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Am schönsten war es für Mikusch und seine Freunde, wenn Luci frei hatte. Luci war ein dickes Ackerpferd, das einen schweren Pflug über die Felder von Seberitz und Erntewagen voll beladen in die Scheunen zog. In der freien Zeit graste das Pferd draußen auf der Koppel. Dann durften die Kinder auf ihm reiten. Fünf mit einem Mal, so stark und gutmütig war das Tier. Auch Kunststücke machte es bereitwillig mit. Das änderte sich aber, als die Bauern der landwirtschaftlichen Genossenschaft Traktoren und große Erntemaschinen anschafften. Luci wurde arbeitslos und sollte verkauft werden. Eines Nachts aber war Luci verschwunden. Große Aufregung im Dorf! Wer waren die Pferdediebe von Seberitz? Das spannende Buch für Kinder ab 9 Jahre erschien erstmals 1972 bei Der Kinderbuchverlag Berlin. INHALT: Luci als Omnibus Wie Luci ihren Namen lesen lernte Luci und Mikusch retten Bolle und Emil Von Stammbäumen und Lucis Großmutter Luci ist verschwunden Die Geister werden aus dem Dorf gejagt Ein Großmaul kommt zu Hilfe Gäste aus einem fernen Land Der Regenmacher vom Mühlenberg Luci soll Professor werden Das Unternehmen in der Nacht Lucis Grund
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Seitenzahl: 108
Veröffentlichungsjahr: 2013
Martin Meißner
Die Pferdediebe von Seberitz
ISBN 978-3-86394-236-6 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1972 bei Der Kinderbuchverlag Berlin
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta Foto: Foto Hille
© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Als Mikusch die Straße herunterschlenderte, war der Feierabend schon in das Dorf gekommen. Aber die Sonne glitzerte noch auf den Dächern. Das Trauerweidentrio warf seine langen Schatten auf den Teich.
Der Junge hieß eigentlich Michael Kuschel, aber ob das alle wussten, war nicht einmal gewiss. Er wurde von jedermann nur Mikusch genannt.
Sehr langsam ging er und trieb dabei eine zerbeulte Blechbüchse vor sich her. Das war nicht besonders günstig für die Schuhe, aber darum kümmerte sich der Junge jetzt nicht. Seine Gedanken waren ganz woanders. Er wollte zum Pferdehof der Genossenschaft.
Die LPG besaß natürlich viele Höfe. Doch damit man sie unterscheiden konnte, hatten die meisten einen bestimmten Namen. Manche wurden nach den Bauern benannt, die dort wohnten. So gab es den Dobberkauhof, den Reinkehof und den Babiaschhof. Andere hatten besondere Merkmale, wie der Eichenhof und der Lindenhof, die sich durch schöne Bäume vor den Wohngebäuden auszeichneten. Der Pferdehof hieß eben so, weil sich hier der Pferdestall der Genossenschaft befand.
Als Mikusch sein Ziel erreicht hatte, ging er noch langsamer und schoss die Büchse jetzt auch mehr im Zickzack über die Straße.
Vor dem Pferdehof stand der dicke Bauer Rohkohl. Die Weste zog sich straff über seinen Bauch. Bei ihm hing die Uhrkette nicht herunter, sondern sie lag.
Mikusch konnte den runden Bauern nicht recht leiden, denn der Junge war der Meinung, wer sich so viel Speck anfutterte, der konnte die Arbeit nicht gerade erfunden haben.
Aber das war natürlich nicht der Fall. Rohkohl arbeitete genauso fleißig wie die anderen Bauern der Genossenschaft. Und die konnte sich im Kreis mit den besten durchaus messen. Bauer Rohkohl, der die Pferde versorgte, gehörte eben nicht zu den Kostverächtern. Er legte den Schinken in fingerdicken Scheiben aufs Brot, und gelegentlich leistete er sich ein Bier oder auch zwei.
Abends stand er häufig vor dem Hof und wartete auf einen der Jungen vom Dorf, der die Pferde auf die Weide treiben sollte. Der eine oder andere fand sich auch stets hier ein, denn es war eine feine Sache, auf den Pferden durchs Dorf zu den Wiesen zu reiten.
Allerdings hatte die Angelegenheit einen Haken und war von vornherein nicht so sicher. Reiten konnte man nämlich nur auf einigen Pferden. Die Stute Luci war so eins. Andere dagegen, der Wallach Harraß zum Beispiel, ließen nicht einmal eine Hand an ihr Fell, geschweige dass sie noch jemanden durch die Gegend trugen. Seitdem der Harraß einmal den jungen Bauern Hermann Göde in den Wiesenbach, die Bäke, gewirbelt hatte, war er als Reittier nicht mehr besonders begehrt.
So war es für die Jungen stets ein unsicheres Unterfangen. Wurde der Wallach auf die Koppel gebracht, so musste man die ganze Strecke zu Fuß hinterherlaufen und denselben Weg wieder zurück. Daran hatte natürlich niemand ein besonderes Interesse, Mikusch war hierbei keine Ausnahme.
Es war nicht ratsam, sich anzubieten, dann konnte man nicht mehr wählen. Mikusch wusste, nein zu sagen bedeutete, dass er nie wieder ein Pferd auf die Weide reiten durfte. Bolle ging das schon so. Er hatte einmal abgelehnt, den Harraß auf die Weide zu bringen, jetzt musste er, wenn er reiten wollte, vor dem Dorf warten. Kam einer seiner Freunde auf Luci angetrabt, so hatte er die Chance, mitgenommen zu werden. Aber das ging nicht ohne Bezahlung ab. Unter fünf Kräheneiern, einer jungen Elster oder ähnlichem war da überhaupt nichts zu machen. Die Preise lagen hoch. So weit wie Bolle durfte man es mit dem dicken Bauern Rohkohl nicht kommen lassen.
Mikusch musste also auf ein Angebot warten. Wenn es ungünstig ausfiel, konnte er ja noch sagen, er hätte leider keine Zeit, er müsste seine Cousine Trude aus dem Kindergarten holen.
Obwohl Mikusch mit seiner Büchse nur sehr langsam vorankam, hatte er den Mann nun erreicht. Der Junge grüßte ihn nicht. Er tat so, als sei er sehr mit seinem Spielzeug beschäftigt und hätte den Dicken nicht bemerkt. In Wirklichkeit beobachtete er ihn aber mit einem Auge scharf.
Als Mikusch an Rohkohl vorbeiging, sagte der nichts.
Ein unangenehmer Gedanke kam dem Jungen plötzlich, als er schon am nächsten Gehöft war. Sollten vielleicht gar keine Pferde weggebracht werden? Oder war eventuell schon ein anderer da gewesen? Schaute der Bauer möglicherweise nur nach dem Wetter? Der Junge wurde unruhig. Aber so einfach verschwinden, das wollte er nicht. Zumindest musste er noch erfahren, ob die Tiere schon weg waren. So kehrte er also um.
Aber Bauer Rohkohl sagte noch immer nichts, als der Junge in seiner Höhe war. Mikusch sah genau hin. Er grüßte jetzt sogar freundlich. Rohkohl brummelte etwas, das auch „guten Abend“ heißen konnte. Zweimal schien es schon, als wollte der Dicke noch mehr sagen. Aber das schien nur so. Er ließ Mikusch wieder vorbeigehen.
Wenn der Rohkohl wenigstens verschwinden würde, in den Stall gehen oder ins Haus, dann wäre alles klar. Aber er blieb stehen. Seine Nase leuchtete rot, und Mikusch dachte, dass sie einer Erdbeere nicht unähnlich sei. Allmählich wurde es dem Jungen zu viel.
Er ging wieder zurück. Als er bei dem Bauern war, gab er seiner Büchse einen wuchtigen Stoß, sodass die Tauben auf dem Dach des Bürgermeisterhauses eilig abflatterten. Heute hatte Mikusch aber keinen Blick für den herrlichen weißen Kröpfertäuber, der jetzt hinter den Kastanienbäumen eintauchte.
„Wer hat denn die Pferde weggebracht?“, fragte er und schaute auf die Spitzen seiner misshandelten Schuhe.
„Welche Pferde?“ Es hörte sich so an, als hätte der Bauer solche Tiere noch nie in seinem Leben gesehen.
Mikusch wurde rot, und das konnte vor Zorn sein oder vor Anstrengung, sich zu bezähmen, nicht in den Pferdestall zu rasen und selbst nachzusehen.
„Welche sollen denn auf die Weide?“ Mikusch war nun sicher, dass vor ihm noch keiner hier war.
„Heute nur Luci“, sagte der Bauer und griente, denn er wusste genau, warum Mikusch hier war. Beide gingen auf den Hof zum Pferdestall.
Luci also, dachte Mikusch, und er freute sich. So konnte diesmal ein kleiner Umweg eingelegt werden. Luci nahm das nicht krumm.
Als Bauer Rohkohl den Stall öffnete, kam das Pferd gleich heraus. Hell klang es, als es über den gepflasterten Hof trabte. Mikusch brauchte sich nicht sonderlich zu beeilen, denn er wusste, Luci würde vor der Hoftür warten.
Der Junge ging zu ihr, klopfte ihr den Hals und fasste die Mähne. Er führte Luci an den Zaun von Rohkohls Vorgarten und kletterte von dort auf ihren Rücken.
Herrlich sah die Welt von oben aus, als Mikusch durch das Dorf ritt.
Seberitz hieß das kleine altmärkische Dorf, in dem Mikusch lebte und das aus nicht viel mehr als fünfzig Gehöften bestand. Alle machten einen ordentlichen Eindruck, und vor allem die Wohngebäude mit ihren schönen Vorgärten sahen sehr freundlich aus. Von den Stallungen und Scheunen, die sich dahinter befanden und den Hof einfassten, standen allerdings manche ungenutzt, seit die Bauern ihre Genossenschaft gegründet hatten.
Sie genügten nicht mehr den Anforderungen. Moderne Einrichtungen verlangten nach geräumigen Gebäuden.
Für jemand, der hier auf der Chaussee in Richtung Jemmerau fuhr, die durch das Dorf führte, hatte der Ort sicher nichts Besonderes, außer der alten Windmühle vielleicht, die hoch auf einem Hügel vor dem Dorf stand. Aber für die Leute, die hier wohnten, gab es manches, das man nicht durch Autoscheiben sehen konnte. In Seberitz besaß man den neuen Vierhunderter, den modernen Rinderstall, auf den die Bauern und auch die anderen Bewohner besonders stolz waren. Doch dieser große Gebäudekomplex war von der Hauptstraße aus nicht zu sehen, denn er lag hinter den Gehöften, den Wiesen zu. Man hatte ihn dorthin gebaut, damit die Viehherden nicht mehr durch das Dorf getrieben werden mussten. Überhaupt hatte sich in der letzten Zeit das Gesicht von Seberitz mehr und mehr verändert. Das Landwarenhaus, der Kindergarten und einzelne neue Wohnhäuser hatten sich nach und nach den alten Bauerngehöften hinzugesellt.
Als der Reiter nun fast am Dorfausgang war, tippte er Luci sacht mit dem Hacken in den Bauch. Das war das Zeichen für leichten Galopp.
Es hatte aber einen bestimmten Grund, dass Mikusch gerade jetzt das Tempo erhöhte. Unter der Pappel am Hollig Grund sah er das Mädchen Antje stehen. Da war es nicht zum Schaden, wenn man etwas mehr Geschwindigkeit drauf hatte. Er mochte Antje gern, obwohl sie die Jungen nicht sehr zart behandelte. Aber vielleicht gerade darum konnte Mikusch das Mädchen so gut leiden.
Allerdings war er dann doch ein wenig enttäuscht. Als er nahe herankam, tauchte auch noch Eusebio auf, der sich von einem Ast auf die Erde herunterließ. Außerdem lagen Appeltörtchen und der dicke Bolle Bollmann im Gras. Sie hatten einen Ball zwischen den Köpfen und versuchten aufzustehen, ohne dass sie sich mit den Händen stützten. Der Ball durfte nicht herunterfallen.
Obwohl Eusebio genauso wie die anderen Jungen erst zwölf Jahre alt war, fand er solch ein Spiel zu kindisch, und so war er auf die Pappel gestiegen. Er spielte in der Kreisauswahl und konnte es nicht leiden, wenn man mit einem Ball derartig unsinnige Spiele trieb. Das ging gegen seine Fußballerehre, noch dazu wo ihn am letzten Sonnabend der Bezirkstrainer in sein Notizbuch geschrieben hatte.
„Au prima, heute Luci“, begrüßte Antje den Reiter, der das Pferd angehalten hatte. Sie sagte das nicht nur so dahin, denn auch sie ritt gern auf der Stute zur Weide.
Obwohl Antje erst in die vierte Klasse ging, gehörte sie zu den Mädchen im Dorf, welche die Jungen bei sich duldeten und mit denen sie gern spielten. Das hatte natürlich seinen Grund. Ohne eine besondere Leistung gelangte keine zu solch einer Auszeichnung. Antje konnte eine nachweisen. Im letzten Winter hatte sie beim Pfenniglaufen alle Jungen des Dorfes ausgestochen.
Dieses traditionelle Spiel war eine gefährliche Sache und von den Eltern nicht gern gesehen. Aber da auch sie früher ihren Pfennigkaiser ermittelt hatten, drückten sie ein Auge zu.
Wenn der erste Frost über das Land kam und die überschwemmten Wiesen eine Eisdecke erhielten, dann zogen die Kinder des Dorfes hinaus zum Pfenniglaufen.
Zuerst wurde mit der Steinschleuder das Hartgeld auf das Eis geschossen, was dem Kaiser vom letzten Jahr zustand. Die Pfennige flogen nicht so gut, aber die wertvolleren Fünfer und Zehner schwebten weit hinaus, weil sie schwerer waren. Pfennigkaiser wurde der, der das meiste Geld aufsammelte. Betrug war nicht möglich, denn die Münzen waren vorher gekennzeichnet.
Im letzten Winter hatte es Antje geschafft. Sie war am weitesten auf ihren Schlittschuhen hinausgefahren. Sie hatte auch dann nicht aufgehört, als der dicke Bolle schon mit nasser Hose nach Hause trottete. Seitdem war Antje in den Kreis der Jungen aufgenommen.
Keiner wunderte sich darüber, dass Mikusch heute nichts von einem Preis fürs Mitreiten sagte. Bei Antje wurde eine Ausnahme gemacht. Da nun einmal von Bezahlung nicht die Rede war, schien auch den anderen die Gelegenheit günstig.
Eusebio stellte sich mit dem Rücken zum Pferd und faltete die Hände vor seinem Bauch. Antje trat mit dem einen Bein darauf, und Mikusch zog sie hoch. Auf diese Weise wurden auch Bolle und Appeltörtchen hinauftransportiert. Luci tänzelte unruhig einige Schritte nach vorn, besonders als sich der dicke Bolle niederließ. Zum Schluss hievten sie gemeinsam noch Eusebio hinauf, der schon sehr dicht am Schwanz zu sitzen kam.
Mikusch saß vorn schon fast auf dem Hals. Die hinter ihm hielten sich jeweils am Vordermann fest. Dem Pferd schien die Last nicht viel auszumachen, sondern eher ein Vergnügen zu bereiten. Als es forsch ausschritt, schwankten die fünf hin und her. Ihr Lachen schallte zum Dorf zurück.
Am Mühlenweg angelangt, sahen sie, wie ein Junge zur Chaussee heruntergelaufen kam. Er ruderte mit den Armen und rief ihnen zu, dass sie anhalten sollten. Es war Emil. In der rechten Hand hatte er seine Brille, die ihm beim Laufen hinderlich schien.
Mikusch brachte Luci zum Halten. Atemlos erreichte Emil das Tragetier. „Nehmt mich mit!“, rief er ihnen zu.
Das war leichter gesagt als getan, aber mit musste er natürlich. Alle rückten noch etwas vor, und Eusebio zog Emil hinauf. Er war nicht besonders schwer. Aber als Eusebio losließ, rutschte Emil über den Schwanz wieder in die Tiefe. Alle lachten, weil Bolle noch etwas von Pferdeäpfeln gesagt hatte.
Beim nächsten Versuch gelang es dann aber. So ritten die sechs auf Luci zu den Weiden hinunter. Ein Trab konnte nicht gewagt werden, denn Emil hing sowieso schon mächtig unbequem und klammerte sich an dem Stummelschwanz der Stute fest. Aber bevor sie die Weide erreicht hatten, wollte er nicht aussteigen.
Als sie dort ankamen, ließ sich Emil heruntergleiten, um den Durchlass zu öffnen, der aus drei Stangen bestand. Sie wurden durch Hufeisen geschoben, die in die Pfähle geschlagen waren.
Inzwischen sprangen auch die anderen herunter. Antje wurde von dem starken Bolle aufgefangen.
Mikusch versetzte Luci noch einen freundschaftlichen Schlag auf den Hintern. Sie trabte ein Stück, dann blieb sie stehen, steckte ihr Maul in die Wiese und rupfte behaglich die Gräser.
„Seht mal, unser Omnibus frisst Gras“, sagte Mikusch. Diese Bemerkung machte allen Spaß. Lachend unterhielten sie sich auf dem Heimweg darüber und waren guter Stimmung.
„Tiere dressieren ist nicht leicht“, sagte Mikusch und schnipste einen alten Hühnerring durch die Luft. Er saß auf dem Durchlass der Koppel, während Appeltörtchen und Emil im Gras lagen. Sie hatten ihre Hemden ausgezogen und benutzten diese als Kopfkissen.
„Geht aber“, sagte Emil, ohne auch nur die Augen zu öffnen. „Bei meinem Onkel ist es jedenfalls gegangen.“
„Wer hat denn deinen Onkel dressiert?“, fragte Mikusch, und Appeltörtchen grinste breit.