Die Pest in Salzburg - Leopold Öhler - E-Book

Die Pest in Salzburg E-Book

Leopold Öhler

4,9

Beschreibung

Der Arzt und Historiker Leopold Öhler schildert die "laidige Contagion", wie die Pest auch genannt wurde, er erzählt vom Alltag während der Pestzeit, den Schwierigkeiten bei der Lebensmittelbeschaffung, der medizinischen Versorgung und den menschlichen Tragödien. Diese Katastrophe hat die damalige Gesellschaft nachhaltig geprägt, und viele Spuren sind bis heute sichtbar - so gibt es auf vielen Friedhöfen Gedenksäulen, die dem heiligen Sebastian und dem heiligen Rochus gewidmet wurden. Erstaunlich ist, dass wichtige Einrichtungen unseres heutigen Gesundheitswesens aus der Pestzeit stammen - das Gesundheitsamt oder das Epidemiegesetz, das Isolierung, Quarantäne, Raumdesinfektion oder Absperrung ganzer Gebiete regelt. Ein Buch über ein dunkles Kapitel in der Geschichte Salzburgs mit vielen erhellenden Informationen.

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2013 Verlag Anton Pustet

5020 Salzburg, Bergstraße 12

Sämtliche Rechte vorbehalten.

Bildnachweis:

Coverillustration: Morphart Creation 2013,

Hintergrund: Valentin Agapov 2013,

mit Genehmigung von Shutterstock.com

Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel

Lektorat: Martina Schneider

ISBN 978-3-7025-8014-8

www.pustet.at

Inhalt

Seuchen in der Geschichte der Menschheit

Die Pest in den Köpfen der Menschen

Europäische Pestepidemien

Die Ursachen der Pest

Historische Krankheits- und Seuchenbilder

Salzburger Pestgeschichte

Das große Sterben (14.–16. Jahrhundert)

Salzburger Pest – Das »schröckliche« Jahrhundert

Die Pest grassiert in Hallein

Die Pest im Innergebirg

Die laydige contagion in der Residenzstadt

Das Ende der Pestzeit im 18. Jahrhundert

Maßnahmen im Erzstift

Infektionsordnungen im Erzstift Salzburg

Einzelmaßnahmen

Abwehrmaßnahmen vor Ausbruch einer Seuche

Flucht

Fernhaltung von Fremden an Stadttoren und Landesgrenzen

Quarantäne – Kontumaz

Gesundheitspässe – Fedien

Informationsaustausch und Kooperation mit anderen Territorien

Einzelmaßnahmen – Bekämpfung

Meldung von Kranken – Berichterstattung an die Obrigkeit

Anstellung von zusätzlichem Personal

Ärzte

Bader

Sonstiges Personal

Behörden – Sanitätsmagistrate

Isolierung der Kranken – »verspörrung inficirter« Häuser

Einrichtung von Pesthäusern und Lazaretten

Heilmittel – Arzneien

Bestattungen – Friedhöfe

Säuberungs- und Desinfektionsmaßnahmen

Versorgung – Seelsorgende Betreuung

Verhaltensvorschriften für die Bevölkerung

Ernährungsvorschriften

Präventionsmittel

Versorgung mit Lebensmitteln

Versorgung der Armen

Auswirkungen

Sterblichkeit

Kulturelle Auswirkungen – Architektur, bildende Kunst, Literatur, Musik

Wirtschaft

Öffentliche Finanzen

Obrigkeitliche Institutionen

Auswirkungen der Maßnahmen

Abkürzungen

Weiterführende Literatur

Dank

Das vorliegende Buch beruht auf meiner Dissertation an der Paris Lodron Universität Salzburg. Mein Dank gilt meinem Betreuer an der Universität Gerhard Ammerer, den vielen Archivaren und Bibliothekaren in Salzburg und Bayern sowie dem Verlagslektorat für seine Geduld und Unterstützung. Bedanken möchte ich mich auch bei meiner Familie für die Nachsicht, die sie mir in den letzten Jahren entgegengebracht hat.

Seuchen in der Geschichte der Menschheit

Seuchen zählen zu jenen Katastrophen in der Menschheitsgeschichte, die nachhaltig die Gesellschaft prägen und eindrucksvoll in das Leben des Einzelnen eingreifen. Gerade die Pest hat viele bleibende Spuren hinterlassen. Vor 300 Jahren wurde das Erzstift Salzburg zum letzten Mal von dieser schrecklichen Krankheit heimgesucht, doch heute ist die Bedrohung weitgehend vergessen und selbst steinerne Erinnerungszeichen werden nicht mehr mit der Pest in Verbindung gebracht. Fremd ist uns die Tatsache geworden, dass das Erzstift Salzburg im »Zeitalter der Pest« Teile Nord- und Osttirols sowie Bayerns umfasste und das Innviertel bayerisch war.

Seitdem Menschen in größerer Zahl auf engem Raum zusammenleben und ansteckende Krankheiten sich schnell ausbreiten können, begleiten Seuchen die Menschheit. Mit dem Wort »Seuche« verbindet man etwas Unheimliches, etwas Lebensbedrohendes. Die großen, Kontinente bedrohenden Ausbrüche von Pest, Cholera und Pocken sind zwar Geschichte, vergessen wird aber, dass es auch heute noch Cholera, Ruhr und Fleckfieber in Zusammenhang mit Kriegen und Naturkatastrophen gibt und Kinderlähmung, Syphilis und Tuberkulose nur eingedämmt sind. Als Epidemie bedroht die HIV-Erkrankung AIDS die Existenz ganzer Staaten, während nur die Pocken für ausgerottet erklärt worden sind. Daneben zählen epidemisch auftretende Krankheiten wie Masern, Keuchhusten und Diphtherie zwar zu den sogenannten Kinderkrankheiten, sind aber ebenfalls Seuchen, da ihre Erreger wegen der hohen Ansteckungsfähigkeit viele Menschen, vor allem Kinder, befallen können.

Unter einer Seuche versteht man eine ansteckende Krankheit, die viele Menschen in einem Gebiet zur selben Zeit mit gleichen Symptomen befällt. Das Wesen einer Infektion, die Ansteckung, war dem prähistorischen Menschen und den altorientalischen Völkern noch nicht bekannt und sie glaubten, dass nicht nur Einzelerkrankungen, sondern auch seuchenhaft auftretende Krankheiten durch Dämonen hervorgerufen würden. Um sie auszutreiben, wurden geisterabwehrende Räucherungen und Beschwörungen vorgenommen.1 Der griechische Arzt Hippokrates definierte Seuchen so: »Wenn viele Menschen von einer Krankheit zu derselben Zeit befallen werden, so muss man dem die Schuld beimessen, was in weitestem Sinn allen gemeinsam ist und was die meisten gebrauchen …«. Der Begriff der Ansteckung war allerdings der hippokratischen Schule fremd und die Diskussion über die Genese von Seuchen tobte in der Ärzteschaft bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Das Auftreten der Cholera in Europa mit ihren vielfältigen Erscheinungen lieferte den Streitparteien jeweils neue Argumente.

Seuchen wurden anfänglich bei den Griechen als göttliche Strafen gesehen, wie zum Beispiel in Homers Ilias, als die Götter Apoll und Artemis mit Pfeilen eine tödliche Seuche in das Lager der Griechen schossen. Erst ab dem 5. Jahrhundert entwickelten die hippokratischen Ärzte ein rationaleres Erklärungsmuster.

Als die Araber im Verlauf ihrer Eroberungskriege mit den Gedanken der hellenistischen Medizin bekannt wurden, übersetzten sie die Schriften der griechischen Ärzte und reicherten dieses Wissensgut mit ihren Erfahrungen an. Wie im Christentum hatte sich auch im Islam allgemein die Meinung durchgesetzt, dass die pflanzlichen und mineralischen Heilmittel wie überhaupt auch die ärztliche Kunst Gaben Gottes seien, die der Gläubige im Ernstfall nicht verschmähen sollte. Es hieß, ein Rechtgläubiger solle weder verseuchtes Land betreten noch verlassen, denn Pestilenz sei für den Gläubigen eine Gnade und ein von Gott auferlegtes Martyrium, für Ungläubige aber eine Sündenstrafe.

Der europäische Mensch des Mittelalters musste mit einer großen Zahl an Krankheiten leben, die in der Regel epidemischen Charakter hatten und nur zu oft unheilvoll mit sozialen Notständen verknüpft waren. Die durchwegs bäuerlich fundierte Kultur des Mittelalters war geprägt von Naturkatastrophen und wirtschaftlichen Krisen, die begleitet wurden von klassisch epidemischen Krankheiten wie Aussatz oder Lepra und Pest, Antoniusfeuer und auch epidemisch auftretenden Massenpsychosen2, besonders aber von der Pest. Neben den angeführten Krankheiten traten noch Malaria, Ruhr, Englischer Schweiß, Pocken, Typhus und eine Fülle anderer ansteckender Krankheiten auf, deren nachträgliche Diagnose häufig noch heute große Schwierigkeiten aufwirft.3 Während Typhus, Pocken, Diphtherie, Kinderlähmung oder gefährliche Grippewellen trotz zahlreicher Opfer überwiegend regionale Bedeutung hatten, überrollte 1348 die Pest praktisch ganz Europa. Selbst die Syphilis erzeugte später nicht jenes Gefühl von Angst, Einsamkeit und Verzweiflung, das in den folgenden Jahrhunderten das Auftreten der Pest in den betroffenen Regionen auslöste. In der »Kulturgeschichte der Neuzeit« schildert Egon Fridell den Auftritt der Pest in Europa: »Genug, sie war auf einmal da, zuerst in Italien; und nun schlich sie über den ganzen Erdteil. Denn sie verbreitete sich, was ihre Unheimlichkeit erhöhte, nicht reißend wie die meisten anderen Epidemien, sondern zog langsam, aber unaufhaltsam von Haus zu Haus, von Land zu Land. […] Was sie noch grausiger machte, war ihre Unberechenbarkeit; sie verschonte ganze Landstriche, zum Beispiel Ostfranken, und übersprang einzelne Häuser, sie verschwand oft ganz plötzlich und tauchte nach Jahren wieder auf.«4 In den folgenden 400 Jahren bedeutete der Umgang mit Epidemien vor allem das Leben mit der Pest. Dabei wurden bereits während des Schwarzen Todes von 1348 Methoden der Prophylaxe und der Abwehr entwickelt, denen man offensichtlich bis ins 19. Jahrhundert vertraute. Vor allem bei der Quarantäne Verdächtiger und der Isolierung Kranker unterschied sich der Pestalltag in den folgenden Jahrhunderten nur wenig von dem des 14. Jahrhunderts.5 Die bislang letzte Pest-Pandemie begann 1894 in den chinesischen Städten Kanton und Hongkong und griff 1896 auf Indien über, wo sie bis 1918 rund 10,5 Millionen Tote forderte. Auf dem Seeweg wurde sie durch infizierte Ratten nach Afrika, Südamerika und in die USA übertragen, wo sie heimisch wurde, allerdings ohne noch einmal epidemische Ausmaße anzunehmen.

Auch heute noch treten Infektionskrankheiten seuchenhaft als lokale Epidemien auf, wie die Cholera in Schwarzafrika und Südamerika sowie die Pest in Südostasien. Die einzige bedrohliche Pandemie ist aber im Moment die Immunschwächekrankheit AIDS, die durch die Ansteckung mit dem HI-Virus ausgelöst wird. So sind weltweit derzeit insgesamt 35,3 Millionen Menschen infiziert, bereits über 37 Millionen sind bisher daran verstorben; allein 2013 starben daran 1,6 Millionen Menschen und es gab 2,3 Millionen Neuerkrankungen. Besonders betroffen ist Afrika südlich der Sahara, 67 Prozent aller Infizierten leben. Swasiland ist der Staat mit der höchsten Infektionsrate der Welt, 25 Prozent der Erwachsenen sind dort HIV-positiv. Trotzdem gilt Afrika, das mit vielen Seuchen leben muss, als aufstrebender Erdteil, denn wie Camus in seinem Buch »Die Pest«, der Schilderung einer fiktiven Pestepidemie in Nordafrika, einen Patienten sagen lässt »… Aber was heißt das schon, die Pest? Es ist das Leben, sonst nichts. …«

Die Pest in den Köpfen der Menschen

Während die Menschheit ganz allgemein Seuchen als selbstverständliche Begleitung im Verlauf ihrer Geschichte empfand, war die Pest wegen ihrer Unberechenbarkeit nicht nur ein kurzfristiges Ereignis für die betroffene Gesellschaft, sondern auch bestimmend für die Mentalität eines Zeitalters. Ihre Allgegenwart von der Mitte des 14. bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte das Bild von Krankheit in den Köpfen der Menschen.6 Ein Pestausbruch prägte die Gesellschaft und hinterließ Spuren in ihrem Bewusstsein, die sich vielfach bis in die heutige Zeit erhalten haben. Die Obrigkeiten entwickelten Methoden der Vorbeugung und Abwehr, die auf den Erfahrungen mit der Lepra basierten, und übernahmen Aufgaben und Kompetenzen, welche den Grundstein für ein modernes Sanitätswesen legten. Darüber hinaus mussten die Obrigkeiten zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Ordnung den Lebensunterhalt der ärmeren Untertanen sicherstellen, um sozialen Unruhen vorzubeugen. Auf alle Fälle entstand durch die Reaktionen der Obrigkeiten auf die Pest im Bewusstsein der Bevölkerung trotz aller individuell empfundener Beschränkungen ein Gefühl der staatlichen Obsorge, welches, andersherum betrachtet, aber durchaus mit dem Wort »Sozialdisziplinierung« umschrieben werden könnte.

War dieses Bewusstsein für die Pest in der Bevölkerung anfangs noch eher unklar, gab und gibt es Erinnerungen an sie im Alltag. Denn die Pest war zu ihrer Zeit immer gegenwärtig – als erinnerte Vergangenheit, als bedrohliche Zukunft oder als die in der Gegenwart herrschende und alles beherrschende Seuche. Nichts zeigt die Wirkungsmacht eines Phänomens deutlicher, als wenn die Zeitgenossen selbst es als erinnernswert einstufen. Als erinnerte Vergangenheit war sie in Kirchen und Kapellen, auf Friedhöfen und öffentlichen Plätzen anzutreffen.7 Zahlreiche Kirchen mit ihren Patronen Maria, Sebastian, Rochus und Karl Borromäus erinnern an die Pest, in vielen anderen wurden diesen Altäre gewidmet. Die vor allem in der Barockzeit an vielen Orten Österreichs errichteten Dreifaltigkeitssäulen zeugen von der Dankbarkeit für das Erlöschen der Seuche. Aber auch außerhalb der Orte werden wir heute noch durch zahlreiche Pestkapellen und Pestkreuze an die Schrecken der Pest und an die Verstorbenen der Familie oder der Ortschaft erinnert.8 Auch die Überreste von Pestfriedhöfen, die heute noch durch meist liebevoll gepflegte Kreuze oder Säulen gekennzeichnet sind, zeugen von der Pietät gegenüber den Verstorbenen.

Der Alltag der Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit war von religiösem Leben erfüllt. So waren nicht nur die wichtigen persönlichen Ereignisse wie Geburt, Hochzeit und Tod in eine sakramentale Heilsordnung gestellt, sondern natürlich auch markante Ereignisse wie Reisen, Krisen und Krankheiten. Äußere Zeichen dafür sind Segnungen und Weihungen, Feiertage und Wallfahrten, ein Brauchtum, welches auch heidnische Elemente in Feierlichkeiten aufnahm, die damals und heute zur Alltagskultur gehören.9 In Pestzeiten nahmen viele Menschen Zuflucht zur Religion, um voller Angst Schutz vor dem Ybl zu suchen. Sie bot ihnen in Person der Pestkuraten seelsorgliche Begleitung in Krankheit und Sterben und Trost in der Trauer um verstorbene Angehörige. Die Religionen waren zugleich Mahner und Begleiter der Menschen außerhalb der Pestzeiten und hielten durch entsprechende Heiligenverehrungen, Andachten, Prozessionen und Wallfahrten das Bewusstsein an die Seuche oft noch nach Jahrhunderten aufrecht. Diese Traditionsstränge ziehen sich im kulturellen Gedächtnis der Gläubigen bis heute, obwohl sich ihr Erscheinungsbild im Lauf der Zeit ändern kann. Im Wesen einer Bittprozession um Verschonung vor der Pest oder als Dankwallfahrt für das Erlöschen der Seuche sind sie in vielen Pfarreien heute noch fester Bestandteil des kirchlichen Lebens. Ein weiteres Beispiel dafür sind die Passionsspiele, von denen aber nur wenige die Zeiten überdauerten. In Oberammergau bringt noch heute ein ganzes Dorf durch die Darstellung der Leiden Christi seine Dankbarkeit für die Verschonung vor der Epidemie 1633 zum Ausdruck. Die Mitglieder der Sebastians- und Rochusbruderschaften hatten die Aufgabe, sich in Not- und Pestzeiten gegenseitig beizustehen und für ein christliches Sterben und Leichenbegängnis zu sorgen. Schließlich wurde in vielen Gebetsformeln noch der Pest gedacht, wie in der Allerheiligenlitanei, in der noch lange um Erlösung von Hunger, Krieg und Pest gefleht wurde. Die Reformation setzte dann auf andere Formen der Katastrophenbewältigung, was sich im Verbot der Verehrung von Heiligen, auch der Pestheiligen, ausdrückte. Strenggläubigen Protestanten war daher die Hoffnung auf deren Fürsprache bei Gott genommen. Auch im weltlichen Bereich hielten viele »Denkmäler« den Gedanken an die laidige Infection im Alltag aufrecht. Pesthäuser und Pestspitäler außerhalb der Städte erinnern die Passanten an die Seuche und auch bei jenen, die in seuchenfreien Zeiten diese Häuser bewohnten, war der Gedanke an den eigentlichen Zweck sicher nicht verloren gegangen. Der Gedanke der Ansteckung war offenbar erhalten geblieben, da in vielen Städten diese Gebäude vorher der Unterbringung von Leprakranken gedient hatten. In Salzburg wurde erst in jüngerer Zeit das Leprosenhaus in Mülln, das auch zur Unterbringung Pestkranker gedient hatte, in »Landespflegeanstalt« umbenannt. Ein prosaischer Aspekt dieser Einrichtungen hielt ebenfalls die Erinnerung an die Pest aufrecht, nämlich dass Steuern und Abgaben für die Errichtung und Erhaltung dieser Häuser weiterhin eingehoben wurden.

Einen hohen Stellenwert nehmen neben den literarischen die volksliedhaften Formen des Gedächtnisses ein, in denen der Pest gedacht wird. Dazu zählt in Österreich vor allem jener bekannte Gassenhauer, den 1679 der Wiener Volkssänger und Dudelsackpfeifer Max Augustin in der Verzweiflung seiner Lage komponierte:

»O du lieber Augustin, s’ Geld is hin, s’ Madl is hin! O du lieber Augustin, alles is hin!

S’ Geld is weg, s’ Madl is weg, Augustin liegt im Dreck! O du lieber Augustin, alles is hin!«10

Der Sage nach stolperte Augustin betrunken in ein Pestgrab, aus dem er am nächsten Morgen zum Entsetzen der Leichenträger gesund und fidel fiedelnd herausgeklettert sein soll. Diese Begebenheit wird in Wien noch immer als Beispiel für den Überlebenswillen seiner Bewohner erzählt.

Die Menschen lebten damals nicht nur mit der Erinnerung an die vergangenen und mit den Gefahren der gegenwärtigen Pestzüge, sondern je größer die Abstände zwischen den einzelnen Epidemien wurden, desto mehr steigerte sich die Furcht vor der nächsten Pestwelle.11 Die Pesttraktate mit Verhaltensregeln und Vorbeugungsmaßnahmen, die seit dem 14. Jahrhundert in großer Zahl erschienen waren, wurden erst im 18. Jahrhundert seltener aufgelegt. Als potentielles Übel blieb die Pest wegen der Türkenkriege am Balkan und des Handelsverkehrs im Mittelmeer noch bis weit in das 18. Jahrhundert bestehen, abgesehen von anderen Seuchen im Gefolge von Hungersnöten und Kriegen. Die Zeitgenossen erinnerte nicht nur der Seuchenausbruch von 1720 in Marseille an die Pest, sondern auch der permanente Österreichische Pestkordon und die Maßnahmen der Salzburger Behörden von 1738/39 gegen ein drohendes Übergreifen der Seuche aus Ungarn im Zuge des Türkenkrieges Karls VI. Obwohl die Erinnerung an eine erlebte Pest in der Bevölkerung allmählich schwand, riefen Nachrichten von Ausbrüchen in weiter entfernten Gegenden wie Russland, Asien und Afrika die Bedrohung immer wieder ins Gedächtnis zurück, wie man in Tagebucheintragungen und Chroniken lesen kann. Heute wird die Pest in Europa als exotische Krankheit betrachtet, die als weit entfernt und wenig bedrohlich wahrgenommen wird und die nur mehr in Zeitungsberichten aufscheint.

Der Stellenwert der Pest bemisst sich im Bewusstsein der Bevölkerung nur mehr in der Verwendung des Wortes »Pest« als Synonym für Unheil und wird in den Medien gerne in Zusammenhang mit Katastrophen verwendet wird. Man denke an die Ausdrücke »Ölpest«, »stinkt wie die Pest« oder »Luftverpestung«. Selbst politisch wurden mit diesem Wort üble Assoziationen geweckt. In der Gegenreformation predigte man gegen die lutherische Pest und im 20. Jahrhundert eiferte man gegen die rote bzw. braune Pest.12 Die Nationalsozialisten bezeichneten die Juden als Pestgesindel und begründeten damit deren Vernichtung; mit dem Hinweis auf eine angebliche Seuchengefahr wurden ganze Judenviertel im Osten liquidiert.

Europäische Pestepidemien

Die Pestausbrüche in der Antike wie die »Antoninische Pest« von 167–180 n. Chr. und andere Seuchen des frühen Mittelalters müssen wegen ihrer unsicheren Zuordnung als Pest außer Betracht bleiben. Als erste große Epidemie, ja Pandemie13, in Europa haftet eigentlich nur die als »Schwarzer Tod« bezeichnete Seuche ab 1348 im Gedächtnis der Völker. Weniger bekannt ist, dass bereits 800 Jahre früher als erste europäische Pandemie die sogenannte »Justinianische Pest« von Äthiopien und Ägypten kommend das Byzantinische Reich von 542–594 verheerte. Wahrscheinlich mit Getreideschiffen eingeschleppt, brach sie im Frühjahr 542 in Konstantinopel aus und breitete sich rasant über den Seeweg in die Häfen des Mittelmeeres und von dort in deren Hinterland aus. Prokopius von Caesarea (griechischer Geschichtsschreiber, geb. um 490, gest. nach 555) schildert in seiner Beschreibung der Perserkriege nicht nur die Ausbreitung der Seuche, sondern auch deren Symptome mit Beulen in Leiste, Achselhöhle und hinter den Ohren, Hautblutungen, Bluterbrechen und plötzlichem Tod. Durch die große Anzahl an Toten fanden keine kirchlichen Begräbnisse mehr statt, und als die Bestattung schwierig wurde, warf man die Leichen zuerst in die Türme der sykäischen Stadtmauer und schließlich ins Meer. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung fiel der Pest zum Opfer. Vom Osten aus erreichte die Seuche Italien und Frankreich, wo Gregor von Tours 566 von einem Morbus inguinarius berichtet, dem Tausende erlegen sein sollen. Auch England soll im Jahr 664 betroffen gewesen sein. In den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu Pestausbrüchen im Vorderen Orient, die das byzantinische und persische Reich so weit schwächten, dass die Araber in nur wenigen Kriegszügen Syrien und Mesopotamien erobern konnten.

Eine zweite Pestwelle erreichte Europa, die als Pandemie im Zeitraum von 1347/48 bis zum Ende der Pest in Europa im 18. Jahrhundert als Einheit betrachtet werden kann.14 Dafür spricht die Regelmäßigkeit des Auftretens der Pest, die Konstanz der Abwehrmaßnahmen, welche kontinuierlich, nicht aber substantiell weiterentwickelt wurden, das Frömmigkeitsverhalten des Volkes vor allem im katholischen Glaubensbereich und schließlich das Lehrgebäude der Medizin über die Ursachen der Pest, das erst im 19. Jahrhundert endgültig von der Ansteckungstheorie eingenommen wurde. Die erste große Pestwelle dieser zweiten Pandemie erfasste Europa zwischen 1347 und 1351 und etablierte sich als die »Seuche par excellence«15, da alle anderen epidemischen Infektionskrankheiten wie etwa Typhus, Fleckfieber und Pocken über eine regionale Ausbreitung nicht hinauskamen. Sie beschleunigte die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in vielen Teilen des Kontinents, der bereits von sozialen und religiösen Wirren, von Kriegen und Hungersnöten geplagt war, in anderen löste sie diese aus. In diesem Zeitraum erlag etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung der Seuche, wobei es starke lokale Schwankungen gab.

Nach Berichten italienischer Kaufleute begann die Pandemie in China, wo nach 1333 eine Abfolge von Dürre, Erdbeben und Hungersnöten die Bevölkerung schwächte. Zwischen 1337 und 1345 trat eine Serie von »Seuchen« auf, die sich 1346 als »Pest« bis nach Kleinasien und um das Schwarze Meer ausbreitete. Aus der von den Tataren belagerten Stadt Kaffa auf der Krim brachten genuesische Schiffe 1347 die Krankheit zuerst nach Byzanz und dann nach Sizilien, wo sie im Oktober 1347 in Messina ausbrach. Von dort trat sie ihren »Siegeszug« durch Europa an, zuerst in den Mittelmeerhäfen Tunis, Genua, Marseille und Barcelona, von denen aus sie entlang der Handelsrouten als Schwarzer Tod durch den Kontinent zog. Die dadurch ausgelöste Erschütterung der Menschen schildert der junge Gabriel de Mussis aus Piacenza: »Nachdem uns die Seuche ereilt hatte und von tausend Schiffen gerade zehn übrig geblieben waren, strömten Freunde, Verwandte und Nachbarn […] zu unserem Empfang. Ach, wir selbst trugen die Todespfeile, als man uns umarmte und küsste und festhielt. Wir wurden gezwungen, mit dem eigenen Mund beim Erzählen das Gift auszustreuen …«16

Nach seinen Angaben blieb nur ein Siebtel der Einwohner von der Pest verschont.

Auf dem italienischen Festland breitete sich die Seuche von den Hafenstädten aus. Venedig wurde direkt durch seine Handelsbeziehungen mit Byzanz im Frühjahr 1348 befallen und erwarb sich durch seine Abwehrmaßnahmen Ansehen. Trotzdem war es Ausgangspunkt für die Verbreitung über die Handelsrouten nach Oberitalien und über die Alpen. Über Pisa griff die Pest auf die Toskana über, wo sie Ende April 1348 Orvieto, Pistoia im Mai, Siena im Juni und schließlich auch Rom erreichte. In Florenz sollen 45 000–60 000 Menschen daran gestorben und in Orvieto sogar die Hälfte der Einwohner der Seuche zum Opfer gefallen sein, darunter fünf der sieben Ratsmitglieder. In Siena wurde das Stadtgericht für drei Monate gesperrt und das Glücksspiel verboten; die Steuereinnahmen sanken dramatisch, sodass der Dom unvollendet blieb, während die Kirche so viele Stiftungen und Erblegate erhielt, dass solche Zuwendungen für zwei Jahre verboten wurden17. Der Florentiner Diplomat und Dichter Giovanni Boccaccio beschreibt diese verworrene Zeit in Florenz und das klinische Bild der Pest im ersten Prosawerk in italienischer Sprache, dem »Decamerone«. Noch bald nach dem Auftreten in Messina griff die Pest auch auf Sardinien, Korsika und auf Süditalien über.

In Frankreich hatte 1346 der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich begonnen, sodass sich die Pest ab dem Jänner 1348 von Marseille aus ungehindert nach Norden im Rhonetal ausdehnen konnte, im Juni Paris erreichte und Burgund im August. Guy de Chauliac, Leibarzt des Papstes Clemens VI. (1342–1352) hielt in seinem Buch »Le Grande Chirurgie« fest, dass die Pest beschämend war für die Ärzte, die nicht helfen konnten, besonders da sie aus Furcht vor der Ansteckung keine Krankenbesuche machten. Aber selbst wenn, konnten sie nicht helfen und erhielten auch kein Honorar, da fast alle Kranken starben. Nach Westen wanderte die Seuche durch das Languedoc, wütete von Februar bis Mai in Carcassonne und erreichte im August 1348 Bordeaux. In Perpignan überlebte von acht Ärzten nur einer und von 18 Badern und Barbieren blieben nur zwei übrig.18 Im Norden Frankreichs hielt die Pest bis 1350 an. Paris war nicht weit von einem Zusammenbruch der öffentlichen und privaten Moral entfernt. In Tournai läuteten morgens, mittags und abends die Totenglocken, sodass die ganze Bevölkerung mit Furcht erfüllt war und der Stadtrat gegen die Panik und den Sittenverfall Fluchen, Glücksspiel und Sonntagsarbeit verbot sowie die Verheiratung aller unverheiratet Zusammenlebenden anordnete; auch das Sterbegeläut, das Tragen von Trauerkleidung und Kondolenzbesuche wurden verboten, weiters ein Friedhof außerhalb der Mauern angelegt, Maßnahmen, die vielerorts ebenfalls getroffen wurden.19

Auf die iberische Halbinsel gelangte die Pest »per Schiff«. Zuerst wurde das Königreich Aragon ergriffen, als im April 1348 auf Mallorca der Schwarze Tod bis zu 80 Prozent der Bevölkerung hinraffte, sodass zur Verteidigung gegen die arabischen Piraten in der Folge Truppen vom Festland entsandt werden mussten. Die katalonische Mittelmeerküste wurde im Mai 1348 befallen, wo die Pest in Almeria bis Februar 1349 bei einer Einwohnerzahl von 20 000 »nur« bis zu 70 Tote forderte. Von dort breitete sie sich nach Kastilien und in das maurische Granada aus. In Kastilien erhielt die Kirche so viele Legate, dass die ökonomische Struktur des Landes litt und König Pedro I. (1350–1369) sie zwang, die Güter an die Erben zurückzugeben. Bei den kastilischen Truppen vor Gibraltar brach sie erst im März 1350 aus, wo König Alfons XI. (1312–1350), der trotz der Bitten seiner Anführer nicht flüchtete, am 26. März 1350 als einziger regierender Monarch an der Pest starb.

In England traten die ersten Fälle Mitte Juni 1348 in Dorset auf, als Versorgungsschiffe der englischen Truppen die Krankheit aus Frankreich einschleppten. Bis Mitte 1349 war der ganze Westen Englands befallen und im Verlauf des Sommers Nordengland, von wo aus durch die kriegerischen Verwicklungen die Pest im Frühjahr 1350 in Schottland Einzug hielt. In beiden Königreichen starb rund ein Drittel der Bevölkerung innerhalb von zweieinhalb Jahren, wobei die Verteilung sehr ungleich war; in den Städten war die Mortalität höher als am Land und es starben mehr Arme als Reiche. Auch die Berufsgruppen waren unterschiedlich betroffen; wie in Frankreich war die Sterblichkeit beim medizinischen Personal höher, genauso bei den Geistlichen, wo in England 18 Prozent der Bischöfe, aber 40 Prozent der Weltgeistlichen starben.20

Die Gebiete nördlich der Alpen wurden von den norditalienischen Häfen Genua und Venedig aus entlang der traditionellen Handelsrouten befallen. In Kärnten und über Tirol in Bayern traten schon im Sommer 1348 die ersten Fälle von Pest auf, wobei mit dem Befall von Mühldorf bereits das Erzstift betroffen war. In Salzburg selbst erschien die Pest im November und forderte viele Opfer. Im Herbst schlug sie in der Steiermark zu und in Wien rasete sie von Ostern bis zum Spätherbst 1349 und soll täglich 500 bis 600 Tote gefordert haben, insgesamt etwa 20 000. Im Volk ging dabei das Gerücht von einer umherschwebenden Pestjungfrau um, die nur ihre Hand zu heben brauche, um die Menschen anzustecken. Ebenfalls zu Ostern erreichte die Seuche Frankfurt am Main, wo innerhalb von zwei Monaten 2 000 Tote zu beklagen waren. Allein in diesem Jahr sollen in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen der Seuche zum Opfer gefallen sein. Sie dauerte bis 1352 und hatte auch zur Folge, dass die Ostexpansion des Deutschen Ritterordens stagnierte, da die Landbevölkerung lieber in die durch die Pest entleerten Städte wanderte als in den unsicheren Osten. Waren dort zwischen 1310 und 1350 etwa 1 400 deutsche Dörfer gegründet worden, so ist die Ostkolonisation in den folgenden Jahren kaum erwähnenswert.21 Insgesamt aber dürfte Mitteleuropa weniger betroffen gewesen sein als Italien und Frankreich.

Norwegen wurde im Mai 1349 befallen, als ein mit Schafwolle beladenes Schiff aus England in Bergen angetrieben wurde mit einer an der Pest gestorbenen Mannschaft. Die Krankheit breitete sich rasend schnell über Skandinavien aus und wer konnte, floh aus den Städten. In Schweden befahl König Magnus II. im Jahr 1350 zur Abwendung der Seuche Bußübungen, Freitagmahlzeiten durften nur aus Brot und Wasser bestehen, Kirchgänge nur barfuß gemacht werden und um die Friedhöfe sollten Reliquienprozessionen abgehalten werden.22

Das Grauen vor der damals unberechenbaren Krankheit brachte neben der Flucht in die Religion auch schreckliche Auswüchse menschlichen Verhaltens hervor. Es litten familiäre und soziale Verbindungen; man verließ erkrankte Familienangehörige und schloss sich gegen befallene Nachbarn ab, vertrieb Bettler aus der Stadt und ließ Fremde aus betroffenen Städten nicht mehr ein. Es entstanden kollektive Bußbezeugungen in Form von Geißelzügen und auf der Suche nach den Ursachen der Seuche fanden Gerüchte über Brunnenvergiftungen durch die Juden leicht Gehör. Ausgehend von Nordspanien und Südfrankreich verbreitete sich dieses Gerücht in ganz Europa und die verunsicherten Menschen verjagten die Juden, verbrannten sie auf dem Scheiterhaufen und bemächtigten sich ihrer Güter.

Ökonomisch wirkten sich die großen Bevölkerungsverluste durch die Pest bedeutend aus. Aus den weniger betroffenen ländlichen Gegenden strömten die Menschen in die entleerten Städte, wo sich ihnen in der Produktion bessere Lebensbedingungen boten. Wegen der Konzentration der Vermögen durch Vererbung begann das Handwerk stark zu florieren. Auf dem Land hingegen fehlten die Arbeitskräfte und so stiegen wie in den Städten auch hier die Löhne, was für den landbesitzenden Adel und die Kirche die Bewirtschaftung erschwerte. Deren Versuche, die Bauern an den Boden zu binden wie 1350 in England durch das »Statute of Labourers«, erzeugten allgemeine Unruhen, die sich in den Bauernaufständen des 14. und 15. Jahrhunderts entluden, wie der »Jacquerie« 1358 in Frankreich und der »Peasant’s Revolt« 1381 in England. Zu betonen ist aber, dass die Pest des 14. Jahrhunderts nur ein beschleunigender Faktor, nicht aber Ursache dieser Entwicklung war. Hingegen war sie wichtigster Ausgangspunkt für eine Seuchenbekämpfung durch Reisekontrollen, Meldung und Isolierung von Kranken und Verdächtigen sowie Desinfektion durch Räucherungen und Waschen mit Essig. Auch erste Eingriffe in das soziale Leben lassen sich in diese Zeit zurückverfolgen, wie Verbote von Zusammenkünften aller Art, Regelung der Leichenbestattungen, Reinigung von Straßen und vieles mehr. Vor allem aber die Flucht vor der Krankheit wurde allgemeines Verhalten bei der Oberschicht.

Auch der Nahe Osten wurde durch die Pest schwer erschüttert. Das syrisch-ägyptische Mamlukenreich verlor durch die verheerende Pestwelle der Jahre 1347–1350 etwa ein Drittel seiner Bevölkerung, was zusätzlich zur aggressiven Handelspolitik Venedigs und Genuas eine existenzielle Krise auslöste. Im Unterschied zu Europa normalisierte sich auch nicht die Bevölkerungszahl, weil der ersten Epidemie noch zwölf weitere bis zum Ende der Mamlukenära folgten. Die pestbedingte Zerrüttung wichtiger Wirtschaftszweige, wie der Landwirtschaft und der Textilindustrie, führte zum allmählichen Niedergang der Mamluken, deren Reich schließlich 1534 von den Osmanen unter Suleiman II. erobert wurde.23

Im weiteren Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts flackerte die Pest immer wieder in verschiedenen Ländern auf. So wurden in den Jahren 1450–1453 das Rheinland, Frankreich und Spanien befallen. Mit der Eroberung von Byzanz 1453 durch Mehmet II. erhielt Europa einen neuen Ausgangspunkt für Pestzüge. Die fatalistisch eingestellten Osmanen schafften die große Quarantäneanstalt der Byzantiner an der Marmaraküste ab und wandelten sie in Gerbereien um. Nicht nur deren Gestank, die Fachwerkbauten und die unzulängliche Abfallbeseitigung, sondern auch das Fehlen der Isolierung krankheitsverdächtiger Personen und Waren machten die Stadt bald zum größten Dauerherd der Pest für Mitteleuropa. Die Seuche wurde dadurch zur Begleiterin der türkischen Kriegszüge nach Ungarn und Polen.24

Zusammen mit den zahlreichen Kriegen und den sie begleitenden Hungersnöten blieb die Pest im 16. und 17. Jahrhundert ein fester Bestandteil des Alltagslebens in Europa. Sie suchte etwa im Zehnjahresrhythmus seine Bewohner heim, wovon die Chroniken und Grabsteine zeugen, nahm aber nicht mehr die Ausmaße des Schwarzen Todes im 14. und 15. Jahrhundert an. So wurde Wien innerhalb von 330 Jahren nicht weniger als 18 Mal von Pestepidemien heimgesucht.25 In Europa tobte die Pest besonders stark von 1563–1569 und 1575–1578 vorwiegend in Oberitalien, besonders in Venedig, das durch seinen Handel mit dem Orient über den Balkan und das Meer immer wieder Einfallspforte war. In Spanien gab es nach Schätzungen durch die Epidemien 1596–1602 und 1648–1652 die erschreckend hohe Zahl von 1,5 Millionen Toten, was möglicherweise den Ausgang der Kriege mit Frankreich beeinflusste. Einen besonderen Niederschlag in den Aufzeichnungen fanden die Epidemien im Zusammenhang mit den Reformations- und Türkenkriegen und in den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts.

Im 17. Jahrhundert bot der Dreißigjährige Krieg von 1618–1648 der Pest wieder Gelegenheit, sich in weiten Teilen Europas auszubreiten. Die vielen lokalen Pestherde konnten sich durch die Truppenbewegungen über den ganzen Kontinent ausbreiten, begünstigt durch die schlechten hygienischen Verhältnisse bei den Armeen und in der einheimischen Bevölkerung. Während in der ersten Kriegshälfte das Fleckfieber dominierte, spielte die Pest mit dem Eingreifen der Schweden in der Folge die wichtigste Rolle als Kriegsseuche.26 Da ganz Deutschland Kriegsgebiet war, wurde fast das gesamte Reichsgebiet wegen der Durchmärsche der Kriegsvölker und durch die Kriegshandlungen in Mitleidenschaft gezogen. Sie machten diesen europäischen Großkrieg zu einem der grausamsten und zerstörerischsten, vergleichbar mit den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Die Kämpfe hielten sich nicht an die Grenzen der vielen Mittel- und Kleinstaaten, sodass die Etablierung wirksamer Seuchenbekämpfungsmaßnahmen nur lokal, großräumig aber schwer oder gar nicht möglich war. Die vielen Seuchen, vor allem die Pest, konnten sich infolgedessen fast ungehindert ausbreiten. Hinzu kamen die Kämpfe in Oberitalien mit den Franzosen im Mantuanischen Krieg27 und in Ungarn mit den Türken, sodass auch Pestherde dieser Länder Ausgangspunkte für Epidemien in Europa wurden. In den Ortschroniken und Ländergeschichten werden für diese Zeit besonders viele Ausbrüche verzeichnet. Literarisch wurde mit den »Verlobten« von Manzoni der Epidemie von 1631 in Mailand Aufmerksamkeit gezollt.

Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde Europa noch wiederholt von Pestzügen heimgesucht. So erlagen 1656 in Neapel Tausende Einwohner einer von Soldaten eingeschleppten Seuche. Bei der europaweiten Pestepidemie von 1663–1668 verfügen wir über instruktive und erschütternde Zeugnisse im authentischen »Geheimen Tagebuch« des Admiralitätssekretärs Samuel Pepys und literarisch im »Journal of the Plague« von Daniel Defoe, dem Verfasser des »Robinson Crusoe«.

In den Jahren 1679–1680 wurden vor allem die österreichischen Lande und Bayern von Ungarn aus von einer schweren Pestwelle heimgesucht. In seiner »Geschichte der Pest in Steiermark« beschreibt Richard Peinlich 1878 poetisch-drastisch den Beginn der »Pestseuche«: »Schon 1678 begannen sich die Fäden des Netzes enger zu verflechten, mit welchen die grässliche Pestilenz die österreichischen Länder überziehen sollte. Regierung und Volk sahen ahnungslos die einzelnen Vorzeichen des Unglücks vor sich abspielen, in der Erwartung, es würden sich, wie fast immer in den letzten 30 Jahren die Pestfälle nur als Seucheninseln erweisen, und die leckende Flamme der Kontagion würde sich wie ein Irrlicht auf der Stätte selbst aufzehren. Dass sich die Lohe der Seuche mit bis ins Mark hinein verheerender Wuth wieder einmal von einem Ende des Reiches bis zum anderen erstrecken würde, daran dachte niemand, und darum trafen die hereinbrechenden Schläge der Geißel fast alle unvorbereitet. […] Im August erschien ein Komet, am 10. desselben Monats entstand jene Konjunktion des Saturns und Mars, welche die Astrologen für eine »sichere Mutter« der Pest halten.«

Im November 1678 war die Pest bereits in benachbarten Komitaten zur Steiermark eingerissen, wo zwar bei Radkersburg eine Grenzsperre angeordnet worden war, die aber nicht eingehalten wurde28, und in Wien grassierte unter den armen Juden der Leopoldstadt ein hitziges fieber, das am 9. Jänner 1679 vom Arzt Dr. Paul Sorbait als Pest gemeldet wurde. Da die Sanitätsbehörden nicht reagierten, breitete sich die Seuche schnell aus, die Leute starben massenhaft und die Leichen lagen tagelang auf den Straßen, bis sie von den Pestknechten, meist zwangsverpflichtete und gut entlohnte Sträflinge, in schnell ausgehobene Gruben geworfen wurden. Im August sollen täglich 200 Menschen gestorben sein, insgesamt etwa 12–15 000 Tote. Der Hof mit Kaiser Leopold I. floh am 17. August nach Mariazell, wohin ihm die Pest folgte, und schließlich nach Prag, von wo er nach dem Nachlassen der Seuche im Spätherbst wieder nach Wien zurückkehrte. Zum Dank für das Erlöschen der Seuche ließ der Kaiser am Graben eine Pestsäule zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit errichten, zuerst aus Holz und 1692 in der heutigen Ausführung.

Entlang der Verkehrswege verbreitete sich die Pest entlang der Donau nach Westen, wo sie in Niederösterreich, dem Lande unter der Enns, eine geringere Zahl an Todesfällen verursachte, wohin sie aber über Böhmen im Sommer 1680 zurückkehrte. Aber auch nach dem Süden zog die Pest und forderte zahlreiche Opfer. In der Steiermark trat sie im Juli 1679 in Graz auf, wo sie erst nach vier Monaten als Pest registriert wurde, worauf die Sanitätsbehörde mit dem Befehl an alle Orte an der Straße von Wien reagierte, Fremde nicht ohne genaue Befragung oder Gesundheitszeugnis einzulassen. Im August wurde diese Maßnahme auch auf die ungarischen Wallfahrer nach Mariazell ausgedehnt. Ab Oktober 1679 verteilte man gedruckte Infektionsordnungen, die auch 20 Rezepte über das Verhalten und über Vorbeugungs- und Heilmittel enthielten. Für Grazer wurden zu Neujahr 1680 Universität und Schulen wieder geöffnet und ab März auch für auswärtige Studenten. Als im Mai 1680 auch in der Steiermark die Pest wieder aufflackerte, sperrte man erneut die Grenzen mit Ausnahme für Post und Kuriere und in Graz die Pfarrkirche, außer man würde »den Gottesdienst mit solcher Vorsicht halten, dass niemand von verdächtigen Orten admittirt werde«.29

Das 18. Jahrhundert brachte noch einmal eine große Pestwelle nach Europa. Im Gefolge der Pest in Ungarn seit 1712 und des Türkenkrieges von 1713–1715 kehrte die Pest wieder und zwang nicht nur das zuerst betroffene Österreich, sondern auch das Erzstift Salzburg und die angrenzenden Länder wie Bayern zu strengen Seuchenmaßnahmen. Als in Wien im Jänner 1713 eine Schwangere an der Pest gestorben war, wurde die Stadt mit 31. Jänner von einem militärischen Kordon umzogen, den nur Personen mit einem gültigen Gesundheitszeugnis passieren durften. Im Februar starben 16 von 28 Pestkranken, deren Zahl von Monat zu Monat stieg, und beim Erlöschen der Seuche im Oktober 1713 zählte man 8 644 Tote. Zur Abwehr weiterer Seucheneinbrüche wurde von Wien aus unter Kaiser Karl VI. im Oktober 1728 der sogenannte »immerwährende Pestkordon« eingerichtet, der in Form der Militärgrenze bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehen bleiben sollte. Natürlich war auch die Steiermark wieder von dem neuerlichen Pesteinbruch betroffen. Hatte in Graz noch ein 40-stündiges Gebet vom 23.–25. Jänner 1711 geholfen und 1712 die Einrichtung von Kontumazstationen in Nagykanizsa und Czakathurn auf der Murinsel zur Abwehr der drohenden Pest, so forderten die Pestjahre 1713–1715 6 000–7 000 Todesopfer. 1713 war die Seuche mit dem ärztlichen Personal geradezu »mörderisch verfahren«, woraufhin den Angehörigen verstorbener Pestärzte und Pestbeamten »Gnadengaben« zugestanden werden mussten.30 Die Mitglieder der Sanitätskommission waren wegen ihrer Amtstätigkeit Angriffen des Publikums ausgesetzt, sodass sie im August 1713 sogar bei der Regierung um Schutz ansuchen mussten.

In Europa kam es 1720 zur letzten bedeutenden Epidemie, als aus Syrien durch ein Schiff, das mit einem unrichtigen Gesundheitspass versehen war, abermals die Pest eingeschleppt wurde. Durch die Nachlässigkeit der Hafenbehörde von Marseille konnten Ende Mai erkrankte Matrosen und die Waren das Schiff verlassen. Als im Juni dann einige Seeleute, Lastenträger und der Quarantänebeamte verstarben, ordnete der Stadtmagistrat die Aufstellung eines Pestkordons an und die Verbringung von Schiffsmannschaft und Waren in die Quarantäne an. Trotzdem kam es zu zahlreichen Erkrankungen in der Stadt, sodass die Leichen nicht mehr weggeschafft werden konnten und der Gouverneur durch 700 Galeerensträflinge, von denen dann 450 starben, die Leichen in die Kellergewölbe des Hafens schaffen ließ. Vom Stadtgebiet, wo fast 40 000 Menschen gestorben waren, breitete sich die Seuche in der ganzen Provence aus, um bei Einbruch der kalten Witterung zu erlöschen. Viele Erinnerungsstücke weisen auch heute noch auf die letzte große Epidemie in Europa hin.31 Die Regierungen waren sich aber der großen Gefahr der Einschleppung auf dem Seewege bewusst, weshalb sie in den Hafenstädten eigene Quarantänestationen einrichteten, wie die Wiener Hofkammer 1730 für Triest eine eigene Kontumaz- und LazarethOrdnung erließ.

An den Rändern Europas hielten sich zahlreiche Pestherde, von denen aus es immer wieder zu Kleinepidemien kam. So wurde das Expeditionsheer Napoleons 1798 in Ägypten und Syrien von der Pest dezimiert. Zur Vermeidung einer Demoralisierung durfte anfangs der Name der Krankheit auf ausdrücklichen Befehl nicht ausgesprochen werden und am 11. März 1799 berührte Napoleon im Pestspital von Jaffa sogar Kranke und Leichen, um zu beweisen, dass eine größere Gefahr von der Furcht vor der Ansteckung drohe. 1813 und 1836/37 herrschten in Konstantinopel schwere Pestepidemien, die durch türkische Truppen auf dem Balkan verbreitet wurden. Ab 1841 war dann auch die westliche Türkei pestfrei und gegen Ende des 19. Jahrhunderts scheint die Seuche auch aus der Levante verschwunden zu sein32, während sie in Asien und Afrika endemisch blieb.

Die dritte große Pandemie nahm wieder von den Stammgebieten der Pest ihren Ausgang, den Hochebenen Innerasiens in Turkestan, der Mongolei und des Himalaya. Mitte des 19. Jahrhunderts tauchten Berichte über Pesterkrankungen in mehreren chinesischen Provinzen und Burma auf, 1893 gab es dann mehr als 100 000 Tote in der Hafenstadt Kanton, von wo die Pest im März 1894 nach Hongkong verschleppt wurde. Als sich aber im März 1896 die Infektion in Bombay bemerkbar machte, verbreitete sich die Krankheit durch die aus der Stadt Flüchtenden explosionsartig auf dem ganzen Subkontinent Indien und forderte bis 1917/18 10,430 289 Todesopfer. Über die Handelswege gelangte die Pest wieder nach Afrika und wurde in Südamerika und den USA heimisch, wo sie auch heute noch wie auch in Südostasien Pestinfektionen verursacht.33 In Europa trat sie nur mehr in Einzelfällen an Orten auf, deren Bewohner engen Kontakt mit infizierten Nagern hatten, wie in Russland, oder in Hafenstädten mit Handelsbeziehungen zum Orient. In Österreich verzeichnete man im Oktober 1898 die letzten Pesttoten, als sich in Wien ein Laborgehilfe an Pestkulturen infizierte und den betreuenden Arzt sowie zwei Krankenschwestern ansteckte, von denen nur eine Schwester überlebte. An diese letzten Pestopfer erinnert noch das Denkmal für Dozent Dr. Hermann Müller (1866–1898) im neunten Hof des Wiener Alten Allgemeinen Krankenhauses.

Der Grund für das Verschwinden der Pest aus Europa wird immer noch kontrovers diskutiert. Am häufigsten wird der Ersatz der Fachwerkbauten in den Städten durch Ziegel- und Steinhäuser ins Treffen geführt, bedingt durch eine allgemeine Holzknappheit. In diesen findet die Hausratte Rattus rattus schlechtere Lebensbedingungen vor und wurde von der Wanderratte Rattus norvegicus