Die Nördliche Dimension der Europäischen Union unter Berücksichtigung der finnischen Perspektive - Ronald Zieger - E-Book

Die Nördliche Dimension der Europäischen Union unter Berücksichtigung der finnischen Perspektive E-Book

Ronald Zieger

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Politik - Thema: Europäische Union, Note: 1,1, Technische Universität Chemnitz (Lehrstuhl Internationale Beziehungen), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Initiative für eine Nördliche Dimension (ND) von 1997 war nicht nur der erste relevante außenpolitische Vorstoß Finnlands als EU-Mitglied, sondern wird darüber hinaus gleichsam als Referenzmodell seiner aktuellen Außenpolitik bewertet, mit dem die Finnen einerseits ihre nationalen Interessen innerhalb der Union wahren sowie andererseits aktiv an der Gestaltung europäischer Politik mitwirken wollen. Mit seiner Initiative stellte Finnland der EU eine übergreifende, konzeptionell dem Barcelona-Prozess ähnelnde Strategie in Aussicht, mit welcher die Interessen der Union in Nordeuropa identifiziert und ihre Handlungsfähigkeit in einer Region verbessert werden sollen, welche charakterisiert ist durch eine niedrige Bevölkerungsdichte, ein stark belastetes Ökosystem sowie ein ausgeprägtes ökonomisches Gefälle an der neuen EU-Außengrenze zu Russland. Als Partner orientierter Politikansatz bietet die ND außerdem ein multilaterales Kooperationsforum, mit dem EU-Grenzen überschreitend die wirtschaftliche und politische Kohäsion der nordeuropäischen Akteure bis hinunter zur subregionalen und lokalen Ebene gefördert werden und das ferner die neuen EU-Mitgliedern Lettland, Litauen, Estland und Polen bei der Aneignung der vielfältigen EU-Standards unterstützen soll. Diese Arbeit folgt primär zwei Perspektiven: Sie erforscht erstens, inwieweit sich die ND zu einem wirksamen Instrument entwickelt hat, das dem EU-Mitglied Finnland hinsichtlich der Anmeldung seiner nationalen Interessen nützen kann. Zweitens ergründet sie, inwieweit die auf Grundlage der finnischen Initiative in den vergangenen Jahren etablierte EU-Politik letztendlich einen Beitrag zur Stärkung der Position der Europäischen Union in Nordeuropa geleistet hat, bzw. in Zukunft leisten kann.

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Inhaltsverzeichnis
II Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Problematik
1.2 Fragestellung und Aufbau.
1.3 Forschungsstand und Relevanz
2 Die nordeuropäische Entwicklungsdynamik
2.2 Die Norddimension der Europäischen Union
2.2.1 Genese der EU-Präsenz in Nordeuropa.
2.2.2 EU-Politik in Nordeuropa
3 Finnische Interessen an der Nördlichen Dimension
3.1 Kontinuität und Wandel finnischer Außenpolitik
3.2 Vom Rand zum Kern - Finnland als EU-Mitglied.
4 Finnlands Initiative für die Nördliche Dimension
4.1 Hintergrund und Lancierung
4.2 Europäische Reaktionen - finnische Vermarktungsstrategien.
5 Die EU-Strategie der Nördlichen Dimension.
5.1 Rahmen und Charakter.
5.2 Entwicklung und Schwächen
5.3 Implementierung
5.3.1 Koordination und Kooperation.
5.3.2 Programme und Projekte
5.4 Tendenzen
6 Finnlands Rolle in der Nördlichen Dimension
6.1 Finnische Programme und Projekte
6.2 Die aktuelle Debatte und der anstehende EU-Vorsitz
7 Schlussbetrachtung
8 Bibliographie
8.1 Dokumente, Reden, Tabellen, Übersichten und Abbildungen
8.2 Monographien, Aufsätze und Zeitungsartikel.
9 Anhang

Page 1

Die Nördliche Dimension der Europäischen Union

unter Berücksichtigung der finnischen Perspektive

Magisterarbeit

Page 2

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen wurden, sind als solche gekennzeichnet.

Page 5

II Abkürzungsverzeichnis

AC Arctic Council AdR Ausschuss der Regionen AEPS Arctic Environmental Protection Strategy APR Annual Progress Report AP Action Plan B7 Baltic Sea Region Seven Largest Islands Co-operation B21 Baltic Agenda 21 BA BALTIC ASSEMBLY BCCA Baltic Chamber of Commerce Association BCM Baltic Council of Ministers BEAC Barents Euro-Arctic Council BEAR Barents Euro-Arctic Region BEARC Barents Euro-Arctic Regional Council BPO Baltic Ports Organisation BSC Baltic Sea Commission BSR Ostseeraum (Baltic Sea Region) BSSSC Baltic Sea States Sub-regional Co-operation BTC Baltic Sea Tourism Commission BUP Baltic University Programme CBSS Council of the Baltic Sea States CFSP Common Foreign and Security Policy CSR Committee of Senior Representatives EBRD European Bank for Reconstruction and Development EFTA European Free Trade Association EG Europäische Gemeinschaften EIB European Investment Bank EK Europäische Kommission ENP Europäische Nachbarschaftspolitik ENPI Europäisches Nachbarschafts- and Partnerschaftsinstrument EPINE Northern Europe Program EU Europäische Union EWR Europäischer Wirtschaftsraum

Page 6

FIIA Finnish Institute for International Affairs GAP Gemeinsame Agrarpolitik GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GD Generaldirektion GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten IMF Internationaler Währungsfond INTERREG Inter Regional ISPA Instrument for Structural Policies for Pre-Accession ITWG International Temporary Working Group MEP Mitglied des Europäischen Parlamentes MNEPR Multilateral Nuclear and Environment Programme in Russia NAFTA North American Free Trade Area NATO North Atlantic Treaty Organisation NC Nordic Council NCM Nordic Council of Ministers ND Nördliche Dimension NDEP Northern Dimension Environmental Partnership NDIS Northern Dimension Information System NDN Northern Dimension Advisory Network NDPPS Northern Dimension Partnership in Public Health and Social Wellbeing NeDAP Northern eDimension Action Plan NEFCO Nordic Environmental Finance Corporation NEI Northern European Initiative NGO Non-Governmental Organisation NIB Nordische Investitionsbank NNDWG National Northern Dimension Working Group NOC Nuclear Operating Committee NTA New Transatlantic Agenda OECD Organisation for Economic Cooperation and Development PAC Partnership Annual Conference PHARE Pologne, Hongrie: Assistance à la reconstruction économique PKA Partnerschafts- und Kooperationsabkommen

Page 7

RGW Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe RP Ratspräsidentschaft SAPARD Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development SITRA Suomen Itsenäisyyden Juhlarahasto (Finnish National Fund for Research and Development) SOIS Senior Officials for the Information Society SOM Senior Officials' Meeting TACIS Technical Assistance for the Commonwealth of Independent States TEMPUS Trans-European Mobility Scheme for University Students TF-CDC Task Force on Communicable Disease Control in the Baltic Sea Region UBC Union of the Baltic Cities UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UNAIDS Joint United Nations Programme On AIDS/HIV WB Weltbank WHO World Health Organisation

Page 8

1 Einleitung

1.1 Einführung in die Problematik

Am 1. Januar 1995 trat Finnland zusammen mit Schweden und Österreich der Europäischen Union (EU) bei. Die EU, bis dahin überwiegend ein Ensemble west-, mittel- und südeuropäischer Staaten, sah sich im Zuge dieser beträchtlichen Ausdehnung nach Norden vor eine Anzahl neuer Implikationen gestellt, wie allein ein Blick auf die geographischen Daten verdeutlicht: Während das Territorium der EU um ein Drittel wuchs, stieg die Zahl ihrer Bevölkerung lediglich um wenig mehr als vier Prozent.1Die wegen des harschen Klimas schwierigen Anbaubedingungen in den Beitrittsländern erforderten bspw. spezielle Anpassungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Signifikanter noch sind die Herausforderungen, die sich aus der vorerst dauerhaften 1300 Kilometer langen Grenze zu ihrem neuen Nachbarn Russland ergeben und die u.a. eine Anzahl an potentiellen Risiken für die gesamte Union nach sich ziehen.2Gleichwohl gewann die EU mit der Aufnahme Finnlands und Schwedens zwei hoch entwickelte Marktwirtschaften als Mitglieder, die mit ihren "nordischen Werten"3wie dem Wohlfahrtstaat oder der Geschlechtergleichstellung das Gewicht der Europäischen Union als Wertegemeinschaft stärken. Die Finnen hatten, um am europäischen Integrationsprozess teilnehmen zu können, ihre Außenpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes einer umfassenden Revision unterzogen sowie naturgemäß den Acquis communautaire der EU übernommen.4Helsinki war darüber hinaus bislang bemüht, sich nicht nur auf die Aneignung von EU-Bestimmungen zu beschränken, sondern gleichfalls aktiv an der Gestaltung europäischer Politik mitzuwirken. Genährt wird das finnische Engagement nicht zuletzt von der Auffassung, andernfalls als vergleichsweise unbedeutender Akteur an der EU-Peripherie seine nationalen Interessen innerhalb der Union nicht

1Eine Übersicht zu den geographischen und demographischen Daten der 1995er EU-Erweiterung findet sich unter: EUR-Lex: Opinion of the Committee of the Regions on 'The Northern Dimension of the European Union and Cross-Border Cooperation on the Border between the European Union and the Russian Federation and in the Barents Region', unter: http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/en/celex/1996/5IR/51996IR0010en.html, 12.01.2006.

2Vgl. Vadim Kononenko (2004): What's New About Today's EU-Russian Border, Working Papers, Nr. 50 (Finnish Institute of International Affairs), Helsinki, S. 2ff.

3Esko Antola (1999): The Presence of the European Union in the North, in: Hiski Haukkala (Hrsg.): Dynamic Aspects of the Northern Dimension, Turku, S. 120, Übers. d. Verf.

4Vgl. Jouku Huru (1995): Finland at the Gates of the European Security Community, in: Clive Archer und Olli-Pekka Jalonen (Hrsg.): Changing European Security Landscape, Research Report, Nr. 63 (Tampere Peace Research Institute), Tampere, S. 87ff.

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hinreichend gewahrt zu wissen.5Finnlands Initiative für die Nördliche Dimension (ND) von 1997, sein erster und bis heute wesentlichster außenpolitischer Vorstoß als EU-Mitglied, war unter diesen Gesichtspunkten ein Versuch, seine Interessen und Politiken mit denen der Union in Einklang zu bringen6und wird gleichzeitig als Inbegriff finnischer Außenpolitik nach dem Kalten Krieg bewertet.7Mit ihrer Initiative stellte die finnische Regierung der EU eine übergreifende Strategie in Aussicht, mit welcher die Interessen der Union in Nordeuropa identifiziert sowie ihre regionale Handlungsfähigkeit verbessert werden sollten.81998 nahm die Union die finnische Anregung in ihre Agenda auf. Seit Dezember 1999 gehört die Nördliche Dimension zu den regionalen Rahmenpolitiken der EU. Bis heute sind zwei zeitlich begrenzte Action Plans verabschiedet worden; der zweite wird Ende 2006 auslaufen. Konzeptionell mit dem "Barcelona-Prozess"9vergleichbar, erstreckt sich der geographische Kontext der ND über den gesamten Ostseeraum bis hinein in die arktische Region und Nordwestrussland.10Als Partner orientierte Politik soll sie dazu beitragen, EU-Grenzen überschreitend die wirtschaftliche und politische Kohäsion der nordeuropäischen Akteure bis hinunter zur subregionalen und lokalen Ebene zu fördern.11Die ND ist außerdem ein innovativer Ansatz, der langfristig zur Überwindung der relativ bürokratischen Konzipierung der EU und ihrer Instrumente beitragen kann und versucht, regionale Organe und Finanzinstitutionen einzubinden. Ferner soll die Nördliche Dimension den EU-Erweiterungsprozess um die baltischen Staaten

5Vgl. Christopher S. Browning (2001): The Construction of Europe in the Northern Dimension, o. S., unter: http://www.ciaonet.org/wps/brc02/brc02.pdf, 12.08.2005.

6Vgl. Jennifer Novack (2002): An argument for the benefits of coordinating EU policies with preexisting policies for cooperation in Northern Europe: Lessons from the Finnish and Swedish approaches to the Northern Dimension Initiative, in: Teresa Pohjola and Johanna Rainio (Hrsg.): The New North of Europe. Policy Memos, Helsinki/Berlin, S. 83.

7Vgl. Juha Jokela (2002): The increasing role of NATO should not undermine the importance of the European Union's Northern Dimension for Finland, in: Teresa Pohjola and Johanna Rainio (Hrsg.): The New North of Europe. Policy Memos, Helsinki/Berlin, S. 48.

8Vgl. Pertti Joenniemi (2002): Can Europe be told from the North? Tapping into the EU's Northern Dimension, o. S., unter: http://www.ciaonet.org/wps/jop09/jop09.pdf, 10.10.2005.

9Der auf eine spanische Initiative zurückgehende Barcelona-Prozess (auch "Euro-Mediterrane Partnerschaft") ist das regionale Gefüge, in dem die Union ihre politischen, ökonomischen, sozialen sowie kulturellen Beziehungen mit den Mittelmeerstaaten dirigiert. Im Jahre 1995 mit der Deklaration von Barcelona eingeleitet, gilt die Schaffung einer euro-mediterranen Freihandelszone bis 2010 als wichtigstes Ziel. Finanziert wird diese EU-Strategie über das MEDA-Programm. Vgl. Ana Palacio Vallelersundi (2004): The Barcelona Process. A Euro-Mediterranean North-South Partnership, in: The Georgetown Journal of International Affairs, Heft 4.1, Washington DC, S. 146ff.

10Vgl. Kari Alho (2000): Economic Developments and Interrelationships within the Northern Dimension, in: Kari Alho (Hrsg.): Economics of the Northern Dimension, Helsinki, S. 27.

11Vgl. Bjørn Olav Knutsen (2000): The Nordic Dimension in the Evolving European Security Structure and the Role of Norway, Occasional Papers 22 (Institute for Security Studies. Western European Union), Paris, S. 6.

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und Polen12unterstützen sowie darüber hinaus ein neues multilaterales Kooperati-onsforum bieten, mit dem die Partnerstaaten Island, Norwegen und vor allem Russland besser in die Architektur der EU integriert werden können.13

Seit ihrer 1995er Norderweiterung manifestiert sich die Europäische Union in einem Raum, der nach wie vor von erheblichen strukturellen Differenzen geprägt ist und in dessen östlichem Teil seit dem Ende des Ost-West-Konflikts tief greifende Transformationsprozesse ablaufen. So haben sich in Nordeuropa von der EU teilweise unabhängig zahlreiche neue Formen sowohl zwischenstaatlicher als auch subnationaler und lokaler Zusammenarbeit herausgebildet, von denen die beiden wichtigsten auf die Initiative zur Gründung des Council of the Baltic Sea States (CBSS) bzw. des Barents Euro-Arctic Council (BEAC) zurückgehen. Die in der Folgezeit auf Grundlage dieser Organe konstituierten Subregionen14Baltic Sea Region (BSR)15und Barents Euro-Arctic Region (BEAR) bilden traditionelle Grenzen überwindende Räume, die die Förderung von Interdependenz und Integration auf allen Kooperationsebenen begünstigen. Nicht zuletzt dadurch konnte das einstmals zwischen den beiden Blöcken bestehende Spannungspotential des Kalten Krieges weitestgehend abgebaut werden.

Diese Tendenzen sind ferner symptomatisch für die bis auf die Katastrophe der beiden Weltkriege zurückgehende Erkenntnis, dass die ökonomische, politische und soziale Stabilität Europas allein von Nationalstaaten nicht ausreichend gesichert werden kann.16Gleichzeitig ist mit der Marginalisierung "harter", militärischer Sicherheitsrisiken das Bewusstsein für "weiche" Gefahren gewachsen, wie sie von

12Polen sowie Lettland und Litauen gelten gemeinhin als ost-, bzw. mitteleuropäische Länder, werden jedoch dem Kontext der Nördlichen Dimension zugeordnet. An dieser Anschauung orientiert sich auch die vorliegende Arbeit.

13Vgl. Mette Sicard Filtenborg, Stefan Gänzle und Elisabeth Johansson (2002): An Alternative Theoretical Approach to EU Foreign Policy. 'Network Governance' and the Case of the Northern Dimension Initiative, in: Cooperation and Conflict, Jg. 37, Heft 4, London, S. 397.

14In der Literatur besteht keine klare terminologische Bestimmung einer solchen räumlichen Einheit. Gleichfalls Verwendung finden die Begriffe "Makroregion", "Mesoregion", "grenzüberschreitende Transregion" etc. Nach Hubel und Gänzle kennzeichnet der "Begriff der Subregion [...] die - auf Kriterien der Funktionalität bzw. Homogenität eines politischen, geographischen, kulturellen oder sozioökonomischen Raumes beruhende - Zuordnung dieser Ebene zu einem übergeordneten 'Ganzen'". Helmut Hubel und Stefan Gänzle (2002): Der Ostseerat: Neue Funktionen subregionaler Zusammenarbeit im Kontext der EU-Osterweiterung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft B19-20, Bonn, S. 4.

15Die Begriffe Ostseeraum und Baltic Sea Region werden in der Arbeit synonym verwendet. Dasselbe gilt für die Bezeichnungen Ostseerat und Council of the Baltic Sea States.

16Nichtsdestoweniger werden die Nationalstaaten vorerst noch die wichtigsten geopolitischen Akteure bleiben. Vgl. James W. Scott (2004): The Northern Dimension. 'Multiscalar' regionalism in an enlarging European Union, in: Olivier Kramsch and Barbara Hooper (Hrsg.): Cross Border Governance in the European Union, London, S. 137.

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Umweltkatastrophen, Wirtschaftskrisen, ethnischen Konflikten aber auch Organisierter Kriminalität ausgehen können.17

Die Nördliche Dimension, die ebenso als eine Antwort auf den Wandel der europäischen Verhältnisse seit 1989 aufgefasst werden kann,18entspricht genau diesen Denkansätzen und bietet mit ihrem Ansatz der grenzüberschreitenden Verzahnung regionaler Politiken ein Mittel zur friedlichen Einigung Europas.19Gleichzeitig ist sie eine Strategie der Europäischen Union, mit der diese das durchaus realpolitische Ziel verfolgt, ihren seit den letzten beiden Erweiterungsrunden sprunghaft gestiegenen politischen Einfluss im nordeuropäischen Raum zu untermauern und auszubauen.20

1.2 Fragestellung und Aufbau

Haukkala hat fünf verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der Nördlichen Dimension entschlüsselt.21Die erste hat ihren Ursprung in den EU-Beitrittsverhandlungen der skandinavischen Staaten und betont vor allem die Bürden für die Agrar- und Regionalpolitik der Union, die sich aus der Aufnahme dieser Länder für die EU ergeben. Die zweite bezieht sich ausschließlich auf den "nördlichen Norden"22, d.h. die arktische Region, und unterstreicht dessen Ressourcenreichtum, widmet sich jedoch zugleich dem fragilen Ökosystem dieser nördlichsten Gebiete. Die dritte setzt sich mit jenen sich teilweise überlappenden EU-Politiken auseinander, die für Nordeuropa und insbesondere für die nördlichen Mitgliedstaaten

171997 präzisierte der damalige dänische Außenminister Niels Helveg Petersen: "During the Cold War security policy was mainly of a military nature and related to territorial defence - 'hard' security. Today questions related to 'soft' security have become increasingly important. It is evident that challenges of 'soft' security could not be addressed by military means. They require political and economic cooperation - and commitment." Zitiert nach: Clive Archer (2001): The Northern Dimension as a soft-Soft Option for the Baltic States' Security, in: Hanna Ojanen (Hrsg.): The Northern Dimension. Fuel for the EU?, Helsinki/Berlin, S. 191.

18Vgl. Esa Stenberg (2004): Action Plan for the Northern Dimension. From a European Union Initiative on Concrete Programmes and Projects, S. 5, unter: http://formin.finland.fi/doc/eng/ services/publicat/nden.pdf, 13.12.2005.

19Vgl. Lassi Heininen (2001): Ideas and Outcomes: Finding a Concrete Form for the Northern Dimension Initiative, in: Hanna Ojanen (Hrsg.): The Northern Dimension: Fuel for the EU?, Helsinki/Berlin, S. 40.

20Vgl. Pami Aalto (2004): European Integration and the Declining Project of Building a Baltic Sea Region, in: Jan Hecker-Stampehl u.a. (Hrsg.): Perceptions of Loss, Decline, and Doom in the Baltic Sea Area, Untergangsvorstellungen im Ostseeraum, Berlin, S. 170.

21Vgl. Hiski Haukkala (1999): Introduction, in: Hiski Haukkala (Hrsg.): Dynamic Aspects of the Northern Dimension, Turku, S. 10f.

22Vgl. ebd., S. 10, Übers. d. Verf.

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(MS) der Union bedeutsam sind. Die Nördliche Dimension wird in diesem Sinne als ein Dachbegriff für bestimmte Strategien, Finanzinstrumente sowie separate Organisationen und Initiativen betrachtet. Die vierte sieht Nordeuropa als einen Teil des "Europas der Regionen". Die fünfte interpretiert die ND schließlich als ein Instrument der finnischen Regierung, mit dem die nationalen Interessen in Finnlands Nachbarschaft besser vertreten werden sollen.

In der vorliegenden Arbeit wird beabsichtigt, die Problematik der Nördlichen Dimension gemäß der dritten Interpretation unter besonderer Berücksichtigung der fünften Sichtweise zu betrachten. Eine ausschließliche Konzentration auf den finnischen Standpunkt wäre der Qualität der Analyse allein deswegen abträglich, weil die Nördliche Dimension von Anfang an weit mehr gewesen ist als die geopolitische Vision eines einzigen EU-Landes.23Gleichwohl soll vorzugsweise untersucht werden, inwieweit die seit dem Jahr 2000 implementierte EU-Politik jene Erwartungen erfüllt, die Finnland im Rahmen seines 1997er Vorschlages artikuliert hat. Dies impliziert die Beantwortung der folgenden beiden Fragen:

1. Bieten die Initiative für die Nördliche Dimension sowie die daraus resultierende EU-Politik ein wirksames Instrument für Finnland, seine Interessen als Mitglied der Europäischen Union anzumelden?

2. Hat die auf Grundlage der finnischen Initiative etablierte EU-Politik letztlich einen Beitrag zur Stärkung und Gestaltung der Position der Europäischen Union in Nordeuropa leisten können?

In der Tat ist, wie im Verlauf der Arbeit deutlich werden soll, Helsinkis Engagement auch nach der offiziellen Aufnahme der Initiative in die EU-Agenda maßgeblich für die Förderung der ND gewesen.24Als Mitglied der Europäischen Union stehen Finnland dazu verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung: Neben formellen und informellen Konsultationen auf EU-Ebene oder aber der Organisation von Konferenzen nehmen in diesem Zusammenhang die Ratspräsidentschaften eine herausragende Rolle ein.25Seit seinem Beitritt zur Union hat Finnland den Vorsitz des

23Vgl. James W. Scott (2004), S. 135.

24Vgl. Nicola Catellani (2001): Short and long-term Dynamics in the EU's Northern Dimension, o. S., unter: http://www.ciaonet.org/wps/can01/can01.pdf, 19.11.2005.

25Vgl. zum Status der Präsidentschaften: Ines Hartwig und Gaby Umbach (2004): Rat der EU, in: Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration, S. 317f.

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Ministerrates erst einmal, in der zweiten Hälfte des Jahres 1999, übernommen. Die Nördliche Dimension, ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht implementiertes Konzept, ist damals eine wichtige Komponente des finnischen Arbeitsprogramms für die Präsidentschaft gewesen und war in einer von den Finnen eigens initiierten internationalen Konferenz in Helsinki im November 1999 thematisiert worden.26Von Juli bis Dezember 2006 wird Finnland dem Rat zum zweiten Mal vorsitzen, und aus verschiedenen Verlautbarungen zeichnet sich inzwischen ab, dass die qualitative Weiterentwicklung der ND erneut ein wichtiges Objekt seiner Präsidentschaft sein wird.

Bevor diese die Zukunft betreffenden Zusammenhänge besprochen werden können, ist es jedoch notwendig, sowohl die Voraussetzungen für die EU-Politik der Nördlichen Dimension aufzubereiten als auch ihre Entwicklung nachzuzeichnen. Dazu soll in Abschnitt 2.1 ein Überblick über die regionale Kooperation in Nordeuropa vor dem Beginn des ND-Prozesses gegeben werden. Nach einer kurzen Betrachtung der "Nordic Balance" des Kalten Krieges wird sich das Hauptaugenmerk zunächst auf die in den frühen 1990er Jahren betriebene Neukonfiguration des nordeuropäischen Raumes richten. Für das Verständnis der Nördlichen Dimension sind diese Schwerpunkte insofern essentiell, als dass die EU für sie keine neuen Institutionen einrichtete. Vielmehr wird die Strategie über das bereits bestehende Netz an regionalen Foren und Gremien in Nordeuropa implementiert. Dabei stützt sich die Nördliche Dimension neben den EU-Instrumenten auf die in den frühen 1990ern gegründeten Organe sowie die Institutionen traditioneller nordischer Kooperation.27Unter 2.2 sollen anschließend der Fokus der Betrachtung auf die Genese der EU-Präsenz in der Region gerichtet und ferner ihre drei wichtigsten Politikfelder dargestellt werden.

Kapitel 3 widmet sich zunächst jenen Eigenheiten finnischer Außenpolitik, die sich aus seiner geopolitischen Lage ergeben. In 3.1 stehen dabei jene im Zuge der Zäsur der Jahre 1989/91 vorgenommenen Anpassungen an die neuen Prämissen im Mittelpunkt, die ihren sichtbarsten Ausdruck in der EU-Mitgliedschaft des vormals neutralen Landes fanden. Darauf aufbauend wird sich Abschnitt 3.2 mit den Kernaspekten finnischer Außenpolitik seit dem EU-Beitritt befassen. Grundsätzlich

26Vgl. Summary of the Programme for the Finnish EU Presidency (1999), unter: http://presiden-cy.finland.fi/agenda.html, 05.01.2006.

27Vgl. Hiski Haukkala (1999): The Northern Dimension and the Baltic Sea Region in the Light of the new Regionalism, in: Hiski Haukkala (Hrsg.): Dynamic Aspects of the Northern Dimension, Turku, S. 86.

Page 14

herausgearbeitet werden sollen in diesem Kapitel Finnlands Gründe für die Formulierung seiner Initiative.

In Kapitel 4 werden zunächst die Lancierung der Nördlichen Dimension sowie die Reaktionen der EU und der betroffenen Staaten analysiert. Anschließend wird der Weg der ND in die Politiken der EU nachgezeichnet und hierbei wiederum die finnische Handschrift gesondert berücksichtigt. Bei der Positionierung der ND in der EU-Agenda sowie ihrer anschließenden Übernahme in die Politiken der Union hatten die Finnen gewisse Anstrengungen leisten müssen, um ihre Initiative gegenüber den skeptischen Stimmen inner- und außerhalb der Europäischen Union durchsetzen zu können.28

Ausgehend von diesen Untersuchungen wird sich Kapitel 5 eingehender mit der Nördlichen Dimension auseinandersetzen und zunächst einen Überblick über ihren Rahmen und Charakter geben. Anschließend sollen anhand ihrer Entwicklung wesentliche Schwachpunkte dieser EU-Strategie aufgezeigt werden. Bevor die Tendenzen der ND besprochen werden, wird sich ein weiteres Unterkapitel mit der Umsetzung der Nördlichen Dimension beschäftigen. Einerseits zählt dazu die Schaffung von Kohärenzen und Synergien, die über eine optimierte Abstimmung der EU-Werkzeuge aufeinander sowie eine verbesserte Kooperation der Union mit den Partnerstaaten und regionalen Institutionen erreicht werden soll. Neben diesen technischen und politisch-institutionellen Anpassungen sind andererseits die im Rahmen der Nördlichen Dimension etablierten Projekte und Programme wie bspw. die "Northern Dimension Environmental Partnership" und die "Northern Dimension Partnership in Public Health and Social Wellbeing" von Belang. Kapitel 6 wird sich den nationalen Bemühungen Finnlands im Rahmen der Nördlichen Dimension widmen. Exemplarisch sollen hierbei die beiden wichtigsten finnischen ND-Foren, die "National Northern Dimension Working Group" und das "Northern Dimension Advisory Network" vorgestellt werden. Anschließend wird beabsichtigt, einen Überblick über die Trends in der aktuellen finnischen Debatte zu vermitteln. Im Mittelpunkt wird hierbei die anstehende finnische Ratspräsidentschaft stehen. Zur empirischen Unterfütterung dieser Analyse dient die Auswertung einer Befragung, die unter Wissenschaftlern durchgeführt wurde, welche sich mit der Nördlichen Dimension beschäftigen.

28Vgl. Børge Romsloe (2005): Finland and the case of a Northern Dimension for the EU: Inclusion by bargaining or arguing?, S. 3ff, unter: http://www.arena.uio.no/publications/working-papers 2005/papers/wp05_31.pdf, 13.01.2006.

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Zum Abschluss der Arbeit soll in Kapitel 7 eine Beantwortung der oben genannten Fragestellungen versucht und zu einem Resümee gefunden werden.

1.3 Forschungsstand und Relevanz

Mit der im September 1997 auf der "Barents Region Today Conference" formulierten Vision einer Nördlichen Dimension für die Europäische Union hat der finnische Regierungschef Paavo Lipponen einen Prozess in Gang gesetzt, dessen Entwicklung in den folgenden Jahren vor allem in Nordeuropa sowohl von den Medien als auch von der akademischen Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden ist.29Entsprechend ergiebig gestaltet sich das Angebot an zur Verfügung stehender Literatur über das frühe Stadium der Nördlichen Dimension. Ein Großteil dieser Arbeiten stammt aus Finnland, wo die Aussicht auf die ND besonders in den Jahren 1999 und 2000 zum Teil "unglaubliche Hoffnungen und Erwartungen"30geweckt hat. Demgegenüber lässt sich hinsichtlich der Menge an Publikationen nach der Lancierung des ersten Action Plans eine Zäsur feststellen, die bis heute anhält. So ist die Anzahl an Veröffentlichungen, die sich explizit mit der Nördlichen Dimension auseinandersetzen, seit 2001 stark zurückgegangen. Nach 2003 sind nur noch wenige Arbeiten erschienen, die sich explizit mit der Thematik der ND befassen. Zurückzuführen ist dieser Umstand, wie Haukkala anmerkt, zu guter Letzt auch darauf, dass das Werben für die EU-Politik weitaus größere Resonanzen erzeugt hat, als der Implementierungsprozess der komplizierten und multidimensionalen Strategie.31

Recht gut analysiert sind die Entstehungsgeschichte der Nördlichen Dimension sowie ihre Verankerung in der Europäischen Union. Insbesondere das aus der Zusammenarbeit zwischen dem Ulkopoliittinen Instituutti (Finnisches Institut für Internationale Politik, FIIA) und dem Berliner Institut für Europäische Politik

29Dazu bemerkt Wessels: "Beyond a small diplomatic circle of foreign policy actors lies a realm of public awareness and media attention which must be reached if an area is to become part of a collective responsibility." Wolfgang Wessels (2002): Introduction: The Northern Dimension as a challenging task, in: Gianni Bonvicini, Tapani Vaahtoranta und Wolfgang Wessels (Hrsg.): The Northern EU. National Views on the Emerging Security Dimension, Helsinki/Berlin, S. 21.

30Hiski Haukkala (2002): The Role of the Northern Dimension in Tackling the Challenges of a Growing EU Presence in Northern Europe, S. 7, unter: http://www.gcsp.ch/E/publications/Issues_ Institutions/Europe/Occ_Papers/36-Haukkala.pdf, 25.08.2005, Übers. d. Verf.

31Vgl. Hiski Haukkala (2004): Where have all the flowers gone?, in: Northern Dimension in the Changing Europe. Collection of the Writer of the Month Columns, S. 26.