was ich gemacht hab. Selbst das war schließlich falsch. Aber zuerst war ich einfach fertig mit ihm. Er hatte mich in eine unmögliche Situation gebracht an der Berufsschule und im Werk. Der Sohn der Leiterin, bis dato der beste Lehrling, Durchschnitt eins Komma eins, entpuppt sich als Rowdy! Schmeißt die Lehre! Rennt von zu Hause weg! Ich meine …! Und dann kamen ziemlich schnell und regelmäßig Nachrichten von ihm. Nicht an mich. Bewahre. An seinen Kumpel Willi. Auf Tonband. Merkwürdige Texte. So geschwollen. Schließlich ließ sie mich dieser Willi anhören, die Sache wurde ihm selber unheimlich. Wo Edgar war, nämlich in Berlin, wollte er mir zunächst nicht sagen. Aus den Tonbändern wurde jedenfalls kein Mensch schlau. Immerhin ging so viel daraus hervor, daß Edgar gesund war, sogar arbeitete, also nicht gammelte. Später kam ein Mädchen vor, mit der es dann aber auseinanderging. Sie heiratete! Solange ich ihn hier hatte, hat er nichts mit Mädchen gehabt. Aber es war doch kein Fall für die Polizei!«

Stop mal, stop! – Das ist natürlich Humbug. Ich hatte ganz schön was mit Mädchen. Zum erstenmal mit vierzehn. Jetzt kann ich’s ja sagen. Man hatte so allerhand Zeug gehört, aber nichts Bestimmtes. Da wollte ich’s endlich genau wissen, das war so meine Art. Sie hieß Sylvia. Sie war ungefähr drei Jahre älter als ich. Ich brauchte knapp sechzig Minuten, um sie rumzukriegen. Ich finde, das war eine gute Zeit für mein Alter, und wenn man bedenkt, daß ich noch nicht meinen vollen Charme hatte und nicht dieses ausgeprägte Kinn. Ich sag das nicht, um anzugeben, sondern daß sich keiner ein falsches Bild macht, Leute. Ein Jahr später klärte mich Mutter auf. Sie rackerte sich ganz schön ab. Ich Idiot hätte mich beölen können, aber ich machte Pfötchen wie immer. Ich glaube, das war eine Sauerei.

»Wieso entpuppte er sich als Rowdy?!«

»Er hat seinem Ausbilder den Zeh gebrochen.« – »Den Zeh?«

»Er hat ihm eine schwere Eisenplatte auf den Fuß geworfen, eine Grundplatte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich meine …!«

»Einfach so?«

»Ich war nicht dabei, aber der Kollege Flemming sagte mir – das ist der Ausbilder, ein erfahrener und alter Ausbilder, zuverlässig –, daß es so war: Er verteilt morgens in der Werkstatt die Werkstücke, ebendiese Grundplatten zum Feilen. Und die Burschen feilen auch, und beim Nachmessen fällt ihm auf, Edgars Nachbar, Willi, hat da eine Platte fertig, aber die hat er nicht gefeilt, die war aus dem Automaten. In der Produktion werden die Grundplatten natürlich automatisch gefertigt. Der Junge hat sie sich besorgt und zeigt sie jetzt vor. Sie ist natürlich genau bis auf ein Hundertstel. Er sagt ihm das: Die ist aus dem Automaten.

Willi: Aus was für einem Automaten?

Flemming: Aus dem Automaten in Halle zwei.

Willi: Ach, da steht ein Automat?! – Das kann ich doch gar nicht wissen, Meister. In der Halle waren wir zum letzten Mal, als wir anfingen mit der Lehre, und da hielten wir die Dinger noch für Eierlegemaschinen. Und das war dann Edgars Stichwort, das war natürlich alles vorher abgemacht: Also nehmen wir mal an, da steht ein Automat. Kann ja sein. Da fragt man sich doch, warum wir dann die Grundplatten mit der Feile zurechtschruppen müssen. Und das im dritten Lehrjahr.«

Gesagt hab ich das. Das stimmt. Aber aus dem Hut. Abgemacht war überhaupt nichts. Ich wußte, was Willi und die anderen vorhatten, wollte mich aber raushalten, wie immer.

»Flemming: Was hab ich euch gesagt, als ihr bei mir angefangen habt? – Ich hab euch gesagt: Hier habt ihr ein Stück Eisen! Wenn ihr aus dem eine Uhr machen könnt, habt ihr ausgelernt. Nicht früher und nicht später.

Das ist so sein Wahlspruch.

Und Edgar: Aber Uhrmacher wollten wir eigentlich schon damals nicht werden.«

Das wollte ich Flemming schon lange mal sagen. Das war nämlich nicht nur sein blöder Wahlspruch, das war seine ganze Einstellung aus dem Mittelalter: Manufakturperiode. Bis da hatt ich’s mir immer verkniffen.

»Und anschließend warf ihm Edgar dann diese Grundplatte auf den Fuß und mit dermaßen Kraft, daß ein Zeh brach. Ich war wie vom Donner gerührt. Ich wollte das erst nicht glauben.«

Stimmt alles. Bis auf zwei Kleinigkeiten. Erstens hab ich die Platte nicht geworfen. Das brauchte ich nicht. Diese Platten waren auch so schwer genug, einen ollen Zeh oder was zu brechen, einfach durch ihre Masse. Ich brauchte sie bloß fallen zu lassen. Was ich denn auch machte. Und zweitens ließ ich sie nicht anschließend fallen, sondern erst sagte Flemming noch einen kleinen Satz, nämlich er tobte los: Von dir hätte ich das am allerwenigsten erwartet, Wiebau!

Da setzte es bei mir aus. Da ließ ich die Platte fallen. Wie das klingt: Edgar Wiebau! – Aber Edgar Wibeau! Kein Aas sagt ja auch Nivau statt Niveau. Ich meine, jeder Mensch hat schließlich das Recht, mit seinem richtigen Namen richtig angeredet zu werden. Wenn einer keinen Wert darauf legt – seine Sache. Aber ich lege nun mal Wert darauf. Das ging schon jahrelang so. Mutter ließ sich das egal weg gefallen, mit Wiebau angeredet zu werden. Sie war der Meinung, das hätte sich nun mal so eingebürgert, und sie wär nicht gestorben davon und überhaupt, alles, was sie im Werk geworden ist, ist sie unter dem Namen Wiebau geworden. Und natürlich hieß unsereins dann auch Wiebau! Was ist denn mit Wibeau? Wenn’s Hitler wär oder Himmler! Das wär echt säuisch! Aber so? Wibeau ist ein alter Hugenottenname, na und? – Trotzdem war das natürlich kein Grund, olle Flemming die olle Platte auf seinen ollen Zeh zu setzen. Das war eine echte Sauerei. Mir war gleich klar, daß jetzt kein Schwein mehr über die Ausbildung reden würde, sondern bloß noch über die Platte und den Zeh. Manchmal war mir eben plötzlich heiß und schwindlig, und dann machte ich was, von dem ich nachher nicht mehr wußte, was es war. Das war mein Hugenottenblut, oder ich hatte einen zu hohen Blutdruck. Zu hohen Hugenottenblutdruck.

»Du meinst, Edgar hat einfach die Konsequenz der Sache gescheut und ist deshalb weg?«

»Ja. Was sonst?«

Ich will mal sagen: Besonders scharf war ich auf das Nachspiel nicht. »Was sagt der Jugendfreund Edgar Wiebau (!) zu seinem Verhalten zu Meister Flemming?« Leute! Ich hätt mir doch lieber sonstwas abgebissen, als irgendwas zu sülzen von: Ich sehe ein … Ich werde in Zukunft …, verpflichte mich hiermit … und so weiter! Ich hatte was gegen Selbstkritik, ich meine: gegen öffentliche. Das ist irgendwie entwürdigend. Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Ich finde, man muß dem Menschen seinen Stolz lassen. Genauso mit diesem Vorbild. Alle forzlang kommt doch einer und will hören, ob man ein Vorbild hat und welches, oder man muß in der Woche drei Aufsätze darüber schreiben. Kann schon sein, ich hab eins, aber ich stell mich doch nicht auf den Markt damit. Einmal hab ich geschrieben: Mein größtes Vorbild ist Edgar Wibeau. Ich möchte so werden, wie er mal wird. Mehr nicht. Das heißt: Ich wollte es schreiben. Ich hab’s dann bleibenlassen, Leute. Dabei wäre der Aufsatz höchstens nicht gewertet worden. Kein Aas von Lehrer traute sich doch, mir eine Fünf oder was zu geben.

»Kannst du dich an sonst noch was erinnern?«

»An einen Streit natürlich? – Wir haben uns nie gestritten. Doch, einmal schmiß er sich vor Wut die Treppen runter, weil ich ihn irgendwohin nicht mitnehmen wollte. Da war er fünf, wenn du das meinst. – Trotzdem wird alles wohl meine Schuld sein.«

Das ist großer Quatsch! Hier hat niemand schuld, nur ich. Das wolln wir mal festhalten! – Edgar Wibeau hat die Lehre geschmissen und ist von zu Hause weg, weil er das schon lange vor-hatte. Er hat sich in Berlin als Anstreicher durchgeschlagen, hat seinen Spaß gehabt, hat Charlotte gehabt und hat beinah eine große Erfindung gemacht, weil er das so wollte!

Daß ich dabei über den Jordan ging, ist echter Mist. Aber wenn das einen tröstet: Ich hab nicht viel gemerkt. 380 Volt sind kein Scherz, Leute. Es ging ganz schnell. Ansonsten ist Bedauern jenseits des Jordan nicht üblich. Wir alle hier wissen, was uns blüht. Daß wir aufhören zu existieren, wenn ihr aufhört, an uns zu denken. Meine Chancen sind da wohl mau. Bin zu jung gewesen.

»Mein Name ist Wibeau.«

»Angenehm. – Lindner, Willi.«

Salute, Willi! Du warst zeitlebens mein bester Kumpel, tu mir jetzt einen Gefallen. Fang nicht auch an, in deiner Seele oder wo nach Schuld zu wühlen und so. Reiß dich zusammen.

»Es soll Tonbänder von Edgar geben, die er besprochen hat? Sind sie greifbar? Ich meine, kann ich sie hören?

Gelegentlich?«

»Ja. Das geht.«

Die Tonbänder:

kurz und gut / wilhelm / ich habe eine bekanntschaft gemacht / die mein herz näher angeht – einen engel – und doch bin ich nicht imstande / dir zu sagen / wie sie vollkommen ist / warum sie vollkommen ist / genug / sie hat allen meinen sinn gefangengenommen – ende nein / ich betrüge mich nicht – ich lese in ihren schwarzen augen wahre teilnehmung an mir und meinem schicksal – sie ist mir heilig – alle begier schweigt in ihrer gegenwart – ende

genug / wilhelm / der bräutigam ist da – glücklicherweise war ich nicht beim empfange – das hätte mir das herz zerrissen – ende

er will mir wohl / und ich vermute / das ist lottens werk / denn darin sind die weiber fein und haben recht / wenn sie zwei verehrer in gutem vernehmen miteinander erhalten können / ist der vorteil immer ihr / so selten es auch angeht – ende

das war eine nacht – wilhelm / nun überstehe ich alles – ich werde sie nicht wiedersehn – hier sitz ich und schnappe nach luft / suche mich zu beruhigen / erwarte den morgen / und mit sonnenaufgang sind die pferde

o meine freunde / warum der strom des genies so selten ausbricht / so selten in hohen fluten hereinbraust und eure staunende seele erschüttert – liebe freunde / da wohnen die gelassenen herren auf beiden seiten des ufers / denen ihre gartenhäuschen / tulpenbeete und krautfelder zugrunde gehen würden / die daher in zeiten mit dämmen und ableiten der künftig drohenden gefahr abzuwenden wissen – das alles / wilhelm / macht mich stumm – ich kehre in midi selbst zurück und finde eine welt – ende.

und daran seid ihr alle schuld / die ihr mich in das joch geschwatzt und mir so viel von aktivität vorgesungen habt – aktivität – ich habe meine entlassung verlangt – bringe das meiner mutter in einem säftchen bei – ende

»Verstehn Sie’s?«

»Nein. Nichts …«

Könnt ihr auch nicht. Kann keiner, nehme ich an. Ich hatte das aus dieser alten Schwarte oder Heft. Reclamheft. Ich kann nicht mal sagen, wie es hieß. Das olle Titelblatt ging flöten auf dem ollen Klo von Willis Laube. Das ganze Ding war in diesem unmöglichen Stil geschrieben.

»Ich denke manchmal – ein Code.«

»Für einen Code hat es zuviel Sinn. Ausgedacht hört es sich auch wieder nicht an.«

»Bei Ed wußte man nie. Der dachte sich noch ganz andere Sachen aus. Ganze Songs zum Beispiel. Text und Melodie! Irgendein Instrument, das er nach zwei Tagen nicht spielen konnte, gab’s überhaupt nicht. Oder nach einer Woche, von mir aus. Er konnte Rechenmaschinen aus Pappe baun, die funktionieren heute noch. Aber die meiste Zeit haben wir gemalt.«

»Edgar hat gemalt? – Was waren das für Bilder?«

»Immer DIN A 2.«

»Ich meine: was für Motive? Oder kann man welche sehen?«

»Nicht möglich. Die hatte er alle bei sich. Und ›Motive‹ kann man nicht sagen. Wir malten durchweg abstrakt. Eins hieß Physik. Und: Chemie. Oder: Hirn eines Mathematikers. Bloß, seine Mutter war dagegen. Ed sollte erst einen ›ordentlichen Beruf‹ haben. Ed hatte ziemlich viel Ärger deswegen, wenn Sie das interessiert. Aber am sauersten war er immer, wenn er rauskriegte, daß sie, also seine Mutter, mal wieder eine Karte von seinem Erzeuger …, ich meine: von seinem Vater …, ich meine: von Ihnen zurückgehalten hatte. Das kam hin und wieder vor. Dann war er immer ungeheuer sauer.«

Das stimmt. Das stank mich immer fast gar nicht an. Schließlich gab es immer noch so was wie ein Briefgeheimnis, und die Karten waren eindeutig an mich. An Herrn Edgar Wibeau, den ollen Hugenotten. Jeder Blöde hätte gemerkt, daß ich eben nichts wissen sollte über meinen Erzeuger, diesen Schlamper, der soff und der es ewig mit Weibern hatte. Der schwarze Mann von Mittenberg. Der mit seiner Malerei, die kein Mensch verstand, was natürlich allemal an der Malerei lag.

»Und deswegen ging Edgar weg, glauben Sie?«

»Ich weiß nicht … Jedenfalls, was die meisten denken, Ed ging weg wegen dieser Sache mit Flemming, das ist Quatsch. Warum er das gemacht hat, versteh ich zwar auch nicht. Ed hatte nichts auszustehen. Er war Chef in allen Fächern, ohne zu pauken. Und er hielt sich sonst immer aus allem raus. Ärger gab es bei uns öfter. Viele sagten: Muttersöhnchen. Natürlich nicht öffentlich. Ed war ein kleiner Stier. Oder er hätte es überhört. Beispielsweise das mit den Miniröcken. Die Weiber, ich meine: die Mädchen aus unserer Klasse, sie konnten es nicht bleibenlassen, in diesen Miniröcken in der Werkstatt aufzukreuzen, zur Arbeit. Um den Ausbildern was zu zeigen. X-mal hatten sie das schon verboten. Das stank uns dann so an, daß wir mal, alle Jungs, eines Morgens in Miniröcken zur Arbeit antraten. Das war eine ziemliche Superschau. Ed hielt sich da raus. Das war ihm wohl auch zu albern.«